Der Dämon und der Paladin

Es gibt 2 Antworten in diesem Thema, welches 2.227 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (26. November 2019 um 01:49) ist von Tom Stark.

  • Du öffnest die Augen, aber du weißt sofort, dass du nicht wirklich Augen hast. Sogar in deiner Heimat hat man Augen, nunja, optische Sensoren, die ein Außenwelter, der nur Augen kennt, Augen nennen würde.
    Du bist verwirrt über diese Gedanken und fragst dich, warum du über Außenwelter nachdenkst, bis es dir klar wird: Dir gegenüber sitzt so ein Außenwelter.
    Das schattenartige Gewebe um ihre Fleischperipherie nennt man Robe, Seide. Die Fleischpanzerung – ziemlich dürftig für deinen Geschmack – nennt man Körper. Aber auch Quader, Pyramiden und Prismen nennt man Körper. Warum sie sich nicht eine formvollendete Gestalt, wie eine Kugel oder wenigstens einen Ikosaeder gewählt hat, ist dir fast unbegreiflich. Diese im unteren Drittel eingedrückte Tonnenform mit fünf Auswüchsen, vier davon lang und biegsam, eines kurz und annähernd kugelförmig sieht beinahe willkürlich zusammengesetzt aus.
    Dann wird dir klar, du bist gefangen in einem Feld, welches von geometrischen Zeichen am Boden erzeugt wird. Ein Pentagramm und ein Kreis durch seine Ecken. Sauber, fast makellos. Perfekt genug, dass du keine Lücke findest, die groß genug ist, um zu entkommen.
    Das Feld wirkt Zwang auf dich aus. Noch kannst du widerstehen, aber eine beiläufige Hochrechnung ergibt, dass das nicht mehr lange so bleiben wird. Schon beginnt das Feld deinen Geist, deinen Willen, das was dich zu DU macht, zu verändern. Bald wirst du nur noch ein gelenktes willfähriges Ding sein, voller Kraft, ohne jeglichen ordnenden Kodex. Ein Alptraum. Für dich und zu 99% Wahrscheinlichkeit auch für deine Umgebung.
    Der Singsang des Fleischkörpers erhöht seine Intensität. Beschwörungsformel, kommt dir in den Sinn. Irgendwoher fließen dir Informationen über diesen Ort zu, und es sind keine symmetrischen!
    Langsam kommt in dir ein Gefühl hoch, seltsam und lange verschüttet. Die Alten wissen davon zu berichten, wenn sie einen Anflug von Dissonanz und nostalgischer Schieflage ereilt. Angst, Panik.
    Längst abgeschafft vom Grundsatz des Neosymmetrie-Codex.
    Diese Erkenntnis verhilft dir zu einem weiteren Gefühl: Wut.
    Wütend wallst du gegen das Kraftfeld an, versuchst dich in einen stabilen Körper zu formen, was dir aber nicht gelingen will. Du wirst zusammendrückt und fühlst, wie das, was dein Selbst ausmacht, kurz davor ist zu verlöschen.

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    Es war beinahe alles gut gegangen. War, ist das Schlüsselwort.
    Eigentlich sollte ich besser wissen. Eigentlich weiß ich es auch besser als auf eine E-Wicca hereinzufallen.
    Oh, sorry, E-Wicca ist euch kein Begriff?
    E steht für Erotik (manchmal auch Exotik) und Wicca, nunja, ist der wissenschaftliche und politisch total unkorrekte Begriff für alle Hexen, die nicht Magier, Zauber, Schamanen und was nicht noch alles sind. Anders gesagt, es sind Frauen mit Hammerkörpern und genug Sex-Appel um selbst einen verrosteten Motor ohne Öl und Sprit auf Hochtouren zu bringen.
    Natürlich war ich darauf vorbereitet, immerhin ist das mein Beruf. Als Paladin4Hire stehe ich im Branchenverzeichnis. Bekämpfung von magischen Umtrieben, ist die nähere Berufsbeschreibung, wobei Kampf tatsächlich oft Verhandlung, Vermittlung oder auch mal Schulterzucken-Sorry-hab-auch-keinen-Plan bedeutet.
    Klar, Vampire kann man pfählen, aber in der Regel macht sie das nur richtig, richtig sauer. Kann ich ihnen nicht verdenken, geht mir doch genauso.
    Werwölfe und Silber, Mann, da geht aber die wilde Lucy ab, es sei denn man schießt ein LMG-Magazin davon in sie hinein.
    Banshees, ja die kann man so richtig auf die Palme bringen, wenn man ihre Schreie mit lauter Rammstein-Mucke übertönt.
    Medusen hält man einen Spiegel vor die Nase, dann können sie in aller Ruhe ihre Frisur richten, bevor sie dich zu Tode beißt. Ja, ich meine die Frisur!
    Wie ihr seht, ich kenne die gängigsten Methoden und ich kann euch als Fachmann sagen, sie sind nicht nur alle lebensgefährlich, sie sind auch meistens nicht zielführend. Wobei, wenn man als Ziel einen schmerzhaften und grausamen Selbstmord hat, dann vielleicht doch.
    Jedenfalls hatte ich brav meine stark getönte Sonnenbrille auf, als ich die sexy Hexy besuchte. Zara Zayne, hieß das Herzchen, sah natürlich rattenscharf aus und ihre Pheromone ließen mich ganz schnell nur an eine einzige Sache denken.
    Genau, Kuchen!
    Nicht!
    Aber ich hätte es dennoch beinahe geschafft, ihr einen Sack übern Kopf zu ziehen, sie zu verschnüren und Abstand zu halten, bis mein Blutstau im Lendenbereich sich zugunsten weiterer Versorgung meiner weniger triebgesteuerten, kognitiven Zentren aufgelöst hätte. Umbringen wäre zwar die allgemein gängige Erst-Option gewesen, aber ich bin ein Paladin. Ziemlich immun gegen die meisten magischen Ärgernisse, wie Werwolf oder Vampiransteckung, vorzeitige Tode Aufgrund von Banschee-Flüchen, Verlockungen durch … nunja, leider nicht durch das Fleisch. Manche Extremisten unter meiner besonderen Menschenart, kastrieren sich sogar selbst, um auch hier immun zu sein.
    Aber das führt mir doch etwas zu weit. Ich blende mich ja auch nicht, um nicht beim Anblick einer unverhüllten Medusa zu Stein zu werden, oder hacke mir die Zeigefinger ab, damit ich nicht versehentlich einen Hobgoblin aus seiner Eckendimension in unsere Welt herbeiwinken kann. Vorsicht hat irgendwo auch seine Grenzen.
    Und als Paladin, einfach übersetzt, als Champion für das Gute und Richtige – kommt mir jetzt bloß nicht mit einer philosophischen Debatte – bringt man nicht zuerst die Leute um und fragt danach, ob man überhaupt den Richtigen erwischt hat! Eigentlich ist Leute umbringen, egal ob Vampire oder Hutzelmännchen, ganz übler Stil. Leider sehen das nicht so viele so wie ich.
    Egal. Jedenfalls wollte ich gerade der Hexe den schwarzen Sack überstülpen, als mein Blick unter der Sonnenbrille hindurch, die mich nicht nur cool aussehen, sondern auch mangels allzu genauer Sicht auf den hammergeilen Body der Hexe cool bleiben ließ, auf ihre langen schlanken Beine in den unmöglich hohen High-Heels fiel. Danach war nur noch Sabbern angesagt, von der gestammelten Bitte ihr Sklave sein zu dürfen, mal abgesehen.
    Leider hatte Mistress Zane beschlossen, dass ich gerade zur passenden Zeit eingetroffen war, um ihr als freiwilliges Blutopfer für eine Beschwörung dienen zu dürfen.
    Natürlich habe ich jauchzend zugestimmt, wobei man allein daran erkennt, wie übel es um mich bestellt war. Ich und jauchzen! Vor heute hätte ich geschworen, dazu anatomisch gar nicht fähig zu sein!
    Tja, und nun lag ich, angekettet in einem Opferkreis, neben mir im Beschwörerkreis saß Zara Zayne, die nun immer noch rattenscharf aber irgendwie gar nicht mehr sexy war.
    Also nicht für mich. Im Moment.
    Natürlich sah sie immer noch so perfekt aus, wie eine Menschenfrau das hinbekommt, nachdem sie genug Pakte und Rituale durchgeführt hat, um ihren Körper genauso hinzubekommen.
    Ein undefinierbares Etwas wallte im Bannkreis gegen seine Fesseln an.
    Ich fühlte, wie meine Lebensenergie angezapft wurde, um das Wesen zu fesseln, zu zwingen, zu versklaven.
    Mir wurde kotzübel und schwarz vor Augen!
    Doch dann war da etwas. Eine Verbindung, eine Art Stimme.

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    Dir wird schwarz vor Augen und furchtbar übel.
    Doch dann ist da etwas. Eine Verbindung, eine Stimme.
    Du fühlst ein Wesen mit einem Kodex. Es ist nicht dein Kodex, aber es finden sich genug Übereinstimmungen, dass ihr euch verständigen könnt. Es ist ein Handel, der stattfindet, ein Vertrag, eine Bindung, eine Partnerschaft.
    In einem ähnlichen Kreis, wie du, ist es gefangen. Auch ein Fleischwesen, noch asymmetrischer, aber auf seine Art natürlicher. Seine Anwesenheit ist nicht so konzentriert, wie die der Frau. Ja, sie ist eine Frau, er ist ein Mann. Immer mehr Informationen!
    Seine Gefangenschaft ist weniger geistiger Art, mehr physisch vielleicht, auch wenn du seine emotionale Bindung zum anderen Wesen spürst, die ambivalenter kaum sein könnte. Der Wunsch es zu erwürgen nimmt nur unwesentlich mehr Raum im Denken ein, als der Wunsch es zu begatten. Du bist verwirrt, aber du lässt dich nicht ablenken, denn du erkennst eine Chance, wenn sich eine bietet.
    Das Wesen hat drei Optionen. Zwei sind für dich von Vorteil, aber nur eine verspricht eine Chance von mehr als 33% auf Erfolg: Zusammenarbeit.
    Den Synergie-Effekt grob überschlagend, kommst du auf eine Chance von 47%. Die Grobheit der Berechnung stört dich im Moment nicht, der Faktor Zeit und Datenmenge lässt einfach nicht mehr zu.
    Also stimmst du zu.
    Der Handel ist einfach wie komplex, minimalistisch wie universell.
    Diese Symmetrie lässt dich hoffen.


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    Es gibt nichts, wovor sie dich auf einer Paladinschule mehr warnen, als Pakte mit einem Wesen einzugehen, was von einer anderen Daseins-Ebene stammt.
    Also, warnen würden, wenn es eine Paladinschule geben würde. Obwohl es tatsächlich Ausbildungen gibt, etwa wie Jedi-Meister und Padawan. Die wenigen Institute, die sich den Stempel aufdrücken, sind engstirnige, pedantische Kleingeister-Zuchtburgen und die wenigen wirklich, wirklich echten Paladine, die würden sie lieber heute als morgen niederreißen und den Boden auf dem sie standen salzen.
    Andererseits, ich war neun Jahre mit einer Vampirin liiert, bis sie eines Tages aufwachte und feststellte, dass ich weniger Zeit, Aufmerksamkeit und Geld für sie aufwendete, als ich das ihrer Ansicht nach sollte. Nicht, dass sie nur Nachts aktiv wäre. Nicht, dass sie mehr Geld als Bill Gates überall auf der Welt gebunkert hätte. Nicht, dass ich ihr nicht den Spaß gegönnt hatte, mit mir ihre Mitvampire in ihren Blut-Clubs zu Untode zu erschrecken.
    Vielleicht lag es aber auch daran, dass sie eine Frau war und damit von der Venus stammt und ich als Mann vom Mars? Vielleicht sollte gerade ich nicht zu überheblich über gefährliche Beziehungen urteilen. Jedenfalls leben wir jetzt auf völlig anderen Daseinsebenen, das ist mal sicher, daher: Scheiß drauf! Deal!
    Ich schnippte mit den Fingern und brachte ein müdes, mystisches Puff zustande, zu mehr reichte es nicht. Doch es genügte. Zara lachte hämisch und wollte eben einen Kommentar der bösartigen Art abgeben, als sie bemerkte, dass etwas nicht stimmte.
    Hektisch sah sie sich um, doch als sie den winzigen Streifen bemerkte, kaum mehr als ein Strich, mit dem ich ihren Beschwörerkreis leicht touchiert und den ich quer durch Bannkreis und Pentagramm gezogen hatte, war es zu spät.
    Das Wesen entwischte seinen Zwängen und suchte sich das nächste halbwegs solide Behältnis, welches ihm zur Verfügung stand: Die E-Wicca.
    Durch alle Körperöffnungen gleichzeitig fuhr es hinein, und ja ich meine alle, die am Kopf und die anderswo. Meine Sicht war zwar etwas eingeschränkt, aber ich konnte die Substanz sehen, wie sie eindrang und das Zucken der Hexe, das entrückte Stöhnen, das empörte Aufatmen, als sie zuerst in Bodennähe, und dann das erstickte Gurgeln, als sie in Kopfhöhe eingenommen wurde, verriet mir genug.
    Normalerweise bin ich strickt gegen Besessenheit in jeglicher Form. Versklavung verurteile ich und anderen ihren Körper wegzunehmen, finde ich eine ziemlich dreiste Art von schwerem Raub. Aber in diesem speziellen Fall war ich bereit, es als Notwendigkeit hinzunehmen. Das ist der Unterschied zwischen einem Gotteskrieger, c'est moi, und einem Gottesmann, c'est les fast alle Anderen, die im Namen eines oder mehrere Götter aktiv sind. Ich verdamme niemand, wenn ihm das Leben keine anderen sinnvollen Optionen lässt. Zur Sünde, um es mal so banal auszurücken, gehört der freie Wille, Kontrolle und Vorsatz. Anders gesagt: Ich trete dem Börsenheini in den Arsch, wenn er skrupellos Rentenfonds hops gehen lässt, drücke dem verhungernden Straßenjungen aus Bangladesch sogar noch ein paar Euro in die Hand, wenn er zu dusselig ist, mich unbemerkt zu beklauen.
    Nennt man Nächstenliebe. Ist gerade total außer Mode, ich weiß. Besonders, wenn der Nächste nicht einmal wie der Überübernächste aussieht.
    Ist eben so ein Paladin-Kodex-Ding.
    Muss man vielleicht auch nicht verstehen.

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    Diese neue Form fühlt sich falsch an, es fehlen klare Linien, eindeutige Begrenzungen. Zudem hat dieser Körper Bedürfnisse, die Dir völlig abartig vorkommen. Die Welt schwankt, doch als du endlich wieder klarer siehst, erkennst Du das andere Fleischwesen. Es hat überlebt durch eure Kooperation. Das gibt Dir Hoffnung, dass eine weitere Kooperation auch weiterhin zum gemeinsamen Vorteil dienen könnte.
    Als Du das Wesen von seinen physikalischen Beschränkungen befreist, stellt Du fest, dass es leichte Beschädigungen aufweist.
    Im Daten-Archiv Deines neuen Körpers findest Du etwas, was als Ritual der Heilung bezeichnet wird.
    Du errechnest eine 83,4 % Chance, dass es dem beschädigten Wesen helfen kann.
    Ungefähr. Die mangelnden Daten und das extrem chaotische Daten-Archiv dieses Körpers geben nicht mehr her.
    Zum Glück bist Du als Trigondodekaederiger (Bild hier) ohnehin ein Freigeist, schon immer gewesen. Selbst solch ungenaue Vorhersagen schrecken Dich wenig, ermutigen Dich mitunter sogar.
    Allerdings ist das auch der Grund, warum Du hier gelandet bist.
    Ist einfach so ein Deltaeder-Ding.
    Manche Dinge kann man einfach nicht verstehen.

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    Tom Stark
    zum Lesen geeignet

  • Ich geb's offen zu: Bin von der Geschichte bis jetzt überfordert. Finde sie dennoch interessant und vermute im Verfasser jemanden, der mathematisch unterwegs ist (Was mir dann auch wieder meine Überforderung erklären würde...)

    :chaos: