Links zum Schreiben und zum Drumherum

Es gibt 10 Antworten in diesem Thema, welches 3.165 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (4. Januar 2020 um 10:35) ist von Asni.

  • Heyho allerseits,

    beim Weltenbau haben wir einen Thread "Allgemeine Links zum Weltenbau". Für das Schreiben an sich und das Drumherum um das Hobby / den Beruf Schriftsteller gibt es so etwas bisher in der Form nicht. Ich lese immer wieder irgendwo Artikel, Essays, Kommentare etc. die gut in einen solchen Thread passen würden, daher dachte ich, ich fange einfach mal damit an und schaue, was sich dabei so ergibt.
    Ich stelle mir das so vor, dass man immer kurz etwas zu dem Link schreibt, das auch inhaltlich etwas aussagt. Also nicht "Guckt mal, voll cool!", sondern eher so wie unten.

    Wenn das Mod-Team oder Forenuser der Meinung sind, dass das auch gut zum Weltenbau passt, dann kann man das auch gerne zusammenlegen. ^^

    So, starten wir mit dem ersten Link:
    Was ist Sensitivity Reading - tor-online.de

    Unter dem Link findet ihr einen Essay über Sensitivity Reading. Für mich fällt das unter das Drumherum bzw. es betrifft vielleicht auch eher nur AutorInnen, die ihre Werke auch tatsächlich auf dem Buchmarkt veröffentlichen (können). Es geht dabei darum, dass ein spezieller Lektor die Geschichte aus dem speziellen Blickwinkel einer Minderheit, Randgruppe etc., die Diskriminierungserfahrungen machen / gemacht haben, liest und dem Autor Tipps zur authentischen Darstellung oä gibt. Konkretes Beispiel: Wenn man als Weißer dunkelhäutige Charaktere einbaut, kann man im Allgemeinen nicht aus eigener Erfahrung wissen, ob man subtile, typisch rassistische Darstellungen verwendet. Es geht also irgendwie darum, dass ein Lektor dem Autor sagt: "Hey, mit dieser Darstellung verletzt du die Gefühle anderer Menschen, schreib das doch an den und den Stellen so und so."
    Oder wie es der Artikel formuliert:

    Du möchtest Geschichten schreiben, die nicht unabsichtlich Stereotype und Vorurteile beinhalten? Cool – Sensitivity Reader helfen gerne dabei.


    Aus meiner Sicht lohnt es sich, mal kurz in den Artikel, vor allem in den Abschnitt, "Was hat das mit Fantasy zu tun? Oder auch: Orcing", reinzulesen. Hier ist der wesentliche Punkt, dass auch Fantasywesen durch die reale Welt inspiriert sind und deren Denkmuster teilweise unbewusst übernehmen. Zwei Beispiele: Einhörner sind eine Kombination aus Pferden und Magie. Elfen sind eine Kombination von Menschen und Magie. Und Orcs?

    Orks sind irgendwie menschlich, haben die Grundeigenschaften von Menschen, aber keinen freien Willen, sind aggressiv, barbarisch, dreckig, unzivilisiert und werden bestenfalls versklavt oder getötet.

    Das stimmt natürlich nicht für alle Fantasyromane, aber es passt doch häufig zu vielen Fantasywelten. Das Problem aus Sicht des Sensitivity Readings ist, dass diese Eigenschaften genau die gleichen Eigenschaften sind, die man zu Kolonialzeiten dunkelhäutigen Menschen zugeschrieben hat. Dass das problematisch sein kann, brauche ich glaube ich nicht zu erläutern.


    Soweit mal die Zusammenfassung. Ich bin mir ehrlich gesagt noch nicht so ganz sicher, was ich davon halten soll. Einerseits kann ich dem oberen Zitat nicht widersprechen. Das klingt einfach sinnvoll. Gleiches gilt ja ohne dass sich jemand darüber aufregt bei Naturwissenschaften: Wenn ich keine Ahnung von Virologie habe, aber im Labor erzeugte Viren die Schlüsselrolle in meiner Geschichte spielen, dann frage ich jemanden, der sich damit auskennt, ob die Darstellung "richtig" oder zumindest "glaubwürdig" ist. Andererseits fände ich es schöner, wenn man sich einfach öfter mal mit Menschen anderer Gruppen unserer Gesellschaft unterhält und dadurch selbst sensibel für die Themen und die Darstellung wird. Ob das so natürlich funktioniert, ist eine andere Frage.

    Passend dazu lese ich gerade "Der Berg" von Dan Simmons (ein US-Amerikaner) und da stolpere regelmäßig über eine sehr klischeehafte Darstellung "der Deutschen" als kalt(herzig), militärisch, herrisch, unnahbar, unfreundlich und allgemein halt als "böse Nazis". Egal was deutsche Bergsteiger in dem Buch tun oder wo immer sie auftreten, alles wird mit aus meiner Sicht platten "historischen Schnippseln" aus der (Vor-)Geschichte des dritten Reichs und der NSDAP verbunden. Ganz nach dem Motto:
    Wo trifft man sich mit einem deutschen Bergsteiger? Natürlich im Bürgerbräukeller in München.
    Was trägt ein deutscher / bayerischer Bergsteiger 1924 typischerweise? Natürlich ein braunes SA-Hemd und eine passende Armbinde.
    Was trinkt er? Natürlich hat er schon mindestens ein Maß Bier getrunken, bevor der Engländer ankommt, dann trinkt er nebenbei eine, während der Engländer spricht und dann bestellt er nochmal eine, wenn er mal nach 5 Minuten Gespräch nachdenken muss, bevor er antwortet...

    Auf mich wirkt das gerade unfreiwillig komisch, aber es ist nicht die Intention des Buches, humorvoll zu sein. Insofern könnte ein deutscher Leser sich durch die Darstellung auf den Schlipps getreten fühlen (was ich aber eigentlich nicht tue). Bemerkenswert platt und etwas nervig finde ich es aber dennoch.

    „Alice, man darf sein Leben nicht nach anderen richten. Du allein musst die Entscheidung fällen.“ [Alice im Wunderland]

  • dass diese Eigenschaften genau die gleichen Eigenschaften sind, die man zu Kolonialzeiten dunkelhäutigen Menschen zugeschrieben hat.

    Man weiss ja recht genau auf wen Tolkien die Orks in seinen Geschichten gemuenzt hat (das schreibt er in 'Letters' glaube ich ein paar Mal) - das waren schon wir Deutschen, die er da teilweise aus eigenen Kriegserfahrungen kannte, teilweise auch im WWII verfolgt hat.

    Saruman und sein Heer von Orks die Waelder abholzen und in die Schmieden verfuettern und nur leere Landstriche hinter sich lassen - die sind gewiss keine Parabel auf kolonialisierte Voelker (die sowas auch nie gemacht haben) sondern die zielen schon auf den industrialisierten (und wie Tolkien ihn empfunden hat) barbarischen Krieg - gegen den er seine 'altmodischen' Helden setzt.

    Sollte man vielleicht nicht unerwaehnt lassen wenn man Orks als Beispiel fuer diesen Themenkomplex nimmt.

  • Lieber @Asni

    Vielen Dank für den Link, eine schöne Idee hier hilfreiche Dinge zu teilen.

    Diese "Sensitive Reading" Idee bereitet mir ehrlich gesagt ein gewisses Unbehagen. Im Moment wird die "Politische Korrektheit" zu oft benutzt um Diskussionen kurz zu halten. Ehrlich gesagt, wäre ich bei Orks niemals auf dunkelhäutige Menschen aus der Kolonialzeit gekommen, ein seltsamer Gedanke. Da bin ich ganz bei Thorsten.
    Man kann sich da schnell irre Sachen ausdenken. Elben wären demnach die Projektion der Idee des Übermenschen aus der Nazizeit und repräsentieren das rassische Ideal des Ariers? Nee… Manchmal ist eine Zigarre einfache eine Zigarre ;)

    Es ist aber schon richtig, dass man sich zumindest Gedanken darüber machen sollte, ob man nicht unwissentlich in ein Fettnäpfchen tritt.

  • Ich verstehe gut, dass man da ein bisschen Bauchgrummeln hat. Das geht mir ja nicht anders.

    @Thorsten: Der Punkt ist nicht, dass man als Autor bewusst seine Fantasy-Bösen an realen Vorbildern orientiert, sondern dass man unbewusst und unreflektiert die vielleicht genauso unreflektierten und unbewussten Vorurteilsmuster, die man im Alltag hat (und die auch eine psychologisch nicht ganz schlechte Funktion erfüllen), in die eigenen Geschichten übernimmt, ohne zu merken, dass man damit z.B. rassistische Gedanken darstellt. Insofern würde ich auch nie auf die Idee kommen, im Spezial- und Einzelfall Tolkiens das als "Parabel" zu deuten. Für mich ist eine Parabel immer bewusst in eine Geschichte hineingeschrieben.
    Für mich sind das einfach zwei Paar Stiefel.

    Genauso sehe ich es eigentlich bei der politischen Korrektheit: Wichtig ist meiner Meinung nach, dass man ein bisschen sensibel dafür ist, manche Problematiken sieht und anerkennt und für sich einen Weg findet, mit seinen Mitmenschen umzugehen, möglichst ohne diesen ständig auf den Füßen herumzutrampeln oder ihnen auf den Sack zu gehen.

    „Alice, man darf sein Leben nicht nach anderen richten. Du allein musst die Entscheidung fällen.“ [Alice im Wunderland]

  • Der Punkt ist nicht, dass man als Autor bewusst seine Fantasy-Bösen an realen Vorbildern orientiert, sondern dass man unbewusst und unreflektiert die vielleicht genauso unreflektierten und unbewussten Vorurteilsmuster, die man im Alltag hat (und die auch eine psychologisch nicht ganz schlechte Funktion erfüllen), in die eigenen Geschichten übernimmt, ohne zu merken, dass man damit z.B. rassistische Gedanken darstellt

    (Vielleicht kann das ebín Mod irgendwann auslagern, das geht allmaehlich ein bisschen vom Thema weg...)

    Ich weiss schon wie das gemeint ist - aber ich hab meine Probleme mit der zugrundeliegenden Idee von Rassismus, das ist mir zu weit gefasst. Erst mal schreibe ich ja gerne ueber erfundene Settings, weil - erfunden. Man kann was fieses ausprobieren - dem Leser Einblick in Sklavenhaltung geben, den Leser mit einem Verbrecher mitfiebern lassen,... und weil es erfunden ist, bezieht es sich eben nicht automatisch auf was reales.

    Ich find's also schon mal problematisch wenn jemand davon ausgeht dass es automatisch Sinn macht einen Ork mit einer real existierenden Rasse zu vergleichen.

    Dann hat der Autor ja oft wirklich eine Intention - zum Beispiel waere es albern 'Onkel Tom's Huette' zu kritisieren weil darin Schwarze als Sklaven dargestellt werden - der ganze Zweck des Buches ist es ja, Sklaverei zu kritisieren. Und Tolkien's Intention bei den Orks ist es eben, industriellen Krieg und Technik in einem Fantasy+Setting darzustellen. Wenn die Intention auch nicht mehr zaehlt, dann haben wir eine Situation in der es problematisch gefunden wird wenn sich jemand von einem Buch angegriffen fuehlt - egel ob er wirklich genannt worden ist (es gibt ja keine Orks) oder ob der Autor das so gemeint hat (Tolkien's Orks beziehen sich auf Deutsche),

    Ich find auch den grundsaetzlichen Anspruch dass Literatur irgendwie 'nett' zu allen Menschen sein sollte seltsam - ich muss das Buch ja nicht lesen, aber ich hab' auch schon Buecher an denen ich mich abarbeiten kann weil ich ihre Aussage ganz und gar nicht teile mit Gewinn gelesen.

    Wo hoert das dann auf? Wenn der Boese einen Fisch isst - ist der Fisch nicht das Symbol des fruehen Christentums? Kann sich dadurch jemand angegriffen fuehlen der christlich denkt - dieses 'verletzt fuehlen' ist ja ein rein subjektiver Zustand?

    Echter Rassismus ist, wenn ich in der Realitaet in Worten oder Taten jemand aufgrund seines Aussehens benachteilige (fuer die Gedanken die einem durch den Kopf schiessen wenn man jemand fremden sieht kann keiner was - nur fuer das was er ausspricht und tut). Wenn es in einer Fantasy Welt Elben gibt die den Orks ueberlegen sind, dann ist das fiktiver Rassismus - das bedeutet in aller Regel nicht dass der Autor Rassist ist - seine Welt kann das sein ohne dass er sich das real zu eigen macht - und auch nicht dass da jemand in echt angesprochen werden soll.

    Will sagen, ich finde die ganze Praemisse dieser Sache falsch.

    Trotzdem - auch von mir Danke fuer den Link und die interessante Diskussion.

  • Eigentlich will ich dir gar nicht widersprechen, weil das nur zu einer sinnlosen Diskussion mit dir führt, auf die ich keine Lust habe. Aber...

    Ich find's also schon mal problematisch wenn jemand davon ausgeht dass es automatisch Sinn macht einen Ork mit einer real existierenden Rasse zu vergleichen.

    Ich sehe das genau andersherum (bzw. nicht unbedingt ich persönlich, aber die Position, die ich gerade vertrete). Jedes Individuum einer Gesellschaft kann sich doch fragen, ob und wie es sich in Produkten der Kultur (in einem weitgefassten Sinn) repräsentiert findet. Das kann tatsächliche politische Interessensvertretung sein (etwa die Anliegen von Kleingartenbesitzern in Großstädten) oder eben alles was mit Identität und Selbstverständnis zu tun hat. Wenn man als Frau zum Ende der 50er Jahre bemerkt, dass Frauen immer als Hausfrauen & Mütter, als Prinzessinen die gerettet werden müssen oder als alte verbitterte "Hexen" dargestellt werden (nur eine exemplarische, eingeschränkte Auswahl), dann könnte man schon auf die Idee kommen, dass da vielleicht was falsch ist (wobei ich auch genug Frauen kenne, die damit kein Problem haben; heute ist das ja aber auch anders). Zugegeben, Geschichten in Büchern sind nur ein winziger Teil unserer Kultur, aber sie sind dennnoch ein Teil und zeigen eben auch auf, wie wir als Gesellschaft mit unseren verschiedenen Teilgruppen umgehen.
    So, wenn ich jetzt als dunkelhäutiger Mensch, der vielleicht "echten Rassismus" tagtäglich erlebt, mich frage, welche Rolle und welchen Platz ich eigentlich im Leben habe, dann lese ich jede Geschichte (wiederum in einem weitgefassten Verständnis) durch die Augen meiner Erfahrungen. Und auch Fantasy-Romane können (müssen aber natürlich nicht, da stimme ich dir zu), dann als (unbewussten?) Ausdrucks des Umgangs dieser Kultur mit verschiedenen Individuen gelesen werden. So, wenn man sich darauf mal einlässt und danach sucht, wo die Merkmale, die einem im realen Leben von anderen zugeschrieben werden (da sind wir dann bei realen Vorurteilen und Stereotypen wie dunkle Hautfarbe, Teil einer wilden Kultur, fremd, exotisch, barbarisch, unzivilisiert...), repräsentiert werden, dann findet man vielleicht nichts (weil es eben nur um Weiße geht, was in einem historischen Roman über Wikinger mMn auch völlig gerechtfertigt ist) oder Orks (und andere Monster) oder tatsächliche dunkelhäutige Menschen wie bei Lovecraft, die auch dort die bösen sind. Gut, Lovecraft hatte auch im realen Leben etwas verquere, rassistische Ansichten geäußert. Problematisch wird es halt da, wo unreflektiert "dunkel" für "böse" steht und das in einer Absolutheit ausgeführt wird.

    Echter Rassismus ist, wenn ich in der Realitaet in Worten oder Taten jemand aufgrund seines Aussehens benachteilige

    Ich hoffe, ich konnte oben ein bisschen aufzeigen, dass der Ausschluss von Menschen an kultureller Teilhabe aufgrund von "Rassenmerkmalen" auch rassistisch ist bzw. möglicherweise problematisch ist. Wichtig: ich möchte dadurch keinem Autor unterstellen, dass er rassistisch ist. Es geht dabei auch weniger um einzelne Beispiele - deswegen bringt es überhaupt nichts, die Intention Tolkiens ein ums andere Mal aufzuführen - sondern um Muster und generelle Tendenzen. Außerdem sollte man dazu fähig sein, auch den Entstehungskontext eines Werkes mit in die Diskussion einzubeziehen, was - da stimme ich dir völlig zu - leider nicht immer gemacht wird. Ich meine damit jetzt, dass z.B. Werke von Astrid Lindgren in "neutraler Sprache" (?) übersetzt werden, d.h. Wörter wie "Neger" vermieden werden. Das finde ich tatsächlich bei "alten Werken" irgendwie falsch, auch wenn ich gerade nicht genau begründen kann, warum. :hmm:

    „Alice, man darf sein Leben nicht nach anderen richten. Du allein musst die Entscheidung fällen.“ [Alice im Wunderland]

  • Ich weiß nicht, ob der folgende Link zu einem Essay hierhin passt, aber ich versuche es einfach mal:
    Schwere Zeiten für die Kleinverlage (tor-online.de)

    Wie der Titel schon nahelegt, geht es nicht ums Schreiben, sondern ums Drumherum, diesmal um den Buchmarkt. Dort gibt es - wenn ich das richtig verstanden habe - in Deutschland Großverlage wie Piper oder Heyne, Kleinverlage wie den Verlag Thorsten Low oder Feder&Schwert, natürlich Buchhändler, bei denen man in den Laden schlendert, aber auch Buchgroßhändler und Buchhandelslieferservices wie Libri oder KNV. Der Essay beschäftigt sich damit, dass Libri das Angebot an Werken aus Kleinverlagen ohne erkennbare Not massiv eingekürzt hat. Für die Kleinverlage bedeutet das massive finanzielle Einbußen und Rückzahlungen. Für Kunden im Laden manchmal, dass ein Buch, das man gerne hätte, als "vergriffen" nicht mehr lieferbar ist, obwohl es noch genügend Bücher beim Verlag gäbe.
    Ich fand den Essay ganz spannend, weil er einen Blick "hinter die Kulissen" eröffnet, den ich vorher noch nicht so kannte. Wirklich relevant in dem Sinne, dass die Informationen darin konkret weiterhelfen, ist er vermutlich nur für Autor*innen, die sich gerade überlegen, ob sie ihr Werk bei einem Kleinverlag veröffentlichen möchten. Und da wohl auch nur bedingt. Wer allerdings einen Anstoß zum Nachdenken über das eigenen Buchkaufverhalten und dessen Konsequenzen haben möchte, für den ist das eher etwas. ^^

    „Alice, man darf sein Leben nicht nach anderen richten. Du allein musst die Entscheidung fällen.“ [Alice im Wunderland]

  • Ein trauriger Essay.

    Ich haette gesagt die Aufgabe eines guten Buchhaendlers ist es, mir Dinge unter die Nase zu halten die ich nicht kenne und nach denen ich nicht suchen wuerde, die mich aber interessieren koennten - der Autor scheint das auch aehnlich zu sehen. Und wenn den Haendlern die sowas versuchen jetzt das Leben noch schwerer gemacht wird, dann ist das keine gute Entwicklung.

    Man fragt sich, warum...

  • Zum Thema Buchhandel: Da merkt man mal wieder, wie sich ein Konzern selbst ins Knie schießt.
    Was meint Libri eigentlich zu erreichen? Man möchte womöglich Geld sparen oder (wie im Link steht) die Autoren/Verlage in den eigenen Demand-Verlag drängen. Das heißt für mich als Außenstehener, dass dieser Demand-Verlag ziemlich schlecht sein muss, sonst würde er auch ohne solche Tricks laufen.
    Also werden die Autoren nicht dahingehen. Die (Klein)Verlage werden also Großhändler meiden und sich dem Onlinehandel (Amazon etc.) zuwenden. Das wiederum wird die Großhändler richtig ficken.
    Wo ist da der Gewinn?

    Buchhändler haben es ohnehin schwer. Wenn sie es richtig machen, haben sie ja ein ausgesuchtes Sortiment, was sich von Thalia & Co. unterscheidet. Kostet aber Zeit und Fachkenntniss.
    Wenn sie es noch besser machen, haben sie bereits jetzt Direktverträge mit den Verlagen. Warum? Beim Großhändler hat man nur eine Gewinnmarge von 30-35%. Bei Direktbestellung beim Kleinverlag winken 40-45% locker.
    Wenn Buchhändler also nur ein bequemes Leben haben wollen (wie der im Link) dann laufen sie über Großhändler. Und müssen halt auch mit deren Problemen kämpfen.
    Als wenn der Buchhandel nicht schon genug Probleme hätte (u.a. mit Amazon).

    Wenn die Regierung tatsächlich ihre Arbeit machen würde und geltene Recht mit Vorschriften und Dienststellenpersonal durchsetzen würde, wäre Amazons Tage ohnehin gezählt. Denn dann müssten Paketdienstleister allesamt anständig bezahlen, was die Preise kräftig erhöht und dadurch die Vorteile von Amazon (auf deutschen Boden) irrelvant werden.
    Aber das wird sicher nicht passieren, obwohl es den deutschen Einzelhandel retten würde, die Innenstädte beleben, den Konsum ankurbeln und die Steuern sprudeln lassen würde (welche Steuern zahlt schon Amazon).

  • Mich wuerde jetzt interessieren - was sollte fuer mein eigenes Buchkaufverhalten folgen? Ich bin an einem lebendigen Buchmarkt interessiert in dem es nicht nur schlecht gemachte Uebersetzungen von US Bestsellern gibt - sei es in Deutschland oder in Finnland.

    Meine Jugend habe ich viel in Buchhandlungen verbracht. Meine Liebesaffaere endete aber als ich mich fuer die englischen Orginale meiner Lieblingsbuecher interessiert hatte - da haben verschiedene grosse deutsche Buchhandlungen abgewunken - koennen wir nicht, machen wir nicht, vielleicht in fuenf Wochen, kostet 25 Mark extra,...

    Dann kam Amazon ein paar Jahre spaeter, und ich konnte mir alle englischen Buecher die ich wollte innerhalb von ein paar Tagen bestellen. Dann kamen Amazon's unterirdische Arbeitsbedingungen raus, aber ich bin in die USA gezogen und konnte dort Grossbuchhandlungen besuchen - auch wenn meine Favoriten die Gebrauchtbuchhandlungen in Chapel Hill waren wo es eine ganze Fabrikhalle dicht an dicht mit Buechern gab - immer was zu finden. Das bietet Amazon naemlich nicht, dass ich stoebern kann und mir Zeug unterkommt was ich nicht gesucht hatte - und genau deswegen mag ich eigentlich in eine Buchhandlung (und der Algorithmus von Amazon der mir Zeug empfiehlt ist unterirdisch - ich habe drei Stunden versucht ihn zu trainieren indem ich hunderte von Buechern bewertet habe - und was tut das Ding? Von einer Serie XY bei der ich Band 1 mit 'gefaellt mir gar nicht' bewertet hatte - das koennte sie interessieren: Serie XY Band 2. Jo....vielleicht auch nicht.)

    Dann gingen viele Buchhandlungen dazu ueber alles ausser Bestsellern rauszuwerfen und dafuer Cafes und Sitzgruppen einzubauen und Bastelbedarf zu verkaufen - das Zeug das mich zu stoebern interessiert hat ist dadurch rausgeflogen.

    Jetzt verweigere ich alle Buchhandlungen die nur Bestseller verkloppen und ueberlege mir dreimal ob ich wirklich bei Amazon was ordere. Die einzige Buchhandlung die ich in Finnland kenne die mir Seltenes unter die Nase haelt ist die Akateeminen Kirjakauppa in Helsinki, aber das sind 3 1/2 Stunden Fahrt (einfach) - da bin ich nicht so wahnsinnig oft, auch wenn ich die immer mit einem Dutzend Buechern in der Hand verlasse.

    Nachdem ich ein anspruchsvoller Leser bin und die Gefahr dass mir ein zufaellig ausgewaehltes Buch nicht zusagt eher hoch ist mag ich auch nicht zufaellig Zeugs ordern.

    Das sinnvollste was ich jetzt noch sehe ist dass ich die Bibliothek viel benutze - die ist naemlich ganz gut kuratiert, da ist auch viel von kleinen Verlagen drin - und wenn ich da auf was stosse was mir zusagt, das direkt beim Verlag bestelle - so es denn noch lieferbar ist :(

    Ansonsten bin ich ein eher frustrierter Buchkaeufer - zu Spitzenzeiten habe ich 50 Buecher im Jahr gekauft - das ist jetzt praktisch auf 0 runter, weil ich einfach keine sinnvolle Moeglichkeit habe zu stoebern was von den neuen Sachen mir denn zusagen wuerde.

    Insofern - Gedanken mach' ich mir schon - nur kommt nicht so recht ein Ergebnis raus :(

  • Heute wieder einmal ein Link über "den Buchmarkt", allerdings mehr über die geschichtliche Entwicklung. Genauer geht es im folgenden Artikel darüber, wie die Paperback- / Taschenbuchausgabe von "Der Herr der Ringe" den amerikanischen (und damit auch den weltweiten) Buchmarkt verändert hat.

    How Tolkien and The Lord of The Rings changed publishing forever (in englischer Sprache auf tor.com)

    Eine knappe Zusammenfassung:

    Es geht vor allem den Rahmen, in dem Der Herr der Ringe veröffentlicht wurde. 1954/55 als Hardcover in England erschienen, war Tolkiens Werk erstmal vor allem bei (relativ) wenigen Fans beliebt, aber zu teuer für die breite Masse. Das änderte sich, als der Verlag Ace Books 1965 eine Taschenbuchausgabe der drei Bände herausbrachte. Sie taten das, weil sie der Meinung waren, dass hier eine Lücke im Copyright vorlag, so dass der Verlag Tolkien keine Tantiemen zahlen brauchte. Die Fans (und die Öffentlichkeit) waren da aber dann anderer Meinung, so dass Ace Books ihre Edition zurückziehen mussten. Ballantine Books brachte im gleichen Jahr dann eine "authorisierte Version" heraus, die sich auch sehr gut verkaufte.

    Es stellt sich natürlich die Frage, warum LotR so gut ankam. Einerseits stellt der Artikel heraus, dass es preisliche Gründe waren und von der breiten Masse eher Paperbacks und Pulp-Magazine (Pulp bezieht sich auch auf die billige Qualität des Papiers, auf das gedruckt wurde) gekauft und gelesen wurden. Andererseits traf LotR aber in den 60ern auch einen Nerv der Zeit. Mit dem für Amerika kulturell tief prägenden Vietnam-Krieg, den gesellschaftlichen Veränderungen durch Hippies, die Love-and-Peace-Bewegung, Rock-and-Roll sowie die Abschaffung der Rassendiskriminierung war es wohl für die Leser besonders attraktiv, dass in der Story gut und böse ganz klar definiert sind. Außerdem steckt in LotR viel christliche Moralität, die auch den damaligen Zeitgeist getroffen hat. Der Artikel erklärt noch ein bisschen mehr, welche Themen in den Büchern gut ankamen.

    Die Folgen für den Buchmarkt: In den 50er und 60er Jahren waren Fantasy- und Science-Fiction-Romane in Buchläden wohl eine Rarität. Das änderte sich anscheinend durch LotR und eröffnete beiden Genres den Weg zu der heutigen Popularität. Gerade was High-Fantasy (im Artikel nennen sie es Epic Fantasy) angeht, wurde aber auch der Grundstein für die "Tradition" gelegt, Fantasysagas in Trilogien zu publizieren. Wenn ich mich richtig erinnere (das steht nicht in dem Artikel), war Tolkien eigentlich dagegen, dass LotR in drei Bände aufgeteilt werden würde. Aber da damals eher kürzere Romane publiziert wurden, musste das dann wohl so geschehen. Witzig fand ich, dass Ace Books ein Format - Ace Double genannt - herausbrachte, in dem quasi zwei Romane in einem Band verkauft wurden. Das gibt's heute zwar auch immer noch, aber doch eher selten (zumindest ist das mein Eindruck).

    Soweit für heute.

    „Alice, man darf sein Leben nicht nach anderen richten. Du allein musst die Entscheidung fällen.“ [Alice im Wunderland]