Es gibt 91 Antworten in diesem Thema, welches 15.182 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (24. Juli 2021 um 21:17) ist von McFee.

  • Mundburt hat keine Idee und findet, wonach er nicht sucht.

    Unter bedrücktem Schweigen gingen wir in den Rittersaal zurück. Auf dem Weg dorthin wurde mir bewusst, wie absonderlich die Situation war. Ein großer Arzt bat mich – mich!, einen jungen Menschen, der lärmenden Jugend kaum entwachsen, um Rat. Doch welchen Rat konnte ich ihm geben? Von Pest und Cholera verstand ich nichts; ich war überdies heilfroh (und bin es heute noch, gelobt sei der HERR!), mit diesen üblen Gesellen noch nicht in denselben Graben gepisst zu haben. Offensichtlich setzten die Unglücklichen große Hoffnungen in mich, Hoffnungen, die ich unmöglich erfüllen konnte.

    Doch zunächst ging es darum, die guten Leute hinzuhalten, bis mir eingefallen war, wie ich mich aus dieser misslichen Situation halbwegs ehrenhaft retten konnte. Eine Idee hatte ich nicht, doch Kühnheit siegt, wenn Frechheit vorangeht.

    „Meine Herren Ritter“, sagte ich, „die Apfelbesessenheit ist zweifellos eine schwere Krankheit, gegen die anscheinend alle herkömmlichen Mittel versagen. Mir scheint allerdings, dass die Ursache nicht in den Kranken sitzt, sondern in diesen Äpfeln.“ Ich wandte mich dem Doktor zu. „Herr de Harsigny“, sagte ich, „ist ein solcher Apfel schon einmal gründlich untersucht worden? Die Erfahrung zeigt, dass sich Teufel und Dämonen häufig an Orten aufhält, wo man sie am wenigsten vermutet.“

    „Natürlich habe ich einen solchen Apfel untersucht“, erwiderte der Doktor mit einem Lächeln, in dem sich ein kleiner Unmut spiegelte, „und ich habe nichts gefunden, was ihn von einem normalen Apfel unterscheidet – ausgenommen der Biss. Meine ehrenwerten Kollegen und ich haben sogar einen anerkannten Exorzisten für schweres Geld mit einer Teufelsaustreibung beauftragt. Doch von allen neunhundertneunundneunzig Teufeln, die der Exorzist in mühevoller Kleinarbeit aufgerufen hat, bekannte sich keiner für zuständig.“

    „Dann“, entfuhr es mir, „stecken in den Äpfeln keine Teufel, sondern Dämonen, die durch ihre Verlockungen den Apfelbesitzer dermaßen an sich fesseln, dass er ihnen wie ein Tier dient und gehorcht.“

    Ich weiß nicht, wer von uns beiden mehr verdutzt war – der Doktor, weil er auf diese naheliegende Idee noch nicht gekommen war, oder ich, der ich von dieser naheliegenden Idee, bevor ich sie aussprach, noch keinen blassen Schimmer geahnt hatte.

    „Aber es ist doch kein Dämon herausgefahren“, ließ sich einer der Anwesenden vernehmen, „wieso, zum Teufel, soll denn einer drinstecken!“

    „Das ist leicht zu erklären“, behauptete ich kühn, „auch kleine Apfeldämonen sind nicht dumm und können vielerlei Gestalt annehmen. Ich weiß das von meiner Großmutter, die mir häufig Äpfel ans Ohr hielt, in denen es knackte und knisterte. Wenn sie den Apfel dann aufschnitt, flog ein winziger Schmetterling hinaus. Was ich sagen will ist dies: Wenn der Dämon merkt, dass der Apfel untersucht oder exorziert wird, schlüpft er schnell hinaus, und dann, wenn die Gefahr vorüber ist, schwupp, ist er wieder drin.“

    „Beim Satan!“, rief jemand, „dann haben wir ja das ganze schöne Geld zum Fenster hinausgeworfen!“

    Ich schwieg beredt, und dumpfes Schweigen machte sich breit. Unterdessen dachte ich fieberhaft nach. Die guten Leute hingen an meinen Lippen, und ich konnte sie bei meiner Ehre unmöglich enttäuschen. Um erneut Zeit zu gewinnen, sagte ich: „Ihr Herren, ich bitte um eine halbe Stunde Urlaub! Ihr seht selbst, der Jungfer geht es nicht gut, und auch mein Herz sehnt sich nach frischer Luft und Sonnenschein. Gibt es hier ein Plätzchen, eventuell auf einer Bank an einem Bachgeriesel oder in der Nähe eines heiteren Sees, wo ich meinen Gedanken nachhängen und über eine Lösung des Problems nachsinnen kann?“

    Diese salbungsvolle Rede verfehlte nicht ihre Wirkung.

    „Herr de Valmy“, sagte der Meister, „führt die beiden Herrschaften nach den Fischteichen! Dort wird der Herr finden, was er sucht!“

    Ich blickte mich um. Kopf war wieder einmal verschwunden.

    „Was soll das denn?“, fragte Gerlind, als wir an einem mit allen möglichen Wasserpflanzen bedeckten Teich saßen, in dem die Frösche quakten und die Libellen ihr Liebesspiel trieben.

    „Sei bitte mal einen Moment still“, sagte ich, „ich muss nachdenken.“

    Ich stand wieder auf und sah aufs Wasser, oder besser: Auf das verwirrende Grün, das sich meinen Augen bot. Allmählich erkannte ich Einzelheiten: Große, kleine, runde, ovale, eckige, breite, schmale, stumpfe, spitze Blätter... Manche sahen aus wie ein halber Mond, andere wie eine Speerspitze. Dann Blüten in allen Formen und Farben. Ein großer grauer Vogel mit einer Klistierspritze als Schnabel beäugte mich scharf, auf einem Blatt mit aufgewölbtem Rand saß ein giftgrünes Etwas und glotzte mich mit goldenen Augen an. Und daneben im Wasser... ein seltsames, grünbraunes Gebilde in Form eines aufgerollten Füllhorns, etwa anderthalb Zoll hoch. Das Haus einer Schnecke. Ich bückte mich und hob das Gehäuse, als wär´s ein zerbrechliches Kleinod, vorsichtig aus dem Wasser. Es war leer, die Bewohnerin ausgezogen. Ich blickte in die Öffnung und sah in einen gewundenen Gang, der nach oben immer schmaler wurde. Mein Herz hüpfte vor Freude... Behutsam wickelte ich das Gebilde in mein Tuch, dann ging ich zu Gerlind zurück.

    „Heiho, wir können wieder zurückgehen“, sagte ich, „hab gefunden, wonach ich nicht suchte!“

    Der Magister kam angerannt, mit reichlich derangierter Kleidung. „Man sagte mir, ich könne Euch hier finden“, keuchte er.

    „Wo kommt Ihr denn jetzt her“, fragte ich, „und in welchem Zustand?“

    Kopf druckste mit roten Wangen herum. „Versteht doch“, sagte er schließlich, „meine...ähem... Annäherungsversuche waren Jahre hindurch ziemlich kopflos und wohl deshalb selten von Erfolg gekrönt. Jetzt, unter diesen Bedingungen, sehe ich mich in die Lage versetzt –“

    „Erspart uns Einzelheiten und schaut mal nach Eurem Hosenlatz“, unterbrach ihn Gerlind.

    Mundburt treibt einen Quälgeist aus und redet wie ein Doktor der Medizin.

    Den Zufallsfund nahm ich als Zeichen, dass mir der Himmel nach wie vor gewogen war und machte mich sofort an die Ausarbeitung eines Plans. Sollte er scheitern – wer sollte mir daraus einen Strick drehen, denn niemand hatte mir den Äskulapstab in die Wiege gelegt. Hingegen im Falle eines Gelingens – –

    Konsequent versagte ich mir jegliche Ruhmesfantasien und schritt stattdessen unverzüglich zur Tat.

    Natürlich besaß ich nicht die geringste Erfahrung im Umgang mit Dämonen. Das Wenige, was ich wusste, stammte aus Erzählungen der Mägde auf Burg Wolkenstein, etwa, dass Teufel und Geister im Dunkeln genauso blind herumtappen wie ihre Opfer, dass sie immer um Mitternacht besonders aktiv sind und sich vor dem Zeichen des Kreuzes fürchten.

    Zunächst bat ich Kopf und Gerlind, zum Schiff zurückzukehren und es für einen eiligen Aufbruch klar zu machen, primo, weil es stark auf den Abend zuging, secundo, weil der Ausgang des Abenteuers ungewiss war, tertio, weil ich bei der Ausführung meines Plans nicht durch dumme Fragen abgelenkt werden wollte; ich selbst hatte vor, die Nacht im Spital zu verbringen. Gerlind verschloss ich den Mund mit einem Kuss; Kopf, der anscheinend noch ein Tète-á-Tète in petto hatte und ein Gesicht machte, als müsste er auf das Leben verzichten, stellte ich vor die Wahl, entweder zu folgen, oder für immer auf dieser Vogelinsel zu bleiben. Meine harsche Ansprache blieb nicht ohne Wirkung, leise murrend zog er ab.

    Danach begab ich mich in den Rittersaal und verkündete mit kühner Unverfrorenheit, ich hätte mein Orakel befragt und Antwort erhalten, dahingehend, ich solle gegen Mitternacht zu Seiner Erhabenheit gehen und an seinem Bett Wache sitzen; dort würde ich weitere Weisungen erhalten. Dann befahl ich dem Bader, alle Einreibungen mit Merkurium zu unterlassen, das Mittel brächte den Patienten nur in Feuer und versetze ihn in tödliche Aufregung – woher ich diese Weisheit nahm, weiß ich bis heute nicht..

    Die Ritter sprangen von ihren Sitzen auf und umringten mich. Nicht wenige zeigten sich außerordentlich erfreut, einige allerdings machten keinen Hehl daraus, dass sich mich für den gewissenlosesten Scharlatan hielten, der auf der Welt herumlief. Im Nu und ohne jemanden zu Wort kommen zu lassen ordnete ich an, ein kleines Küchenmesser, ein Wachssiegel, einen Ohrensessel sowie einen eisernen Topf in die Kammer Seiner Erhabenheit zu bringen; für mich erbat ich einen Raum, in dem ich ungestört mit meinem Orakel kommunizieren könne. Man nahm alle Forderungen ohne Gegenrede an.

    Kurz vor Mitternacht begab ich mich in die Kammer der Großmeisters. Der Kranke lag ruhig schlafend im Bett, seine Gesichtszüge waren entspannt, der Atem ging regelmäßig, alles Zeichen, dass der Dämon noch nicht vor Ort war. Mit dem Messer höhlte ich den Apfel an der Stelle des Bisses aus, steckte das Gehäuse hinein, legte den Apfel zurück auf den Tisch und stülpte den Topf darüber. An der Kerze machte ich das Siegel weich und formte daraus ein Kreuz. Dann setzte ich mich in den Ohrensessel, lehnte mich zurück und wartete ab.

    Schlag zwölf wurde der Kranke unruhig. Er wand sich, stöhnte, schlug mit den Armen, zeigte Anzeichen höchster Erregung: Der Dämon näherte sich. Ich wartete, um sicher zu gehen, dass er in den Apfel eingefahren war, dann hob ich blitzschnell den Grapen an, verstopfte den Eingang des Gehäuses mit dem Siegel, Kreuz nach innen, und setzte den Topf wieder ab.

    Ich war mir über das Risiko des Unterfangens durchaus im Klaren. Das Kreuz bestand aus ungeweihtem Wachs, würde es überhaupt wirken? Was auch immer geschehen würde: Gerlind und Kopf waren in Sicherheit, und ich würde mich schon zu retten wissen, denn Kühnheit siegt, wenn Frechheit vorangeht. Indem ich darüber nachdachte, begann ein Knistern und Knirschen, ein Klopfen und Schaben, ein Trampeln, Fluchen und Schreien, in das sich, wie aus weiter Ferne, unverständliche Wortfetzen mischten. Die Geräusche kamen eindeutig aus dem Topf. Der Dämon hatte in der Dunkelheit den falschen Eingang nicht erkannt uns saß jetzt, abgestoßen durch das Kreuz, das offensichtlich wirkte und ihn stark bedrängte, in der Spitze des Schneckenhauses fest. Die Geräusche verstärkten sich und schwollen zu einem üblen Lärm an, der die gesamte Kammer ausfüllte.

    Der Großmeister indes vermittelte den Eindruck, als litte er entsetzliche Qualen. Mit verzerrtem Gesicht und Schaum vor dem Mund bäumte er sich auf, griff sich an den Hals, keuchte, stöhnte, furzte, schrie, sodass ich schon befürchtete, er könnten aus der Welt fahren. Ich hatte schon damit gerechnet, das der Dämon seine Macht nicht kampflos würde fahren lassen, aber die Wucht der Angriffe erstaunte mich doch.

    Plötzlich gab es einen Knall, es roch nach Schwefel und siedendem Pech – dann war Ruhe. Der Dämon hatte, vom Kreuz besiegt, für immer aufgehört, zu existieren.

    Der Patient beruhigte sich zusehends.

    Glücklich über die gelungene Austreibung zog ich die Glocke – das verabredete Zeichen – sofort sprang die Tür auf, die Herren von Elster und de Harsigny traten ein (offensichtlich hatten sie, gegen die Absprache, an der Tür gelauscht). Entzückt sahen sie erst den Patienten, dann mich an, und die Anerkennung, die in ihren Blicken lag, verlieh mir Mut. Ich sprach wie ein Arzt, verordnete Diät und Ruhe, dogmatisierte, hypothetisierte, zitierte Autoren, die ich nie gelesen hatte. Die hohen Herren hörten mich wie ein Orakel an, und Seine Erhabenheit schenkte mit die gleiche Aufmerksamkeit.

    Es stellte sich heraus, dass alle drei von dem Lärm nichts mitbekommen hatten.

    Zufrieden suchte ich mein Nachtlager auf.


    Mundburt fabuliert das Blaue vom Himmel und wird zum Doktor der Medizin ehrenhalber ernannt.

    Am anderen Morgen, bei einem üppigen Frühstück mit zahlreichen Gunstbeweisen, an dem auch Seine Erhabenheit gnädig teilnahm, sagte Herr de Harsigny, mehr sauer als süß lächelnd, er finde mich für einen jungem Menschen zu gelehrt, folglich müsste ich etwas Übernatürliches besitzen.

    Da ich seinen Stolz nicht verletzen wollte, indem ich ihm die Wahrheit sagte, fabulierte ich in törichter Selbstüberschätzung, ich besäße eine Zahlenpyramide, durch die ich vermittels einer Frage, die ich aufschriebe und in Zahlen verwandele, eine Antwort, ebenfalls in Zahlen, erhalte, die mich in allem, was ich zu wissen begehre, unterrichte. Auf diese Weise habe ich auch erfahren, wie der Dämon Seiner Erhabenheit zu besiegen sei.

    Diese Antwort löste größtes Erstaunen aus.

    Damit besäße ich ja, sagte Herr von Elster, eine Art Schlüssel Salomonis, nach dem sich die gelehrte Welt sehne.

    Er nenne es eher Rabulistik, meinte ein anderer, von wem ich diese Wissenschaft gelernt habe.

    Ich erwiderte: „Von einem alten Eremiten, der auf dem Berge Sinai wohnt und den ich kennenlernte, als ich in ägyptischer Gefangenschaft war.“

    Zu spät merkte ich, dass ich mich immer tiefer in mein Lügengespinst hinein ritt.

    „Dieser Eremit“, sagte der Doktor, „hat ohne Euer Wissen mit den Zahlen einen unbekannten Geist verknüpf, denn einfache Zahlen besitzen nicht die Fähigkeit, ein Urteil zu fällen oder Antwort auf Fragen bezüglich der Geisterwelt zu geben.“

    Jetzt merkte ich, dass mir gerade ein Feind erwuchs.

    „Herr de Harsigny“, sagte der Großmeister, dessen Gesundheit fast völlig wieder hergestellt war, „warum wollt Ihr die Verdienste des Herrn von Wolkenstein kleinreden? Er hat mich vom Merkur befreit, an dem ich beinahe erstickt wäre, und er hat den Dämon vertrieben. Also ist er der bessere Arzt!“ Er sah mich wohlwollend an. „Lieber Herr, Ihr besitzt einen wahren Schatz, und es hängt ganz von Euch ab, daraus den grüßten Vorteil zu ziehen.“

    „Ich weiß nicht, wie ich diesen Vorteil ziehen könnte“, sagte ich, „denn die Antworten sind manchmal so dunkel, dass ich sie nicht verstehe. Gleichwohl macht es mich glücklich, dass es mir gelungen ist, Eure Erhabenheit von dem furchtbaren Ungeist zu befreien.“

    Der Großmeister versicherte mir noch einmal seine Wertschätzung.

    Daraufhin sagte der Doktor kalt, wenn Seine Erhabenheit so denke, halte er es für das Beste, mir seinen Platz als Arzt abzutreten. Da niemand widersprach, stand er auf und verließ den Saal. In der selben Sekunde ernannte mich der Großmeister zum Doktor der Medizin ehrenhalber beim Orden des Goldenen Phallus und überreicht mir einen Doktorhut aus schwarzen Vogelfedern.

    „Ich würde gern“, sagte ein Ritter, „Euch eine Frage stellen, die mir am Herzen liegt, über die mich jedoch bisher niemand belehren konnte.“

    Ich erwiderte, er solle die Frage nur aufschreiben, (wobei ich spürte, wie mir der Hals eng wurde), ich würde sie unverzüglich meinem Orakel vorlegen.

    Er schrieb die Frage auf, gab sie mir, ich las – las wieder – und verstand nichts, das auf einem Mückenschiss hätte Platz gefunden. Unter dem Vorwand, ich müsse mit meinem Orakel alleine sein, begab ich mich in einen Nebenraum.

    Jetzt musste ich für meine Unverschämtheiten bezahlen.

    Indem ich diese Frage wieder las und immer noch nicht verstand, stieg in mir der Verdacht auf, dass es darauf gar keine vernünftige Antwort gab, dass mich der Ritter hereinlegen wollte, aber das tat nichts, ich musste antworten. Ich sammelte alle meine Geisteskräfte, um zu einer Antwort zu gelangen, die ebenso dunkel war wie die Frage. Schließlich entschied ich mich für folgenden Spruch:

    Auch ein weiser Mann macht manchmal den Narren,

    den er auslegen konnte, wie er wollte, und spiele den Gleichgültigen.

    Der Herr liest ihn, zeigt sich überrascht und versteht alles. „Himmel! Das ist göttlich, das ist einzig, diese Antwort konnte nur ein überragender Geist finden!“ Seine Begeisterung ist zu offensichtlich, um echt zu sein. Die anderen bestürmen ihn, mit der Antwort herauszurücken, doch er ziert sich und steckt den Zettel weg. Nun stellen sie mir Fragen über alle möglichen Gegenstände, von denen ich nichts begreife, und ich erteile Antworten, von denen ich ebenfalls nichts begreife, die ihnen aber sämtlich erhaben vorkommen.

    Doch einer, offensichtlich darüber erbost, dass sie mich nicht fassen können, lässt nicht locker in dem Versuch, mich aufs Glatteis zu führen. Er fragt mich, ob es möglich sei, ihn meine erhabene Zahlenkunst zu lehren, denn er besitze eine Schwäche für diese abstrakte Wissenschaft.

    „Gern, Euer Wohlgeboren“, entgegne ich, denn das Spiel beginnt mir Spaß zu machen, „allerdings gibt es da eine Sache, auf die ich bisher kein Gewicht gelegt habe, weil die Notwendigkeit dazu fehlte. Gleichwohl hindert sie mich daran, Eurer Bitte Folge zu leisten.“

    Er fordert mich auf, mich näher zu erklären.

    „Der Eremit vom Berge Sinai“, schwadroniere ich unbeschwert, „versicherte mir, ich würde sieben Tage, nachdem ich die Wissenschaft irgendjemandem mitgeteilt hätte, eines plötzlichen Todes sterben; indes, ich glaube nicht an diese Drohung und würde Euch zuliebe –“

    „Mein lieber junger Freund“, unterbrach mich der Obermeister, „ich an Eurer Stelle würde eine derartige Drohung durchaus ernst nehmen! Es gibt genug Beispiele, das solch eine Drohung auf die Minute genau eintrat. Man soll weder die himmlischen noch mit die höllischen Mächte herausfordern.“

    Dabei blieb es, niemand sprach mehr von der Sache.

    Wieder hatte ich dazugelernt, primo, dass Frechheit siegt, secundo, dass Eitelkeit und Gutgläubigkeit es dem Menschen leicht machen, seinen Nachbarn zu betrügen.

    Der Rest ist schnell berichtet. Seine Erhabenheit entließ mich mit ausgesuchter Höflichkeit, dabei brachte er sein Bedauern zum Ausdruck, dass er einen Mann wie mich, der offensichtlich im Besitz des Steins der Weisen sei und mit Elementargeistern umgehen könne, ziehen lassen muss. Als Anerkennung für geleistete Dienste überreichte er mir einen goldenen Käfig mit einem Zeisig, der ebenfalls über geheime Kräfte verfüge, welche, das würde ich schon merken.

    Ich kehrte zum Hafen zurück, den Doktorhut auf dem Kopf, den Käfig in der Hand, ein lustig Lied auf den Lippen.

    Forts. folgt.

  • McFee

    Jepp, und wieder einen Haken hinter dieses Abenteuer. Ein paar Fragezeichen habe ich diesmal anzumerken.

    Ich wartete, um sicher zu gehen, dass er in den Apfel eingefahren war,

    Wie kann er das wissen? Ich meine - wie kann er sicher sein, dass er drin ist? :hmm:

    Und ich habe bei der Erklärung nicht ganz verstanden, wozu der Topf benötigt wurde, wenn das Wachs gereicht hat, um den Dämon einzuschließen. Hab ich was übersehen?

    Er nenne es eher Rabulistik, meinte ein anderer, von wem ich diese Wissenschaft gelernt habe.

    Mit diesem Satz hab ich ein Problem. Ist Rabulistik ein Name, auf den sich der mit "von wem" beginnende nachfolgende Nebensatz bezieht? Müsste es dann nicht eher heißen "von welchem"?

    Oder meint Mundburt, dass er Rabulistik von dem Sprecher gelernt hat? Oder - fehlt was in dem Satz? Ich komm nicht drauf. :hmm:

    Ansonsten - ja, wie immer spritzig und locker flockig :D Allerdings stellt sich mir die Frage, wie lange du diese Anreihung von Lügen, Erfindungen und all den anderen Dingen, mit denen sich Mundburt jedesmal aus einer brenzligen Situation herauswindet, noch führen wirst. Ich merke, wie die Spannung bei mir nachlässt und ertappe mich dabei, dass ich beim Lesen der Überschrift denke: Na mal sehen, wem er heute wieder die Hucke vollügt, um am Ende des kurzen Landgangs mit seiner Gerlind wieder unbehelligt davonsegeln zu können.

    Weiß nicht, ob du verstehst, was ich meine. Das Muster wiederholt sich einfach ziemlich oft. Sie legen an, treffen neue Leute und/oder auf eine interessante Lage, in der besagte Leute sind. Dann lässt Mundburt ein paar freche Sprüche los, um entweder seinen Hals oder den eines der neuen Leute zu retten, und sie segeln weiter. Ja, sie haben interessante Reisebegleiter auf diese Art gewonnen, aber auch wieder verloren.

    Kommt noch was, irgendwann, was von dieser Linie abweicht? Kehrt Mundburt irgendwann zurück oder wird er sesshaft? Ich frag nur so aus Interesse. Weil ... auch Odysseus ist irgendwann in Ithaka angekommen ... :D

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

    ___________________

  • Schade, dass du nichts anderes auf meinen Kommi als Reaktion hast. Aber da du auch schon auf den letzten nicht reagiert hast, würde mich jetzt verabschieden aus dem Thread.

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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  • Oh, Tariq, ich bitte vielmals um Entschuldigung! Hätte ich geahnt, dass sich hinter dem McFee vom Montag ein Spoiler verbirgt, wäre schon jängst eine Reaktion erfolgt. Und ich hätte dir auch den Spruch erspart, der völlig fehl am Platze war und vor diesem Hintergrund geradezu beleidigend wirken musste! Pardon, Pardon, Pardon... Glaube mir bitte: An alles habe ich dabei gedacht, nur nicht an deinen Kopf! Und der ist, wie deine Komm. zeigen, alles andere als hohl! Ich betone noch einmal ausdrücklich, dass ich die Kritik dieser Forenschaft außerordentlich schätze. Wo wäre ich als Schreiberling ohne sie!

    Nun zu deinen Einwänden:

    Wie kann er das wissen? Ich meine - wie kann er sicher sein, dass er drin ist? :hmm:

    Und ich habe bei der Erklärung nicht ganz verstanden, wozu der Topf benötigt wurde, wenn das Wachs gereicht hat, um den Dämon einzuschließen. Hab ich was übersehen?

    Richtig. So kann er es nicht wissen. Es müsste etwa heißen: An einer leichten Bewegung des Apfels erkannte ich, dass der Dämon gerade einfuhr.

    In der Tat, auch der Grapen ist unnötig. Gut beobachtet.

    Mit diesem Satz hab ich ein Problem. Ist Rabulistik ein Name, ...

    R. bezeichnet eine verquere Pseudowissenschaft. Hinter den Satz gehört ein Fragezweichen, dann wird klar, dass er wissen wollte, von wem M. diese R. gelernt habe.

    Ich merke, wie die Spannung bei mir nachlässt und ertappe mich dabei, dass ich beim Lesen der Überschrift denke: Na mal sehen, wem er heute wieder die Hucke vollügt, um am Ende des kurzen Landgangs mit seiner Gerlind wieder unbehelligt davonsegeln zu können.

    Na mal sehen... Ist das nicht schon Leseanreiz genug? Gut, gut, ich gebe zu: Der Thread ist formal ziemlich einförmig. Aber das sind Schelmenromane aus alter Zeit auch. Mir geht´s um den Inhalt, nicht um die Form. Und da bemühe ich mich, eben nicht langweilig zu sein, zum Beispiel durch Humor und Sprachwitz, auch zwei Spannungsgeneratoren. Und warum soll man als Lerer/in nicht auch mal ein Kapitel oder zwei auslassen? Dann fehlen eben zwei Perlen, trotzdem schmückt die Kette noch... Du wirst sicherlich festgestellt haben, dass viele Kapitel Anspielungen auf Zu- und Missstände unserer Zeit enthalten. Das mit dem grünen Apfel, da ist doch die Fa. Apple gemeint! Und da es von denen unendlich viele gibt - nein, natürlich nicht. Es werden keineswegs unendlich viele Fortsetztungen folgen. Auch das beste Pferd kann man zu Tode reiten. Aber noch ist es nicht so weit.

    Aber da du auch schon auf den letzten nicht reagiert hast, würde mich jetzt verabschieden aus dem Thread.

    Meinst du den vom 8. Mai? Da ich keine Einwände fand habe ich einfach nur genossen!

    Ich hoffe, dass dich meine Ausführungen besänftigen konnten und würde mich freuen, wenn du Mundburt auf seiner Narren-Tour durch die Welt weiterhin folgen könntest.

    LG, McFee

  • Mundburt und seine Leute spielen bei einer Musikantenbande mit.

    „Nunn“, sagte Gerlind, als ich den linken Fuß aufs Deck setzte, „lebt der Erhabene noch?“ Sie brach in heidnisches Gelächter aus. „Mann, was hast du denn da auf dem Kopf? Das sieht ja zum Schreien aus! Und was ist das da?“

    „Vielleicht erlaubst du, dass ich erst einmal vollständig an Bord komme.“

    Inzwischen standen auch Kopf und Knalli grinsend vor mir. Eine Windböe fuhr unter meinen Doktorhut und blies ihn aufs Meer hinaus.

    „Zerronnen wie gewonnen“, sinnierte ich, „aber die Würde bleibt.“

    „Welche Würde?“

    Ich setzte den Käfig mit dem Zeisig ab. „Kinder! Ich schlage vor, wir machen die Leinen los und stechen in See! Dann erzähl ich euch, was es zu erzählen gibt!“

    „Da hast du ja ganz schön vom Leder gezogen“, sagte Gerlind, als ich fertig war, „und gefährlich war´s obendrein.“

    „Ein Ritter, der die Gefahr fürchtet ist keiner, und ein Mann von echtem Schrot und Korn fürchtet nur Gott!“

    „Na klar, und vielleicht noch, dass der Himmel einstürzt.“

    „Das mit dem Orakel war nicht schlecht“, meinte der Magister, „hat Euch wahrscheinlich den Kopf gerettet. Wie kamt ihr darauf?“

    „Ich erinnerte mich an eine Erzählung meines Vaters, wo ein alter Grieche, dem ein Orakel den baldigen Tod voraussagte, alles Mögliche unternahm, es zu verhindern, der aber trotzdem am vorbestimmten Tag starb.“

    „Verachte nicht das Orakel im Übermut -

    ein böser Spruch, und du bist kaputt“,

    feixte Gerlind.

    „Das war sicherlich die Geschichte vom Tod des Äschylos“, sagte der Magister, „einer der seltsamsten Todesfälle, die es je gegeben hat.“

    „Nun erzählt schon“, drängte Gerlind, „Ihr gebt ja doch keine Ruhe!“

    „Diesem Äschylos hatte eine Wahrsagerin verkündet, er werde an einem bestimmten Tag durch einen Gegenstand, der vom Himmel fiel, erschlagen werden, weshalb er diesen Tag außerhalb der Stadt, fern von allen Türmen, Häusern, Bäumen, Bergen, Felsen und anderen erhabenen Gegenständen, von denen etwas fallen oder stürzen könnte, zubrachte und sich mitten auf eine Wiese setzte, fest überzeugt, dass er so unter dem gnädigen Himmelsgewölbe vollkommen sicher sei. Obwohl man sagt, die Lerchen fürchteten den Einsturz des Himmels, weil sie dann nicht mehr singen könnten, auch soll ein gewisser Phenaces sehr gefürchtet haben, der Mann im Mond könne auf ihn fallen und ihn erschlagen und alle bedauerte, die unter dem Mond wohnten, wie die Äthiopier und –“

    „Dieser Äschylos nun...“

    „Ähem... Dieser Äschylos nun wurde ungeachtet aller Vorsicht von einer herabstürzenden Schildkröte erschlagen, die den Fängen eines hoch in der Luft schwebenden Adlers entglitt.“

    „Er hätte in den Keller gehen sollen“, meinte Gerlind.

    „Auch da hätte ihn sein Schicksal ereilt, nur nicht mittels einer herabstürzenden Schildkröte.“

    „Wo wir gerade bei dem Thema sind“, meinte Knalli (der Nachtschlaf hatte ihn wieder zu sich gebracht), „da wüsste ich von einem Todesfall zu berichten, der seinerzeit viel Gelächter erzeugte. Ihr habt doch unseren König erlebt und werdet mir glauben, dass ihm jedes Bubenstück zuzutrauen ist. Eines Tages beauftragte er einen Maler, ein möglichst hässliches Bild von seiner Mätresse anzufertigen, um sie damit zu ärgern. Als das Bild fertig war und der Maler es ihr zeigte, brach sie in ein derart höllisches Gelächter aus, dass sie daran starb.“

    „Eine bekannte Dame von mir“, nun wieder der Magister, „erstickte an einer Fischgräte, die ihr im Hals steckenblieb, weil sie entsetzlich lachen musste, als sie ihren Eheherren dabei beobachtete, wie er...“

    Unter dergleichem Geplauder vergingen die Stunden.

    Während der Magister sein Garn sponn, fiel mir auf, dass wir schneller segelten als es bei der Schwachen Brise zu erwarten gewesen wäre. Ich blickte ins Wasser und sah einen Schwarm Fische mit heftigen Bewegungen gegen die Strömung aus achtern anschwimmen. Daraufhin nahm ich den Magister beiseite und machte ihn auf die Fische aufmerksam. „Das ist nichts, was Euch beunruhigen sollte!“, sagte er, „im Gegenteil, seid doch froh! Umso schneller kommen wir voran!“ – „Aber“, wand ich ein, „warum weigern sich die Fische, in diese Richtung zu schwimmen?“ – „Woher soll ich das wissen?“ – „Ihr seid doch ein gelehrtes Haus!“ – „Aber kein Hellseher!“ – „Ich sag´s Euch: Sie fürchten den Abgrund!“ – „Fangt Ihr schon wieder mit diesem Unsinn an? Die Erde ist eine Schüssel und keine Scheibe!“ Doch ich war keineswegs beruhigt und fürchtete das Schlimmste. Nach den Worten meines Vaters war die Erde eine Scheibe, und meinem Vater, der viel in der Welt herumgekommen war, traute ich mehr als einem ehemals kopflosen Wichtigtuer. Ohne Zweifel trieben wir auf den Rand der Welt zu. Offensichtlich wussten die Fische besser Bescheid als dieser Magister.

    Die Strömung war jetzt so stark, dass wir angesichts des flauen Windes auch bei schärfstem Gegensteuern nicht ausbrechen konnten. Nun war guter Rat teuer. Den HERRN um ein neues Wunder anzuflehen wagte ich nicht; beim letzten Wunder hatte ich ja gelobt, IHN nicht mehr zu belästigen. Da wehten seltsame Töne an mein Ohr; es war ein eigenartigen Dröhnen, Jaulen und Pfeifen, ähnlich wie ich es vor der Kröteninsel gehört hatte, nur feiner, melodischer, rhythmischer. Auch die anderen hatten es gehört; sie waren nach steuerbord gelaufen und blickten in die Richtung, aus der die Töne kamen. Ich entdeckte einen Dreimaster, der mit geblähten Segeln auf die Küste der Affeninsel zusteuerte. Ich ließ sofort das Seenotzeichen setzen; tatsächlich drehte er bei und kam zügig auf uns zu, was mich sehr wunderte, denn dazu musste er gegen Strömung und Wind fahren, ohne dass er sie Segel erkennbar gebrasst hätte. Jetzt sah ich auch, woher die Töne kamen: Statt der Takelage pfiffen und heulten Blasinstrumente der unterschiedlichsten Bauart, wie

    Pommern,

    Schalmeien,

    Krummhörner,

    Cornamusen,

    Rauschpfeifen,

    Trompeten,

    Zinken,

    Hoboen.

    Der Lärm stammte von einer Musikbande auf dem Weg zu einem Ritterturnier (wie ich später erfuhr). Das Erstaunlichste aber war dies: Die Musikanten hielten ihre Instrumente gegen die Segel gerichtet, sodass ihr ausgestoßener Atem in die Segel fuhr und das Schiff vorwärts trieb.

    „Hoiho! Was wollt Ihr?“, rief der Kapitän, ein grauhaariger Affe, herüber. Die Bande schwieg.

    „Hoiho! Wir sind in der starken Strömung gefangen!“, rief ich zurück, „könnt Ihr uns heraushelfen? Allein schaffen wir es nicht!“

    „Schwerlich, unsere Puste reicht kaum für uns selber!“

    Hilf, Vater, hilf!, flehte ich, doch diesmal meinte ich nicht den himmlischen, sondern meinen. Und Vater half! Denn ich erinnerte mich wieder an seine Worte: Lass deiner Fantasie freien Lauf! Dann zeigt es sich, dass du auch ohne Wind übers Meer fahren kannst, wenn nur der Gedankenwind kräftig bläst

    „Wir haben noch etwas Wind im Fass“, schrie ich, „und auch auf anderem Wege könnte ich für mehr Wind sorgen!“

    Trotz der Bedenken, die sich auf seinem Gesicht widerspiegelten, rief der Kapitän: „Also gut, werft ein Tross herüber!“

    „Hey!“, rief ich meinen Leuten zu, die vom Gangspill her den Wortwechsel verfolgt hatten, „aufgepasst und nicht gemuckt! Jetzt wird nicht gefragt, jetzt wird gehandelt! Herr Magister, schnell die Hosen herunter und mit dem Hintern zum Segel aufs Kombüsendach hinauf! Gerlind, hol Trabto, stell ihn mit dem Schweif zum Segel und fächle ihm ordentlich Luft zu! Knalli, Ihr bedient das Ruder! Ich kitzele den Magister den Bauch!“ Und so geschah es. Das Tross flog hinüber; ich strich Kopf den Bauch, woraufhin der fürchterlich lachen musste und ordentlich Rückenwind abließ, desgleichen Trabto, der mit steifem Schweif Salven von Windäpfeln abschoss, Knalli bediente das Ruder, die Segel blähten sich – und so fuhren wir unter Hörner-, Pfeifen- und Trompetenschall in den Hafen der Affeninsel ein

    Phaetons Achsen glühten bereits*.

    Gerlind, die über Rückenschmerzen klagte, blieb an Bord, wir anderen verließen unter dem munteren Geschwätz des Zeisigs das Schiff.

    ____________

    * Das Abendrot zog auf.

    Mundburt betritt sie Affeninsel, wo Fantasticus I. König ist.

    Allerorten reges Treiben: es wurde gesägt, gehämmert, geklopft, geraspelt; Seilwinden quietschten, Verladerampen polterten, Drehkräne ächzten, Hunde bellten. Straßenhändler schrien, jemand versprach guten Lohn bei leichter Arbeit, ein anderer, ein Mönch mit besudelter Kutte, das Blaue vom Himmel, ein Kämmerer höhere Steuern. Vor eine Kogge wartete eine Unzahl Pferdewagen darauf, beladen zu werden. Viele trugen Brillen, diese eigenartige Erfindung des Salvino degli Armati#, aber nicht, weil sie schlecht sehen konnten, denn die Gläser waren ungeschliffen, sondern weil es Mode war, was ihnen das Aussehen von Nachteulen verlieh.

    Auf einem Platz wurde gerade Markt gehalten. Die Buden und Schrangen+ quollen über von Waren in solcher Fülle und Mächtigkeit, wie ich es zuvor noch nie gesehen hatte, und die Apicius++ in helles Entzücken versetzt hätten. Da waren tausenderlei Leckereien à la moresque, allerhand Torten, Pasteten, Schweinsöhrchen, Joncade, Käse, Gelées und die verschiedenartigsten Früchte. Den Garküchen entströmte der Duft von Suppen, Fricassées, Hachés, fetten Kuddeln, gekochtem und gebratenem Fleisch, gesalzener Rinderbrust, braun gebratener Karbonaden und Ochsenbacken, geräuchertem und gebackenem Fisch, mächtigen Schweinshaxen, köstlichem Parmesaner Schinken.

    Das Erstaunlichste aber war das Völkergemisch, das sich unseren Augen darbot.

    Natürlich hatte ich schon Affen und Papageien gesehen; manchmal war fahrendes Volk auf der Burg erschienen, das Affen, Papageien und Bären zur Schau stellte. Doch das waren allesamt angekettete, schlecht ernährte und unglückliche Geschöpfe gewesen, die Dinge zeigen mussten, zu denen sie nicht geboren waren. Hier jedoch liefen die Affen frei herum; sie waren gut genährt und nach der letzten Mode gekleidet, die Frauen mit knallroten Lippen und fantastischen Hüten, die Männer leger und ohne die albernen Kleider-Mätzchen, wie sie in Ulm und anderswo üblich waren. Die meisten, obgleich unterschiedlich groß, zeigten einen kräftigen, gedrungenen Körperbau, nicht wenige waren außergewöhnlich dick. Es gab Affen aller Art; ein breiter Gorilla mit der Peitsche in der Faust trieb eine Horde Fronaffen zur Eile an; ein schmerbäuchiger Orang-Utan mit Frauen und Kinderschar zog mit stolz geschwellter Brust, die mit Orden behängt war, vorbei. An einer Straßenecke schwatzten drei Schimpansen aus den Bergen, wobei mir ihre Menschenähnlichkeit auffiel; dann waren da Lemuren mit pinselförmigen Haarschöpfen, Makis, die hoch beladene Karren hinter sich herzogen, desweiteren Halbaffen, Hundsaffen, Schwanzaffen, Nasenaffen, Maulaffen. Und Vögel aller Herren Länder; Papageien, Loris, Pfauen, Finken, Drosseln, Nachteulen, Tageulen, Kropfeulen, Ziegenmelker, Ochsenmelker, Reiher, die auf einem Bein standen, Rohrdommeln, wie erstarrt in die Gegend starrend, geweihte und ungeweihte Weihen... Sah hier auch Sphingen, Cephen, Raphen, Unzen und Musmonen, letztere mit Vorderfüßen wie Menschenhände, Hinterbeinen von Hunden und Ohren, wie sie Schweine haben; dazwischen fette Makrelen, Krakelen, Meeraale, Knurrhähne, Muränen, Schollen, Flundern... Krodilen so groß wie die Eiserne Sau* und mit Rattenschwänzen; Einhörner mit zwei und mehr Hörnern, Stockfische mit und ohne Stock...

    Es war ein buntes Volk, dass sich durch die Gassen der Hafenstadt schob.

    Vor einer Verkaufsbude mit gerösteten Maronen blieben wir stehen, denn den Magister, der sich vom Acephalen immer mehr zum Gastrophilen** entwickelte, hungerte es schon wieder. Einer der Wartenden, ein Nasenaffe, der stark aus der Nase roch (denn diese Leute leiden häufig unter Stinknasen), drehte sich zu mir um und fragte: „Ihrguten Leute, habt Ihr ihn schon gesehen? Habt Ihr ihn schon gesehen?“ – „Wen?“, fragte ich zurück.“ – „Na den!“ – „Wer ist der?“ – „Der Einzige und Größte von allen.“ – „Zum Teufel, nein, wir sind ihm noch nicht begegnet.“ – „Leute, habt ihr das gehört!“, rief die Stinknase, „dieser Mensch behauptet, er habe ihn noch nicht gesehen!“ Ein unwilliges Raunen ging durch die Menge. „Wie ist das möglich?“, riefen einige. –

    „Potz Blitz!“, sagte der Magister, in der Hand den Hut voller gerösteter Maronen, „hmpf... ich glaube... schmatz... sie meinen den Papst.“ – „Nein, nicht den Papst!“, schrie einer, „sondern den, der da ist!“ – „Nach unserer heiligen Lehre“, rief ich zurück, „ist der, der da ist, kein anderer als Gott, wie er sich Moses°° offenbarte. Gott aber können wir sicherlich nicht sehen, denn er ist leiblichen Augen nicht sichtbar. Also sagt bitte, wenn es weder Gott noch der Papst ist, wen meint Ihr?“ – „Wir reden nicht von dem Gott, der im Himmel ist, wir reden von dem Gott auf Erden“, kam es ruppig zurück, „sagt, habt Ihr ihn wirklich noch nicht gesehen?“ – „Potz Tod“, zischte Kopf, „hätte nicht übel Lust, dem Kerl die Rotznase einzuschlagen!“ Laut sagte er: „Also wer ist es?“

    Ein älterer Halbaffe mischte sich ein, offenbar ein Advokat, denn sein Gewand war mit Disputen, Zitaten, Einlassungen, Rechtskniffen, Vertagungen, Gebührentabellen behängt. Er nahm mich beiseite und sagte: „Mit diesen Leuten ist nicht zu reden, sie denken mit der Blase und nicht mit dem Hirn. Wenn es Euch recht ist, gehen wir ein Stück des Weges, und ich erkläre Euch, wen sie meinen.“

    Nachdem wir ein ruhiges Plätzchen gefunden hatten, erklärte der Advokat: „Diese Leute sind so vernarrt in den Fantastischen, dass sie ihm nicht nur den Hintern lecken, sondern auch noch die... ähem... küssen würden. Sie können sich nicht vorstellen, dass es Leute auf der Welt gibt, die ihn nicht mögen und meinen, wer ihn nicht gesehen hat, hat sein Leben verfehlt.“

    „Ei“, rief Knalli, „wer ist es denn nun?“

    „Unser König, Fantasticus I.“

    „Aha! Den das Volk so liebt, dass es ihm... ähem –“

    „Nicht das gesamte... einige halten ihn für einen Narren und würden ihn gerne zum Mond schießen.“

    „Und Ihr? Liebt Ihr Euren König?“

    Der Advokat klatschte begeistert in die Hände. „Er ist, ha!, der tapferste und, ha! der mutigste und, ha! der fleißigste, ehrlichste, größte, kurz, der fantastischste, ha! König, den wir je hatten. Warum sollte ich ihn nicht lieben?“

    Seine Begeisterung klang in meinen Ohren etwas zu laut, um echt zu sein.

    „Wenn ihn das Volk so liebt“, sagte ich, „dann ist er bestimmt doch ein weiser Herrscher, dem das Wohl seines Volkes über alles geht.“

    „Das zu zeigen hatte er noch keine Gelegenheit, denn er ist erst drei Monate im Amt.“

    „Wie, was, ist er denn nicht schon seit seiner Geburt König?“

    „Keineswegs! Er ist ein König auf Zeit.“

    „Euer König wird nicht von Gott auf Lebenszeit eingesetzt?“

    „Genau so ist es.“

    „Ach! Und wer setzt ihn ein?“

    „Das Volk der Affeninsel.“

    Ich muss ziemlich dumm dreingeschaut haben, denn der Halbaffe lächelte nachsichtig. „Lieber Herr, unser Staat ist eine Angelegenheit des Volkes, nicht Gottes!“

    „Aber sagt doch, diese Leute, die den König einsetzen, werden doch sicherlich von Gott geleitet!“

    „Sicherlich!“ Er ließ ein krächzendes Gelächter hören. „Herr, seid Ihr ein Mönch oder ein Priester, dass Ihr ständig von Gott redet? Diese Wahlmänner sind alle brav, rechtschaffen und gottesfürchtig und werden aus einer großen Schar von Bewerbern vom Volk gewählt. Wer die meisten Striche auf seinem Kerbholz verzeichnen kann, der wird einer. Das war schon immer so und hängt mit unseren Dekreten zusammen, mehr kann ich dazu nicht sagen.“

    Jetzt verstand ich garnichts mehr, außer, dass dieser Mann ein Ketzer war.

    Kopf, der abseits zwei niedliche Rhesusäffinnen betrachtete, die Hand in Hand vor ihm auf und ab spazierten, trat hinzu.

    „Hmm... mampf... schluck... köstlich, köstlich... Äh, worum geht´s denn gerade?“

    „Dieser Herr hat mich gerade über den König dieser Insel aufgeklärt. Ihr werdet es nicht glauben –“

    „Soso, aufgeklärt...ähem... Lieber Herr, wir würden gerne den Palast Eures Königs besichtigen. Vielleicht lädt er uns ja zu einem kleinen Umtrunk ein. Wisst Ihr, wie man dahin kommt?“

    „Ihr meint die Weiße Burg? Das ist weit weg von hier, denn dies ist ein großes Land. Ich bin gerade auf dem Weg dorthin und würde Euch gerne mitnehmen, allein die Beschränktheit meiner Mittel erlaubt es nicht.“

    Es stellte sich heraus, dass der Reisewagen des Herrn Ararat für fünf Personen zu klein war, und er riet uns dringend ab, die Reise auf eigene Faust und ohne Bedeckung zu wagen, denn auf dem Weg dahin kämen wir durch das Land der Xenophoben°, die mit tödlich vergifteten Pfeilen auf alles schossen, was ihnen fremdartig erscheine.

    Enttäuscht kehrten wir aufs Schiff zurück, wo Gerlind schon mit dem Essen wartete.

    _________

    + Marktstände. ++ Ein Feinschmecker im alte Rom. # 1317 * Ein feuerspeiendes Geschütz. ** Freund des Magens. ° Fremdenhasser. °° 2. Mos. III, 14.

    Forts. folgt

  • Hallo McFee,

    Entschuldigung ist angenommen (auch wenn ein kleiner Teil meines Gehirns noch immer zu ergründen versucht, was du mit deinem Spruch sagen wolltest und wessen Kopf dann gemeint war, wenn es nicht auf meinen Kopf bezogen war :hmm: ) Aber egal, Schwamm drüber. :)

    Das ist ein Spoiler ^^

    Bei dem hier:

    Du wirst sicherlich festgestellt haben, dass viele Kapitel Anspielungen auf Zu- und Missstände unserer Zeit enthalten. Das mit dem grünen Apfel, da ist doch die Fa. Apple gemeint!

    muss ich gestehen - nein, das habe ich nicht. Dieser Groschen ist nicht gefallen und ich überlege gerade, welche Andeutungen da noch so enthalten sein konnten, die ich nicht gerafft habe. Will sagen: Die ich so gelesen habe, wie sie geschrieben wurden, ohne einen tieferen Sinn auch nur zu erahnen.

    So, dann will ich mal den neuen Abschnitt lesen, besser die beiden.

    Nur nochmal ganz kurz: EIN Abschnitt würde mir völlig reichen, das hatte ich ja schon mal geschrieben. Der erste hat ca. 1200 Wörter und dein zweiter 1300. Warum bringst du sie nicht einzeln? Ich würde es verstehen, wenn jemand von deinen Lesern sagen würde: Ich will so viel wie möglich so schnell wie möglich lesen. Ansonsten - bitte nimm dir (und gib mir :P ) Zeit. Und jedem Abenteuer von Mundburt Gelegenheit, für sich zu wirken.

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

    ___________________

  • Hallo Tariq,

    ich komme gerade aus einem entfernten (Bundes)Land zurück, deshalb antworte ich erst jetzt.

    Zunächst zu diesem verdammten Spruch. Ich las ihn in der Zeitung, fand ihn geistreich und wollte ihn einer ebenfalls geistreichen Leserschaft nicht vorenthalten. Das war es. Dabei ist er durchaus doppeldeutig, dieser Spruch. Unter gewissen Bedingungen klingt auch der Kopf eines Genies, also etwa deiner oder meiner, durchaus hohl, wie folgender kleine Versuch zeigt. Drücke eine schwingende Stimmgabel fest auf deine Schädeldecke, öffne den Mund - und du hörst einen verstärkten Ton. Der Schädel, aus welchem Grund auch immer, wirkt wie ein Resonanzkörper analog zum Corpus etwa einer Geige. Es muss also nicht unbedingt ein Buch sein... Und obwohl Geigen bekanntlich hohl sind, kann man aus ihnen die wunderbarsten Weisen hervorzaubern. Unter diesem Gesichtspunkt wäre ein hohler Kopf nicht allemal ein Makel...

    Zu den verdeckten Anspielungen... Mit dem Apfel wollte ich auf die Elektronikbesessenheit vieler Leute hinweisen, die ja gesundheitsmäßig nicht unproblematisch ist. Damit man die nächste, der Ober-Affe in der Weißen (!) Burg, besser erkennt, liefere ich dazu sein naturgetreues Konterfei.

    Ich würde es verstehen, wenn jemand von deinen Lesern sagen würde: Ich will so viel wie möglich so schnell wie möglich lesen.

    Wäre mir nicht unangenehm.

    Ansonsten - bitte nimm dir (und gib mir :P ) Zeit. Und jedem Abenteuer von Mundburt Gelegenheit, für sich zu wirken.

    Okay, okay! Nur, in der nächsten Zeit bin ich immer wieder wochenlang offline, und da denke ich, niemad ist gezwungen, alles auf einmal zu lesen.

    LG: McFee

  • Der Magister erklärt den Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten König.

    „Würde zu gerne wissen“, grunzte Knalli, der geräuschvoll eine Auster schlürfte und mit einer halben Kanne Burgunder nachspülte, „was König Ratzeputz, hmm, zu diesem, äh, Königtum auf Zeit sagen würde. Ich bin mir, hmm, fast sicher, es würde ihm nicht schmecken.“

    „Aber Euch schmecken die Austern, wie man hört“, feixte Gerlind.

    „Wie? Hmm, nun ja, äh, da sag ich nicht nein.“ Die leere Austernschale knallte in den Eimer.

    „Und was meint Ihr“, fragte ich; „warum würde es ihm nicht schmecken?“

    „Hmm, nun ja, schlürf, ich denke – nun was denke ich? Nun ja, ich denke, äh, gleich, nur diese noch... so das hätten wir... Ich denke, diese Wa... Wa... äh... ach... rülps... diese Wah..., äh, na –“

    „Wahlmänner.“

    „Ah ja, genau die meine ich... diese Wahlmänner, puh, würden ihm nicht behagen, denn er ist es nicht gewohnt, sich von jemandem etwas sagen zu lassen, noch dazu von jemandem aus dem Volke, auf das er, äh, Pardon, scheißt, und das müsste er, bah, sonst würden sie ihn nicht wieder wählen. Seine, äh, Minister sind dazu da, ihm die Zeit zu verkürzen, indem er mit ihnen zecht und raue Späße treibt, bis sie umfallen. Ich kann ein Lied davon singen.“

    „Wahlmänner sind keine Minister“, sagte Kopf, der an einem Hühnerbein herumnagte, „sollte Fantasticus nicht auf seine Minister hören, dann ist er genau so ein Narr wie Patzeputz und versündigt sich an seinem Volk.“

    „Wo wir gerade bei dem Thema sind“, warf ich ein, „was ist eigentlich Demokratie?“

    Der Magister warf den Knochen in den Eimer, wischte sich den Mund und legte los. „Das Wesen der demokratischen Staatsbeherrschungsform besteht darin, dass die Staatsgewalt verfassungsmäßig der Gesamtheit der Staatsangehörigen zusteht. Das Königtum bedeutet die Fürstensouveränität, die Demokratie die Volkssouveränität. Wenn es dann zur Wahrheit wird, dass die Tugend für das politische Leben des Volks und seiner Vertreter als Maxime anerkannt wird – –“

    Wir blickten den Magister verblüfft an. „Woher habt Ihr das denn nun schon wieder“, sagte Gerlind.

    Kopf sah sie böse an.

    „Jungfer, unterbrecht mich gefälligst nicht! Die Tugend besteht darin, dass der vom Volk gewählte Repräsentant der Macht den Rat weiser Männer annimmt, um Entartungen zu vermeiden. Das beste Beispiel für einen entarteten Souverän ist dieser König Ratzeputz, der seine von Gott gegebene Gewalt für Narreteien und üble Possen missbraucht. Ähnliches, denke ich, gilt für König Fantasticus, wenn er den Rat weiser Männer verwirft und nur das Wohl seines Standes verfolgt. Ergo ist er ein Narr, auch wenn er, wie man hört, als Handelsherr nicht erfolglos ist.“

    „Ein reicher Narr ist allemal besser als ein armer Weiser“, murmelte Gerlind.

    „Aber er kann, wenn ich das richtig sehe“, warf Knalli zwischen zwei Austern ein, „wenn er ein zu böses Spiel treibt, abgesetzt werden, im Gegensatz zu Ratzeputz, den das Volk ertragen muss, bis er zur Hölle fährt.“

    „Deshalb“, erwiderte der Magister und griff nach der Salatschüssel, „halte ich die – hmpf – das demokratische Königtum dem Gottesgnadentum überlegen, denn nach diesem ist auch derjenige Fürst, der mordet, brennt, raubt, notzüchtigt, äh... von Gott eingesetzt und kein Teufel im Kleid eines Fürsten, sondern eine Gottesgeißel, die ertragen werden muss als Strafe für vergangene, gegenwärtige und zukünftige Sünden.“

    „Ihr seid ein Ketzer“, sagte ich.

    „Nein, ein Querkopf, und im Denken der Zeit voraus. Deshalb interessiert mich dieser Fantasticus, auch wenn er ein Narr sein sollte. Auch Narren reden manchmal wahr. Würde ihn brennend gern mal aus der Nähe sehen.“

    „Hätte auch nichts dagegen, mir diesen seltsamen Vogel mal anzuschauen“, sagte ich, „auch wenn ich meinem eigentlichen Ziel dann entfernter wäre als je zuvor. Nur wie kommen wir dahin, ohne von den wilden Xenophoben aufgespießt zu werden?“

    „Und einem wildfremden Fuhrmann würde ich mich erst recht nicht anvertrauen“, meinte Knalli. „Schätze mal, wir kämen lebend keine zehn Meilen weit.“

    Tja, das war ein Problem, auf das niemand eine Antwort wusste.

    Ich ging ins Hinterschiff und setzte mich vor den Käfig mit dem Zeisig, der unbeschwert vor sich hin zwitscherte:

    Wit – wit – wit – towi – wit – wit – wit – swante – swante – wit – wit – wit...

    Dabei hüpfte das Tierchen aufgeregt herum und sah mich erst mit dem einen, dann mit dem anderen Auge an. Und weiter ging es:

    Wit – wit – wit – swantowit – wit – wit – wit – swantowit – wit – wit – wit – swantowit...

    Swantowit? Das Wort kam so deutlich, als spräche aus dem Vogel ein geistvolles Wesen. Nun erinnerte ich mich an die Worte des Großmeisters, als er mir den Käfig übergab: Der Zeisig, hatte er gesagt, verfüge über geheime Kräfte, welche, das würde ich schon merken.

    Ich ging zurück in die Kombüse, wo Kopf und Knalli gerade beim Nachtisch saßen, Gerlind wusch ab.

    „Herr Magister“, sagte ich, „Ihr seid doch ein gelehrtes Haus. Sagt Euch der Name Swantowit etwas?“

    „Aber ja doch! Swantowit oder Swantewit ist ein vierköpfiger slawischer Sonnengott, nach den vier Weltgegenden blickend, seine Zeichen sind Bogen und Füllhorn, das beim Erntefest mit Met gefüllt wird. Aus dem Rest, der vom vorigen Jahr übrig bleibt, schließt man auf eine gute oder schlechte Ernte. Sein Tempel stand zu Arkona auf Rügen und war für seinen Reichtum berühmt. Anno 1168 wurde er von König Waldemar I. zerstört. “

    „Woher nehmt Ihr diese Weisheiten?“, fragte Gerlind, „wenn ich Euch so reden höre, könnte ich meinen, Ihr stammt von einem anderen Stern.“

    „Als ich noch den Kopf unter dem Arm trug, habe ich ihn mir, da er zum Essen unbrauchbar war, mit allen möglichen Wissenschaften vollgestopft, die jetzt wieder, durch die aufgenommene Nahrung verdrängt, heraus kommen.“

    „Ich gehe nochmal von Bord“, sagte ich, „bin gleich wieder zurück!“

    Mundburt besucht den Tempel des Gehörnten Gottes.

    Ich fragte einen Schiffsjunge, ein drolliges kleines Rhesusäffchen, ob er mich für einen halben Pfennig zu dem Haus mit dem Horn führen wolle.

    „Ihr meint den Tempel des gehörnten Gottes in der Oberstadt?“, piepste er und hielt die Hand auf. Ich gab ihm seinen Lohn, und wir gingen los.

    Ich hatte mich also nicht getäuscht. Der Zeisig – oder richtiger, das Orakel, das aus ihm sprach, hatte mir eine Botschaft zukommen lassen, und, obgleich Zeit und Ort nicht stimmten – für ein Orakel, wie ihr wisst, meine Lieben, nichts Ungewöhnliches – wäre ich ein ausgemachter Narr gewesen, nicht darauf zu hören.

    Der Kleine führte mich durch ein Gewirr von lärmenden Plätzen und übel riechenden Gassen; schließlich standen wir vor einer steilen Treppe. „Geht nur hinauf“, sagte er, „den Tempel könnt Ihr nicht verfehlen.“

    Über die letzte Stiege hinweg gelangte ich zu einem palastartigen Gebäude im dorischen Stil, neben dessen Eingang zwei steinerne Tempelwächter mit glühenden Piken und abweisenden Gesichtern standen. Zwei Füllhörner aus feinem Jaspis zierten das Tor; darüber spannte sich ein in allen Farben schillernder Regenbogen. Die beiden Torflügel waren aus korinthischem Erz gegossen, massiv, mit kleinen Vignetten versehen, auf denen Menschen und Tiere, eng ineinander verschlungen, dionysische Feste feierten. Ohne dass irgend ein Schloss, Riegel oder Band zu sehen gewesen wäre, waren die Türflügel nahtlos ineinander gefügt. Ich suchte nach einem Türklopfer oder Glockenzug, doch nichts dergleichen fand ich, nur einen Spruch auf einer Tafel:

    Bonus intra, melior exi*.

    Nachdem ich diesen Spruch gelesen hatte, öffnete sich das Tor, und eine Stimme rief:

    „Ist deine Seele rein,

    dann tritt ruhig ein,

    beschwert dein Herz ein falsches Wort,

    dann gehe wieder fort.“

    Holla! Natürlich war meine Seele rein, denn welcher Untat sollte mich jemand bezichtigen? Und ich konnte mich nicht entsinnen, jemals ein falsches Wort gesprochen zu haben. Also trat ich ein – und wurde sofort von der Pracht des Tempels gefangen. Fasziniert betrachtete ich die wundervolle Täfelung, die aus lauter kleinen Feldern mit polierten Edelsteinen zusammengesetzt war. So bestand das eine aus rot gebändertem Heliotrop, ein anderes aus Almandin mit schwarzem Glimmer, Steinmark und Dichroit, ein drittes aus Porphyr, mit feinen Goldpünktchen dicht besät, ein viertes aus schön geflecktem grünem Jaspis – und jedes Feld war in Gold gefasst.

    Vielleicht noch köstlicher war der Boden gestaltet. Er war aus kleinen bunten Steinen zusammengesetzt, sah aus, als ob Weinranken mit nachlässiger Hand dahin gestreut wären; gar wunderbar zeigte sich in dem halben Dämmerlicht die verschiedensten Tiere und Fabelwesen, die an Trauben herumkrochen, geschwänzte, gehörnte, geflügelte Wesen, halb Mensch, halb Tier. Dazwischen, in teilweise realistischer Darstellung, die fünfzehn Freuden des Ehestandes.

    Weiterhin stellten die Mosaike Bacchus** dar, wie er gegen die Arimaspier°° zu Felde zog. Er saß auf einem prächtigen Wagen, der von drei Joch schwarzer Panter gezogen wurde. Sein Antlitz war das eines Kindes und rosig wie das eines Cherubs°, sein Haupt, mit spitzen Hörnern versehen, umrankte ein üppiger Kranz von Weinlaub, an den Füßen trug er goldene Stiefel. Umgeben war er von einer Schar halbnackter Bauernbengel, die unaufhörlich und mir singenden Mündern tanzten und Hörner und Schwänze wie Ziegenböcke besaßen, sowie von einem Rudel trunkener Bacchantinnen, wilde, rasende wutentbrannte Weiber, die als Gürtel feuerspeiende Drachen und züngelnde Schlangen um den Leib geschlungen trugen.

    Weiterhin sah ich das Heer der Einäugigen, die endlich, aber zu spät bemerkten, dass Bacchus ihr Land verwüstete. Wo das Bild anfing sah ich Schlösser, Städte, Dörfer, Burgen in Flammen stehen, dazu viele rasende, wütende, sich unbändig gebärdende dunkle Gestalten, die lebende Kälber, Schafe und Lämmer zerrissen und das Fleisch verschlangen. Vornan standen Kriegselefanten, mit Türmen auf den Rücken, die mit unzähligem Kriegsvolk besetzt waren. Aber das ganze Heer war in Auflösung, denn die Elefanten, vom fürchterlichen Lärm der Bacchantinnen verwirrt und von panischem Schrecken ergriffen, wandten sich gegen die eigenen Truppen und stürmten über sie hinweg.

    Weiterhin war da Pan auf seinen krummen Beinen, der um die Elefanten herumsprang und die Krieger mit seiner Bauernflöte in heillosen Schrecken stürzte; ferner sah ich Silen, Bacchus´ verlässlichen Mitzecher und Vertrauten; er ritt auf einem Eselhengst und hieb ihm die Hacken in die Weichen, wobei er mit seinem Stab gute kräftige Fechthiebe austeilte; sah, wie der Esel mit weit aufgerissenem Maul und funkensprühenden Augen sein Ihh-Ahhh zum Angriff blies.

    So hatte Jupiters Sohn leichtes Spiel, dieses Volk zu verwirren und zu besiegen, das, geblendet durch dessen jugendliche und ständig betrunkene Erscheinung, es nicht für nötig gehalten hatten, sich ihm rechtzeitig entgegenzustellen. Bacchus stand auf dem Siegeswagen, der jetzt von einem Gespann erbeuteter Elefanten gezogen wurde, und trank aus einem großen Henkelkrug. Er war über und über mit attischen Lorbeer bedeckt und mit Efeu bekränzt; auch die Schwerter, Schilde, Pauken, Signalhörner waren damit umwunden; sogar Silens Esel hatte seinen Kranz.

    Neben dem Wagen gingen die gefangenen Könige, dreihundertfünfundsechzig an der Zahl, mit schweren goldenem Ketten beladen, von jungen Satyrn und Faunen verhöhnt und verlacht. Die Sieger schritten dahin mit göttlichem Gepränge, in unaussprechlicher Lust und Freude, unzählige Trophäen, Fahnen und Standarten schwenkend, die sie auf dem Schlachtfeld eingesammelt hatten. Zuletzt kamen die Tiere des Landes, Krokodile, Affen, Ibisse, Kolibris, Elefanten, Flusspferde und anderes landeseigentümliches Getier.

    Weiterhin sah ich einen kleinen, zitternden, gekrümmten, feuergesichtigen Greis, in ein gelbes Gewand gekleidet, halb Mensch, halb Affe, mit einem gewaltigen Bauch, großen, abstehenden Ohren, spitzer Nase und großen, glänzenden Augen. Es saß auf einem phrygischen Stier aus Gold, einen Stab in der Hand, mit dem er, sich darauf stützend, abstieg und auf mich zukam.

    „Willkommen, mein Sohn!“, rief er (was mir jetzt ziemlich albern vorkommt, denn der „Sohn“ war mindestens doppelt so groß wie der „Vater“), „ich habe dich schon erwartet! Ich bin der Aeditus# dieses Tempels und habe Weisung, deinen Wusch zu erfüllen.“

    Ich benötigte eine Weile, um in die Wirklichkeit zurück zu gelangen. „Von.. von welchem Wunsch sprecht Ihr, Vater?“, stotterte ich.

    Der Alte blitze mich böse an. „Stelle gefälligst keine Fragen, deren Antwort du weißt! Verstellung ist diesen heiligen Hallen unwürdig, und deiner auch.“

    Ich bat um Verzeihung, und der Aeditus erklärte, er könne eine Reise zur Weißen Burg ermöglichen, allerdings unter einer Bedingung, die mir, indem ich sie vernahm, sofort Bauchschmerzen bereitete. Doch Einwände waren nicht möglich, denn ehe ich mich´s versah, stand ich wieder draußen, und, ihr könnt es glauben oder nicht, die Gegend schien mir völlig verändert. Wo ich auch suchte und forschte, ich fand die Treppe nicht. Hilfesuchend drehte ich mich zum Tempel um, doch seine Mauern waren kalt und abweisend, die Wachen mit ihren flammenden Spießen glotzten mich blöde an, das Tor nahtlos verschlossen. Da hörte ich von oben ein kleines, kindliches Lachen; ich blickte hoch und gewahrte den Schiffsbengel, der auf einem Dach hockte und die Hand aufhielt: Der nächste halbe Pfennig war fällig. Ich muss zugeben, der Handel war nicht unehrlich, denn der Rückweg war ja noch nicht bezahlt.

    _________

    * Tritt gut ein, geh besser aus. ** Gott des Weines, der Trinker. ° Womit angezeigt werden soll, dass echte Zecher nicht altern. °° Sagenhaftes einäugiges Volk der Antike. # Tempeldiener.

    Forts. folgt

  • Der Magister macht eine furchtbare Entdeckung.

    Indem ich mich dem Schiff näherte, hörte ich: „Ich skisiere mich!“ – „Bild!“ – „Skis!“ – „Top!“ – „Drei Könige und der Skis macht die Kavallerie!“ – „Lege Skat!“ – „Dann her mit dem Laton!“ – „Melde Vole und ultimiere!“ – „Ha, Jungfer, das habt Ihr Euch so gedacht! Der Skis sticht nicht!“

    Es war nicht zu überhören, meine drei saßen beim Tarock.

    Als ich die Kombüse betrat, blickte mich Gerlind verzweifelt an. „Mundburt, dieses Spiel werde ich nie begreifen!“

    „Alles eine Sache der Übung, mein Täubchen“, säuselte ich. Zum Magister, der gerade einen Haufen Karten sortierte: „Lieber Herr, Ihr lagt wieder einmal richtig, allerdings nur fast. Es gibt hier tatsächlich einen Tempel, der einem Gott mit Horn geweiht ist, nur ist es nicht der Sonnengott Swantewit, denn der existiert ja nicht mehr, sondern der gehörnte Saufgott Bacchus.“ In die verdutzten Gesichter hinein erklärte ich: „Wie ich darauf kam, sage ich Euch später einmal. Jetzt zunächst das Wichtige: In diesem Tempel gibt es einen Diener, ein Greis von mindestens fünfhundert Jahren, der mir eine angenehme Reise zur Weißen Burg des Königs versprach. Allerdings knüpfte er das Angebot an eine Bedingung.“

    Ich schwieg.

    „Nun redet schon!“, riefen alle.

    „Na dann. Vorher, sagte mir dieser Affenmensch, müssten wir ein Trinkgelage absolvieren, denn in nüchternem Zustand sei der Anblick des Fantastischen nicht zu ertragen.“

    Die Reaktionen der drei konnten unterschiedlicher nicht sein. Gerlind lehnte sofort ab: „Was ist denn an einem Saufgelage angenehm?“ Kopf war hocherfreut, und Knalli –

    „Meine Lieben“, sagte er, „ich steige aus. Ein Saufgelage kommt für mich nicht mehr infrage, habe bei Ratzeputz zu viele erleiden müssen, sodass ich bei weiteren Veranstaltungen dieser Art um meine Gesundheit fürchten muss. Wollte sowieso auf dieser Insel Asyl beantragen. Habt Dank für Eure Gastfreundschaft, Ihr wart mir eine angenehme Gesellschaft, und ich werde immer mit den heitersten Gefühlen an Euch denken.“

    Nur mit Mühe ließ er sich dazu bewegen, noch so lange auf dem Schiff zu bleiben und die Tiere zu versorgen, bis wir wieder zurück wären.

    Noch mehr Überredungskunst erforderte allerdings Gerlind. Schließlich brach ich ihren Widerstand, indem ich ihr sagte, sie müsse ja nicht wirklich trinken, sondern nur so tun und den Wein in unbeobachteten Momenten in die Blumen schütten.

    Nachdem das erledigt war, setzte ich mich vor den Käfig; vielleicht hatte der Zeisig ja noch eine Nachricht für mich. Doch der hatte den Kopf unten einen Flügel gesteckt und schlief.

    Am anderen Morgen, nach reichlichem Frühstück, machten wir uns auf den Weg. Wieder stand der Kleine da und hielt die Hand auf, doch ich lehnte ab; schließlich war ich den Weg zweimal gegangen und bildete mir ein, ihn zu kennen. Doch schon nach hundert Schritten standen wir vor einer Mauer; ich wandte mich nach rechts – wieder eine Mauer – nach links, die Gasse war eng und endlos gewunden. Als wir ihr Ende erreichten, lag vor uns das Schiff. Aus einem Hauseingang sprang kichernd der Kleine hervor und hielt mir die Hand hin.

    „Du Satansbraten!“, rief ich, „welch ein Spiel wird hier gespielt, he?“ Es war nur zu deutlich: Der Aeditus, der Zeisig und dieser Lümmel steckten unter einer Decke. Doch der ließ nur sein kleines Lachen hören; ich gab ihm einen Pfennig und befahl ihm, als wir unser Ziel erreicht hatten, zum Rückweg ja rechtzeitig zur Stelle zu sein.

    Diesmal empfing uns nicht der Aeditus, sondern – Bacchus persönlich, gehörnt, weinlaubumrankt, mit feuerrotem Gesicht (allerdings, wie sich später herausstellte, nicht vom Wein, sondern vom Zorn), den Trinkbecher schwenkend, neben ihm zwei reizende Quellnymphen mit gefüllten Krügen, bereit, ihm nachzuschenken (allerdings, wie sich später herausstellte, Wasser statt Wein). Vor ihm saß wie ein kleines verschrumpeltes Äffchen sein Adlatus Silen.

    „Ich fahr freiwillig zur Hölle!“, polterte Kopf, auf Silen deutend, „wenn das nicht der Kleine von vorhin ist!“ Er war´s, denn wieder hielt er mir grinsend die Hand hin. Hätte es mir auch denken können, dass die Reise nicht kostenlos war. Doch noch ehe ich ihn nach dem Preis fragen konnte, trat eine Priesterin mit ihrem Gefolge herzu und führte uns in die Mitte des Tempels, wo sich eine sprudelnde Quelle befand.

    Ich kann es mir nicht versagen, diese Quelle zu beschreiben, denn ihre Umfassung war von so kostbarem Material und so herrlicher Arbeit, wie ihr es euch in euren kühnsten Träumen nicht vorstellen könnt.

    Nach außen hin besaß das Becken die Form eines Siebenecks, innen war es vollkommen rund. Auf jeder Ecke erhob sich eine geriefte Säule, insgesamt sieben, gemäß der Anzahl der Ecken. Die erste Säule bestand ganz aus himmlischem, azurnem Saphir; die zweite aus Hyazinth von der Farbe der Blume, in die das zornige Blut des Ajax verwandelt wurde; die dritte aus schmerzstillendem Diamant, leuchtend und blendend wie ein Blitzstrahl; die vierte aus männlichem Ballas*, amethistartig schillernd und ins Purpurviolette spielend; die fünfte aus durchsichtigem Mondstein, weiß und glänzend wie Honig; die sechste aus heiterem, in verschiedenen Lichtern und Farben spielendem Achat; die siebente endlich aus ägyptischem Serapis.

    Die Säulen trugen eine Kuppel aus phegitischem Stein**, so rein, durchsichtig und glatt, so ohne Adern, Trübungen, Wolken oder Flecken, dass wir in helle Bewunderung ausbrachen. An den Rändern der Kuppel, genau über den Säulen, waren die sieben Planeten dargestellt. Da war zunächst eine sehr kostbares Bildnis des Saturn, wie er die Sense in der Hand hält; ihm zu Füßen ein goldener Kranich. Über der zweiten Säule links stand Jupiter, einen emaillierten Adler auf der Brust; über der dritten, einen Löwen zu seinen Füßen, Mars; die fünfte zeigte Venus, ganz aus rotem Kupfer getrieben; über der sechsten Merkur in Gestalt eines Schwans; über der siebenten, aus obriziertem° Silber, erschien Luna, auf einer Sichel stehend.

    Auf der Spitze der Kuppel, gerade über der Quelle, sah man die Blüte einer Lilie aus hauchzartem gefärbten Glas, schimmernd wie ein Tautropfen in der Morgensonne. Aus ihrem Blütenkelch ragte, groß wie ein Straußenei, ein geschliffener Karfunkel hervor von solcher Vollkommenheit und solchem Glanz, dass wir, geblendet von seiner Kraft, kaum wagten, ihn anzublicken. Denn noch gewaltiger als das Feuer der Sonne und der Strahl des Blitzes kam er uns vor.

    Die Quelle selbst ergoss sich raunend und flüsternd in die Schalen zweier rosiger Perlmuscheln; indem wir sie betrachteten, stellten wir fest, dass die ausströmende Flüssigkeit klar und rein wie Wasser war.

    Als die Priesterin meinte, wir hätten uns satt gesehen, befahl sie ihren Frauen, uns Humpen, Becher und Trinkschalen aus Gold zu reichen, und forderte uns auf, von der Quelle zu trinken. Wir schöpften und tranken – da polterte der Magister los: „Potz Blitz, das ist ja Wasser! Soll ich etwa Wasser trinken? Wozu denn dieser ganze Glitzerkram?“ Dabei blickte er mich an, als hätte ich ihm zehn Brunnenteufel auf den Hals gehetzt.

    „Mäßigt Euch“, zischte ich, „der Aeditus hat Trink-, nicht Saufgelage gesagt. Zum Teufel, Ihr haltet das Maul und trinkt jetzt!“

    Als wir getrunken hatten, fragte uns die Priesterin, wie uns das Wasser geschmeckt habe. „Oh“, erwiderte ich, „das ist ein recht schönes, frisches Quellwasser, reiner noch und schmackhafter als das Wasser, das die Liebesgöttin Venus zum Bad benutzt, und von dessen Schönheit, Klarheit und Frische mitten im Sommer schon Alexander auf dem Weg nach Indien schwärmte. Aber, mein teure Tempelfee, wie kann es sein, dass Bacchus neuerdings Wasser ausschenkt? Ist er nicht von Alters her ein Liebhaber des Weines?“

    „Der Fantastische will es so“, war die barsche Antwort, „und vor dem Fantastischen verneigen sich sogar die Götter!“

    Indem ich diese Worte vernahm, überfiel mich eine große Müdigkeit; ich sah noch, wie Kopf und Gerlind in die Arme zweier Vestalinnen sanken, auch ich fühlte mich von hinten umfasst, dann spürte ich nichts mehr.

    ___________

    * Blassroter Rubin. ** Marienglas. ° Ganz reinem.

    Mundburt erfährt den Grund, warum es nur Papa- aber keine Mamageien gibt.

    Als ich erwachte, befand ich mich in einer Höhle, deren Wände ganz aus grünlich schimmernden Kristall bestand. Neben mir entdeckte ich Kopf und Gerlind, die bewegungslos aber mit wachen Augen auf den Aeditus starrten, der auf dem Bug des Nachen hockte. Auch sah ich drei silberne Delphine, die sich vor dem Schiff munter im Wasser tummelten.

    Der Aeditus klatschte in die Hände, die Delphine zogen die Seile straff, und ab ging die Fahrt hinaus auf einen breiten Fluss, dessen Ufer nur als schmale Striche zu erkennen waren, und auf dem Fahrzeuge aller Arten segelten.

    Eine Weile geschah nichts Bemerkenswertes, dann zog eine Schar großer lärmender Vögel über uns hinweg, von einer Art, wie sie ich noch nie gesehen hatte. Immer wieder wechselte ihr Gefieder die Farbe, und sie sangen und schrien, dass einem die Ohren rauschten. „Was sind das für Vögel?“, fragte ich.

    „Es sind Papageien“, antwortete der Tempeldiener, „auf der Suche nach Weibchen, aber sie finden keine. Aus Kummer darüber ziehen sie unstet im ganzen Land umher.“

    „Wie, sie finden keine? Wo sind denn die Weibchen?“

    „Die gibt es nicht, oder habt Ihr schon einmal von einem Mamagei gehört?“ .

    „Wenn ich ehrlich bin, nein. Aber, zum Henker, irgendwie müssen sie sich doch vermehren!“

    „Wie denn, wenn sie keine Eier legen? Es ist eine Eigentümlichkeit dieser Vögel, dass sie sich eierlos vermehren. Wie sie das anstellen, bleibt ihr Geheimnis. Das ist auch der Grund, warum es nur Papa- aber keine Mamageien gibt.“

    Ich blickte zu Kopf, denn der hatte ja immer eine passende Antwort parat. Doch der sah unbeteiligt ins Weite, ebenso Gerlind.

    „Was ist mit den beiden? Warum reagieren sie nicht?“

    „Bacchus hat sie gelähmt, zur Strafe, weil der Magister nicht trinken wollte und die Jungfer Wasser verschüttete. Keine Angst, mein Sohn, die Lähmung löst sich zu gegebener Zeit.“

    Allmählich wurde das Ufer flacher; der Wald trat zurück und machte ausgedehnten Grasfluren Platz. Auf einer Wiese stand eine Unzahl von Vogelkäfigen, aus denen aufgeregtes Zwitschern erklang. Dazwischen liefen Leute mit Fangnetzen herum.

    „In den Käfigen sind Zugvögel“, sagte der Aeditus. „Sie kommen aus anderen Weltgegenden zu uns her, teils aus einem sehr großen Land, das Ohnebrod heißt, teils aus einem andere, gegen Morgen gelegenen, das Garzefiel genannt wird. Aus diesen beiden Ländern fliegen sie uns jährlich scharenweise zu; dort verlassen sie Vater, Mutter und Verwandte, um zu uns zu kommen.“

    „Ein weit größerer Teil aber“, fuhr der Tempeldiener fort, „kommt aus Ohnebrod, das sehr groß ist und aus zweihundert Inseln besteht. Wenn die Bewohner dieses Landes in Not geraten, sei es durch Kriege, sei es durch Unwetter, und nichts zu essen haben, weil ehrbares Handwerk und ehrliche Kunst nicht möglich sind, oder wenn sie sich in ihrer Liebe getäuscht sehen, oder weil sie mit einer schweren Schuld beladen die Todesstrafe fürchten, so fliehen sie hierher. Hier finden sie ein gemächliches Leben und werden bald so feist wie Murmeltiere, während sie früher so mager waren wie Elstern.“

    „Kehren denn von diesen Zugvögeln niemals welche dahin zurück, woher sie gekommen sind?“

    „Doch, einige schon, aber die meisten bleiben hier, und viele versuchen den Käfigen zu entkommen, weil sie draußen Sicherheit, Freiheit und Straflosigkeit erhoffen. Doch der König hat angeordnet, sie wieder einzufangen und in die Käfige zurückzubringen.“

    Eine Weile glitten wir schweigend dahin. Ab und zu tauchte der glänzende Rücken eines der Delphine aus dem Wasser auf, und ich wunderte mich, welche Kraft und Ausdauer diese Geschöpfe Neptuns besaßen. Der Schiffsverkehr auf dem Fluss, der jetzt so breit war wie das Schwäbische Meer, wurde lebhafter. Anscheinend näherten wir uns einer bedeutenden Hafenstadt, denn in der Ferne tauchten mehrere himmelhohe Wohntürme auf. Die Schiffe waren schwer beladen mit Waren aller Art.

    „Ich denke gerade darüber nach“, sagte ich, „woher Ihr all diese guten, leckeren Bissen herbekommt, die ich auf dem Markt gesehen habe, und die Waren auf diesen Schiffen. Hier auf Eurer Insel sehe ich nur Kaufleute, Waffenfabrikanten, fahrendes Volk, Advokaten, von denen jeder sicherlich so viel frisst wie zehn Papageien, und viel müßiges Volk, aber niemand, scheint´s, pflügt und bebaut das Land. Sagt doch, Meister, wo liegt Euer Füllhorn, wo wohnen all die Landleute, die Euch ernähren?“

    „Sie sind über die gesamte übrige Welt verstreut.“

    Indem wir uns der Stadt näherten, tauchte über den Häusern eine weiße Kuppel auf, die von runden weißen Säulen getragen wurde, und die mir mächtiger noch erschien als die Kuppel des Petersdoms zu Rom. Wir fuhren in den Hafen ein, und bald standen wir am Fuße der Weißen Burg, vor der eine unüberschaubare Menge Volkes versammelt war.

    „Was wollen denn all diese Leute hier?“, fragte ich erstaunt.

    „Fantasticus I. hält eine Rede,“ antwortete der Aeditus.

    Eine Flügeltür über einem Altan öffnete sich, der König erschien, ein stattlicher Gorilla gesetzten Alters mit einer gelben Mütze auf dem Kopf, nebst seiner Gattin, einer zierlichen Pavianäffin mit feuerroten Arschwülsten, sowie weitere Affen und Papageien, die allesamt mit unbeweglichen Gesichtern über die Menge hinweg blickten.


    Forts. folgt

  • Hallo McFee

    Spoiler anzeigen

    Zum #88 habe ich nur eine Anmerkung:

    Weiterhin sah ich einen kleinen, zitternden, gekrümmten, feuergesichtigen Greis, in ein gelbes Gewand gekleidet, halb Mensch, halb Affe, mit einem gewaltigen Bauch, großen, abstehenden Ohren, spitzer Nase und großen, glänzenden Augen. Es saß auf einem phrygischen Stier aus Gold, einen Stab in der Hand, mit dem er, sich darauf stützend, abstieg und auf mich zukam.

    Du schwelgst förmlich in der Beschreibung des Bacchus-Tempels, um dann plötzlich - ohne Übergang - diesen Satz zu präsentieren. Es dauert einen Moment, bis ich begriffen hatte, dass das wirklich etwas Lebendiges war. Bis dahin hattest du ausschließlich Dinge beschrieben. Und nicht mal Mundburt selbst zeigt Verwunderung, dass sich da plötzlich was bewegt, denn dieser Satz:

    Ich benötigte eine Weile, um in die Wirklichkeit zurück zu gelangen.

    kommt für meinen Geschmack zu spät. Vorher lese ich noch die Rede des Greises und Mundburts amüsante Bemerkung im Geiste, die sich mit den Größenverhältnissen befasst. Hier ist er also schon in der Wirklichkeit und schlagfertig genug, solche Vergleiche zu ziehen.

    Im #98 hast du auch wieder so viel beschrieben, dass ich leider angefangen habe, darüber weg zu fliegen auf der Suche nach dem Beginn der Handlung. Du kannst wirklich supertoll beschreiben und ich bewundere deinen Wortschatz und deine Fähigkeit, das alles in so gut ausformulierte Sätze zu bringen.

    Aber mir persönlich ist es zu viel. Ich will gar nicht so detailliert wissen, wie Tempel und Brunnen aussehen. :) Und wenn dann noch Worte drin sind, die ich googeln muss oder deren Übersetzung ich erst am Ende des Textes finde (was ja scrollen während des Lesens erfordert), dann tue ich mich noch schwerer damit, alles zu lesen, anstatt es zu überfliegen.

    Es tut mir leid, dass ich heute nicht so viel Lob für dich habe. Angenehm aufgefallen ist mir, dass wir den Bereich unterhalb der Gürtellinie verlassen haben :rofl: und sich der Wortschatz wieder im (für mich) angenehmeren und unverfänglichen Deutsch finden lässt. :whistling:

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

    ___________________

  • Hei, Tariq,

    vielen Dank für dein Feedback.

    Du schwelgst förmlich in der Beschreibung des Bacchus-Tempels,

    ja, das ist das richtige Wort! Ich schwelgte! Indem ich ihn beschrieb, den Tempel, wuchs er vor meinem inneren Auge zu immer gewaltigeren Dimensionen, die Worte flogen mir zu, ich konnte sie nicht halten wie andere Leute ihr Wasser nicht, ich entschuldige mich damit, dass das Ergebnis keine Verbal-Inkontinenz ist, sondern ein Sprachfest. Ich weiß, ich weiß, es ist vielleicht nicht unbedingt das, was Leser in diesem Forum suchen, aber doch, vielleicht behagt´s ja dem einen oder der anderen zumindest ansatzweise. Und ich gelobe Besserung, schon deshalb, weil die Geschichte bald aus ist.

    kommt für meinen Geschmack zu spät.

    Stimmt. Müsste umgestellt werden.

    dass ich leider angefangen habe, darüber weg zu fliegen auf der Suche

    Gut, gut, gut! Ich mach´s genauso! Ich lese auch nicht alles, überfliege vieles, denn Erzähler erzählen nun mal gerne, einfach aus Erzählfreude, manches Mal auch am Leser vorbei. Natürlich darf es nicht zu viel werden, das ins Blaue Fabulieren. Das Dumme ist nur: Man muss viel gelesen haben, um zu erkennen, wieviel man nicht gelesen haben muss...

    Es tut mir leid, dass ich heute nicht so viel Lob für dich habe.

    Ach Tariq, wenn du wüsstest, wie oft dein Lob meine Fantasie immer wieder beflügelt hat! Und dein Lob war nie halbherzig, sondern immer wohl begründet! Und doch... Glaube mir, ich schreibe nicht des Lobes wegen, sondern in der Hoffnung, dass etwas von meiner Freude am Fabulieren in Freude bei den Lesenden übergeht. Dass sie ein paar vergnügliche Minuten haben. In diesen schlechten Zeiten (und irgendwie sind die Zeiten meist schlecht).

    LG, McFee

  • Mundburt hört eine Rede des größten Königs aller Zeiten und noch einiges mehr.

    Während der GröKaZ° seine Rede abließ – die im Wesentlichen darin bestand, dass er unter Beifallsstürmen seine Ruhmestaten immer wieder lobte – hatte ich Gelegenheit, ihn genauer zu betrachten. Hier sein getreues Konterfei:

    Sein Haar

    glich einer Schuhbürste,

    sein Kopf einem Destillierkolben,

    die Stirn einem Waschbrett,

    der Mund, der hurtig

    auf und zu ging, einer

    Ofenklappe,

    die Lippen zwei Schießbögen,

    die Zunge einer Raspel, das Gebiss, mit Eckzähne wie Fassbohrer, einem Fangeisen

    die Wangen einem paar Holzschuhen,die Nase

    einem Wurmfortsatz,die Augen zwei Abortlaternen,

    die Ohren zwei Laugenbrätseln, das Kinn einem Baldachin,

    sein Adamsapfel einer Stiefelspitze, der Hals einer Geldbörse,

    die Schultern einem Hammerwerk, die Brust, an der gar schön

    symmetrisch an die zweihundert-fünfundsechzig goldene Orden

    lustig baumelten, einem Kirchenschiff,

    die groben Hände, zu Fäusten geball

    undimmer wieder wild in die Höhe

    gestoßen, zwei Brotschiebern,

    die Hüften, in denen er sich in alberner

    Weise häufig wiegte, einem Dudelsack,

    seine Beine zwei Delphinen*, die Füße zwei Krummhörnern.


    Es zeigte sich, dass dieser Redner kein Demostenes** war. Obwohl der König klar und deutlich sprach und immer wieder Gesetzestreue, Recht und Ordnung sowie Vaterlandsliebe beschwor, fehlte seinen Worten die aufwühlende Kraft der Überzeugung. Außerdem verlor er häufig den Faden. Solch eine Rede, dachte ich, kann auch ein totes Mückenmännchen halten, das im Vorbeisirren etwas von Vaterlandsliebe gehört hat. Nichtsdestotrotz brach immer wieder tosender Beifall aus; es war mir ein Rätsel, woher diese Leute ihre Begeisterung nahmen.

    Jetzt sprach der Fantastische von seinen Todfeinden, irgendwelchen Nuschelkatern, die auf verschiedenen Inseln in fernen Meeren hausten, und denen er den Krieg erklärte. Er nannte sie Schurken, Spitzbuben, Räuber, Totschläger, Notzüchtiger, Kindsmörder, Satansbraten, den allerärgsten Abschaum der Gefängnishöhlen und noch einiges mehr, schwor mit wutverzerrtem Gesicht, wild mit Händen und Füßen gestikulierend, er werde nicht eher ruhen, als bis dass er diese Höllenbrut vom Erdboden vertilgt habe.

    „Ha, der hat den Teufel im Leib!“, rief ein bulliger Gorilla mit einer Visage wie eine Eiterbeule, „dieser König fürchtet sich vor nichts, und es ist ihm scheißegal, was der Rest der Welt von ihm denkt!“

    „Da bin aber anderer Meinung, lieber Herr Nachbar“, sagte ein blonder Maki, „ich denke eher –“

    „Was, du Rotznase, du hast eine Meinung, du denkst?“, fuhr ihn der Gorilla an, „hätt ich nicht gedacht! Na warte, Bursche, ich werd dir das Gehirn zerklopfen, dass du das Denken verlernst und deine Meinung auskotzt wie ein... äh... äh –“

    „Sie hausen in ihren Ländern schlimmer als die Kannibalen“, rief der König indes mit weit hallender Stimme, „fressen das Volk mit Haut und... äh –“ Einer der Umstehenden trat vor und flüsterte ihm etwas ins Ohr – „– mit Haut und Haaren, jaja, und, da sie nie satt werden, überziehen sie andere Völker mit Krieg und rauben sie aus! Ich aber schwöre euch bei Gott, ich werde Recht und Ordnung wieder herstellen, denn ich bin der tapferste, mutigste... äh... wie? Ach ja – der fleißigste, ehrlichste, größte, kurz, der fantastischste König, den die Welt je gesehen hat!“

    Wieder donnerte begeisterter Beifall auf.

    „Pest und Cholera!“, rief Kopf, „dieser König da scheint mir ein ordentlicher Simpel zu sein! Der trieft ja geradezu vor Selbstlob! Wenn ich noch weiter dieses Geschwätz hören muss, wird mir noch schlecht!“

    „Sprecht leise“, flüsterte ich, „seht Ihr den Esel da, wie er seine Ohren dreht und wendet? Mit Sicherheit ein Spitzel. Und da! Die Gorillas der königlichen Garde!“

    „Pah!“

    Jetzt geschah etwas Überraschendes, ja geradezu Abartiges, Unkönigliches, Halsbrecherisches: Fantasticus I. schwang sich auf die Brüstung des Altans, machte einen Handstand auf einer Hand, wackelte mit dem Hinterteil, kam wieder auf die Füße, steckte Finger ins Maul und zog es breit, katapultierte sich auf den Säulengang über dem Vorbau, von da aus auf ein Gesims der Kuppel, wo er stehen blieb und brüllte: „Liebt ihr mich? Sagt, das ihr mich liebt!“

    „Wir lieben dich, großer König!“, schrie das Volk.

    „So ist es recht! Denn wer mich nicht liebt, ist mein Feind!“ Sprach´s, und verschwand mit höllischem Gelächter in einer Dachluke.

    Ich drehte mich beschämt um –

    __________

    ° Größter König aller Zeiten. * Hier: Altertümliche Waffen mit gekrümmten Rohren.** Berühmter Redner des Altertums.


    Mundburt erhält eine Nachricht von seinem Vater.

    – denn Kopf feuerte wie wild aus seinem Darmrohr, dabei hieb er sich immer wieder auf die Schenkel und rief: „Kich... Kich... welch ein, hahaha, Komödiant... keuch... der Kerl spielt ja besser als Attejus Capito*, und da hab ich, per dio, ist das komisch... haha, hoho, hihi... da hab ich Tränen gelacht!“

    Kopf war aus irgend einem Grund – möglicherweise durch den Auftritt des Königs – von seiner Starrheit geheilt, und auch Gerlind regte sich wieder, indem sie mit angewidertem Gesicht vom Magister abrückte.

    „Was hat Euer Freund?“, fragte der Aeditus verwirrt, „ist er krank?“

    „Oh nein, Meister, es ist nur so –“

    Ich versuchte dem Aeditus zu erklären, woran es lag, doch er glaubte mir nicht. „Wenn er das nochmal macht, lasse ich den Bann wieder aufleben!“, drohte er.

    Kopf hatte sich wieder beruhigt. „Entschuldigt“, sagte er, „aber es ging nicht anders. Dieser König ist einfach zu köstlich!“

    Da hatte ich die Idee, dass dieses Volk nicht dem König Fantasticus zujubelte, sondern dem königlichen Komödianten, wie seinerzeit die Einwohner Roms dem Kaiser Nero.

    „Das war also Euer König“, sagte Gerlind, „und ha!, nach dem, was ich gesehen habe, pfeif ich auf alle Könige der Welt. Wie geht´s nun weiter, o Hüter des Wassers? Wie kommen wir wieder zu unserem Schiff zurück? Ich bin noch nicht mit dem Abwasch fertig.“

    „Erstens“, sagte der Tempelknecht, „ist Fantasticus nicht mein König, Jungfer, denn mein König heißt Bacchus, und zweitens braucht Ihr nur wenige Schritte zu gehen, dann könnt Ihr fertig abwaschen.“

    Wie, was? Stand da unser Schiff? Tatsächlich, es war´s, man hörte deutlich Trabtos Wiehern und das Gezwitscher des Zeisigs. Nur Knalli war nirgends zu sehen.

    „Der Sauhund!“, polterte der Magister, „macht sich einfach aus dem Staub, ohne Bescheid zu geben. Na warte, Bruder, wenn ich dich zu fassen kriege!“

    „Wie habt Ihr das denn gemacht“, sagte Gerlind, indem sie den Aeditus ansah, als stünde sie vor dem achten Weltwunder.

    „Tja, meine Liebe, das ist mein Geheimnis, und es soll auch eines bleiben. Ihr plaudert ja auch nicht aus der Küche.“

    „Tatata! Wenn Ihr was wissen wollt, ich sag´s Euch gerne!"

    „So, nun gehabt Euch wohl und gute Reise.“

    Auf dem Schiff erwartete mich eine Überraschung: Die bekannte Kapsel. Liebto, mein treues Täubchen, war dagewesen, um mir eine Botschaft meines Vaters zu bringen. Unverzüglich bat ich den Magister, sie vorzulesen. Da stand:


    Mein vielgeliebter Sohn! Deine Nachricht, obwohl lückenhaft und wenig mitteilsam,

    hat mich sehr gefreut, denn mein Herz dürstet nach Erqickung. Wisse denn, dass

    deine Mutter, meine treue Gattin und Gespielin Eleonore von Wolkenstein, zu

    Johannis* im sechsunddreißigsten Jahr ihres Lebens an der Pest gestorben ist, der

    Herr sei ihrer armen Seele gnädig. Du kannst dir nicht vorstellen, wie unglücklich und

    einsam ich mich fühle; ich trage mich mit dem Gedanken, mich einem Kriegsheer

    anzuschließen, um Ablenkung zu finden. Bete für das Seelenheil deiner Mutter, durch

    du das Licht der Welt erblickt hast. –

    Gottes Frieden sei mit dir! Grüße auch die Leute, die dich begleiten.

    Dein dich liebender Vater und Freund.

    Gg. zu Burg Wolkenstein, den... im Jahre des Herrn...

    Ich schlug die Hände vors Gesicht. Meine Mutter, an der Pest gestorben! Und mein Vater, voller Verzweiflung!

    „Herr Magister!“ rief ich, „dreht die Segel in den Wind! Wir fahren zurück nach Burg Wolkenstein!“

    „Ohne mich!“

    „Wie, was, wieso? Kommt Ihr nicht mit?“

    „Nein, ich bleibe hier. Was soll ich in Schwaben, wo sich, wie man hört, die Füchse gute Nacht sagen. Hier finde ich alles, was mein Herz begehrt. Auf jeden Fall wünsch ich Euch viel Glück.“

    ______________

    * Berühmter Komiker im alten Rom.

      • Herr Schreiber, habt Ihr noch Dinte für eine Schlussballade?
      • Wenn es denn sein muss, Herr...
      • Gut, dann schreibt:

    Dank an die Leserschaft

    Ihr Lieben, ihr seid bess´re Wesen,

    denn ihr versteht nicht nur zu lesen –

    wobei die Stunden schnell enteilen,

    dieweil im Wald die Keiler keilen,

    im tiefen Sumpf die Frösche quaken

    und mancher Saufaus kotzt aufs Laken –

    sogar auch Ihr, mein feur´ger Kava-li-ere,

    sonst Prosa-Ritter nicht, doch hier, ha!, sehre:

    mit frischem Mut und frohem Geiste

    verstund Ihr doch das Allermeiste,

    sowie die Jungfer dort, die kleine Dirne

    mit feinen Kinkeln auf der Stirne,

    die schon beim stummen Frühgebete

    den Wunsch verspürt, das Mann sie heira-tete –

    so sag ich, was ihr einmal angefangen,

    das brachtet ihr zu End´ ganz ohne Bangen.

    Ihr alle seid doch hoch zu loben:

    mein Lob soll ewig euch umtoben!

    Ihr habt gehalten fest zur Stange,

    und war die Zeit auch manchmal lange!

    O selig sind doch die zu preisen,

    die sich am End´ als treu erweisen!

    ENDE


    Hier enden die Aufzeichnungen des Mundburt zu Wolkenstein, des Ritters vom Wind. Dem Herausgeber liegen allerdings noch einige lose Blätter vor, deren Inhalt ihm ziemlich zweifelhaft erscheint. Da ist von einem Volk die Rede, das von Geburt an nur ein Bein besitzt, sich fortbewegt wie die Kängurus und deshalb keine Wege und Straßen kennt; von Leuten ohne Mund, die sich durch die Nase ernähren, von einem Besessenen, der durch einen Messerstich in die Stirn geheilt wird und anderen Abnormitäten mehr. Der Herausgeber wird das Material prüfen und entscheiden, ob er dergleichen Ungeheuerlichkeiten einer seriösen Leserschaft zumuten will.

    J. Schreyvogel, ordentlicher Narr und außerordentlicher Prof. an der +++- Universität zu ***