Schwarze Scherben

Es gibt 12 Antworten in diesem Thema, welches 3.610 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (22. Juli 2020 um 17:00) ist von Theo-Drecht.

  • Lieber Forler, Liebe Forlerin :)

    Schön, dass du diesen Sammelthread gefunden hast. Hier sollen zuweilen (bis hoffentlich selten) Geschichten landen, die sich mehr oder weniger direkt aus (befremdlichen) Gedanken und Gefühlen meinerseits speisen. Deswegen werden sie vielleicht eher ein wenig verschachtelter, impressionistischer, symbolistischer, in jedem Fall aber unklarer und vielleicht auch weniger spannend als übrige Abenteuer anmuten!

    Ich erwarte also von niemandem, sich wirklich eingehend (oder zumindest logisch) damit zu beschäftigen ;). Freuen tuts mich natürlich ohnehin!

    Damit sei dir jetzt eine herzliche Einladung ausgesprochen in Theos obskures Innenleben

    –––

    Direkt zu den Geschichten:

    – Nachts im Heerlager –

    – Eine Zugfahrt –

  • Heyho Theo-Drecht

    "Schwarze Scherben" halte ich definitiv für den besseren Threadtitel!

    Abändern...:D:D:D

  • Nachts im Heerlager

    Ängste des Kommandanten vor der Schlacht

    [Textlänge: 4–6 DIN-A4-Seiten]

    [Lesedauer: ca. 6–10 Minuten]

    ***

    Spoiler anzeigen

    Die Grillen zirpten im Feld. Hier, hinter den dicken Leinwänden, gegen die das halbverlöschende Licht der Unschlittkerze blakte wie ein warmes Windspiel, tönte es nur unscheinbar herein. Näher war da schon ein allseitiges Schnarchen, das, wenn doch nie so recht aus dem warmen Blasen des Nachtwindes in den Pappelkronen der umliegenden Hügel, in deren Talbusen sich das Feldlager befand, zu unterscheiden, sich dennoch fühlsam hinter die Stirn legte wie ein dämpfender Teppich. Über alle Pole und Wimpel gelegt und den tausenden Männern trocknend den Schweiß.

    Noch immer war der Feldherr wach. Als einer der wenigsten wohl, ausgenommen die berittenen Wachposten und einige Gegenspäher in den umliegenden Gehölzen. Aber auch die fand man, in Morgenlicht und Morgentau allzu oft im Moos, das blutbesprenkelt war, mit unzufriedenen Mienen im Schlaf erdolcht. Mit vor Anspannung zitternden Armen stand er über den Kartentisch gebeugt, über den sich die Schlachtpläne aus weichem Pergament häuften. Auch hier spielte das Kerzenlicht mit den zahlreichen kohlegezeichneten Infanterielinien und Bastionen, hob Wege an und grub Gräben ein, weckte Bilder von regem Gras und von Sonnenflecken auf dem porigen Papier, die eigentlich nicht in die schraffierten dunklen Flächen der wilden Wälder gehörte.

    Insbesondere einer der eingezeichneten Wege war eine undurchdringliche Barriere, die leise zu flackern begann, wenn er sich mit seinem Daumen ihr annäherte. Eine Warnung, ihn nicht zu passieren, nicht einmal mit dem Daumen, nicht einmal im Spiel. Dieser Weg bereitete ihm viel Kopfzerbrechen tagsüber. Er lief als Kammweg über eine kleine Geländeerhöhung, kaum hüfthoch, wenn man die dahin ansteigende Böschung nicht mitzählte. Die Prinzessin hatte den Platz, an dem sie ihn zur Feldschlacht zwingen wollte, gut gewählt. Es gab auf jenem Kammweg, der wohl vor ein paar Nächten noch ein gänzlich unbedeutender Viehtrift gewesen war, keinerlei Deckung, keinen Busch, keinen umgestürzten Karren, den nicht, trotz allem Blutzoll, eine feindliche Balliste binnen Minuten wieder gegen ihre eigene Palisade gepfählt hatte, zusammen mit dem zugehörigen, armdicken Speer. Ja, sie war gut ausgerüstet, die Herrscherin des Hauses von Brabant. Und er selbst stank mit seinen tausend Infanteristen dagegen nicht an. Sie hatten kein Belagerungsgerät, keine Katapulte, ja nicht einmal genügend Werkzeug, um welche herzustellen. Sie hatten keine Schmiede im Lager, keine Seilerei, keinen Baumeister. Unter Entbehrung von Feuerholz war ihre dürftige Palisade zustandegekommen; er selbst hatte durch die Reihen gehen und Holz wie Almosen aus den Gruppen der Lagernden erbitten müssen, denn den Palisadenbauern selbst hatte niemand etwas herausrücken wollen. Einige Männer hatten ihre eigenen Pferde mitgebracht, bessere Ackergäule, und das war seine ganze Reiterei, die einem Wall aus schimmernden Widerrissen und golden Ziselierten Steigbügeln der Brabanter gegenüberstand. Die bereits am ersten Tag einen Wald aus spitzen Pfählen in den Hügel getrieben hatten und in den Nächten loderten die Feuerkörbe ihrer Bogenschützen. Davon gab es auf eigener Seite übrigens auch nur vereinzelte Bereitwillige und man meldete ihm, dass deren Bögen im feuchten Wetter zu faulen begannen. Es mangele an Fett. Aber ihr einziges Vieh waren die Pferde, und die hatte er nicht opfern wollen.

    Wenn er überhaupt von irgendetwas mehr als genug hatte, waren das Männer. Männer und ihre Schwerter. Sie waren der Trumpf, auf den die Gräfin zu Jülich und Limburg mit ihm gesetzt hatte. Die Brabantische Krone mochte reich sein an Gold für Rüstungen, Maschinen und Vieh, aber ihre weiten brachen Wiesen waren nichts im Vergleich zu den lauter beschaulichen lichten Jülicher Dörfchen und Limburger Gehöfte, die sich allseits in die geschwungenen Ebenen nestelten, und selbst zwischen denen man alle zwei Schritt auf einen breitgesichtigen Bauern mit seiner von einem langem gilben Nachmittag auf dem Feld ramponierten Harke über der Schulter, oder über im Dreck spielende Kinder stolperte. Die Gräfin hatte diese Idyllen schröpfen lassen und da hatte sie nun ihre Männer. Eine brodelnde, nun schnarchende Masse, in der sich Lederwams an Eisenkappe reihte und alle Schwerter klirrten, Klinge an Klinge, schmal, lang, scharf wie Nadeln, dünn zwar und also, zumindest in dieser Massenanfertigung, zerbrechlich, dafür würden sie aber umso leichter ihren Weg in die Spalten der opulenten brabanter Plattenrüstungen finden, so hoffte er.

    Beruhigte das vielleicht die blaublütigen Träume seiner Gräfin, raubte ihm die Vorstellung dieses Schwarms an Leibern unter seinem Kommando, umso mehr den Schlaf. Der Feldherr spähte hinüber zu seinem Bett, das man herbeigeschafft hatte und auf dem sich Laken und Felle häuften. Wie sehr wünschte er sich die Version seiner selbst zurück, die in der Jülichschen Burg keine schlimmeren Gedanken gehabt hatte, als das Nicken der violetten Akeleiköpfe im herrschaftlichen Garten und wie es Abend hieß und die Welt in Dunkelheit und feuchtem Tau verging. Die Version seiner selbst, die über diese schauderlichen Gedanken in ihrer Fülle sogleich die wohligste Genugtuung verspürte und sich grinsend in die Kissen wühlte, seine eigene Vergänglichkeit, die seiner Herrschaften, der Gefangenen, des Viehs und der Akeleien gegen den Reichtum seiner Gedanken abwägend, und sich und die Welt findend im Eins, in seinem schlagenden Herzen und vielleicht dem Gedanken an ein blaues Auge, kristallblau, das sich ihm so oft schon lächelnd zugekniffen hatte.

    In diesen Tagen allerdings trieb ihn wenn überhaupt nur große Müdigkeit ins Bett, und es dauerte, bis die Gedanken ihre Beunruhigung an die Erschöpfung abgaben und ihn endlich, im erschlaffenden Gesicht wieder ein wenig mehr Kind, einschlafen ließen.

    Was ihn verfolgte war nicht das Schicksal seiner Männer. Er wusste, er hatte es in alten großen Schlachtenepen gelesen, dass ein guter Feldherr stets, trotz allem gerechten Kalkül, das Leben des Einzelnen nie aus dem Blick verlor. Er hatte in sich nach dieser Regung gesucht, nach dieser Liebe für den einzelnen Soldaten, hier in dieser grünen Wiesenmulde, und hatte sich, an Feuern sitzend und derbe Zoten ertragend, zuweilen einbilden können, er wünsche diesen lausigen Bauern und Köhlern das Beste und dass sie heimkehren mögen zu ihren Familien. Aber diese Regungen hatten nie lange vorgehalten, und wenn er dann wieder in seinen eigenen parfümierten Laken lag, bedrängte es ihn wieder, dräute sie ihm wieder, und all die derben lachenden zotigen Gesichter verblassten davor wie Schrift auf nassem Pergament: Die Schlacht. Es ging ihm um den Ausgang der Schlacht und um nichts anderes. Er hatte in seinem kurzen Feldherrendasein daran festgehalten, dass viele Wege nach Rom führten und nicht nur der entbehrungsreiche Pass über die Alpen. Er müsste seine Männer nicht lieben, um sie in die Schlacht zu führen, und es reichte, seiner Herrin Gräfin treu ergeben zu sein. In diesen Nächten begann er, daran zu zweifeln. Er wünschte sich, sie wenigstens ein bisschen zu lieben, oder wenigstens nur ein bisschen mehr, und vielleicht würden sie ihn dann sogar zurücklieben und es würde nicht alles ganz umsonst gestorben sein.

    Und dennoch: Wie sollte er sie lieben? In den alten Feldherrenmanualen standen viele Probleme geschrieben, mit denen die Moral eines Heeres und dessen Führers normalerweise kämpfte: Disziplinlosigkeit, Unzucht, Befehlsverweigerung in verschiedenen Graden von Desertion und offener Meuterei bis hinunter zur ganz alltäglichen Verschleppung, Verlangsamung, Ermüdung, mangelnder Vorsicht, fehlendem Mut, Verrat… Der Feldherr zählte sie alle an seinen Fingern ab. Nichts davon konnte er auch nur einem einzigen seiner Männer vorwerfen. Vielmehr betrugen sie sich alle ausgezeichnet, salutierten, seine Befehle verbreiteten sich wie Lauffeuer unter ihnen, beim Appell standen sie stramm und die wogende Masse aus Leibern beruhigte sich augenblicklich unter seinem väterlichen Handschlag. Die Sonne glitzerte auf ihren polierten Helmen und der Regen rostete dort nicht, denn wo Fett zum einreiben fehlte, da pissten sie drauf und schrubbten nur umso mehr. Alle emsig in ihren Zelten vor dem Einschlafen, von deren Säumen sie morgens den Schlamm wischten. Und dennoch: Voran kamen sie nicht. Seine Späher wurden zwar vorschriftsmäßig fast jeden Tag in seinem Zelt vorstellig, nur konnte er sich meist kaum noch daran erinnern, was sie ihm sagten, weil es derart ergebnislos war. Es schien vielmehr wie laues Wasser, wie ein lauter Bach an ihm vorbeizubrausen, in einer Sprache, die ihm zugänglich sein mochte, aber die dennoch nicht zu ihm hinreichte, wie er dort zwischen duftenden Minzen mit einem warmen Mädchen im Arm, dort im Sonnenschein am Ufer lag und über ihm rauschende Kiefernkronen, azurnen Himmel hinabblitzend.

    Dazu erschien ihm die ganze Truppe überhaupt im Geheimen renitent. Er zweifelte nicht an ihrem Gehorsam, doch war es vielmehr so, als verstünden sie allesamt seine Befehle nicht und gaben sich zwar alle redliche Mühe, sie mit all ihren Kräften auszuführen, das Gehölz zu schlagen und abzusammeln, Wälle aufzuschaufeln, in Fahnen die Hügel abzupatrouillieren, doch scheiterten in ihrem dumpfen Eigenleben beständig daran, das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Es war, als hielte er zwar alle Fäden in der Hand, doch diese liefen nur zu Strohpuppen, die er zwar nach Belieben drehen und wenden konnte, die sich aber dennoch nie von selbst in Bewegung setzen, geschweige denn, dass sich in ihre Sackleinköpfe ein Gesicht einprägen würde, das ihn ebenso kristallblau anlächelte wie einstmals ein anderes.

    Am meisten belasteten ihn daher Truppenbewegungen. Die Sammlung der Soldaten zu Fahnen, Regimentern und Bataillonen, in säuberliche Karrees, wie durch Geist behauchte Insekten.

    Das war auch der Grund, warum sie nun seit Tagen schon in der feuchten Mulde verharrten, in der sie durch jene eine erhöhte Viehtrift, auf die sich die feindlichen Bogenschützen eingeschossen hatten, in solchen Nachteil geraten waren. Während drüben die Prinzessin die Pfahlwälder nur umso munterer aufforsten musste, um jeglichen Ansturm völlig undenkbar zu machen.

    *

    Als die kreisenden Gedanken zu schmerzen begannen und sein rechter Ellenbogen müde nachgab über den Kartentisch, suchte er mit fahrigen Händen aus der Schublade zwischen Garn und geritzten Knochen seine Pfeife heraus. Sie enthielt noch Tabakreste, von heute Nachmittag, als ihm bereits, in einer sehr ähnlichen Verfassung wie jetzt, über den Kartentisch gebeugt, nach wenigen Zügen übel geworden war. Nun brauchte er noch Feuer. Er schlug die Zeltbahn auf und trat hinaus ins Gras.

    Hier schlug ihm kühle Nachtluft entgegen und auch das Zirpen der Grillen. Er meinte immer noch, seine Männer schnarchen zu hören, aber vielleicht war es auch nur das Knarzen der Apfelbäume. Blass stellte sich sein Gesicht in das fahle Nachtlicht, als er mit aufgeschlagenem Kragen durch die Zeltreihen schritt, auf der Suche nach einer auch nur geringen Flamme. Hier und da dampften die Feuer noch, doch die meisten waren vollständig erloschen. So, dass die Soldaten Schwierigkeiten haben würden, sie im Morgentau überhaupt noch wieder zu entfachen. Allüberall roch er ihren Schweiß und Unrat, ein Geruch, der ihm aber aus seiner Kindheit in den Dachsparren heimischer Ställe nicht unangenehm war. Trotz des Gestankes war Keine Menschenseele zu sehen. Sein Blick fiel über die Spitzen der schlaffen Wimpel hinaus auf den jenseitigen Hügel. Er erinnerte sich an dessen Repräsentation auf seiner Karte: Eine rautenförmige, nur halb-schraffierte Fläche an der Anhöhe. Unbestimmten Schrittes schlenderte er, immer wieder wahllos in eine andere Zeltreihe ab- und zurückbiegend darauf zu. Sein Blick versank in dessen dunklem Rücken. Bald erreichte er die erbärmliche Palisade, ein kaum hüfthoher Zahnkranz aus krummen Stöckchen, den er mit einem einzigen weiten Schritt überwand. Da erschrak er: Eine kehlige Stimme aus dem Halbdunkel einer offenen Zeltbahn rief ihn zurück. Ein Wachposten. »Heda!«

    Der Feldherr begann unmerklich zu zittern. Als täte er etwas verbotenes. Er musste über sich selbst schnauben. Der junge Knecht näherte sich, mit seinem teigigen Gesicht wie aus Lehm geformt und den leeren Murmelaugen, mit denen er den vermeintlichen Deserteur absuchte. Dann brabbelte er irgendetwas Unverständliches. Das musste wohl irgendein Dialekt sein, irgendwelche bayrischen Hilfstruppen oder dergleichen. Verständnislos starrte er dem jungen Bayer ins Gesicht, in Erwartung, die versteckte Bedeutung des Gesagten würde unter seinen modrig gespuckten Wörtern sich noch hervorblättern.

    Schließlich wurde es ihm über. »Ich werd ja wohl noch mein eigenes Feldlager verlassen dürfen!« unterbrach er ihn, mit hochrotem Kopf. Barsch wandte er sich von der verblüfften Wachpuppe ab und durchmaß ohne einen weiteren Blick den letzten Lichtkranz zwischen dem Zeltlager und der unruhigen wogenden Nacht aus Buschwerk und auffliegenden Schwalben.

    Indem er sich die Anhöhe hinaufarbeitete, erstreckte sich ihm gegenüber im Anblick der verebbenden Talsohle noch einmal die ganze Pracht des gegnerischen Lagers. Sie hatten der Nacht die Nacht genommen dort, denn auf der Breite von zehn Äckern loderten und blinkten orangene Feuer wie Weihnachtsbeleuchtung. Viele kleine Fackeln flirrten um die Brandherde und er meinte gar einige Laternen aus buntem Glas auszumachen, die in regelmäßigen Abständen im Funkenstoben schwankten. Ein unbestimmtes dumpfes Wummern lies das Gras vibrieren, ob es nun der Wind war, oder das schläfrige Reiben auf unzähligen Trommelhäuten. Es machte ihn für Augenblicke ganz beklommen und für Augenblicke meinte er diese Weite fühlen zu können. Für Augenblicke wusch sie ihm die Schatten aus dem Augenwinkel und das ewige Bild des blaukristallenen Auges schloss sich im Nachthimmel und gab den Blick frei auf graue Wolken, die einen silbernen Prachtmond wie eine schimmernde Barke umspielten. Aber die Illusion von Realität verflog und er suchte sich weiter in Wildwechseln den Hang hinauf über die graue Erde.

    Das Gehölz war durchworren von Schuhu-Rufen und den Plätschern einer unsichtbaren Quelle in der jenseitigen Böschung. Der Bach floss wohl in Land, das, obwohl nur einen halben Morgen weiter, niemanden weiter interessierte. Dort unten mussten die Bauern ruhig schlafen und die Kühe würden im Morgengrauen blöken. Obwohl der Waldboden komplett abgesammelt war, stolperte er immer wieder über im Dunkel unsichtbare Bodenwellen. Die Nacht hatte sich hier zu einem Schleier aus dunklen Funken verdichtet, die vor seinen Augen flimmerten. Und doch sah er deutlich die Spur, die seine Männer hinterlassen hatten. Er hatte ihnen befohlen, eine Schneise freizuräumen, in der seine Truppen möglichst unbehelligt von feindlichen Schützen oder Hindernissen im Terrain das feindliche Lager erreichen konnten. Tatsächlich war dies die einzige Hoffnung, die er noch hegte. Das Gehölz war nämlich durch jahrelange Beweidung der Anwohner weitestgehend von Unterholz befreit, und die hohen dicken Stämme gaben gerade genug Deckung, um unbesehen und vor Allem unbeschossen direkt in die feindliche Flanke zu brechen.

    Er sah die abgeknickten Äste, die weißblutenden Stümpfe junger Bäumchen, die sie abgehackt hatten und das beiseitegescharrte Laub. Aber auf einmal bereitete es ihm körperliches Unbehagen, den Hinterlassenschaften ihrer tausend eifrigen Hände im Buschwerk nachzuspüren. Das ganze Eigenleben der sich vorwärtswalzenden Mannschaft, die unter nur mühsam gestillten Lachern und Dominanzgebaren tagsüber hier voranhackte. Er ging den Beilspuren im Holz nach, folgte den Kratzern, wo sie die Eisenhaken an die großen Findlinge gesetzt hatten, erkannte, wo sie pausiert hatten, um nach neuem Werkzeug zu fragen, das lange nicht kam, fand die Irrwege, die sie beim Austreten ins Unterholz geboxt hatten, ja, fand sich selbst bald in immer dichterer Vegetation wieder. Junge Reiser peitschten ihm ins Gesicht, gleich in der Nähe stank es nach Pisse.

    Aber schließlich fand er die Böschung, an der die Männer aufgehört hatten. Hoch über ihm türmten sich wie Fettwalzen dunkle, schillernde Büsche auf, bis an die Baumkronen hinauf, die im Nachtlicht dennoch eigentümlich grün sich ihm entgegenstellten. Dessen Äste waren unangetastet, ihre Stümpfe intakt, ja, selbst kleine schwarze Brombeeren baumelten wie provokant in die Kulisse der übrigen Bäume hinaus. Er probierte eine davon. Sie schmeckte süßlich und gut. Die ganze Böschung war durchwirkt von diesen dornigen Brombeerranken wie von Goldfäden in einem festen Teppich.

    Sogleich fasste ihn Zorn auf seine Untergebenen, die nicht einmal den Versuch unternommen hatten, diesen grünen Wall, so undurchdringlich er sich auch gab, auch nur anzutasten. Sie waren hier gewesen, das wusste er. Wenigstens, um von den Beeren zu naschen. Nur aus irgendeinem, ihm völlig schleierhaften Grund, hatten sie nicht weitergearbeitet.

    Einen Steinwurf weiter links bemerkte er in der Schneise vor der Böschung ein Bündel liegengelassenes Feuerholz. Er trat unwillkürlich darauf zu, weiter den grünen Wall absuchend nach Hackspuren; vielleicht war er ja nur vom geraden Weg der Schneise abgekommen. So wanderte er die laubige Schneise entlang, ohne jemals auch nur einen Wollfaden zu entdecken, mit dem sie üblicherweise den Verlauf der Bresche kennzeichneten, die sie zu schlagen beauftragt waren. Unmerklich wurde der Wald lichter. Als aber die Bäume plötzlich wie trotzig vor ihm zurückwichen, traf es ihn, der blicklos in seine Füße und die verkanteten Blätterschichten und den Moder dort gestarrt hatte, wie eine Ohrfeige:

    Dort lag, fast blendend im hellen Mondschein auf dem Sand, der Pfad. Kleine Grasbüschel halbverdorrend zu seinen beiden Seiten. Zur Linken abfallend gegen sein kümmerliches rußendes Heerlager, das sich dicht zusammendrängte wie ein Flock Enten im schwarzen Teich der Talsohle. Zur Rechten nach nur kurzem Nachlassen weiter aufsteigend, wo, verschwunden hinter einer weiteren Bodenwelle, das Heerlager der Prinzessin von Brabant sich an die Hügelkrone lehnte. Und hier der Pfad quer durch das Tal, der Viehtrift, beschaulich besäht mit Pfeilschäften wie Mohnblumen.

    Wie er da stand in der letzten Deckung zweier über ihm in Umarmung vereinter Pappeln, schien auf einmal der Mond fast warm auf der Haut seiner Unterarme und seiner Wangen, wohlig kribbelnd. Ganz anders als das bange Erwarten der Schlacht. Viel mütterlicher, oder badewässerlicher, bratkeulicher. Es zog ihn wie einem Duft von guten Schweinefett folgend, in die helle, sandfarbene Nacht hinaus, raus aus dem schuhuhenen Dunkel, hin an die goldenen Feuer und den riesigen Abglanz der Sterne.

    Wieder zählte der Feldherr an seinen Fingern ab, mit jedem Schritt, den er in den Pfad setzte, nur waren es diesmal all die Freuden, derer er sich erinnerte, auf Burg Jülich, und noch davor während seiner Knappenschaft bei Aachen, Banner und Jubel, und bis in seine verschwiegene Kindheit hinein. Stilles rieseln und Schummern in gewaltigen Scheunen. Und wie bunte Glasmurmeln schob er diese Erinnerungen auf dem Sandpfad vor sich her, nur in der bangen Ahnung, sie könnten sich wie im Kinderspiel anhäufen und gar seinen Schritt ins Straucheln bringen. Das wäre wohl tödlich, so weit oben im Tal.

    Es dauerte denn auch nicht lange, bis der erste Pfeil kam. Hier, im Niemandsland des Schlachtfelds wurde unmittelbar scharf geschossen. Der Feldherr taumelte glücklich weiter und wie in Erwartung eines Sommergewitters registrierte er die fallenden Eisenspitzen und Gänsekiele als erste rötliche Tropfen auf seiner Haut. Auch sie brannten wie die weihnachtlichen Feuer, der Prinzessin von Brabant zu Ehren. Ein besonders harter Einschlag wandte ihn seinem eigenen Feldlager zu, dem Ameisenhaufen, dem er so hilflos gegenübergestanden hatte. Es blickte nun fast zutraulich zu ihm auf. Er fiel hin. Ob sie ihn nun sahen, jene stolzen Wachposten? Sei es drum. Sie alle würden im Morgengrauen verbluten. Das wusste er, so klar, als hätte ein guter Engel es vor ihn in den Sand gemalt. Sie führten seine Befehle aus, ja, doch sie verstanden sie nicht. Sie waren ohne Kopf. Und tief in ihrem Innern war da ohnehin der Widerstand. Ganz ähnlich dem Widerstand, der sich ihm nun mit jedem Atemzug entgegenstellte, fand er. Irgendwie… unbegreiflich… zwingend…

    *

    – Es waren die ersten lauen Windstöße des Morgens, die die rote Lache in den gelbweißen Sand verrührten. Mohnköpfe hielten sich noch gesenkt. Aber die ebenso purpurroten Banner wurden bereits durch ihn hervorgehoben, sie wehten dem Feinde talabwärts zu. Schon bald, die rote Sonne sah kaum über die oberen Pappelspitzen, galoppierte es in furchtbarem Brausen und Geschrei den Hang hinab, Findlinge und Feuerkugeln tosten und waren noch die letzten Sternschnuppen vergangener Nacht. Diese starke Woge brach ungehindert in das dürftige Geschmuddel aus Zelten; die führungslosen Widerstandslinien brachen wie verkohlte Streichhölzer und wurden überspült.

    Aber weit hinter der Marschmelodie der schweren Infanterie setzte sich ein goldenes zierliches Hufeisen in den Sand, als wäre es der erste stille Besucher dieses Morgens. Aus einem silbernen Steigbügel entwand sich ein seidener Frauenschuh. Die Schmuckborte eines beigen Spitzenkleides grub sich in die Sandwellen, in seine Hügelchen und ihr blutiges Flussdelta.

    Und hinab auf das Gesicht jenes liegenden Mannes, auf das teure Gehänge, auf die Orden und die verloschenen rasierten Mundwinkel, senkte sich, umrahmt von strohblonden im Wind wildernden Härchen, der Blick blauer, kristallblauer Augen.

    ***

    PS: Vielleicht kann auch jemand noch Tipps zur Formatierung geben? Die klassischen Tabs, mit denen man Paragraphen (oder Dialoge) zusätzlich abheben kann, gibts ja nun nicht?

    PPS: Vielleicht hat auch jemand Lust, seine Lesedauer zu messen? :D Ist das überhaupt en vogue, die hier anzugeben?

  • Heyho Theo-Drecht

    Puh!!!Und nochmal: Puh!!!

    Ich wollte getrade schlafen gehen, da hat mich dann Dein Untertitel "Ängste des Kommandanten vor der Schlacht" dazu gebracht, mich doch noch dranzuwagen.

    Das war jetzt mal echt ein Leseerlebnis. Ob ich dafür 6 Minuten gebraucht habe? Ne. Eher mehr.^^

    Teilweise hatte ich das Gefühl, in einem der manchmal ewig langen Gedichte von Schiller zu stecken, die jetzt mal jemand in Textform gebracht hat.

    Ziemlich faszinierend für mich, weil ich sowas bisher noch nicht gelesen habe.

    Ich hatte bisher auch immer die Idee, meine Sätze wären zu verschachtelt. Aber sowas hier:

    Die Version seiner selbst, die über diese schauderlichen Gedanken in ihrer Fülle sogleich die wohligste Genugtuung verspürte und sich grinsend in die Kissen wühlte, seine eigene Vergänglichkeit, die seiner Herrschaften, der Gefangenen, des Viehs und der Akeleien gegen den Reichtum seiner Gedanken abwägend, und sich und die Welt findend im Eins, in seinem schlagenden Herzen und vielleicht dem Gedanken an ein blaues Auge, kristallblau, das sich ihm so oft schon lächelnd zugekniffen hatte.

    Das ist echt großes Kino.:):):)

    Ich mag sowas. Vielen hier wird's wohl eher nicht gefallen, weil sie am Ende nicht mehr wissen, was sie am Anfang gelesen haben.:D:D:D

    Mir gefällt's jedoch.

    Einige inhaltliche bzw. Sinn- wie auch Rechtschreibfehler sind mir aufgefallen. Dazu allerdings frühestens morgen mehr - im Augenblick blickt mein Auge nicht mehr so wach.

    Ich wünsche eine friedvolle Nacht. Du liest mich dann...

  • Theo-Drecht 16. Juni 2020 um 14:33

    Hat das Label [Non Fantasy] hinzugefügt.
  • Okay, wenn Du in Deiner Vorstellung nicht von Germanistik geredet haettest, dann waere der Verdacht jetzt draussen. :D

    Das ist so eine Geschichte, mit der bin ich zwiegespalten. Beim Lesen (deine 6 Minuten sind bei mir - schneller Leser - recht akkurat, aber darauf wird hier nicht so viel Wert gelegt) hat es mit einer starken Stimmung angefangen - die ganze Atmosphaere war gut eingefangen, die Sprache ist ungewohnt poetisch, die Geschichte nimmt sich viel Zeit das Innenleben zu schildern.

    Diesen Abschnitt fand ich ziemlich genial

    Dazu erschien ihm die ganze Truppe überhaupt im Geheimen renitent. Er zweifelte nicht an ihrem Gehorsam, doch war es vielmehr so, als verstünden sie allesamt seine Befehle nicht und gaben sich zwar alle redliche Mühe, sie mit all ihren Kräften auszuführen, das Gehölz zu schlagen und abzusammeln, Wälle aufzuschaufeln, in Fahnen die Hügel abzupatrouillieren, doch scheiterten in ihrem dumpfen Eigenleben beständig daran, das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Es war, als hielte er zwar alle Fäden in der Hand, doch diese liefen nur zu Strohpuppen, die er zwar nach Belieben drehen und wenden konnte, die sich aber dennoch nie von selbst in Bewegung setzen, geschweige denn, dass sich in ihre Sackleinköpfe ein Gesicht einprägen würde, das ihn ebenso kristallblau anlächelte wie einstmals ein anderes.

    Das duerfte die ganze Lage eines faehigen Kommandeurs mit einer unerprobten Truppe genau einfangen - die latente Frustration die sich daraus ergibt dass obwohl alles passiert wie's befohlen wird nichts passiert wie's soll. Das hat mir als Thema super gefallen, und auch die Bilder mit den Faeden zu Strohpuppen - grosse Klasse.

    An diesem Punkt hatte ich mich auf eine realistische Geschichte eingerichtet - es geht also um die Psychologie des Kommandanten (wie auch der Untertitel nahelegt).

    Aber kurz darauf faengt der Kommandant an, aus der Rolle zu fallen. Er verlaesst das Lager, er geht ins Buschwerk (nachts!) und kommt da auch einigermassen voran und kann sehen (ja, Mondlicht - aber im Wald ist das trotzdem ein ziemliches Gestolpere, und durch Unterholz?), tut dann voellig sinnlose Dinge im Gehoelz ohne irgendwie zu reflektieren warum er das tut - und begeht dann Selbstmord indem er auf die feindlichen Linien zulaeuft (ob die ohne Zuruf gleich auf einen einzelnen Mann feuern wuerden?) - es endet in einer traumartigen Sequenz.

    Also - im Rueckblick - doch keine realistische Geschichte ueber die Psychologie des Mannes, sondern eine surreale - die Geschichte bewegt sich langsam von Real zu Irreal und endet im magischen, wo das kristallblaue Laecheln irgendwie eine Rolle spielt.

    Aber was ist der Punkt - was will mir der Autor damit sagen? An diesem Punkt steige ich dann seufzend aus - die Vermutungen gehen ins Beliebige. Eine Parabel auf die Sinnlosigkeit des Krieges? Des Daseins? Auf eine verflossene Liebe? Liegt ueberhaupt Sinn darin, einen tieferen Sinn zu suchen - reicht es nicht, dass die Form gelungen ist, die Sprache und die Bilder schoen ist, muss auch noch der Inhalt was profundes bedeuten?

    Am Ende - ja, fuer mich irgendwie schon - und wenn ich nach dem 6 Minuten lesen und nach den 60 Minuten drueber gruebeln nicht auf den Knackpunkt gekommen bin was mir die Geschichte zu sagen hat - dann ist sie vermutlich einfach nicht fuer mich und erreicht mich so nicht - und hinterlaesst mich nicht hungrig auf mehr sondern vage unzufrieden.

    ***

    Nach diesem philosophischen Erguss - es sind ein paar Anachronismen drin, hier zum Beispiel

    die führungslosen Widerstandslinien brachen wie verkohlte Streichhölzer und wurden überspült.

    Streichhoelzer gab's erst im 19. Jahrhundert - Schwefelhoelzer wuerden funktionieren.

    Ebenso die Weihnachtsbeleuchtung mit der das gegnerische Lager verglichen wird - das Bild ist glaube ich sehr modern und reisst so ein bisschen aus der Stimmung raus.

  • Lieber Der Wanderer ! Durch dich wurde mir die Ehre der ersten Rückmeldung zu meiner ersten Geschichte auf diesem Forum zu Teil – dafür danke ich von Herzen! Gerne hätte ich folgerichtig auch ein Herzchen gesetzt, wenn ich mir das nicht für besonders schöne Geschichten hätte vorbehalten wollen. ;) Dein Lob tut mir echt gut!

    Lieber Thorsten ! Auch dir danke ich – du gehst tiefer in die Geschichte und ich kann dir nur Recht damit geben, dass du Eigenheiten bemängelst, die tatsächlich anders besser geschrieben worden wären!

    Dabei spezifizierst du Logik-Fehler; ich möchte aber beifügen, dass es eher poetische Sinnfehler sind; Fehler in der Sinngebung – einen Sinn, den du nur schwerlich entdecken konntest. Dass die ganze Chose surreal und träumlerisch ist, steht außer Frage, dafür steht sie hier in den Schwarzen Scherben. Ich schäm mich auch n bisschen, dass gleich die erste Geschichte eine so ‘therapeutische‘ sein muss, aber ich meinte, verrückt zu werden, wenn ich nicht endlich mal irgendwas unter Leute bringe!

    Das Wesen des Hauptmanns sind reale Ängste und die Schwierigkeit seiner Truppen spiegelt meinen zeitweiligen Geisteszustand. Im Keim war das das Gefühl, dass die Gedanken zwar alle dem rationalen Ich gehorchen – Ich kann denken (kommandieren), was ich will. Aber irgendwie haben sie doch alle ein unwägbares Eigenleben, beziehen sich selbst auf wieder andere Gedanken, arbeiten Zusammen, rufen Gefühle hervor, die ich nicht beabsichtigt habe. Sie gehorchen also, aber ich bin ihnen trotzdem gewissermaßen hilflos ausgesetzt, diesem Heer aus Gedanken – sie sprechen zu mir, erstatten Bericht, aber manchmal zieht das so vorbei.

    Eigentlich sollte der Hauptmann ausziehen wie in Eyes Wide Shut (bzw. Traumnovelle) und nach seltsamen Konfrontationen wiederkehren. Also – Thorsten und da Schande über mein Haupt – wäre es besser gewesen, den Hauptmann an der Schwelle zum Sandpfad umkehren zu lassen! Ihn sich wieder zurückschleichen lassen, nach einer seltsam rauschhaften und mit dem 'Feind' liebäugelnden Nicht-Flucht in sein eigenes Zelt, zwischen die purpurroten Wände.

    Ich glaube, mich packte zwischendurch der Druck, noch Uni-Sachen erledigen zu haben. Eine richtige Spaziergangsgeschichte hätte ausschweifender und aufwendiger sein müssen – und hier ist es wirklich schade, dass ich der Versuchung nachgegeben habe, sie schneller, einfacher, flacher und sinnloser enden zu lassen. Es ist eben keine Lösung, dass das Gedankenheer und der Ratio-Kommandant sterben von jenem obskuren ‘Feind‘, der durch diese Nicht-Lösung auch wiederum an Wirkmächtigkeit und dem Gefühl von Drohkulisse, das man ebenso manchmal hat, verliert. Andererseits war es für mich in dem Moment vielleicht auch beruhigender, die Macht in der Hand zu haben, das alles, diese obskuren Spaltereien zwischen Mir und Mir mit ein paar Fingertippen vernichten zu können.

    Insofern ziehe ich hier die Lehre, dass es zwar gut ist, die Geschichte beendet zu haben, anstatt den Uni-Krams zu erledigen und sie dann evtl. zu vergessen, aber ich und du auch den Preis dafür gezahlt haben.

    Immerhin haben wir am Ende noch die hübsche Frau, was? :P

    Ja Ja. Ich danke euch. Ist echt nett hier.

    Ich Grüße auch.

    Und wünsche Gute Nächte! :)

  • Dabei spezifizierst du Logik-Fehler;

    Nur der Klarheit wegen - ich hatte mit einem Bild der Geschichte als 'realistisch' angefangen - in dem Bild gibt es logische Fehler. Nur aenderte sich das Bild dann zu 'surreal' - und an diesem Punkt macht es dann keinen Sinn mehr, logische Fehler zu finden.

    Ich hatte versucht Dir chronologisch den Prozess zu schildern mit dem ich durch die Geschichte durch bin - insofern, war vielleicht missverstaendlich.:?:

    Immerhin haben wir am Ende noch die hübsche Frau, was?

    :D

  • Theo-Drecht 23. Juni 2020 um 18:21

    Hat das Label [Non Fantasy] entfernt.
  • Theo-Drecht 23. Juni 2020 um 18:53

    Hat den Titel des Themas von „Theos obskures Innenleben“ zu „Schwarze Scherben“ geändert.
  • Ich geb hier auch mal meinen Senf dazu. Was die Germanistikstudenten so von sich geben, interessiert mich eben. ;)

    Wie schon angemerkt wurde - es fühlt sich wirklich so an, als hättest du reinste Lyrik in Epik umgegossen. Manchmal klappt das ganz wunderbar, da breitest du ganze Innenleben (und Außenleben) vor uns aus. Es wird bildhaft, es wird nachvollziehbar. Aber manchmal... nur manchmal... uferst du aus.

    Zum Beispiel fand ich es schwierig, überhaupt einzusteigen. Was schon mal nicht gut für die Lesemotivation an sich ist. Als ich den ersten schweren Schachtelsatzhappen überwunden hatte, ging es bergauf und die Gedanken des Kommandeurs haben mich wirklich fasziniert. (Ist das eigentlich einer wirklichen Schlacht nachempfunden? Und welcher?)

    Ich würde dir vielleicht raten - und du kannst den Rat annehmen oder getrost in den Wind schlagen - deine wunderbaren poetischen Sätze um der Würze willen zu kürzen, das Essentielle ausformulieren, aber nicht zuuu ausschweifend. Da verlierst du möglicherweise Leser, die nicht von der Lyrik kommen. Und es will was heißen, dass der größte Teil dieser Kurzgeschichte eigentlich Dinge schildert, die nicht aktiv passieren, sondern nur das Innenleben des Protagonisten. Da, wo sich das Ganze dann zuspitzt, hast du dich (der Spannung halber?) schon reduziert. Versteh mich nicht falsch: all die Details über die Armee, die Söldner, die Waffen, die Technik et cetera, sind große Klasse, vermutlich super recherchiert und tragen zum realistischen Empfinden bei. Aber die unglaublichen Schachtelsätze sind manchmal ein wenig zu viel des Guten und man könnte es vermutlich prägnanter darstellen.

    Das Ende fand ich überraschend, die Unlogik habe ich mir schon selbst damit erklärt, dass du nun einen Abstecher ins Irreale machst. Das wurde ja oben auch schon ausreichend beleuchtet. Aber ohne Thorsten s faszinierenden Gedankengänge hätte ich nicht gepeilt, dass der Kommandant jetzt Selbstmord begeht. Generell fand ich den letzten Teil schwierig zu entschlüsseln. Und dass da jetzt am Ende eine "schöne Frau" vorkommt, schön und gut, aber das wirft ja mehr Fragen auf als es klärt. Z.B. was die gute Prinzessin jetzt vorhat.

    Ansonsten nur noch:

    bratkeulicher

    Äh, was? :D

    Stilles rieseln und Schummern

    *Rieseln

    LG

    Stadtnymphe

    Was ich schreibe: Eden

  • Eine Zugfahrt

    Flocke reist und denkt

    [Lesedauer: ca. 2 Minuten]

    ***

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    »Tickets bitte.« Was wollte der?

    »Was wollen Sie?«

    »Dein Ticket. Ich sags jetzt zum dritten Mal. Mach mal die Ohren auf, auch im Zug.«

    »Ach. Hm. Aber sehn Sie das denn nicht?«

    Aber der Fahrkartenkontrolleur sah wohl nichts weiter als Flocke selbst und den dunkelnden Wintertag hinter ihr, denn er sagte: »Also Madame, hast du nun ein Ticket oder nicht? Wenn ja, dann zeig mal geschwind her, sonst…«

    »Ist ja gut.« Flocke hatte tatsächlich ein Ticket. Es war ein ganz besonderes Ticket, deswegen zeigte sie es auch nicht gerne her. Ihm aber gab sie nun das Plastikkärtchen mit ihren Daten. Nicht ohne Befriedigung sah sie, wie das Gesicht des Schaffners beim Prüfen erstarrte und seine Augen groß wurden, als sie auf ihr Gesicht zurückkehrten.

    »Ich bin die Tochter des Bahndirektors.« Flocke war nämlich die Tochter des Bahndirektors.

    »Oh.« quäkte er. »Na denn mal – nichts für Ungut, ja?« Jetzt versuchte er es mit einem jovialen Nicken und einem Blick in die Augen. Und dann verschwand er hastig, ohne die Personen in den Sitzreihen vor ihr geprüft zu haben.

    Flocke vergaß ihn schnell. Sie starrte lieber hinaus. Hinter den Flocken, mit denen sie sich natürlich irgendwie verbunden fühlte, war bald nur noch schwarzes Buschwerk und nur ab und zu die gelbe, weißbezipfelte Leuchte eines Bauernhofes. Im Zug war es leicht, jeden zu vergessen, fand sie. Der Ort, an dem sie den Schaffner getroffen hatte, lag ja nun sicher auch schon wieder mehrere Kilometer zurück. Zwischen Schneehäuflein irgendein einsamer Bahnübergang, das hatte sie registriert. Es viel auch leicht, alles zu vergessen; Gedanken an zu Hause streiften sie, aber sie schüttelte sie ab, wie man Kopfhörer abschüttelt, wenn man einen Anruf bekommt, aber die Hände beschäftigt sind, zum Beispiel mit einem Buch, das nicht zuschlagen darf oder man hat sie im Kuchenteig. Dann allerdings kann man den Anruf auch nicht annehmen. Zum Glück gibt es in Zügen noch kein Mobilfunknetz, fand Flocke. Ihr Handy, ein Smartphone, denn ihr Bahndirektorpapa hatte es dicke, steckte ausgeschaltet in ihrer Umhängetasche.

    Was Mama jetzt wohl denkt, dachte sie. Sie war gegen das Smartphone gewesen. Aber so war es sicherer, hatte Papa Direktor immer gesagt, das Reisen war so sicherer. Denk nur, einer drückt ihr ein Cloroformtuch auf – dann könne sie doch weißgott auch nicht mehr anrufen, hatte ihre Mama mit trotzig funkelnden Augen gepatzt, aber Flocke hatte sie sich ducken gesehen. Der Streit war verloren. Und dann war das Smartphone mit der Post gekommen, drei Wochen nach Weihnachten, und es war bunt gewesen und hatte geblinkt, und all das Geblinke hatte ein paar Tage in Anspruch genommen. Irgendwann war es weniger geworden und nun steckte es eben in der Tasche. Neben Harry Potter und Artemis Fowl. ›Chloroform‹, das könnte so ein Wort sein, was auch Artemis in den Mund nimmt. Flocke überlegte einen Moment, ob sie wusste, was es bedeutete, entschied sich aber dagegen. Es mahnte sie nur daran, bei Fremden nicht mehr so sehr einzuatmen. Besonders bei den Indern, die mochte sie am wenigsten, die rochen wie Curry unter den Achseln. Eigentlich roch sie aber immer gern zwischen den Sitzreihen umher, besonders bei alten Leuten. Die erinnerten sie an ihre Großeltern.

    Draußen rollte ein Jägerhochstand vor einem Wald aus schwarzen Streichhölzern vorbei. Ihr Großvater hatte sie einmal mit Jagen genommen. Sie hatten bis tief in die Nacht gewartet, bis die Sterne sicher einige Meter über den Himmel gewandert waren, und bitterkalt war es gewesen, besonders da, wo unter der Hose die Socken aufhörten, und der Wind hereinzog. Dann aber war Opa plötzlich ganz angespannt gewesen und hatte sie angezischt und ihr die Hand auf den Ellbogen gelegt. Er hatte geschossen, Bumm, schrecklich laut, und dann waren sie in Euphorie die Leiter hinuntergekrabbelt und ins Gebüsch und dort hatte es gelegen. Ein Reh. Blut lag auf den trockenen Blättern. Aber auch Tau mengte sich in den Rillen. Flocke hatte gar nicht geweint. Und deswegen hatte Opa sie ›tapfer‹ genannt. Und das hatten sie beibehalten. Flocke sah auf die weißen Decken und Aberdecken hinaus. Sie vermisste ihren Opa. Für einen Moment sehr.

    Wenn Flocke einmal groß war, wollte sie einen Kerl heiraten. So wie Hermine Harry heiratet. Oder so. Der sollte ein Auto haben ohne Dach und eine Pferdekutsche, die sie nur Sonntags fuhren. Viel Geld war ihr nicht wichtig, aber sensibel sollte er sein. Am besten, er konnte auch Popmusik. Und nahm sie mit in eine große Villa mit Pool, wo sie ihr eigenes Zimmer hatte. Dann konnte sie schwimmen gehen und hinabsehen auf die Weinberge. Und die rote Sonne wie aus dem Katalog.

    Ihre Hochzeit stellte sie sich fast langweilig vor. Auch wenn Sonne durch die bunten Kirchenfenster strahlte und sie als weiße Braut auf einmal voller Farben hing. Weinen würde sie auch. Vielleicht mit einer Wunde in der Flanke, wie das Reh, gestellt durch etwas Tomatenketchup vom Büffet. Da würden die doof gucken!

    Flocke fand, dass manchmal der Himmel aussah wie ein einziger großer Eiskristall. Im Sommer wie eine Kardenblüte, im Herbst wie ein Apfel und im Frühling, da war ihr Geburtstag. Da spiegelte sich das Große im Kleinen. Die Zahl ihrer Jahre auf der Geburtstagstorte. Die Schnitte mit dem Messer in der Creme, das alles zerteile, auch die Bande zu ihren Großeltern. Dann trösteten sie nur die Mandeln, die sich im Schokofluff versteckten, wie gute Gedanken. In jeden Jahr gab es mindestens einen besonders guten Gedanken. Rein statistisch gesehen schon. An einem hübschen Märztag hatte sie mal angefangen ein Jahresbuch zu schreiben, hatte es aber bald darauf vergessen. Sie hatte eine Idee bekommen, wie man Papageien zähmen konnte und wie das im Kleinen schon wieder auf das Große verwies. Mehrere Tage war sie ganz von Sinnen gewesen darüber. Papa Direktor hatte ihr ein Papageienbuch geschenkt, und gesagt, wenn sie das durchhätte, bekäme sie einen Kakadu. Flocke aber hatte den Gedanken wie gesagt bald darauf vergessen, denn es waren so viele Seiten gewesen. Und an all den Seiten war ihr eigentlicher Gedanke abgeglitten wie die Schnecke an der Bierfalle, immer tiefer in die Ritze des Einbands hinein. Fraß für die Bücherwürmer.

    »Heidelberg Hbf« wurde angesagt. Das schreckte Flocke nun doch auf. Sie packte ihren Krams in die Umhängetasche zurück, ein Blatt Papier und einen Teddybär. Auch ihr Portemonnaie mit den blauen Rändern, und dann zog sie sich Schuhe über die gepunkteten Socken und eine Wollmütze über die blonden Strähnen. Bald war sie winterbahnhofsnachtfertig.

    Nun kam aber doch nochmal der Kontrolleur von vorhin durch den Gang, aber um einiges demütiger als vorhin. Er kniete sich sogar zu ihr nieder und fragte: Wirst du abgeholt? Soll ich dir ein Taxi rufen?

    »Ein Taxi bitte.« antwortete Flocke.

    Beim Aussteigen in die eisige Luft knisterte das leere Papier in der Umhängetasche unter ihrem Arm, als wolle es noch mehr vom Zugfahren wissen. Aber für heute musste das genügen; die Zeit des Denkens war vorbei. Jetzt musste sie schauen, dass sie sicher mit dem Taxi durch Heidelberg kam.

    Zu ihren Onkel. Der war ihre einzige Hoffnung. Hoffentlich war der da.

    ***

    [PS noch zur vorherigen Geschichte weiter oben, das hier hier anfügen muss wegen Doppelpostingregeln:

    Spoiler anzeigen

    Um das hier mal abzuschließen, dass niemand denkt, ich ließe Stadtnymphen im Stadtregen stehen –

    Das mit den Schachtelsätzen ist registriert. Zugegeben, ich befand mich gerade in Hoffmannsthal-Lektüre für die Uni und naja; daher auch die Spintisiererei mit "impressionistisch" im Threadtitel. Ich glaube, mir fällt zusehends auf, dass sich bestenfalls alle Geschichten aus Gedanken und Gefühlen des Innenlebens speisen sollten :huh:

    Eigentlich wollte ich aber nur anbringen dass:

    [Zitat von Stadtnymphe: "Und dass da jetzt am Ende eine "schöne Frau" vorkommt, schön und gut, aber das wirft ja mehr Fragen auf als es klärt. Z.B. was die gute Prinzessin jetzt vorhat." ]

    Eine schöne Prinzessin am Ende überhaupt nichts vorhaben muss :D Die ist ist Ende und Anfang und überhaupt die ganze Metaphysik. Vielleicht löst sich ja der Protagonist selbst ohnehin ganz als irreal in ihren kristallblauen Augen auf…

  • Hm, mit der Geschichte kann ich jetzt irgendwie wenig anfangen (ausser dass ich die Vermutung bekomme, Du hast eine Vorliebe fuer Zugfahrten...) - der Twist am Ende kommt irgendwie zu spaet um bei mir noch was zu drehen, es plaetschert so vor sich hin, von einem Gedanken zum naechsten. Nicht alles wuerde ich einem Kind zutrauen

    . Rein statistisch gesehen schon.

    zum Beispiel nicht. Aber es fehlt mir ein roter Faden (was vermutlich genau der Punkt an der Geschichte sein soll, Flocken treiben so im Wind...) - es kommt eine Situation rueber, aber nicht warum die Geschichte zur Situation erzaehlt wird.

    Da bin ich in meimem Geschmack eher altmodisch...

  • Lieber Thorsten – dein gutes Recht!

    Ja, ich wollte einfach nur von einer Zugfahrt schreiben und alles weitere ergab sich dann. Deswegen ist es ja hier wieder eine Schwarze Scherbe: Die Zugfahrt ist Kulisse, und meine verkappten Gedanken ziehen vor dem Fenster in Winter vorbei…

    Mein größter Wunsch auf Erden ist tatsächlich eine BahnCard 100 ;)

    Ich freue mich, dass du die in diesem Sammelthread überhaupt gefunden hast.

    Schönen Tag :)

  • Theo-Drecht 22. Juli 2020 um 12:30

    Hat das Label [Non Fantasy] hinzugefügt.
  • Ich freue mich, dass du die in diesem Sammelthread überhaupt gefunden hast.

    Ja, ich les' das schon gerne.

    Von der Art wie es geschrieben ist, von den Bildern und den Vergleichen und der Art wie die Stimmung entwickelt ist gefaellt mir 'Nachts im Heerlager' ja schon verdammt gut.

    Jetzt wuenschte ich mir nur, all diese tolle Erzaehltechnik wuerden mal eine spannende Handlung unterstuetzen, oder sich um eine tolle Idee die mir ein Aha-Erlebnis schenkt kristallisieren - statt Stimmungsbilder zu bleiben.

    Das koennte dann ziemlich genial sein.

  • Jetzt wuenschte ich mir nur, all diese tolle Erzaehltechnik wuerden mal eine spannende Handlung unterstuetzen, oder sich um eine tolle Idee die mir ein Aha-Erlebnis schenkt kristallisieren - statt Stimmungsbilder zu bleiben.

    Haha Thorsten im eigentlichen wünsche ich mir das ja auch! :D

    Auch der Thread "Weiße Scherben" mag hier wenig befriedigen, nehme ich an, weil es ja doch nur kurze Bilder (Kurzgeschichten) sind, ohne viel Handlung und Spannung. Und weil erst eine Geschichte drinsteht ;)

    Manchmal kommt es mir so vor, und dann zweifele ich, als wäre das unvereinbar: Bilderreicher Stil und Spannende Handlung. Da hatte Stadtnymphe schon mal Recht, als sie meinte, ich käme wohl von der Lyrik. Und das stimmt – auch wenn ich natürlich zum Genuss mehr Fantasy-Prosa gelesen habe. Meiner Erfahrung nach sind Romanciers ziemlich schlechte Lyriker! Da scheint es eine Art Aufteilung zugeben.

    Tatsächlich bin ich ja auch hier, um das ein wenig zu entwickeln. Mein Ideal ist ja nun eigentlich schon der Roman, weil das auch das ist, was ich selbst gerne lese. Oft sehe ich mich aber im Entwickeln von Handlungen vor ein großes Problem gestellt: Mir fallen Stimmungen und Bilder ein, aber keine Verläufe! Keine Hintergrundstorys, keine Verwicklungen – das scheint mir eine noch ganz unheimliche Art des Denkens.

    Dieses Forum allerdings gibt diesem Denken eine Plattform, zu sprießen! Ich hatte nun lange eine (Schreib)Krise, in der ich fast gar nichts geschrieben hatte, naja… einzwei Erotikgeschichten, wenns pressierte :D Das Problem war nun lange, dass ich mir immer dachte: Es liest ja doch keiner – wen interessierts. So verkamen Geschichten oder Gedichte zum reinen Therapeutikum für mich selbst; und hier sind Handlungen natürlich völlig obsolet.

    Hier finde ich endlich ein wenig Öffnung, das fühlt sich befreiend an :)))

    Das koennte dann ziemlich genial sein.

    Danke für deinen Ansporn, Thorsten!; ich werd mich bemühen, bald auch mal ein Abenteuer zu schreiben. Momentan allerdings ist erstmal Klausurenphase!

    Liebe Grüße :)

    PS: Eigentlich hatte ich mich ja auch just deswegen in ein Fantasy-Geschichtenforum eingetragen: Weil ich doch meine alte Fantasyliebe endlich gerne wieder umsetzen würde. Aber so richtige Fantasy ist aus meinem spätpubertären Wust einfach noch nicht erwachsen :0