Schrecklich Schön

Es gibt 3 Antworten in diesem Thema, welches 1.764 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (7. September 2020 um 12:31) ist von Feron.

  • Der folgende Text ist eine Fan-Fiktion Kurzgeschichte im Setting von Vampire die Maskerade, meinem Lieblings Horror-Drama. Die Story selbst ist ein paar Jahre alt, aber ich überarbeite sie gerade, da ich in der Zeit natürlich weniger schlecht im Schreiben geworden bin und das gerne auch zeigen möchte.

    Wie auch bei „Fluch der Kerze“ ist das genau meine Komfort-Zone, mit Zimmerservice, Whirlpool und Blick aufs Meer. Einfach purer, miserabler Spaß.

    Es ist diesmal so verfasst das man der Handlung folgen kann ohne das Spiel zu kennen. Ich hoffe es gefällt, scheut euch aber auch nicht mich zu kritisieren wenn ihr möchtet.


    Schrecklich Schön


    Ich erwache jede Nacht in einem Raum ohne Fenster und das erste was ich sehe, wenn ich meine Augen öffne, ist das Gesicht des Mannes der mich ermordet hat. Dennoch lege ich meine Stirn zurück an seine Schulter und klammere mich fest an seinen Arm bis auch sein Schlummer endet.

    Der Zustand indem er jetzt ist hat nichts mit dem Mann gemeinsam der er in einer halben Stunde sein wird. Seine Haut ist bleich wie Kreide und ich weiß wenn ich sie berühren würde wäre sie kalt. Er liegt friedlich da, ganz so als hätte er die Zeit und die Natur niemals betrogen.

    Solange bis die Sonne den Horizont passiert hat und ihr Licht uns nicht mehr erreichen kann, sind wir wahrhaft tot; starre, leblose Körper, in den Kellern prunkvoller Anwesen und uralter Burgen vor unseren Feinden und Rivalen versteckt. Aber wir erwachen. Jüngere, wie ich es bin sehr früh und unsere Ältesten kurz nach uns.

    Er hat dieses Haus vergrößert als ich her kam und mir eigene Räume angeboten, aber ich bin dort niemals eingezogen. Diese wenigen Minuten in denen er mir ausgeliefert ist, in denen er ein Objekt ist und ich keines mehr, sind alle Freiheit die ich noch habe. Eines Nachts werde ich erwachen, in diesem Raum ohne Fenster, versteckt im Keller dieses prunkvollen Anwesens und ich werde eine Waffe in den Händen halten. Aber nicht heute, wahrscheinlich nicht einmal in diesem Jahrzehnt.

    Ich schaue über meine Schulter hinweg zu dem kleinen Wecker auf meinem Nachtisch. Einundzwanzig Uhr und achtunddreißig Minuten. Jeden Moment. Geduldig warte ich ab bis ich fühle wie sich seine Finger um meinen Handrücken schließen. Seine Augenlieder flimmern. Er dreht sich zu mir und der Blick seiner silbrig-blauen Augen trifft den meinen.

    „Hast du gut geschlafen?“ Flüstert er. Ich nicke ihm höflich zu. Er fragt das jedes Mal obwohl er weiß dass mein Schlaf traumlos ist und dass mein Bewusstsein ohne Umweg zu dem Moment zurückehrt in dem die Tag-Ruhe Besitz von mir ergriffen hat. Als es das erste Mal passiert ist hat es sich angefühlt als würde ich langsam auf den Grund einer tiefschwarzen Teer-Grube sinken. Als würden mir meine Sinne und mein Verstand mit Gewalt entrissen. Und so ist es bis heute. Alles was sich verändert hat ist dass ich keine Hoffnung mehr habe dagegen ankämpfen zu können. Es ist ein Instinkt dem wir uns fügen müssen wie so vielen Trieben in uns. Manchmal glaube ich dass er einfach nur Ehepaar spielen will und dass ich bloß hier bin damit er sich selbst vormachen kann er wäre normal.

    Schönheit ist ein zu schwaches und zu gewöhnliches Wort um ein Wesen wie Vincent Darthmoor zu beschreiben. Wenn er einen Raum betritt oder eine Begrüßung äußert ist es als würde sich ein gefeierter Schauspieler auf einer großen Bühne einfinden. Alles an ihm von seinem Erscheinungsbild, über die Art wie er sich bewegt bis zum Klang seiner Stimme ist vollkommen, ein Spiel von atemberaubender, natürlicher Eleganz, Maskulinität und Selbstbewusstsein das einen Betrachter in dem Glauben zurücklässt jede Abweichung von ihm müsse ein Makel sein.

    Alle Augen und Ohren richten sich von selbst nach ihm und er schwimmt in dieser Aufmerksamkeit wie ein Fisch im Wasser. Sich in ihn zu verlieben ist unwahrscheinlich einfach auf dieselbe Art und Weise wie der Köder in einer Falle scheinbar immer einfach zu erreichen ist.

    Zwischen dem was ich für ihn fühle und dem was ich über ihn denke klafft eine tiefe Schlucht. Es liegt in unserer Macht und der unseres Clans in willigen oder unwilligen Opfern Gefühle von Hingabe, Freundschaft und abgrundtiefer Liebe zu wecken. Eine Faszination so tief das wir uns zum Zentrum ihrer Welt machen, bis wir alles von ihnen bekommen was wir brauchen oder wollen. Ich kann jemandes beste Freundin sein, der man nur zu gerne jedes Geheimnis anvertraut, eine Geliebte für deren Gunst man töten würde oder ein Youtube-Idol das seinem Publikum erzählt welche Sachen sie kaufen oder welche Clubs sie besuchen sollen. Das ist was wir tun.

    Ich weiß er manipuliert auch mich. Den Bann zu brechen und diese eingepflanzte Ergebenheit ab zu schütteln ist möglich, aber ich fürchte mich vor dem was zurückbleibt wenn es mir gelingt diese wunderschöne Illusion zu zerstören. An seiner Seite bin ich zumindest sicher vor Jägern und all den anderen Feinden, die uns aus dieser Welt tilgen wollen.

    Der Mensch der ich war liegt beerdigt in einem leeren Grab. Sich sterblichen als das zu offenbaren was wir wirklich sind ist streng verboten. Meine leibliche Familie und meine alten Freunde sind Kollateralschäden die nur darauf warten zu passieren. Ich habe sie mir aus dem Herzen gerissen und sie glauben lassen ich wäre bei einem Autounfall gestorben. Niemals wieder wird mich jemand bei meinem richtigen Namen rufen. Das Alias „Jacky“ schützt uns jetzt und verhindert das meine entzückenden Artgenossen sie benutzen um mich zu erpressen oder schlimmer noch: das sie mich wiederfinden und so die Maskerade brechen die wir verzweifelt aufrecht erhalten.

    Der einzige der meinen Schmerz versteht ist derjenige der ihn verursacht hat. Aber wo und wie würde ich überleben wenn nicht in seiner Zuflucht? Das was ich bin wird von unseresgleichen „Küken“ genannt, einer von uns der zu jung und zu unerfahren ist um sich sicher zwischen den anderen Raubtieren zu bewegen oder auf Bedrohungen von außen zu reagieren. Man kann von diesem Zustand von unseren Anführern freigesprochen werden, aber ehe es so weit ist sind meine Rechte und Möglichkeiten sehr überschaubar. Man gestattet mir meine Existenz fort zu setzen solange mein Erzeuger es wünscht. Mehr nicht. Diese Gesetze sind in Stein gemeißelt oder viel mehr in die Gedanken Jahrhunderte alter Monster, den Ahnen, die Veränderungen noch weniger schätzen als Sonnenlicht auf ihrer fahlen Haut. Dagegen zu protestieren ist so sinnlos und so schmerzhaft wie seinen Kopf gegen eine Mauer zu schlagen.

    Ich stehe auf, kämme mein Haar und tausche mein Nachthemd gegen eine bequeme Jeans, eine weiße Bluse und eine Korsage ein. Früher mochte ich diese Dinger nicht, weil ich das Gefühl hatte darin nicht richtig atmen zu können. Nun habe dutzende davon und schnüre sie mit Wonne so eng ich will.

    Wir beide zwingen unser kaltes, dunkles Blut zurück in die feinen Adern unter unserer Haut und stellen den Glanz und die Röte in unseren Wagen wieder her, bis wir unserer Beute so ähnlich sind, das niemand Verdacht schöpft, egal wie nahe sie uns sind. Und sie wollen uns nahe sein, denn wir gehören zum Clan Toreador, personifizierte Leidenschaft, Schönheit und Macht.

    Ich lege Make-Up auf das etwas zu hell für mich ist, damit man den Aufwand auch in dunkleren Räumen noch wahrnimmt und wühle in einer Schublade, die bis zum Rand mit geschenktem Goldschmuck gefüllt ist nach den schönsten Stücken.

    „Zieh bitte was Nettes an, Liebling. Heute ist Versammlung“, erinnert er mich zum dritten Mal, während er seine Krawatte bindet. Seine Stimme ist sanft und er sagt `Bitte` aber ich weiß sehr wohl das ich dieses Zimmer nicht verlassen werden, bis ihm gefällt was ich trage. Die Jeans landet zielsicher im Mülleimer und ich schlüpfe stattdessen in einen knielangen, schwarzen Rock. Ungerne gestehe ich mir ein dass er Recht hat. Es sieht besser aus. Er legt seine Lieblings-Armbanduhr an und grinst. Er schaut zu mir herüber, als ob er meine Gedanken gelesen hätte, was er wahrscheinlich hat.

    Sobald wir fertig sind reicht er mir seinen Arm und begleitet mich durchs Treppenhaus nach oben in einen Flur mit Marmor-Fließen und hohen Fenstern aus kugelsicherem Glas. Mit meinen geschärften Sinnen blicke ich hinauf in meinen geliebten Sternenhimmel und sammle langsam die Kraft die ich brauche um eine weitere Nacht zu überstehen ohne schleichend den Verstand zu verlieren.

    Sasha, einer unserer Tagwächter, erwartet uns in der Einfahrt neben einem weißen Mercedes. Sommertage sind hart für unser Gefolge. Man sieht ihnen die Überstunden an und ich bin kaum über die Türschwelle, da kommt mir schon der Kaffee-Geruch entgegen, der ihm aus jeder Pore trieft. Er macht den Rücken gerade als er uns sieht und versucht sich sein Elend nicht anmerken zu lassen. Er hat es fast geschafft. Wenn wir das Haus verlassen kann er sich endlich ausruhen. Sollte jemand dumm genug sein bei Nacht an zu greifen kümmern wir uns selbst darum und halten die weichen Ziele aus der Schusslinie. Es ist ein bitteres Stück Ironie das mein Guhl jederzeit bereit ist sich für mich in eine Kugel zu werfen obwohl nur er sich dabei tödliche Wunde zuziehen kann.

    Er verneigt sich höflich vor uns und übergibt Vincent die Auto-Schlüssel und auch zwei Pistolen, die er ein paar Mal in seiner Hand dreht und dann unter dem Mantel verschwinden lässt. Die Bewegung ist so schnell das ich sie nur verschwommen verfolgen kann.

    „Ihr seht wundervoll aus, Miss Jacky“. Ich trete einen Schritt näher greife seine Hand und schaue ihm tief in die Augen. Sein korrumpiertes Gehirn wird jedes Wort das ich an ihn richte aufsaugen wie ein Schwamm, also darf ich keinen Interpretations-Spielraum lassen.

    „Wir haben in den letzten Wochen viel von dir verlang und ich will nicht das deine Gesundheit leidet. Nimm dir morgen früh den blauen Oldtimer der in der Garage steht, mach den Tank voll und fahr nach Hause zu deiner Mutter. Bleib zwei Wochen da und lass sie sich um dich kümmern.“

    Er nickt. „Sehr wohl, Miss Jacky.“ Vincent mustert mich amüsiert, sagt aber nichts. Er hält mir die Beifahrertür auf und ich lasse mich in den luxuriösen Leder-Sitz sinken. Er schnallt sich an, drückt aufs Gaspedal und telefoniert mit seinem Smartphone, während er die kurvige Einfahrt runter lenkt.

    „Hey. Bist du zu Hause?“ Meine Augen verdrehen sich bis sie fast unter den Liedern verschwinden. Die Frau am anderen Ende heißt Alice. Er hat sie dazu gebracht ihren Verlobten zu verlassen und diese merkwürdige Hippie-Religion auf zu geben die sie vorher hatte. Eigentlich sollte ich Mitleid haben aber sie hat es ihm so dermaßen einfach gemacht. Und jetzt sitzt sie da, allein in ihrer winzigen Wohnung und tut vermutlich nichts mehr außer auf das Telefon zu starren und sehnsüchtig darauf zu warten dass er sich bei ihr meldet. Diese blöde, naive Kuh steht auf der Speisekarte, sie weiß es nur nicht. Er könnte sie genauso gut gleich zu uns einladen und sie in einem Käfig halten.

    Nachdem ich einmal beobachtet habe wie er das jemandem antut, habe ich entschieden niemals so tief zu sinken. „Nicht ganz so grauenvoll zu sein wie du theoretisch könntest macht dich nicht gut“ hat man mir gesagt. Trotzdem klammere ich mich an den schwindenden Rest Menschlichkeit in mir und unternehme zumindest den Versuch nicht mehr Leid zu verursachen als ich muss, auch wenn ich tief im Inneren weiß das es für die Menschheit im allgemein besser wäre ich würde einen von ihnen dazu bringen mich zu köpfen.

    Wir fahren in die Innenstadt. Bunte Neonschilder leuchten überall um mich herum und wir sind bald umgeben von Nacht-Clubs und Diskotheken deren Musik bis nach draußen auf die Straße dröhnt. Vincent hat das Fenster runter gekurbelt und lässt seinen linken Arm auf der Tür ruhen. Er liebt schnelle Autos und wenn er könnte würde er vermutlich noch eine Sonnenbrille auf setzen um den Jugendlicher-Millionärs-Look zu vervollständigen. Er fährt rechts ran, lässt den Motor aber weiterlaufen damit Passanten die an uns vorbei gehen nicht hören können was wir sagen.

    „Ich schmeiß dich hier raus, Liebling. In einer halben Stunde hole ich dich wieder ab und wir fahren weiter zum Elysium.“

    „Liebster?“ Frage ich und versuche ihn mit traurigen Augen weich zu klopfen. „Ich würde lieber nicht mit dir kommen. Die Schwächste im Raum zu sein macht keinen Spaß und du hast Alissa immer noch nicht gebeten meinen Rang zu erhöhen, wie du es versprochen hast.“

    Meine Kräfte sammeln sich und ich strecke sie wie eine unsichtbare Klaue nach seinem Verstand aus um auf meine Seite zu ziehen. Wenn ich Erfolg habe wird er kompromissbereiter sein und meine Argumente werden ihm vernünftig und sinnvoll vorkommen, als hätte er von Anfang an selber darauf kommen sollen.

    Er lässt seine kalte Hand auf meiner Wange ruhen und schaut für einige Augenblicke nachdenklich aus dem Fenster. Dann kurbelt er die Scheibe hoch und schaut mich mit seinen stechenden blauen Augen an.

    „Elysium ist nur der Ort an dem wir mit Worten kämpfen anstatt mit Waffen. Das hat mit Spaß nichts zu tun sondern mit Politik und dem Wunsch mit so wenig Blutvergießen wie möglich nebeneinander zu leben. Dich frei sprechen zu lassen würde nichts ändern, außer dass man höhere Erwartungen an dich stellt und das du allein dafür gerade stehen müsstest wenn du die Regeln brichst.“

    Ich komme mir von einer Sekunde auf die nächste unheimlich kindisch vor. Wir müssen uns alle auf dem neutralen Boden gegen andere unserer Art behaupten und ihren Respekt verdienen. Wie konnte ich bloß denken ich bekäme eine Ausnahme? Ich schäme mich, will seinem Blick ausweichen, aber sein Griff wandert von meiner Wange an mein Kinn und er lässt mich nicht los.

    „Weißt du meine Hilfe den gar nicht zu schätzen, Jacky? Bin ich so ein schlechter Mentor?“

    In dem Moment in dem ich die Fragen sacken lassen, kämpfe ich bereits damit nicht vor ihm in Tränen aus zu brechen. Fast schon automatisch stammele ich eine Entschuldigung. Er nimmt sie an aber der Unterton in seiner Stimme signalisiert deutlich, dass das letzte Wort in dieser Sache noch nicht gesprochen ist. Endlich darf ich aussteigen. Mit quietschenden Reifen lasse ich ihn weg fahren und schaue ihm hinter her bis der Wagen hinter einer Kreuzung verschwindet.

    Seit ich aufgewacht bin ist schon viel Zeit vergangen. Ich kann fühlen wie sich Unruhe in mir ausbreitet und wie stark meine Sinne auf die Stimmen, die Bewegungen und den Geruch von Menschen eingestellt sind. Wir nennen es „Hunger“, aber es ist mit dem Mangel an Nahrung, wie Sterbliche ihn kennen, nicht zu vergleichen und auch nicht mit dem Verlangen eines Süchtigen nach seiner Droge. Ich stelle es mir wie ein anderes Wesen vor mit dem ich meinen Körper teile seit ich wiedererweckt wurde. Wenn es seinen Willen zu lange nicht bekommt krallt es sich in meine Eingeweide und in mein Gehirn, überschwemmt meine Gedanken mit seinem Flüstern und versucht die furchtbaren Dinge zu rechtfertigen die wir tun müssen um an frisches Blut zu kommen. Es zerrt jede wache Minute an meinem Geist. Dieses Wesen, dieses Tier kennt kein Mitleid weder mit unseren Opfern noch mit meinem Gewissen und es gewinnt immer. Es will immer mehr egal was die Konsequenzen sind. Wenn es mich mitten auf der Straße überwältigt gibt es keine Maskerade mehr, nur warme, pulsierende Körper in die es seine Zähne schlagen kann.

    Oh, seine Stimme ist verlockend! Wenn meine Fänge die Haut durchbohren und ich mich endlich in tiefen Schlucken satt trinken kann durchströmt mich wieder die Wärme des Lebens die ich verloren habe und ich bin frei von der fremden Stimme die versucht mich zu lenken. Ich werde das Tier und es fühlt sich so unglaublich richtig an. Es führt mich zu einen der wenigen Glücksmomente die ich überhaupt noch empfinden kann. Es gibt nichts Wichtigeres für uns.

    Jeder Mensch hat in seinem Leben mindestens einmal einen blutenden Finger an seine Lippen geführt um über die Wunde zu lecken und zu sehen wie tief der Schnitt geht. Aber dieser schwache, salzige, metallische Geschmack ist nicht das was wir wahrnehmen wenn wir trinken. Das erste was meinen Gaumen erreicht ist pure Energie, die Lebenskraft meiner Beute die mich durchdringt und erfüllt wie ein elektrischer Schlag. Ich kann alles schmecken was mit dem Blut vermischt ist, Alkohol, Drogen oder Medikamente. Ich kann sogar betrunken werden wenn ich es drauf anlege. Aber auch die Angst die sie fühlen dringt zu mir durch, wenn ihre Organe vor Sauerstoffmangel zu versagen drohen.

    Der einzige Weg um keine Spur aus Leichen hinter mir her zu ziehen, wenn ich durch die Nacht streife ist nach zu geben solange ich noch klar denken kann. Wenn ich das tue ist es mir gerade so möglich mich zu zügeln und von meiner Beute ab zu lassen ehe sie ihrem Blutverlust erliegen. Ihre Erinnerungen sind schwammig wenn sie wieder aufwachen. Ich weiß nicht genau warum das funktioniert aber ich vermute das es etwas in meinem Speichel ist das sie benommen macht und auch dafür sorgt das die Bisswunden schnell verheilen. Selbst das alles befriedigt das Biest nur für wenige Stunden. Ich habe keine Wahl als ein oder zwei Nächte später nochmal auf die Jagd zu gehen, von diesem Moment an bis zum Hitze-Tod des Universums.

    Der nächste Club zu mir ist das „Rose-Gold“. Er gehört einer von uns, daher kann ich mich darauf verlassen das die Kameras im Untergeschoss großzügige, tote Winkel haben, in die ich mich zurückziehen kann wenn ich etwas tue bei dem ich nicht gefilmt werden will.

    Ihr Name ist Darthia. Vincent und sie kennen sich, aber soweit ich es weiß haben sie Streit. Sie hat mir erlaubt hier zu jagen, ihm aber nicht, was mir im Augenblick sehr gelegen kommt. Ohne ihre Zustimmung würde ich nicht wagen einen Fuß in ihr Territorium zu setzen. Zum selben Clan zu gehören ist längst keine Garantie dass man toleriert wird, geschweigenden mit Hilfe rechnen kann wenn man in Not ist. Vertrauen ist rar unter Monstern. Die Schlange am Eingang ist lang und meine Zeit ist knapp also gehe ich direkt zum Tür-Steher.

    „Ich bin mit meinen Freunden hier.“

    Sage ich lässig und werfe ein Bündel Fünfzig-Euro-Scheine auf das Klemmbrett das er hält. Geld ist wertlos für mich. Ich kann jederzeit mehr besorgen. Er nickt mir zu und findet auf wundersame Weise plötzlich einen blanken VIP-Pass von dem er weiß dass er für mich bestimmt ist.

    Drinnen ist es warm und ich kann den Bass der Musik fühlen wie er zwischen meinen Rippen wiederhallt. Es ist Freitagabend und die Leute belohnen sich selbst für die Woche harte Arbeit die hinter ihnen liegt, indem sie ausgelassen feiern und gnadenlos ausnutzen das sie am nächsten Tag nicht nüchtern sein müssen, indem sie tun was auch immer sie zuletzt in einen Jägermeister-Werbespott gesehen haben. Ich lasse den Blick über die Menge schweifen und finde, in einer Ecke sitzend, die armseligste Kreatur im ganzen Gebäude.

    Der Kerl steht auf der Brücke zwischen Jugendlichen und Erwachsenem und scheint sich nicht für eine Seite entscheiden zu können. Auf seinem schwarzen T-Shirt steht in roter Druckschrift „You`re going to hell anyway!“ und er trägt eine silbernes Piercing in seiner Unterlippe aber er klammert sich an eine Flasche Mineralwasser und schaut abwechselt zwischen einer kleinen Gruppe feiernder Kollegen und der Uhr auf seinem Handy hin und her. Man muss kein Meister Detektiv sein um zu bemerken dass er gar nicht hier sein will. Seine Freunde haben ihn vermutlich gedrängt mit zu kommen weil er der einzige ist der schon vernünftig Auto fahren kann und der sowieso zu erwachsen für bunte, zuckrige Drinks ist.

    Heute ist dein Glückstag, Süßer. Du tanzt mit mir! Meine Anspannung verfliegt und ich schreite in gerader Linie über die Tanzfläche zu ihm. Natürlich werde ich angesprochen, sogar von treulosen Halbstarken die eigentlich mit ihren Freundinnen hier sind. Ich liebe den Moment wenn ich höflich ablehne und ihr blick daraufhin schuldbeladen zu ihrer Herzensdame zurückwandert, die nicht selten durchblicken lässt das sie lieber wieder Single sein will. Manchmal gehe ich auch gleich mit ihren versetzten Dates weg, um Salz in die Wunde zu reiben, aber nicht heute.

    Die Rock-Ballade die gerade spielt geht auf ihr Ende zu. Wenn er nicht schüchtern ist haben wir das nächste Lied für uns. Er schaut zu mir auf und sieht sich dann zu den Seiten um, als ob er nicht glauben könnte dass ich ihn meine. Meine Stimme ist leise, fast schon ein Flüstern, aber das spielt keine Rolle. Seine Aufmerksamkeit gehört mir. Kein einziges Wort wird ihm entgehen.

    „Wenn ich unter allen Leuten in diesem Club dich auswähle, würdest du meine Hand nehmen und mit mir tanzen?“

    Er nickt, stellt seine Wasserflasche beiseite und lässt sich unter den eifersüchtigen Blicken seiner Freunde von mir auf die Füße ziehen.

    Das nächste Lied gefällt mir nicht besonders, aber mein Tanz-Partner tut es. Er ist ein durchschnittlicher Tänzer aber ich kann vom ersten Takt an fühlen wie er seine ganze Energie in jede Bewegung legt, völlig gleich ob sie ihm perfekt gelingt oder nicht. Er ist selbstsicher in dem was er tut; ein seltener Fang. Er darf ein paar Selfies mit mir machen, aber der Name und die Nummer die ich ihm gebe sind falsch. Ich brauche keinen weiteren Verehrer, nur sein Blut.

    Wenn ich mir sicher bin das es keinen Verdacht mehr erregen wird ihn von seinen Freunden weg zu locken, führe ich ihn an der Bar vorbei in einen ruhigeren Bereich mit ein paar gepolsterten Bänken. Ich setze mich auf seinen Schoss und küsse ihn auf die Lippen, bis auch der letzte Gaffer den Hinweis versteht und sich peinlich berührt abwendet, um uns nicht weiter zu stören. Mit den Fingerspitzen fahre ich sachte durch sein dunkles Haar und ich bringe ihn dazu seinen Kopf auf die Seite zu legen. Nicht ganz eine Minute vergeht ehe ich meine Fänge ausfahre und mir nehme was ich brauche.

    Früher als das alles noch neu für mich war hat Darthia mir oft mit frischer Kleidung ausgeholfen, damit die blutigen Flecken an meinem Kragen mich nicht verraten, während Vincent am Telefon energisch mit einem Mann gesprochen hat, dessen Stimme jedes Mal enttäuscht klag. Inzwischen ist mir bewusst dass er damals Leichen für mich beseitigt hat. Aber das wird sich nicht wiederholen.

    Als ich ihn auf dem Polster liegen lasse ist er bewusstlos, aber er atmet und er wird sich erholt haben, noch ehe der Club schließt. Seine Freunde werden es auf Überarbeitung oder auf Alkohol schieben. Es ist alles gut.

    Eigentlich bin ich auf dem Weg nach draußen, aber meine Nackenhaare stellen sich unangenehm auf. Mein Instinkt sagt mir dass ich beobachtet werde.

    (Fortsetzung folgt.)

  • Eine grazile Hand berührt meine Schulter. Silberner Schmuck glitzert in den flimmernden, blauen Lichtern der Tanzfläche. Der Hauch eines eleganten Parfüms kommt mir entgegen und ich weiß wer sie ist ohne mich um zu drehen. Meine Gastgeberin ist hier.

    Sie lächelt mich an und versucht mich zu begrüßen aber ich kann ihre Stimme über die Rock-Musik die im Hintergrund dröhnt nicht hören. Sie deutet auf sich selbst, dann auf mich und dann zu einer Tür hinter der Bar. Warum will sie mich sprechen? Habe ich etwas falsch gemacht? Ich signalisiere ihr mit Handzeichen zu warten und angele mein Handy aus der Tasche um auf die Uhr zu schauen. Und stelle ohne große Überraschung fest dass ich eigentlich keine Zeit für sie habe.

    Darthia streift eine störende Strähne aus ihrer langen, schwarzen Mähne zurück hinter ihr linkes Ohr und holt ebenfalls ihr Handy heraus. Sie textet etwas. Die Bewegung ihrer Finger auf den winzigen Tasten ist so schnell und präzise, dass sie für meine Wahrnehmung verschwimmt. Bislang habe ich sie nicht kämpfen gesehen aber ich kann anhand dieser Kleinigkeit bereits erahnen was sie mit einem Messer oder gar einem Schwert anrichten würde.

    Wenige Sekunden später trifft ihre Nachricht bei mir ein. „Du darfst es auf mich schieben wenn du zu spät bist. Komm jetzt!“ Hinter dem Text flattert ein pinkfarbenes Fledermaus-Emoji. Mir gefällt wie gut sie mit dem Fortschritt der Technik zurechtkommt. Viele von uns bleiben wenn sie alt werden in der Zeit stehen und finden sich irgendwann in einer Welt wieder die sich ohne sie weiter gedreht hat, bis sie kaum noch als moderne Menschen durchgehen, aber nicht sie. Sie liebt ihre Spielsachen besonders jene mit denen sie Kontakte knüpfen und aufrechterhalten kann, charmant und gesellig wie sie ist.

    Sie entfernt sich von mir und geht ohne ab zu warten ob ich folge oder nicht. Schließlich entscheide ich mich für die Tür hinter der Bar, die hinter mir ins Schloss fällt und den Lärm und die Lichteffekte aussperrt. Ich habe nicht gesehen in welche Richtung sie durch die Flure gegangen ist aber ich kann ihre hohen Absätze auf den Fliesen hören und orientiere mich daran, bis ich sie vor ihrem Büro gefunden habe.

    Sie hält mir die Tür auf und schließt sie sehr knapp hinter mir wieder. Mir ist das vertraut. Wir tun das um zu verhindern dass sich verdunkelte Nosferatu hinter uns durch die Eingänge schleichen. Ihre Clan-spezifischen Talente können das Auge täuschen und sie unsichtbar an den Sterblichen und an uns vorbei gehen lassen, als ob die ganze Welt für sie blind wäre. Aber um etwas zu greifen oder zu bewegen, wie die Klinke einer Tür zum Beispiel, müssen sie in Kauf nehmen das man ihre grässlichen Fratzen doch sieht. Natürlich sind auch sichtbare Exemplare dieser Kanalratten alles andere als harmlos, aber ich glaube nicht das ihr Hass auf uns weit genug geht um mich unprovoziert an zu greifen, besonders hier. Dennoch scheint Darthia sich mehr um die Schrecken in den Schatten zu sorgen als sonst.

    Ich bekunde meinen Respekt und neige sachte den Kopf, wie ich es gelernt habe. Sie nimmt meine Geste zur Kenntnis und bietet mir einen Platz an ihrem Schreibtisch an.

    „Du siehst toll aus. Ich beneide dich um deine hübschen, langen Wimpern. Wirklich!“ Meint sie und schmunzelt. Das Kompliment alarmiert mich. Sie will irgendetwas. Sie erkundigt sich zuerst wie es mir geht und hört mir tatsächlich gebannt zu als ich die letzten paar Nächte zusammenfasse. In Gedanken zähle ich aber schon den Countdown runter. Drei, zwei, eins…

    „Ich will dich um einen Gefallen bitten, Jacky.“ Ich hebe abwehrend die Hände und schüttle den Kopf. Geld bedeutet in unserer Welt sehr wenig, weil es uns leicht fällt unsere Taschen und Tresore damit zu füllen, Gefallen aber sind unsere eigentliche Währung. Wenn ich jemandes Hilfe erbitte und sie bekomme wird erwartet dass ich diese Abmachung ehre und den Aufwand oder das Risiko ausgleiche sobald mein Wohltäter die Schulden einfordert. Je mehr ich geben kann und je weniger ich auf andere angewiesen bin, desto mächtiger bin ich. Und wehe denen die nicht bezahlen können oder wollen.

    „Küken dürfen das nicht. Du musst Vincent fragen.“ Sie greift über den Tisch und legt ihre Hände in meine. Ihre Augen sinken kurz nach unten. Ich kann die Zahnräder in ihrem Kopf geradezu rattern hören. Sie scheint nicht auf Widerstand gefasst gewesen zu sein. Ich fange an direkten Blickkontakt zu vermeiden. Mir ist klar wie dämlich das aussehen muss, aber ich lasse sie auf keinen Fall ihre Kräfte benutzen um mich in eine ihrer Fehden zu verwickeln.

    „Erzeuger dürfen ihre Küken auch nicht über Jahre hinweg im Rang zurück halten, aber hier bist du und traust dich nicht wie richtige Toreador mit deiner Schwester zu handeln.“

    Sie kramt in einer ihrer Schubladen und präsentiert mir einen hellgrünen USB-Stick mit einem zerschlissenen, weißen Etikett auf dem „K.G.“ steht. Das Plastik hat einen merkwürdigen Geruch angenommen. Er ist mir vertraut aus meinem früheren Leben, immer dann wenn es draußen warm ist und man zu dicht an einem Gully-Deckel vorbeigeht.

    „Ein Nosfertu ist vor zwei Tagen an meinem Computer gewesen. Es war Smoke, der Kleine mit den hängenden Ohren und den Glubschaugen. Hat vermutlich versucht die Festplatte zu kopieren aber ich hab ihn erwischt. Er ist geflüchtet und hat das da aus Versehen liegen gelassen.“

    Sie schiebt den Stick ein Stück in meine Richtung, aber ich hebe ihn nicht auf. Ich will die Aufmerksamkeit dieser stinkenden Mistkerle nicht.

    „Der Inhalt ist verschlüsselt. Ich kann ihn nicht lesen aber die Kanalratten betreiben unheimlichen Aufwand um ihn wieder zu bekommen, also muss es etwas Wichtiges sein. Ich habe einen Freund der das eventuell hin bekommt, aber jemand den sie gerade nicht stalken muss den Stick vorbei bringen.“

    „Nope! Du solltest es ihnen einfach zurückgeben.“ Ich bin bereit zu gehen. Dieses Ding könnte genauso gut eine Bombe oder ein Reagenzglas voller Viren sein. Es bedeutet Ärger, es bedeutet Feindschaft es bedeutet Blutvergießen und sie sucht jemanden der den Kopf für sie hinhält, für ein Kleinod das unter Umständen keinen Wert für uns hat. Ich weigere mich sie an zu sehen. Ich mache das auf keinen Fall.

    „Du weist das ich dich auch nur mit meiner Stimme einlullen könnte wenn ich wollte, oder?“ Sie hört auf zu erklären und nimmt sich einen Moment Zeit um auch ziellos in den Raum zu starren und sich über mich lustig zu machen.

    „Dann ist der beste Zug den ich machen kann das Spielfeld zu verlassen.“ Entschlossen drücke ich mich von meinem Platz hoch und lasse den USB-Stick unberührt liegen.

    „Der Hüter des Elysiums schuldet mir einen Gefallen. Edward hat das Ohr des Prinzen.“ Obwohl ich mich eigentlich schon abgewandt und eine Hand nach dem Ausgang ausgestreckt habe, kann ich nicht anders als auf zu horchen. Will sie das vorschlagen was ich denke?“

    „Du verlässt das Elysium heute als Neonat und es gibt nicht was Vincent dagegen tun kann, dafür habe ich gesorgt.“

    Sie hat den Satz noch nicht zu Ende gesprochen da schnappe ich mit einer übermenschlich schnellen Handbewegung den USB-Stick und lasse ihn in meiner Handtasche verschwinden. Sie grinst und nickt zufrieden.

    „Ich wusste ich kann auf dich zählen. Erik wohnt direkt neben dem Krankenhaus.“

    „Denn kenne ich noch nicht. Welcher Clan?“ Erkundige ich mich vorsichtig. Sie winkt ab.

    „Malkarvianer, aber keine Bange bei ihm bemerkt man es kaum. Pass einfach auf das du keinen Dreck in seine Wohnung trägst und fass ihn nicht an.“

  • Wenn mein Herz rasen könnte würde es. Es gibt keinen Weg für sie mich in dieser Sache zu belügen oder aus zu tricksen. Die Elysiums-Versammlung ist in weniger als einer Stunde, sie muss ihren Teil der Abmachung also zuerst erfüllen. Für einige Augenblicke fürchte ich dass ich ein Clans-Talent abbekommen haben könnte aber das Verlangen nach Freiheit das ich fühle ist noch genau dasselbe mit dem herkommen bin. Ich würde zwanzig Nosferatu erschlagen um das möglich zu machen was sie mir praktisch zum Geschenk macht.

    „Du kannst mich jederzeit anrufen, meine süße, kleine Motte. Ich bin niemals zu beschäftigt um dir zu zuhören.“

    Ihre Stimme dringt zu mir durch aber meine Gedanken sind längst bei dem USB-Stick und den Geheimnissen die darin eingeschlossen sind. Ich verabschiede mich knapp und achte wieder darauf in der Tür keinen Platz für ungebetene Gäste zu lassen. Sie beobachten vermutlich den Club. Ich darf mir nicht anmerken lassen das ich einen Botengang für sie erledige. Auf dem Weg nach draußen tippe ich ihr eine weitere Nachricht, diesmal an eine Nummer von der wir wissen das die Kanalratten sie abhören.

    „Leg den Stick im Schließfach am Bahnhof ab. Ich überweise dir das Geld nach der Versammlung.“

    Natürlich haben wir kein Schließfach am Bahnhof aber die Nossis hassen Plätze mit vielen Menschen, weil sie sich ihnen nicht zeigen können ohne die Maskerade zu brechen, entstellte Freaks die sie sind. Sie werden ihrerseits einen Boten schicken müssen der für sie nachsieht. Das sollte sie beschäftigen und mir hoffentlich den Rücken frei halten bis ich fertig bin. Darthia versteht sofort was ich tue und antwortet mir von ihrem verwanzten Nokia-Handy aus.

    „Schließfach fünfzehn. Eine Freude Geschäfte mit euch zu machen.“

    Als ich das Gebäude verlassen habe sehe ich mich nach dem weißen Mercedes um.
    Vincent steht im Parkverbot vor einem Tabakladen und tippt mit den Fingern auf das Lenkrad. Als ich einsteige und mich anschnalle kann ich Alices Blut an ihm riechen. Seine Haltung ist entspannt und er bricht nicht in Schimpftiraden aus, weil er auf mich warten musste. So ist er mir an liebsten, satt und zufrieden.

    „Entschuldige, ich wurde aufgehalten.“

    Er winkt ab und startet den Motor. Wir folgen der Hauptstraße und biegen unter einer Autobahnbrücke ins Banken-Viertel, ab wo die Herrscherin unserer Domäne ihr Hauptquartier hat. Alissa lebt in einem Turm voller Bürogebäude, mit dem Rest der Stadt zu ihren Füssen. Das untere Stockwerk dieses Gebäudes ist Elysium, der neutrale Boden. Jedes Elysium hat einen Hüter der garantiert dass alles seine Ordnung hat. Edward, der das Amt momentan ausübt hat festgelegt dass wir unsere Waffen an der Tür abgeben müssen und dass Duelle wenn sie den sein müssen in der Tiefgarage ausgetragen werden. Abseits davon garantiert er uns allen dass wir sicher An- und Abreisen können.

    Natürlich reden und verhandeln die Clans auch außerhalb miteinander, aber die Versammlungen hier sind anders als diese kleinen, privaten Treffen. Wir verbringen unsere Nächte im Verborgenen aber auch wir sind eine Zivilisation mit Gesetzen, Politik und mit Kriegen die wir formal beginnen und beenden. Das Elysium ist ein Thronsaal, ein Gericht und ein Rathaus in einem. Hier wird man gesehen und gehört. Es ist unendlich wichtig hier zu sein aber es ist auch die denkbar größte Herausforderung. Man kann dort mit den richtigen Worten und Gesten Macht gewinnen, sie aber auch genauso schnell wieder verlieren wenn man das Missfallen der falschen Leute auf sich zieht.
    Auf der Straße ist ungewöhnlich viel los aber Vincent lässt sich scheinbar nicht vom Stress der anderen Autofahrer anstecken. Beiläufig fängt er eine Unterhaltung mit mir an. Er spricht natürlich perfektes Hochdeutsch aber wenn außer mir niemand da ist schwingt ein kaum hörbarer französischer Akzent mit.

    „Es nimmt mir übrigens eine große Last von den Schultern das du inzwischen routiniert jagen kannst, ohne dass ich in Sichtweite bleiben muss.“

    Autsch. Schon wieder eines dieser Nicht-Komplimente. Was braucht es bloß um mal ein Lob von ihm zu bekommen!? In solchen Momenten bin ich froh dass ich der einzige Neuzugang seit Jahren bin, sonst würde er mich bei jeder Gelegenheit die sich bietet mit den Küken der anderen vergleichen.

    „Ich habe über etwas nachgedacht.“

    Meine ich, klappe den Schminkspiegel runter und vergewissere mich das mein Liedschatten nicht verwischt ist. Er achtet auf die Straße bis die nächste rote Ampel kommt und wendet sich dann zu mir.

    „Ich verdiene einen Orden für all die frauenfeindlichen Witze über dich, die ich nicht mache. Erzähl mir alles was dir durch den Kopf geht, Liebling.“

    Mein Make-Up ist perfekt, wie immer. Da ist momentan nichts nach zu bessern.

    „Wir sind doch reich, oder?“ Frage ich. Er grinst.

    „Ich bin reich.“ Er deutet auf sich selbst. „Aber als dein Erzeuger stelle ich dir natürlich alles zur Verfügung was du brauchst. Also? Worauf hast du deine schönen Reh-Augen heute geworfen?“

    „Können wir uns nicht irgendwo eine Koppel kaufen und Rinder halten? Ich hab mit Robin von den Gangrel gesprochen und sie meinte das es möglich ist davon zu leben, wenn man will.“

    Er wird nicht blass. Er hat zu viel Selbstbeherrschung dafür aber seine Mundwinkel zucken kaum merklich hoch und ich sehe für einen Augenblick seine ausgefahrenen Fangzähne. Es ist noch keine Aggression aber kurz davor. Er drückt auf das Gaspedal durch und biegt schneller aus nötig um eine Kurve. Die Flugkraft drückt mich tief in den Sitz.

    „Hör zu, Jacky! Ich weiß was in dir vorgeht, tue ich wirklich, aber verwerf diesen Gedanken! Gangrel und Nosfertu können sich von Tieren ernähren weil sie keinen Kontakt zu Menschen haben. Die Nossis weil sie nicht können und die Gangrel weil sie nicht wollen. Tier-Blut ist schwach. Es kann dein Unleben erhalten wenn es sein muss aber das Monster in deinem inneren weiß genau welche Beute es eigentlich will. Du wirst nicht verhungern aber es wird sich trotzdem so anfühlen.“

    „Aber ich…“ Er streckt seine Hand aus und drückt mit den Zeigefinger auf die Lippen, ehe ich mehr sagen kann.

    „Du denkst du tust dem süßen Jungen im Rose-Gold einen Gefallen, aber du irrst dich. Toreador leben nicht in Kanälen, auf Schrottplätzen, oder allein in irgendwelchen ungepflegten Wäldern. Früher oder später bricht dein Hunger durch und es wird hier sein, in der Innenstadt umgeben von wehrlosen, schwachen Menschen die nicht einmal merken würden was sie erwischt hat wenn du über die herfällst. Seih schlau! Ich hab dir die beste Methode gezeigt damit fertig zu werden und so machen wir es!“

    Woher weiß er wo ich war!? Er redet für eine ganze Weile nicht weiter, hält mir aber immer noch den Mund zu. Das Argument das unser Clan mit den anderen nicht zu vergleichen ist stimmt. Robin und ihre Brüder und Schwestern leben fast immer an isolierten Orten, wo selten Leute vorbeikommen, die sie in Versuchung bringen würden. Ihr Wille ist vermutlich nicht stärker als meiner, aber ihre Aussetzer treffen eben bloß Weidetiere und Hirsche, deswegen bekommen wir es kaum mit. Vincent nimmt den Zeigefinger weg und lässt mich antworten.

    „Ich hab’s kapiert, danke.“

    Blaffe ich und verschränke meine Arme vor der Brust. Ich hab das alles so satt! Er seufzt nur und fährt auf den Parkplatz.

    „Willst du hören was Laffayett mir getextet hat während du weg warst?“

    Nein. Will ich nicht, aber er lässt mir nur die Illusionen von Entscheidungen wenn überhaupt.

    „Sicher! Schieß los!“

    „Du bist nicht mehr die Jüngste. Maiweiler bringt heute ein neues Küken mit und zeigt ihn Alissa.“

  • Wir kommen auf Parkplatz an, der immer viel zu groß wirkt weil hier nachts außer uns niemand parken darf. -Wir- das sind in dieser Stadt dreißig Personen von denen ich weiß, dreißig blutrünstige Raubtiere die praktisch auf einer Briefmarke zusammen leben müssen. Es ist niemals genügend Blut für alle da, zumindest ist es das was unser Instinkt uns sagt. Jeder der Ahnen kontrolliert sein eigenes Gebiet und lässt wenn er oder sie großzügig ist zwei oder drei Andere dort Jagen. Ich hatte mehr Glück als die meisten, das war von Beginn an offensichtlich. Die besten Stücke der Innenstadt sind Toreador-Gebiet und mein Erzeuger ist der Stärkste aus dem stärksten Clan. Wäre ich von einen anderen erschaffen worden hätte ich mich mit Zähnen und Klauen hoch kämpfen müssen und hätte ich diese geheime Welt clanlos betreten dann würde ich nicht bloß hungern sondern müsste jede neue Nacht um mein Unleben fürchten, da unsere Gesetze nur Clans-Vampire schützen.

    Vincent parkt den Mercedes und sein Blick ruht auf einer Limousine schräg gegenüber. Maiweiler ist schon hier. Die Diener unserer Gastgeberin passen gut darauf auf das sich hier zu dieser Zeit keine Sterblichen mehr her verirren, deswegen ist es hier nicht mehr so wichtig als Mensch durch zu gehen. Der alte Mann der aussteigt trägt eine Magier-Robe aus dunkelroter Seide und Brokat. Nicht nur das sie so aussieht es –ist- eine. Die Tremere sind nicht wie wir. Unsere Blutslinien, besonders meine, reichen Jahrtausende zurück, seine nicht einmal achthundert Jahre. Sie stammen nicht von den ersten Vampiren ab, sondern waren sterbliche Magier die versucht haben dem Tod durch ihre Magie zu entkommen, egal wie hoch der Preis war. Sie haben sich einen Platz in der Welt der Dunkelheit gestohlen und sich durch ihre Magie für die anderen Clans mit der unentbehrlich gemacht.

    Maiweilers Fahrer steigt mit ihm aus. Ich frage mich noch warum wir warten aber dann beugt er sich zum Fenster an der Rückbank des Wagens hinunter und spricht eine Anweisung durch die halb geöffnete Scheibe. Mein Willen schickt das Blut das mich durchströmt in meine Ohren. Ich schärfe meine Sinne und gebe mich ganz den Schallwellen hin die von der anderen Seite des Parkplatzes zu mir durchdringen. Vincent tut es mir gleich.

    „Bleib im Wagen und warte bis ich doch holen komme.“ Erklingt Maiweilers strenge, raue Stimme. „Verschließ die Türen und lass die Scheiben unten. Du bist ein Küken, niemand hat etwas von dir zu wollen, verstanden?“

    Eine jüngere, komplett verschüchterte Männerstimme antwortet ihm. „Darf ich mein Mobiltelephon benutzen während ich warte, Regend?“ Der Ahn nickt und verschwindet dann die enge Kellertreppe hinunter ins Elysium. Ein vorbeirasendes Motorrad reist mich aus meiner Konzentration weil ich den Lärm gerade hundertfach verstärkt höre. Brujah… ich hasse diesen Clan! Niemals leise, niemals subtil und niemals rücksichtvoll. Ich reibe mir die schmerzenden Schläfen während sie an uns vorbeifahren und sich freie Plätze suchen um ihre dröhnenden, stinkenden Bikes ab zu stellen. Vincent schaut mich an und nickt dann zur verschlossenen Limousine.

    „Du mochtest heute lieber nicht mitkommen oder?“ Der Schmerz lässt nach und das Pfeifen in meinen Ohren klingt langsam ab.

    „Hör auf zu fragen!“ Verlange ich. „Wenn du mich nicht entscheiden lässt dann gib mir nicht die Illusion! Mach den Käfig auf oder zu aber täusch mich nicht ständig! Hör auf mich…”

    Er legt den Finger auf meine Lippen „Schweig!“. Wieder ein Kopfnicken zu dem anderen Fahrzeug. „Das Tremer-Küken da ist weniger als zwei Wochen hier. Der ist noch grüner als du. Die perfekte Zielscheibe deine Kräfte zu erproben.“

    Vincent lässt mich los. Ich kann ihn durch die abgedunkelten Scheiben nicht sehen aber ich erinnere mich genau in die Verwirrung und die Angst die mein Unleben in diesen ersten schwierigen Wochen bestimmt hat. Ich weiß worauf das hinauslaufen wird.

    „Ich möchte dass du zu ihm gehst solange er allein ist. Bring ihn dazu die Scheibe runter zu kurbeln und Freunde dich mit ihm an.“

    Das was er will ist nicht ungefährlich aber es ist verlockend. Er hat selber gesagt ich bin nicht mehr die Jüngste. Der Junge da drüben, dieses Kind, dieses Baby hat nicht die mentale Stärke meinen Kräften zu trotzen. Zum ersten Mal könnte ich diejenige sein welche die Fäden eines anderen hält. Ich weiß tief im inneren wie armselig es ist so zu denken, aber ich zerbreche innerlich an meinem angestauten Frust. Wenn ich es nicht tue macht es ohnehin jemand anders.

    „In Ordnung. Verfolgst du irgendein bestimmtes Ziel?“ Richte ich an meinen Erzeuger.

    „Wenn er in den nächsten paar Wochen etwas Magisches aus dem Gildenhaus stielt und es dir schenkt hast du gewonnen, ok?“ Ich denke zurück an die mit Schmuck gefüllten Schubladen in unserer Zuflucht. Ich habe nicht für einen einzigen Ring aus diesem Schatz bezahlt. Nicht ist einfacher als der Sammlung noch ein Stück hinzu zu fügen.

    „Ich gehe runter in die Bar und texte dir sobald Maiweiler zurückkommt, damit er dich nicht überrascht während du dir den Neuen vornimmst.“ Technologie ist wahrhaft ein Segen. Ich öffne mir dir Tür selber ehe er reagieren kann. Das ärgert ihn aber nicht so sehr wie es ihn ärgern wird heute Nacht die Kontrolle über mich zu verlieren. Wenn Darthia Wort hält werde ich zu einer Neonatin erhoben der er nichts mehr befehlen kann. Oh, Maiweilers Küken wird mir magischen Schmuck schenken! Aber ich werde ihn für mich behalten… Heute Nacht ändert sich alles.