Es gibt 6 Antworten in diesem Thema, welches 2.448 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (19. Juni 2019 um 19:11) ist von Formorian.

  • Hallo Leute :) !
    Ich habe ein kleines Problem mit einer meiner Figuren aus einer Geschichte, die schon länger bei mir rumliegt und von der ich nicht weiß, ob ich sie weiterführen sollte.
    Zum ersten Mal bin ich mir eines eigenen Charackters nicht sicher. Wenn Ihr es mögt, könntet Ihr vielleicht mal einen Blick auf den einen oder anderen hier gezeigten Abschnitt werfen und mir einfach mal mitteilen, wie dieser Guldrik auf Euch wirkt, und was Ihr von dem Typen generell haltet.
    Thema der Geschichte ist es übrigens, wie die zunehmende Vernunft der Menschen die magische Welt älterer Zeitalter zerstört.

    Dies ist der Anfang:

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    Guldrik sagte: “Ich werde in der nächsten Zeit wohl nicht mehr so oft kommen können.”
    Durial der Grüne kaute weiterhin traumversonnen auf seinem Grashalm herum und Guldrik wusste, dass er nun seine Worte erst einmal in seinen Geist sinken ließ, ehe er sich zu einer angemessenen Antwort bemüßigt fühlen würde. Maßvoll, doch auch genüsslich, jede Silbe auf der Zunge hin und her rollend, ihren unwiederholbaren Abgang auskostend als wären diese Worte ein seltener und kostbarer Wein. So war es seine Gewohnheit.
    Neelea ließ ihr verzauberndes Lachen hören, während sie sich auf dem Gras zu Guldrik hinüberrollte und ihm neckisch mit dem linken Huf einen leichten Stoß gegen die Hüfte verpasste. “Hat sich unser Lieblingsbrüter endlich entschlossen, wie ein Ochse im Joch einherzugehen? Du erzählst nun schon so lange davon, doch nun höre ich es zum ersten Mal, während du nicht voller Rebentrunk bist. Willst du uns nur Angst machen?”
    “Ich werde arbeiten”, bestätigte Guldrik, doch es hörte sich sehr nach einer Entschuldigung an. “Einen richtigen Beruf werde ich erlernen und später viel Gold damit verdienen.”
    Verspielt steckte ihm Neelea einen schlanken braunen Finger ins linke Ohr, geruhsam weite Kreise darin beschreibend, als habe sie vor seinen Verstand an einer darin verborgenen Metallfeder aufzuziehen. “Wenn Gold dir Spaß macht, warum gräbst du es dann nicht aus der Erde?”
    Durial der Grüne wandte ihm das Gesicht zu. Lächelnd kaute er weiterhin auf dem Halm. “Ja, warum sich für jemanden anderen niederknien, wo man nur zu nehmen braucht?”
    “Weil ich ohne Hände nicht arbeiten kann”, antwortete Guldrik etwas gereizt. Er fühlte sich von den beiden unverstanden und veralbert. Blieben denn alle Leute des Stillen Volkes zeitlebens Kinder, unfähig irgend etwas ernst zu nehmen? “Das ist die Strafe für Diebe. Man schlägt ihnen die Hände ab.”
    “Mäusefurz”, sagte Neelea, was sie immer tat wenn sie der Ansicht war dass etwas völliger Unsinn wäre. “Wenn du etwas aus dem Boden gräbst über den alle laufen, wen hast du dann bestohlen?”
    “Den Tharn”, antwortete Guldrik bestimmt. “Es ist sein Land und damit auch sein Gold. Alles was ihr hier seht gehört ihm.”
    “Schlägt er dir nicht den Kopf ab, weil du seine Luft atmest?” erkundigte sich Durial grinsend.
    “Ihr seid wirklich dumm!” stieß Guldrik aus. “Natürlich gehört ihm alles. Alles was ihr sehen und anfassen könnt ist sein. Auch die Leute. Auch ihr!”
    Durials Leib durchschoss ein Zucken, das sein in leuchtendem Grün stehendes Blätterhaar zum Rascheln brachte. Neelea rollte auf den Rücken und strampelte mit den Hufen in der Luft. “Guldrik, hab doch Gnade! Du tötest uns!” Beide lachten, dass es in seinen Ohren schallte. Beleidigt richtete er den Oberkörper auf und zog die Beine an den Leib. Irgendwie regten die beiden ihn heute einfach auf.
    “Baumbengel! Ziegenmädchen! Was begreift ihr schon vom wirklichen Leben?”
    “Nur so viel: Dass es sich wohl eher im Wald abspielt”, gluckste Durial der Grüne.
    “Ihr werdet anders darüber denken, wenn ich glänzendes Gold vor euren Augen klimpern lasse”, entgegnete Guldrik selbstsicher. “Gold, das ich mir durch die gute ehrliche Arbeit meiner Hände selbst verdiente, so wie mein Vater vor mir und dessen Vater.”
    “Und wenn du dieses Gold hast, was willst du damit machen?” erkundigte sich Neelea, nachdem sie ihren Atem wiedergefunden hatte.
    “Mir Dinge damit kaufen. Schöne Dinge. Kostbare Dinge.”
    “Lass mich sehen, ob ich das richtig verstanden habe”, sagte Durial, während er sinnend auf den Grashalm schaute, den er zwischen Daumen und Zeigefinger drehte. “Du willst dein Leben mit Arbeit verbringen, um Gold zu bekommen, damit du dir Sachen kaufen kannst, die du nicht brauchst, um damit Leute zu beeindrucken, die du nicht magst.”
    “Ich mag alle Leute!”
    “Mögen sie dich mehr, wenn du Gold hast?”
    Guldrik öffnete den Mund zu einer recht barschen Antwort, überlegte es sich jedoch anders. Dies waren seine Freunde, die er da fast angeschrien hätte. Und es war wohl mehr seine eigene Schuld, wenn er mehr Verständnis bei ihnen voraussetzte als sie aufzubringen in der Lage waren.
    Ich kann ihnen schlecht vorwerfen, dass sie nur vom Stillen Volk sind. Aber warum nennen sie mich immer Brüter? Ist es meine Schuld dass sie so wenige sind und wir so viele?
    “Weiß nicht. Aber es wird mich sicher glücklich machen, Gold zu verdienen und stetig zu vermehren. Jeder macht das so, oder versucht es zumindest.”
    “Vermehren”, lachte Neelea und ließ eine schmale braune Hand unter seinem Kilt verschwinden. “Das ist wirklich einfach. Ich bin sehr gut darin, sagen die meisten.” Sie fand, wonach sie suchte. “Hast du mehr davon? Oh ja, es wird schon besser …”
    Bis zum Untergehen der Sonne trieben sie ihre Sommerspiele, dann erklärte Guldrik dass er heimgehen und schlafen müsse. Am nächsten Tage würde er früh auf den Beinen sein und er wolle nicht gleich am ersten Tag seiner Lehre einen schlechten Eindruck machen. Unter freundschaftlich-spöttischen Wünschen verabschiedeten ihn die beiden. Er ging, sah sich jedoch nach wenigen Schritten noch einmal nach ihnen um. Selbstvergessen lagen beide engumschlungen, feierten sich selbst und ihr langes Leben.
    Guldrik seufzte leise. Die zwei würden noch Kinder sein, wenn er längst zu Erde geworden war, er jedoch hatte seine Kindheit heute begraben. Dies war ihm nun mit grausamer Deutlichkeit klargeworden. Ein seltsames, nie zuvor gekanntes Gefühl, das er nicht in der Lage war zuzuordnen beschlich ihn, als er sich auf den Weg zu seinem Zuhause machte.
    Er wusste es nicht zu benennen. Hätte er es gekonnt, so würde er es sich selbst niemals eingestanden haben:
    Es war der pure, blanke Neid.

    Etwas später. Die Stimmungsmache gegen die älteren Völker beginnt gerade. Guldrik versucht, die alte Freundschaft nicht abreissen zu lassen.

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    Heute war Guldrik früh von seinem Lager aufgestanden, denn es war sein freier Tag und er sehnte sich nach dem unbekümmerten Spiel mit seinen Freunden aus dem Wald. Es gab eine Menge zu erzählen.
    Zum Frühstück griff er sich eine Handvoll Beeren aus der immer gefüllten Schale auf dem Tisch und ging schmausend durch die Tür. Seine Mutter kniete in dem kleinen Garten vor dem Haus und zupfte das wilde Kraut aus den Karottenbeeten. Rasch würgte er den Matsch in seinem Mund hinunter, um sie zu begrüßen.
    “Rugi hat sich nach dir erkundigt”, sprach seine Mutter mit geheimnisvollem Lächeln. “Sie möchte dir gern ein Hemd nähen und du magst sie besuchen, damit sie deine Maße nehmen kann.”
    “Ach, Rugi”, sagte er und brach einen kleinen Zweig von der alten Weide im Garten, um sich damit die Zähne zu säubern. “Ich hab sie ja wirklich gern, aber ich kenne sie bereits seit Milch und Windel. Sie ist wie die Schwester für mich, die ich nie hatte. Verstehst du?”
    Die Mutter seufzte leise, während sie weiterhin zupfte. “Erfüllt es dich mit mehr Befriedigung, dich zum Spielzeug einer Unsterblichen zu machen?”
    Er verhielt in seinem Tun, tat so als müsse er angestrengt nachdenken. Dann sagte er: “Für den Augenblick. Ja.”
    Die Mutter sagte nichts weiter und senkte den Kopf, damit er nicht in ihr Gesicht sehen konnte. Er warf den Zweig fort und schenkte ihr ein zuversichtliches Lachen. “Lass den Mut nicht sinken, Mutter. Wenn ich ausgelernt habe und beginne, gutes Gold zu verdienen, dann werde ich auch eine richtige Frau ernähren können, und die Enkel nach denen du dich sehnst wirst du nicht mehr alle auf einmal tragen können. Versprochen.”
    Als er sich gutgelaunt auf den Weg zum Wald machte, sagte sie noch: “Hüte dich vor Wölfen.”
    Er schlenderte dem Habichtstor entgegen, das dem Wald am nächsten war und hörte schon von weitem den Schreier.
    “… denn es ist nur EIN Gott, dem das Geschick dieser Welt in den Händen liegt! Nur EINER der entscheidet, ob unser Leben in der rechten Bahn verläuft oder alles in brüllendem Chaos versinkt! Ihr fragt mich, wer dieses allmächtige Wesen denn sei, das all dies tun kann? Ich will es euch verraten: Schaut in den Spiegel!”
    Guldrik verzog das Gesicht. Er mochte es nicht, am frühen Morgen angeschrien zu werden wenn er unterwegs war, Spaß zu haben. Und damit war er wohl nicht allein, denn die Meisten die zu dieser Zeit unterwegs waren beachteten nicht die gotteslästerlichen Tiraden, die dieser offensichtlich Wahnsinnige ihnen um die Ohren schlug und spazierten einfach weiter. Auch der Schreier beachtete sie nicht sonderlich, seine Aufmerksamkeit galt den Wenigen die stehenblieben.
    Der Wachtscherge machte nur eine scherzhafte Bemerkung seine armen Ohren betreffend und winkte Guldrik lächelnd durch das Tor. Der Junge war ihm wohlvertraut.
    Der Weg führte an den ausgedehnten Feldern entlang, die die Siedlung wie einen breiten und in Grün, Gelb und Braun schillernden Ring umgaben. Hier und da standen die armseligen Hütten der Häusler, denen es erlaubt war sich hier ihr karges Mahl zu verdienen. Die nie etwas anderes tun würden als sich im Dreck zu bücken. Wie froh war er, das dies nicht sein Schicksal sein würde! Wer Rad und Wagen zimmern konnte, der verdiente sein Brot nicht im Schlamm.
    Er bemerkte die steil aufgerichtete Fuchsrute, die einer roten Fackel gleich aus den Kohlreihen zu seiner Rechten aufragte. Interessiert, doch auf leisen Sohlen trat er näher und erkannte den Cappa, der sich zwischen den Strünkereihen dicht auf den Boden gepresst hatte, Schwanz und die dreieckigen Ohren hoch erhoben, die Rechte vor dem Gesicht in der Luft schwebend, ganz die gespannte Aufmerksamkeit. Dann schoss die Hand ohne Ansatz nach vorn und hielt eine panisch fiepende, braune Feldratte.
    “Meinen Glückwunsch, Meister Cappa”, lachte Guldrik. “Da ist dir wirklich ein fetter Fang gelungen.”
    Überrascht wandte der Fuchsbursche ihm das Gesicht zu und schenkte ihm ein siegesbewusstes Zweiundfünfzig-Zähne-Lächeln. “Einen sahnigen Morgen, Brüterchen. Ja, dies ist bereits die vierte! Magst du dich nicht an der kleinen Jagd beteiligen? Ich glaube, mein Glück reicht heute für uns beide.”
    “Ich muss leider dankend ablehnen. Mit Durial und Neelea will ich mich treffen. Du hast sie nicht zufällig heut schon gesehen?”
    “Hungrig lasse ich dich jedenfalls nicht gehen. Magst du lieber Kopf oder Schwanz?” Er öffnete den Mund weit und führte die Ratte hinein, um zu zeigen wie er sie zu teilen gedachte.
    “Danke, doch ich habe es wirklich eilig. Möge dein Leib heute prall und rund werden.” Damit wandte er sich ab und setzte seinen Weg fort.
    “Wer nicht will, der hat schon”, hörte er den Cappa hinter sich lachen und dann lautes Schmatzen.
    Als er zwischen die ersten Bäume trat begann er sein Guter-Freund-Lied zu singen. Damit würde auch dem beschränktesten Salamander klarwerden, dass er nicht vorhatte dem Wald oder irgend einem seiner Bewohner Schaden anzutun. Eine Weile schlenderte er den Pfad entlang der weitestgehend frei war von Büschen und totem Unterholz. Wie die Kuppel eines mächtigen Domes wölbten sich hoch über seinem Kopf die Wipfel der alten Riesenbäume, die kaum einen Sonnenstrahl bis zum Boden hindurch ließen. Die Stille hier und die Finsternis konnten einem schon schnell in die Seele kriechen. Doch er wusste dass diese Zone nur eine Art Mauer war, die unerwünschten Eindringlingen vor Furcht das Herz in die Hose sinken lassen sollte. Bald schon würde es lichter und freundlicher werden.
    Der Pfad teilte sich. Links ging es in den Bereich, in dem die Meisten des Stillen Volkes lebten, der rechte Weg führte direkt zu der Halle des Thrones, ebenso jedoch zu dem Bruchholz, unter dem der Formore gefangen lag. Natürlich entschied er sich für den linken.
    Als erstes hatte er vor, Nipta auf ihrem Baum zu besuchen. Die Dryade war mit Neelea gut befreundet und würde möglicherweise eine Ahnung haben, wo sich das flatterhafte Ziegenmädchen gerade herumtrieb. Als er den mächtigen Stamm der Riesenesche erreichte, rutschte Rurigh der Grobschmied daran herunter. Er kam mit den Füßen auf den Boden, bemerkte Guldrik und gönnte ihm ein knappes und grimmiges Kopfnicken. Dann richtete er den Blick zum Stamm hinauf und rief: “Ich bin froh, dass ich ein Brüter bin!” Sprach`s, machte kehrt und schritt den Pfad entlang, dem Waldesausgang entgegen.
    Kopfschüttelnd trat Guldrik an die Esche heran und rief nach oben hinauf: “Nipta, ich wünsch dir den prächtigsten Sonnenschein an diesem sahnigsten aller Morgen! Kannst du mir sagen, wo ich Neelea finden kann?”
    “Was bin ich doch glücklich zu nennen”, ertönte die melodiöse Stimme der Dryade hoch über ihm. Sie hörte sich nicht allzu froh an. “Die Brüter umwuseln meine Wurzeln heute wie die Mäuse …”
    “Was hast du Rurigh getan, dass er so böse ist?”
    “Frage, was er mir tat! Hier aufzutauchen, zu behaupten sein Bogen wäre zum Zerbersten gespannt und dann einen schlaffen Wurm als Pfeil aufzulegen!”
    “Oh, ich verstehe. Und hast du vielleicht Neelea …”
    “Wohl darf er sich glücklich schätzen, Brüter zu sein! Eines Tages zerfällt er zu Staub und vergisst, ich aber werde seine Plattheit vor Augen haben bis dass die Sterne gezählt sind!”
    Guldrik überlegte kurz. “Möglicherweise verliert er ja nur seine Kraft in deinen Armen, weil er dich tatsächlich aufrichtig liebt.”
    “Danke, Brüterlein, dass du mir den zweiten Stachel schenkst der mich fortan zwacken wird!”
    Er gab es auf und setzte seinen Weg fort. Wenige Schritte war er gekommen, als Nipta rief: “Um diese Zeit entdecken die Ziegenburschen ihren Sinn für das Schöne. Folge ihren Flöten.”
    “Danke!” rief er und schritt beschwingt weiter, dem lichten Zentrum des Waldes entgegen.
    “Huuuhahahah!” machte etwas über seinem Kopf. “Huhaaaa!” Überrascht schaute er auf und erblickte das merkwürdige, unbestimmbare Etwas, das wie irr schnelle Schleifen durch die Luft über ihm zog. Es kam ihm vor als besäße es tausende von Formen, oder gar keine. Nichts hatte es gemein mit irgend einem Wesen das er kannte. Gerade schien es von brauner Farbe, um gleich darauf im fahlen Glanze gebleichter Knochen zu schimmern. Dann wurde es zu tiefem Weinrot. So etwas war ihm hier noch nie begegnet.
    “Einen sahnigen Morgen, du gewandter Flieger”, versuchte er es probehalber. “Weißt du, wo ich Durial oder Neelea finden kann?”
    “Huuhahaaaaaaaah!”
    “Hast du noch mehr für mich als dieses dumme Lachen?”
    “Haahuhuhuhaaaah!”
    “Vielleicht `nen albernen Brüterwitz?”, schnaubte Guldrik und schritt weiter. Das fliegende Etwas schwirrte weiterhin über ihm und stieß fortwährend sein gackerndes Lachen aus, so dass er die Flöten der Ziegenkerle erst hörte als er schon fast in ihre Runde stolperte.
    Ohne aufzublicken hockten sie da im Moos unter einer mächtigen Eiche und spielten traumverloren ihre Melodie, ein jeder auf seine ganz eigene Art, und dennoch harmonierte ihr Spiel in einer Weise die geeignet war, dem Lauscher die Tränen in die Augen zu treiben. Selbst der flatternde Lacher schien berührt und ließ sich zu Boden nieder, verstummte.
    Still stand Guldrik da und sah den Dreien zu, von denen jeder Einzelne Neeleas Erzeuger sein mochte. Er wusste dass Elternschaft dem Stillen Volk absolut fremd war, die Aufzucht und Unterweisung der Jungen war aller Sache. Höflich wartete er es ab, dass sie ihr Spiel beenden oder sonst irgendwie auf ihn aufmerksam würden.
    Schließlich setzte jener, der sich prächtiges Ahornlaub um die Hörner gewunden hatte, seine Flöte ab und schaute ihm freundlich lächelnd ins Gesicht. In seinen merkwürdig geschlitzten Augen tanzte der nackte Schalk, doch dies war bei allen Ziegenburschen zu allen Zeiten der Fall.
    “Einen sahnigen Morgen, du prächtigster unter allen Böcken”, begann Guldrik und machte eine leichte Verbeugung dabei. ”Ich bin auf der Suche nach Neelea. Kannst du mir weiterhelfen?”
    Auch die beiden anderen hatten ihr Spiel beendet und lächelten Guldrik an. Der eine trug eine Kastanienkette um den Hals, der dritte einen Umhang aus Eichenlaub. “Sicher kann ich dir helfen”, sagte der mit dem Ahorn, “indem ich dir die hohe Kunst vermittle, nicht so steif und gespreizt vor guten Leuten dazustehen, geradeso als hättest du einen Ast verschluckt.”
    “Dein freundliches Angebot ehrt mich”, brachte Guldrik heraus, der nicht vorhatte diese kräftigen Burschen gegen sich aufzubringen. “Doch die einfache Information soll mir nun genügen.”
    “Information ist nicht Wissen”, sagte der mit dem Ahorn.
    “Wissen ist nicht Weisheit”, sprach der mit den Kastanien.
    “Weisheit ist nicht Wahrheit”, der mit dem Eichenlaub.
    “Wahrheit ist nicht Schönheit”, das Ahorn
    “Schönheit ist nicht Liebe”, die Kastanie.
    “Liebe ist nicht Musik”, die Eiche.
    Und alle: “Musik ist das Beste!” Damit nahmen sie ihr Spiel wieder auf.
    Vor den Kopf gestoßen und sprachlos hörte Guldrik ihnen eine Weile zu, dann sagte er barsch: “Vielen Dank für nichts! Ich finde sie auch ohne euch!”
    “Warte, Brüterchen”, lachte der mit dem Ahorn. “Gehe nicht im Zorn, ich fände sonst keine ruhige Nacht mehr. Neelea hat mir vieles über dich erzählt. Sie sagte, du liebst schöne, edle Dinge, und dass du bereit wärst dich deshalb in ein Joch spannen zu lassen, für so etwas Dummes wie Gold.” Er griff in den Lederbeutel der an einer Schlaufe um seine Schulter hing und holte etwas Glitzerndes und Schimmerndes hervor. “Sie hat es für dich gemacht. Nur keine Scheu, probier es an.”
    Überrascht nahm Guldrik es entgegen und erkannte, dass es ein Hemd war, doch keines von irgend einer Art wie er es zuvor gesehen hätte. Es glitzerte in allen Farben des Regenbogens und wie er es durch die Hand gleiten ließ und näher betrachtete erkannte er, dass es tatsächlich aus purem Wasser gewebt war.
    “Das … kann ich nicht annehmen”, stotterte er in Ehrfurcht. “Es ist viel zu kostbar. Ich kann ihr nichts dafür entgelten …”
    “Den Freunden des Waldes beweisen wir gern, dass die wirklich wertvollen Dinge für ein Lächeln sind. Probier es, oder willst du unser gutes Mädchen beschämen?”
    “Huhahahaaa!” machte das unbeständige Flatterding am Boden.
    Dankbar streifte sich Guldrik das Hemd über. Es passte wirklich wie für ihn gemacht. Er fühlte sich so als wäre er um eine Handspanne gewachsen. Der vornehmste Prinz besaß kein edleres Kleid!
    “Wo ist sie? Ich möchte mich gleich bei Neelea für dieses wundervolle Geschenk bedanken!”
    “Nicht doch”, meinte der Ahornbekränzte und führte seine Flöte zurück an den Mund. “Wir haben zu danken - dafür. ”Er blies einen einzigen ohrzerreissenden Ton. Augenblicklich wurde das Hemd wieder zu dem was es eigentlich war.
    Wie vom Schlage getroffen stand Guldrik da, gebadet in kaltem Nass und dem schallenden Gelächter der Ziegenkerle. Seine Hände ballten sich wie von selbst zu Fäusten. Und wenn man ihn aus dem Wald heraustragen müsste, dies durfte nicht ungerächt bleiben!
    Da verstummte einer der Drei überrascht und stellte die Ohren auf. Die beiden anderen wurden ebenfalls still und lauschten. Auch Guldrik vernahm es nun: Der volltönige, elfenhafte Klang des großen Hornes der Thronhalle. Er wusste, dass es alle Bewohner des Waldes zur Versammlung rief und dass er nun zu gehen hatte.
    Die drei sammelten rasch ihre Sachen zusammen und stürzten in die Büsche. “Wartet!”, schrie Guldrik ihnen nach. “Da ist noch einiges, das zu klären wäre …”
    “Hahaaahu!”
    Das seltsame Lachding schoss auf ihn zu und fing an, in irrwitzigen Kreisen um ihn herumzuwirbeln
    und auch die Luft um ihn herum begann sich zu drehen. Erschrocken schrie er auf, als er von den Füßen gerissen wurde. Bäumebäumebäume wirbelten um ihn herum und seine Arme und Beine schlackerten unkontrollierbar in dem Wind hin und her. Dunkler wurde es, dann wieder hell. Schließlich entließ ihn der Wirbel. Unsanft landete er auf weichem Boden und rollte noch ein gutes Stück durch Sträucher und über nackte Erde. Über ihm ein kräftiges “Hahaahaaahu!”, das sich rasch entfernte.
    Schlammbesudelt und tropfnass wie eine Trauerweide saß Guldrik da in der Mitte eines Rübenackers und wünschte den Wald und alle die darin herumkrochen aus tiefstem Herzen zur Hölle.

    Noch später. Zwischen dem Stillen Volk und den Menschen herrscht offene Feindschaft, was einige aber nicht wahrhaben wollen:

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    Guldrik erwachte.
    Etwas hatte ihn aus dem Traum wohliger Anspannung herausgeworfen, in dem er sich bereitwillig wie ein glückliches Ferkel gewälzt und gesuhlt hatte. Ein alle Sinne entflammender Traum voller zärtlicher Hände aus sanftem Feuer. Doch nun waren seine Augen geöffnet und die Hände waren noch immer da.
    Eine Mädchenstimme erklang dicht an seinem Ohr. Sie kicherte. “Ich denke, da hat jemand ein Recht auf eine seeeehr freundliche Entschuldigung. Und obgleich ich an allem schuldlos bin, kam ich hierher um sie dir zu geben.”
    “Neelea …?”, stieß er keuchend vor Überraschung aus.
    Weiche Lippen pressten sich auf seinen Mund, ehe er einen erbosten Schrei ausstoßen konnte. Eine flinke und geschmeidige Zunge schoss zwischen seine Zähne. Die schmale Hand, deren Finger gerade noch mit seinem Nabel gespielt hatten, glitt tiefer hinab.
    Gegen seinen Willen schmolz sein Widerstand dahin. Fast willenlos übergab er sich ihrer zielbewussten Zärtlichkeit. Das wundervolle Gefühl des Brennens und Verzehrtwerdens aus seinem Traum, es kehrte zurück.
    Und dann sah er in seinem taumelnden Geiste den schreienden Weisen und einen Strick.
    Sie ist gekommen, um das Tier in mir zu wecken!
    Seine groben Hände ergriffen ihre schmalen, runden Schultern, drückten fest zu. Voll des entsetzten Abscheus stieß er Neelea zurück. “Verschwinde, du Bestie! Knüpf deine spaßigen Hemden für jemanden, der sie begehrt!”
    Sie hockte auf dem Lager neben ihm. In dem bleichen Mondlicht, das durch das Fenster in den Raum fiel, funkelten ihre Augen in seltsam unbestimmbarer Weise. “Ich habe dir kein Hemd gemacht. Auf solche Ideen kommen wohl nur Brütergören …”
    “Wir heißen Menschen, Tier!”
    Neelea schüttelte den Kopf, dass ihre langen braunen Locken sie umwogten wie eine duftige dunkle Wolke. “Nimmst du die kleine Erfrischung wirklich so ernst? Du hast ihr Spiel gestört, sie haben nur gleichgezogen. Eigentlich solltest du froh sein dass dein Hinterteil keinen Schaden genommen hat. Wie kommst du auch auf den Gedanken, Ziegenburschen um einen Gefallen zu bitten die nichts als Bocksfürze im Kopf haben und mit ihren Ruten denken. Wer immer dir dazu geraten hat ist nicht dein Freund.”
    “Recht hast du! Vernünftige Menschen haben keine felligen Freunde im Wald!”
    Sie zog eine verdrossene Schnute, doch ihre Augen lachten dabei. “Dann lass es halt eine Unfreundin sein, die sich bei dir entschuldigt.”
    Die Hand war wieder da, auf seinem Knie. Ärgerlich schlug er sie beiseite. “Lass das! Du wirst es niemals wieder schaffen, mich zu verzaubern. Damit du es nur gut weißt: Ich habe vor, mich zu verloben! Mit einem Mädchen das ich schon lange kenne und das mich wirklich mag!”
    “Tut verloben weh? Glücklich scheinst du mir nicht deshalb.”
    “Es ist ein geheiligtes Versprechen! Menschen geben es sich, die vorhaben ihr Leben miteinander zu teilen. Und es ist eine Probe für beide, aus Verzicht und freudiger Erwartung. Ach, was versuch ich denn, es dir zu erklären? Ein unvernünftiges, gewissenloses und triebhaftes Tier wird das nie verstehen!”
    Neelea warf den Kopf in den Nacken, lautloses Lachen schüttelte sie durch. “Willst du mir sagen, du bindest dich an diese eine Göre, so als wäre sie der letzte Schoß auf der Welt für dich und du weißt noch nicht einmal wie er riecht? Mäusefurz!”
    Die Hände zu Fäusten ballend, sagte Guldrik: “Ich gebe dir einen Augenblick, um zu verschwinden.”
    Den Kopf schief auf die Seite legend, grinste das Ziegenmädchen auf ihn herab. Ein neuer Schimmer war in ihre großen dunklen Augen getreten, und Guldrik erkannte ihn. Er tauchte immer dann auf, wenn ihr Ehrgeiz angestachelt war. Sich wohlig streckend und rekelnd erhob sie sich von dem Lager, trat mit wiegendem Hüftschwung in das Mondlicht, verschränkte die Hände hoch über dem Kopf, drehte sich lasziv vor ihm.
    Guldrik wollte zur Seite sehen, doch er brachte es nicht über sich. Wissend, dass er etwas Verbotenes tat, saugten sich seine Augen an dem sinnlichen Anblick vor ihm fest. Er spürte die Flammen, das prickelnde Brennen der Begierde, das sich in seiner Mitte konzentrierte. Es war verboten, ja, doch gerade dies war es wohl, was es so aufregend machte. Er wusste es, ohne es sich selbst einzugestehen.
    Amüsiert über die Art, in der Guldrik sie mit seinen Blicken bekleckerte, begann Neelea einen kleinen Tanz.
    “Du bist der leibhaftige Teufel”, keuchte er.
    Neelea ließ die perlengleichen Zähne blitzen. “Wer weiß? Ich kenne ihn nicht, deinen Teufel. Doch wenn ich er wäre, dann meint es der Teufel heute gut mit dir.”
    Alle tobenden Weisen dieser Stadt und all ihre Stricke in das dunkelste und tiefste Loch seines Selbst sperrend, saugte Guldrik begierig mit den Augen auf was ihm geboten wurde. Die wollige Lockenpracht von Haar, das rau wirkte und doch so fein und duftig war wie Kükenflaum. Die neckischen kleinen Hörnchen, die er beim Küssen immer als störend empfunden hatte, jedoch ihrem feingeschnittenen Jungmädchengesicht eine faszinierende Ebenmäßigkeit verliehen. Die schlanken Arme und schmalen Hände voll des sinnlichsten Zaubers. Die köstlichen Brüste, nicht so rund wie bei einer voll erblühten Frau, aber auch nicht mehr so knospend wie die eines kleinen Mädchens. Nichts auf dieser Welt, das fester und doch zarter sein könnte. Wie ohne seinen Willen glitten seine Augen tiefer, über den glatten Haifischbauch den ein lachender Gott erschaffen haben musste, mit der kleinen Vertiefung darin in der Mitte, in welcher er nur zu gern versinken und ertrinken würde. Der fellige kurze Stummelschwanz, den er schon immer putzig fand, und darunter der süßeste, runde kleine Apfelarsch, den er je das Glück hatte zu streicheln. Tatsächlich der einzige, den er jemals berührt hatte.
    Zu lachen war eine dumme Idee von Neelea, denn es brachte ihn in die Wirklichkeit zurück.
    “Willst du dir noch immer am Morgen ein Geschenk machen lassen, das du erst am Abend öffnen darfst? Was du siehst kannst du haben, jetzt.”
    Endlich schaffte er es, den Blick abzuwenden. “Jetzt hast du noch einen halben Augenblick.”
    Enttäuscht ließ Neelea die Arme an ihre Seiten sinken und schaute ihn kopfschüttelnd an. “Freund, was ist dir passiert dass du nicht mehr du bist?”
    “Nie war ich mehr ich selbst als gerade jetzt!” schrie er aufgebracht, während er sich erhob. “Da ist noch etwas, was du und all das andere redende Waldgetier niemals begreifen werdet: Menschen werden erwachsen! Du kanntest einen Jungen, aber diesen Jungen gibt es nicht mehr!” Rasch umrundete er sein Lager, um seine Kleider aufzuheben.
    Nackte Burschen sollten besser nicht laufen. Neelea sah ihn traben und konnte ein Kichern nicht unterdrücken. Ihr zweiter Fehler, und ihr letzter.
    Die Anspannung, all seine innere Zerrissenheit machte sich mit einem Male Luft. Sein Mund und seine Seele schrien gemeinsam, als er umherwirbelte und nach diesem Etwas schlug, das ihm Körper und Geist in rasenden Taumel versetzte. Wild fuhren seine Fäuste durch die leere Luft, während er nur noch Rot sah. Dann klärte sich sein Blick wieder.
    Neelea lag, halb gegen die Wand gelehnt, vor ihm auf dem Boden. Ihr hübsches Gesicht war blutüberströmt. Er sah, dass eines ihrer Hörner abgebrochen war. Sehr still war sie.
    Schweratmend stand Guldrik über ihr und fühlte sich, als wäre er in zwei Teile gespalten worden. Der eine wand sich in Schuld und Scham wegen dem, was er in seinem Jähzorn dem einzigen weiblichen Wesen angetan hatte, das er wirklich begehrte wie keines sonst auf der Welt, der andere frohlockte nur darüber, dass sie endlich still war und lobte ihn ob seines vernünftigen Handelns.
    Und dann sagte seine Mutter: “Dies ist etwas, das du Rugi nicht unbedingt erzählen solltest.”
    Gerade wie die Kerze in ihrer Hand stand sie da in der Tür und schaute voller Stolz auf ihren vernünftigen, erwachsenen Sohn.

    Nein, ich werde nicht verraten welche Rolle diesem Typen eigentlich zugedacht war, und verlasse mich ganz auf Euer Urteil.

    Adler erheben sich in die Lüfte
    aber Wiesel werden nicht in Flugzeugturbinen gesogen

  • Ich mag ihn. Der Konflikt ist sehr interessant. Es ist auch eher selten über Charaktere zu lesen die erwachsen und verantwortungsbewusst sein wollen, ohne dass sie vom Autor sofort als verklemmt dargestellt werden und sofort von jugendlichen Freunden „gerettet“ werden müssen, als könne man nicht glücklich sein und gleichzeitig einen Job haben.

    Ich weiß jetzt nicht für welche Zielgruppe das ist aber ich würde das ganze sexuelle Zeug subtiler machen. Ich stutze beim Lesen immer und denke automatisch „oh da steht „Arsch“ seltsam…“ Und Leuten unter den Kilt fassen ist halt auch bei Männern sexuelle Belästigung, da würde ich persönlich seine Zustimmung dazu deutlich machen oder es weglassen wenn`s nicht unbedingt notwendig ist.

    Der Tod von dem Ziegenmädchen an der Stelle ist aus dramaturgischer Sicht Gold wert aber ich finde nicht dass es gut geschrieben ist. Es wirkt auf mich als ob ihm da relativ grundlos ne Sicherung raus springt und er irgendwie selbst nicht weiß warum er sie tot haut.

    Wenn ich nen Vorschlag machen darf? Mach es doch einfach so das seine Verlobte in der Nähe ist und sieht was das Ziegenmädchen da mit ihm macht und sie konfrontiert… und vielleicht seinen Ring auf den Boden wirft und weinend weg rennt. Dann ist seine Ehe in Gefahr und das Ziegenmädchen würde natürlich nicht verstehen wieso. Das wäre ein besserer Grund wütend auf sie zu sein. Oder stell es vielleicht so da als wolle er sie nicht töten, aber lass sie unglücklich fallen, oder verbluten weil eins der Hörner abbricht.

  • Hi @Feron :) !
    Danke für Deinen netten Kommentar. Das hilft mir wirklich sehr, diesen merkwürdigen Typen selbst besser zu begreifen.

    Ich weiß jetzt nicht für welche Zielgruppe das ist aber ich würde das ganze sexuelle Zeug subtiler machen.

    Ich denke schon, dass dieses Ding 16+ ist. Im Stillen Volk herrscht ein extrem unverkrampftes Verhältnis zur Sexualität, eigentlich ist alles erlaubt was gefällt. Natürlich ist dies bei den Menschen bekannt (und möglicherweise einer der Gründe, warum sie plötzlich von diesen dämonisiert werden). Wer ein Problem damit hat, der lässt sich mit diesem lebensfrohen Völkchen nicht ein :D . Wenn Neelea Guldrik unter den Kilt fasst, so begreift dieser dies nicht als Belästigung, sondern als den wohlmeinenden Versuch, einen Konflikt zu entschärfen (bei den Bonobo gilt ja auch "Make Love not War"). Guldriks eher steifes Verlöbnis sollte wohl den Kontrast zwischen diesen beiden Ansichten verdeutlichen (denk ich mal).

    er irgendwie selbst nicht weiß warum er sie tot haut.

    Genau dies ist es. In seiner Zerrissenheit weiß er sich nicht anders zu helfen, als den Verursacher seines seelischen Zwiespalts zu beseitigen. Und ein Teil von ihm ist auch noch glücklich darüber. Er hat noch nicht begriffen wer sein wahrer Feind ist (eben jene Leute, die ihm sagten wen er zu mögen hätte und wen nicht), nimmt einen eher harmlosen Scherz als Bestätigung deren Argumentationen und greift jemanden an, der in seiner freundschaftlichen Treue zu ihm eher eine Umarmung verdient hätte. Ja, ich denke mal, diese Tat sollte ratlos machen ...

    Adler erheben sich in die Lüfte
    aber Wiesel werden nicht in Flugzeugturbinen gesogen

  • Hey @Formorian ^^

    Also erstmal: Dein Schreibstil haut mich total um 8| die Geschichte liest sich super flüssig, man hat die ganze Zeit über das Geschehen vor Augen und kann sich in diese bunte Märchenwelt reinversetzen. Auf der anderen Seite spürt man auch an den banalsten Stellen diesen traurigen Unterton - oder vielleicht kommt mir das nur so vor, nachdem ich das Ende der Abschnitte gelesen hab?

    Naja, um auf Guldrik zu kommen :) sein Charakter gefällt mir soweit echt gut, man merkt an mehreren Stellen dass er sich nicht mehr wirklich mit den "Märchenwesen" identifizieren kann und sich von ihnen nicht ernstgenommen fühlt. Andererseits gibt es aber auch einige Szenen, in denen er sich gut mit ihnen versteht und ich hatte jetzt beim Lesen nicht das deutliche Gefühl, dass die schlechten Erfahrungen mit der Zeit so weit die guten überwiegen, dass es seinen Ausraster natürlich erscheinen lässt - ich hatte nicht den Eindruck, dass es eine deutliche Entwicklung seiner Einstellung von unvernünftig zu erwachsen gab. Der Konflikt ist nur immer mal wieder aufgetaucht.
    (Allerdings sind das hier ja nur Abschnitte und nicht die Geschichte im Ganzen, also vielleicht wirkt es nur deshalb so auf mich)

    Den Zwischenfall mit dem Hemd könnte man als Hauptauslöser betrachten, aber dann würde meiner Meinung nach dieser Satz nicht passen:

    Und wenn man ihn aus dem Wald heraustragen müsste, dies durfte nicht ungerächt bleiben!

    Das hört sich überzogen wütend an, nicht glaubwürdig frustriert ^^' ich kann ihm an der Stelle zumindest irgendwie nicht abkaufen, dass er wirklich richtige Wut verspürt. Vielleicht wäre mir die Stelle als eine logischere Basis für das Ende erschienen, wenn er in dem Moment gedanklich nochmal seine Gesamtfrustration mit den magischen Wesen realisiert, den Vorfall auf den Gesamtkonflikt überträgt.

    Liebe Grüße,
    Carpe

  • Hi @Carpe :) !
    Vielen Dank für Deinen Kommentar.
    Traurigkeit, ja, das ist wohl der Grundtenor dieser Geschichte. Lähmende Traurigkeit und hilflose Wut ...
    Die Menschheit will sich von ihrem tierhaften Erbe lösen und merkt gar nicht, dass sie dabei zu einer noch viel gewaltigeren Bestie wird als jene, die sie dabei verteufelt. Und macht eigentlich nette Burschen zu willfährigen Vollstreckern.
    Auch Du findest Guldrik ganz in Ordnung, und kannst nicht verstehen warum er so brutal auf Neeleas Spielchen reagiert. Vielleicht hätte ich folgenden Abschnitt beifügen sollen, zeitlich zwischen Teil 2 und 3.

    Neue Herrschaft, neues Dogma. Der Hass auf das Stille Volk wird Programm:

    Spoiler anzeigen

    Die Veränderungen, die in das gewohnte Stadtleben einzogen, berührten Guldrik nur mehr am Rande seines Interesses. Eigentlich blieb alles, wie es immer gewesen war, nur dass die Tempel eben geschlossen wurden und statt feierlicher Gottesdienste nun schwarz gekleidete Weise der reinen Lehre der Vernunft ihre “Wahrhaftigen Belehrungen” unter freiem Himmel abhielten. Eher klein waren die Gruppen zu Anfang, die sich um die unermüdlich redenden Weisen scharten, doch mit der Zeit wurden sie größer. Irgendwann waren die öffentlichen Plätze nicht mehr groß genug, sodass man auf die Parks auswich.
    Und eines Siebtags, an dem er nicht in der Schreinerei erscheinen musste, ging er aus purer Neugier einfach mal mit.
    Der Weise, der die Belehrung abhielt, war ein recht stiller Vertreter seiner Art. Mit sorgsam gewählten Worten und in ruhigem Ton offenbarte er den fasziniert lauschenden Besuchern ihre Abkunft von dem wilden Tiere, das noch immer in ihnen schlummerte und darauf warte, sie zu zerreißen wenn man ihm nur die Gelegenheit dazu gäbe. Das Tier in ihnen, das sich jeder geordneten Vernunft entgegenstellte war es, das es für jeden Einzelnen zu überwinden galt. Da sie kluge und verständige Menschen seien wäre es diesem Vorhaben abträglich, mit den viehischen Wilden aus dem Wald zu verkehren, da diese durch ihre Natur und ihrem gesamten Verhalten geeignet wären das Tier im Menschen zu wecken. Wer nicht Vernunft über den nackten Trieb setze, der wäre ebenfalls nichts weiter als eine zweibeinige, sprechende Bestie.
    Guldrik, der Neelea und ihrer Sippschaft noch immer wegen des rauen Spaßes grollte, den sie sich mit ihm erlaubt hatten, fühlte diese Worte aus seinem tiefsten Herzen gesprochen.
    Zwei Tage später kam es zu einem kleinen Zwischenfall. Ein Ziegenbursche hatte es gewagt in einem Garten einen Apfel von einem Baum zu nehmen. Der erboste Besitzer drosch ihm einen Knüppel zwischen die Hörner und jagte ihn mit wildem Geschrei in den Wald zurück, schwor brüllend er würde jedes dumme Tier totschlagen das es noch einmal wagen sollte, einen seiner kostbaren Äpfel zu pflücken. Wie mochte er geschaut haben, als er am nächsten Morgen seinen geliebten Apfelbaum inspizierte und sah dass er voller abgefutterter Kerngehäuse hing. Wirklich jeder einzelne Apfel war gegessen, doch kein einziger gepflückt worden.
    Die Sache sprach sich herum und bald schon konnte man des Nachts missmutige Häusler mit Signalhörnern und scharfen Hunden um die Plantagen herumstreifen sehen.
    Der nächste Siebtag kam, und Guldrik ging wissbegierig geworden zur Belehrung. Diesmal war es einer von den schreienden Eiferern der die Versammlung abhielt. Er drohte jedem Einzelnen mit dem Vorwurf der Hexerei, der es wagen sollte sich mit den erklärten Feinden der Vernunft zu verbrüdern. Da stand Rurigh der Grobschmied auf, der Guldriks Ausbilder die Eisenreifen für seine Wagenräder lieferte und den Guldrik kürzlich im Wald unter Niptas Baum erwischt hatte. Er zeigte mit dem Finger auf einen Kerl nahebei und verkündete lauthals, dieser triebe sich jede Nacht bei den vertierten Huren des Waldes herum. Der Bursche erhob sich ebenfalls und erklärte stolz, dass er mögen würde wen immer er wolle, so wie es unter der Herrschaft der alten Götter jedermanns gutes Recht war. Der Weise geriet außer sich und schrie ihn an, dass das Tier in ihm ihn eines Tages für seine Unvernunft verschlingen würde. Der Kerl erklärte, dass er lieber ein Tier sei als eine leere, mit kreuzdumm-nutzloser Vernunft abgefüllte Hülle, die gehorsam durch ein totes Uhrwerkuniversum stolperte und dass es genau dies wäre, wozu sie hier alle gemacht werden sollten. Er schimpfte noch immer, als man ihm den Strick um den Hals legte.
    Auf Betreiben des Großen Weisen wurde ein hölzerner Beobachtungsturm auf den Feldern zwischen der Stadtmauer und dem Wald errichtet, auf dem stets ein scharfäugiger Schüler der reinen Vernunft Stellung bezog.
    Die nächste Belehrung folgte, und eine weitere. Mit jedem Male wuchs Guldriks Vertrauen in sich selbst und dem, was er tat. Sein Sinn für die Gemeinschaft und den festen Zusammenhalt in dieser erwachte. Sie waren doch alle kluge und leistungsfähige Menschen, denen es gegeben war, durch ihren gesunden Verstand und ihrer Vernunft diese Welt zu ihrem größeren Wohlbefinden zu gestalten. Jeder tat das Seine, war ein kleiner Teil des Ganzen und dieses Ganze war etwas Gewaltiges! Nie wieder würde das Tier in ihnen sie dazu verleiten, ihr Leben mit nutzlosen, unsinnigen Dingen zu vertun. Sie waren das Volk das die Macht hatte etwas Wirkliches in Gang zu bringen!
    Einige Tage später tauchte ein Kentaurenpaar an einem der Stadtbrunnen auf. Offensichtlich hatten wohl Beobachter wie Torwache geschlafen. Die beiden hatten vorgehabt, Beeren und Forellen aus dem Wald gegen bunte Stoffbänder zu tauschen. Ratlos und enttäuscht saßen sie bei dem Wasser und fragten sich, welcher üble Zauber die Brüter wohl ergriffen haben mochte. Da schrie jemand laut, die Pferdeteufel hätten etwas in den Brunnen geschüttet. Sofort war eine aufgebrachte Meute zur Stelle und stürzte sich auf die zwei. Der Kentaurenmann entkam durch einen riskanten Sprung in einen Siel, nur zwei Finger, einen Huf und seinen Stolz hatte er verloren. Er war der Glücklichere von beiden.
    Später fand man heraus, dass es Gursi Rotnase gewesen war der geschrien hatte. Derselbe Gursi, der jedem der es nicht hören wollte davon erzählte, dass eines Tages eine Kröte auf dem Baum vor seiner Hütte einen Esel zur Welt gebracht hätte. Er erzählte diese Geschichte sehr gern, wenn er nicht gerade so besoffen war dass er ohne fremde Hilfe kaum liegen konnte.
    Am Tage darauf erschien eine kleine Gruppe aus dem Wald vor dem Tor, um die Herausgabe der Getöteten zu erbitten. Zunächst regneten Steine von der Mauer auf sie herab, dann bezogen Armbruster auf den Zinnen Stellung. Jammernd verzogen sich die Bittsteller wieder in ihren Wald.
    Guldrik erfuhr nach seiner Arbeit davon und war etwas enttäuscht, dass er dies nicht selbst hatte erleben dürfen. Er hätte an diesem Tage gern eine Armbrust in den Händen gehalten.


    Ja, dieses Ding ist irgendwie schon eine Allegorie auf aktuelle Zustände.

    Adler erheben sich in die Lüfte
    aber Wiesel werden nicht in Flugzeugturbinen gesogen

  • Mit diesem zusätzlichen Abschnitt verstehe ich Guldriks Ausbruch tatsächlich viel besser :) der Hemd-Vorfall wird nochmal aufgegriffen und ist für Guldrik der Stein, der sein Umdenken ins Rollen bringt. Hier findet auch sehr deutlich die Charakterentwicklung statt, die mir vorher gefehlt hatte ^^'
    Ein bisschen seltsam finde ich noch, dass er so gar nicht darüber nachzudenken scheint, dass die Vernunftprediger auch Unrecht haben könnten :hmm: das "retardierende Moment" sozusagen, in dem der Leser noch denkt dass er vielleicht doch noch zur "Unvernunft" kommt, aber dann passiert etwas dass ihn endgültig zum Vernunftfanatiker werden lässt.
    Den Kentaurenvorfall am Ende fand ich sehr gut ausgeführt, nur Guldriks Reaktion auf das gehörte kommt mir etwas krass vor :huh: bisher wurde seine Verachtung für die "Tiere" geschürt, aber ich konnte nicht herauslesen, dass er direkt mit tödlichen Waffen auf sie losgehen wollte.
    Hier fehlt mir bei ihm besonders ein innerer Konflikt, sonst muss ich ihn für sehr naiv und beeinflussbar halten.

    Mal abseits vom Abschnitt, nur interessehalber:
    Stehen die "schwarz gekleideten Weisen" eigentlich für Pfarrer im Talar? Sozusagen eine umgekehrte Aufklärung? Die Predigen der Weisen in der Geschichte finden ja auch am siebten Tag statt.

    Wie überträgst du außerdem den Konflikt in der Geschichte auf die heutige Welt? Findest du, dass wir zu wenig Tier rauslassen und uns mit zuviel Vernunft umgeben? :P oder ist es mehr eine Parabel zum Erwachsenwerden?

    Liebe Grüße,
    Carpe

  • Ein bisschen seltsam finde ich noch, dass er so gar nicht darüber nachzudenken scheint, dass die Vernunftprediger auch Unrecht haben könnten das "retardierende Moment" sozusagen, in dem der Leser noch denkt dass er vielleicht doch noch zur "Unvernunft" kommt, aber dann passiert etwas dass ihn endgültig zum Vernunftfanatiker werden lässt.

    Nicht ungewöhnlich für einen vierzehnjährigen mit Frust im Bauch, dem gewisse Leute mit ganz konkreten Zielen nach dem Mund zu reden scheinen. Zigtausende Guldriks wandeln unerkannt mitten unter uns.

    Hier fehlt mir bei ihm besonders ein innerer Konflikt, sonst muss ich ihn für sehr naiv und beeinflussbar halten.

    s.o.

    Mal abseits vom Abschnitt, nur interessehalber:
    Stehen die "schwarz gekleideten Weisen" eigentlich für Pfarrer im Talar? Sozusagen eine umgekehrte Aufklärung? Die Predigen der Weisen in der Geschichte finden ja auch am siebten Tag statt.

    Ganz genau. Diese Leutchen geben vor, gegen Götterhudelei und Irrglauben und für die reine, logische Vernunft einzustehen und übernehmen doch nur Methodik und Jargon ihrer idiologischen, polytheistischen Gegner. Bewährtes wirft man nicht einfach so über Bord :D .

    Wie überträgst du außerdem den Konflikt in der Geschichte auf die heutige Welt? Findest du, dass wir zu wenig Tier rauslassen und uns mit zuviel Vernunft umgeben? oder ist es mehr eine Parabel zum Erwachsenwerden?

    Speziell in Guldriks Fall ging es mir wohl um die Beeinflussbarkeit Jüngerer, die aufgrund mangelnder Erfahrungen in ihrer Urteilskraft sehr eingeschränkt sind (Guldrik ist übrigens nicht der Haupthandlungsträger hier, eher eine bedeutende Nebenfigur). Hauptthema ist es aber wohl, dass der "gesunde" Menschenverstand, Vernunft und Logik in unseren Tagen maßlos überbewertet werden und die Menschen wohl vergessen haben, dass auch "Unvernunft" und Irrationalität ihren ganz eigenen Wert besitzen und ihre Existenzberechtigung.

    Adler erheben sich in die Lüfte
    aber Wiesel werden nicht in Flugzeugturbinen gesogen