Ästhetik vs. Bildwirkung

Es gibt 4 Antworten in diesem Thema, welches 1.645 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (12. August 2019 um 13:06) ist von Thorsten.

  • In meinem Zeichenthread kam zwischen Asni und mir kurz das Thema Ästhetik vs. Wirkung einer Zeichnung auf. Weil ich faul bin, zitiere ich ihn einfach mal an dieser Stelle:


    Tatsächlich muss ich aber sagen, dass mir deine Interpretation der Anatomie gar nicht so gut gefällt. Oder nicht immer. Also ich meine, du machst das technisch hervorragend und es ist immer ein Wow-Gefühl beim Angucken. Aber so ein "ach, ist das schön" stellt sich nicht ein. Was vermutlich auch Teil deiner Intention ist. Das ist in etwa wie bei einem meiner Lieblingsmaler, Otto Dix. Der hat viele expressionistische (?) Werke über den ersten Weltkrieg gemalt. Die finde ich eindrucksvoll und bedrückend und daher schätze ich sie Wert, aber schön finde ich sie eigentlich nicht. :hmm:

    Nicht immer lassen sich Ästhetik und eine gewünschte Wirkung unter einen Hut bringen. Besonders Horrormotive, Surrealismus oder oben genannte gesellschafts- und geschichtskritischen Bilder sollen in der Regel gar nicht ästhetisch aussehen. Soll ein Motiv beispielsweise abschreckend wirken, bedrückend, angsteinflößend, verwirrend oder ekelerregend (um mal bei den Extremen zu bleiben), dann kommt man nicht drumherum, beim Aspekt Schönheit/Ästhetik Abstriche zu machen. Beziehungsweise wird es schwer, die gewünschte negative Wirkung aufrechtzuerhalten, wenn man sich vor „unschönen“ Bildelementen scheut.

    Mich würde daher interessieren, was euch als Zeichner und/oder Betrachter bei einem Bild wichtiger ist: Dass das Motiv das Ästhetikempfinden anspricht und befriedigt, oder dass eine Wirkung transportiert wird, auch wenn das bedeutet, zum Beispiel hässliche Figuren zu verwenden. Daran würde sich auch meine nächste Frage anschließen: Legt ihr Wert darauf, attraktive/optisch schöne Charaktere zu zeichnen oder darf es auch Quasimodo sein? ^^
    Kann euch eine Zeichnung überhaupt gefallen, wenn sie nicht auf Ästhetik ausgelegt ist? Empfindet ihr Spaß daran, unästhetische Dinge zu zeichnen?
    Oder ist euch eine Bildwirkung generell herzlichst Schnuppe?

  • Ich wuerde aus meiner Perspektive uneingeschraenkt sagen - wenn Du es schaffst, bei mir mit Deiner Zeichnung eine bestimmte Stimmung hervorzurufen - dann ist das (grosse) Kunst - da ziehe ich meinen Hut. Mir ist die Bildwirkung wichtiger als ob es attraktiv ist.

    Giger (der Alien-Designer) zum Beispiel kann ja Sachen machen die ich eklig, unheimlich oder abstossend finde - und das ist ziemlich schwierig, aber das ist zum Beispiel jemand der mich mit Sachen beeindruckt die ich nicht aesthetisch finde.

    Also, jemand der aesthetisch schoenes Zeug macht - das ist generell nett - aber wer wirklich ganz unterschiedliche Wirkungen bei mir hervorrufen kann, der hat's drauf.

    Da reift der Geschmack aber auch mit dem Alter, ich war nicht immer so :)

  • Das ist eine sehr intressante Frage. Ich hab da jetzt sehr drüber nachdenken müssen... nein, eigentlich: wollen.

    Als Zeichner versuche ich, eher "realistisch bis niedlich" zu arbeiten, allerdings zeichne ich sehr selten und dann auch meistens Figuren, die ich mag. Und es liegt vielleicht auch daran, dass ich wenig Zeit dafür erübrige, wirklich gut zeichnen zu lernen. Mir reicht, was ich kann, auch wenns nicht sonderlich viel ist...

    Als Betrachter hingegen bevorzuge ich eindeutig Bilder, die mir "etwas erzählen". Und dieses Etwas muss nicht schön sein und muschebubu. Es muss intressant sein. Und dazu gehören (für mein Empfinden) auch Ecken und Kanten, unschöne Dinge und vielleicht auch Widerwärtigkeiten. Wenn diese Details zum Bild passen, zu dem, was es erzählt, dann ist es genau richtig so.


    Und da ich eher Betrachter denn Macher bin, mach ich mein Kreuzel mal bei: WIRKUNG.... :)

    Der Unterschied zwischen dem, was Du bist und dem, was Du sein möchtest, liegt in dem, was Du tust.
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    Was würdest Du tun, wenn Du keine Angst hättest?

  • Ich bin mir grad am überlegen ob man Ästhetisch mit Schön gleichsetzen kann und würde eigentlich behaupten das auch ein nicht schönes Motiv ästhetisch sein kann. Wobei das natürlich auch eine sehr subjektive Sache ist. :hmm:
    (Spontan fällt mir hier Dali ein, ich würde viele seiner Bilder nicht als schön bezeichnen, eine gewisse Ästhetik würde ich ihnen aber nicht absprechen wollen)

    Grundsätzlich hängt das aber eh immer von der Intention des Künstlers ab. Wenn es primär um so viele Likes wie Möglich auf einschlägigen Plattformen geht (oder, um es etwas weniger überspitzt zu formulieren: Um feelgood-Motive, sowohl für den Betrachter als vielleicht auch für den Künstler selbst), wird man immer versuchen so niedlich/schön/wasauchimmer zu sein wie möglich zu sein und auch entsprechend fröhlich/leichte Motive wählen.

    Wenn man aber mit dem Bild aber eher etwas (nicht ganz so leichtes) aussagen will, was über "Ui, toll" hinaus geht, kommt man eigentlich nicht drum herum damit zu brechen. Bei unerfreuliche Themen wird entsprechend dann auch gerne mit einem bewussten Bruch des Ästhetikempfindens die Wirkung noch verstärkt...
    Nur wen will man damit dann erreichen?

    Falken haben doofe Ohren

  • Ich bin mir grad am überlegen ob man Ästhetisch mit Schön gleichsetzen kann und würde eigentlich behaupten das auch ein nicht schönes Motiv ästhetisch sein kann.


    Ich wuerde sagen ja - ich sehe Aesthetik als die Kunst des Bildaufbaus - Harmonie in der Aufteilung, innere Spannung, Zusammenspiel der Farben und von Hell und Dunkel,...

    Wenn das Motiv 'schoen' ist und das Bild aesthetisch ist, dann kommt ein 'schoenes' Bild raus (das dann viele Likes einsammelt - hier hier ist ein (public domain) Photo von einem Model das ich in diese Kategorie tun wuerde.


    Wenn das Motiv nicht schoen ist, aber der Kuenstler trotzdem das Handwerk beherrscht, dann kommt ein Bild raus das interessant ist - diesen alten Mann wuerde ich in die Kategorie tun.

    Wenn dann Aesthetik auch noch gebrochen wird, dann wird's fuer den Betrachter schwierig - Capa's Falling Soldier zum Beispiel hat ganz sicher keine aesthetische Bildaufteilung oder besondere Hell-Dunkel Harmonie, aber grade die Abwesenheit von Aesthetik spielt hier mit dem Motiv selber zusammen und verstaerkt die Botschaft - das Bild hat Ausstrahlung, es transportiert eine starke Botschaft - und deshalb ist Capa eben als Photograph bekannt geworden - auch wenn er auf Instagram damit vermutlich nicht viel erreichen koennte.

    Nur wen will man damit dann erreichen?

    Ist wie beim Lesen - Leute die das andere schon satt haben. Ein Erstleser mag klare Verhaeltnisse, die Guten und die Boesen - jemand schon mehrere Jahrzehnte liest mag ambivalente Charaktere, uneindeutige Situationen, raetselhafte Plots die nie ganz aufgeklaert werden...

    Wenn ich so und so viele 'schoene' Bilder gesehen habe mag ich irgendwann die interessanten, und wenn ich die kenne, dann kann ich mir auch die starken erschliessen. Geschmack entwickelt sich durch hinschauen / hinhoeren / Lesen... ;)