Weiße Scherben

Es gibt 15 Antworten in diesem Thema, welches 3.580 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (15. August 2020 um 22:33) ist von Stadtnymphe.

  • Liebe Forler – Hier werden gelegentlich Kurzgeschichten landen, von denen ich – im Gegensatz zu meinen Schwarzen Scherben – genau weiß, wo sie herkommen und wo sie hinführen. Also gut, und lieb, und rein…


    Wenn es denn möglich ist, wünsche ich daher soweit viel Spaß! ;)

    Liebe Proszeniums-Grüße

    Theo

    –––

    Direkt zu den Geschichten:

    – Die Stadtnymphe –

    – Wg. 23, Pl. 61/62 –

  • Die Stadtnymphe

    Ein Freund und ein längst überkommenes Mädchen

    [Lesedauer: ca. 5 Minuten]

    ***

    Spoiler anzeigen

    Es war auf einer langen, verspäteten Zugfahrt von Hamburg weiter nach Norden, die ich mit einem langjährigen Freund unternahm. Wir saßen beisammen, draußen begann es zu nebeln, und ich blätterte durch ein Album, das er mit sich führte, um später einige Gedichte, die er etwas jünger noch darin notiert hatte, in eine eigens dafür angelegte Datenbank einzuspeisen, in der er sie ordnen wollte. Um ihn und den Bildschirm, der gegen das draußen verlöschende Licht langsam zu scheinen begann, lagen noch mehrere weitere dieser roten Büchlein mit Pappeinband auf den Polstern verstreut.

    Ich las die Verse, weil er mein liebster Freund war, nicht, weil ich ihnen allzu große poetische Qualität beimaß. Ab und zu, fand ich eine besonders eingängige Wendung oder stimmiges Bild, stieß ich ein anerkennendes Hmhm ins sonst stille Abteil, und da ich merkte, dass ihn das freute, auch wenn er dann beharrlich weiter seinen Bildschirm fixierte, setzte ich dies fort, indem ich mich durch seine gewichtigen ausufernden Verse wälzte, welche teilweise gar etwas ins Verfängliche tendierten und deren Schwung auch unmodern und pathetisch war.

    Da stieß ich, zwischen solchen penibel mit spitzem Bleistift vollgezirkelten Blättern, auf eine Seite, die fast leer war, abgesehen von vier unwesentlich krakeliger gezogenen Versen in ihrer Mitte. Als ich es fand, blickten wir beide zur gleichen Zeit auf, und da ich in seinem Gesicht angesichts der weißen Seite auf meinem Schoß gleich ein etwas freudig gequältes Schmunzeln entdeckte, las ich es laut, um ihm die Geschichte dahinter zu entlocken. Hier tippe ich es ab:

    Stadtwaldbrücke, später Abend

    er nur einen Abend

    sie seine Stadtnymphe

    er als wär sie noch da

    über der Fahrbahn

    Er, der duldsam ertrug, wie ich meinen Fund auskostete, griff darauf herüber, nahm das Buch auf seinen eigenen Schoß zurück und legte das seidene Lesebändchen in den aufgeschlagenen Einband. Und mit einem Blick zum Fenster, an das nun ganz der Nebel sich kleidete, und in dem wir meinten, im aufflauenden Dunkel trotzdem noch die zwei grauen Lichtpunkte eines fernen Gehöftes ausmachen zu können, fing er an zu erzählen:

    *

    »Du, im Stadtwald, wenn du weit in den Beethovenpark hineinfährst und irgendwann glaubst, es käme nichts mehr als Bäume, und du hättest es endlich geschafft, ohne Straßen zu sein: da gibt es eine Brücke. Na ja, eigentlich stößt du ja auf den Militärring, du weißt schon, wo es richtung Autobahn geht, aber so lange es nicht gerade Nacht ist, und die Lichtfinger der Autos und der letzten heimeilenden LKWs nicht schon lange vorher zwischen den Stämmen in den Park hineintasten, ist es eben das erste, auf das du stößt. Ich weiß nicht, wie sie heißt, die die so steil ist. Man muss dort immer in den ersten Gang schalten, vorausgesetzt man hat davon einundzwanzig oder so, nur die meisten steigen dort direkt ab und schieben. Wie so ein romanischer Bogen steht sie über der Fahrbahn, trägt den Himmel oder die umstehenden Baumkronen – es ist ein romantischer Ort. Erinnerst du dich nicht? Wir haben sie oft zusammen überquert.«

    Ich verneinte, mir fiel die Brücke nicht direkt ein, und bat ihn, ruhig fortzufahren.

    »Hmm… An dem Abend, als ich zu dieser Brücke fuhr, war es irgendwie… golden. So tiefgolden, sepiagolden wie eine Reihe enger Ahorne um die knirschenden Lehmwege, die sich an meine Reifen hängten mit all ihren klebrigen Lindennäschen. Deren Blätter auch schwer von oben auf den verkühlenden Sommerabend unter ihrem Dach drückten. Ich fuhr schnell und ich genoss es, was weiß ich, was mich damals antrieb; eine gute Schulnote, einen Nachmittag Nintendo mit Freunden, mein Gott, was einen früher alles in seligste Aufregung versetzen konnte, und wenn es auch bloß ein frisch aufgepumpter Fahrradreifen war. Man dachte nicht viel drüber nach. Vielleicht auch schon das ein oder andere weiße lockende Lächeln zwischen den Klassenzimmern… Du weißt es selbst, wir waren jung, Freund. Und es gab vieles, was uns nicht verheißungsvoll erschien.

    Nur einzwei verträumte Pärchen gingen noch umher, oder ein Typ, robotisch mit seinem weißen Handy vorankrauchend. Ich ließ sie alle bald hinter mir und nahm den großen Anlauf über die verkrusteten Schlammfurchen und hopste auf den dunkel sich unter die letzten Lindenkronen vorstreckenden Brückenbogen, raus aus dem senfgelben Straßenlaternenlicht in die freiere, lautere Nacht. Unter mir rollte der Militärring sich mit all seinem Heimwärtsgeratter zusammen und machte die Geländer der Brücke unmerklich summen.

    Wie jedes Mal langt der Schwung nicht bis zur Kuppe hin, also lässt man den allerersten Gang reinkrachen und dann beginnt die Paddelei, den steilen Anstieg hinauf, ein versinkendes Pferd, wenn man nicht zurückrutschen will. Die Anstrengung passt sich irgendwie ein ins Rauschen der Straße und ich träumte manchmal davon, ob man nicht, mit dem richtigen Studium natürlich, ein Auto konstruieren könnte, das rein auf Pedalantrieb setzt. Autobahntauglich, selbstredend, gerade so vielleicht. Was braucht man da – Achtzig, Sechzig?

    Aber auf einmal saß sie da. Weißte – – Ich hatte sie gar nicht gesehen… was mich in meiner Bahn nicht unterbrochen hätte, denn ich hatte mittlerweile alle Geschwindigkeit eingebüßt und war sowieso heftig am schlenkern. Aber da wendet sie sich um über die Schulter – und weißt du, was sie dann sacht: – – ›Hey‹. Und da sind wir auf einmal mitten im Gespräch.

    Sie war schon eine betörende, sinnliche Erscheinung. Aber nicht in diesen konventionellen Begriffen. Sie hatte jetzt keine ausnehmend dralle Figur oder irgendwas mit den Haaren, ich erinnere mich nicht mal mehr so recht ob sie brünett oder schwarz war. Vermutlich irgendwas Kompliziertes mit Strähnchen. Sie saß da einfach, die Beine durch das Geländer gestreckt, aufgehübscht wie sie war über der Fahrbahn, als sei sie dort zu Hause. Grad auf dem Rand des brodelnden Kochtopfs. Ihr Rock war schwarz, aber ihre Strumpfhose grau. Ihre Schuhe waren schwarz, aber ihre Schnürsenkel, die waren grau. Ihre Wimpern waren schwarz, aber ihr Augen waren grau…«

    »Grau?« widersprach ich.

    Sein Blick fiel für einen Moment zum Abteilboden, wo unsere Füße auf dem warmen Teppich lagen. »Hm, du hast Recht«, meinte er schließlich. »Es reißt mich wieder mit – ich habe die Erinnerung so oft herumgedreht, wie einen besonders tollen Pfennig, dass ich manchmal selber nicht mehr weiß, was ich dazufantasiert habe… Sie werden braun gewesen sein, gewöhnlich braun. Die meisten Mädels, an die ich mich noch erinnere, hatten braune Augen, südliche Augen.«

    Ich fragte mich unwillkürlich, wie viele Mädchengesichter in seinen roten Alben schliefen, unwissentliche, zu süßlicher Nostalgie betäubte Masken. – –

    »Sie verbreitete eine solche Ruhe.« fuhr er unbeirrt fort. »Ich schob selbst meine Beine durchs Geländer, dass sie frei im Niemandsraum über der Fahrbahn schwangen, was natürlich gar nicht so glimpflich ablief wie bei ihr. Ich fragte sie, ob sie auf diese Art schon einmal einen Schuh verloren hätte und sie lachte darüber. Auch wenn es unterging im Knattern eines Motorrads – mir klingelte es seltsam nach. Es war ihr erstes Lachen diesen Abend.

    Mittlerweile waren wir unversehens in diese Stunde gerutscht, in der alles entweder einsumpft ins Blaue, ins Schwarze, oder glüht. Gesichter werden dann wichtig. Natürlich glühte ihres. Meines muss dagegen allzu käsig und rotfleckig gewirkt haben.

    – Worüber wir sprachen? Also wenn ich das noch wüsste… Es muss viel gewesen sein und gut. Oft verhaspelten die Worte sich ohnehin im Fahrtwind eines durchbretternden LKWs. Sicher ging es irgendwie um die Stadt…

    Sie sprach mit solcher Wärme davon. Vom Trubel in den Einkaufsstraßen, den ruhelos umherstreichenden Dämpfen der Abgase, die Weite, in die das alles fährt, um sich in die Enge zusammenzuballen; der Dom, grauslich, der über all dem steht wie eine Drohung, eines Tages aus seiner Starre zu erwachen und das Mittelalter wieder mit sich zu führen. Ich erzählte ihr, ich hätte Raben gesehen, die im Schatten von Parkuhren Nüsse knackten, und sie sah mich dankbar an.

    Ich weiß nicht… Mittlerweile glaub ich, sie kam an diesen Ort aus Sehnsucht…«

    »Meintest du nicht eben noch, dass sie da ganz zu Hause wirkte?« warf ich ein. »Du musst dich schon entscheiden!«

    »Lass mich doch ausreden« widersprach er unwillig.

    »Sie strahlte Sehnsucht aus wie eine kalte Heizung. Starrte in die abblendenden Scheinwerfer, als könnte sie auf ihnen wie auf einem Karussell mitreiten bis zur Autobahn und zurück. Es war eher wie… tiefes Verlangen, aber nach dem Ort, an dem sie dort war. Just diesem Ort, diese umtoste Brücke, auf der sie tagsüber nur im Weg saß. Es gab immerhin wahrlich romantischere Parkbänke…«

    »Findest du nicht, dass du sie da etwas überhöhst? Woher weißt du, dass sie nicht einfach nur fort wollte? Sich in den Beifahrersitz irgendeines langhaarigen VW-Busses träumte, in verwaschener Hotpants und verknoteter Bluse? Es gibt viele Mädchen…«

    »Es gibt einige. Es gibt Jugendliche, manchmal, die wirklich schon viel zu früh merken, dass die Schule sie nicht hält. Die auf Brücken sitzen und in Bahnhöfen und eines Morgens haben sie ihr Schulgeld dabei und machens wahr. Aber die sind selten.«

    »Und dann gibts den, der immer noch nicht weiß, ob die Schule nicht schon die Welt war, die er verlor, ja ja.« schmunzelte ich.

    Er brummte. »Beide sind selten.«

    »Und sie war nicht selten?«

    Als er aufsah, merkte ich sofort, dass ich einen wunden Punkt getroffen hatte. »Auf andere Art…« räumte er ein. »Ich – bekam keine Gelegenheit mehr, es herauszufinden…«

    »Der Abend währte nicht ewig.«

    »Richtig: Der Abend währte nicht ewig. Irgendwann versiegte der brausende Strom unter uns zu einzelnen Lichttröpfchen. Dahinter der flüchtige Eindruck von Müdigkeit zerkneteter Gesichter, flutscheinwerferartig angestrahlt von ihren Navigationsgeräten, auf denen die Zahlenkolonnen viel zu langsam schwinden. Wir wurden stiller. Dachten vielleicht über diese Menschen nach, Familienväter, die trotz allem einsam sind hinter ihrem Lenkrad, eine junge Studentin im Kombi, deren Umzug in die neue große Stadt sich verzögert… Der Nachtwind kam und trieb sie davon, rauschte in den Linden wie in tausend stumpfen Glöckchen, spielte mit ihrem Rockschoß und mit meinen Schnürsenkeln, einer Strähne, und verkühlte meine Finger auf den Eisensparren. Er war auch uns ein Heimläuten, denn die Ruhe, das Umfangensein im Abend war dahin. Es war wie Aufwachen, weißt du, der Moment, an dem du in der Kneipe umhersiehst und nur noch Fratzen siehst auf den Gesichtern deiner Freunde. Du bist dann nicht der erste, der aufsteht. Sie merken es zuerst, dass einer Abweicht aus der vereinten Illusion und torkeln dann, etwas verunsichert, nach Hause.

    Hinter uns lag seit meiner Ankunft mein Fahrrad, zeitweilig mit kreiselnden Pedalen. Es hatte den ganzen Abend niemand mehr durchgewollt, dem es hätte den Weg versperren können, aber nun fragte ich mich, wie sie denn eigentlich nach Hause käme. Natürlich nicht ganz ohne Hintergedanken. Du musst verstehen, ihre warmen Blicke, ihr feinsinniges, aufgewecktes Lächeln… Wäre sie auf meinem Gepäckträger mitgefahren, wäre es vielleicht zur Hand auf meiner Hüfte geworden und ein stiller Gruß vor irgendeiner gewöhnlichen Haustür. Aber so… Als ich fragte, lächelte sie wieder, diesmal aber etwas müder, beklommener fast. Als hätte sie zu Hause einen brutalen Vater und sie wünschte sich zu ihrer Mutter, die weit fort wohnt, in Stuttgart, oder was weiß ich. Auch das sind immerhin Gründe, warum man junge Mädchen abends einsam im Park findet. Aber ich sagte ja schon, die eigentliche Sehnsucht… – Mein Vergleich ist schlecht gewählt, entschuldige. – Ich soll mir keine Sorgen machen, sagte sie zu mir, und sie käme schon nach Hause.

    Ich wusste nicht recht, wie ich das aufzufassen hatte, ob als Korb oder nicht, weil sie ja sitzen blieb. Aber ich glaube, ihr gefiel die Nacht nicht. Die Autos waren fort, alles wurde still, aber sie blieb sitzen. Pendelte nur stärker mit den Beinen. Also raunte ich ein ›Tschüss‹, was sie dann, ohne mich noch einmal anzublicken, zurückflüsterte, und schwang mich auf mein Fahrrad. Ich nahm das Gefälle hinab schneller Schwung auf als ich wollte, mein Rad bremsend und scharrend auf dem glatten Asphalt, und tauchte schließlich in den kühlen dunklen Tunnel des Parks. Als ich mich noch einmal zum hellen Brückenbogen umwandte, war sie wohl schon gegangen. – Ich hielt das damals für ein gutes Zeichen, dass sie nämlich nicht ohne mich dort sitzen blieb.

    Im Stillen wünschte ich ihr eine gute Nacht machte mich auf den Heimweg, innerlich leicht pochend. Mein Fahrrad vor der Tür meines Elternhauses abgestellt, bemerkte ich endlich den Mond, und wie er auch endlich von hinter dem ewigen Dunkelgrau–Lila des städtischen Nachthimmels hervorgekommen war…«

    Der Zug ruckelte. Auch bei uns war es Nacht geworden. Die stillen Marschlandschaften, auf die an anderen Nächten wohl ebenso der Mond spiegelte, mussten aber weiterhin stark vernebelt sein; In der Scheibe sahen wir nur uns selbst, und auch die Spiegelung eines Schaffners, der so spät draußen auf dem Gang entlangkam. Hin und wieder flackerte wohl eine Laterne draußen vorbei und das Spiegelbild verschwand für Lidschläge und hinterließ unruhige Schemen in den Sitzen.

    In Zügen gibt es kaum eine Zeit, dachte ich, so getaktet sie auch sind. So lange Passagiere hier nachts wach sind, in den Sitzabteilen, ist auch der Schaffner wach, und so fahren wir als kleine wache Gesellschaft der trüben Augen durch das Land. Ab und an Häuser mit goldenen und schwarzen Fenstern – auch dort Nachteulen, ihre Fittiche aber decken sich mit den Daunen ihrer Kinder, Eltern, Geschwister…

    Mein Freund schwieg, in Gedanken versunken, als sei die Geschichte damit beendet. So leicht aber wollte ich ihn nicht vom Haken lassen. Wenn er sich derart hineinpathetisierte, saß der Stachel für gewöhnlich tief. Eigentlich hatten wir damals das beieinander, was man wohl Primat der Heiterkeit nennt. Einmal vertraute er mir, zu Besuch im Haus seiner Großmutter, das für ihn als Junge bedeutsam gewesen war, eine Erinnerung an, die ihn quälte, wieder über ein Mädchen, und wieder riss es ihn für mehrere Tage aus dem bürgerlichen Leben. Solche Vorkommnisse häuften sich letztlich, bis ich zuweilen glaubte, ihn zu verlieren.

    Später, einige Großmütter später heißt das, ahnten wir, dass auch Traurigkeit und Ängstlichkeit ein Weg sein können, nach der Welt zu greifen und auch brodelten ihm dann öfter solche Geschichten ans Tageslicht. Damals aber schien mir die Melancholie neu und ungewohnt und überdies bedrohte sie unsere Urlaubstage in Dänemark.

    »Und?« drängte ich.

    »Was Und – Sie wird wohl irgendein Mädchen aus den umliegenden Vierteln gewesen sein. Eine gewöhnliche.«

    »Na mit denen müsstest du dich mittlerweile abgefunden haben. Aber?«

    »Ich fand sie nicht mehr. Kein zweites Mal, nichts. Einzwei Mal in der Schildergasse, der Schimmer eines Schattens im Profil einer Wange… vielleicht – aber ansonsten nichts. Ich hatte ja nicht herausfinden können, wo sie wohnte. Kannte ich ihren Namen? Wenn, dann hab ich ihn bis heute vergessen, meine Notizen geben nichts her. Ich hätte sie ja bei Facebook gesucht. Ich fuhr noch oft hin. Verbrachte ein wenig Zeit dort, in warmen Abenden, aber auch bei Regen, in der Hoffnung, dass sie käme. Nur das Fauchen verklebter Reifen in tiefen Pfützen. Wenn eine Fahrradlampe durch die Tropfen sah, wurde ich hellhörig. Manchmal hielten unten am Fuß Gestalten, sahen herauf, und machten dann kehrt. Einmal tastete ich gar zwischen den Stäben des Geländers herum, als hätte ich den Stift meiner Armbanduhr verloren, oder dergleichen – – als könnte ich sie dennoch dort zu fassen bekommen, wo ihre Beine durch die Gitter lugten…«

    Er schnaufte wehmütig. »Ich muss schon ein wenig verliebt gewesen sein. Und das nach einem Abend… Aber sie war so……«

    Er verstummte. Ich betrachtete etwas besorgt sein Mienenspiel. In seinen Augen spiegelte sich warme Sehnsucht nach der großen Stadt. Wenn ich es jetzt nicht besser gewusst hätte, hätte ich es für Heimweh gehalten.

    »Irgendeine Gewöhnliche also« schloss ich.

    Da lachte er. »Mit grauen Augen!« Er lachte und ich rieb mir erleichtert die Beine.

    Ich blickte hinaus. Die beiden Lichter im Marschland verloschen wie ein Blinzeln.

    »Den Vierzeiler da schrieb ich Wochen – Wochen später. Es war nich an sie, wie sonst immer – wie auch? Dieses war für mich. Ist auch kürzer.« Er klappte sein Album zu und reichte es mir herüber. Ich nahm es wieder auf meinen Schoß zurück und ließ gedankenverloren meinen Finger über den roten Pappeinband streichen. Als könnte ich seine Stadtnymphe darin bannen.

    »Gefällts dir?«

    »Ja.« sagte ich.

    *

    Wir erzählten uns noch viel, in dieser Zugnacht, in der wir, wie der herumgeisternde Schaffner, kaum schliefen. Wie sich der Zug voranfraß in die Weite und Leere Dänemärkischer Wiesen, schien auf meinem Freund ein Zauber gelöst. Einmal erschien eine völlig abgespannte junge Dame mit lila Augenringen vor unserem Abteil, die uns doch höflich fragte, was die Heiterkeit zu bedeuten hätte. Wir luden sie ein, zauberten eine Flasche Rotwein hervor und Pappbecher und hielten mitternächtliche Zeche. Sie überraschte uns mit einigen Zoten, unter denen wir bald die Wirrnisse einer unausgegorenen Verlobung ertasteten, die wohl vor ein paar Tagen im tiefsten Bayern über die Bühne gegangen sein musste. Wir fragten nicht weiter.

    Als die junge Dame zufrieden eingeschlafen war, gegen Drei, half ich ihm noch mit seiner Datenbank.

    Unsere Tage in Dänemark wurden übrigens auch sehr vergnüglich. Mir fiel auf, wie oft und gerne er nach meiner Hand griff, sei es um auf irgendwas zu zeigen, oder mich mit an den Strand zu ziehen. – –

    Der Zufall wollte es aber, dass einige Wochen später – gerade passierte ich auf dem Rückweg in den Süden unsere Heimatstadt – eine Autobahnsperre mich stadteinwärts umleitete, unter besagte Brücke hindurch. Tatsächlich sah ich selbst dort ein Mädchen, das seine Beine durch das Geländer baumeln ließ und mit seinen schwarzen Augen herunter in die Fahrbahn starrte. Als ich aber hundert Meter weiter rechts ranfuhr und die die Brücke aufsuchte, war sie verschwunden.

    Ich wurde nach diesem Vorfall recht nachdenklich und konnte mich selbst kaum dem Eindruck erwehren eines Duftes, warmer Schotter und Dieseldampf, der mir auf einmal vage bekannt vorkam, und mir noch wochenlang anhaftete wie eine hoffnungslose Geliebte.

    ***

  • Hallo zum Zweiten Theo-Drecht .

    Okay das nenne ich einen Zufall dass ich denselben Nickname habe:D Und ich dachte, ich wäre damit recht originell... naja...

    Nun zur Sache - ich schreite zur Tat...

    Schreiben kannst du, keine Frage. Ein sehr eloquenter, zuweilen philosophischer Stil. Anschaulich, ohne zu viele übertriebene Details zu geben. Die Erzählung fand ich generell sehr schön. Den Perspektivwechsel hab ich beim ersten Mal nicht gleich verstanden. Ich musste es mehrmals lesen (ich brauchte keine fünf Minuten), bis ich verstanden habe, was die Kursivmarkierung soll:dash:Dadurch war es für mich zuerst sehr verwirrend.

    Ich füge beispielhaft mal eine Stelle ein, die als Exempel für diese Verwirrung stehen soll:

    »Na mit denen müsstest du dich mittlerweile abgefunden haben. Aber?«

    Er seufzte. Ich fand sie nicht mehr.

    Das liest sich zuerst so, als hättest du die Anführungszeichen vergessen. Was natürlich nicht so ist. Aber es stört den Lesefluss.

    Auch dass Freund Nr. II seine Geschichte dann ja erzählt und dabei die Anführungszeichen weggelassen werden, hab ich nicht gleich kapiert und auch das hat mir später beim Lesen immer wieder aufgestoßen. Aaaber. Das ist gut. Man sollte über das Gelesene nachdenken und reflektieren.

    Stimmungen und Beschreibungen einzufangen gelingen dir sehr gut. Hin und wieder müsstest du aufpassen, dass du Sätze nicht zu sehr verschachtelst - besonders am Anfang nicht, das erschwert das Reinlesen (jedenfalls für mich). Generell ist es ja eine interessante Story, die man nicht zu sehr überfrachten muss, vorallem wenn es am Anfang um nebensächliche Beschreibungen geht. Dies ist nur ein subjektiver Eindruck von mir und geht anderen Lesern vielleicht anders.

    Fazit: Hat mir Freude gemacht zu lesen. Ästhetisch anspruchsvoll. :)

    LG

    noch eine Stadtnymphe

    Was ich schreibe: Eden

  • Hallo Theo-Drecht,

    habe deine Geschichte mit Vergnügen gelesen, besonders gefallen haben mir die Stellen

    Ich fuhr einmal durch den Park zu dieser Brücke. Die Lindenblätter drückten schwer auf die Lehmpfade, und die Bäume standen eng. Der gestreute Kies knirschte laut unter meinen Reifen, es war nämlich schon still im Park, so spät am Abend. Nur einzwei verträumte Pärchen oder ein Typ mit seinem weißen Handy gingen noch umher, aber die ließ ich bald hinter mir.

    e schon diese Stunde angebrochen, in der alles entweder einsumpft ins Blaue, ins Schwarze, oder glüht. Gesichter werden dann wichtig.

    Da steckt echte Poesie drin.

    er nur einen Abend

    sie seine Stadtnymphe

    er als wär sie noch da

    über der Fahrbahn

    Ich würde gerne jetzt schon erfahren, was "er nur einen Abend" bedeutet, es ist mir zu vage, ich finde keinen Anlegepunkt, an dem ich das Gedicht andocken kann. Einn Gedicht sollte unabhängig von späteren Erklärungen verständlich sein. Dann empfehle ich, wenn man alle Zeilen klein beginnt, auch die Nomen klein zu schreiben.

    Da stieß ich auf ein Gedicht, das aus den Anderen herausstach, welche ich eigentlich nur ihmzuliebe las, um ab und zu einen Laut der Anerkennung ins stille Abteil zu stoßen, da sie allesamt aus gewichtigen, langen Versen bestanden, welche teilweise etwas ins Verfängliche tendierten und deren Schwung auch unmodern und pathetisch war

    eine spezielle Bewandtnis hätte,

    ...Bew. habe, denn das Konditional ist an eine nachfolgende Bedingung geknüpft.

    LG, McFee

  • Hallo Theo-Drecht,

    dass dir meine Anm. gefallen ist ja sehr schön, aber ich hätte doch gerne konkrete Antworten, zB. zum Gedicht. Auch wüsste ich gerne, ob du an weiteren Verbesserungsvorschlägen interessiert bist - nicht weil ich der geborene Erbsenzähler bin, sondern um dir weiterzuhelfen.

    LG

  • Atmosphaerisch sehr schoen, ich denke grade die Einbettung in die Zugfahrt finde ich gelungen, die gibt der Sache noch so einen traumhaften Hauch.

    Stilistisch mag ich anmerken - es sind ja zwei Ebenen, der kursive Text wird vom Zug-Erzaehler offenbar nach der Begebenheit erzaehlt oder aus dem Gedaechtnis aufgeschrieben - der ist also 'editiert' und kann sehr gedrechselt und poetisch sein. Der normal gesetzte Text aber soll ja direkt gesprochener Text des Freundes sein der erzaehlt. Und ganz oft denke ich mir da - so redet doch keiner?!

    Wir haben zum Beispiel

    Die Lindenblätter drückten schwer auf die Lehmpfade und die Bäume standen eng.

    Ich bin mir nicht sicher ob 'Pfad' in der gesprochenen Sprache noch zu viel verwendet wird, aber ich bin mir ziemlich sicher dass mir mein Leben lang noch nie jemand was von drueckenden Blaettern erzaehlt hat...

    Als sich bald die durch die Stämme vorbeiglimmenden Leuchten der Autos und der heimeilenden letzten LKWs vom Militärring abzeichneten

    Das 'vorbeiglimmende Leuchten' ist auch so ein poetisches Bild das eher in die editierte Erinnerung als in den direkten Text passt

    Natürlich wähnte ich, sie auf dem Gepäckträger mitnehmen zu dürfen,

    Und 'waehnen' ist auch mehr letztes Jahrhundert - heute hat man eher den Plan sie mitzunehmen...

    Okay - ich dachte fuer einen Moment vielleicht ist der Freund so ein Typ der so redet, immerhin schreibt er ja Gedichte. Oder der Zug-Erzaehler strickt ihn sich so hin dass der Text eben auch in der Erinnerung editiert ist - er ist ja eigentlich auch vom Zug-Erzaehler erzaehlt.

    Aber - dann kommen wieder die Dinger wo Du eindeutig versuchst, den Text als direkt gesprochen zu kennzeichnen

    wenn noch ein LKW unter uns durchbretterte

    Gefällts dir?

    aber ich wollte mir natürlich das Mädchen sichern


    Das 'durchbrettern' oder das zusammengezogene Gefällts oder 'Maedchen sichern' sind jetzt recht eindeutig keine Elemente der Schriftsprache, sondern so spricht man halt.

    Insofern bleibe ich mit dem Gefuehl zurueck, dass Dir der Text manchmal von einer Stilebene in die andere gerutscht ist - wo er vielleicht getrennt besser gewesen waere. Selbst wenn der Freund des Zug-Erzaehlers ein poetischer Romantiker ist, kann er ja Bilder verwenden, aber trotzdem reden wie man... halt redet.

    Ja, das waeren meine 2 Cents zu dieser Geschichte. Wie gesagt, von der Stimmung her fand ich sie richtig schoen aufgebaut und entwickelt, und auch das offene Ende passt gut:)

  • Sou. Liebe Freunde Stadtnymphe , McFee und Thorsten – Tut mir Leid, dass ich Euch hingehalten habe mit meiner Antwort! Aber wie ihr oben nachlesen könnt, habe ich die Geschichte, auch auf Basis Eurer Anmerkungen, noch einmal grunderneuert, Satz für Satz, und das brauchte seine liebe Woche. Ich habs jetzt auch nicht noch einmal korrekturgelesen eben (Ich nehme an, ich begehe damit den selben Fehler wie beim ersten Mal)… Ich habe jetzt genug Zeit im Angesichts der Stadtnymphe – der fiktionalen ;) – verbracht.

    Dafür danke ich euch erst einmal für Eure Hinweise! Und jetzt ins Einzelne:

    Für dich Stadtnymphe:

    Spoiler anzeigen

    Was für ein Zufall, gell? Nur recht, dass du den ersten Kommentar schreibst – wie hätte das denn sonst ausgesehen… ;)

    Tja, das Gedicht ist genuin von irgendwann 2014/15 – – Ich fand es krass, hier eine "Stadtnymphe" zu finden. Kennst du das Gefühl, manchmal würden dir Personen aus deinem Unterbewusstsein in die Welt entspringen? Grund genug, den alten Gedanken noch einmal hervorzukramen. :)

    Du wirst finden, dass ich sowohl die unsäglichen Hypotaxen wie auch die Verwirrungen über den Sprecher etwas bereinigt habe – Ich hoffe nur, die Anführungszeichen machens jetzt verständlicher. Ich habe immer noch nicht herausgefunden, wie man hier Texte formatieren kann abgesehen von Zeilensprüngen :S Ich hätte gerne mal Tabs in die Dialoge eingefügt…

    Für dich, McFee:

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    Es ist sehr nett von dir, mir Poesie zuzusprechen! :) Tut mir Leid, wenn die Sätze, in denen du Fehler gefunden hast, nun ganz fortgeknüllt sind und sich in anderem Kleid wieder neu herausgewustet haben.

    Spannend finde ich, dass du am Gedicht arbeiten willst – viele haben einen hemmenden Schreck davor, weil sie es für unmittelbares Gefühl halten, was sie nicht antasten wollen – finde ich gut! Ich schäme mich ja jedes Mal, wenn ich das Wort "Gedicht" für "den Vierzeiler da" in den Mund nehme, aber gut.

    Es ist ein bisschen schwer für mich, da diese Verse Jugendverse sind und eigentlich damit schon zu sakral, um noch bemodelt zu werden.

    Zur Erklärung des ersten Verses: Du hast Recht, dass er so recht unverständlich ist. Hauptsächlich steht das "er" da wohl, um die folgenden Verse anaphorisch zu ergänzen. Wenn du es semantisch abspaltest, bekommst du "nur einen Abend / sie seine Stadtnymphe" und das "seine" braucht das "er". Er und Sie sind so enger verschränkt, da das "nur einen Abend" zu ihnen beiden gehört.

    Ansonsten bleibt im ersten Vers eben der Sinngehalt einer männlichen Person "nur" an einem Abend – das ist zwar keine Handlung, doch aber irgendwie eine Feststellung finde ich, mag sie auch ins Paradoxe tendieren.

    Zur Groß- und Kleinschreibung: Das ist nun wirklich Gefühlssache gewesen. Ich weiß auch nicht, wie es damals in meinem Notizbuch stand. Ich wollte Ihn und Sie nicht überfrachten, vor allem die Versanfänge nicht, auch rein optisch. Trotzdem gefällt es mir, wie "Abend", "Stadtnymphe" und "Fahrbahn" wie eine hecklastige Mauer übereinanderliegen und den eigentlichen Sinngehalt des Gedichts bilden. "Er und Sie" sind dann eher reine Tändeleien, Liebeständeleien, wie sie überall und irgendwo beteiligt sind, und die ich nicht unbedingt als wichtig hervorheben wollte. Entgegen der Erfahrung des Subjekts, des "Er", des "Freundes" in der Geschichte, für den die Beziehungsebene natürlich große Relevanz hat. Auf diese Art aber, unter Kleinhalten der Beziehungsebene, bekommt es die poetische Verklärung, die Distanz der Anschauung, die ich favorisiere.

    Da ich jetzt nun wirklich viel Zeit mit der Scherbe da verbracht habe, bin ich natürlich dankbar, wenn du dir die Zeit nimmst immer noch Fehler aufzufinden. Auch von Schreibweisen kann man immerhin in tiefe semantische Diskussionen rutschen, so wie hier bei dem Gedicht :D Ob du allerdings noch semantische Fehler findest? Stellen, die irgendwie belanglos, überfrachtet, sinnlos erscheinen?

    Und für dich, Thorsten:

    Spoiler anzeigen

    Das ist sehr richtig! Für mich hieß das jetzt, dass dort, wo es dir aufgestoßen ist, die Vermischung der Stilebenen zu extrem geworden ist. Ich hoffe, das habe ich in der Überarbeitung besser hingekriegt.

    Ich finds lustig, dass du das anmerkst und dann auch wertvoll, wo es für dich hapert.

    Denn tatsächlich habe ich beim Schreiben über diese Frage nachgedacht und beschlossen, dass ich die Ästhetik gar nicht schlecht finde, wo "konzeptionelle Mündlichkeit" mit poetischer Schriftsprache kontrastiert. Bzw. dass ich das vermischen wollte und irgendwie eine seltsam Semi-Fiktional-Faktuale Ästhetik aufkommen sollte, in der der poetische Eindruck tief ist und dennoch die faktuale Schärfe in der Rede des Freundes direkt an der Oberfläche brodelt. So, wie sich die Binnenfiktion über die Stadtnymphe ja auch mit der Rahmenerzählung vermischt, durch die (dezenten??) Gruselelemente. Die Stadtnymphe taucht in beiden Bereichen irgendwie auf. An ihr kommt auch Poesie und Stadt zusammen – Liebe zur Stadt – anders als bspw. die großen Weltzertrümmerungs-Ideen der Expressionisten (-Lyrik) Anfang des 20. Jhdts. Bei denen das Ich aus der Kurve fliegt, weil die Geschwindigkeit zu groß geworden ist.

    Für euch alle Drei hoffe ich, dass die überarbeitete Version euer tieferes Gefallen findet, als die erste Version, die ich jetzt rückblickend noch allzu skizzenhaft finde. Besonders, die ihr die poetischere Sprache erwähnt habt: Es kam jetzt raus – und ich bin mir bewusst – dass ich mit diesen lyrischen Sätzen immer auf dem schmalen Grat wandere, alles zu krass zu machen und die grundstehende Empfindung totzuschreien. Das habe ich versucht, ein wenig zu verbügeln… aber naja. Das ist meine eigentliche Sorge.

    Jetzt bin ich erstmal geschafft. Und Euch dankend! wünscht

    Theo

    Euch ein schönstes Wochenende :)

    PS: Heute Morgen wurde ich von Donner geweckt. Ich dachte real, eine Bombe schlüge ein. Und ihr?

  • Theo-Drecht 22. Juli 2020 um 12:30

    Hat das Label [Non Fantasy] hinzugefügt.
  • Wenn ich irgendwas zum zweiten Mal lese, kritisiere ich schärfer als beim ersten Mal. Soll mal so vorangestellt werden. ;)

    Ich liste dir jetzt alles auf, was mir immer noch aufgefallen ist.

    Wir saßen beisammen, draußen begann es zu nebeln, und ich blätterte durch ein Album, das er mit sich führte, um später einige Gedichte, die er etwas jünger noch darin notiert hatte, in eine eigens dafür angelegte Datenbank einzuspeisen, in der er sie ordnen wollte

    Immer noch verschachtelt, mein Lieber...

    Ab und zu, fand ich eine besonders eingängige Wendung oder stimmiges Bild, stieß ich ein anerkennendes Hmhm ins sonst stille Abteil, und da ich merkte, dass ihn das freute, auch wenn er dann beharrlich weiter seinen Bildschirm fixierte, setzte ich dies fort, indem ich mich durch seine gewichtigen ausufernden Verse wälzte, welche teilweise gar etwas ins Verfängliche tendierten und deren Schwung auch unmodern und pathetisch war.

    Hier ebenso... --- der Satz geht über fünf Zeilen! Fünf!

    die die so steil ist.

    Komma.

    Wie so ein romanischer Bogen steht sie über der Fahrbahn, trägt den Himmel oder die umstehenden Baumkronen – es ist ein romantischer Ort.

    Ich verzeihe die Wortwiederholung noch gerade so, weil es ja eine mündliche Erzählung ist. Aber eeeiiigentlich... Wortwiederholung.

    aufgehübscht wie sie war über der Fahrbahn,

    Komma (musste hier mehrmals nachlesen - weil ohne Komma nicht so richtig verständlich beim ersten... äh, zweiten... Lesen)

    Ich fragte mich unwillkürlich, wie viele Mädchengesichter in seinen roten Alben schliefen, unwissentliche, zu süßlicher Nostalgie betäubte Masken. – –

    Das frage ich mich auch.:D

    »Sie verbreitete eine solche Ruhe.« fuhr er unbeirrt fort.

    Punkt weg!!! ;(;(

    langhaarigen VW-Busses träumte

    Wie kann ein VW langhaarig sein?

    »Und dann gibts den, der immer noch nicht weiß, ob die Schule nicht schon die Welt war, die er verlor, ja ja.« schmunzelte ich.

    Punkt weg!!!!:S

    (Bist du sicher, dass du Germanistik studierst, Theo? :P)

    mussten aber weiterhin stark vernebelt sein; In der Scheibe sahen wir nur uns selbst,

    in

    Kannte ich ihren Namen? Wenn, dann hab ich ihn bis heute vergessen, meine Notizen geben nichts her.

    Würde er den Namen dieses Mädchens wirklich vergessen? Wenn er sich an alle anderen Details so deutlich erinnert? Wenn er ein Gedicht drüber schreibt und endlos lang über diese Begebenheit reden kann?

    Ich bezweifle es.

    Da lachte er. »Mit grauen Augen!« Er lachte

    Wortwiederholung


    Insgesamt schon viel besser! Also, das heißt nicht viel, denn vorher war es auch schon sehr gut. Aber jetzt kann man komplett verstehen, wer hier was erzählt. Sehr flüssig und schön zu lesen.

    Was ich schreibe: Eden

  • Du wirst finden, meine liebe Germanistik- Stadtnymphe , dass die Sätze aus textlinguistischer Sicht gar nicht mehr so verschachtelt sind :D Du wirst finden, dass vielmehr zwischendrin immer neue Hauptsätze beginnen, und ich glaube, dass diese vom Leser auch unbewusst so wahrgenommen werden. Verschachtelt heißt nach meinen Begriffen Nebensatzkonstrukte. Du hast natürlich darin Recht, dass man wohl annehmen darf, dass es für den Leser dennoch angenehm ist, hin und wieder einen Punkt zu lesen ;) Einfach weil der Gedanke dann beendet scheint.

    "romanisch" meine Liebe! Ein romanischer Bogen! :)

    Das frage ich mich auch. :D

    Lustig. ^^

    Eigentlich wollte ich diese Antwort ja nur nochmal schreiben, weil ich deine Meinung haben wollte zu dem Phänomen "Punkt am Ende der Wörtlichen Rede".

    Tatsächlich habe ich das… moment, nein, das kann ich so nicht stehen lassen, ich les es jetzt doch nach :D Okay, ich wär mir fast für eine Internetrecherche zu eitel gewesen, aber Wikipedia ging in Ordnung – und was das Reglement angeht, hast du – wie vermutet – natürlich Recht (ich hatte gehofft, das irgendwo auch begründet zu finden).

    Aber ich wollte ja deine Meinung einholen: Ich finde die Regel insofern undurchsichtig, da ich ja auch Ausrufezeichen und Fragezeichen als "spezialisierte Schlusszeichen" ans Ende einer Wörtlichen Rede stellen kann, ohne einen Bruch zu riskieren.

    Dass das bei Punkten ("Schlusszeichen") so sein soll, kann ich kaum nachvollziehen. Ich setze die Punkte tatsächlich ganz bewusst dort, weil ich der Wörtlichen Rede mehr Schluss und Gewicht geben will und nicht will, dass sie im Lesefluss direkt in die unruhige Inquit-Formel übergeht. Keine Punkte setze ich, wenn die Wörtliche Rede vor der Inquit-Formel Teil eines Dialogs ist, wenn die Szene ohnehin unruhig ist oder es einfach eine Nebenbemerkung ist.

    In dieser ruhigen Szene allerdings, wo die Worte wohlüberlegt und innig im gedämpften Abteil stehen… würde ich mich schwertun, dem Reglement nachzueifern.

    Was meinst du, Stadtnymphe? Vor dieser Folie?

    (Tatsächlich kannte ich die Regeln nie genau. Habe aber die Wörtliche Rede ganz bewusst immer als einen ‘Text im Text' behandelt, also unabhängigerweise.)

    Dank dir nochmal für die erneute Kritik: Die Geschichte fühlt sich sehr fertig an. Übrigens hab ich tatsächlich im ersten Satz was geändert daraufhin, ich sag dir nur nicht was ;)

  • Du wirst finden, meine liebe Germanistik- Stadtnymphe , dass die Sätze aus textlinguistischer Sicht gar nicht mehr so verschachtelt sind :D Du wirst finden, dass vielmehr zwischendrin immer neue Hauptsätze beginnen, und ich glaube, dass diese vom Leser auch unbewusst so wahrgenommen werden.

    Schön und gut, aber Textlinguistik bringt dir nix, wenn die - weniger germanistisch bewanderten Leser - dann abschalten, entnervt wegklicken oder, sollten sie es in Textform vor sich haben, das Papier zerknüllen...

    Ich find's immer noch zu verschachtelt, also ist es zu verschachtelt für die Nicht-Germanisten und weniger literaturphilen Menschen.

    romanisch" meine Liebe! Ein romanischer Bogen!

    Ja, aber das wissen wir ja jetzt. Warum es direkt nochmal schreiben?


    und was das Reglement angeht, hast du – wie vermutet – natürlich Recht

    Natürlich. Du wirst bald bemerken, dass ich immer Recht habe. ;) Ganz besonders, was Interpunktion angeht.

    Und ich hätte nicht geglaubt, einen angehenden Germanisten ausgerechnet drauf zu verweisen, aber irgendjemand Schlaues aus dem Forum hat sogar mal eine Richtlinie zu "Wo muss der Punkt in der wörtlichen Rede hin und wo darf er nicht hin?" gemacht. Es is' halt so, da macht man's auch so. Nix mit "Ich wollte verdeutlichen, dass da dann mehr Gewicht ist". Das Einzige, was du damit gewichtend betonst, ist, dass du keine Ahnung von Punkten in wörtlicher Rede hast! :D

    Edit: Ein paar Worte zum Thema Stil und Form

    unter #6

    Übrigens hab ich tatsächlich im ersten Satz was geändert daraufhin, ich sag dir nur nicht was ;)

    Na herzlichen Dank...;(;(:D

    Ich hoffe, du hast auch den fünfzeiligen Satz geändert, der hatte es nötig.

    Ansonsten sollte ich jetzt mal die Klappe halten, dieses Meckern auf hohem Niveau macht unfreundlich.^^

    Was ich schreibe: Eden

  • Hallo Theo-Drecht ,

    dein Austausch mit der Stadtnymphe hat mich neugierig gemacht auf deine "Weiße Scherbe" und ich hab sie mal gelesen.

    Feedback

    Zuerst: ich habe schon einmal einen Anlauf unternommen, aber nach dem dritten Absatz aufgegeben. Deine in meinen Augen das Lesen erschwerende Vorliebe, Sätze mit für mich als Leser unnötigen Informationen zu überfrachten und in schwindelerregende Verschachtelungen zu zwängen, hat mir - bei allem Interesse - den Enthusiasmus zum Weiterlesen genommen.

    Aber dazu hast du ja schon Feedback erhalten und verkündet, dass du überarbeitet hast. Ich war deshalb auf deine Überarbeitung gespannt und habe noch einmal von vorn begonnen.

    Ein paar kleine Fehlerchen oder (in meinen Augen) stilistische Mängel markere ich dir an. Wörter oder Formulierungen, die ich für unnötig oder gar störend halte, streiche ich durch. Selbstverständlich ist es deine Entscheidung, inwieweit du dies berücksichtigst.

    Wir saßen beisammen, draußen begann es zu nebeln, und ich blätterte durch ein Album, das er mit sich führte, um später einige Gedichte, die er etwas jünger noch darin notiert hatte, in eine eigens dafür angelegte Datenbank einzuspeisen, in der er sie ordnen wollte.

    Die lila Textstelle verstehe ich nicht. Meinst du, dass er jünger war, als er sie notiert hat? Oder als er sie verfasst hat? Oder dass er sie in jüngerer Zeit notiert hat?

    Um ihn und den Bildschirm, der gegen das draußen verlöschende Licht langsam zu scheinen begann, lagen noch mehrere weitere dieser roten Büchlein mit Pappeinband auf den Polstern verstreut.

    Von den beiden lila Wörtern würde ich nur eines auswählen, sie sagen mMn sinnbildlich das gleiche aus.

    Ab und zu, fand ich eine besonders eingängige Wendung oder stimmiges Bild, stieß ich ein anerkennendes Hmhm ins sonst stille Abteil, kein Komma und da ich merkte, dass ihn das freute, auch wenn er dann beharrlich weiter seinen Bildschirm fixierte, setzte ich dies fort, indem ich mich durch seine gewichtigen Komma ausufernden Verse wälzte, welche teilweise gar etwas ins Verfängliche tendierten und deren Schwung auch unmodern und pathetisch war.

    "oder ein stimmiges Bild" (den Artikel "eine" von "Wendung" kannst du für "Bild" nicht noch einmal verwenden, er passt nicht)

    Da stieß ich, kein Komma zwischen solchen penibel mit spitzem Bleistift vollgezirkelten Blättern, kein Komma auf eine Seite, die fast leer war, abgesehen von vier unwesentlich krakeliger gezogenen Versen in ihrer Mitte.

    Wie wäre "unwesentlich krakeliger geschriebenen Versen"?

    Da stieß ich, zwischen solchen penibel mit spitzem Bleistift vollgezirkelten Blättern, auf eine Seite, die fast leer war, abgesehen von vier unwesentlich krakeliger gezogenen Versen in ihrer Mitte. Als ich es fand,

    Hier ist mir aufgefallen, dass ich nicht erkenne, was du mit "es" meinst. Die Seite? Die Blätter? Die Verse?

    Als ich es fand, blickten wir beide zur gleichen Zeit auf, kein Komma und da ich in seinem Gesicht angesichts der weißen Seite auf meinem Schoß gleich ein etwas freudig gequältes Schmunzeln entdeckte, las ich es laut, um ihm die Geschichte dahinter zu entlocken.

    Und mit einem Blick zum Fenster, an das nun ganz der Nebel sich kleidete, und in dem wir meinten, im aufflauenden Dunkel trotzdem noch die zwei grauen Lichtpunkte eines fernen Gehöftes ausmachen zu können, fing er an zu erzählen:

    Also ... hier fehlen mir die Worte, um dir zu beschreiben, was ich denke. Ein Fenster, an das sich Nebel kleidet? Ein Dunkel, dass aufflaut? Zwei Lichtpunkte, an denen man ein fernes Gehöft erkennt?

    Poesie ist schön, aber ich finde das schlichtweg zu viel des Guten. Ich verstehe, dass du gern Eindrücke und Beschreibungen einflechten möchtest, aber für mich funktioniert das so nicht. Es tut mir leid.

    Du, im Stadtwald, wenn du weit in den Beethovenpark hineinfährst und irgendwann glaubst, es käme nichts mehr als Bäume, kein Komma und du hättest es endlich geschafft, ohne Straßen zu sein:

    du weißt schon, wo es richtung Autobahn geht,

    "... wo es in Richtung Autobahn geht"

    aber so lange es nicht gerade Nacht ist, kein Komma und die Lichtfinger der Autos und der letzten heimeilenden LKWs

    ist es eben das erste Erste, auf das du stößt.

    Ich weiß nicht, wie sie heißt, die Komma die so steil ist.

    Man muss dort immer in den ersten Gang schalten, vorausgesetzt Komma man hat davon einundzwanzig oder so,

    »HmmLeerzeichen… An dem Abend, als ich zu dieser Brücke fuhr, war es irgendwieLeerzeichen… golden.

    So tiefgolden, sepiagolden wie eine Reihe enger Ahorne um die knirschenden Lehmwege, die sich an meine Reifen hängten mit all ihren klebrigen Lindennäschen. Deren Blätter auch schwer von oben auf den verkühlenden Sommerabend unter ihrem Dach drückten.

    Dasselbe wie bei dem Satz mit der aufflauenden Dunkelheit und den nebelbekleideten Fenstern: Es wäre schon als Erzähltext zu viel für mich, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass jemand so spricht. Das ist in meinen Augen abgehoben und surreal. Tut mir leid.

    Vielleicht auch schon das ein eine oder andere weiße Komma lockende Lächeln

    Was muss ich mir unter einem weißen Lächeln vorstellen?

    zwischen den KlassenzimmernLeerzeichen

    Du weißt es selbst, wir waren jung, Freund. Und es gab vieles, was uns nicht verheißungsvoll erschien.

    Der zweite Satz hat mMn keinen Zusammenhang. Zumindest kann ich keinen finden. Er wirkt für mich völlig random.

    An der Stelle breche ich ab. Ich könnte die Liste noch fortsetzen, aber ich habe an der Stelle aufgehört, die Fehler als Zitat zu speichern, und nur noch gelesen. Eigentlich mehr überflogen, denn zum richtigen Lesen hat es nicht gereicht. Sorry. Deine Schreibweise finde ich sehr anstrengend zu lesen. Wenn du diesbezüglich nähere Erklärungen möchtest, schreib mir eine PN. Wir müssen das nicht hier im Thread erörtern.

    Du wirst finden, meine liebe Germanistik- Stadtnymphe , dass die Sätze aus textlinguistischer Sicht gar nicht mehr so verschachtelt sind :D Du wirst finden, dass vielmehr zwischendrin immer neue Hauptsätze beginnen, und ich glaube, dass diese vom Leser auch unbewusst so wahrgenommen werden. Verschachtelt heißt nach meinen Begriffen Nebensatzkonstrukte.

    Auf diese Äußerung möchte ich dir auch noch eine Antwort geben:

    Ich habe mit Germanistik nichts am Hut und nur zehn Jahre Deutschunterricht absolviert. Von Textlinguistik verstehe ich nichts und weiß nicht mal, was das Wort bedeutet. Aber dass deine Sätze nach deiner Überarbeitung nicht mehr verschachtelt sind, kann ich dir nicht bestätigen. Beispiel?

    Wir saßen beisammen, draußen begann es zu nebeln, und ich blätterte durch ein Album, das er mit sich führte, um später einige Gedichte, die er etwas jünger noch darin notiert hatte, in eine eigens dafür angelegte Datenbank einzuspeisen, in der er sie ordnen wollte.

    Dieser Satz enthält sieben Kommas. SIEBEN Kommas. Von daher muss ich der Stadtnymphe zustimmen, wenn sie sagt:

    Schön und gut, aber Textlinguistik bringt dir nix, wenn die - weniger germanistisch bewanderten Leser - dann abschalten, entnervt wegklicken oder, sollten sie es in Textform vor sich haben, das Papier zerknüllen...

    Ich bin einer dieser weniger germanistisch bewanderten Leser. :)

    Und meiner Meinung nach beinhaltet dein Satz auch Informationen, die ich an der Stelle überhaupt nicht brauche. Wenn sie denn wichtig sind, würde ich sie lieber in einem eigenen Satz lesen. Ich markiere sie dir mal lila.

    Wir saßen beisammen, draußen begann es zu nebeln, und ich blätterte durch ein Album, das er mit sich führte, um später einige Gedichte, die er etwas jünger noch darin notiert hatte, in eine eigens dafür angelegte Datenbank einzuspeisen, in der er sie ordnen wollte.

    Um zu verdeutlichen, was ich meine, schreibe ich den Satz mal so, wie ich ihn formuliert hätte:

    "Wir saßen beisammen und ich blätterte durch eines seiner Alben, in dem er seine Gedichte aus früheren Zeiten notiert hatte. Er hatte es mitgenommen, um später einige von ihnen in eine (eigens dafür angelegte) Datenbank einzuordnen."

    Das ist nur eine mögliche Variante, alle deine Aussagen ohne diese Anhäufung von Kommas zu formulieren.

    Abschließend vielleicht noch: Ich kann mich mit deiner Art zu schreiben leider nicht anfreunden. Sie nimmt mich nicht gefangen und ich habe nur weitergelesen, weil ich wissen wollte, wie die Geschichte ausging. Aber es war mühselig. Deine in meinen Augen ausschweifenden und mit Adjektiven überfrachteten Sätze schießen mMn manchmal über das Ziel hinaus. Ich habe mehrere von ihnen zwei oder drei Mal lesen müssen, um ihren Sinn zu erfassen, zumal du auch eine recht eigenwillige Interpunktion verwendest. Eigentlich sehr schade, denn die Idee der Geschichte hat mir sehr gut gefallen.
    Ich hoffe, ich bin dir mit meinen Worten nicht zu nahe getreten. Falls doch, möchte ich mich entschuldigen. Das war keineswegs meine Absicht. Ich wollte dir nur mitteilen, was mich beim Lesen deiner "Stadtnymphe" so bewegt hat. Ob es dir hilft und ob du es verwendest, entscheidest allein du.

    VG Tariq

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

    ___________________

  • Hey, liebe Tariq !

    Ich wollte das jetzt nicht ganz unbeachtet stehen lassen! Du hast dir viel Mühe gemacht und ich danke dir dafür! Die Masse an Zitaten beweist, dass du es ehrlich meinst :)

    Ich hatte nun Klausurenphase und da du mir außerdem doch ein wenig zu nahe getreten schienst, hab ich mich erstmal noch nicht getraut zu antworten. :saint:

    Was das angeht brauchst du dir keine Sorgen zu machen; ich kenne es aus einer Tätigkeit im Sozialen, dass eine ehrliche Meinung manchmal benötigt wird, um den Betreffenden aus neurotischen Gedankenbahnen zu holen. Auch wenn das erst einmal ein Auskreiseln in die Schwärze ist. Viele suchen sich immer wieder aufs Neue Bestätigung auf das Unvereinbare.

    Was ich auch noch anmerken hatte wollen: Es schien mir, dass du hattest Stadtnymphe in Schutz nehmen wollen, und mich ein wenig zu arrogant gelesen hattest, als es gut und recht gewesen wäre. Tatsächlich kenne ich Stadtnymphe ein wenig (und umgekehrt) und die Spitzen waren alle auf Freundschaftlicher Basis. Trotzdem ritterlich von dir, da einmal beizuspringen :)

    Zwischenzeitlich erschien mir deine Kritik dann doch in die unhöflichere Schiene zu tendieren und mit einigen Zeichensetzungs- oder Grammtikfehlern, die du mir ankreidest, bin ich immer noch nicht ganz einverstanden.

    Auf der anderen Seite, war dein umformulierter Satz gegen Ende dann doch eine wirksamere Erfahrung ;)

    Außerdem finden sich in dem Fundus jetzt auch viele Zeichen, die tatsächlich Uneindeutigkeit zeitigen könnten. Wenn du mir eine "eigenwillige" Interpunktion diagnostizierst, finde ich daran erst einmal nichts verwerfliches; umso hilfreicher ist es allerdings, sie an Aufzeigen von Alternativen reflektieren zu können. Und tatsächlich ein nicht nur individuelles System zu entwickeln, sondern eines, was darüber hinaus auch funktioniert, stetig und fundiert ist.

    Beim Schreiben einer neuen Geschichte – so kam ich gedanklich wieder hierhin zurück – fällt mir denn doch auf, dass ich mir deine lange Kritik zu Herzen genommen habe und bei meinen Sätzen über die Schachtelungen, Zeichen und Bezüge reflektiere.

    Auch wenn sich die Stadtymphe (die ja nun auch nicht lang ist) schon länger abgeheftet fühlt, sind deine Worte also mit Wirkung behaftet geblieben.

    Ich hoffe, das reicht dir. Ich war überhaupt sehr übertölpelt davon, dass du so tief eingestiegen bist in die Sprachgestalt! Dort mein Monopol aufzugeben und an Kritiken wie der deinen zu hinterfragen (die einem im ersten Moment als "nörglerisch" aufstoßen) und wirklich zu hinterfragen, hat etwas sehr sympathisches; einen zunehmend sympathischeren Blick, mit dem ich deinen Beitrag betrachte ;)

    Der hat sich amüsanterweise erst jetzt beim Antworten entwickelt. Was ja durchaus kein schlechtes Zeichen ist.

    Ich grüße also, um einiges netter und dankbarer als gedacht! :D

    Theo!

  • Hallo Theo

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

    ___________________

  • Wg. 23, Pl. 61/62

    Reisen und einander nahekommen

    [Lesedauer: ca. 10 min.]

    ***

    Spoiler anzeigen

    Ich musste mit dem Zug nach Heidelberg. Dort tagte ab diesen Montag ein Literaturzirkel, dem auch ich mich vor nicht allzu langer Zeit angeschlossen hatte; hauptsächlich aus Karrieregründen natürlich. Im Gepäck trug ich meine neueste Kurzgeschichte, die ich auf der Tagung entwickeln wollte. Während draußen die Landschaft vorbeizog, würde ich ihr nun den letzten Schliff verpassen, so dachte ich, als ich die langen halbbefüllten Sitzreihen des ICEs abschritt.

    Die Fahrt war beileibe nicht ausgebucht. Willkürlich wählte ich einen Doppelsitz, dessen Ausblick mir passabel schien, warf meine Reisetasche in den Fußraum und pflanzte mich an Fenster, leger das eine Bein ausgestreckt, das andere angewinkelt, wie ein zu langer Jugendlicher. In der gleichen Bewegung noch zog ich den Laptop aus meiner Lederaktentasche, die ich unter dem Ärmel getragen hatte, und klappte ihn auf meinem Schoß auf. Mein Text war noch offen und wartete auf mich.

    Beim Lesen musste ich wieder einmal grinsen über mich selbst. Wahrlich kein schlechter Stoff, das! Da würden die Prollos aus dem Zirkel Augen machen. Wenn ihre Flaschenbodenbrillen das überhaupt zuließen, hieß das. Fast wollte ich gar nichts mehr ändern. Leider hatte ich einigen meiner Korrespondenzen den unfertigen Text bereits zur Durchsicht zugeschickt. Und die lichterten eben genauso auf der Tagung herum; und gemäkelt hatten sie. Sie mäkelten immer. Ihnen den gleichen Text noch einmal vorzusetzen war denn aber doch zu unverzeihlich, als dass ich es mir zugetraut hätte.

    Wie ich also gleichgültig zwischen den Semikolons ›Diesse‹ mit ›Dassen‹ verquickte, den Blick alldieweil ins ewige Buschland der Bahndämme haftend, war mir mein Reihennachbar zuerst gar nicht aufgefallen. Ich nehme an, er wäre mir auch fortwährend nicht aufgefallen, hätte ich mich nicht mehr und mehr beobachtet gefühlt. Aber der junge Mann, der auf der anderen Seite den Gangsitz belegte, hatte seinen Blick schlecht unter Kontrolle. Immer wieder blitzte es in meinen Augenwinkeln auf wie Signalleuchten. Sobald ich ihn aber meinerseits zu ertappen drohte, huschten seine Augen fort und sein Kinn machte gar Anstalten, einen Fingerbreit von mir und dem Gang, auf dem sich gerade ohnehin niemand regte, abzurücken. Was ich aber wie wandernd auf dem Handrücken spürte, in den Momenten, in denen ich vorgab, mich auf meinen Text zu fokussieren, war leuchtendes Interesse. Und das ließ ich mir natürlich nicht zweimal bedeuten.

    Bald gab ich nur noch vor, irgendwas zu ändern, löschte es aber meist wieder mit dem selben Fingerschlag. Dieses Spiel ließ ich einzwei Minuten geschehen. Dann blickte ich selbst herüber.

    Mein junger Mann trug ein seltsam erdfarbig gesprenkeltes Hemd, das war wohl das erste, was mir auffiel. Einen Lockenschopf hatte er und hohe Wangen. Niedlich fast. Fast wie ein Mädchen. Ich sah gleich, dass er mein unverhohlenes Bemessen sehr wohl wahrnahm. Bevor die Peinlichkeit zu groß wurde, mit der er den grauen Drehriegel am Klapptisch studierte, wandte er sich endlich zu mir um. Unsere Augen trafen sich: Wasserblaue Augen, ein Jungengesicht. Das Zurückzucken gleich wieder einprogrammiert.

    Ich beschloss, ihn nicht zu lassen. »Sie interessieren sich für meine Arbeit?« sprach ich ihn an, gerade als er sich schon wieder, leicht enttäuscht, wie es so ist, wenn man glaubt, ein Kennenlernen müsse unmöglich bleiben, davonverirrte. » – Du.« korrigierte ich mit verlegenem Lächeln nach unten, als ich vollends seine schmale Statur gewahrte, die er mir nun halb zuwandte.

    »Oh, nein…« Sein Blick striff meinen Laptop, wohl um sich mit irgendeinem Kommentar darüber retten zu können, was er für meine Arbeit hielt. »Oder… doch, verzeihen Sie, ja.« Er schmunzelte verbissen. »Was…«

    »Nicht schlimm« winkte ich ab.

    »Ja…« Etwas verdattert schien er immer noch nicht zu wissen, was er sagen sollte. Die einzige Pick-up-line mit der Arbeit hatte ich ja just abgewunken. »Sie erinnern mich nur an Jemanden.« gab er endlich zu.

    Aha. Daher wehte also der Wind. Der Junge hatte mich einfach nur ausgucken wollen. Halb fühlte ich mich geschmeichelt, halb enttäuscht, dass er so gar nicht hatte wissen wollen, was ich da schreibe.

    »Aha, und an wen, wenn man mal so fragen darf?«

    Er lächelte unsicher. »Das ist etwas kompliziert… fürchte ich.«

    Ich schaute auf die Uhr. 16:45; in zwanzig Minuten Umstieg in Karlsruhe. »Ich habe Zeit« behauptete ich.

    Er seufzte. Sein Blick fiel für einige Momente hinter mich in die Landschaft. »Ich habe ja zuerst geguckt.« lächelte er endlich. »Warum sollte ich also nicht erklären können weswegen.«

    »Vielleicht fandst du mich einfach nur hübsch.« witzelte ich und strich mir affektiert meine blonden Haare zurück.

    Na also, ging doch. Der Junge gackerte sein helles Jungenlachen.

    »Sollte ich das etwa auch verneinen?« lachte er. Niedlich, meldete sich noch einmal die Stimme in meinem Kopf. »Es geht tatsächlich nicht um Sie, so leid es mir tut!« Er drehte seine Knie in den Gang hinaus und stützte sich darauf. »Der an den Sie mich erinnern… das bin nämlich ich selbst.«

    »Dich selbst?« Ich bemaß noch einmal überdeutlich seine kleine Gestalt. »Na das musst du mir jetzt erklären!« Ich klappte meinen Laptop zu, ließ ihn an die Fensterwand rutschen und überschlug die Beine in den Gang hinaus, um zuzuhören.

    »Dieser Platz ist etwas Besonderes.« begann er. »Sehen Sie? Wagen 23, Platz 61/62.« Etwas verwirrt folgte ich seinem Finger, der tatsächlich einmal auf den Deckenmonitor und einmal auf die Digitalanzeige in der Gepäckleise wies, wo sonst die Reservierungen eingeblendet wurden. Heute stand dort nur ggf. freigegeben in gelber Leuchtschrift. »Um zu verstehen warum, werden Sie es zuerst als simplen Fakt hinnehmen müssen, wenn ich sage, dass sie perfekt war. Das vorauszusetzen, sonst brauche ich gar nicht anfangen, zu erzählen.«

    »Sie perfekt? Das versteh ich nun nicht…«

    Seine Handgeste unterbrach mich. »Und dieser Platz etwas besonderes ist, weil sie hier saß.«

    »Ah – ein Mädchen.« Ich grinste. Perfekt nannte der Junge sie. Was für ein Schaumschläger. »Und du hast sie hier kennengelernt.«

    »Richtig. Wobei… wenn Sie es wirklich hören wollen…«

    »Natürlich.«

    Sein Blick flackerte noch einmal unsicher herauf, dann vertiefte er sich, mit nachdenklich gesenktem Kinn in meiner Armlehne.

    »Ich habe das noch kaum jemandem erzählt. Auch wenn es sich natürlich anbieten würde, auf den vielen Fahrten, die ich seither unternehme. Und Sie sind sicher nicht der erste, der meine Reihe teilt… Sie werden also entschuldigen, wenn es mich immer noch etwas aufwühlt. Dabei geht es eigentlich gar nicht um viel. Viel ist ja auch nicht passiert, nichts zumindest, was lohnende Erwähnung finden könnte im Bahnmagazin, oder was weiß ich, oder dass es für literarische Verarbeitung Stoff böte. …«

    *

    »Ich musste mit dem Zug nach Stuttgart. An einem Freitag wie diesem. Dort besuchte ich einen Jugendfreund, der mich nach langem – wir hatten uns etwas auseinandergelebt mit meinem Studienbeginn – einmal zu sich einlud. Selbst eine Freundin hatte er sich mittlerweile organisiert, der alte Pessimist. Ich freute mich auch sehr darauf, das junge Paar kennenzulernen.

    Gerade gestern hatte ich lang mit ihm telefoniert. Über Abende, die er mit ihr durchsessen hatte und wie er in seinem frischbegonnenen Studium einen ungeheuren Aufschwung erfuhr, wie endlich seine Weltsicht sich an diesem frischen Glück erschöpfte und ganz neue Räume erschloss; so behauptete er. Ich schrieb darüber Tagebuch; über die Dinge, die ich nicht hatte, die mir aber meiner Meinung nach zustanden, führte ich genauestens Buch. Das war meine Art Abrechnung mit der Realität. Draußen war es noch diesig; der Morgen hielt sich lang.

    Mir war sie dabei zuerst gar nicht aufgefallen; zumindest nicht beim Einstieg. Wissen Sie, ich halte für gewöhnlich bereits am Bahnsteig nach Mädchen ausschau; nur um zu gucken, versteht sich. Also wenn Sie nicht verstehen – Ich bin ein Junge, und das, finde ich, sollte als Grund genügen. Entweder war sie also tatsächlich erst zugestiegen, als ich bereits dort saß, oder die ganze Zeit bereits dagewesen, wie unsichtbar. Sie war nun auch wirklich eine Maus, ein Mauerblümchen. Es fiel ihr wohl nicht schwer, nicht aufzufallen; zumindest solchen Männern nicht, die gemeinhin wie gierig die Gänge sondieren, um sich vielleicht die lange Fahrt mit diesem und jenem Flirt zu erleichtern. Die würden sie wahrscheinlich auf den ersten Blick aussortieren. Von Weitem vielleicht gar für einen Jungen halten, wenn es für ein Kind herhält. Kurze, zur Seite geharkte braune Strähnen, über ihre niedrige Stirn; ein dichtes, spitzes Gesicht. Sie trug einen labberigen rotweißgestreiften Pullover, der bis aufs Sitzpolster hinabreichte. Sie hätte ihre Knie hineinstecken können, und ich bin mir sicher, dass sie das angelegentlich Nachtfahrten auch tat. Dahingehend ist es fast schade, dass ich sie nicht später einmal getroffen habe, auf einer langen Fahrt von Leipzig oder Hamburg. Es zieht mich immer wieder in den Norden, wissen Sie? Das Mädchen aber, vorausgesetzt, sie saß bereits im Zug, als ich einstieg, wird wohl aus Basel gekommen sein oder von noch tiefer in der Schweiz. Wer weiß, vielleicht hatte sie einen schrecklich radebrecherischen Akzent oder sprach gar kein Deutsch? Sie wäre durchaus als Norditalienerin durchgegangen.

    Das alles konnte ich beim ersten Blick hinüber natürlich gar nicht auf einmal denken. Der erste Blick ging nur zufällig über die Seite meines Blocks hinaus in das gegenüberliegende Fenster und stolperte über die gestreifte kleine Gestalt, die dort saß. Wer mag jetzt noch sagen, ob es Zufall war – oder ob sie nicht doch zuerst geschaut hatte. Heutzutage hat es ja fast Seltenheitswert, wenn jemand hellichten Tags ein Notizbuch beschreibt. Da hat wohl jeder schon einmal das Bedürfnis erlebt, zu fragen, was der Fremde dort schreibt. Und dann wiederum scheint der bloße Akt so heilig, so privat, dass man doch nicht hineinzubuttern wagt. Wie auch immer – ich hätte mich sicherlich gefreut, hätte sie gefragt.

    Aber so begann ein denkwürdiges Haschmich. Einjeder sah den Blick des Anderen in den Augenwinkeln wie ein tanzendes Glühwürmchen; überhastet den anderen abtastend, herrufend und dann im richtigen Moment verlöschend. Sie gefiel mir unmittelbar. Ihre Blicke machten mich stolz. Zu stolz, wie sich später herausstellen sollte. – –

    Wir wurden mutiger. Ich blickte länger einmal; wir beharrten auf unsere Position im Augenwinkel wie ein Rugby-Spieler beim Blocken. Irgendwann, das bleibt nicht aus, und wir wünschten es wohl – fanden sich endlich unsere Blicke. Ein kleiner Moment, bevor sie wieder zurückhuschten: blau, klarblau, sehnsuchtsblau, das waren ihre Augen. Rehartig, natürlich. So wie Sie sich vielleicht einen Pool in Italien vorstellen; mit allem Fernweh, was Sie dabei packen mag. In der Zwischenmenschlichkeit ist doch jedes Fernweh ein Heimweh. Eigentlich gibt es nur Weh, verstehen Sie?« Er lachte.

    »Wir waren eben verschämt. Sie eine Maus und ich… vielleicht… ein Kater-Baby? Wir wollten zuschnappen und flüchten, ohne den Ernst anzuerkennen, den so eine Zugreise nunmal mit sich bringt. Man sieht sich nie wieder, wissen Sie? Das alte Sprichwort: ›Man sieht sich immer zweimal im Leben‹ gilt hier nicht. Das gilt für eine Person und einen Ort. Zwei-mal, verstehen Sie? Nur im Zug hat es keinen Ort, es ist zwischen Orten. Und da sieht man sich eben nicht mehr. Wo denn auch Wir aber…«

    Meine Damen und Herren; der nächste Halt ist in wenigen Minuten Karlsruhe Hauptbahnhof. In Karlsruhe werden alle vorgesehenen Anschlusszüge erreicht; wir wünschen Ihnen noch eine angenehme Reise mit der Deutschen Bahn; Vielen Dank und auf Wiedersehen. Dear ladies and gentlemen…

    Wir hatten beide aufgehorcht. Ich war mir auch nicht recht sicher, ob ich zuletzt hatte folgen können.

    »Scheiße« seufzte er jetzt. »Sagen Sie, habe ich meine Runde schon gemacht, seit Sie zugestiegen sind?« In seinen Blick war während der Ansage auf einmal etwas Gehetztes geraten, was nach meinem Empfinden dort nicht hineingehörte.

    »Deine… aber welche Runde denn?« Eigentlich hatte ich gehofft, jetzt einige Nachfragen unterzubringen, er aber begann tierisch zu fluchen. Dabei knüllte er seine wenigen Habseligkeiten – ich glaube es waren Kopfhörer und ein seltsam unpassender kleiner Teddy-Schlüsselanhänger – hastig in seinen Rucksack. Dann wuchtete er ihn über die Schulter und drängte sich aus unserer Reihe vor mich in den Gang. Ich blieb perplex sitzen.

    »Dann nichts für Ungut, wissen Sie, Herr… äh –« rief er, sich entschuldigend zu mir umwendend, während er mit langen watschelnden Schritten bereits den Waggon durchmaß »…und danke, dass Sie mir zugehört haben!«

    Nur noch gedämpft durch die automatischen Glastür, die ihn in den Gang mit den Abteilen hinausschob, tönte schließlich ein »Gute Reise!« zu mir und den anderen Fahrgästen, die sich jetzt herdenartig im Gang aufzuschichten begannen, zurück. Eine Rentnerin in beuligem roten Rollkragen und einem wuchtigen Samsonite trat mir, der ich seinem Rücken verdattert nachblickte, derart herausfordernd ins Gesichtsfeld, dass ich schnell meinen Blick abwandte und stattdessen in die sich verdichtenden schwarzen Gleislinien vor dem Karlsruher Hauptbahnhof stierte. Für einige Momente vergaß ich ganz und gar, dass ich ja eigentlich hatte aussteigen wollen. Ich zog den Bildschirm meines Laptops eine Handbreit auf, um mich im aufleuchtenden Bildschirm zu vergewissern, dass mein Text von vorhin immer noch da war. Erst als der Gang sich wieder im Entenmarsch zu leeren begann, schob ich ebenso hastig wie der Junge, nur ein wenig würdevoller vielleicht, meinen Laptop zurück in die Aktentasche, stand auf, trat aus der Reihe und wuchtete meine Reisetasche von der Gepäckablage. Neben uns wölbten sich die Bahnsteige Karlsruhes aus dem Schotter wie graue Brandung.

    *

    Etwas unschlüssig auf dem Bahnsteig angelandet, ertappte ich mich dabei, unwillkürlich auf den Ausstieg eines rotweißgestreiften Pullovers gespinxt zu haben. Seltsam eigentlich, wie mich die Geschichte des Jungen berührt hatte, gottweißwarum. Vielleicht hatte das auch sein wehmütiger Blick gemacht. Vielleicht war er auch einfach kurzsichtig und guckte immer so verkniffen.

    So sann ich weiter über meine unverhoffte Begegnung nach, während ich leichten Schritts die Treppenstufen der rauen und dunklen Unterführung nahm, und wieder hinauf auf das Gleis nach Heidelberg, im grauen Licht. Der ICE, der zur Abfahrt bereitstand, hatte noch über zehn Minuten Soll. Er empfing mich mit leise puffenden Türen.

    Rückblickend muss ich es wohl einen glücklichen Zufall nennen, dass ich unmittelbar einstieg und mich nicht noch an der Sandwichbar aufhielt oder einen Spaziergang ans Gleisende unternahm, wie es sonst meine Art war, weil ich den Anblick der ein- und ausfahrenden Züge schätzte. Das hat etwas ungemein beruhigendes, all diesen Ankünften und Abfahrten nachzuschauen, tausenden davon, die sich in den massigen Containerschlangen zusammenfinden. Wie sie sich einreihen in die zierlichen Stützpfeiler des Bahnhofs hinter all den Signalleuchten und spindeldürren Masten. Und die Reisenden, die vor allem, die unter dem Metallüberwuchs zwischen Reisezentrum und Gleisen und Läden herumhasten, als könnte ich mit ihnen mitfahren, wenn ich sie nur anspräche.

    Wer weiß, hätte ich an dem Tag mehr geträumt, vielleicht wäre der Junge dann genauso verschwunden wie damals sein rotweißgestreiftes Mädchen. So aber, als ich durch das gegenüberliegende Fenster des ICEs ihn immer noch auf seinem mittlerweile entleerten Gleis entdeckte, etwas verloren und mit hängenden Schultern, den Rucksack an seine Wade gelehnt, eilte ich freudig überrascht zurück.

    Als er mich bemerkte lächelte er nicht, aber seine Augen wurden größer, als ich, für meinen Teil breit grinsend, auf ihn zutrat. Er selbst blieb stehen wie angewurzelt.

    »Hättst ja mal sagen können, dass du in Karlsruhe aussteigst!« grüßte ich ihn.

    Er murmelte eine Entschuldigung mit gesenktem Blick. Ich war ganz schön froh, den Bengel noch mal zu fassen zu kriegen. Auch wenn seine Wiedersehensfreude sich in Grenzen zu halten schien. Oder war er einfach nur schüchtern? »Na aber das ist doch ein toller Zufall. Jetzt kannst du mir doch noch deine Geschichte zuendeerzählen!«

    »Die Geschichte war zu Ende. Sie endet in Karlsruhe.« versetzte er.

    »Oh – Ich verstehe.« sagte ich und runzelte die Stirn. »Du hast sie nicht angesprochen, nicht wahr?«

    »Ich habe sie nicht angesprochen.« wiederholte er und schaute endlich zu mir auf, aber mit verhärmter Miene.

    Es war uns beiden klar, dass wir uns an diesen Punkt des Gesprächs die Hand geben könnten, ja, wie er so die speckigen Fliesen des Bahnsteigs betrachtete, fast schon geben sollten, uns vielleicht noch einmal zuwinken und dann jeder mit unserem Reisegepäck in einem anderen Bahnsteig, einer anderen Stadt, einem anderen Leben verschwinden. Er gab sich kühl genug. Vielleicht wartete er nur darauf… Aber irgendetwas in mir sträubte sich dagegen.

    »Hörmal, Junge; Warum kommst du nicht einfach mit nach Heidelberg?« improvisierte ich.

    »Was?«

    »Und wir schauen auf dem Weg, ob wir nicht doch noch nen schönen Schluss für dich finden. Offene Geschichten machen mich unruhig – ist so ne Berufskrankheit.« Ich zwinkerte.

    Er schaute weiterhin verdattert drein, wie mit einem stummen Kopfschütteln. »Aber… ich fahre nie weiter als nach Karlsruhe!« widersprach er müde. »Und sie auch nicht.« Abe das ergänzte er so leise, dass ich unsicher war, ob es für mich bestimmt gewesen war.

    Eigentlich bestärkte mich das nur in meinem überstürzten Vorhaben. Ich setzte bewusst meine besorgte Krankenschwester-Miene auf. Der Junge musste an die frische Luft. Seinen Nachsatz ignorierte ich geflissentlich.

    »Und? – – Nach Hause kannst du morgen immer noch. Komm – Ich sorg für dich. Nur heute.«

    Ernüchternd kommentarlos setzten wir uns in Bewegung. Fast zu einfach. Er dackelte neben mir her wie zur Schlachtbank. Rückblickend glaube ich nicht, dass er noch viel auf seine Freitage gab. Ich tätschelte noch einmal, vielleicht auch meiner eigenen Unsicherheit zugute, väterlich seine weiter recht zusammengekrümelten Schultern.

    »Sie hat dir wirklich gefallen, nicht wahr?« beschwichtigte ich.

    »Sie war perfekt.« murmelte er, ganz leise für sich, erst als wir es gerade noch so, meinenteils mit wehenden Mantelschößen, in den summenden und fiependen ICE schafften. Ich hörte die Worte trotz des Trubels. Sie machten den eigentümlichsten Eindruck auf mich. Ich würde noch viele Seitenblicke auf seine halbroten Wangen verschießen heute, wenn er sich unbeobachtet meinte. Das hatte etwas manisches. Es gefiel mir nicht. Und dann auf der anderen Seite gefiel es mir doch. Sehr.

    *

    Karlsruhe–Heidelberg besetzten wir einen Viererplatz, ein neutrales Stück Zug dieses Mal, dafür saßen wir uns endlich gegenüber. Es war nun später Nachmittag. Die Landschaft mit den langen Schatten schien in den Abend hineinfallen zu wollen. Allzuviel würden wir im historischen Heidelberg nicht mehr besichtigen können.

    Wir waren stiller geworden beim Einstieg. Er hatte jetzt schon meinen Respekt erworben für seine Offenheit. Immerhin war das abenteuerlich; mit einem Fremden mitfahren, so distinguiert man sich auch gab – Er immerhin war nun auch nicht von wehrhaftem Wuchs. Eher schmächtig, fast zart. Wenn er aber aufgeregt war, ließ er sich nichts anmerken. Seine Unruhe, die unter seiner wehmütigen Maske die ganze Zeit geschwelt hatte, hatte er augenscheinlich eingebüßt; saß in seinem Sitz wie verurteilt und für gut befunden. Ab und zu blickte er zur Seite, raus in die Büsche, die aber uninteressant waren. Sein Blick kehrte zurück.

    Ganz still zwischen uns blieb es nicht. Der Bengel hatte wohl gemerkt, dass ich wieder dem verfallen war, ihn zu mustern. Und dieses Mal blickte er zurück. Er tat das ganz absichtlich, was ich daran sah, dass er hastig, aber sehr bestimmt sein Gesicht wie gegen einen Widerstand im Scharnier mir zuwandte. Seine wasserblauen Augen hielt er in die meinen. Ich hätte die Strahlen seiner Iris zählen können. Das machte mich zugegeben etwas flipsig. Erwartungsschwanger blickten sie, empfangend; ich hatte alle Züge an mich gerissen.

    »Warum hast du sie nicht angesprochen?« fragte ich, als es mir zu viel wurde.

    Anstatt zu antworten, tastete er auf dem Tisch nach dem Fahrplan und klappte ihn auf. Sein Finger strich über die Zeilen aus Miniaturschrift. »Sehen Sie, es lohnt nicht, wir sind eh bald da. Die Fahrt ist ja wirklich ein Fliegenschiss.«

    »Und wenn schon.« widersprach ich.

    Er seufzte tief. »Also gut. Die Durchsage kam. – Ich hatte mir schon die ganze Zeit gewünscht, dass sie zufällig mit mir aussteigen würde. Allzuviel Zeit blieb ja nicht mehr. Nicht wie, wenn man einem Fremden begegnet und ahnt, dass man noch bis in die Nacht miteinander fahren wird, mehr oder eben weniger stumm. Die Dunkelheit liefert dann meist die erste Kulisse für ein paar vertrauliche Worte. Dann ist es, als ob man sich schon den ganzen Tag kennt…

    Als ich also merkte, dass sie tatsächlich Karlsruhe anvisierte, wurde ich natürlich umso aufgeregter. Ich rechnete mit einer Gelegenheit, sie anzusprechen. Tatsächlich hatte sie schon angefangen, einzupacken, bevor Karlsruhe angekündigt war. Ob sie mir damit ein frühes Zeichen setzen wollte, weiß ich nicht. Wissen Sie, es ist so schwer zu trennen zwischen Blicken und Tun, zwischen Verbindlichkeit und reinem Umstand…«

    »Man kann nicht nicht kommunizieren.« warf ich ein.

    Sein Blick warf mir einen knappen Tadel zu, dann fuhr er unbeirrt fort: »Ich war stolz, wie gesagt. Sie guckte wohl heimlich, was ich mit meinen Schuhen machte, die unterm Sitz lagen. Und sicher registrierte sie es, als die Durchsage kam; sicher registrierte sie alles. Unsere Blicke standen ja eigentlich längst wie zu einer Kugel verschmolzen zwischen uns im Gang. Sie stand auf, passierte die Kugel, ohne mich noch einmal damit zu streifen und machte sich auf. Da hab ich mich natürlich beeilt, ihr nachzukommen. Und sie wusste das.

    Übrigens hat es mich da angenehm überrascht, dass sie doch einen ganzen Kopf kleiner war als ich und auch eine halbe Brust schmaler. Zwischenzeitlich am Platz war ich nämlich zu der zweifelhaften Betrachtung gelangt, dass diese kleine Gestalt in ihrem Sitz doch eigentlich viel größer war, größer gar als ich mit einer breiten, gebärfreudigen Hüfte, einem langen athletischen Körper und einem Arzthelferinnenlächeln. Das ist so eine Marotte von mir, denke ich. Andere in der Erinnerung größer zu rechnen als sie sind oder besonders auch als ich bin. Aber dass es mir nun bei unmittelbarer Betrachtung passierte, diese Verschiebung der Einschätzung, stieß mir dann schon vor den Kopf.«

    »Na bei mir wirst du da wenig Vertun haben« zwinkerte ich.

    »Wie auch immer…«

    Seine Stimme hatten einen leidenden Einschuss bekommen.

    »Sie ist im Gang stehen geblieben. Nicht ungehörig weit zurück, nur ein paar Meter eigentlich vor dem Türraum, wo man für gewöhnlich auf den Ausstieg wartet auf dem etwas raueren Teppich; aber dennoch so, dass es irgendwie klar war, dass sie mir den Weg versperrte. Das hat etwas urfrauliches, begehrliches, wissen Sie? ›Ich lasse dich nicht durch, bevor du mich nicht mitnimmst.‹ Als fast verzweifeltes Mittel quasi. Als Eindeutikum. Sie schaute halb zurück. Jetzt blieb zumindest ihr Augenwinkel konstant bei mir. Was heißt konstant, natürlich ging es hin und her, aber – – Sie wollte es unbedingt, verstehen Sie? Und ich… stehe da und grinse in mich hinein wie so ein scheiß Yuppie. Weltmännisch fühlte ich mich; ›Ich habs nicht nötig nicht niemanden anzusprechen!‹

    Naja, jedenfalls dachte ich mir so hinter ihrem Rücken: ›Wenn sie jetzt auch noch mit nach Stuttgart aufs Gleis kommt, dann spreche ich sie an. Wo soll man denn schon groß hinfahren, wenn man aus Basel kommt und in Karlsruhe umsteigt?‹ Sie können sich denken, dass sich das als blanker Unsinn herausstellte. Wir stiegen aus, treidelten am Bahnsteig aneinander vorbei und verschwanden. Bis zur Treppe verfolgten wir einander Silhouetten. Sie sind ja auch von dort zurückgekommen, Sie erinnern sich. Das Mädchen aber… Als kurz vor der Abfahrt meines Zuges es mir plötzlich wie eine Maske zusammenbrach, ich zurückhastete zu ihrem, unseren Gleis… Das Mädchen kam natürlich nicht zurück. Wie auch? Wo auch? Sie war eine Zugbekanntschaft, zwischen den Orten. Eine Zugnymphe fast schon, hm? Nicht dem Steig zugehörig. Als ich dort ankam, sah ich mein verlorenes Spiegelbild noch in einer wegfahrenden Regio flattern – rotes Chassis, weiße Türen zogen über mich. Wie ihr Pullover.«

    *

    »Ich nannte mich stolz.« begann er später noch mal. »Aber wissen Sie, was ich eigentlich war?«

    »Ein Feigling.« versetzte ich.

    »Danke.«

    »Verzeih.« Heidelberg wurde durchgerufen. »Nein, Verzeih!« beteuerte ich. Wir stiegen aus.

    *

    Von da an ging alles wie von selbst, irgendwie. Klingt es missbräuchlich wenn ich sage, er war leicht zu handhaben? In den Gässchen Heidelbergs, zuerst noch auf der breiten offenen Straße, die uns an Ampeln und Betonbögen in die Altstadt führte, hielt er sich eng an meiner Seite, folgte den Bewegungen meines Mantels wie fließendes Wasser. Wir verlebten einen illustren Spätnachmittag dort, in Eisdielen und den kleinen, aber prunkvollen Geschäften der Hauptstraße. Er lächelte viel, lachte manchmal, selten, sein helles Jungenlachen. In einem Schaufenster fand ich eine Reihe Ferngläser. Ich überlegte, ihm aus Witz eines zu schenken, damit er quasi besser nach seiner Ische spähen konnte, ließ es aber bleiben. Zu viel des Guten.

    Der Abend hing redselig über uns, wir aber hatten bewusst ausgeblendet, was er erzählte. Nun als tatsächlich die ersten Gitter an den Geschäften fielen und die Passantengrüppchen auf der Hauptstraße zurückschwemmten aus dem Flaschenhals, dessen Korken das Schloss war, ließen wir uns hinter einigen verträumten Pärchen mit an den Neckar hinabtreiben. In einer Seitengasse begegneten wir etwas Besonderem: Ein Hochzeitspaar, das eigens angereist war nach Heidelberg, um hier, mittels eines eifrig schnalzenden Fotographen, einen staatstragenden Spaziergang durch die Altstadt zu inszenieren. Wir flüchteten eilig aus dem Sucher der Kamera; später fand ich heraus, dass viele Paare solche Fotos stellten, für ihre Kühlschränke, ihre Eltern, oder auch die Kühlschränke ihrer Eltern.

    »Was arbeiten Sie denn eigentlich nun?« fragte der Junge irgendwann im Schlendern.

    Dort lag der große Fluss. Kräuselnde Wellen, keine Lichter, nur der blaugraue Abend wie in tausend kleinen hellen Böötchen auf dem dunklen Wasser.

    »Autor« sagte ich.

    »Autor.« wiederholte er sinnig. »Und? Wollen Sie die Geschichte aufschreiben, vom Mädchen aus dem Zug, das nie wieder auftauchte?«

    Ich stutzte. Darüber hatte ich gar nicht nachgedacht.

    »Für mich?« fügte er da hinzu.

    Ich blieb in Gedanken, aber ich nehme an, es war schweigende Zustimmung genug für ihn.

    Wir bogen noch vor der Alten Brücke ab. Es dunkelte schneller. Das Hotel, was ich gebucht hatte (gerne hätte ich geschrieben ›was man mir gebucht hatte‹, aber so weit ist meine Karriere noch nicht) lag direkt an der Neckarpromenade. Auf dem Weg dorthin nahm ich seine Hand. Sie war kühl, aber sie erwärmte sich schnell, lose schmiegend. Ich schaute noch ein paar Mal erwartungsvoll zu ihm rüber, aber er hielt seinen Blick krampfhaft auf den Fluss gerichtet, dessen Strom wir nun folgten. Oder auch verträumt; meine Hand hielt er fest.

    Ich hatte das nicht vorausgeplant; klar hat man seine Vorlieben; aber dass es sich einfach so fügte – dass er sich einfach so fügte… Ich hatte eine Suite mit Doppelbett, aber mit Ritze gebucht. Würden wir sie auseinanderschieben müssen? Mein Schritt beschleunigte und verlangsamte sich unwillkürlich im Takt meiner Gedanken. Er machte das alles so mit. Seltsames Kerlchen. Nett, irgendwie.

    Wir betraten das Empfangszimmer des Hauses. Die Tür war mit poliertem Messing gerahmt. Das Klingelschild ziseliert. Im Empfangszimmer herrschte die goldbraune Atmosphäre eines dezent erleuchteten Bürgersalons; grüne Samtfauteuils, von einem hohen Ledersitzer dominiert. Eine beige Stehlampe, ein Kronleuchter, keine Poster, dafür eine postmoderne Metallstatuette und schokoladenbraune Vorhänge. In der Rezeption doch noch ein winziger Kunstdruck und eine reizende junge Portierdame mit ordentlichen braunen Haaren im losen Pferdeschwanz und einem Blazer.

    Sie musste schmunzeln als sie uns sah, was ihr natürlich eigentlich nicht zustand: unsere Finger verloren sich erst hinter der Tür. Ich empfing ihre Belustigung mit Gewinnerlächeln; der Junge beschaute die Fußleisten. Sie assistierte meiner heruntergespielten Aufgekratztheit, indem sie mir den Check-In im Expressverfahren abnahm. Im Zimmer würde ich dann die Bettritze mit einem Schaumstoffkeil aufgefüllt finden. Den man, wie ich mich erinnerte, auch Liebesbrücke nannte. So viel zu ihrem wissenden Lächeln. Aber mein Ruf war mir heute egal. Heute ging es darum, den Jungen zurück auf die Erde zu befördern. Und mich, vor allem mich.

    Schnell zog ich meinen verschämten Magneten in den Fahrstuhl weiter. Es gab nur zwei Stockwerke. Der Junge war immer noch nicht rot geworden, am Neckar nicht und nicht in der stillen Metallkapsel. Beim Ausstieg im ersten Stock trug er bereits meinen Arm auf seiner Schulter, wieder väterlich. Er ließ sich leiten durch die samtenen Gänge, machte keine Anstalten. Seine Arme hingen, sein Schritt dem meinen angepasst, wenn auch zögernd, gerade so meinen Antrieb abfordernd.

    Hatte ich noch Zweifel gehabt, zerbrachen sie, als, ich ihn neben mir stehen gelassen habend, um die dunkle Haustür aufzuschließen, er, sobald sich meine eine Hand von Schlüssel oder Klinke befreite, wie durstig danach schnappte, wie das trotzige Kind. Vor uns schwang die Tür auf in ein schwarzes Zimmer. Ich nahm seine hängenden zweite Hand herauf. Er tat nix, schaute nur; seine Augen trüb, fast lila im Halbdunkel. Stumm blieb er auch. Diese seine Ergebenheit verunsicherte mich; Ich hatte noch nie einen so jungen gehabt, verdammt!

    Als ich mich testweise, wie nur in natürlicher Schwankung begriffen, etwas vorbeugte, öffneten sich mit einem Schnappatmer seine Lippen. Also doch. Ich gab ihm noch einen einzigen Zug, indem ich rückwärts ins Zimmer eintrat; dann ließ ich meine Hände seine Unterarme hinaufwandern, langsam, seine Oberarme, wo sich sein Hemd knüllte, dann seinen Rücken, wo ich umherstrich an den Grabenbrüchen seiner Schulterblätter unter dem Stoff; und ich schließlich seinen Nacken in meinen beiden Händen hielt. Alldieweil ich ihn näher zog, näher an mich und das Bett. Er machte immer noch keine Anstalten eines Lächelns, oder auch nur die Lider etwas abzusenken. Ich, bereits in Wallung, sah in diese Maske der Unbefangenheit wie in einen Zerrspiegel; Nur als ich auf der Bettkante saß und ihn endlich heranzog, war er es, der in einem plötzlichen Übertrunk an Mut, oder ich weiß nicht was, die letzten Zentimeter überbrückte und meinen Händen in seinem Nacken vorauseilte.

    *

    Heidelberg. Früher Morgen. Helle Sonne glitt über die Laken, die ich im Aufwachen bereits glattgestrichen hatte. Natürlich darauf bedacht, nicht zu viel Beben auf der Matratze auszulösen. Gleich neben mir, geradezu greifbar, schlief immer noch, ruhig, der Junge. Ich wendete mich zu ihm hin. Sein Gesicht hatte sich im Schlaf vom Kissen gelöst und sich direkt in die Matratze gebettet. Etwas unbehaglich guckte er drein, wie gestrandet, wie im Sand, der sich in die Mundwinkel schleicht und die salzigen Lider verklebt. Mit einem leichten niedlichen Stirnrunzeln hatte er sich gerade eben von einigen Sonnenflecken vorgerobbt. Er lag etwas verschraubt da, ein Bein angewinkelt, ganz wie ein antiker Juvenil in seiner Toga, in marmornem Faltenwurf verwickelt. Die Bettdecke wölbte sich noch auf über seinem Schritt.

    Ich fühlte dabei einen tiefen Frieden. Wenn der wüsste, wie schön er ist. Wenn er wüsste, wie schön er war.

    Zugegeben, die ersten Küsse waren natürlich ein Desaster gewesen. Sie waren erst im Laufe des Abends besser geworden. Einmal war er wohl mitten in der Nacht aufgewacht und in einem plötzlichen Tremor von mir abgerückt, dass es ihn beinahe von der Bettkante geschmissen hatte. Bald darauf war er aber umso heftiger zu mir Halbschlafendem zurückgekehrt. Ich hatte ihn dann empfangen; er musste wohl schlecht geträumt haben; und meine Finger etwas in den Locken seines Hinterkopfs vergraben. Dort beruhigend umhergestrichen. Er hatte sich erst über die Zeit beruhigt.

    Jetzt schlief er. Ich ermahnte mich zur Geduld. Wer weiß, wie viel Schlaf ihn das Erlebnis mit mir gekostet hatte?

    Vor dem Fenster hing ein Lindenast. Er wurde von der Sonne angestrahlt, aber ich forschte in den Blättern auch nach jenen wabernden, halbmondförmigen Glanzflecken, die darauf hingewiesen hätten, dass auch der Neckar seinen morgenen Glitzerspiegel in dessen Krone warf. Als meine Gedanken an dieser stummen Beschäftigung aufgebraucht waren, sah ich irgendwann, wie durch ein Prickeln aufgeschreckt, noch einmal nach ihm – und fiel direkt in den Blick seiner blauen, wasserblauen Augen. Heute im Morgenlicht war es die Farbe von Trinkwasser, in weiten runden Tanks, in das Schleier von Bläue hineingeworfen sind, die alles, nur keine Verunreinigung sind.

    Es wurde eher ein Starren, mit dem er mich aushielt, und ich erschrak ein wenig davor. Fast als sähe er mich gar nicht, auch wenn sein Blick sichtlich meine Gesichtsmerkmale ableuchtete. Ich ahnte nur, was in seinen Gedanken umhertoben musste.

    Als ich endlich meine Hand über die weißen Decken hob, um beschwichtigend seine Wange zu streicheln, wich er zurück. Es schien noch ganz instinktiv zu geschehen, seine Augen waren noch verwirrt dabei. Es verletzte mich trotzdem; oder gerade umso mehr. Ich spürte das Bedürfnis etwas zu tun; nur heran an ihn durfte ich offenbar noch nicht. Ich wuchtete meine Beine über die Bettkante zu meiner Seite, stand auf, ließ dabei die Bettdecke von mir gleiten. Ich war nackt. Der Junge spähte. Ich stand vor dem Bett und kleidete mich an, zuerst der Slip, dann die Stoffhose, dann das weiße Hemd. Schließlich die Wildlederschuhe.

    »Schlaf noch ein wenig. Ich hole Frühstück.« sagte ich ihm. Er bewegte sich nicht; ich ließ ihn im Zimmer zurück; folgte dem kühlen Schwall von Kaffeeduft und Croissants in die Lobby des Hotels und darüber hinaus in den Speisesaal.

    Leise, für den Fall, dass der Junge wieder eingeschlafen war (ich gönnte es ihm, derweil es ja auch viel zu früh war) drückte ich die Tür ein bei meiner Wiederkunft, deren Dichtungen ein leise klebriges Geräusch von sich gaben. Muffiger Geruch kam mir entgegen, den das gekippte Fenster noch nicht ganz hatte aus diesem Schlafzimmer verscheuchen können. Gewappnet war ich mit einem Frühstückstablett aus allem, was ich mir ausgedacht hatte, was sein mürbes Jungenherz jetzt brauchen könnte. Orangensaft, Weiße Brötchen mit Nutella, zwei Buttercroissants, zwei Scheiben Wurst. Dazu eine Schale Obstsalat und einen länglichen Teller mit Gurkenstückchen, den ich einfach komplett aus der Kühlanrichte stibitzt hatte.

    Aber der Junge lag wach; er war recht weit in der Mitte des Bettes gerutscht und empfing mich doch mit einem matten Lächeln. »Ich hab mich einen Augenblick geängstigt, Sie wären trotzdem verschwunden.« grüßte er.

    »Ich mache keine One-Night-Stands« versetzte ich. »– Zumindest nicht, wenn der Andere…« beeilte ich mich hinzuzufügen, weil seine Augen sich verdunkelten.

    Er blickte versonnen in den Stuck der Decke, der sich wie eine Fensterrose um einen Kronleuchter aus gebürstetem Stahl gruppierte. »One-Night-Stand…« ließ er das Wort im Mund kullern, während ich, das Tablett auf den Schreibtisch abgestellt, mich erneut zu ihm legte, angezogen von der plötzlichen Verletzlichkeit, mit der sein halbnackter Körper wie ein Safranschal die Matratze zierte. Bald folgte sein Finger seinem Blick in die Luft und er begann, sich unmerklich neben mir wälzend, in die Zimmerdecke zu malen. Ich war glücklich in diesem Moment.

    »Wissen Sie,« begann er irgendwann, »Es ist kein Zufall, dass Sie mich getroffen haben.«

    »Was ist das jetzt, versteckte Kamera?« witzelte ich. »Wenn du den verdeckten Ermittler geben willst, hättest du rechtzeitig einfließen lassen müssen, dass du fünfzehn bist, oder so.«

    Er lachte nur kurz. »Das meine ich nicht. Ich meine, dass Sie mich gestern auf jenem Platz auf dieser Fahrt getroffen haben, Wagen dreiundzwanzig, Platz einundsechzig / zweiundsechzig.«

    »Aha, fährst du die Strecke öfter?«

    »Na Sie sind aber begriffsstutzig. Nein, nicht öfters: jeden Freitag.«

    »Jeden Freitag? Du verarschst mich doch! Seit wann?«

    »Manchmal auch Montags. Da hab ich keine Kurse.« Er gluckste.

    »Aha – und wohin?«

    »Karlsruhe.«

    »Und?«

    »Zurück.«

    Ich blickte einige Momente konsterniert in die Decke, die mittlerweile bedeckt sein musste von seinen imaginären Linien. »Und nur auf die Chance, dass sie…«

    Er nickte neben mir.

    »Du bist doch verrückt. Da – da ist es ja geradezu … Zivilcourage dich mal raus… also ich meine…« Ich deutete mit meinem Blick an uns herab.

    »Ich habe mich mittlerweile damit abgefunden.«

    Ich schwieg darauf. Wie konnte der Junge eine solche Sehnsucht entwickeln nach einer Person, die er noch nicht einmal kannte? Ich fragte mich schon, ob er heute Nacht überhaupt anwesend gewesen war. Also gedanklich, bei mir.

    Da unterbrach dankbarerweise ein neuer Gedanke die bereits einsetzende Revision meiner noch taufeuchten Erinnerungen: »Und… wirst du es weiter tun?« fragte ich.

    »Ich weiß nicht.« antwortete er. Sein Finger machte Halt auf einem unsichtbaren Punkt im Putz. Da schaute er mir plötzlich seitwärts in die Augen. »Wahrscheinlich nicht.«

    Ich muss sagen, diese Worte machten mich mit einem Mal verdammt dankbar. Fast hätte ich ihn darauf ja erneut besprungen. Aber nachdem wir einige Minuten noch gelegen hatten, rappelte er sich auf und schwang sich über seine Bettkante. Dort blieb er sitzen, mit einem Stück Toga, das er mit sich genommen hatte, um sich weiterhin zu verhüllen. Ich stand darauf selbst auf. Etwas verloren saß er da, vom Fenster und mir abgewandt im Raum mit der hohen Decke.

    Ich folgte ihm auch nicht. Ich spürte, dass diese Entscheidungen von ihm ausgehen mussten. Noch immer fühlte ich die Wärme seiner kleinen Brust auf der Meinen, das Suchen seiner Lippen, seine zugedrückten Augen, in den Momenten, wo ich meine geöffnet hatte, um mich darüber zu versichern, dass er sich nicht für mich prostituierte. Es zog mich noch sehr zu ihm.

    Mein Herz klopfte, als die Decke langsam von seinen Schultern rutsche und er aufstand, nicht ins Badezimmer zu gehen, sondern zu mir.

    »Danke; wissen Sie, was ich mir gedacht habe…« Er fasste meine beiden Hände und indem er mit dem Daumen über meine Furchen strich stellt er fest: »Sie sind ich.«

    »Und du–» fragte ich und seine kleinen blauen Augen sahen zu mir hoch – »bist sie«?

    Da schubste er mich mit einer urplötzlichen Gewalt auf die Matratze zurück, dass meine Arme wie Ausleger zurückschwangen und folgte im Sprung. Schon war er auf mir, ein Leopardenbaby. Und er saugte für ein paar zaubrische, so fordernde Momente an meinen Lippen.

    Und taumelte zurück, zuerst über seine bloßen Knie, dann, als ginge von mir eine unmittelbare Gefahr aus, und fiel rücklings halb vom Bett. Ich erhob meinen Nacken, um besser zu sehen, blieb aber sonst unverständig liegen.

    Er stieg in seine Hose mit Tränen in den Augen. Warf sich sein Hemd um, das er vom Schreibtischstuhl pflückte, wo es gestern hängengeblieben war. Nun musste der Vulkan wohl ausgebrochen sein. Als Mann kenne ich das Gefühl, wenn sich wochenlang die Lava aufstaut. Mit einem mühsam bezwungenen Schluchzer eilte er, es knöpfend, in den Zimmerflur, am Bad vorbei. Ich hörte die Tür schlagen. Einen Moment den Zugwind, der mir den Frühstücksgeruch des unberührten Tabletts auf dem Gründerzeitschreibtisch um die Nase wehte; Über dem Singen von Tassen aus dem Untergeschoss stand in diesem Zimmer Gurke und Croissant. Dann nichts mehr.

    *

    Ich krabbelte selbst aus dem Bett und trat ans Fenster. Vom Gästehaus gegenüber hätte man jetzt einen Panoramablick auf das Delta meiner nackte Brust verköstigen können. Draußen, an der Straße, hinter der der Neckar das Morgenlicht zerfaserte, flog der Junge auf seinen ungelenken langen Beinen hin; immer noch die Hand an seinem obersten Knopf. Mit einem – ich muss zugeben sehr enttäuschten – Schmunzler erinnerte ich mich daran, dass er ja sonst gar nichts dabei gehabt hatte. Er hatte ja nicht damit rechnen können aus seiner wöchentlichen Routinestrecke so weit entführt zu werden, in etwas völlig Neues und etwas, was zumindest ich als sehr aufregend und sehr belohnend empfunden habe.

    Ich sah ihn noch auf die Alte Brücke einbiegen. In der Mitte der Brücke stützte er sich wie haltsuchend auf der Sandsteinbrüstung auf und wandte sich der Fließrichtung zu, wo es in die Ebene geht. Was er dort an verheißungsvoller Gräue vermutete, kann ich nicht sagen. Seinen Gesichtsausdruck sah ich aus dieser Ferne nicht mehr. Hoffentlich hat er ein Hölderlin-Reclam dabei, dachte ich. Das beruhigt.

    **

    Warum hast du das blöde Mädchen nur nicht angesprochen? Ich nehme an, wenn du es getan hättest, wären wir uns nicht begegnet. Du bist nicht noch einmal zurückgekommen, ich habe an der Rezeption gefragt. Am Morgen war ich ehrlichgesagt zu übertölpelt, dir direkt nachzulaufen; hatte mich mit dem absurden Gedanken getragen, du kämst natürlich gleich wieder, in ein paar Minuten, sobald du dich beruhigt hättest.

    Zwischenzeitlich habe ich mir Vorwürfe gemacht. So gut könne dir die Nacht ja nicht gefallen haben und dergleichen. …Aber, weißt du, ich fühle anders.

    Dass du mich hilflos zurückgelassen hättest, musst du dich nicht sorgen. Ich denke, du hast mich immerhin kennengelernt als jemanden, der nicht lange zaudert, wenn ihm etwas gefällt. Du dagegen träumst und verträumst dich, und wenn du nicht aufpasst, Junge, bringst du dein Leben zu auf leeren Gleisen. Am Nachmittag habe ich unsere Referentin getroffen, also von unserem Zirkel, die unsere Tagung organisiert und in allen Personalfragen beisammenhält. L., ein hübsches junges Ding, sehr eloquent; sie gefiel mir. Tiefe Augen, blonde Haare. Ich werde sie auf einen Wein einladen und dass sie akzeptiert wird nicht selbstverständlich sein. Nicht wie du, den ich einfach so mitziehen durfte wie eine weiche Handtasche. Danke, übrigens, Kleiner, dass du mir dieses Geschenk gemacht hast. Jedenfalls sollst du also nicht glauben, dass meine Tage in Heidelberg ohne dich einsam zuende gehen müssen; und wenn es auch nur ein guter Händedruck am Abreisebahnhof ist…

    Ich habe mich übrigens gründlich geduscht und trotzdem Sorge, dass sie dich auf mir riechen könnte. Sie soll mich nicht für einen Päderasten halten. Sollst du übrigens auch nicht, denn so ist es nicht, glaub mir das. Du bist ein wertvolles Stück, das es eigentlich auch nicht verdient, hier neidisch gemacht zu werden auf irgendwelche blonden L.s.

    Diese Geschichte habe ich ja nun für dich, eigentlich für dich geschrieben. Ich hoffe, sie ist so geworden, wie du sie dir gewünscht hast. Zugestanden, ich zaudere noch damit, ob ich sie der Tagung beisteuern soll. Vielleicht beruhigt es dich ja, dass der Text, dieses mittelmäßige Kammerstück, den ich eigentlich mitbrachte, und in dem ich so überstolz im Zug umhermarinierte (irgendwas postmodernes über Katzen und Gießkannen übrigens) jetzt zerknüllt im Papierkorb dieses Hotelzimmers liegt. Aber ob dieser hier seine Stelle einzunehmen sich eignet? Es ist dann doch nicht, was meine Korrespondenzen erwarten – oder von mir gewohnt sind.

    Vielleicht werde ich tatsächlich jene L. fragen. Vielleicht auch ein Weg, ihr näher zu kommen?

    Vielleicht ein Weg, sich also die Strecke nach Heidelberg öfter vorzunehmen. – In dem Fall und sollte es dazu kommen, versteht es sich allerdings von selbst, dass ich diese Strecke, in diesem ICE, nicht mehr werde fahren können, ohne mich, gar nicht mehr ganz wie zufällig in Wagen 23, auf Platz 61/62 wiederzufinden. Nur in der dummen Hoffnung, dich noch einmal dort wiederfinden zu können.

    Dann sitze ich wohl träumend da, halte Ausschau nach deinem gemusterten Hemd sowie natürlich auch nach einem rotweißen Pullover einer kleineren Gestalt. Du warst eben perfekt. Vielleicht wart ihr beide das.

    ***

  • So. Ich gebe dir hier meinen unverminderten ersten Eindruck, und ich werde dabei ehrlich sein. Denn:

    - ich finde, die Geschichte hat große Ähnlichkeiten zu anderen von dir hier bereits fabrizierten Kurzgeschichten. Zug, Rahmengeschichte und Mädchen etc.

    - Außerdem ist der Umfang etwas groß für einen Post. Da es so schleppend losgeht, könnte das auch ein Grund sein, warum man es nicht komplett durchliest... fürs Forum einfach zu lang.

    - Außerdem... nimm's mir nicht krumm... glaube ich nicht, dass dieses Forum eine gute Bühne für diese Geschichte ist.

    - Ich muss wohl nicht noch mal erwähnen, dass ich deinen Schreibstil mag, lieber Theo. Endlich hast du dich mal nicht mehr mit Schachtelsätzen nur so überboten! Glückwunsch, es ging ganz gut zu lesen. Ich bin ganz ehrlich und gebe zu, dass ich manche Parts übersprungen habe (vor allem die creepy-gen). Warum? Ich fand die Handlung mau. Was mir besonders aufgestoßen ist:

    --- Wir erfahren so gut wie nichts über den Ich-Erzähler. Wie alt ist der? Ist das überhaupt ein Er? Besonders die Altersfrage wäre für mich wichtig, immerhin nimmt er einen fast-noch(?)-Jugendlichen mal eben mit ins Hotel. (Noch so ein Grund, was die "Ist das hier die richtige Bühne?"-Frage angeht.)

    ---Es passiert nicht wirklich etwas Neuartiges, wenn man es mal mit deinen vorherigen Geschichten vergleicht. Es gibt ein paar andere Nuancen wie den One-Night-Stand, aber im Prinzip offenbart sich mir nichts großartig Anderes.

    ---Was mir auffiel, ist, dass der junge Typ den Erzähler selbst nach der Nacht im Hotel immer noch siezt. Davon ganz zu schweigen, dass sie sich nicht mal vorstellen. Ich meine... ist das realistisch? Für mich nicht. Man kann gut und gerne argumentieren, dass so mehr Geheimnistuerei übrigbleibt, mehr Atmosphäre, aber da sich die beiden Protagonisten eh schon ziemlich nahe kommen, wäre es nur logisch, da wenigstens mal zu erwähnen, wie man denn heißt.

    ---Und zu guter Letzt: hin und wieder vermengst du stilistisch Ebenen, die für mich nicht zusammenpassen. Ich schmeiß sie dir hier hin. (Ich bin mir durchaus bewusst, dass diese Wörter manchmal wohl einen humoristischen Effekt erzielen sollen, aber ich habe sie eher verwundert zur Kenntnis genommen.)

    Wahrlich kein schlechter Stoff, das! Da würden die Prollos aus dem Zirkel Augen machen. Wenn ihre Flaschenbodenbrillen das überhaupt zuließen, hieß das

    Außerdem bemerke ich hier: Du endest hier zweimal kurz aufeinander folgend mit "das", was an sich schon ein ungewöhnliches Satzende ist. Ändern!

    »Sie erinnern mich nur an Jemanden.« gab er endlich zu.

    Bitte bitte bitte --- lass die Wörtliche-Rede-Satzzeichen-Experimente, mein Lieber! Die holen hier sonst die Mistgabeln raus. :D

    Und - "Jemanden" muss klein.

    Und -- mich erinnert er auch an jemanden..

    »Ich habe Zeit« behauptete ich.

    Hier nochmal die Mistgabel-Thematik. Die sich bekanntermaßen durchzieht.

    Wissen Sie, ich halte für gewöhnlich bereits am Bahnsteig nach Mädchen ausschau; nur um zu gucken, versteht sich.

    *Ausschau

    Ach ja, und das klingt creepy...

    wenn jemand hellichten Tags ein Notizbuch beschreibt.

    *helllichten

    »Hörmal, Junge; Warum kommst du nicht einfach mit nach Heidelberg?« improvisierte ich.

    Ok, JETZT wird es definitiv creepy!!

    Außerdem *warum

    Klingt es missbräuchlich wenn ich sage, er war leicht zu handhaben?

    JAAAAA!!!!!

    Ich überlegte, ihm aus Witz eines zu schenken, damit er quasi besser nach seiner Ische spähen konnte, ließ es aber bleiben.

    Hier wieder die stilistische Problematik.

    Mein Fazit: Nimm deinen tollen Schreibstil, misch ihn nicht dauernd mit den weniger gehobenen Stiltechniken, und schreib eine interessante Handlung. In kürzeren Parts. Dann hast du mich.:saint:

    LG:)

    Was ich schreibe: Eden