Danke für den Kommentar, Lady Für einen Post außer der Reihe hat es leider nicht gereicht (im Gegenteil, irgendwie <.<). Ich muss gerade gucken, wie ich genug Textpuffer aufbaue, um über den Dezember zu kommen.
Besorgniserregende, bunt flimmernde Streifen sprengten die Anzeige des Smartphones und mehrere Apps öffneten und schlossen sich in absolut willkürlicher Reihenfolge. Praktisch im selben Augenblick hörte Kolja das Radio in der Küche anspringen, welches sein Co-Koch dort aufgestellt hatte. Die Kasse zeigte wirre Zahlen an, katapultierte scheppernd ihre Lade hervor und das Telefon in Gwens Hand, das sie zwischenzeitlich woher auch immer hervorgezaubert haben musste, gab sämtliche Signaltöne gleichzeitig von sich, indessen die Zeiger des Quarzweckers oben auf dem Stützbalken den Rekord für die meisten vollständigen Umrundungen innerhalb weniger Sekunden brachen. Als nächstes flackerten die Deckenlampen und aus dem Büro vernahm man Hayes lästerlich seinen Computer verteufeln. Was zum-…? Sah Kolja einen schwachen, transparenten Schleier über den Tresen schweben, oder gaukelten ihm seine Augen lediglich Dinge vor? „Ich glaube, ich habe einen Fleck auf der Netzhaut…“, meinte Moira dasselbe zu erkennen und blinzelte einige Male angestrengt. Da kläffte Scott in das Off: „Verpiss dich, Ward! Du störst!“ Wörtlich gesprochen.
Die Lichter pulsierten heftig.
Danach verblasste der Schleier und der Normalzustand kehrte zurück.
„Scheiß Gespenst“, lästerte Scott über seinen Kollegen, bevor er sein Smartphone anzufassen riskierte und seine unterbrochene Textnachricht fortsetzte. Kolja empfand ja wahrlich viel Toleranz gegenüber dem Unfug, den Wards transluzente Gegenwart mit seinem Umfeld anstellte – immerhin konnte der Geist diese Eigenheit seiner Art unmöglich mal ebenso abstellen. Nachdem Kolja allerdings dank der Zusammenarbeit mit Ward nunmehr etliche dieser paranormalen Phänomene miterlebt hatte, musste er gestehen: Er verstand voll und ganz, weshalb Familien fluchtartig Haus und Hof aufgaben, sobald sich ein Gespenst in ihren Vier Wänden einnistete. Diese unkalkulierbaren Paroxysmen unerklärlicher Ereignisse wurden ziemlich schnell lästig, besonders, wenn man binnen weniger Wochen zu gleich drei Begebenheiten den Tiefkühlschrank notleeren musste, weil Wards Aura das Kühlsystem außer Gefecht setzte.
Wards Aktivitäten gewöhnt, brachte Gwen unbeeindruckt ein neues Thema auf den Tisch. Natürlich galt ihr Interesse hierbei vorrangig Colin, denn er war es, den sie gezielt ansprach: „Wieso kennst du dich eigentlich mit den Buchtiteln von Romantikliteratur aus?“ Auf seinen fragenden Gesichtsausdruck hin, präsentierte der Sukkubus dem Wolf ihr Smartphone, exakter gesagt: Die Ergebnisse einer Suchanfrage für 'Der ungezähmte Highlander' – dem Titel, den Colin vor wenigen Minuten fallen gelassen hatte. „'Der ungezähmte Highlander' von Hannah Howell. Das ist ein echtes Buch. Woher kennst du es?“
„Ist das nicht der Roman, den du dir mal von mir ausgeliehen hast?“, warf Abby ein, weshalb Moira sogleich ungläubig nachhakte:
„Colin, du liest Liebesromane?“
„Blödsinn!“ In einer ausladenden Geste winkte der Rüde jedwede Unterstellung ab. „Was will ich mit solchen Schnulzen? Ich hab' mir den Mist nur deshalb reingezogen, weil ich 'ne Wette gegen Niall verloren hatte und zur Strafe an seinem fünfunddreißigsten Geburtstag 'ne Buchvorstellung über einen dieser Schinken abhalten musste. Ich musste den Partygag für den Affen spielen! Keine Ahnung, weshalb ich ausgerechnet auf diesen Titel gekommen bin, wahrscheinlich hat er sich durch das Trauma einfach in meiner Hirnkruste festgebrannt.“
„Aber Colin…“ Nachdenklich legte Abby einen Finger auf ihr Kinn. „Nialls fünfunddreißigster Geburtstag ist doch schon zwei Jahre her. Das Buch hast du dir erst letzten Herbst von mir geborgt.“
„Häh?“
Erwischt. Amüsiert kicherten Moira und Gwen in sich hinein und steckten Kolja mit ihrer Belustigung an. Na so was. Da offenbarte ausgerechnet Colin ein Interesse für kitschige Liebesgeschichten. Nun ja, gewisse Berührungspunkte unter Geschwistern existierten eben in jeder Familie und Abbys Faible für romantische Literatur gehörte mit Sicherheit zu den harmloseren Gemeinsamkeiten zwischen Bruder und Schwester.
Im Gegensatz zu den beiden anderen Frauen verpasste die Wölfin die Pointe der Situation. Mit ehrlicher Wissbegierde wollte sie von Gwen erfahren: „Sind die Männer in Schottland eigentlich wirklich so, wie sie in meinen Büchern dargestellt werden?“
„Wenn es in meiner Heimat vor dauergeilen Sexgöttern wimmeln würde, wäre ich bestimmt nicht hier, Spätzchen.“ Der Sukkubus wandte sich an Kolja und Scott. „Übrigens bringe ich euch ungern in eine unangenehme Situation, Jungs, aber euch ist schon bewusst, dass da ein nackter Mann zu euren Füßen sitzt, ja?“
Ein nackter…? „Häh?“, stieß Scott aus, woraufhin Gwen mit dem Finger auf das verspiegelte Whiskeyregal jenseits des Tresens deutete und erklärte: „Ich sehe sein Spiegelbild.“
Zugleich senkten Scott und Kolja ihr Augenmerk hinab.
Und Ward blinzelte ihnen entgegen. „Hallo.“
„Was soll der Scheiß?!“, belferte Scott das Gespenst prompt an, das zwischen ihm und Kolja auf dem Fußboden hockte und an einem Energydrink nippte. Genau genommen verfehlte die Beschreibung 'nackt' die realen Umstände, denn um von Nacktheit zu reden, sollte Koljas Auffassung nach der komplette Körper einer Person sichtbar sein. Von Ward war hingegen kein Stück mehr zu erkennen, als Kopf, Brust sowie den oberen Hälften seiner Arme. Der Rest von ihm schien mit der Luft zu verschmelzen, weswegen man den Eindruck bekam, die Getränkedose würde von Geisterhand an seinen Mund geführt werden – was letztlich auch den Tatsachen entsprach.
Mit gleichgültiger Stimme beantwortete Ward Scotts Frage: „Ich verstoffliche.“ Zweifellos tat er das.
„Wieso hast du dich denn überhaupt aufgelöst, Caoimhin?“, wollte Moira von dem Geist wissen und beugte sich dafür über den Tresen hinweg. „Du weißt doch, dass du nur wieder Ärger mit Mister Hayes bekommst, weil du in diesem Zustand keine Kundschaft bedienen kannst.“
„Die Insistenz meiner olfaktorischen Reizwahrnehmung hat die Beständigkeit meines Stoizismus' erschüttert, weshalb ich ihr zu Lösung des Problems kurzzeitig meiner fleischlichen Hülle entsagt habe.“ Nachdem Ward in monotoner Stimmlage seinen Beweggrund herunter gerattert hatte, nahm er einen beiläufigen Schluck seines Energydrinks und Kolja meinte beobachten zu können, wie sich folglich ein paar Zentimeter unterhalb seiner Brust langsam ein Bauchnabel abzeichnete. Unterdessen wagte Moira eine Übersetzung:
„Das heißt, dir hat die Nase gejuckt?“
„Mir hat die Nase gejuckt.“
„Was für ein Bullshit!“ Gereizt warf Scott die Hände nach oben. „Mach deinen Mist gefälligst woanders, Mann! Geh in die Abstellkammer oder weiß der Geier wohin aber verzieh dich von hier. Deinetwegen spinnt mein Smartphone rum.“
„Nein“, schmetterte Ward die Aufforderung des Wolfes ab. „Ich bin kein Besen. Ich gehöre nicht in die Abstellkammer.“
Oh-oh. Diesen Widerspruch würde Scott doch nie im Leben hinnehmen. Nicht, wenn er von Ward stammte. Zu Koljas Erleichterung begrenzte sein Freund seine Aggressionen allerdings auf wütendes Zähnefletschen. „Pah!“, knurrte er. „Ist mir doch scheißegal, was du treibst. Ich geh jetzt vor die Tür. Von dort wird sich meine Nachricht ja wohl abschicken lassen. Wenn Hayes fragt, sag ihm, ich bringe den Müll raus oder so.“ Weil sich seine Bitte an Kolja richtete, nickte der Bär und Scott stapfte mitsamt Smartphone hinter dem Tresen hervor und zur Vordertür des Pubs hinaus.
Entzückt blickte Abby ihrem Bruder nach. „Ist es nicht unglaublich süß, wie wichtig Scott die Nachrichten von Hazel sind?“
„Süß? Nein“, gab Ward von unterhalb des Tresens ungefragt von sich. „Viel eher bedenklich. Meiner Meinung nach begibt sich Fitzpatrick geradewegs in eine Abhängigkeit, Bestätigung durch diese Frau zu erfahren. Er sollte lernen, seinen Zwang zu durchbrechen und die niederen Impulse zu bändigen.“
„Harte Worte von jemanden, der sich in Luft aufgelöst hat, weil er sich nicht mehr den Riechkolben kratzen wollte.“
Ward ignorierte Colins Einwurf und redete weiter: „Zudem es seiner Beziehung aufgrund der Distanz einer physischen Greifbarkeit mangelt. Ich frage mich, inwiefern es der Definition einer Liebebeziehung entspricht, wenn sich beide Individuen auf unterschiedlichen Landmassen aufhalten. Ist diese Konstellation überhaupt erlaubt?“
„Das nennt man 'Fernbeziehung'“, mischte sich nunmehr Gwen ein. „Und es gibt viele Paare, für die dieses Konzept übergangsweise hervorragend funktioniert.“
„Außerdem ist Scott ein Wolf und unsere Partner sind für uns Wölfe extrem wichtig!“ Abby hob belehrend den Zeigefinger. „Wölfe leben monogam. Das bedeutet, wenn wir einmal unser Ein-für-alle-Mal gefunden haben, bleiben wir den Rest unseres Lebens mit dieser Person verbunden. Wir können gar nicht anders! Und wenn man uns voneinander trennt, dann leiden wir. Manche vergehen sogar vor Kummer. Nach der Beerdigung von unserer Großtante Fiona hat es zum Beispiel nur wenige Wochen gedauert, bis auch Großonkel Angus unabsehbar verstorben ist, um ihr zu folgen.“
„Großonkel Angus war dreiundneunzig Jahre alt und hatte vergessen wie man kaut. Was soll 'n da unabsehbar gewesen sein?“
„Willst du etwa bestreiten, dass wir besondere Bindungen entwickeln, Colin?“
Gleichgültig zuckte der Rüde mit den Schultern. „Will ich nicht. Ich find's bloß dämlich, für irgend 'ne Romanze das letzte Stück Hirn über den Haufen zu werfen.“
Das Läuten eines Smartphones verhinderte Abbys Replik und damit vermutlich auch einen erneuten Hick-Hack zwischen den Geschwistern. Es war Gwens Telefon, welches die Aufmerksamkeit seiner Eigentümerin begehrte. „Die Arbeit ruft“, verkündete der Sukkubus und rutschte von ihrem Hocker herab. „Wörtlich gesprochen. Wir sehen uns.“
„Mach's gut Gwen. Viel Spaß!“
'Viel Spaß'. Mh. Kolja überlegte, ob 'Viel Spaß' angesichts von Gwens Job zu den angebrachten Floskeln gehörte. Auch Gwen schmunzelte über Abbys Abschiedsworte, bedankte sich aber dennoch dafür. „Danke, Süße. Und Ciao, Colin.“ Sie berührte den Wolf am Oberarm, bevor sie grazil von dannen spazierte.
Das Kinn auf der Hand abgestützt und den Ellenbogen auf den Tresen gestemmt, schmachtete Colin ihr hinterher. Sogar nachdem sämtliche Türen hinter der Schönheit ins Schloss gefallen waren, blinzelte der Wolf liebestrunken in ihre Richtung. Ein Seufzen entwich seiner Brust. Moment. Colin seufzte? Zu keinem Zeitpunkt ihrer Bekanntschaft hatte Kolja Scotts Bruder jemals seufzen hören. Er stand wirklich heftig unter dem Einfluss von Gwens Sukkubusaura. Das, oder der Mann war ehrlich Hals über Kopf verliebt. „Gwen ist echt toll“, schwärmte Colin. Dann schepperte es plötzlich.
In einer unbedachten Bewegung musste Moira ihre Snackschale vom Tresen gepfeffert haben, denn die Keramik kreiselte wild auf dem Parkett umher und verteilte ihren krümeligen Inhalt schwungvoll auf dem Holz. Wow, in dem Schlag hatte Energie gesteckt. „Oh, das… tut mir leid. Ich kehre es weg!“, bat Moira mit blassen Wangen um Verzeihung und unternahm bereits Anstalten, von ihrem Hocker zu kletterten. Doch Kolja hielt sie zurück.
„Lass es liegen. Nachher wird sowieso gekehrt.“
„Nein, nein“, beharrte Moira darauf, das Unglück aufzuräumen, welches sie angerichtet hatte. „Ich mach das schon.“ Anschließend lief die Banshee zur Abstellkammer herüber; vermutlich, um Kehrblech und einen Besen zu beschaffen. Sogleich stellte Abby ihre Hilfsbereitschaft unter Beweis und rückte die Hocker aus dem Weg.
„Colin, würdest du bitte ein Stück rutschen?“, forderte sie ihren Bruder auf, etwas Platz für Moira zu machen. Allerdings schwelgte der Rüde nach wie vor in rosaroten Traumsphären und zeigte keinerlei Reaktion auf Abby. „Colin. Colin! Du sollst rutschen, hörst du?“
Das tat er nicht. Und während die beiden Frauen mit Putzgeräten bewaffnet um Colin herumtanzten, vernahm Kolja zu seinen Füßen ein aufdringliches Schlürfen. „Hey, Dmitrijew.“ Der Bär richtete seine Augen zu Boden und ein mittlerweile vollständig vorhandener Ward schaute ihm entgegen. „Tust du mir einen Gefallen?“
„Welchen?“, wollte Kolja erfahren.
Das Gespenst leerte seinen Energydrink. „Kannst du mir vielleicht eine Hose besorgen?“