„Es muss ihm in letzter Zeit wohl ziemlich schwerfallen, neue Spieler und Sponsoren für die Mannschaft zu finden.“ Derweil Moira erzählte, rückte sie den leeren Stuhl vor ihr zurecht, sodass sie darauf Platz nehmen konnte. „Er will deswegen den Internetauftritt des Teams überarbeiten und hofft, dass seine Altherrenmannschaft dadurch ansprechender wird.“
Da zuckte etwas in Colins Gesicht zusammen. Ohne Vorwarnung versetzte er Moiras Stuhl plötzlich einen groben Tritt - in exakt der Sekunde, in der die Banshee ihr Gleichgewicht nach hinten verlagerte, um sich auf die Sitzfläche fallen zu lassen. Anstatt sie aufzufangen, schlitterte die Sitzgelegenheit jaulend unter ihr hinweg; rücklings verlor Moira den Halt und ihr erschrockenes, hohes Quieken perforierte Kolja das Trommelfell. Anstelle auf der Polsterung landete sie mit ihren zarten Vier Buchstaben krachend auf dem knallharten Fußboden. Uh. Das musste echt wehgetan haben!
„Na, so was. Das müssen wohl meine Altherrenticks gewesen sein“, spie Colin zynisch aus und machte keinerlei Anstalten, Moira auf irgendeine Weise aufzuhelfen. Kolja runzelte über die Ironie seines Spotts die Stirn. Eigentlich war Colin ja der jüngere der beiden.
Seine Schwester verpasste ihm einen strafenden Klaps gegen die Schulter und zu Koljas Überraschung erkundigte sich ausgerechnet Gwen nach Moiras Wohlergehen. „Dir ist nichts passiert, oder Mäuschen?“ 'Mäuschen'. So wie Gwen diesen Kosenamen aussprach, klang es, als hätte sie ihn mit Moiras Namen fusioniert. 'Moischen'. Hehe.
Unterhalb der Tischkante gab Moira zur Antwort ein schmerzliches Stöhnen von sich. Kolja stapfte daraufhin um den Tisch herum und klaubte die Banshee vom Boden auf. Bei Moiras Fliegengewicht benötigte der Bär nicht einmal beide Arme, um sie zu stemmen, also zog er zeitgleich mit der freien Hand den Stuhl heran und setzte seine Mitbewohnerin auf diesen ab. Gwens Augenmerk wanderte hernach zurück zu Colin. „Wie ungezogen“, tadelte sie ihn für seine Gemeinheit gegenüber Moira, doch ihre säuselnde Stimmlage sowie der kokettierende Blick, mit dem sie ihn bedachte, verlieh ihren Worten eine vollkommen gegensätzliche Bedeutung.
Zwinkernd meinte Colin: „Ungezogen zu sein macht mir eben am meisten Spaß“ und Gwen pflichtete ihm mit einem anzüglichen Wimpernschlag bei.
„Mir auch.“
Junge, junge. Die zwei trödelten echt nicht herum und unweigerlich begann Kolja darüber nachzudenken, ob Hayes' Regel Nummer Vier eigentlich auch für die Gäste seines Pubs galt.
Weil Scott seine Bestellung abgefertigt hatte, kehrte er zu seinen Freunden zurück. Im selben Moment hielt Abigail Colin vor: „Das war wirklich gemein von dir. Moira hätte sich verletzten können! Entschuldige dich wenigstens bei ihr.“
Er pfiff auf die Aufforderung seiner Schwester. „Sonst was? Kommst du dann mit so 'ner arschlangweiligen Predigt rüber, wie damals bei Donnelly?“ Ach. Diese Kamelle mal wieder. Prompt sprang Abigail darauf an.
„Diese 'Predigt' hattet ihr verdient, so respektlos, wie ihr euch gegenüber Donnelly und seinen Angehörigen verhalten habt.“
„Mach mal halblang. Wir haben rumgescherzt, mehr nicht“, verteidigte Scott sein Verhalten und das seines Bruders. Gut zu wissen, dass er sich zwischenzeitlich einigermaßen abgeregt und den Kopf frei von Ward oder irgendwelchen Hochzeitsplänen bekommen hatte. „Und ist ja nicht so, als ob wir mit Donnelly befreundet gewesen wären.“
„Ihr habt nicht bloß 'rumgescherzt'. Ihr habt Witze über ihn gerissen.“
„Leute sterben halt. Das ist nun mal so. Ja, das mit Donnelly ist echt scheiße gelaufen, aber soll man das alles deiner Meinung nach totschweigen?“
Im Unterschied zu Scott, der belustigt los prustete, fand Abigail Colins Kommentar alles andere als witzig. „Ihr habt gleich am nächsten Tag nach seinem Sturz damit angefangen“, beschuldigte sie ihre Brüder. „Zu dem Zeitpunkt hatte man ihn noch nicht einmal beerdigt.“
„Dann konnte er sich immerhin nicht wegen unserer Sprüche im Grab umdrehen.“ Colin lachte auf, als Scott grinsend seine Schwester mit den Tatsachen konfrontierte. Tja. Irgendwie hatte er damit sogar Recht.
Eingeschnappt verzog Abigail ihren Mund. Sie sah wirklich entzückend aus, wenn sie schmollte. „Ihr seid schrecklich“, warf sie den beiden vor.
Ihr Rüffel tangierte Scott und Colin kein Stück; im Gegenteil. Abigails Empörung stachelte sie erst richtig an. Colin feixte: „Tun wir mal nicht so, als ob Donnelly keine Leichen im Keller gehabt hätte.“
„Genau Abby“, stieg Scott mit ein. „Du erwähnst mit keinem Sterbenswörtchen, dass Donnelly nicht grade ein Saubermann war.“
„Ja, Mann. Der Typ konnte uns auf den Tod nicht ausstehen.“
„Kein Wunder, so viel Zeit wie der mit O'Rourkes Rudel totgeschlagen hat.“
„Der hat es todernst gemeint, als er uns angegriffen hat.“
„Aber mit einem Todesfall hat er nicht gerechnet.“
„Das fand er dann nicht mehr zum totlachen.“
„Als er über der Brüstung hing, war er ganz leichenblass um die Nase.“
„Man könnte sagen, er war deswegen am Boden zerstört.“
„Das reicht!“, bereitete Abigail den Wortwitzen ihrer Brüder ein jähes Ende. Schade. Die zwei schienen echt in Fahrt zu kommen. Das hieß, natürlich waren Abigails vorwurfsvolle Miene sowie ihre Missbilligung berechtigt und Kolja kicherte keineswegs wegen Scotts und Colins Scherzen vor sich hin. Nein, nein! Überhaupt nicht.
„Was denn, Abby?“ Amüsiert bleckte Colin die Zähne. „Findest du's sterbenslangweilig, über Donnelly zu sprechen?“ Als Abigail infolgedessen fassungslos der Mund offen stehenblieb, brachen ihre Brüder vollends in Gelächter aus. Ihr Lachen schallte durch den halben Pub und auf der Suche nach Unterstützung schaute Abigail hilflos Kolja an.
„Kolja, sag du doch auch etwas dazu!“
„Ja, Kolja“, griente Scott. „Hau raus, was dir auf der Zunge liegt.“
Mit einmal wurde Kolja von allen Seiten erwartungsvoll angesehen. Während Abigail hoffte, er würde die Wolfsrüden zur Vernunft rufen, harrten diese gespannt auf Koljas Beitrag zu ihrer Bonmotsammlung. Nachdenklich wechselten Koljas Blick zwischen den Parteien hin und her. Dann stellte er für alle Anwesenden klar: „Nur über meine Leiche.“
Vor Begeisterung über Koljas Pointe johlten Scott und Colin lautstark los. Sogar Gwen huschte ein Schmunzeln über die Lippen und Moira gluckste erheitert in ihre vorgehaltene Hand hinein. Einzig Abigails Mundwinkel ließen sich zu keinem Zucken hinreißen. Mit einem Lächeln bat Kolja sie wortlos um Vergebung.
„Fitzpatrick!“ Aus einer Ecke des Pubs schrie Hayes zu ihnen herüber. Sofort richteten die zwei angesprochenen Männer ihre Aufmerksamkeit auf den Leprechaun und Kolja vermutete, sein Chef würde seine Angestellten barsch zurück an die Arbeit beordern. Falsch gedacht. Umgeben von den anderen Spielern der Mannschaft, befahl er den Brüdern, anzutreten. „Bei Fuß!“ Sie folgten seiner Anweisung; ebenso Moira.
„Männer, es gibt echt beschissene Nachrichten“, eröffnete der Kobold die heutige Mannschaftsbesprechung. Wie immer schlug er dabei eine Lautstärke an, mit der er den ganzen Pub unterhielt. „O'Maley fällt eine ganze Weile aus.“
„Was?!“ Ein Chor aus Fußballern brüllte Hayes seine Bestürzung entgegen. O'Maley. Wer war das noch gleich? Ach ja. Der Wildkaterpoly aus Scotts Mannschaft.
Mittels forscher, eindeutiger Handbewegungen, rief der Trainer seine Spieler zur Disziplin. „Was'n passiert?“, wollte einer der Marder von Hayes wissen, nachdem Ruhe unter den Männern eingekehrte.
Der Kobold berichtete: „Der Kerl hatte einen Rückfall und hat sich das Hirn mit 'ner Überdosis von irgendeiner Scheiße zugeballert. Jetzt liegt er im Krankenhaus rum und muss erst mal clean werden.“
„Ich dachte, O'Maley hätte schon seit Jahren nix mehr mit Drogen am Hut“, warf einer der Füchse ein und ein weiterer stimmte ihm zu: „Dachte ich auch!“
Der Dachs des Teams hakte bei Hayes nach: „Womit hat sich O'Maley denn zu gedröhnt? Speed? Meth? Heroin?“
„Katzenminze“, schnaubte der Kobold.
Jeder, der zuhörte, sog sogleich scharf Luft zwischen den Zähnen ein. Katzenminze. Oh Mann. Das war echt übel.
„Was für eine Scheiße...“
„O'Maley ist echt ein Idiot.“
„Echt mal. Was hat den Mann bloß geritten, den Dreck wieder anzufassen?“
Damit fing das chaotische Gerede von vorn an. Wie eine Busladung alter Tratschweiber überschlugen sich die Kerle mit Mutmaßungen über O'Maleys Zustand und jeder von ihnen meinte, seinen Senf dazu abgeben zu müssen. Kolja verfolgte das Spektakel, bis er unvermittelt Wards Stimme wahrnahm.
„Bestellung für dich“, murmelte das Gespenst in einem trägen, monotonen Tonfall und hielt Kolja einen Zettel mit dem wirklich lustlos hingeschmierten Essenswunsch eines Gastes unter die Nase. Nickend nahm der Bär ihn an. Gleich danach wandte Ward ihm ohne ein einziges, weiteres Wort den Rücken zu und geisterte ziellos durch den Schankraum. Bei ihrer ersten gemeinsamen Schicht hatte Kolja sich noch bei dem Geist erkundigt, ob alles in Ordnung mit ihm sei, denn oft deutete die Energielosigkeit, wie Ward sie ausstrahlte, auf irgendwelche Probleme hin. Aber es gab keine Probleme. Ward war... na ja. Er war eben tot. Jemand wie er konnte wohl schwerlich wie das blühende Leben durch ebenjenes hüpfen.
Logischerweise bestand Koljas Aufgabe als Koch darin, den Herd anzuwerfen und für die kulinarische Verpflegung der Gäste zu sorgen. Doch das musste warten, da er vorher erfahren wollte, was aus O'Maley wurde. Nicht, weil ihn etwas an ihm lag – so schlimm es dem Kater in seiner derzeitigen Situation auch bestimmt erging -, sondern weil Abigail auffällig neugierig ihre Ohren spitzte. Kritisch beobachtete Kolja, wie sich die Wölfin zu Gwen herüberlehnte und ihr sensationshungrig zu munkelte: „Hast du das gehört? Jetzt haben sie noch einen Spieler verloren.“
„Sehr dubios, wenn du mich fragst“, tratschte der Sukkubus mit ihr mit und Kolja wusste nicht zweifelsfrei einschätzen, ob Gwen ihr Urteil tatsächlich erst meinte oder ob lediglich ihr Sarkasmus aus ihr sprach. Jedenfalls heizte sie Abigails Einbildungskraft damit gehörig an – sehr zu Koljas Missfallen. Spann Abigail denn nicht schon genug Verschwörungstheorien zusammen?
„Ja, nicht wahr? Dieser O'Maley war weg von den Drogen und mir nichts, dir nichts, soll er wieder welche nehmen? Da ist doch etwas faul!“
„Abigail...“, raunte Kolja ihren Namen und als sie infolgedessen mit geweiteten, braunen Augen zu ihm aufblickte, schüttelte er mahnend den Kopf. Sie sollte erst gar nicht damit anfangen, irgendwelche Kriminalfälle zu erfinden, wo keine existierten.
Offenbar gingen Hayes die wilden Spekulationen ebenso zu weit. Er plärrte über den Stimmenwirrwarr seiner Leute wüste Flüche hinweg und lenkte somit die Konzentration der Spieler zurück auf seine eigene Person. „Jetzt haltet alle eure Schnauzen. Was O'Maley in seiner Freizeit für Scheiße baut, ist völlig schnurz! Viel wichtiger ist: Fällt er weg, hat unser Team nur noch neun Spieler! Das sind zwei zu wenig.“
„Is' doch kein Ding“, sagte Colin gelassen. „Wir haben schon mal unterbesetzt auf dem Platz gestanden und gewonnen.“
„Ja und es hat mich ein verficktes Vermögen gekostet, die richtigen Leute dafür zu schmieren. Und die Loser vom Finanzamt haben mich die Kohle nicht mal von der Steuer absetzen lassen. Wie soll ich mir das ohne Geldgeber leisten, heh?! Bei zehn Spielern drückt jeder Schiri die Augen zu, aber mit neun lässt uns keiner dieser Pfeifen aufs Spielfeld.“
Scott schlug also vor: „Holen wir uns eben schnell noch einen zehnten Mann ran. Dann hat sich das Problem erledigt.“
„Genau, du Schlaumeier“, wurde er von Hayes dafür angepflaumt. „Weil ich mir ja nicht schon seit Monaten den Arsch aufreiße, um neue Leute zu rekrutieren. Wenn es so einfach wäre ohne Weiteres ein paar Freaks ran zuwinken, die mit euch hyperaktiven Polys mithalten können, würden wir gar nicht erst in diesem behinderten Haufen Scheiße stecken!“
Noch in derselben Sekunde, in der der Kobold den Begriff 'Poly' in den Mund nahm, spürte Kolja, wie Abigail ihn begeistert musterte. „Kolja, dukannst für O'Maley einspringen!“