Abschied nehmen
Ich halte deine Hand, streiche mit dem Daumen über die faltige pergamentartige Haut. Dabei schaue ich in dein Gesicht versuche eine Gefühlsregung von dir zu sehen, ein zucken der Mundwinkel vieleicht. Dein Blick fixiert starr einen Punkt an der Decke. Ich höre deine mühsamen Atemzüge trotz der Sauerstoffmaske, die man dir angelegt hat. Im Geiste zähle ich die Sekunden, bis du wieder ausatmest. Ich habe mich innerlich gewappnet bevor ich ein Zimmer betreten habe, dennoch ist es ein Schock. Ohne das ich es will kommen mir die Tränen und ein Kloß schnürt mir die Kehle zu.
Erinnerungen steigen hoch und überschwemmen mich mit einer Vielzahl an Emotionen. An eine Zeit, die noch gar nicht so lange zurück liegt, jedenfalls kommt es mir nicht so vor. Jeden Morgen hast du mich mit einem Lächeln begrüßt. Mir manchmal über die Wange gestrichen und deine Augen haben dabei gestrahlt. Immer fröhlich, bescheiden und dankbar für jede Aufmerksamkeit, so ist deine Art. Oft habe ich dich „meine Sonne“ genannt und es auch so gemeint.
Und jetzt muss ich Abschied nehmen. Im Laufe der Zeit bist du immer weniger geworden. Aber egal wie schlecht es dir auch manchmal ging, das stahlen war immer noch da. Von meiner Sonne…
Tränen verschleiern meine Sicht. Abschied nehmen gehört eben auch zu meiner Arbeit, doch von meiner Sonne fällt es mir besonders schwer. Du hast mit deiner Art dich über kleine Dinge zu freuen und allem etwas Gutes abzugewinnen den Tag erhellt.
Ich erinnere mich an eine Begebenheit wo du herzlich gelacht hast und jeder sich fragte warum.
Es waren die Vögel, Meisen und Spatzen vor dem Fenster! Sie kamen in Scharren weil die Hausmeister die Futterschalen neu gefüllt hatten. Dein Lachen war so ansteckend gewesen, dass ich mit einstimmten musste und so saßen wir da und lachten zusammen.
Mir wird bewusst, dass ich dein Lieblingslied summe. Erst leise, dann immer lauter. Du liebst Musik und so oft haben wir dieses Lied gemeinsam gesungen. Noch immer warte ich auf eine Reaktion von dir. Deine müden Augen haben sich auf mich gerichtet. Ein kaum wahrnehmbares Lächeln um die Mundwinkel sagt mir, dass du mich wahrgenommen hast. Aber in deinem Blick liegt noch viel mehr. Ich kenne diesen Ausdruck, ich habe ihn schon öfters gesehen, dennoch überrollt mich ein Schaudern jedes Mal wenn ich ihn sehe. Es ist dieses flehen. „Las mich gehen“ scheint er zu sagen.
Abschied nehmen ist schwer, besonders wenn es Menschen betrifft, die einem nahe stehen. Man muss nicht verwandt sein um etwas zu empfinden. Ich halte weiter deine Hand, streichle sanft deine Haut und lausche auf deine Atemzüge.
Noch immer summe ich dein Lieblingslied, aber leiser als zuvor. Du hast die Lider geschlossen und ein kaum wahrnehmbares Lächeln umspielt deine Mundwinkel. Zufrieden, denn du weißt ich bin bei dir.