Arbeitstitel Schicksal

Es gibt 24 Antworten in diesem Thema, welches 6.870 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (3. April 2019 um 16:55) ist von LirayLegend.

  • Endlich hatte ich wieder ein wenig Zeit, weiter zu schreiben.
    Mit diesem Teil wird das Kapitel 1 abgeschlossen.

    Wie immer würde ich mich über Kritiken freuen :D

    Viel Spass

    Diese Finsternis in meinem Innern. Lange dachte ich, dass es sich einfach nur um eine Leere handelte, wie sie in Geschichten oft thematisiert wird. Die Suche nach der Liebe, oder die Erfüllung eines Wunsches. Heute weiss ich, dass dem nicht so ist, denn sie spricht mit mir. Natürlich fragt ihr euch, was sie denn so zu sagen hat. Wie ich finde, ist es sogar eine sehr berechtigte Frage, auch kann die Antwort viel über den geistigen Zustand der Person verraten.
    Eigentlich sind es keine Worte, jedenfalls nicht solche, die ihr verstehen würdet. Es ist vielmehr ein animalischer Trieb, Dinge zu tun. Meistens richtig dumme Sachen. Als ob sie mich kontrollieren könnte.
    „NEIN!!!“, schrei ich.
    „Doch, doch, MACH ES!!“, flüstert sie. Flüstere ich.
    Ich lasse das Messer, mit dem ich mir gerade in den Unterarm geschnitten habe, wieder auf den Tisch vor mir gleiten. Genüsslich lecke ich mein Blut.
    Kennt ihr die Geschichte von Dr. Jekyll und Mr. Hyde? Oder sinngemäss Dr. Banner und dem Hulk? Der Mensch geht immer davon aus, dass der Mensch gut ist und die Kreatur im Innern böse. Was ist, wenn es beide sind?
    Nach dem Lagerwochenende mit der Klasse gönnte ich mir wieder vermehrt Zeit in der Natur. Ein soziales Leben aufrecht zu erhalten, kann so anstrengend sein. Mit meinem Hund, den ich zu meinem zehnten Geburtstag bekam, war ich oft unterwegs. Heute kann ich mit Gewissheit sagen, dies war die glücklichste Zeit meines Lebens. Wir waren verbunden. Fast den ganzen Sommer blieb ich für mich alleine. Doch Tag um Tag wurde ich nervöser, begann mein Herz mehr und mehr zu schlagen. Der Schlaf wurde rar und ein Verlangen fing an mir zu zerren an.
    Eines Tages, als ich auf einer Wiese sass und Kühe beobachtete, ergriff mich die Versuchung. Wie schwer wäre es wohl, eine dieser Kühe mit einem Bogen zu erlegen? Ein gezielter Schuss und schon ist sie tot. Danach müsste ich den Pfeil wieder herausziehen, damit ich keine Beweise hinterlasse.
    Meine Überlegungen zogen sich den ganzen Tag hin. Keine Angst, ich töte keine Tiere.
    Es wurde Zeit für mich, sich wieder der Gesellschaft zu zuwenden. Also besuchte ich alte Freunde. Leider waren meine anfänglichen Versuche der Kontaktaufnahme zu meinen Favoriten erfolglos und so ergab ich mich der dritten Wahl, Enrique. Halb Schweizer, halb Spanier, Scheidungskind, wohnt in der Agglomeration einer kleinen Stadt, Vater weg und die Mutter arbeitet geschätzte zweihundert Stunden. Man kann sich vorstellen, wie sich sein Charakter geformt hatte und welchen sozialen Umgang er wohl normalerweise zu pflegen dachte.
    Eigentlich war ich gerne bei ihm, denn seine kleine Schwester zeigt sich mir immer nackt und wollte zum Beispiel, dass ich sie beim Abendbrot heimlich fingere. Aber zu diesem Zeitpunkt war sie in den Ferien. Zudem war ich zornig, von den anderen versetzt worden zu sein. Zuhause bleiben konnte ich nicht, das Kribbeln war zu gross, so ergab ich mich halt und ging zu ihm. Angekommen zogen wir zum nahen Bach, um bei einem Joint und ein paar Bier den Nachmittag zu geniessen. Es war schlechtes Gras, stank und wirkte nur sehr schwach. Bei mir zumindest, Enrique verfiel seiner Wirkung nur all zu schnell. Zuerst angewidert von seiner Unverträglichkeit, begann ein Zucken in mir.
    „Eh, bischt noch klar? Siehst ja kaum noch zu den Augen raus.“
    „Hä?“
    „Siehst steinbreit aus, alter.“
    Er lachte.
    „Komm, wir gehen zum Wasserfall hinauf.“
    „Ne, können wir nicht einfach hier bleiben? Es ist gerade so gemütlich.“
    „Komm schon, oder hast du Angst?“
    Mit diesen Worten hatte ich ihn. Der Wasserfall war um die fünfzehn Meter hoch und prinzipiell gesperrt für Unbefugte. Als ob ein kaum hüfthoher Zaun wirklich jemanden vom Betreten abhalten würde. Beim Fall selbst gab es zu beiden Seiten Felsvorsprünge aus hellem Kalkstein, ein wunderbarer Ort um das schöne Wetter zu geniessen. Wasser und Witterung taten jedoch ihr Bestes, besagtes Gestein zu erodieren. Durch wiederkehrende Unfälle entschloss sich die Stadt irgendwann, ein Betreten zu verbieten. Sicherheit geht halt vor.
    Schnellen Schrittes ging ich voraus, hüpfte über den Zaun und lief zu den Felsen. Kurz vor ihnen hielt ich inne, um den bröckeligen Stein genau anzuschauen. Ein längerer Vorsprung, direkt am Wasserfall, sah vielversprechend aus. Rasch verteilte ich meine Sachen auf die anderen Flächen, liess mich auf dem benachbarten Stein nieder und erzwang somit, dass Enrique sich auf den marodierten Vorsprung setzte. Sein Zustand verhinderte, dass er sich seinen Sitzplatz vorher genauer angeschaut hätte. Am Ansatz des Felsens verbreiterte sich der schon herrschende Riss jedoch nur minimalst.
    Ich fing an, einen neuen Joint zu bauen. Trotz seiner beeinträchtigten Sinne, erfüllte ein Glitzern die Augen meines Begleiters. Ich zündete ihn an, nahm ein paar Züge und gab die Droge weiter. Wie erhofft, schlief Enrique bald ein. Um sicher zu gehen, dass er fest genug schlief, bewarf ich seinen Kopf einige Male mit Steinchen und Ästen.
    Ich erhob mich und schaute umher. Die Sonne stand bereits tief am Horizont, ihr Licht strahle in tiefem Rot. Unweit meiner Position erspähte ich einen grossen, massiven Ast. An seinem Ende bildete die Bruchstelle eine Art Keil. Mit meiner neuen Errungenschaft schlenderte ich nun zum Felsvorsprung.
    „Tu es!“, flüsterte sie.
    Der Keil schob sich passgenau in den Riss.
    „Zieh am Ast! Vor und zurück!“
    Ich zog. Ich drückte. Hin und her bewegte sich der Ast. Mit jedem Mal öffnete sich der Spalt mehr und mehr. Zu Beginn senkte sich die Spitze des Steins kaum, ich schob in nur nach vorne. Der Schweiss perlte schon glitzernd von meiner Stirn. Einige Stösse später hielt nur noch ein verklemmter Brocken den Vorsprung an seinem Ort. Enrique lag unverändert auf ihm. Ich gönnte mir eine Pause, zündete eine Zigarette an und packte meine Sachen zusammen. Mit neuer Kraft und vorbereitet, widmete ich mich wieder dem Felsen. Es brauchte wohl nur noch einen einzigen Stoss, dass er sich lösen würde und in die Tiefe stürzte. Ein einziges Wippen, ein einziges Stämmen.
    Beherzt schob ich das letzte Mal mein Werkzeug zwischen die Steine, prüfte den Sitz mit wenig Druck.
    „Jetzt!“, schrie sie.
    Mit aller Kraft riss ich am Ast, lehnte mich weit zurück. Zog, sodass meine Adern platzen wollten. Ein Knirschen, ein Sprung. Auf einmal stürzte ich nach hinten, jeglicher Widerstand war verloren. In der Hand hielt ich den Rest des abgebrochenen Astes, der Keil noch im Riss verankert. Mein Rücken brannte, Steinchen hatten sich in ihn gebohrt. Ich bin mir nicht sicher, ob es mein Schrei oder der Lärm des brechenden Astes war, auf jeden Fall erwachte mein Begleiter. Zu meiner Überraschung erkannte er mit seinen verklebten Augen ungemein schnell, was vorging. Sein Blick haftete nur kurz auf dem abgebrochenen Keil, bevor er auf dem Ast in meiner Hand hängen blieb. Sein Geist begriff, sein Körper nicht. Auf allen vieren versuchte er sicheren Boden zu erreichen, hastete in meine Richtung. Ohne Zögern erhob auch ich mich, jeglicher Schmerz war vergessen. Kaum auf den Beinen, holte ich mit dem Ast aus und hämmerte das Holz gegen den Schädel des schockierten Jugendlichen. Fast hätte er sein Ziel verfehlt, riss Haut und die Hälfte der Nase weg. Enrique fiel zur Seite, nicht mehr im Stande zu schreien. Die Wucht seines Aufpralls reichte, um den Vorsprung vollends aus seiner Lage zu lösen. Mit zittrigen Händen und rasendem Herz stand ich dort oben und schaute dem Fall in die Tiefe zu. Ohrenbetäubend laut donnerten Stein und Mensch neben dem Wasser auf Geröll, Blut spritzte wie aus einer zerquetschten Tomate in alle Richtungen, als der Unglückliche von seinem früheren Schlafplatz begraben wurde.
    „Wirf den Ast hinterher, niemand darf ihn finden.“ Ich tat es. „Auch deine Stummel!“
    In dieser Nacht konnte ich kaum Schlaf finden, wieder und wieder ging ich in Gedanken meine Tat durch. Wieder und wieder. Die Erregung erfüllte mich, ich lächelte.
    Sie lachte. „Gut gemacht.“

    Ein Held. Ein Beschützer ganzer Völker. Geehrt und Bejubelt. Und trotzdem alleine.

  • Hei @LirayLegend

    Wie du ja weisst, habe auch ich angefangen deine Geschichte zu verfolgen und ich mag sie wirklich. Dein psychopathisches schreiben und die ganzens Sinnesfragen sind wirklich toll.
    Auch das ganze hinterfragen, finde ich machst du wirklich gut.

    Kennt ihr die Geschichte von Dr. Jekyll und Mr. Hyde? Oder sinngemäss Dr. Banner und dem Hulk? Der Mensch geht immer davon aus, dass der Mensch gut ist und die Kreatur im Innern böse. Was ist, wenn es beide sind?

    Das ist meine Lieblingsstelle in diesem neuen Teil.

    Wie du ja weiss, interssiert mich das Thema brennend und ich habe die ja auch schon gesagt, dass ich wirklich finde, dass du das Licht der psychoptahischen Hauptperson wirklich toll einfängst.
    Es ist eine etwas andere Geschichte aber sie ist definitiv sehr spannend!

    Liebe Grüsse
    Fly

    "Ein Schloss ohne Gruft, das wäre wie, wie ein Einhorn ohne Horn!"

    Eigenes von Fly
    Schatten unter London

  • Hey @LirayLegend,

    Krass. Was für ein Psycho! Ich würde mal sagen, das geht weit über jeden Jugendstreich hinaus, was der Gute da abgezogen hat =O
    Aber du hast den Teil gut geschrieben, wie ich finde. Zumindest habe ich nichts gefunden, wo ich so dirket hängengeblieben wäre.

    Kann also weitergehen :)

    LG,
    Rainbow

  • Hallo @LirayLegend,

    schön das es auch hier weiter geht.
    Der Teil hat eine angenehme Länger, sodass man es mal bequem zwischendurch lesen kann, wenn die Tochter einen lässt.

    Es ist mir zwar immer noch eine ungewöhnliche Geschichte, eine die ich so noch nie gelesen habe, aber es macht trotzdem Spaß.
    Der Hauptprota hat also seinen ersten Mord begangen. Habe mir schon gedacht das sowas kommen wird.
    ich finde das du es gut beschrieben hast, wie der Typ sich fühlt und wie sein Inneres aussieht. Spannung ist auch mit drin.
    Beim Lesen ist mir jetzt auch nichts ins Auge gesprungen, was mich bei Lesen irgendwie gestört hätte.
    Ich bin aufjedenfall gespannt, wie weit er nicht gehen wird.

    Achja was mich gewundert hat, ist das er kein bisschen Reue verspürt. Ich hätte gedacht, das der erste Mord einem doch auch irgendwie näher geht und das man sich, wenn auch nur ein ganz kleines bisschen, schuldig fühlt. Der Typ ist da ja sehr abgekocht und das obwohl es das erste mal war. Ich dachte man wäre da etwas zweigespaltener.

    LG Sora

    "Niemand weiß, was er kann, wenn er es nicht versucht." Zitat von Publilius Syrus


    "Und so verliebte sich der Löwe in das Lamm."
    "Was für ein dummes Lamm."
    "Was für ein kranker, masochistischer Löwe."
    Zitat aus dem Buch "Biss zum Morgengrauen"

  • Wow, so viele Kommentare in so kurzer Zeit, das freut mich jetzt wirklich :love::love:
    Danke Euch :thumbsup::thumbsup:

    @97dragonfly

    Spoiler anzeigen

    Wie du ja weisst, habe auch ich angefangen deine Geschichte zu verfolgen und ich mag sie wirklich. Dein psychopathisches schreiben und die ganzens Sinnesfragen sind wirklich toll.
    Auch das ganze hinterfragen, finde ich machst du wirklich gut.

    Ich darf ja fast nicht sagen, das einige Überlegungen, ob schon nieder geschrieben oder noch nicht ist hier unrelevant, aus meiner eigenen Teenagerzeit stammen :ugly: (Also jetzt nichts mit Mord oder so, ich beziehe mich auf die Sinnesfragen)

    Es ist eine etwas andere Geschichte aber sie ist definitiv sehr spannend!

    Da fällt mir ein Stein vom Herzen, habe lange überlegt, sie zu schreiben oder nicht, da es ein hartes Thema ist.

    Für mich faszinierend ist die Tatsache, dass "Psychos" eine unheimliche Banalität an den Tag legen, wenn es um Schandtaten geht. Das Fehlen von Empathie und Moral macht sie automatisch zu Monstern, doch sie selbst können das nicht sehen, sie verstehen unsere Gesellschaft nicht. (Ist jetzt keine Rechtfertigung für irgendwelche Taten!!)

    Aber allemal zimlich interessand, sich in einen Psychopaten hinein zu versetzen :P

    @Rainbow

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    Krass. Was für ein Psycho! Ich würde mal sagen, das geht weit über jeden Jugendstreich hinaus, was der Gute da abgezogen hat
    Aber du hast den Teil gut geschrieben, wie ich finde. Zumindest habe ich nichts gefunden, wo ich so dirket hängengeblieben wäre.

    Ja, kann man laut sagen, der hat wirklich ein Problem xD

    Freut mich, hat dir dieser Teil gefallen und vorallem, dass du so direkt nichts gefunden hast, an dem du hängen geblieben wärst :D

    @Sora


    Spoiler anzeigen

    schön das es auch hier weiter geht.

    Daran bist nur du schuld, als ich sah, wie gut du mit deiner Geschichte vorwärts kommst, wie gut du sie überarbeitet hast, da bin ich ein bisschen neidisch geworden und nahm mir einfach die Zeit, um selbst weiter zu schreiben :D:D

    Achja was mich gewundert hat, ist das er kein bisschen Reue verspürt. Ich hätte gedacht, das der erste Mord einem doch auch irgendwie näher geht und das man sich, wenn auch nur ein ganz kleines bisschen, schuldig fühlt. Der Typ ist da ja sehr abgekocht und das obwohl es das erste mal war. Ich dachte man wäre da etwas zweigespaltener.

    Ich denke, "normale" Mörder verspüren Reue, doch meist geschehen solche Morde aus einem Grund. Mein Prota hatte schlichtweg nur das Verlangen, jemanden zu töten. Ohne zuviel zu verraten: Eigentlich will (ES) einfach nur zerstören, wen oder was spielt dabei keine Rolle. Somit stillte dieser Mord eine Versuchung, die befriedigt werden musste. Er selbst würde nie einen Grund sehen, dies zu bereuen, schliesslich ist er ja besser als der Rest^^
    Kranke Menschen halt :whistling:

    Hoffe euch weiterhin etwas Freude beim Lesen zu bereiten :D

    LG

    Ein Held. Ein Beschützer ganzer Völker. Geehrt und Bejubelt. Und trotzdem alleine.