Für alle, denen es noch nicht zum Hals heraushängt, hier die nächste Version von meiner Geschichte
Irgendwann werde ich es mit der Schreiberei gebacken kriegen.
Wie immer ist Kritik gerne gesehen und eine große Hilfe (besonders inhaltlich).
Prolog
Ein Fest hätte es werden sollen. Ein Fest von historischer Bedeutung. Denn zum ersten Mal seit Anbeginn hatte das hohe Volk eingeladen, zum ersten Mal wollte man gemeinsam feiern, es wäre das erste Fest in der neuen Welt, das größte, das jemals stattgefunden hätte und einen ganzen Mond sollte es dauern.
Mit diesem Fest wollte man nicht nur den Segen der Ewigen erwirken für die neue Welt, sondern auch den elementaren Völkern danken für deren Beistand im langen Krieg. Es sollten die vielen Helden geehrt und der Toten gedacht, die Ereignisse der alten Welt zusammengetragen und den Chronisten damit ermöglicht werden, diese Geschichten aufzuschreiben, damit sie der Nachwelt erhalten blieben. Außerdem wollte das hohe Volk wortlos darstellen, wie klein es geworden war. Nur wenige Hundert hatten den Krieg überlebt. Es würde vielleicht den Beistand der Elementaren brauchen, bis es zur alten Stärke zurück gefunden hatte. Und es wollte natürlich huldvoll die Dankbarkeit der anderen Völker entgegennehmen, denn schließlich hatten sie den Bann geschaffen. So lautete zumindest die offizielle Version. Aber auch Tanz und Musik sollten nicht zu kurz kommen, Speis und Trank würden die Gäste selbst mitbringen.
Das war der Plan.
Und sie kamen. Festlich gekleidet und in großer Zahl trafen die Kinder der Sümpfe und des Windes ein. Auch Ishaya hatte sich fein gemacht. Einer Krone gleich trug sie als die Erste des hohen Volkes Blumen im Haar. Sonst trug sie nichts. Die Luft war bereits erfüllt von Stimmen und dem Duft vielfältiger Speisen, welche die Gäste mitgebracht hatten, als endlich auch die Kinder Ursas erschienen. Die Gespräche verstummten. Denn Ursas Volk hatte sich nicht festlich herausgeputzt. Zu finsteren Mienen trugen sie volle Rüstung und statt Speisen und Getränken hatten sie ihre Waffen mitgebracht. Im Krieg hatte dieser martialische Anblick Ishaya stets erfreut, denn mehr als einmal hatten sie durch ihr Eintreffen einer verloren geglaubten Schlacht zum Sieg verholfen. Doch zu einem Fest war das nicht der richtige Aufzug. Hastig suchte ihr Blick die vordere Reihe der bedrohlich wirkenden Männer und Frauen ab. Wo war er denn nur? Mit bitterem Grinsen trat einer der Krieger vor. „Hohe Frau“, neigte er kurz grüßend seinen Kopf, um sie dann mit seinem Blick zu fixieren. „Wie ich sehe, hast du in deiner unendlichen Weisheit unser Problem sofort erfasst.“ „Wo ist euer Tonde?“ „Genau das fragen wir uns auch. Kann es sein, dass dein Bann ihn drüben vergessen hat?“ Das Entsetzen in den Zügen Ishayas war echt. Und langsam, fast behutsam formulierten ihre Gedanken das Offensichtliche. Er hatte ein Pfand behalten. Und zwar nicht irgendein Pfand, nein. Er hatte ausgerechnet den Tonde genommen. Den mächtigsten Mann der elementaren Völker und mit ihm Ursa selbst. Und nun würden sie die Schuld begleichen müssen, um den Frieden in der neuen Welt zu erhalten.
Etliche Jahre später in der alten Welt
-1-
„Eh!“ Unwillig fuchtelnd scheuchte Gembries ein paar Bienen und Hummeln weg, die ihm fast in den Bart geflogen wären.
Vor einer Woche war der letzte Schnee dem Frühling gewichen, der mit blauem Himmel und ungewöhnlich warmen Temperaturen aufwartete. Man könnte auch sagen, der Winter war fluchtartig verschwunden und hatte die Türe fest ins Schloss geworfen.
Und die alte Salweide, die Gembries bei seinem letzten Besuch noch für tot gehalten hatte, strotzte plötzlich vor Leben und reckte mehr Kätzchen in die Sonne, als er Haare auf den Zähnen hatte.
Dafür war der Onkel tot.
Nachdenklich starrte der kräftige Mann auf das frische Grab herunter.
Sein letzter Familienangehöriger.
Erstaunliche vierundsiebzig Jahre war Ruitgar alt geworden.
Aber gestorben war er schon viel früher.
Gembries warf einen Blick zum kleinen Rosenstrauch herüber, an dessen sparrig bedornten Zweigen die ersten Blattknospen schwollen. Dort lag Ruitgars einziges Kind, Tom.
Tom war nicht nur mit dem Klumpfuß und der verkrüppelten Hüfte seines Vaters geboren worden, er hatte zusätzlich auch einen Herzfehler gehabt.
Die letzten drei seiner zehn Jahre hatte er im Bett liegend und nach Luft ringend verbracht.
Ruitgar war daran zerbrochen.
Das Leid seines Sohnes jeden Tag vor Augen zu haben, hatte es für den Alten nicht einfacher gemacht, den Sohn seines verstorbenen Zwillingsbruders aufzuziehen. Denn genau wie sein Vater war Gembries außergewöhnlich kräftig, stark und gesund.
Und genau wie bei den ungleichen Brüdern war auch Gembries mit einem Zwilling viel zu früh geboren worden, nur starb sein Bruder schon bei der Geburt.
In beiden Fällen hatten auch die Mütter die Geburt nicht überlebt.
Die Schankdirne, die Ruitgar geschwängert und geheiratet hatte, war somit die erste Frau, der es gelang, ein Kind dieser Familie normal auszutragen und nicht gleich nach der Geburt zu sterben.
Der Schock, dass sein Kind trotzdem nicht gesund auf die Welt kam, hatte in Ruitgars Seele einigen Schaden verursacht. Ob es am beginnenden Wahn lag, in den sich sein Onkel flüchtete, oder am Baby selbst, jedenfalls verschwand die Schankdirne, kaum dass sie nach der Geburt wieder laufen konnte, und ließ Ruitgar mit seinem kranken Kind einfach sitzen.
Etwa ein Jahr später wurde Ruitgars Bruder von einem bekloppten Pferd zu Tode getrampelt und der damals zweijährige Gembries kam mangels Alternativen zu ihm. Dort wuchs er auf als der ungeliebte Neffe.
Gembries konnte nur vermuten, dass sein Vater Geld hinterlassen hatte. Er hatte Ruitgar nicht einen einzigen Tag im Leben arbeiten sehen. Tom war bei aller Krankheit ein sehr kluges Kind gewesen und Ruitgar hatte ihn mit fast fanatischem Eifer unterrichtet, jeden verdammten Tag.
Wenn Tom schon durch einen schwachen Körper ins Bett gezwungen wurde, sollten wenigstens Geist und Verstand sich frei entfalten dürfen.
Bei Gembries verhielt es sich genau umgekehrt. Ihm wurde nur beigebracht, wie er Gemüse anzubauen, die Hühner und die Kuh zu versorgen und den Haushalt zu führen hatte.
Für Gembries war das völlig in Ordnung gewesen, er hätte nicht mit seinem Cousin tauschen wollen, nicht um alles in der Welt. Aber je schlechter es Tom ging, desto weniger konnte Ruitgar den Anblick seines gesunden Neffen ertragen.
Er begann, ihn zu schikanieren, faselte von schlechtem Blut und versuchte, ihm die Schuld für alles Übel in der Familie zu geben. Erst kamen nur hässliche Worte, dann folgten Schläge, dumme und unnötige Strafen und schließlich, drei Tage, nachdem sie Tom zu Grabe getragen hatten, schickte Ruitgar Gembries ins nächste Dorf, um Eier zu verkaufen und tötete in der Zeit die Kuh, das einzige Wesen auf dieser Welt, vom dem Gembries je Liebe und Zuneigung erfahren hatte.
Mit einem hässlich wissenden Grinsen auf dem Gesicht forderte er seinen Neffen nach seiner Rückkehr dazu auf, zwei schöne Steaks aus dem geliebten Tier zu schneiden und einen angemessenen Leichenschmaus für Tom daraus zu braten.
Dieser Moment, als der Onkel mit seiner Forderung vor Linchen stand, die mit zerschmettertem Schädel brutal totgeschlagen im Dreck lag, stand Gembries Zeit seines Lebens deutlich vor Augen.
Und bis heute konnte er sich nicht daran erinnern, was direkt danach geschah. Seine Erinnerung setzte erst wieder an dem Punkt ein, wo Ruitgar mit einem bis zur Unkenntlichkeit geschwollenen, blutigen Gesicht bewusstlos vor ihm auf dem Boden lag und Gembries noch so außer sich vor Hass und Rage war, dass ihm nur noch die Wahl blieb zwischen sofortiger Flucht und Totschlag.
Er war gegangen.
Und er hatte fünfzehn Jahre gebraucht, um wieder zurückkehren zu können.
Vorgefunden hatte er einen gebrochenen, verstummten Mann, der sein Elend im Schnaps ertränkte, den er aus den Früchten seiner Obstbäume brannte. Zu sagen hatten sich die beiden nichts mehr.
Gembries blieb nur so lange, wie er brauchte, um die Hütte instand zu setzen und aus dem Saustall im Inneren eine menschenwürdige Unterkunft zu machen. Dann fuhr er wieder davon, nachdem er dem Onkel auch die Speisekammer gefüllt und ein paar Münzen dagelassen hatte.
Fortan wiederholte er diese Besuche regelmäßig, die Intervalle wurden mit zunehmenden Alter des Onkels immer kürzer.
Vor nur sechs Wochen war er das letzte Mal hier gewesen.
Zwar waren Ruitgars Augen da schon gelb und sein Bauch deutlich dicker geworden, aber dass es so schnell mit ihm zu Ende gehen würde, hätte Gembries dann doch nicht gedacht.
Es war Zeit für ein paar passende Worte.
„Arme Sau! Mögest du Frieden finden!“ Damit war wohl alles gesagt, was es zu sagen gab.
Seufzend wandte sich der kräftige Mann vom Grab ab und trat auf die Hütte zu. Es war kaum anzunehmen, dass Ruitgar die letzten Almosen seines Neffen in den letzten sechs Wochen verprasst hatte, und es waren genug Münzen gewesen, um sich dem erbärmlichen Gestank nochmal auszusetzen.
Zudem war sich Gembries ziemlich sicher, das geheime Versteck des Alten zu kennen.
Es gab nur eine Diele im Boden, die an einem Ende immer sauberer war als der Rest.
Mit einem Messer hebelte er das Brett hoch, und tatsächlich fand er darunter den Beutel, in dem Ruitgar seine Barschaft aufbewahrte, und zwar deutlich praller gefüllt als vermutet.
Doch das war noch nicht alles.
In ein Wachstuch eingeschlagen lag eine lederne Mappe darunter.
Gembries zog die Stirn kraus. Ob der alte Zausel etwa ein Testament gemacht hatte?
Der Gedanke entlockte ihm ein spöttisches Grinsen, welches sich jedoch verflüchtigte, als er die mit seltsamen Zeichen bedeckten Pergamente sah, die in der Mappe lagen. Mangels Übung war alles, was ihm sein erster Meister an Lese – und Schreibfähigkeiten vermittelt hatte, stark eingerostet.
Aber ganz sicher hatte er solche Schriftzeichen noch nie gesehen.
Vorsichtig hob er das erste, hauchdünne und trotzdem stabil erscheinende Blatt an und schnupperte daran. Ziegenleder? Auch das war ungewöhnlich. Wer benutzte noch Leder, wo es doch schon lange Papier aus Pflanzenfasern gab?
Ob das etwa … ?
Der Gedanke, ausgerechnet hier Schriften eines alten Volkes vorzufinden, war zwar geradezu abenteuerlich, aber trotzdem da. Sollte es sich um einen letzten Scherz Ruitgars handeln, der für sich allein eine Geheimschrift erfunden hätte, um das Elend seines Daseins in Worte zu fassen, würde sich Gembries zwar blamieren. Aber wenn das wirklich von den Alten stammte, wären die Pergamente sicher ein Vermögen wert.
Und wo er doch sowieso zur Hohen Feste musste, um den Tod seines Onkels zu melden, konnte er die Mappe gleich mitnehmen und dort einem Gelehrten zur Ansicht geben. Vorsichtig schlug er sie wieder in das Wachstuch ein und wollte, tief in Gedanken versunken, das Brett wieder an seinen Platz drücken, als ihm noch ein kleiner Lederbeutel auffiel, der halb im Dreck verborgen lag. Er puhlte ihn hervor, öffnete das Band und ließ den Inhalt in seine geöffnete Handfläche fallen.
„Uff!“, stieß er überrascht aus. Fassungslos starrte er auf den größten Diamanten, den er je gesehen hatte.
Das konnte ja wohl nicht wahr sein.
Der Stein füllte fast die gesamte Handfläche seiner gewaltigen Pranke aus. Er war facettenreich geschliffen und in seinem Inneren funkelten Splitter aller bekannten Edelsteine in einem Kreis, der in seiner Gleichmäßigkeit wie eine Iris wirkte.
Eingefasst war der Stein mit kunstvoll geschmiedetem Silber, das in eine Kette überging, deren einzelne Glieder ebenso kunstvoll verziert waren.
Wobei – für Silber war es zu hell und zeigte keine Stelle, die angelaufen wäre. Prüfend hielt Gembries seine Nase daran.
Platin?
Der Kontrast zwischen der ärmlichen Hütte und dem ungeheuren Wert seines Fundes löste eine Art Schockstarre bei Gembries aus. Der erste klare Gedanke, der sich aus den Tiefen seiner ohnmächtigen Überraschung löste, war, dass Ruitgar diesen Stein nicht legal erworben haben konnte. Niemals.
Der zweite war, dass dieser Stein berühmt sein musste. Berühmt für seine Schönheit und seinen Wert. Mit zitternden Händen verstaute er seinen Fund in dem schmutzigen Beutel und diesen in seinen Gürtel.
Dann nahm er die Mappe und das Geld und verließ den Ort seiner Kindheit, um nie mehr hierher zurückzukommen.