Im Antlitz der Sterne
Verborgen
Thront in der Nacht
Der vergessene Thron
In unerreichbarer Ferne
Gestorben
Das Versprechen der Macht
Alle Welt ist der Lohn
Unablässig pulsierte die rotgoldene Glut. Nagte hungrig an der verkohlten Asche und fraß sich unaufhaltbar in das schwarz gebrannte Holz. Flammen züngelten willkürlich empor, leckten an der abpellenden Rinde, sprangen fordernd in die nichtsahnende Nacht. Mit einem Knacken stoben Funken auf, die wie kleine Blitze erstrahlten, nur um dann langsam im nassen Gras zu versinken. Jared starrte mit ausdrucksloser Miene auf das Schauspiel, das sich ihm bot. Obwohl er einige Mühe hatte aufwenden müssen, um dem feuchten Holz überhaupt ein Lodern abzugewinnen, reichte dessen Wärme kaum, um ihn aus der eisigen Umklammerung der Nacht zu reißen. Sein Körper zitterte unablässig. Bis auf seinen Mantel und die dünne Schicht Kleidung darunter war ihm nichts geblieben und mit jeder Minute schien die Temperatur weiter zu fallen. Unbehaglich kroch er noch näher an die flackernde Glut heran und schlang die Arme um sich. Vielleicht war es dumm gewesen ein Feuer zu entfachen, hier wo es Kilometer weit Aufsehen erregen würde. Doch alles andere wäre schlicht Selbstmord gewesen. So hoffte er einfach, dass ihn niemand suchte. Aber wieso sollte man. Niemand hatte ihn gesehen, wie er mit starrem Blick im Unterholz stand. Nicht imstande sich zu bewegen oder gar einzugreifen. Und selbst wenn doch. Wer würde sich schon für einen einzelnen Jungen ohne Geld oder Bedeutung interessieren.
Unbehaglich wandte er den Blick über die Schulter. Mittlerweile verbarg es die Dunkelheit, doch er war sich sicher, dass dort in der Ferne immer noch Rauchschwaden aufstiegen. Er vermutete, dass es Räuber gewesen waren. Welchen Grund als Habgier und Grausamkeit sollten Menschen sonst finden, um ein hilfloses Dorf anzugreifen. Als er an diesem Morgen aufgewacht war, hatte es sich noch wie ein ganz normaler Tag angefühlt. Nicht mal der strahlend blaue Himmel hatte von der entsetzlichen Zukunft berichtet, die da nahte. Jetzt war alles, was er je Familie hatte nennen können, oder Heimat, in Flammen aufgegangen. Jeder Mensch, den er je gekannt hatte, tot. Vielleicht war es der Schock, aber trotz allem konnte er keine Trauer empfinden. Nur gähnende Leere. Und lähmende Angst. Wäre er nicht, wie nahezu jeden Tag, auf Jagd gewesen, um sein eigenes karges Einkommen zusammen zu bekommen, wäre er jetzt wohl kaum... Ein leises Geräusch durchbrach seine Gedanken und augenblicklich schoss seine Hand zu dem langen Jagdmesser am Gürtel. Angespannt kauerte er sich hin, bereit Aufzuspringen. Einen Augenblick später tapste ein Fuchs an den Rand des Feuerscheins, hob die Nase und schnüffelte argwöhnisch. Jareds Atem entwich erleichtert seiner Lunge. Dafür zog sein Magen sich schmerzhaft zusammen, doch bevor er reagieren konnte, drehte sich der Fuchs um und verschwand mit einem Sprung in der Dunkelheit. Frustriert nahm er die Hand von der Waffe. Dann musste er sein Mahl wohl auf morgen verschieben.
Er rückte noch ein wenig näher an die Flammen und legte sich flach auf den Boden. Wenigstens war das Gras nicht nur feucht sondern auch weich. Trotzdem würde es bestimmt keine angenehme Nacht werden.
Zitternd stand Elvira auf dem Fenstersims. Ihre nackten Zehen bohrten sich in den glatten, kalten Stein. Der Wind riss an ihren Haaren und ihrer weißen Tunika. Tränen rannen ihr über das Gesicht und hinterließen glänzende Spuren auf geröteter Haut. Schwere Regentropfen prasselten auf sie ein, vermischten sich mit den Tränen und durchnässten Haare und Gewand. Die Sicht war atemberaubend. Mehr als zweihundert Meter trennten sie vom Boden und ihr Blick reichte trotz des schlechten Wetters von den rötlich schimmernden Dächern zu ihren Füßen, über die graue Stadtmauer mit ihren vielen Zinnen und Türmen, bis hin über die weiten Felder, den Sarenquelle, der sich sanft durch die Landschaft schlängelte, zu den nebelverhangenen Bergen, die sich grau und unheilvoll vom Horizont abhoben. Wunderschön. Und doch unfassbar weit weg. Mit einem Aufschluchzen gaben ihre Beine nach, sie stürzte nach vorn, griff panisch in die widerstandslose Luft vor ihr. Dann fiel sie in die Leere. Der Wind wurde lauter und lauter, in der Ferne erklang ein tiefes Grollen. Das erste Donnern eines sich anbahnenden Gewitters.
Als Jared erwachte lag er eingewickelt in dicke Decken auf einem gemütlichen Bett. Behaglich drehte er sich zur Seite und öffnete die Augen. Augenblicklich fuhr er hoch und sah sich um. Das war nicht seine Kammer auf dem Dachboden des alten Hauses in Sturzbach. Das waren nicht seine Decken, nicht sein Bett, ja nicht einmal seine Kleidung, die er anhatte. Dann prallte alles wieder auf ihn ein. Die Flammen, die Schreie, das kehlige Lachen. Und der Anblick von Blut, funkelnden Klingen und dem Gestank nach verbrannten Fleisch. Sein Magen rebellierte. Panisch sah er auf, erblickte schließlich eine Schüssel mit Wasser neben seinem Bett und erbrach sich lautstark in sie. Es kam nicht viel. Er hatte lange nichts mehr gegessen. Als er wieder einigermaßen ruhig atmen konnte und sich seine zitternden Hände beruhigt hatten, sah er auf und sich in dem Raum um. Er war nicht sehr groß. Sicherlich hätte er ihn mit drei Schritten in jede Richtung durchmessen. Ein Fenster direkt neben dem Bett stand offen und ließ frische Luft herein. Ein kleiner Schrank aus dunkelbraunem Holz stand dem Bett gegenüber in der Zimmerecke und ein kleiner Tisch direkt daneben. Ein einziger Stuhl mit gebrochener Lehne zierte die andere Ecke. Dazwischen befand sich eine schmale Tür. Ansonsten war das Zimmer leer. Und dann war da natürlich noch der Lärm. Stimmengewirr drang von draußen durch das Fenster, durchmischt mit Pferdehufen, mähenden Schafen und gackernden Hühnern. Irgendwo in der Ferne klapperte Metall und beschlagene Räder ratterten über Pflastersteine. Nichts davon beantwortete die Fragen, die er hatte. Wenn überhaupt brachte es neue. Mit einem lauten Quietschen öffnete sich die Tür und sofort sah sich Jared panisch nach seinen Waffen um. Doch weder Bogen noch Pfeile oder Messer waren zu sehen. Der Mann, der eintrat, war der wohl fetteste Mensch, den er in seinem gesamten bisherigen Leben zu sehen bekommen hatte. Selbst der fette Wasim, der eigentlich nur Wasim hieß und der Metzger Sturzbachs gewesen war, kam nicht mal in die Nähe des Körperumfangs, der sich jetzt vor Jared auftat. Ansonsten war nicht viel bemerkenswertes an der Gestalt. Der Mann hatte braune Augen und ein Gesicht, dass ihn freundlich anlächelte. Außerdem trug er ein gelbes Gewand, dass sich wie ein Zelt unter seinem Kopf aufspannte.
"Keine Sorge", sprach er mit beruhigender tiefer Stimme und hob die Arme auf Höhe seiner Brust, "Ich werde dir nichts tun." Jared betrachtete ihn einen Moment lang abschätzig. Er beschloss, dass der Fremde wohl die Wahrheit sagte, und ließ sich wieder etwas zurücksinken.
"Wie bin ich hierhergekommen?", stellte er die offensichtlichste Frage, "Und wo bin ich hier überhaupt." Der Mann ließ die Hände sinken, betrachtete ihn aber weiterhin aufmerksam.
"Ein Bauer hat dich heute Morgen gefunden, wie du halb erfroren unter einer Schneedecke neben einem ausgebrannten Feuer lagst. Es ist ein Wunder, dass du kein Körperteil verloren hast. Nicht einmal einen Zeh oder Finger. Er hat dich mit seinem Karren sofort nach Sedarra gebracht." Jared nickte nachdenklich. Er wusste kaum etwas über die Welt jenseits des Dorfes, doch von Sedarra hatte er die Menschen reden hören. Es war eine Stadt nur ein, zwei Tagesmärsche von Sturzbach entfernt. Er hatte immer davon geträumt einmal hierher zu kommen. Nun konnte er dem nicht allzu viel abgewinnen.
"Und was habt ihr damit zu tun?", fragte er schließlich. Der Fremde begann wieder zu lächeln, zwängte sich mit etwas Aufheben durch die Tür und zog den Stuhl neben das Bett. Das Holz knarzte protestierend auf, als er seine Masse auf die dagegen winzig erscheinende Sitzfläche sinken ließ.
"Ich bin Merin O'Bara. Wirt der goldenen Rose!" Seine Brust schwoll jetzt stolz an. "Jegar, der Bauer, der dich gefunden hat, ist ein Freund von mir." Dann verzog sich sein Gesicht mitleidig. "Willst du mir sagen, wer du bist und woher du kommst." Jared starrte ihn einen Moment an bevor er schließlich nickte. Schließlich hatte Merin auch seine Fragen beantwortet.
"Mein Name ist Jared. Ich stamme aus einem Dorf namens Sturzbach. Es...", er stockte, "es wurde überfallen. Ich denke, es waren Räuber" Seine Stimme klang kratzig und fremd. Als hörte er einem Fremden zu. Merin wirkte betroffen.
"Es tut mir leid", der Wirt stockte, "Gibt es weitere Überlebende, die wir suchen können." Jared konnte nur den Kopf schütteln. Einen Moment verharrte sein Gegenüber unbewegt, sah ihn nachdenklich an. Dann richtete er sich behutsam auf und trat von dem Stuhl zurück.
"Ruh dich erst einmal aus. Sarah, meine Tochter, wird dir etwas zu essen bringen." Mit einem letzten mitleidigen Blick packte er den Eimer ohne ein Wort an dessen Inhalt zu verschwenden und verließ das Zimmer. Jared ließ sich zurück in die Kissen sinken. Sedarra!
Mit einem Keuchen erwachte Edar aus seinem unruhigen Traum und richtete sich in seinem Bett auf. Schweiß lief in Strömen über seine Brust und sein Atem ging unruhig. Er hatte keine Ahnung mehr was er geträumt hatte, doch er war sich sicher, dass es nicht gerade schön gewesen sein konnte. Nachdenklich ließ er sich wieder zurück ins Bett sinken und starrte an die holzvertäfelte Decke. Vermutlich hätte er noch lange so dort gelegen und über vergessene Eindrücke nachgegrübelt, hätte seine volle Blase das zugelassen. Behutsam setzte er seine nackten Füße auf den dünnen Teppich und schlug die Bettdecke vollends zurück. Nachdem er sich schließlich vollends auf die Beine gequält hatte öffnete er das Fenster und ließ die ersten Sonnenstrahlen, die kühle Morgenluft und die Geräusche der erwachenden Stadt herein.