Hallo zusammen,
ich war im Urlaub und hab nach einer Wanderung mal wieder eine kleine Geschichte zu Papier ... äh ... Datei gebracht.
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Der Renner
Pfeifend stellte Martin den Motor ab und öffnete die Fahrertür. Sofort wurde sie vom kräftigen Herbstwind gepackt und ihm fast aus der Hand gerissen.
„He, nicht so stürmisch!“, brummte der junge Förster gut gelaunt und stieg aus dem Auto. Ein weiterer kräftiger Windstoß zerzauste ihm die blonden Haare, die er etwas länger trug, als es seiner Frau gefiel. Er strich sie wieder aus der Stirn und lächelte bei dem Gedanken an Marions skeptischen Blick. Pfeifend warf er die Tür zu und wandte sich zum Kofferraum, um die wasserfesten Wanderschuhe herauszuholen. Gleich darauf polterten die Turnschuhe ins Wageninnere und er griff nach seinem Gewehr, das in der extra angefertigten Halterung festgeschnallt war.
Doch er hatte es nicht dabei. Warum auch? Er war hier im Urlaub. Schmunzelnd schnappte er sich stattdessen den kleinen Spankorb und schlug die Hecktür wieder zu.
Jetzt erst gönnte er sich einen Augenblick, um sich umzuschauen.
Herbst.
Die Jahreszeit, die er am meisten liebte. Er schloss die Augen und atmete tief ein. Es roch nach Morgennebel, feuchtem Laub, nassem Holz und Pilzen. Nach Wald.
Sein Daumen aktivierte die Verriegelung am Schlüssel, es klackte hörbar und voller Vorfreude marschierte Martin los. Eine Weile würde er der Forststraße folgen und sich später in die Büsche schlagen. So, wie er sich kannte, hatte er seinen Korb binnen einer Stunde gefüllt.
Der Wald nahm ihn auf und sofort wurde es stiller um ihn. Der Sturm toste durch die Wipfel und schüttelte die Bäume, als wäre er wütend, dass sein Opfer entkommen war. Es rauschte und knarzte über Martins Kopf und mehr als einmal wanderte sein Blick nach oben. Die Forststraße war übersät mit Ästen und Zweigen. Eicheln prasselten herab und kollerten umher.
Er genoss es. Wochenlang hatte er sich auf den Urlaub gefreut. Ja, wieder Wald. Das war die Antwort für seine Frau gewesen, als sie ihn kopfschüttelnd gefragt hatte, ob das wirklich sein Urlaubsziel sei. Sie selbst flog mit einer Freundin zwei Wochen auf die Malediven.
Er gehörte nun einmal in die Natur. Deswegen war er Förster geworden. Er liebte diesen Beruf.
Nach wenigen hundert Schritten blieb er stehen und prüfte, ob sein Handy ein GPS-Signal empfing. Er war ja nicht in seinem Wald. Dort fand er sich mit geschlossenen Augen zurecht. Wäre ja auch noch schöner, dachte er belustigt, ein Reviervorsteher, der sein Revier nicht kennt!
Er bückte sich, zog den Fixiergummi am Saum der Hosenbeine unter die dicken Sohlen der wetterfesten Outdoorschuhe und schlug den Jackenkragen hoch. Jetzt war er gerüstet und sprang über den kleinen Graben, um seine Pilzsuche anzugehen.
Die „Männlein“, wie er sie liebevoll nannte, waren leicht zu finden. Immer wieder bückte er sich, um welche abzuschneiden. Den Kleineren erlaubte er, stehenzubleiben, und ebenso den Angefressenen. Über ihm rauschte der Sturm in den Baumkronen und ließ Zweige und gelbe Blätter herabregnen. Jetzt verstärkte sich das Brausen und Martin sah besorgt nach oben. Die Bäume wogten wild hin und her und schlugen manchmal mit einem dumpfen Geräusch aneinander.
Ein lautes Krachen und Brechen über ihm, das sich zwischen das Knarren mischte, ließ ihn alarmiert aufspringen und zur Seite hechten. Doch er war zu langsam. Etwas Schweres, Hartes erwischte ihn am Hinterkopf. Weiße Sterne explodierten in seinem Sichtfeld. Martin merkte, wie ihm die Knie einknickten und der Pilzkorb den kraftlosen Finger entglitt.
Doch gleich darauf ging es ihm wieder besser. Vorsichtig befühlte er mit den Fingerspitzen die getroffene Stelle und tastete behutsam darüber. Kein Blut. Keine Schmerzen.
Während er sich verwirrt fragte, was eben mit ihm passiert war, peitschte der Knall eines Schusses durch den Wald.
Geistesgegenwärtig duckte er sich. Wer schoss hier? Gab es denn in diesem kleinen Revier jagdbares Wild? Und falls ja – warum wurden dann Spaziergänger nicht gewarnt, wenn Abschüsse angesetzt waren?
Männerstimmen drangen an sein Ohr, leise, unverständlich. Langsam erhob er sich und spähte angestrengt durch die Büsche. Ob der Schuss gar kein geplanter Abschuss gewesen war, sondern sich aus Versehen gelöst hatte? Vielleicht war jemand verletzt worden und brauchte Hilfe?
Geduckt und sich nach allen Seiten umsehend schlich er in die Richtung, aus der er den Knall und die Stimmen gehört hatte. Der Wald schwieg. Es schien, als hielte die Natur den Atem an. Ihm fiel auf, dass der Sturm weg war, genau wie die Sonne. Der Himmel hatte sich grau überzogen. Wann war das geschehen?
Als er sich hinter einem Baum hervorschob, verharrte er. Ein paar Schritte vor ihm kauerten zwei Männer. Sie beugten sich über etwas, das am Boden lag. Oder über jemanden, schoss es Martin durch den Kopf.
„Hallo?“, rief er halblaut und trat zögernd zwischen den Bäumen hervor. „Ist was passiert? Brauchen Sie vielleicht Hilfe? Ich habe ein Handy dabei.“