Teil 8
Mana war verschwunden, aber der Kommandant blieb noch vorgeladen und wurde nun intensiver von der Tashi'Ara unterwiesen. Die Unzufriedenheit mit ihm war ihr deutlich anzusehen in der strengen Mimik. Wie ein wildes Tier knurrte sie ihn an: „Wir hatten eine Vereinbarung.“
„Wir hätten es schaffen können, wäre Manas Ego nicht gewesen.“
„Ich will nicht hören, dass Ihr es hättet schaffen können!“, äußerte sie harsch und schlug hart mit der Faust auf die Lehne. „Ich will hören, dass Ihr es geschafft habt!“
Puru wich einen Schritt zurück. „Wir konnten zumindest einen Kubus ausschalten...“
„Einer von dreien“, spottete sie augerollend. „Das befriedigt mich nicht.“
„Mehr war kaum möglich ohne Fregatten...“
„Wisst Ihr überhaupt, wieviel uns dieser Misserfolg kosten wird?!“, fauchte sie argwöhnisch und hielt ihm die Murmel aus Unam vors Gesicht. „Schon zu oft musste unsereins miterleben, wie die Hyru unsere Erzquellen ausbeuteten! Wenn wir sie nicht mal in unserem Territorium vernichten können, dann können wir es im freien Gebiet erstrecht nicht! Und ich will nicht wissen, was die Ych uns entgegensetzen werden! Denn was meinereins von dieser Spezies mitbekommen hat, bereitet sogar meinen Tentakeln ein verdächtiges Zucken.“
Schweigen folgte, in der Puru eingehend über ihre Worte nachdachte.
„Eigentlich ist unsere Vereinbarung nichtig geworden, aber ich weiß dennoch Eure Erfahrung zu schätzen. Darum werde ich Euch dieses Mal nicht bestrafen.“
Verwirrt schaute er sie an. „Oberste?“
„Unzufrieden?“, fragte sie gleichsam verwirrt wie er. Da aber keine Resonanz kam, sprach sie weiter. „Ich gebe Euch noch eine zweite Chance. Oder soll Euer Sohn doch nicht meine Tochter heiraten?“
„Selbstverständlich soll er das“, kam wie aus der Pistole geschossen, jedoch auch etwas zweifelnd. „Ich befürchte aber langsam, dass Eure Forderungen unerfüllbar sind, Oberste.“
„Befürchtet nichts“, summte sie fies lächelnd und rieb sich neckisch über das Lippengold. „Das macht Euch das Leben einfacher.“
Mit gemischten Gefühlen stieg Mana die lange Treppe wieder hinauf. Sie wusste nicht genau, was sie denken sollte. Eigentlich stimmte sie der Bestrafung vollkommen zu, aber andererseits wollte sie das Argument mit Sono kritisieren. Zumal sie nicht begreifen konnte, wie die Allwissende darauf kommen konnte.
Natürlich rief sie ihn an und war auch nicht negativ drauf eingestimmt, dass er sie abholen würde. Aber sie wollte nicht, dass irgendjemand ihnen beiden mehr als nur platonische Freundschaft andichten würde. Denn für die junge Tashi war er auch nicht mehr, als nur der engste Vertraute.
Treffpunkt war die Cocktailbar im ersten Stock. Während sie auf ihren Drink wartete, schaute sie sich heimlich etwas um. Und da fiel ihr die deutlich jüngere und sehr bunt gekleidete Tashi auf, die ein paar Hocker weiter saß. Neidisch starrte Mana ihr auf ihre übertrieben langen Tentakeln, die mindestens einen halben Meter auf dem Boden lagen. Mit tiefem Grummeln stopfte sich Mana einen Lutschkiesel von der Schale vor sich in den Mund und verharrte intensiv mit dem Blick auf der Frau.
Aber allem Neid zum Trotz, wusste sie, dass ihr Leben um einiges interessanter war, als das der Fremden. Was nützte Mana schon ein noch attracktiveres Aussehen, wenn sie dafür umso weniger als Kapitänin ernst genommen werden würde?
Andererseits würden noch präsentere Argumente vermutlich die Chancen, Dere zu bekommen, deutlich erhöht werden.
Nein! Mana wollte sich nicht rein auf das Äußere reduzieren lassen! Dafür war sie charakterlich viel zu stark.
Keine viertel Stunde hockte sie am Tresen, noch immer mit ihrem ersten Drink beschäftigt, da kam auch schon Sono. Zielstrebig ging er auf sie zu und setzte ein dezent verhaltenes Gesicht auf. Mana bemerkte sein Kommen nicht und starrte nur gedankenlos auf ihren neongrünen Becher.
„Und wie war's?“, ertönte seine Stimme gedämpft durch die höhenlastige Musik.
Sie schreckte kurz auf, drehte den Kopf leicht ihm rüber und machte leichte Pausbacken. „Anstrengend.“ Tiefes Schnaufen. „Aber immerhin wurde Puru auch heftig kritisiert.“
„Was hat sie denn gemeint?“
„Nicht hier“, meinte sie nur und kippte sich in einem Zug den kompletten Cocktail hinein. Und es folgte die Erkenntnis, dass die Allwissende eben doch keine Hellseherin war, denn sonst hätte sie Mana auch davor warnen können. Benzol mit purem Kaktussirup war eben doch nichts für Jederfrau. Die Lippen wie ein Bleistift angespitzt und mit kratzigem Räuspern versuchte sie das brennend-stechende Gefühl aus dem Mund- und Rachenraum zu kriegen. Das war für beide -Sono und den Barkeeper- leicht verstörend, aber Mana erklärte sich gleich: „Ich habe dafür bezahlt, also trinke ich es auch aus, egal, wie mies es schmeckt...“
Irgendwie verstehend zuckte Sono mit den Schultern und nahm es mal so hin.
„Wie wär's?“, fragte er und setzte sein schönstes Lächeln auf. „Ein entspannter Abend zu zweit bei mir? Vielleicht einen Film schauen?“
„Ist mir egal“, erwiderte seine Vorgesetzte nahezu unbeeindruckt. „Solange ich dabei nicht an die nächsten drei Monate denken muss.“
Für Sono war das Zustimmung genug. Und es wäre auch nicht er gewesen, wenn er diese Antwort nicht schon geahnt hätte. Sie war ihm schon von Anfang an für direkte und oftmals auch provokante Sprüche bekannt. Und im Laufe ihrer fünfjährigen Zusammenarbeit wurde es für ihn schon zur Routine. Schwer zu sagen, ob er genau das an ihr so sehr mochte, aber negativ trug es zumindest nicht bei.
Also machten sie einen kurzen Umweg von guten drei Stunden durch die Markthalle unweit des Fassali-Anwesens, um bei den hunderten Ständen und Einkaufsläden alles für das Abendessen zu besorgen. Mana und Sono gehörten zu der großen Mehrheit der Bevölkerung, die sich nicht aussuchen konnten, in welcher Unterschicht sie hausen wollten. Zumindest noch nicht.
Sieen war vorerst an ihre Apartments im von Mana scherzhaft bezeichneten „Viertel
der Spießer“ gebunden.
Witzigerweise befand sich Sonos Wohnung im Nachbargebäude zwei Stockwerke höher als ihres. Besucht hatte sie ihn dort bisher noch nie, was ihr umso mehr ein leicht mulmiges Gefühl bereitete. Trotz aller Kühle ihm gegenüber verspürte sie dennoch ein spontanes Interessese an seinem privaten Lebensstil.
Als sie vor dem gigantischen Wolkenkratzer standen und beide einen flüchtigen Blick an der Hauswand empor wagten, wurden sie nur knapp von der durch die dicht gestellten Gebäude hervorblitzenden Sonne geblendet. Auch für sie beide, als nicht architektonisch Versierte, waren die pompösen Bauten ihrer Spezies ein faszinierender Anblick. Selbst bei guten Wetter und klarem Himmel waren die Turmspitzen mit dem bloßen Auge nicht zu erspähen. Teilweise überragten sie sogar die an den Docks aufrecht stehenden Flaggschiffe.
Da seine Wohnung im einhundertachtzigsten Stock war, nahmen sie natürlich den Magnetfahrstuhl, der die Streckenzeit auf wenige Sekunden reduzierte. Von der rasanten Fahrt war nichts zu spüren. Lediglich die schnell ratternden Zahlen des LED-Panels deuteten auf eine enorme Geschwindigkeit hin.
Oben angekommen schritten sie gemütlich Seite an Seite den Flurgang entlang und blieben auf halber Strecke stehen. Dann öffnete Sono über den Iris-Scanner die Tür zu seiner bescheidenen Junggesellenbude.
Als hochrangiger Militär verdiente er natürlich nicht schlecht und konnte sich somit einiges anschaffen, was andere als überflüssige Staubfänger bezeichnet hätten.
Sobald man die Wohnung betrat, begrüßte einen die wärmende Sonne durch die raumhohe abdunkelbare Fensterfront gegenüber. Angrenzend der Balkon.
Ein weißgolden gefliester Fußboden auf dem ein diagonal ausgerichteter schwarzgrau gestreifter Veloursteppich lag, dessen Ecken passgenau an die Bodenkanten anstießen.
Links neben der Tür war eine zwölfteilige Bilderserie der Molekularmalerei angebracht.
Doch Manas Blick fiel als erstes auf die mitten im Raum stehende zwei Meter große Lavalampe, die mit buntem Farbenspiel diffuse halbschattige Sphären an die schneeweiße Decke zauberte.
Daneben standen ein violettes Plüschsofa und zwei Plüschhocker. Davor ein kreisrunder schwarzer Glastisch mit Sockel aus fünf goldverspiegelten ineinander gesteckten Pyramiden.
Die linke Zimmerwand war mit einer schwarzen mattgeschliffenen Glasplatte bedeckt -der Fernseher- und seitlich jeweils eine Tür fürs Bad und Schlafzimmer.
In der anderen Raumseite befand sich die Küche, die nur durch den aus Gelbmarmor gefertigten Tresen optisch vom Wohnzimmer abgegrenzt wurde. Auf dem Tresen stand neben allerlei Küchenutensilien noch ein holographischer Blumentopf. Als letztes entdeckte sie das komplett leere Spirituosenregal rechts neben der Eingangstür.
„Ihr müsst das mal wieder auffüllen.“
Er summte zustimmend und stellte sogleich die gekaufte Schleimschorle hinein, auch wenn sie dort etwas verloren wirkte. „Besser?“
Mana bedeutete ihm ihr geringes Interesse mit einem Schulterzucken und sah sich lieber weiter in der Wohnung um.
„Ich gehe schon mal in die Küche“, führte er den kargen Dialog fort, da er ohnehin schon mit einem Bein in jener stand.
Sie schlupfte mit neutraler Miene zum Sofa rüber, während er im Schrank Töpfe, Pfannen und Schüsseln durchwühlte und unter lautem Klirren auf die Arbeitsfläche poltern ließ.
Etwas störte sie der Lärm schon, aber dies zu kritiseren wäre so, als würde man sich über die Entscheidungen der Tashi'Ara aufregen. Einfach überflüssig.
Mit großer Vorsicht befummelte sie den watteweichen Plüschstoff des Sofas, bevor sie sich langsam hinsetzte und ihre trägen Füße von den weichgelaufenen Turnschuhen befreite. Unter sanftem Druck massierte sie dann ihre knubbeligen Zehen durch.
Sono hantierte währenddessen unermüdlich weiter mit den Nahrungsmitteln und Küchengeräten herum und kreierte eine Geräuschkulisse wie in einer Industriewerkstatt.
Das bereitete der jungen Tashi dann schon leichtes Kopfzerbrechen, ob auch wirklich alles in Ordnung war.
Den Kopf in starke Schieflage gebracht linste sie zu ihm rüber. „Soll ich wirklich nicht helfen?“
„Nein, ich koche für Euch!“, stellte er klar mit abwinkender Geste und wühlte dabei lautstark im Besteckfach herum. „Ruht Euch einfach aus, schaut etwas Fernsehen oder hört Musik.“
Das ließ sich Mana natürlich kein weiteres Mal sagen und rieb sich stattdessen nachdenklich über die Lippen. „Dann gehe ich erstmal duschen, wenn Ihr nichts dagegen habt.“
Dies haute ihn spontan um, da rutschte ihm glatt das Messer aus der Hand. Aber eigentlich begrüßte er es sogar, denn sie roch schon etwas nach Schweiß.
„Ihr könnt machen, was immer Ihr wollt, solange Ihr mir nicht beim Kochen helft.“
Während sie sich frisch machte und gleichzeitig ihren Anzug mit wusch, tobte er sich in der Küche aus. Töpfe, Pfannen und Becher wurden wortwörtlich jongliert, Messer und Löffel geschwungen und allerlei kulinarische Zutaten kombiniert. Für seine Vorgesetzte hatte er sich etwas ganz Besonderes aber zugleich Einfaches einfallen lassen, das jedem Tashi schmecken sollte, aber trotzdem nicht zu plump wirkte.
Wärend der Ofen vorgeheizt wurde und die Soße langsam vor sich hin köchelte verschenkte Sono Gedanken an sie. Was sie wohl gerade trieb und ob sie dabei auch zurecht kam. Zu gern hätte er einen Blick ins Bad geworfen, aber der Abstand behielt die Oberhand. Er hätte es sich auch niemals verzeihen können, hätte sie es dann mitgekriegt.
Um wieder einen klaren Kopf zu bekommen, beschloss er, das Tisch Eindecken vorzuziehen.
Mana kam auch nur wenige Minuten später wieder angezogen aus dem Bad, um die Tentakeln ein großes, flauschiges, blaues Badetuch gewickelt. Ein strahlendes Lächeln zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab, als sie die Gerüche exotischer Gewürze einatmete. „Wenn es auch nur halb so gut schmeckt wie es duftet, bin ich schon zufrieden!“
„Aber noch dauert es ein paar Minuten“, merkte Sono hektisch an, während er das Besteck und die Becher abermals nachpolierte.
„Ist mir ganz recht“, entgegnete sie beiläufig und öffnete die Balkontür. „Wollte eh nochmal die Sonne begrüßen.“
Im noch leicht feuchten Anzug auf dem Balkon stehend, fiel ihr Blick auf den gegenüberliegenden Wohnblock, in dem auch ihre Wohnung war. Plötzlich überkam sie die Erkenntnis, dass Sono von hier aus direkt in ihren Wohnbereich sehen konnte. Da lief es ihr spontan eiskalt den Rücken runter und sie fragte sich, ob er das gelegentlich ausnutzte.
Ein törichter Gedanke! Als wenn Sono so fanatisch wäre und sich schlimmstenfalls noch mit Fernglas hier hinsetzen würde, um sie zu beobachten. Um seine Gefühle für sie wusste sie ja nun seit der Äußerung der Tashi’Ara besser Bescheid. Aber er kam der jungen Frau trotzdem nicht wie ein Stalker vor.
Von Sonos aktueller Lage her gefiel ihm der Anblick natürlich sehr, sie auf dem Balkon zu sehen. Da fiel es ihm nicht leicht, sich ausreichend auf das Kochen zu konzentrieren.
Ein flüchtiger Gedanke zu viel an sie und schon wäre es beinahe passiert, dass er den Soßentopf samt Inhalt unter die Schnellspüle gestellt hätte.