Cayenne
Ich hob beschwichtigend die Hände und blickte Tom fest in die Augen.
„Ich kann nur erahnen, was genau hier los ist, aber lasst es mich erklären“, bat ich, bemüht um einen freundlichen Tonfall. In meinem Kopf fügten sich die Puzzleteile langsam zusammen. Ich atmete einmal tief durch und versuchte meine Gedanken zu sortieren.
„Wir hören“, entgegnete Tom zugleich grimmig und ungeduldig.
„Nun lass sie doch mal“, warf Viola von der Seite ein.
„Wenn sie eine Verräterin ist …“
„Ich bin definitiv keine Verräterin“, unterbrach ich Tom bestimmt, ehe er seine Drohung vollenden konnte. „Ich bin in diese ganze Sache nur mehr oder weniger freiwillig reingeraten. Also …“ Ich überlegte kurz, wie ich am besten beginnen sollte. „Ich bin eine Söldnerin.“
Der Schlag kam so unvermittelt wie der Erste und ich krümmte mich zusammen, als mir heiße Magensäure den Hals hinauf stieg. Ich stöhnte.
Himmel, Herrgott, der Kerl war ja noch jähzorniger und unbedachter als ich selbst!
„Da haben wir es!“, fauchte er.
Viola verdrehte die Augen. „Nun lass sie doch mal ausreden!“
Ich röchelte noch einmal und zwang mich dann in eine aufrechte Position, obwohl mein Magen brannte wie Feuer, und fixierte Tom abermals, das Kinn leicht erhoben.
„Ich war damit beauftragt Boten abzufangen und die Briefe meinem Auftraggeber zu bringen.“
Ich sah wie Tom erneut ausholte. Diesmal reagierte ich und lenkte seine Faust mit meinen Armen ab.
Autsch!
„Lass mich ausreden und entscheide danach, was du mit mir machen willst“, entgegnete ich ihm ruhig und überspielte meinen Schmerz. Tom ließ die Hände sinken.
„Ich wusste nicht worum es ging, ich brauchte einfach das Geld. Also hab ich die Boten abgefangen und ihnen die Briefe abgenommen. Natürlich wehrten sie sich, aber einer besonders vehement. Dieser Brief musste also etwas Besonderes sein. Auf dem Weg zu unserem Auftraggeber-“
„Unserem?“ Diesmal war es Viola, die mich unterbrach.
Ich nickte und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich hatte einen Partner, nicht der Rede wert. Jedenfalls, wurde ich neugierig. Also schlug ich meinen Partner nieder, riss mir Brief und Päckchen unter den Nagel und verließ die Stadt.“
Die Beiden starrten mich ungläubig an. „Weil du neugierig warst?“, fragten sie unisono.
Ich zuckte mit den Schultern. „Man hat ja sonst nicht viele Freuden im Leben, oder?“ Meine Beweggründe hatte ich mehr oder weniger freiausgelegt, aber das waren ja nun wirklich Details die keine Rolle spielten, oder?
„Das Siegel war gebrochen. Du hast ihn also gelesen?“ Tom betonte die Feststellung wie eine Frage. Geradeso als würde ein letzter Rest von ihm hoffen, dass ich es nicht getan hatte.
Wieder nickte ich. „Leider. Obwohl … Hätte ich es nicht getan, wäre das hier wohl Kindergarten gegen das, was die anderen mit mir angestellt hätten.“
„Kindergarten?“, rief Tom empört. Viola brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen.
„Kannst du was damit anfangen?“, fragte sie unruhig.
„Mittlerweile ja. Jas ist Jasper von Löwenstein und du“, ich deutete auf Viola, „bist Veilchen.“
Ich glaubte, ein leises Aufstöhnen der Überraschung zu hören, dass nicht von Tom oder Viola stammte. Alarmiert blickte ich mich um. Als ich mich wieder Tom und Viola zuwandte sah ich, dass alle Anspannung die Beiden verlassen hatte und sie in sich zusammengesunken waren. Viola nickte stumm und ich glaubte ein feuchtes Glitzern in ihren Augen zu erkennen.
Tom legte einen Arm um sie. Mich erstaunte, wie sanft er sein konnte.
„Es ist nicht meine Absicht euch zu verraten. Im Gegenteil. Ich würde euch gern helfen“, sagte ich in die Stille hinein.
„Wenn wir dir überhaupt glauben können“, sagte Tom verärgert. „Wahrscheinlich hast du sie sogar hierher gelockt.“
Mir wurde bewusst, dass ich Toms Vertrauen irgendwie gewinnen musste. Auch, wenn ich mir keineswegs sicher war und er es, wenn ich Unrecht hatte, zu meinem Nachteil auslegen würde, sah ich also fest in die Augen und flüsterte: „An der Tür ist jemand.“