Es gibt 390 Antworten in diesem Thema, welches 81.035 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (22. März 2021 um 16:28) ist von Kiddel Fee.

  • So, das Kapitel hat mich zur Weißglut getrieben, weil es das Pech hatte, ein Lückenfüller zu sein. Der Teil, der sich anschließt, ist schon sehr lange fertig und jetzt stand ich vor dem Problem, meine Geschichte zu diesem Teil hinzutreiben. Doch dieser Text ist die Brücke, der Anschluss steht und von nun an kann ich ruhiger schlafen. Viel Spaß beim Lesen und her mit Kritik und Fehlern!


    Ein Weg hinein


    Astra wanderte durch die Anlage. Sie fand keinen Schlaf. Ihr Rhythmus war durch die Aufregung der letzten Tage völlig durcheinander gekommen. Jetzt, weit nach Mitternacht und noch Stunden vom Tagesbeginn entfernt, fühlte sie sich zwar entkräftet, doch Ruhe wollte keine kommen. Und nachdem sie sich stundenlang auf ihrem Lager hin und her gewälzt hatte, war sie schließlich wieder aufgestanden, um Nate zu besuchen.
    Ihr Quartier lag nicht weit vom Lazarett entfernt. Auf dem Weg dorthin grübelte sie über Thyras’ Worte nach. Sie war die Einzige, die Nate würde helfen können, davon war ihr Mentor fest überzeugt. Doch wie genau sie das anstellen sollte, hatte er ihr nicht verraten. Aber merkwürdig war er gewesen, verändert - hatte seine Haft dies bewirkt? Oder die Ankunft ihrer Gruppe … ?
    Seufzend ließ sie die Tür zum Lazarett aufsurren und betrat die Abteilung. Ihre Schritte wurden von dem grauen Fußboden gedämpft.
    Um diese Zeit war es ruhig. Ein Kittelträger kam ihr mit einem Tablett voller leerer Spritzen entgegen.
    Sie blieb unsicher stehen. “Kann ich … Nate besuchen?”
    Er nickte ihr im Vorbeigehen zu und verschwand in einem Durchgang knapp hinter ihr.
    Stumm sah sie ihm nach. Dann wandte sie sich um und erreichte mit wenigen Schritten die schneeweiße Tür, hinter der Nate liegen musste.
    Den ganzen Tag lang hatte sie gezögert, ihn zu sehen. Sie wollte nicht im Weg stehen, wenn die Ärzte ihn behandelten. Und tatsächlich graute ihr davor, zu sehen, wie der Verfall inzwischen fortgeschritten sein mochte, wie sehr er sich verändert hatte und ob er …
    Bevor ihre Courage völlig versiegen konnte, trat sie in einen nüchternen, fensterlosen Raum. Die Beleuchtung war gedimmt, damit der Patient schlafen konnte, doch die flackernden Zahlen des Überwachungsgeräts raubten der Szene jede Ruhe. Das monotone grüne Leuchten- grün war gut, soviel wusste sie zumindest - verlieh dem reglos daliegenden jungen Mann im Krankenbett eine ungesunde Hautfarbe und enthüllte außerdem eine weitere Gestalt, die zusammengesunken vor dem Bett hockte.
    Rett hatte die Ellenbogen auf die Knie gestützt und seinen Kopf in die verletzten Hände gelegt. Als die Tür mit einem sanften Surren aufgegangen war, hatte er hoch gesehen. Doch dann erkannte er Astra und seine Schultern sanken wieder herab.
    Zögernd blieb sie neben dem Bett stehen.
    Nate ging es schlecht, das war unverkennbar. Er keuchte in flachen, hastigen Atemzügen. Das dunkle Haar klebte an der verschwitzten Stirn, auf der dicke Schweißtropfen standen. Seine Wangen waren eingefallen und von fleckiger Röte überzogen der stoppelige Kinnbart ließ ihn zwanzig Jahre älter aussehen und er zitterte unkontrolliert, weil ihn der Schüttelfrost erbarmungslos beutelte.
    Warnend piepste die Überwachung und schließlich, als hätte sich das Fieber einsichtig gezeigt, kam Nates Körper zur Ruhe. Der Patient stieß einen Seufzer aus, und für einen Moment herrschte Stille. Langsam griff Rett nach der dünnen Decke, die während der Zitterattacke bis zu Nates Hüften hinabgerutscht war, und zog sie schleppend wieder hinauf.
    Astra hingegen starrte wortlos auf die blassen, aber wulstigen Striemen, die Nates Oberkörper überzogen wie ein grob gesponnenes Netz, deutlich zu erkennen auf seiner hellen Haut, gesprenkelt von Schweiß - alte Narben aus der Zeit des Krieges.
    Er war ein Kind gewesen und hatte gekämpft wie ein Erwachsener.
    Hastig wandte sie den Blick ab und sah hinüber zu Rett.
    Auch ihm waren die Strapazen der letzten Tage deutlich anzusehen.
    Mit blutunterlaufenen Augen, um die dunkle Ringe gezeichnet waren, betrachtete er den Freund. “Er stirbt. Ich weiß nicht, ob ich das noch einmal mit ansehen kann.” Müde rieb er sich mit beiden Händen übers Gesicht. Einer der Verbände löste sich und baumelte blassweiß um das gebräunte Handgelenk. “Wir waren bei Kay, weißt du? Als sie gestorben ist. Sie … hat ein Medikament bekommen und ist eingeschlafen. Ein besserer Tod als das Verrecken an Tetanus, soviel ist sicher - aber tot ist sie trotzdem. Und ich saß daneben …” Er verstummte und stöhnte. “Und als Ivy dann auf die Plattform gezerrt wurde … und dann Nate … und …” Seine Hände sanken herab und ruhten still zwischen seinen Knien. “Es war keine Zeit. Keine Zeit, es zu begreifen.” Starr blickte er auf den flackernden Monitor. “Jetzt stirbt Nate - und ich soll wieder zusehen. Ich müsste es. Aber ich kann es nicht. Er ist mein treuer Freund und ich habe ihm geschworen - ich …” Seine Stimme brach. Dann erhob er sich. Seine Rechte ballte sich zur Faust, seine Linke verweigerte ihm diesen Dienst, trotzdem war der Kampf in ihm deutlich zu erkennen. “Ich muss um Ivys Willen stark bleiben.” Brüsk strich er über Nates Arm. “Mein Freund, ich gehe. Damit ich für sie da sein kann. Ich kümmere mich um sie … “ Die letzten Worte klangen gepresst, halb erstickt, dann wandte sich Rett ab und stürmte mit langen Schritten aus dem Zimmer.


    “Astra, es ist mitten in der Nacht!” Atesch sah deutlich genervt aus. Kein Wunder, sie hatte ihn aus dem Schlaf gerüttelt, von dem sie alle in letzter Zeit zu wenig bekommen hatten.
    “Ich weiß und es tut mir leid”, erklärte sie, während sie ihm die Jacke hinhielt. “Aber ich würde dich nicht wecken, wenn es nicht wichtig wäre.”
    Er brummte irgendetwas, stand auf und nahm ihr dabei sein Kleidungsstück ab. Als er kurz zum Waschbecken trat und sich kaltes Wasser ins Gesicht spritzte, konnte sie einen Blick auf seinen Rücken und auf sein sichtbares Zeichen der Manifestation werfen - ein großes, unregelmäßiges Mal von tiefroter Farbe. Wie eine Brandnarbe in Form einer zuckenden Flamme.
    “Es geht um Nate, nehme ich an?” Ateschs lange Finger kratzten an seinem dunklen Kinnbart. “Was hast du vor?”
    “Ich will versuchen, mein Licht in ihn zu schicken, so wie Artax es mit der Finsternis getan hat. Und es wäre mir wohler, wenn ein weiterer Elementaler mit dabei wäre, für den Fall, dass Artax ein paar unangenehme Überraschungen eingebaut hat.”
    Seufzend fuhr Atesch in seine Jacke. “Warum nicht Su?”
    “Weil du körperlich stärker bist.” Astra zuckte die Achseln.
    Resignation malte sich in Ateschs Züge. “Dann los.”

  • Gefällt mir gut Kiddel Fee

    Zuerst ein kleiner Fehler:

    Zitat von Kiddel Fee

    Seine Wangen waren eingefallen und von fleckiger Röte überzogen Komma der stoppelige Kinnbart ließ ihn zwanzig Jahre älter aussehen und er zitterte unkontrolliert, weil ihn der Schüttelfrost erbarmungslos beutelte.

    Mehr habe ich nicht gefunden :D

    Der Teil war angenehm zu lesen, obwohl eine schreckliche Bedrücktheit geherrscht hat. Das hast du gut rüber gebracht, finde ich.

    Und ich bin echt gespannt, ob Astra das schafft :|

    • Offizieller Beitrag

    Das haben schon einige bemängelt. Ich hoffe, wenn es dann als ganzer Text vorliegt, ist der Cut nicht ganz so schlimm. Dient in erster Linie dazu, Kay einzuführen und zu zeigen, welchen Einfluss Ivy doch hat^^

    Ja, ich weiß nicht. So überblenden sind im Text immer deutlich schwerer, finde ich ^^; Manche machen das ja mit einem "später" oder ähnlcihem. Würde aber hier das Pacing aus der Szene rausnehmen und den "Gag" zerstören, denke ich :hmm:
    Wenn es dann als ganzer Text vor liegt, würde ich aber glaube ich trotzdem eine Leerzeile zwischen lassen :hmm:
    Weil so ganz unmittelbar hintereinander, verwirrt es denke ich nur.

    Das ging ihm sicher durch den Kopf. Wenn er das Kind allerdings behalten will, sollte er es regelmäßig füttern. Dazu braucht es Nahrung, die er nur bekommt, wenn er pünktlich und täglich zur Arbeit erscheint. Er kann sich keinen Fehler leisten. Ivys Befragung muss warten.

    Ja, klingt shcon einleuchtend. Mir hat nur der Impuls des "Wovon redest du da?" gefehlt, der bei mir wahrscheinlcih unmittelbar stattgefunden hätte.

    Müde wankte er durch den Regen nach Hause.

    Hier nochmal sowas. Der Cut ist sehr hart. Ich würde dafür einen Kapitelnamen oder eine Zahl oben drüberhängen. Vom Gefühl her würde das passen. Wenn du das aber im gleichen Teil noch haben willst, würde ich auch hier eine Leerzeile lassen. Hier als Part funktioniert das aber sehr gut.

    So, generell wird nun alles ein bisschen mysteriöser. Es wird noch mal das, was vorher nur angedeutet wurde genauer erklärt. Ivy kann diese Person sehen, was eigentlich nicht sein sollte. Mysteriös. Dann hat sie einen komischen Einstich am Arm mit Muster drum herum. Ebenfalls mysteriös. Vielleicht wird das ja der Stil dieser Geschichte? Mystery?

    Ich werde es weiter verfolgen^^

  • Lady


    Dankeschön! Du denkst auch dran , dass du noch einen versprochenen Schock bekommst, bevor du dich jetzt ins Astra-wirds-richten verrennst^^?

    Eti

    Im Manuskript sind zwischen den Absätzen der einzeln geposteten Parts noch Leerzeilen. Also es ist schon erkennbar, dass es nicht an derselben Stelle weitergeht - hoffe ich zumindest:pupillen:

    Ich bin kein Fan von Mystery, ich bleibe lieber bodenständig in meiner Rätselhaftigkeit^^

    Hier gehts jetzt weiter :

    Mit Nates Reaktion hatte keiner gerechnet.
    Er schrie so gequält, dass Astra ihn losließ und zwei Schritte zurücksprang.
    Sein Körper bäumte sich auf, dann drehte er sich blitzartig auf die Seite und zog die Beine an. Mit einem Ratschen rissen sämtliche Kabel aus dem Überwachungsmonitor und das durchdringende Piepsen des Geräts bohrte sich in die Ohren aller Anwesenden.
    Astra versuchte mit bebenden Händen, den jungen Mann zum Hinlegen zu nötigen. Doch bei ihrer Berührung stieß Nate einen knurrenden Laut aus. Erschrocken erstarrte sie und diese Sekunde der Unaufmerksamkeit reichte.
    Nate sprang geschmeidig aus dem Bett, landete fließend in der Hocke, streckte ein Bein aus und brachte Astra zu Fall. Sie fiel flach auf dem Rücken und für einen Moment presste es ihr die Luft aus den Lungen. Er kam scharrend auf die Füße und setzte über sie hinweg - der Blick aus den tiefschwarzen Augen kreuzte den ihren ... Für einen Moment sah es aus, als würde er einfach aus dem Zimmer stürmen - doch dann gaben seine Beine nach, er fiel nach vorn und rührte sich nicht mehr.
    Astra ging neben ihm auf die Knie und drehte ihn hastig auf den Rücken. Er war gefährlich blass, nur die Wangen fieberrot. Sie glaubte förmlich, es zischen zu hören, als sie ihn berührte. Ohne Frage, das Fieber stieg weiter und diese Attacke, die er quasi ohne Bewusstsein durchgeführt hatte, musste ihm die letzte Kraft geraubt haben. Er keuchte, schnappte nach Luft und sein Lider flatterten unruhig.
    Atesch hob ihn hoch und legte ihn wieder ins Bett, während die Ärzte hinzugeeilt kamen.
    Hilflos sah Astra zu, wie die Mediziner neue Medikamente in den ausgezehrten Körper jagten, wie sie immer wieder besorgt auf den Alarm gebenden Monitor starrten und die Köpfe schüttelten. Wie betäubt ließ sie zu, dass Atesch ihren Arm nahm und sie nach draußen brachte. Noch im Flur lehnte er sie an eine Wand und blickte sie eindringlich an. “Seine Zeit läuft ab, Astra. Wenn du noch etwas tun willst, um ihn zu retten, dann tu es jetzt!”
    Astra schüttelte benommen den Kopf. “Ich kann es nicht nochmal. Es hat ihn eben beinahe das Leben gekostet. Er wird sterben, wenn ich einen neuen Versuch wage.”
    “Astra, er wird auch sterben, wenn du es nicht tust! Sie können sein Fieber nicht ewig senken. Sein ganzer Körper geht kaputt und wer kann ahnen, was Artax mit seinem Kopf angestellt hat … du weißt, dass nur du zu ihm durchdringen kannst. Ich bin sicher, du hattest es schon fast geschafft. Sei nicht zimperlich und halte durch. Es klingt grausam, aber du kannst keinen Schaden mehr anrichten.”
    Empört riss sie den Kopf hoch. “Und wenn er meinetwegen Schmerzen leidet? Wenn er stirbt, weil ich gewaltsam in seinen Geist eindringe? Wie soll ich das Ivy und Rett erklären? Du hast gut reden, du musst nichts tun!”
    Energisch packte er sie und drehte sie herum, sodass sie in das offene Zimmer sehen musste, in dem immer noch die Kittelträger bei der Arbeit waren.
    “Sieh ihn an, Astra. Sein Geist wurde von Artax angegriffen, seine Schreie sind ein spezielles Geschenk von diesem Mistkerl an dich! Artax weiß, dass Licht die Dunkelheit bezwingen kann, und er hat alles daran gesetzt, um dich daran zu hindern, dies zu tun. Dass Nate schreit, zeigt, dass du auf dem richtigen Weg bist, die Finsternis zu durchbrechen.” Der Griff seiner Finger um ihren Oberarm wurde fester. “Du hast dich lange genug vor deinen Gaben gefürchtet. Tu etwas oder lebe mit der Schande, dass du es nie versucht hast. Mach dir keine Sorgen um Rett und Ivy. Sorge lieber dafür, dass du dich selbst noch im Spiegel anschauen kannst.”
    Atesch war wütend, das spürte Astra. Er sah sie noch einen Moment an, dann wandte er sich ab und ging mit langen Schritten davon, als könnte er es nicht ertragen, ihre Entscheidung miterleben zu müssen.
    Sie selbst war nicht weniger erregt, doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass er recht hatte. Nur sie würde Nate helfen, ihn überhaupt erreichen können. Seine Reaktion hatte ihr gezeigt, dass sie etwas in ihm berührt haben musste, dass er nicht unerreichbar fern war und sie eine Brücke zu ihm schlagen konnte, wenn sie nur den Mut dafür besaß.
    Das Kittelgeschwader verließ Nates Zimmer, nur ein einzelner Arzt blieb zurück und beoabchtete noch einen Augenblick die Werte des Patienten. Zögernd trat Astra neben ihn.
    “Es sieht nicht gut aus für euren Freund. Die Medikamente, die wir ihm gegen sein Fieber verabreichen, können dieses senken, schädigen aber in dieser hohen Dosierung die Organe beträchtlich. So oder so wird er, wenn nicht ein Wunder passiert, bald sterben.” Seine Stimme war nüchtern, doch trotzdem warm.
    Sie nickte, ohne den Blick von Nates blasser Miene zu wenden. “Kann ich bei ihm bleiben?”
    “Natürlich.” Noch einmal prüfte der Arzt die Werte. “Vielleicht hilft es ihm.” Er lächelte ihr aufmunternd zu und verließ das Zimmer.
    Astra stand hilflos da. Schließlich zog sie langsam den Rollhocker an die Bettkante und ließ sich darauf nieder. Sie hatte keine Ahnung, was sie tun sollte. Nate würde sterben, genau wie Tenebris. Auch die Ärzte waren am Ende ihrer Kunst angelangt und Thyras hatte von Anfang an klargestellt, dass sich Nate außerhalb seines Einflusses befand.
    “Was fehlt dir nur?” Seufzend musterte sie die verschwitzten, dunklen Haare und die blasse Haut. Seine Brust hob und senkte sich unter den schnellen, flachen Atemzügen. Der Anblick berührte Astra peinlich. Im wachen Zustand hätte er sicher nicht gestattet, dass sie ihn so sah, dessen war sie sicher. Es war etwas zutiefst Privates, was sie hier zu Gesicht bekam.
    Nate verzog den Mund, als hätte er ihre Gedanken gehört. Sein Atemrhythmus beschleunigte sich noch, seine Finger krallten sich in das Laken. Er stieß einen Laut aus, schmerzerfüllt und hoffnungslos, und warf den Kopf zur Seite, als müsse er dem hellen Zimmerlicht ausweichen.
    Astra streckte die Hand aus und wollte ihn beruhigen, doch ihre Finger verharrten nur Millimeter von seiner Schulter entfernt. Ihre letzte Berührung war so qualvoll gewesen, dass es ihn nicht im Bett gehalten hatte. Sie wagte nicht, ihn noch einmal anzufassen.
    Tu etwas oder lebe mit der Schande, dass du es nie versucht hast, donnerte Ateschs Stimme in ihrem Kopf. Er hatte recht. Hier zu sitzen und zu zögern würde Nate nicht retten.
    Sie musste es versuchen. Noch ein letztes Mal. Einen weiteren Fehlversuch würde er nicht überleben.
    Beim vorherigen Versuch war sie, wenn sie es jetzt recht bedachte, doch ziemlich brachial zu Werke gegangen und hatte ihr Licht geradezu hineingeschossen in Nate. Kein Wunder, dachte sie zerknirscht, dass sein verdunkelter Geist sich so massiv gegen ihr Eindringen gewehrt hatte. Es musste anders funktionierten.
    Sie schloss die Augen und lauschte dem Überwachungsmonitor, der Nates Herzschlag mit hellen Tönen in den Raum warf. Ruhig saß sie da, nahm den Klang, das Tempo in sich auf und spürte, wie sich ihr eigener Körper Nates Rhythmus anpasste. Ohne die Augen zu öffnen, schob sie ihre Hand über das klamme Laken, bis sie die Finger von Nates linker Hand berührte. Er regte sich nicht und gab auch keinen Laut von sich. Zögernd griff sie seine Linke, warm und trocken. Ihre Finger strichen über sein Handgelenk und fühlten seinen Puls.
    Tief atmete sie ein und aus, hielt die Augen geschlossen und konzentrierte sich auf den Takt unter ihren Fingerspitzen. Er war schnell, fast flatterte er. Wieder holte sie tief Luft, versuchte, ihre Ruhe auf ihn zu übertragen, seinen raschen Lauf zu bremsen. War es Einbildung oder nicht, seine Herzfrequenz schien tatsächlich zu sinken. Sie fühlte es, sie hörte es.
    Ihre Lichtkugel entstand, sie spürte es, doch ihre Augen blieben geschlossen. Ganz sachte schien ihr etwas tief in ihrem Herzen zuzuflüstern, was zu tun war, und sie riskierte keine Bewegung, kein überflüssiges Aufblicken, welches diese Stimme eventuell verstummen lassen konnte.
    Einatmen, dann legte sie ihre Rechte sanft auf Nates glühende Stirn. Behutsam senkte sie die kleine Lichtkugel, die irgendwo vor ihr schweben musste. Ein winziges Schimmern in der Dunkelheit, sie sah es vor sich, als sie mit geschlossenen Augen dasaß. Mit jedem Atemzug wanderte der Lichtpunkt weiter zu Nate, drang sachte in dessen Körper.
    Nate zuckte, bäumte sich kurz auf und sie murmelte beruhigend. Ihr Licht zog weiter. Doch erreichte es Nates Seele? Sie wusste es nicht, sie konnte ihr Tun nicht erklären. Doch dieses Mal war es richtig, das spürte sie. Umso vorsichtiger musste sie sein, um diese kostbare Verbindung nicht wieder zu zerstören.
    Der Schein flackerte kurz und mit einem Mal schwand die Wärme. Immer dunkler wurde es um sie. Doch das war keine normale Dunkelheit, sie schien fast greifbar, kalt und bedrohlich. Sein Herzschlag - oder war es ihrer? - dröhnte in ihren Ohren und wurde wie ein Echo in ihrem Inneren hin und her geworfen, tickte wie eine große Uhr und machte ihr bewusst, dass die Zeit ablief, während das kleine Licht immer weiter in die tiefste Finsternis wanderte. Und dann tat sich ein Abgrund vor ihr auf, pechschwarz selbst im Dunkeln. Dort war Nate, dort war sein Bewusstsein, das fühlte sie. Das Licht stürzte hinein und sie selbst, die Augen geschlossen und angespornt von Nates noch immer schlagendem Herz, sprang hinterher.

    • Offizieller Beitrag

    Er schrak hoch, als sich die Decke unter seinen Füßen regte.

    Hmm. Ok, die junge Frau ist also wach und nennt sich Astra.

    Ich kann jetzt scho mal sagen, dass ich gespannt auf den nächsten Part bin, weil ich wissen möchte, wie Nates "Parkur" genau abläuft und ob es vielleicht wirklich was mit dem Parkourlaufen zu tun hat, dass man auch als Sportart kennt.

    Ansonsten wissen wir nun, dass es in deiner Welt etwas wie "Magie" gibt. Die Dame scheint auf jeden Fall sehr aufgeschlossen und direkt. Ich will mir erst mal ein genaueres Bild über sie machen, bevor ich dazu was sage ^^

  • Liebe Kiddel Fee :)

    Ich würde sagen - bester Text bisher :thumbup:

    Das war wirklich gut zu lesen und zum Ende habe ich wirklich mitgefiebert mit Astra. Vielleicht schaffe sie es, vielleicht verschlingt sie die Dunkelheit auch noch - aber sie versucht es. Da muss ich Atesch recht geben: Besser man nutzt die Möglichkeit als sich später Vorwürfe zu machen. Astra konnte keine Fehler mehr machen ...

    Und jetzt - schnell weiter :gamer:

  • Sehr geil, Kiddel Fee :thumbsup:

    Die letzten Teile habe ich förmlich verschlungen! Das liest sich wirklich richtig gut und ähnlich, wie LadyK habe ich am Ende total mitgefiebert.

    Ich habe nichts gefunden, was mich gestört hätte. Alles toll erzählt und nachvollziehbar. Gut finde ich auch, dass es zunächst einen gescheiterten Versuch gibt und erst das Gespräch mit Rett Astra dazu bewegt, es noch ein weiteres Mal zu versuchen.

    Bin gespannt, was jetzt kommt :gamer:

  • Es war noch ziemlich früh am Morgen, als Thyras an einem der beiden Gästetische im großen Speisesaal Platz nahm. Es machte ihm nichts aus, beizeiten aufzustehen. Seinem Alter geschuldet schlief er ohnehin nicht mehr allzu viel, weswegen er heute morgen auch schon wach gewesen war, als Sergeant Benedict bei ihm an die Tür geklopft hatte.
    Der junge Soldat, dem die Betreuung von Thyras und der Elementalen samt ihren Begleitern unterlag, hatte ihm mitgeteilt, dass man Astra bewusstlos im Krankenflügel gefunden hatte.
    Der Elementalen ging es gut - davon hatte er sich selbst überzeugt. Sie war unverletzt und schien lediglich tief zu schlafen. Doch was genau passiert war, konnte keiner der Kittelträger sagen.
    Thyras ahnte, dass Astra auf den Weg zu Nate gemacht war . Wie sie es letztenendes angestellt hatte, wusste er nicht, vermutlich würde er es auch nie genau verstehen können, weil ihm die Gaben dafür fehlten. Doch er war zutiefst überzeugt davon, dass entweder beide oder keiner der jungen Menschen zurückkehren würde.
    Es war wenig los um diese Zeit. Der Dienstwechsel würde erst in einer halben Stunde stattfinden, die meisten Soldaten schliefen noch. Umso verwunderlicher war es, dass die junge Frau aus Astras Gruppe plötzlich im Speisesaal auftauchte.
    Überrascht reckte sich Thyras und hob kurz die Hand als Einladung, sich zu ihm zu gesellen. Sie nickte kurz und ließ sich wenig später mit einem Tablett ihm gegenüber nieder. “Sir.”
    “Nenn mich ruhig Thyras. Ich besitze keinen militärischen Rang und keinerlei Titel.”
    “Dafür aber einen großen Wissensschatz, wie uns Astra versichert hat. Mein Name ist Victoria. Ebenfalls ohne alles.” Sie reichte ihm die Hand und er drückte sie kurz.
    Seine Finger streiften Schwielen und Hornhaut. “Du bist eine Arbeiterin?”
    Sie belegte die ihr zugestandenen zwei Graubrotscheiben mit dem blassen Käse, den es hier jeden Tag gab, und nickte. “Mechanikerin, ja. Zumindest in den Downs und während unserer Reise hierher. Ich bezweifle allerdings, dass es hier Arbeit für mich gibt. Meine Kenntnisse dürften zu sehr veraltet sein.” Gleichgültig zuckte sie mit den Schultern und begann zu essen. “Keine Ahnung, wohin es mich als Nächstes verschlägt. Also nehme ich, was kommt.”
    Thyras musterte sie interessiert. Diese Victoria besaß eine starke Persönlichkeit, wenn auch ein wenig schroffer Natur. Doch - was wesentlich wichtiger war - sie stammte aus den Downs, wo sie Beziehungen zu Rett und vielleicht auch zu Ivy unterhalten hatte.
    “Wo ist dein Begleiter?”
    Victoria nahm einen Schluck Tee aus der Tasse und stellte sie mit Nachdruck zurück auf das Tablett. Sie schien ihre Worte sorgfältig abzuwägen. “Er wurde heute morgen beizeiten geweckt und ins Lazarett bestellt. Sie wollen einen Versuch wagen, seine Hände zu retten.”
    Ihre Stimme sollte ruhig klingen, doch Thyras erkannte das leichte Beben darin. Die junge Frau schien sich Sorgen um ihren Freund zu machen.
    “Es tut mir leid um Retts Hände.”
    “Da konntest du nichts dafür.”
    “Nicht direkt, nein. Doch vielleicht wäre es nicht so weit gekommen, wenn ich einiges anders gemacht hätte.” Er fegte die Krümel auf seinem Teller zusammen. “Rett hat mir gestern Abend die Geschichte eurer Reise erzählt. Doch einiges konnte oder wollte er nicht beantworten.” Hier ließ er eine bedeutungsvolle Pause.
    “Da werde ich dir kaum helfen können.” Victoria lehnte sich zurück und musterte ihn über ihre verschränkten Arme hinweg. “Ich habe den kleinsten Teil zu unserem Abenteuer beigetragen.”
    Thyras lächelte anerkennend. Wie er es sich gedacht hatte - Victoria war ein stilles Wasser. Still und tief. “Ein Abenteuer, in der Tat. Ihr habt einiges aufs Spiel gesetzt, indem ihr euch auf den Weg zum Hort gemacht habt. Und bei den beiden Herren eurer Gruppe kann ich mir den Grund auch vorstellen. Nur bei dir nicht. Es wird wohl kaum der Reiz einer längeren Autofahrt gewesen sein.”
    Wieder schwieg er, trank langsam und gab ihr Gelegenheit, ihre Antwort zu bedenken. Es musste doch um das kleine Mädchen gegangen sein!
    Victoria strich nachdenklich mit ihrem Finger über den Tassenrand, was ein singendes Geräusch erzeugte. “Wenn ich dort geblieben wäre, hätte mein ganzes Leben in den Downs seinen Sinn eingebüßt. In der Werkstatt hab ich es nur ausgehalten, weil …” Es war nicht nötig, diesen Satz zu vollenden.
    Thyras verstand. Deswegen war Victoria mitgekommen. Interessant, welch weicher Kern sich hinter der starken Schale verbarg. Es erklärte, warum sie darauf bestanden hatte, mit in den Hort zu kommen und nicht bei den Fahrzeugen auszuharren. Und auch, warum sie jetzt, getrieben von Sorge, im Speisesaal Ablenkung suchte, während Rett im Lazarett operiert wurde.
    “Ich kann mir denken, dass du mehr über Ivy wissen willst.” Victorias Themenwechsel war zweifelsohne gekonnt und dankbar fing er den Ball auf. “Aber ich fürchte, da kann ich dir nicht helfen. Die Kleine habe ich auf der Fahrt hierher das erste Mal gesehen.”
    “Und der Unfall ihrer Eltern, weißt du da etwas?” Er merkte selbst, dass seine Stimme drängend klang. Doch es war einfach unfassbar, dass nach all den Jahren voller Ungewissheit plötzlich der Kreis geschlossen werden sollte.
    Sie schüttelte den Kopf. “Leider gar nichts. Rett war sehr vorsichtig mit dem, was er mir anvertraute, weil er seine Familie schützen wollte. Und ich mochte dieses Vertrauen nicht mit unziemlicher Neugier belohnen.”
    Plötzlich beugte sie sich nach vorn. “Du hast eine Verbindung zu Ivy, das merke ich. Ob gut, ob schlecht, kann ich jetzt noch nicht sagen. Aber ich will, dass die Kleine endlich zur Ruhe kommen kann. Wenn das auch dein Ziel ist, stehen wir auf einer Seite und ich will sehen, ob ich helfen kann.”
    Überrascht zog er die Augenbrauen hoch. Sie schien nicht nur eine starke Frau zu sein, sondern auch noch reichlich Menschenkenntnis zu besitzen.
    Auch er lehnte sich jetzt nach vorn und auf einmal sah es aus, als würden sie ein Geheimnis planen.
    “Ich möchte mir Ivys Augen ansehen. Nur ansehen, keine Operation, gar nichts. Aber die Untersuchung würde mir Erkenntnisse liefern, auf die ich schon so lange hoffe, und vielleicht auch das Rätsel lösen, wieso das Kind Astra sehen kann.”
    Grübelnd zupfte Victoria an ihrer Unterlippe. “Ich habe nicht die Verantwortung für die Kleine. Das musst du mit Rett und Nate klären. Eher mit Rett, denn Nate …”
    “In Ordnung. Dann warten wir Retts Rückkehr ab und überlegen gemeinsam , was das Beste ist.”

  • Guten Morgen Kiddel Fee :)

    Das ist ja cool, das Vic ein bisschen mehr ins Bild gerückt wird. Ich bin gespannt, wie sie Rett dazu bringen will, dass Thyras Ivy untersuchen darf. Schätze mal, Rett ist damit nicht sofort einverstanden. Allerdings brenne ich auch darauf, zu erfahren, was es genau mit Ivy auf sich hat :)

    Ansonsten passiert in dem Part nicht viel, aber das muss ja nicht immer der Fall sein - es wird halt nett geplaudert :D btw. mag ich deine Dialoge immer sehr ;)

    Spoiler anzeigen

    Thyras ahnte, dass Astra auf den Weg zu Nate gemacht war .

    Ich habe das Gefühl, hier stimmt was nicht ...

  • Thyras ahnte, dass Astra auf den Weg zu Nate gemacht war .

    Thyras ahnte, dass Astra sich auf den Weg gemacht hatte. (und LeerzeichenXD)

    Meine Kenntnisse dürften zu sehr veraltet sein.

    So viel Selbsterkenntnis hätte ich Vic gar nicht zugetraut.

    Aber ich will, dass die Kleine endlich zur Ruhe kommen kann.

    Das auch nicht. Sie kennt Ivy doch kaum. Naja, wahrscheinlich liegt es daran, weil sie Rett etwas bedeutet :pardon: Who knows. Aber Ivy ist wahrscheinlich eh eines dieser Kinder, in die man sich nur verlieben kann XD
    Ist jedenfalls schön mehr von Vic zu erfahren. Bisher war sie ja eher eine Randerscheinung.
    Allerdings werde ich aus ihr nicht schlau.
    Es ist nicht wie bei Nate, der einfach verschlossen ist und dunkle Geheimnisse mit sich rumträgt, denn bei ihm ist man sich der Loyalität zu allen seinen Leuten bewusst.
    Vic würde ich zutrauen, dass sie die anderen ohne mit der Wimper zu zucken opfern würde, wenn sie damit Rett retten kann (hihi Rett retten) :hmm:
    Mal sehen, wohin das noch führt :)

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

  • Thyras ahnte, dass Astra auf den Weg zu Nate gemacht war . Wie sie es letztenendes angestellt hatte, wusste er nicht, vermutlich würde er es auch nie genau verstehen können, weil ihm die Gaben dafür fehlten. Doch er war zutiefst überzeugt davon, dass entweder beide oder keiner der jungen Menschen zurückkehren würde.

    Das kommt mir hier ein bisschen zu nüchtern betrachtet vor. Okay, er selbst hat ihr den Tipp gegeben...aber ich finde, er könnte hier ruhig ein bisschen mehr Sorge zeichen, oder nicht? :hmm: (nur so mein Gefühl beim Lesen)

    Ansonsten schließe ich mich den anderen an. Dass Victoria hier mal etwas mehr Raum bekommt finde ich gut. Allerdings empfand ich es beim Lesen auch erst etwas seltsam, dass ihr Ivy derart am Herzen liegt. Schließlich hat sie das Mädchen gerade erst kennengelernt und viele Informationen zu ihrer Vergangenheit scheint sie auch nicht zu haben...

    Im Grunde genommen spricht es aber für sie, dass sie sich für die Kleine stark macht. Ist wahrscheinlich eine Art Schutzinstinkt, dass man Kinder vor allem Bösen bewahren möchte.

    Hoffentlich bekommen sie Retts Hand wieder hin. Ich würde es ihm wünschen ^^

  • @ all


    Was Vic angeht, bin ich mir selber unsicher, ich weiß nicht mal, ob ich sie mag oder nicht. Hoffentlich ergibt sich noch die Möglichkeit, sie etwas mehr herauszuarbeiten. Im Moment hat sie leider nicht viel zu tun - außer dann vllt Rett zu pflegen, sollte seine OP durch sein ...

    Vic weiß aber, dass Ivy für Rett alles bedeutet, schon allein deshalb wird sie alles tun, um Ivys Interessen zu schützen. Woraus das noch hinausläuft, kann ich selber noch nicht sagen...



    Vornweg: Dies ist eine besondere Szene. Sie war eine der ersten, die in meinem Kopf fix und fertig stand und es hat sehr lange gedauert, bis ich mich dran gewagt und sie niedergeschrieben habe. LadyK , wenn du dich rantraust, versuche doch mal, die Szenerie mit dem Pinsel einzufangen - es würde mich brennend interessieren, wie das aussehen kann!


    Die Abgründe einer Seele


    Kälte. Es war das Erste, was ihr in den Sinn kam. Noch bevor sie die Augen öffnete, fror sie.
    Sie war auf festem Grund gelandet und stand sicher. Merkwürdige Laute drangen an sie heran, fernes Heulen, Jaulen, Stöhnen. Die Geräusche schwollen an und ab und kamen aus allen Richtungen.
    Verstört riss sie die Augen auf.
    Vor ihr ausgebreitet lag eine Landschaft, die direkt der Hölle entsprungen sein musste. Kniehoher, fahlgrüner Nebel waberte über nachtschwarzen Boden. Gebilde, merkwürdigen dunklen Türmen gleichend, ragten schief wie gebrochene Finger in einen tiefvioletten Himmel, über den in purpunen Spiralen zerfetzte Wolken zogen. Das Firmament wirkte zersplittert, bruchstückhaft. Der ganze Ort dröhnte und ächzte, der Lärm wurde hundertfach zurückgeworfen. Blattlose Bäume, tot und doch merkwürdig schimmernd, krallten sich in wie wahllos verstreute Felsblöcke und ragten aus dem Nebelmeer wie aus einer Schneedecke.
    Die ganze Szenerie war in seltsam fahles Licht getaucht, das alle Objekte nur wie Schatten ihrer selbst wirken ließ.
    Es gab keinen erkennbaren Weg und einfach loszulaufen musste sich als Fehler erweisen. Andererseits konnte sie auch nicht hier stehenbleiben. Erst jetzt stellte sie fest, dass sie auf einer Art gigantischer Treppe gelandet war. Deren Stufen formten lediglich Brocken aus dunklem Gestein, unregelmäßig, freischwebend und nicht sonderlich vertrauenerweckend. Als sie sich umdrehte, erkannte sie, dass der Weg hinter ihr im Nichts endete. Das war schlecht, aber darüber konnte sie sich später Gedanken machen.
    Sie musste nach unten. Nate war hier irgendwo.
    Ihr Atem bildete kleine weiße Dampfwolken. Schlotternd zog sie die Uniformjacke enger um sich. Ob es nur die Kälte war oder die Furcht, ihre Hände bebten, als sie die Finger ausstreckte und eine große Lichtkugel heraufbeschwor. Zwar konnte diese das beklemmende Gefühl in ihr nicht vertreiben, doch wenigstens fühlte sie sich nicht mehr allein und ungeschützt. Zögernd begann sie den Abstieg, kletterte mit größter Achtsamkeit und kam schließlich ohne Verletzung oder einen Sturz unten an.
    Der Nebel am Boden wallte bei jedem Schritt . Sie bewegte sich vorsichtig vorwärts, sah sich nach allen Seiten um. Die Laute, die sie umgaben, ließen ihre Nackenhaare zu Berge stehen. Was war das nur für ein verfluchter Ort? Gab es hier noch andere … Menschen? Wesen? Monster?
    Und wo war Nate? Vielleicht hatte er Zuflucht in einem dieser schwarzen Türme gefunden? Er war Stratege, selbst in dieser ausweglosen Situation würde er analysieren und sich eine Deckung, einen Unterschlupf suchen. Oder?
    Tief in sich bedauerte sie, dass die Lichtkugel, die sie damals in die Schlucht zu Nate geschickt hatte, inzwischen längst zu ihr zurückgekommen war. Es hätte ihr die Suche deutlich leichter gemacht, denn ihr Licht funktionierte wie ein Peilsender. Sie konnte es problemlos “spüren” und finden. Andererseits war sie sich nicht sicher, ob das für seinen Geist genauso funktionierte wie für seinen Körper ...
    Nur ein paar Meter von der Treppe entfernt rührte sich etwas. Eine Gestalt formte sich aus dem Nebel, richtete sich langsam auf wie nach einem langen Schlaf und kam schließlich schwankend zum Stehen. Astra erstarrte vor Schreck.
    Das Äußere dieses Wesens mochte einmal menschlich gewesen sein. Jetzt jedoch war es grotesk verformt, als wäre die Gestalt im Feuer geschmolzen worden. Die Gesichtszüge schienen am Schädelknochen herunterzulaufen. Nässende, schwärende Wunden bedeckten die Haut, gelegentlich konnte sie sogar weiße Knochen aus völlig verbrannten Fleisch ragen sehen.
    Die Erscheinung stieß einen grauenhaften Laut aus, voller Schmerz und Pein. Dann schlug sie die verkohlten Hände vors Gesicht und sank wieder zurück in den Nebel, zerfiel in Fetzen und war verschwunden.
    Im selben Moment entstand einen Steinwurf von ihr entfernt das nächste Schreckensgebilde, formte sich, schrie und fiel wieder in sich zusammen. Wieder. Und wieder. Eins dieser Wesen sah schlimmer aus als das andere. Die meisten waren teilweise verbrannt, andere wiesen klaffende Verletzungen auf, aus denen dunkles Blut strömte. Manchen fehlten Gliedmaßen, manche hatten armdicke Löcher in der Körpermitte oder komplett zerfetzte Leiber.
    Astras Licht flackerte bedenklich. Dieser Anblick, diese - Geräusche setzten ihr fürchterlich zu. Am liebsten wäre sie auf den klammen Boden gesunken und hätte sich die Ohren zugehalten, um diese entsetzlichen Laute nicht mehr hören zu müssen. Gewiss, keine dieser Erscheinungen tat ihr etwas, aber allein ihr Auftauchen, ihr Aussehen, diese Kälte -
    Mit zitternden Knien ging sie los. Vor ihr teilte sich der Nebel, sodass sie immer ein Stück Boden erkennen konnte. Es gab keine Markierung, keinen Weg, nichts, das sie hätte führen können. So steuerte sie auf das turmartige Gebäude zu, welches ihr am nächsten war, und versuchte dabei, die Erscheinungen von Sterbenden um sich herum zu ignorieren. Vergeblich. Bei jedem Schrei, jedem Klagelaut zuckte sie zusammen. Es war grauenvoll und sie konnte sich nicht daran gewöhnen. All diese Abbilder, die hier verendeten, waren einmal Menschen gewesen. Und jetzt tauchten sie hier auf, in Nates Bewusstsein. Wieso nur? Konnte der junge Mann wirklich für das Ende all dieser Seelen verantwortlich gewesen sein?
    Schließlich erreichte sie den Turm und ließ sich mit dem Rücken dagegen sinken. Kalt war ihr inzwischen nicht mehr, im Gegenteil, der Schweiß stand ihr auf der Stirn und ihr Herz schlug schnell und panisch. Kühler Stein drückte gegen ihre Schultern und als sie mit den Fingern darüber strich, fühlte sich dieser fettig an. Angeekelt wischte sie die Hände an der Hose ab und umrundete das Gemäuer. Obwohl der Turm eine auf vier Säulen ruhende Kuppel aufwies - wie alle Türme, wenngleich einige auch zerfallen waren - konnte sie keinen Eingang entdecken, keine Leiter hinauf.
    Dafür schob sich direkt vor ihr eine neue Schreckensgestalt aus dem Boden. Und dieses Mal konnte Astra den Blick nicht abwenden. Zu vertraut waren die Züge der Frau, zu flehend ihr Blick. Ein geisterhaftes Grinsen verzerrte den harten Mund, dann bog sich die Gestalt mit Kays Äußerem nach hinten und schrie, schrie und hörte nicht auf. Es krachte mehrmals in den Wirbeln, trotzdem zerrten die verkrampften Rückenmuskeln Kays Oberkörper immer weiter nach hinten, während das Gesicht allmählich blau wurde. Reglos vor Entsetzen wartete Astra darauf, dass dieses Bild verschwand, doch das tat es nicht. Und schließlich setzte sich der verdrehte Körper in Bewegung, wanderte langsam auf sie zu.
    “Nein!” Astra sprang entsetzt zurück und streckte beide Hände aus. Rote Impulslaser schossen aus ihrer Handfläche und pfiffen wirkungslos durch die Erscheinung hindurch, um irgendwo in der Ferne zu verglühen. Erneut stieß Kay einen Schrei aus, dann zerfiel die Illusion in Nebelfetzen.
    Astra war so übel, dass der Boden vor ihr zu schwanken schien. Mühsam krallte sie die Hände in den feuchten, dunklen Matsch, um Halt zu suchen. Atme!, befahl sie sich selbst, doch der Versuch, Luft zu holen, endete nur in Schluchzen.
    Was hatte sie getan? In welcher Hölle war Nate ihretwegen gelandet? Wie sollten sie beide hier nur wieder herauskommen?
    Neue Schreie hallten an ihr Ohr. Noch mehr Wesen tauchten auf, es schienen mehr zu werden, den Kreis um sie herum enger zu ziehen. Noch hatte keiner Anstalten gemacht, sie anzugreifen, aber jeden Moment konnte es dazu kommen. Allein der Gedanke, dass diese toten Hände sie berührten…
    Sie sprang auf. Ein neuer Laser durchquerte die Erscheinung vor ihr auf Bauchhöhe, diese seufzte und verblasste, doch beinahe sofort erhoben sich neue Schreckensbilder, schreiend, sterbend, blickten sie aus erlöschenden Augen an und streckten sich nach ihr aus.
    “Ihr seid nicht echt!”, sagte sie energisch, als müsste sie sich selbst überzeugen. “Ihr seid nicht echt! Nur Fetzen aus Nebel und Erinnerung. Ihr könnt mir nichts antun.”
    Als Antwort erhielt sie ein solches Klagegeschrei, dass sie dieses Mal wirklich mit auf die Ohren gepressten Händen auf den Boden sank.
    Und als sie die Berührung an ihrer Schulter spürte, schrie sie selbst. Die Lichtkugel flatterte ein letztes Mal und erlosch.

    • Offizieller Beitrag

    Zehn Minuten später ließ er sich ausgepumpt erneut an den Zaun fallen.

    Okay, an sich gefällt mir das gane hier ziemlich gut, nur deine Sprünge durch die Zeit reißen mich manchmal raus ^^;

    Erstens, weil ich schon wieder hochgescrollt habe um zu schauen, ob ich einen Part übersprungen habe (Hab mich doch so auf den Parkour gefreut ;( )

    Und zweitens, weil du das sehr oft machst. Vielleicht ist das auch dein Stil (Wovon ich ausgehe) Aber beim erneuten Zeitsprung IN dem Part selber, wo Nate an Astras Seite wach wird, ist es mir aufgefallen. Für mich persönlcih wirkt es deswegen etwas zerhackt. Aber gut, schauen wir mal auf das Geschehen des Parts.

    Das Ganze deutet ja auf einen vorschnellen Abschied der leuchtenden Dame hin... Aber da passiert bestimmt noch was :D Mir gefiel die Sorge um Ivy, zuerst hatte ich nämlich auch die Vermutung, dass DIE (wer auch immer sie sind) das kleine Mädchen als eine Art Spürhund benutzen könnten. Um mehr von Astras Sorte ausfindig zu machen. Was aber implizieren würde, das Astra nicht die Einzige ihrer Art ist, NOCH ein Teil von DENEN. Sprich, dass Astras Art generell kein Teil von DENEN ist. Ich dachte zuerst, sie sei bloß eine Abtrünnige von Ihres Gleichen ... wobei, das schließt sich ja eigentlich nicht aus :hmm:
    Ich spinne einfach ein bisschen rum, mach dir um das Geschreibsel keinen Kopf xD

    Naja, Astra hat jedoch eine andere befürchtung, als ich. Sie hat Sorge, dass man an Ivy Experimente vollziehen könnte, sie "untersuchen" würde. :hmm: Dazu muss ich mir noch Gedanken machen.


    Es macht auf jeden Fall einen Unterschied. Beim ersten Fall, liegt die oberste Sorge eher bei den Leuchtenden entdeckt zu werden.
    Im zweiten Fall liegt die Sorge da, dass Ivy etwas passieren könnte. Das fand ich btw. auch recht interessant, wie der Fokus sich geändert hat. Die ganze Geschichte hab ich eher Astra als die Bedrohte gesehen (was sich wohl auch nicht geändert hat xD) Aber jetzt, ist in diese Position eher Ivy gerrückt und sie ist auf einmal die, um die ihc mir mehr Sorgen mache. :hmm:

  • Ohhhhhh ... Das war mal eine schwere Kost Kiddel Fee

    Ich muss mich korrigieren, denn DAS war dein bisher bester Text (ich bin mir zwar sicher, dass ich mich noch öfter korrigieren werden, aber egal xD).

    Obwohl es wirklich schlimm ist, was da gerade passierte, hast du es wirklich mega (!) gut geschrieben. Kurz hatte ich daran gedacht, dass du da noch schärfer rein gehen könntest, aber hinterher ... das war Gänsehaut pur und solch grauenhafte Bilder niederzuschreiben, muss man auch erstmal hinkriegen.

    Großes Kino :thumbup:

    LadyK , wenn du dich rantraust, versuche doch mal, die Szenerie mit dem Pinsel einzufangen - es würde mich brennend interessieren, wie das aussehen kann!

    Das wäre wirklich interessant zu sehen, was mein verkorkstes Gehirn daraus macht :ugly:

    Wobei ich gleich sagen muss, dass ich nicht weiß, ob es DEINEN Vorstellungen entsprechen wird ...

    Vielleicht finde ich demnächst mal etwas Ruhe und Zeit, mich hinzusetzen :D

    LG und jetzt schnell weiter, bitte :D

  • Hey Kiddel Fee,

    ja, die Szene war sehr eindringlich. Ich könnte mir vorstellen, dass es dir großen Spaß gemacht hat, das zu schreiben. Das ist wirklich sehr atmosphärisch geworden und ich konnte mir diese karge Landschaft mit dem Nebel und diesen Säulen und diesen Schattenwesen sehr gut vorstellen. Der reinste Albtraum...

    Man könnte noch ein paar Albtraumelemente verbauen....dass sie zum Beispiel plötzlich das Gefühl hat, sich nicht mehr richtig bewegen zu können...oder viel zu langsam...oder dass sie in den Boden versinkt, wie in wabrigem Sumpf...das waren nur so Ideen,die mir noch kamen. Ich glaube, wenn man einmal anfängt, sich mit so einer Szene zu befassen, dann kommen einem plötzlich tausend Ideen...

    Also, mir hat es auf jeden Fall sehr gut gefallen...deshalb Daumen hoch :thumbsup:

    Als sie sich umdrehte, erkannte sie, dass der Weg hinter ihr im Nichts endete. Das war schlecht, aber darüber konnte sie sich später Gedanken machen

    Das finde ich irgendwie gut! :thumbsup:


    Und als sie die Berührung an ihrer Schulter spürte, schrie sie selbst.

    Bitte lass es Nate sein ;(

  • Lady

    LadyK , Tatsächlich habe ich die Szenerie ein wenig - geklaut. Soll heißen, ich habe ein Setting gesehen und gedacht, verflixt, ist das geil - da MUSS ich eine Geschichte für schreiben! Und ich kann auch nicht verhehlen, dass abstoßende Szenen einen gewissen Reiz für mich haben:evil: was sagt das jetzt über mich aus8|?

    Rainbow

    Rainbow , ich will die Szene nicht überladen. Es ist nicht Astras Alptraum, sondern Nates und der IST im Boden versunken. Will auch den Leser nicht ZU sehr verstören, am Ende klammert der sich weinend an ein Kopfkissen und wird nie erfahren, wer Astra nu angetatscht hat...

    Eti


    Etiam Waaah, das hatte ich befürchtet, dass hier jemand einen übelsten Parkour-Lauf sehen will. leider habe ich ja davon null Ahnung, deshalb habe ich es ganz profan weggelassen^^


    Und ja, es macht sich jeder irgendwie Sorgen - keine Angst, das wird noch besser:evil:

    @ all, ihr seid ja momentan die einzigen Leser. Soll ich gleich weiter posten oder braucht ihr bissl zum Sacken lassen?

  • hr seid ja momentan die einzigen Leser. Soll ich gleich weiter posten oder braucht ihr bissl zum Sacken lassen?

    Ich denke, jeder kann sich die Posts doch so einteilen, wie er mag. Wenn`s zu schnell geht, wirst du im Zweifelsfall einfach mal einen oder zwei Tage auf ein Feedback warten müssen.

    Also mach doch so, wie es für dich passt :)

  • “Was tust du nur hier?”
    Obwohl er leise gesprochen hatte, obwohl sie ihn theoretisch zwischen all dem Geheul gar nicht hätte hören können, spürte sie seine Worte beinahe in sich. Wie ein sanftes Vibrieren, eine kleine Wärmequelle, ein winziger Funken Freude.
    Vorsichtig wandte sie den Kopf und sah eine Hand auf ihrer Schulter liegen. Kräftige Finger, wenn auch schmutzig, leicht gekrümmt, aber lebendig. Sie konnte deren Wärme durch ihre Jacke hindurch spüren. Nates Griff war fest, aber nicht schmerzhaft, er gab ihr Halt, bis sie wieder genug Kraft spürte, um zumindest auf die Füße zu kommen.
    Er half ihr nicht auf, sondern trat einen Schritt zurück und sah sie eindringlich an.
    Seine Augen waren immer noch tiefschwarz, ohne einen einzigen Lichtpunkt darin. Sie wirkten wie tot und bildeten einen beängstigenden Kontrast zu dem blassen Gesicht, welches unter den verschwitzen dunklen Locken halb verborgen lag. Keine Regung war in seiner Miene zu erkennen, keine Reaktion auf die Umgebung oder deren … Bewohner.
    Sie brauchte einen Moment, bis sie begriff, dass er wirklich eine Antwort von ihr erwartete. Jetzt, wo er vor ihr stand und sie seine Berührung tatsächlich spüren konnte, obwohl ihre Körper beide nicht hier waren, kam sie in Erklärungsnot. Und die Wesen um sie herum hinderten sie daran, einen klaren Gedanken zu fassen.
    “Ich … hole dich zurück”, flüsterte sie nur und hörte selbst, wie planlos diese Worte klangen.
    Nate schwieg. Seine Lippen bildeten plötzlich einen schmalen, blassen Strich. Es war ihm anzusehen, dass er ihr Unterfangen als hoffnungslos einschätzte, dass er nicht daran glaubte, einen Ausweg aus dieser Welt finden zu können. Im Gegenteil - er sah sie jetzt selbst als Gefangene hier. Sicher hatte er schon sämtliche Möglichkeiten einer Flucht ausgelotet, alles versucht und sich den Kopf zerbrochen. Und war gescheitert.
    “Komm mit”, wies er sie leise an. “Ich kenne einen ruhigeren Platz. Dort können wir reden.”

    Er führte sie einen Pfad entlang, den sie nicht erkennen konnte. Mit traumwandlerischer Sicherheit bewegte er sich durch den Nebel. Die Geister um sich herum sah er nicht an, doch Astra spürte, dass sie ihm zusetzen, weil er nach jeder Begegnung seine Schritte noch beschleunigte. Schließlich rannten sie fast und nach einer Weile erreichten sie einen der dunklen Türme. Aus dessen instabil wirkender Wand ragten einzelne große Steine hervor und bildeten eine improvisierte Treppe nach oben.
    Nate warf ihr einen auffordernden Blick zu und nickte. Zögernd ergriff sie die schmierigen Gesteinsbrocken. Ihre Finger fanden nur schwer Halt, die Füße rutschten auf den kleinen Vorsprüngen und sie fragte sich, ob sie wohl wirklich an einem Sturz auf den Kopf sterben konnte, selbst wenn das hier nur Nates Gedanken waren …
    Es war nicht hoch , bereits die erste Etage des merkwürdigen Gebäudes bot für sie beide genug Platz, um sich niederzulassen. Von hier oben konnte sie erkennen, dass sich diese Welt bis zum Horizont erstreckte und überall ähnlich schrecklich aussah. Der giftig grüne Nebel bedeckte den Boden, Wesen strichen durch ihn hindurch, ihr Klagen und Schreien erfüllte die Luft.
    “Hier herauf kommen sie nicht.” Es war das Erste, was Nate nach langem Schweigen zu ihr sprach. “Sie bleiben am Boden.” Er klang völlig emotionslos, aber es konnte ihn unmöglich nicht berühren.
    “Wer sind sie?”, fragte Astra leise.
    Er machte eine vage Geste. “Meine Toten. Menschen, für deren Sterben ich die Verantwortung trage.”
    “Die Soldaten von Coillaugne?” Astra hatte es schon vermutet. Viele der armen Gestalten da unten waren bis zur Unkenntlichkeit verbrannt oder anders verstümmelt worden. Kriegsopfer …
    Nate wandte den Kopf und sah sie scharf an.

    Sie blickte entschlossen zurück. “Rett hat mir davon erzählt.”
    “Rett … ihn sehe ich nicht hier. Lebt er noch?” Auch diese Frage klang belanglos, doch die leise Spur von Furcht in Nates Stimme war nicht zu überhören.
    “Sie leben alle noch. Rett, Victoria - und Ivy. Sie sind alle draußen, in Sicherheit.”
    Nate stieß den Atem aus und ließ sich zurückfallen. “Sie leben …”
    Astra nickte bekräftigend. “Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, waren alle gesund und munter.”
    Er wandte sich ab, damit sie sein Gesicht nicht sehen konnte. Doch seine bebenden Schultern und seine tiefen Atemzüge entgingen ihr nicht.
    Sie ließ ihn in Ruhe, gab ihm Zeit, diese Informationen zu verarbeiten.
    “Dann muss ich dir danken. Es wird deinem Einfluss und deinem Handeln geschuldet sein, dass sie nicht mehr im Hort sind.”
    Sie wischte diese Aussage beiläufig zur Seite. “Das ist jetzt nicht wichtig. Wir müssen dich hier herausbekommen. So schnell wie möglich.”
    Der Blick aus den schwarzen Augen traf sie erneut. “Meinem Körper geht es nicht gut, oder?”
    Stumm nickte sie. “Während dein Geist hier festsitzt, stirbst du. Du nimmst nichts zu dir, du glühst vor Fieber und vergehst vor unseren Augen.”
    “Klingt wie bei Tenebris damals.”
    Astra biss sich auf die Lippen. “Ja. Genauso wie Tenebris.”
    Er musterte sie kurz. “Verstehe. Allerdings kann ich nicht fort von hier. Es gibt keinen Ausgang.” Seine Linke wies in die Richtung, aus der sie gekommen waren. “Die Treppe mündet ins Nichts und das, was wir sehen, wird von einer unsichtbaren Wand begrenzt. Diese Welt ist eine Kuppel voller Geister und Dunkelheit, ohne Tür, ohne Fenster. Ich habe sie gründlich durchstreift und kam immer wieder bei der Treppe heraus. Es gibt keinen Weg hinaus. Nicht für mich.”
    Es klang endgültig, so wie er das sagte. Er hatte sich damit abgefunden und diese Strafe für sich akzeptiert. Gefangen mit seinen Toten, solange, bis sein Körper, irgendwo in weiter Ferne, aufgab …
    Ein neuer Schrei hallte zu ihnen herauf, das Schreien einer Frau, vermischt mit herzzerreißendem Schluchzen. Astra zuckte erschrocken zusammen. Direkt unter ihrem Turm stand eine unversehrte weibliche Person. Sie sah überhaupt nicht tot aus, im Gegenteil, ihr Gesicht war gerötet, wenn auch verweint. Doch dann drehte sie sich leicht und Astra erkannte, dass ihr Kleid vom Bauch abwärts blutgetränkt war. Viel Blut. Zu viel Blut. Es tropfte dampfend auf den dunklen Boden und die Frau wurde sehr schnell blass. Dann sank sie in sich zusammen und verschwand im Nebel.
    Die Ähnlichkeit war nicht zu übersehen gewesen.
    “Nate - deine Mutter …?” Astra wagte kaum, weiterzusprechen. Wie konnte Nate den Tod seiner Mutter verschuldet haben?
    “Sie ist bei meiner Geburt gestorben. Die Ärzte standen vor der Wahl, sie oder ich. Und sie bestand darauf, mich zu retten, obwohl sie um den Preis wusste. Ich habe sie nie kennengelernt.”
    Sein Blick wanderte in die Ferne. “Meine ganze Familie ist hier, Astra. Mein Vater, meine beiden Brüder …”
    “Du hast keine Schuld an ihrem Tod!”, brach es aus ihr heraus.
    “Nicht? Wenn ich ein besserer Anführer gewesen wäre und die Schlacht an der Eisernen Brücke für uns entschieden hätte, wäre keiner von ihnen als Kriegsverbrecher verurteilt und hingerichtet worden.”
    “Nate, du warst zwölf. Du warst ein Kind.”
    “Ich war erwachsen genug für den Krieg.”
    So langsam verstand Astra, warum der Körper ihres Freundes gerade das Leben einstellte. Wer die ganze Zeit mit solchen Gedanken festsaß, konfrontiert mit seinen schlimmsten Erinnerungen, konnte nur verrückt werden.
    “Und Kay?”
    “Kay habe ich mit meinen eigenen Händen getötet. Sie bekam ein Medikament von mir gespritzt. Ich habe es von Artax im Tausch gegen meine wahre Identität erhalten.” Er sah auf seine Hände herab und spreizte die Finger, als würden die Spuren seiner Tat noch immer an diesen haften. “Man könnte natürlich argumentieren, dass sie ohnehin gestorben wäre. Tetanus verläuft tödlich. Aber in diesem Moment habe ich über Leben und Sterben entschieden. Meine Verantwortung. Meine Schuld.” Er schwieg wieder und Astra wusste nichts zu sagen. Sie saßen stumm nebeneinander
    “Haben dir die Toten etwas gesagt?”, fragte er schließlich leise. “Haben sie mit dir gesprochen oder dich angegriffen?”
    Langsam schüttelte sie den Kopf. “Nein. Sie kamen bedrohlich nahe, aber keiner hat mich berührt. Und außer diesen - Geräuschen habe ich nichts gehört.”
    “Du Glückliche.” Er schnaubte leicht. “Ich höre sie. In meinem Kopf. Nicht das Geheule, das sie von sich geben, sondern die Dinge, die sie sagen würden, wenn sie lebendig vor mir stünden.”
    Jetzt sah er plötzlich auf, als wäre eben eine solche Stimme ertönt. “Siehst du diese Gestalt da unten?”
    Astra beugte sich ein wenig vor. Es war wieder eine Frau, aber ähnlich wie die Kriegstoten nur noch schwer erkennbar. Bei ihr lag es allerdings mehr an den klaffenden Wunden, die sich kreuz und quer über ihren Leib zogen. Von dem flachsblonden Scheitel abwärts war sie blutüberströmt.
    “Ivys Mutter, Astra.”
    “Was … sagt sie?”, murmelte sie und plötzlich fror sie wieder.
    “Sie fragt. Warum ich ihr nicht eher geholfen habe. Alle fragen nach dem Warum. Warum ich sie im Stich gelassen, nicht gerettet oder sehenden Auges in den Tod geschickt habe.”
    “Nate, du musst hier raus.” Astra sprang auf und packte ihn am Ärmel. “Sofort!”
    Er sah auf ihre Hand hinab, bis sie langsam losließ.
    “Ich kann nicht, Astra. Ich komme nicht heraus. Und du wirst mich hier nicht herausleuchten können. Kein Laser, keine Lichtkugel ist in der Lage, meine Gedanken zu besiegen. Geh. Dieser Ort ist die Finsternis, die perfekte Dunkelheit, kein Platz für dich. Du bist zu gut dafür. Hier gibt es nichts, was du ausrichten kannst.”

  • Man muss schon sagen Kiddel Fee ... düstere Stimmungen und Gedanken liegen dir echt gut :thumbup:

    Ich habe mich gefühlt, als wäre ich bei dem Gespräch dabei gewesen. Als hätte ich in Nates schwarze Augen geblickt.

    Obwohl ich mir gewünscht hätte, dass wir noch ein bisschen mehr von Astras Gefühlswelt erfahren. Wie fühlt sie sich, als sie Nate sieht? Was empfindet sie, als sie von seiner Mutter erfährt oder von Kay?

    Ansonsten - Wirklich gut eingegangen die Szene :thumbup:

    LG

    • Offizieller Beitrag

    Waaah, das hatte ich befürchtet, dass hier jemand einen übelsten Parkour-Lauf sehen will. leider habe ich ja davon null Ahnung, deshalb habe ich es ganz profan weggelassen^^

    Naja, wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich auch keine Ahnung von dem, was ich schreibe :P

    Als Astra aus Kays Zimmer trat, hätte Nate sie beinahe nicht mehr wiedererkannt.

    Schöner kurzer Part. Das interessante war, dass es mir beim Abschied so vor kam, als seien wir schon viel weiter in der Geschichte, als würde ich diese Personen kennen und der Abschied fiel deswegen auch mir ein bisschen schwer (irgendwie habe ich mich in Astras Perspektive wiedergefunden ^^;) ICh denke mal das spricht für den Part :D
    Ganz so schlimm war es dann aber dohc nicht, da ich ja mal stark davon ausgehe, dass sich die beiden Parteien wieder sehen werden :D

    ZUrück lässt du uns mit einer Frage, die ich mir schon nach dem ersten Part gestellt habe. ICh bin gespannt, was Nate nun sagen wird...