Die Akte kalkwiese: Gesammelte Verbrechen

Es gibt 29 Antworten in diesem Thema, welches 12.328 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (29. Mai 2019 um 13:33) ist von kalkwiese.

  • Wahnsinnig spannend, wie du es hier großartig hinbekommst die Unschuld vom Bösen zu trennen und beiden dennoch einen Teil des anderen mitzugeben.
    Eine faszinierende Kurzgeschichte, bei der ich es sogar, läge sie mir im Deutschkurs vor, wagen würde sie zu deuten, weil es einfach hervorragend möglich ist. Du spielst federleicht, so wie es der Schreiber macht, mit rhetorischen Mitteln, als wären sie (fast) eins mit dir.

    Auch wenn die Geschichte an sich eher deprimierend ist und nachdenklich stimmt, finde ich sie dennoch gut, vielleicht auch aufgrund dessen :D

  • Zu "Blauschwarz": Das ist sehr berührend geschrieben. Eine Geschichte, die man nicht lesen sollte, wenn man selbst in einem dicken Tief steckt, obwohl sich am Ende alles zum Guten fügt. Zumindest für die beiden.
    Mir gefällt, dass sie namenlos bleiben und auch der Handlungsort nicht genannt wird. Namen sind mir hier nicht wichtig, denn vordergründig regieren hier Gefühle.
    Die Traurigkeit, die du beschreibst, greift förmlich auf den Leser (= mich) über und lässt ihn (mich) ebenfalls diese schlimme Leere fühlen, und er kann ihren Todeswunsch verstehen.
    Hintergrundszenario deutest du nur an, aber auch das hat hier nicht wirklich einen hohen Stellenwert. Ich vermisste es zumindest nicht.

    Alles in allem sehr schön mit sehr treffenden Beschreibungen, einem sehr bildhaften Stil.
    Gefällt mir!! :thumbsup:

    VG Tariq

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

    ___________________

  • Hallo Kalkwiese,
    die Sage vom Schreiber ist eine Story, die mir sehr gefallen hat! Der Stil, auf die wörtliche Rede zu verzichten, ist wahrscheinlich sehr schwierig umzusetzen, denn gerade am Ende schien es dir schwerzufallen, das durchzuziehen. (…dann stirb heut Nacht!)

    Der Inhalt ist sehr eingänglich, und ich würde sogar sagen, dass der erhobene Zeigefinger für den Leser sich hier in eine mordsmäßige Keule verwandelt. Trotzdem kann man sich sehr gut in beide Hauptpersonen hineinversetzen, obwohl mir der Schreiber doch gefühlsmäßig ganz schön hart verpackt rüberkommt.

    Es ließ sich sehr gut lesen und war keine Sekunde langweilig, besonders die Beschreibung des gemeinsamen Reisens mochte ich, weil du sehr viel schöne Bilder verwendet hast, um sie zu beschreiben. Man glaubt, die Harmonie, die während dieser zeit zwischen den Beiden herrscht, selbst zu spüren.

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    Zwei kleine Dinge, über die ich gestolpert bin. Aber wenn du das Werk schon so oft überarbeitet hast, ist es völlig okay, das zu ignorieren.

    Und doch schenkte man ihnen ein Kind.

    Wer ist "man" ? :hmm:

    Sie verwandelte sich in ein lautes Heulen.

    Gib's zu: bei aller (okay, zugegebenermaßen manchmal recht dürftigen) Fantasie - das ist doch schwer vorstellbar...

    VG Tariq

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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  • Huhu, Tariq! Ich schreib am Handy, deswegen dieses merkwürdige Zitieren von mir. Besser bekomme ich es gerade nicht hin.

    Das es dir gefällt, freut mich. :D Die Geschichte ist schon so alt für mich, da könnte ich mit allem, was ich mittlerweile gelernt habe mal wieder drüber.

    Diesen Stilbruch am Ende habe ich tatsächlich gemacht, weil ich diesen Satz so gerne haben wollte und es beim Abwägen gegen den vollständigen Verzicht verloren hat. :rofl: Das würde ich auch im Nachhinein so lassen, denke. Aber es fiel mir wirklich sehr schwer.

    Inhaltlich ist das mMn plakativ wie sonst Nichts von mir. Gerade der Rahmentext hämmert es noch dem letzten ein, der es nicht kapiert hat! Bei einer Überarbeitung würde es dem an den Kragen gehen :paladin:

    Danke für das Lob zum Stil, sowas war mir lange Zeit das Wichtigste beim Schreiben. Mittlerweile sehe ich ein, dass eine gute Geschichte aber mehr braucht. Ich hoffe einfach immer, dass es davon auch genug gibt. xD

    Zu den Sachen im Spoiler:
    Beim Ersten sehe ich das auch so, das kann man wirklich besser formulieren. Beispielsweise könnte ich sagen, dass "man" die Engel sind oder sowas.
    Beim Zweiten widerspreche ich dir aber. Sie kann das sehr gut und ich brauche auch nicht viel Fantasie dafür. Sowas metaphorisches mache ich gerne (und lese ich auch gerne) und da mag ich es durchaus, wenn man hin und wieder stolpern muss (warum auch immer ich das mag. Gibt mir wohl den Eindruck, dass es nicht zu glattgebügelt ist).
    Jedenfalls bedeutet es eigentlich nur, dass sie furchtbar zu heulen abfängt. :hmm:

    Danke für's Lesen, ich denke immer, dass dieses alte Ding doch eh keiner liest. xD

    Häupter auf meine Asche!

  • Okay, ich sehe, wir sind doch ziemlich verschieden. :D
    Aber das ist okay. Vollkommen. Das sehe ich schon allein daran, dass mir der Rahmentext gefallen hat...

    Aber weil ich deine Stories generell mag, werd ich weiter in deinen Werken rumstöbern.
    Egal, wie alt (oder plakativ) sie sind :thumbsup:

    VG Tariq

    PS: das mit dem Heulen hatte ich schon verstanden, ich konnte es mir nur nicht vorstellen. Schluckauf im Kopfkino, sorry. 8|

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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  • Das sehe ich schon allein daran, dass mir der Rahmentext gefallen hat...

    Hab gerade nochmal drüber geschaut. Der Rahmentext an sich ist eigentlich wirklich in Ordnung, denn es gibt dem Leser nochmal so eine Distanz zu der Geschichte. Das war, was ich damals wollte und es funktioniert mMn gut. Aber die Frage am Ende, wer nun wirklich der Dämon war, finde ich etwas zu viel. Das solle man wirklich kapiert haben, ich muss es einem nicht nochmal so ins Gesicht drücken. xD

    Aber weil ich deine Stories generell mag, werd ich weiter in deinen Werken rumstöbern.

    Naaauw, ich werd ja ganz rot. :blush:

    Häupter auf meine Asche!

  • Uff...
    Ich glaube, ein jeder kennt das Gefühl von Einsamkeit, welches zu düsterer Stunde Körper und Geist in seine Fänge zieht und einen in die Dunkelheit reißt, aber ich hätte nie gedacht, dass man eine so grausige Emotion so schön darstellen kann. Ich bin fasziniert darüber, wie all diese schönen Beschreibungen der Umgebung so mit dieser Trauer und dem Leid harmonieren.
    Trotz der wenigen Informationen zu dem " Wieso, weshalb, warum" kam es mir so vor, als hätte ich diese Situation mit erlebt.
    Mir fehlen glatt die Worte, um zu beschreiben, welche Gefühle du in mir geregt hast.

    Liebe Grüße

    Laelia

  • Ich weiß gar nicht, was ich zu so positivem Feedback sagen soll, außer dass mir dabei das Herz aufgeht, wenn meine Worte jemanden so berühren konnten. D: Dann hat diese Geschichte genau das geschafft, was ich damals wollte.
    Ich hoffe, die Klausurenphase ist bald vorbei, damit ich mal wieder zum Schreiben komme. xD
    Kurzgeschichten sind bei mir immer nur entstanden, wenn mir die Geschichte richtig unter den Nägeln gebrannt hat. :hmm: An sich würde ich aber auch gerne mal wieder eine machen.

    Häupter auf meine Asche!

    Einmal editiert, zuletzt von kalkwiese (8. Februar 2018 um 10:21)

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    Schuachu, Leute! Vor diesem Post ist ja alles alt, was jetzt kommt, ist der neue Abschnitt. Hier kommt meine Geschichte vom letzten Wettbewerb. :) Ich bin recht stolz auf sie und finde sie nach wie vor toll, auch wenn sie im Wettbewerb nicht gut funktioniert hat. Ich denke mal, dass dieser Typ Geschichte da generell nicht so gut zieht, außerdem war Skadis "Es stinkt" einfach mordsmäßig gut. D:

    Bei den Wettbewerben bekommt man ja kein oder kaum Feedback, das mMn immer etwas schade, deswegen gebe ich dem Geschichtchen hier nochmal die Möglichkeit, kommentiert zu werden. :)

    Röschen und der Zauberer

    Als wir das Gelände betraten, braute es sich bereits zusammen. Über unseren Köpfen tummelten sich Herbstwetterwolken, ein neckischer Wind strich über unsere Nacken und die Sonnenstrahlen zogen sich langsam zurück.
    Ein kühler Schauer durchfuhr mich, ich drückte Wolfs Hand noch fester. Das ganze Jahr hatten wir für den Zirkus gespart, diesen Abend würden wir uns nicht nehmen lassen, sollte es noch so gießen und kübeln. In Wolfs Werkstatt gab es seit der Besatzung einige Schwierigkeiten, weil die Armee immer wieder Güter anforderte, allerdings zu ihren Preisen. Die Geschäfte litten.
    Wenn der Dickkopf mich nur etwas helfen lassen würde. Armer Trottel.
    „Ach, Röschen, schau dir nur all die Darsteller an! Was das für ein Leben sein muss?“
    Natürlich war der Zirkus nicht zum ersten Mal in unserer Stadt und natürlich spazierten wir nicht zum ersten Mal über den Zeltvorplatz. Wolf gab sich alle Mühe, seine Aufregung nicht offen zu zeigen, dennoch konnte ich die Begeisterung in seinen Augen ablesen. Wirklich allerliebst.
    „Ein Bunteres, Wolf. Und Lauteres, ganz sicher“, murmelte ich zu ihm herauf, kurz darauf stolperte ein Dummer August an uns vorbei. „He da! Meine Nase!“, rief er und hatte die Hände nach einem roten Ball ausgestreckt. Die halbe Schminke fehlte ihm, ein Hosenträger war von der Schulter gerutscht und seine Füße stießen den Ball immer wieder fort – es war ein Fest. Neben uns feixten Kinder am Wegesrand über seine tollpatschige Erscheinung, dass mir warm wurde. Ja, Kinder … Kinder zu haben wäre schön.
    Sicher dachte Wolf das Gleiche, er sprach nur nicht darüber.
    „Für zwei Personen“, rief durch das Fenster am Kartenschalter und die Frau in der Kabine musterte uns ausdruckslos. Dann riss sie Karten von der Rolle und schob sie uns zu.
    „Viel Spaß bei der Vorstellung.“ Sofort wandte sie sich den nächsten Gästen zu.
    Ich wartete, bis wir außer Hörweite waren und murmelte, „Die wirkte vielleicht steif.“
    Wolf brummte zustimmend. „Sie macht hier die undankbarste Arbeit. Der Kartenschalter steht weit ab vom Rampenlicht.“
    „Und was ist mit den Buben, die die Gehege ausmisten?“
    „Wer sagt, dass sie das nicht auch macht?“
    Wir lachten kurz, dann bestaunten wir stumm das Zeltinnere:
    Die bunten, weiten Zeltwände, die sich immer wieder im Wind wölbten.
    Die Masten, die mächtig und unnachgiebig im Boden verankert schienen.
    Die Seile, die sich zwischen den hohen Plattformen und Strickleitern spannten.
    Und die Tribüne, auf der sich bereits so viele Menschen tummelten, dass der aufgeregte Lärm echte Gespräche verhinderte.
    Die oberen Reihen waren den Armen vorbehalten und kosteten nur wenige Groschen – dafür war die Aussicht furchtbar. Ich erinnere mich noch lebhaft, wie eine ältere Frau später immer wieder ihre Begleitung anbrüllen würde: „Was passiert denn da, Heinrich? Nimm doch mal Rücksicht, auf deine arme Oma!“ Den Geräuschen nach hat sie ihn geschlagen. Armer Heinrich.
    Niemand, der sich eine Karte auf den unteren Rängen leisten konnte, hätte freiwillig für so einen Platz bezahlt.
    Die ersten drei Reihen gehörten Adeligen, Damen und Lebemännern, eben allen, die für die beste Sicht die nötigen Münzen parat hatten. Natürlich war ich neidisch, auf diese Leute. Wie konnte es sein, dass Wolfs und meine harte Arbeit nicht für einen vorderen Platz ausreichte? Es ergab keinen Sinn, und ich wusste, dass mein Ärger nichts daran verändert hätte, darum schwieg ich nur und versuchte zu lächeln.
    So nahmen wir Platz und bald begann die Vorstellung.
    Zuerst kamen die Jongleure. Sie marschierten im Kreis, die Wirbelwinde aus Bällen und Keulen in ihren Händen konnten beinahe die steifen Schritte vertuschen. Mehrfach änderten sie ihre Formation und Wurffiguren, deuteten eine an und taten eine andere, dass mir schwindelig wurde.
    Von da an war ich versunken. Es folgten Wahnsinnige – der Direktor nannte sie „Artisten“ – auf Seilen, andere Wahnsinnige, die Feuer spuckten oder auf ihren Händen hüpften oder Messer auf Ihresgleichen warfen. Die Bewegungen treffsicher, zielgenau, immer exakt, war ich so beeindruckt, dass mir das, was hier faul war, völlig entging.
    Der Dumme August von vorhin betrat die Bühne für eine kurze Vorstellung. Er bat um einen Freiwilligen und neben mir schnellte Wolfs Hand in die Luft. Ich sah zu ihm auf, er teilte meine Begeisterung, aber wollte er sich wirklich von einem Clown vorführen lassen?
    Der Clown wählte jemand anderen – ein Glück! – und ich bin sicher, dass Wolf froh war, doch nicht nass gemacht worden zu sein. Es mag unwichtig erscheinen, aber heute wünschte ich, ich hätte ihn damals gefragt.
    Es folgte der Zauberer. Zwar war es nicht der Höhepunkt der Vorstellung, für mich aber sollte es das Ende sein – dieses Mal wurde Wolf erwählt. Sein freudiges Lächeln ließ mir das Herz aufgehen.
    Zielsicher wurde Wolf auf ein kleines Podest geführt. Über ihm wurde langsam ein Käfig herunter gelassen und Wolf legte seine Hände an die Gitterstäbe. Der Zauberer wies ihn kurz zurecht, Wolf ließ los und stellte sich mittig auf die Plattform. Oh, mein Wolfram.
    „Meine Damen und Herren, liebes Publikum!“, intonierte der Magier hölzern, „Zu Beginn werde ich unseren lieben“, er musterte Wolf mit einem mir undefinierbaren Blick, „Besucher verschwinden lassen. Vor aller Augen! Es wird nichts übrig bleiben, nicht ein Haar. Seht her!“
    Eine Decke fiel. Erst auf den Käfig. Dann auf den Boden. Der Magier riss sie beiseite und vom Käfig fehlte jede Spur.
    Mein Wolf war fort.
    Die Leute stöhnten erstaunt auf, ich jedoch konnte mich nicht vom Zauberer lösen. War das ein Akzent in seiner Stimme? War er Ausländer? Warum bewegte er sich so … ungelenk?
    „Doch fürchtet euch nicht! Der arme Teufel bewegt sich gerade zwar in anderen Sphären, aber es kostet mich bloß …“, er platzierte wieder die Decke, wo er sie entfernt hatte, „… ein Fingerschnippen!“ Und der Stoff wuchs wieder in die Höhe.
    Wahrscheinlich eine Falltür unter dem Käfig, das Erstaunen der anderen Leute wusste ich leider nicht zu teilen, doch mir war längst unwohl, meine Finger schwitzten, Wolf sollte zu mir zurückkommen!
    Die Decke hob sich, mein Schatz war zurück, es regnete Beifall. Blutleer verbeugte sich der Zauberer, ließ seinen Lohn um sich auf den Boden prasseln. Mit einer kurzen Geste wies er Wolf zu gehen an, und bat sofort um einen neuen Freiwilligen. Niemand achtete mehr auf meinen Ehemann, der etwas verkrampft zu mir zurück stakste.
    Je näher er kam, desto eisiger wurde mir. Seine Züge, die Bewegungen – ich sah die Jongleure wieder vor mir, es war als käme der Zauberer selbst auf mich zu.
    „He, Wolf, ist alles in Ordnung mit dir? Du wirkst so blass“, fragte ich ihn leise.
    „Oh, Röschen“, sprach seine Stimme kühl, „Alles ist gut. Leider habe ich nicht viel gesehen.“ Dann setzte er setzte er sich neben mich, als sei das Gespräch beendet.
    Meine stechende Ahnung wollte es nicht dabei belassen, doch die Aufführung nahm keine Rücksicht. Ein neuer Freiwilliger aus den vorderen Rängen stolperte auf die Bühne – ich beobachtete ihn und den Zauberer genau – und legte sich in einen Holzkasten. Mir kam er einem Sarg gleich, die Säge des Zauberers blitze bedrohlich.
    Der Deckel schloss sich, dann wurde der Mann langsam vor unser aller Augen zersägt und wieder zusammengeleimt.
    Ich sah zu. Und je weiter der Abend fortschritt, desto mehr ergab alles Sinn –

    Nun liegen wir im Bett. Das Herz schlägt mir bis zur Kehle, mein Atem ist ohrenbetäubend und schwerfällig. Der Heimweg ist unerträglich gewesen und dauerte eine quälende Ewigkeit.
    Doch nun bin ich mir sicher.
    Ich höre seinen Atem nicht. Keinen Herzschlag.
    Mein Ohr an der Matratze aber vernimmt ein fernes Geräusch, ein feines leises Rattern, eine winzige Uhr.

    Häupter auf meine Asche!

  • Ah, es ist schön, mal was hochladen zu können. xD

    Spoiler anzeigen


    Dieses Mal gibt es eine kleine Geschichte aus dem Himmelsjäger-Universum, in dem meine Hauptgeschichte spielt. Da ich im Moment nicht die Zeit für ein großes Projekt habe, kann die die Welt und gewisse Figuren ja mit solchen Dingen etwas ausarbeiten. Außerdem macht Schreiben ja auch Spaß. :)
    Ich habe mir Mühe gegeben, die nötigen Informationen für die Geschichte zu erklären oder auch nur zu implizieren und damit offensichtlich zu machen. Die Hauptgeschichte muss also nicht bekannt sein. :) Have fun! :3

    Ein Freund

    Ihr Fuß hakte sich unter einen Wurzelbogen und warf sie der Länge nach auf den Waldboden. Der Staub schmeckte nach Sand und Blut. Zappelnd kämpfte sie sich wieder auf die Beine, immer wieder zwischen allen Vieren und ihren Hinterbeinen, und setzte ihren Spurt fort.
    Das Herz raste und pumpte kalten Schweiß aus ihren Poren. Die Schritte hinter ihr konnten keine Einbildung sein. Niemand war zu sehen, aber zu hören sehr wohl. Es lag ein böser, verzerrter Hall auf ihren Schritten, der die Geräusche mit schnellerer Frequenz zu ihr zurück schleuderte.
    Oder dort war tatsächlich jemand.
    Sie bemühte sich ihre Füße zu heben, um nicht wieder zu stürzen, aber ihr Körper wurde langsam müde und schlaff und rutschte immer mehr in einen hechelnden, schleppenden Trab. In der Ferne hing seit einer Ewigkeit ein Licht am Horizont – ein Unterschlupf, ein Dorf, Zeltlager? – das Rettung nicht versprach, aber darauf hoffen ließ, und das partout nicht näher kommen wollte. Scheinbar. Nun endlich war es nur noch fünfzig Bäumte entfernt. Dreißig. Zwanzig. Zehn. Fünf. Die Bäume flogen an ihr vorbei, die neue Hoffnung beflügelte ihren Geist. Aber nicht die Beine.
    Ihr Fuß hakte sich unter einen Wurzelbogen und warf sie der Länge nach auf den Waldboden. Dieses Mal schmeckte sie auch Gras.
    „Guten Abend, junge Dame“
    Gequält schaute sie auf. Da saß ein alter Mann am Feuer, mit offenem Mund, dass man nicht sagen konnte, ob er überrascht war oder gerade in das Karnickelläufchen beißen wollte.
    „Du kommst doch nich, um mich zu überfallen?“
    Ein schmerzhaft wahnwitziges Lachen kratzte sich aus ihrer Luftröhre.
    „Neinneinnein, ganz gewiss nicht! Ich bin nur auf der Durchreise …“
    „Durch die nördlichen Wälder?“, er hatte noch immer nicht von der Keule abgebissen, „Zu so später Stunde solltest du nich durch den Wald rennen, da brichst du dir ja noch das Genick. Setz dich doch ans Feuer und wart bis morgen.“

    „Das Falkengebirge? Sag, bist du völlig verrückt geworden!“, lachte der alte Mann entsetzt. „Du kennst doch die Gegend gar nich, du bist ganz allein unterwegs, und bist du überhaupt für die Höhe gewappnet? Da wird‘s arschkalt!“
    „Jaaa“, seufzte sie leise, „Es ist nicht ganz freiwillig.“ Dann wurde sie plötzlich stumm und still, errötete vom Dunkel und dem Feuerschein verdeckt. Endlich das halbe Läufchen geschafft kniff der alte Fremde die Augen zusammen.
    „Du bist geflohen, was? Bestimmt von nem Hof in Waldenfeldt, und bist den ganzen Weg hier hoch bis in die Wälder gewandert. Beeindruckend. Bist du allein?“
    Sie zierte sich sichtlich, knabberte nur stumm an den fettigen Kaninchenfetzen.
    „Ich werd dich schon nicht verpfeifen. Bevor ich hier auf nen Menschen treffe, der sich für nen entlaufenen Sklaven interessiert, wärst du eh schon über alle Falkenberge … na gut, vielleicht nich alle Falkenberge. Aber was hätt ich schon davon, wenn du wieder auf nem Acker schuften müsstest? Eher nichts.“
    Zustimmend, aber vorsichtig nur, brummte sie. „Es war ein Wagen, von dem ich gesprungen bin. Wir sollten nach Gramsburg auf den Markt gebracht werden, aber ich konnte entkommen, bevor wir die Moorwind überquerten. Meine Kleider habe ich aus einem Dorf gestohlen, den Rucksack aus einem anderen … Und ansonsten halte ich mich nördlich, um dem Kaiserreich zu entkommen. Hier in den Wäldern haben sie kaum Einfluss.“ Nun endlich zeigte sich der schelmische Stolz der jungen Frau.
    Der Fremde lauschte ruhig und mit leisen Schmatz- und Genussgeräuschen.
    „Ich glaube nich, dass man nach dir sucht. Ein entflohener Sklave is nich das Ende der Welt, besonders, wenn er noch nich verkauft is. Eigentlich könntest du dich in irgendnem Dorf niederlassen und niemand würde dich finden.“
    Noch während er sprach schüttelte sie den Kopf.
    „Quatsch. Dass ich nicht aus dem Reich komme, sieht man doch an. Meinem dunklen Haar, die Gesichtsform … und wenn ich zurück in Falkenfelsmark gehe, kommen sie bald auch mein neues Dorf und nehmen alle mit. Ich muss in die Berge. Oder mich hier im Wald verstecken. Woanders kann ich nicht hin.“
    „Sind die in Waldenfeldt nich nett zu ihrn Sklaven? So mit eigenem Zimmer und Familie und sowas. Klingt doch nich schlecht.“ Der Alte zuckte mit den Schultern. „Ich mein ja nur.“
    Ihr Mund wurde ganz schmal.
    „Ich hatte Haus und Hof und Familie und eines nach dem anderen hat man mir genommen. Soll das nun in Ordnung sein, nur weil es schlimmer sein könnte? Wer sagt, dass mich in Gramsburg nicht ein Grabscher mit harten Händen kauft, alter Mann?“
    Beschwichtigend warf er die Hände in die Luft.
    „Na gut, hast ja recht, hast ja recht. Ich dacht nur, das wäre vielleicht besser als hier im Wald und dann noch so ganz alleine, das ist doch nicht schön. Und dann noch hier im nördlichen Wald. Du kennst doch die Geschichte vom Alpträumer?“
    Der Alpträumer. In ihrem Dorf in der vom Kaiserreich gebeutelten Falkenfelsmark erzählte man sich viele Märchen. So auch die Geschichte vom Alpträumer, jener wahnsinnigen finsteren Gestalt, die durch die Wälder tanzt, sich an die Fersen von Reisenden heftet und niemals ruht, auch nicht, wenn sie die Opfer getötet hat – oder die Opfer sich selbst. Stumm nickte die dem Fremden zu und leckte ihre fettigen Finger ab.
    „Vorhin dachte ich schon, er wäre hinter mir her.“ Ein kurzes Lachen brach hinter ihren Zähnen hervor. „Der dunkle Wald macht mich ganz kirre. Ein Glück, habe ich dich hier gefun-“, sie verstummte.
    Entsetzt spuckte er einen Knochen ins Feuer und bleckte sich hastig die Zähne. „Ich bin nich der Alpträumer! Auf keinen Fall bin ich das!“
    Und was machst du dann hier ganz allein in den nördlichen Wäldern, alter Mann?“ Ihre Stimme forderte und ihre Hände nahmen mehr Kaninchen.
    „Ich leb hier, das mach ich hier! Meine Frau und ich sind hier zu Hause!“
    „Aha. Und bist du dem Alpträumer schon mal begegnet?“
    „Ne.“
    „Und warum willst du mir unbedingt Angst mit einem Märchen einjagen?“
    „Was? Gottverdammich. Du bist nich die erste Reisende hier an meinem Feuer, aber du bist die erste, die die Hosen nich gestrichen voll hat! Verstehst du?“
    „Mh. Ich denke, ich verstehe.“ Müde lehnte sie sich zurück, fühlte mit den Fingern das kühle Gras. „Der Alpträumer ist also ein Märchen?“
    Lachend schüttelte der Alte den Kopf und schnaubte. „Das will ich schwer hoffen. Hier war der jedenfalls noch nicht. Meine Frau hat den auch noch nicht gesehen.“
    Sie gähnte. „Wo wir gerade von ihr sprechen, ist euer Haus weit weg von hier? Sicher sorgt sie sich um di-“ Ihre Arme erschlafften und ein kalter Schauer durchfuhr sie, als sie begriff. „Du hast mich angelog…“ Dann fiel sie unsanft auf die Seite, die Augen erst brodelnd, dann immer schwächer ins Feuer starrend.
    Der alte Mann erhob sich von seinem Platz und war kein alter Mann mehr. Plötzlich trug er ein zerlumptes Wams und eine löchrige Hose, beides in dunkler Farbe, und er hatte langes dunkles Haar, das er teilweise ins Wams gestopft hatte, als wollte er verschleiern, dass er eine Frau war, ganz wie sie selbst … Er hockte sich vor sie, und sie sah in ihr eigenes Gesicht.
    „Hast wohl nich gedacht, dassn alter Sack einfach lügen würd, hm? Mach dir nichts draus. Du bist nich die Erste, die mir aufn Leim geht. Dich mocht ich sogar etwas. Warst leider allein, also kann ich dich jetz nich laufen lassn. Hättste noch wen dabei gehabt, hätt ich dir was geboten, und wie! Zum Schrein hätt ich dich gebracht, jawohl.“
    Beim Versuch zu sprechen entfuhr ihr ein langer, feuchter Hauch.
    „Meine Frau gibt’s auch nich. Ich bin hier ganz allein. Aber es war nich alles umsonst. Aus dir und deinen Vorgängern bau ich mir nen Freund!“

    Häupter auf meine Asche!