Mana
Teil 1
Galaxie Polisa
Ein erbarmungsloser Krieg tobt seit geraumer Zeit. Seine Einflüsse infizierten nahezu jedes System und säten Angst und Misstrauen. Ein schleichender Prozess, der in einigen Regionen stärker und in anderen weniger wahrnehmbar ist. Auslöser des Krieges waren die Ych. Eine kaum bekannte Spezies, die über Jahrzehnte hinweg Unheil in jeden Winkel, jeden noch so kleinen Planeten des Universums brachte. Wo sie auftauchten, herrschte bald nur noch Tod und Verderben. Ihre Schreckenspropaganda verbreitete sich wie ein Lauffeuer und vertrieb Milliarden aus ihrer Heimat.
Doch wurde dieser Krieg häufig überschattet von den alten Fehden und regionalen Machtkämpfen.
So auch zwischen den rivalisierenden Parteien des eigensinnigen Volkes der Tashi, deren Engstirnigkeit allein durch deren Kampfeslust übertroffen werden kann, und den Hyru, welche trotz der Digitalisierung ihres Bewusstseins nicht an Individualität eingebüßt haben.
In letzter Zeit wurde es jedoch ziemlich ruhig um die Hyru, weshalb die Tashi kurz davor waren, von einem unerwarteten Waffenstillstand auszugehen. Bis sie eines Besseren belehrt wurden und die Roboterwesen erneut in deren Territorium eindrangen, um einen Überfall auf die Erzminen der Asteroidenfelder bei Oz zu planen.
Leider war ein Großteil der dort beheimateten Schiffsverbände derzeit nicht in erforderlicher Reichweite, weshalb die Allwissende, das Oberhaupt der Tashi, ihre stärkste Flotte in den Kampf schickte, um den Aggressoren einen Denkzettel zu verpassen. Niemand sollte sich an den Ressourcen des letzten Adels Polisas bereichern, ohne entsprechend Tribut dafür zu zahlen.
Mit drei Kuben waren die Hyru unterwegs. Gigantische Würfel aus Stahl. Jeder von ihnen bot Platz für tausende Individuen. Die Kampfkraft eines solchen Konstruktes war schwer einzuschätzen, da sie nur selten allein unterwegs waren und noch seltener andere Spezies entkommen ließen.
Mit Kränen und Enterhaken verankerten sie sich an Asteroiden und verfrachteten sie im Ganzen in die überdimensionalen Hangars. Von monströsen Maschinen zermalmt und über Magnetbänder direkt in die glühenden Hochöfen transportiert, werden die wertvollen Metalle herausgeschmolzen und zu handlichen Barren gegossen. Sie waren einzig für diesen Zweck entworfen, um streckenweise Asteroidenfelder abzuernten.
Weit abseits jener Objekte, rund tausend Kilometer entfernt, ereignete sich ein ungewöhnliches Phänomen. Lautlose Blitze bahnten sich einen Weg durch die unendliche Leere des Kosmos, verzerrten das Licht und den Raum. Wie aus dem Nichts erschienen sie und beschworen verschwommene Strukturen, die schnell klarer wurden und schwarze röhrenartige Objekte darstellten.
Es waren die Anzeichen von Warpsignaturen.
Schlagartig traf die Flotte der Tashi ein. Erst wenige Fregatten, die bereits eine klare Frontline bildeten, dicht gefolgt von den wendigen Kreuzern und dem Flaggschiff, dessen Durchschlagskraft und Panzerung kaum zu übertreffen war. Sie bildete das Kernstück und die Kommandozentrale jener Flotte. Begleitet wurde dieses Ungetüm hochmoderner Kriegstechnik von drei weiteren Fregatten, welche einzig für deren Schutz eingeteilt waren.
Oberster Befehlshaber war Flaggschiffkommandant Puru. Ihm direkt waren die Kreuzerkapitäne unterstellt, welche ihrerseits die Fregatten unterwiesen.
Alle waren in Alarmbereitschaft und warteten gespannt auf kommende Befehle.
So auch auf dem Kreuzer, der, ebenso wie der Kapitän, den Namen Mana trug, und sich an der äußeren Position stationiert hatte.
Mit einem Zischen öffnete sich die Schiebetür zur Kommandobrücke und eine junge Tashi trat herein. Sie war schiefergrau und ihre Haut kam der von Aalen gleich. Alleinig der blauviolett schimmernde Ganzkörperanzug verpasste ihrem Antlitz genug Farbe, um ihre Silhouette kontrastreich vom abgedunkelten Raum abzuheben. Er wirkte wie eine zweite Haut und brachte ihre schlanke Statur perfekt zur Geltung. Über diesem trug sie offen eine Schutzweste, die einer Sportjacke ähnlich kam.
In der rechten Hand hielt sie einen Becher Tee und mit der Linken strich sie sanft am perlschwarzen Gürtel entlang, während sie mit federleichtem Gang auf den Laufsteg zuschritt. Trotz der Tatsache, dass man sich auf einem Raumschiff befand, trugen die Tashi ausschließlich Turnschuhe.
Die Kommandobrücke eines jeden Schiffstypes war kreisrund aufgebaut, vergleichbar mit einem gigantischen Laufrad. Die Lauffläche war gestaffelt angelegt, bestehend aus dem Laufsteg in der Mitte und zwei Tribünen seitlich davon. Auf den Tribünen waren Bedienpulte und Monitore über den gesamten Umfang herum aufgebaut. Die beiden kreisrunden Wände waren gewaltige parabolförmige LED-Tafeln und zeigten eine fotorealistische Projektion der Außenumgebung.
Das Besondere war, dass in diesem Raum der gesamte begehbare Bereich der Boden war und man quasi die direkt gegenüberstehenden Personen über sich sehen konnte.
Der erste, der Mana auf der Brücke in Empfang nahm, war Sono. Ihr erster Offizier und zugleich treuester Gefährte. Anschließend drehte sie eine komplette Runde und hieß die restliche Crew auf der Brücke willkommen. Sie kümmerten sich um den reibungslosen Ablauf auf dem Schiff und steuerten die verschiedenen Systeme wie Navigation, Kommunikation, Radar und vieles mehr.
Behutsam wischte Mana mit ihrem Finger über die Innenfläche des hellblauen Glases der schwarzen Fliegerbrille, bevor sie jene über ihr einziges Auge zurechtrückte. Nun war sie auch bereit, eine Bildübertragung vom Hauptbefehlshaber zu empfangen.
Mit den Fingern der rechten Hand an die linke Schläfe gehalten, begrüßte sie Kommandant Puru und untermalte es mit einer kurzen Verbeugung.
„Kapitän Mana meldet Einsatzbereitschaft des Kreuzers und ihrer Fregatten!“
Optisch waren beide kaum auseinander zu halten. Sie besaßen dieselben Gesichtszüge und trugen dieselbe Kleidung, jedoch konnte Puru eine große Narbe am Hals und Andeutungen von Altersfalten vorweisen. Am deutlichsten konnte man ihn an seiner kräftigen, ausdrucksstarken Stimme erkennen, die jedes Wort autoritär erklingen ließ.
Mit hartem Schritt stampfte er selbstsicher über den Laufsteg und fixierte seinen Blick konzentriert auf die feindliche Flotte. Seine geballten Hände hinterm Rücken, und wie nervös er sie knetete, zeigten nur zu gut, mit welcher Überzeugung er die folgende Ansprache hielt.
„Seht sie euch an! Scheinheilig untergraben sie unsere Autorität und dringen in unser Territorium ein, um sich an unseren Ressourcen zu vergreifen. Schon zu oft mussten wir einstecken und klein beigeben. Aber jetzt ist genug! Wenn die Hyru wirklich glauben, wir geben diese Minen so einfach auf, dann werden wir sie eines Besseren belehren! Beginnt das Bombardement!“
Mit diesen Worten beendete er die Übertragung und sein Schiff begann zugleich mit der Ausführung seines Befehls.
„Ihr habt den Kommandant gehört!“ Mit zuckenden Lippen und das Auge zu einem engen Schlitz verformt zeigte Mana ihrer Crew, welch geballten Zorn sie für den Feind empfand. „Ich will das Schiff vibrieren hören!“
Und mit tiefem Dröhnen und Rattern wurde die enorme Feuerkraft des hochgerüsteten Kreuzers freigesetzt. Schneller als das Auge sie erfassen konnte, pressten sich die Geschosse aus den Mündungsrohren und zogen fädenartige Leuchtspuren hinter sich her. Obwohl sich mehrere Meter dickem Stahls zwischen den Waffensektionen und der Kommandobrücke befanden, waren die harten Erschütterungen der schweren Kanonen auch dort gut spürbar und brachten die Gitterroste unter ihren Füßen zum Beben. Um dem gewaltigen Rückstoß entgegenzuwirken, war es sogar notwendig, mit dem Hauptantrieb entgegenzusteuern. Von beiden Seiten presste der Schall sich im Sekundentakt durch die Kabinen und Korridore und wirbelte Kleinstteile wie Schrauben und Werkzeug auf, welche, unter dem penetranten Viervierteltakt, der künstlichen Schwerkraft zu trotzen schienen.
Für Mana war es eine Melodie aus Licht und Klang. Immer wieder auf's Neue war sie fasziniert vom abstrakten Tanz der stoßweisen Salven großkalibriger Munitionsgeschosse. Mit Freuden beobachtete sie das Schauspiel auf dem Bildschirm. Das Flimmern und Knallen der zahllosen Kanonen. Wie der Funkenflug geschürten Feuers gepaart mit tausenden Hammerschlägen auf glühendem Metall.
Wo sonst nur Pechschwärze herrschte, tobte nun ein in synphonisches Blitzgewitter, das vermutlich sogar von anderen Sternensystemen als pulsierender Schein wahrzunehmen war.
Zufrieden streifte sie sich über den kahlen Kopf und an ihren fünf Tentakeln entlang, die ihr wie dicke Dreadlocks herunterhingen.
Der Feind erwiderte das Feuer, aber davon ließ sie sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie wusste, dass die Waffen der Hyru nicht genügend Reichweite hatten, um der Flotte nahe genug zu kommen. Schon Kilometer vorher begannen die Geschosse zu zerplatzen, was zwar ein beeindruckendes Feuerwerk bot, aber außer einer minimalen Dämpfung der Durchschlagskraft keinerlei Nutzen brachte.
Genießend schlüfte sie weiter ihr Heißgetränk und diktierte der Mannschaft Befehle für effizientere Zerstörung.
„Erster Kubus erleidet massive Schäden. Die Schilde sind stark genug geschwächt, dass wir Hüllentreffer erzielen.“
Eine Nachricht, die ein angedeutetes Lächeln in Manas Mundwinkel zeichnete.
„Sie scheinen zu fliehen“, meldete sich Sono erneut zu Wort.
Nur wenige Momente später verkündete Kommandant Puru an die gesamte Flotte: „Wir schließen weiter auf, lasst das Bombardement nicht enden.“
„Die Kuben ändern den Kurs in Richtung Oz“, schloss Sono mit einem erwartungsvollen Unterton nahtlos an, was sie sofort hellhörig machte.
Sie verlangsamte ihre Schritte und starrte gebannt auf den Bildschirm. Mit den Fingern in der Luft zeichnend vergrößerte sie den Ausschnitt der fotorealistischen Projektion. Die Bilder bestätigten die Aussage ihres besten Mannes, was Mana äußerst misstrauisch stimmte.
„Das ergibt keinen Sinn“, murmelte sie nachdenklich. „Sogar die Hyru wären niemals so verzweifelt, um Selbstmord zu begehen.“
Puru dagegen wirkte nicht sehr überrascht, weshalb seine Worte nur plump rüberkamen. „Da sie offenbar Oz angreifen wollen, werden wir uns den Kubus schnappen! Schickt die Fregatten los. Maximale Schubkraft!“
Kaum ausgesprochen, brachen auch schon die ersten Schiffe aus der Formation und beschleunigten im Eiltempo.
Mana war keine Zeit gelassen, die Situation zu analysieren, da war bereits ein Großteil der Fregatten auf dem Weg gewesen. Außer jene, die unter ihrem Kommando standen. Wie versteinert war ihr Blick, beim Versuch, die Taktik zu begreifen. Es geschah nichts, kein Befehl entglitt ihrem Mund.
„Mana“, rief ihr ein Crewmitglied zu und riss sie kurzerhand aus der Trance. „Die Fregattenkapitäne gehen zum Angriff über. Wie sind Eure Befehle?“
„Flaggschiff kontaktieren!“, stieß sie entschlossen aus und bereitete sich mit Räuspern auf das kommende Gespräch vor. „Ich will wissen, was er vorhat.“
„Die Kuben werden langsamer“, übermittelte Sono. „Sie ändern minimal die Richtung.“
„Das ist eine Falle!“, war das erste, was ihr dabei in den Sinn kam. Und die logische Erklärung folgte auf dem Fuße. „Die wussten, dass wir sie auf Distanz schlagen werden. Sie benutzen den Kubus als Köder, damit wir unsere Formation aufbrechen ...“