Mundburt verweigert den Hunden ein Wettrennen.
Als ich auf die Herrin zutrat, blickte sie durch mich hindurch, als sei ich Luft. Ergeben beugte ich das Knie, zog mein Barett vom Kopf und wartete. Ihre beiden Zofen, geputzt und geschniegelt wie Maibäume, betrachteten mich, als wär´ ich ein Haufen Dreck – jedenfalls kam es mir so vor.
„Bedeckt Euch und steht auf,“ befahl die Herrin endlich, „und setzt Euch neben mich, aber nicht zu nah.“
Gehorsam setze ich mich halbärschig auf den Brunnenrand.
„Herr Mundburt von Wolkenstein“, fuhr sie ziemlich kreischig fort, „was soll ich von einem Pagen halten, der die Hof-Etikette nicht beherrscht!“
Ich merkte, wie mir kalte Schweißperlen auf die Stirn traten.
„Allergnädigste Herrin... ich... ich bitte vielmals um Verzeihung“, stotterte ich, „welche Hof-Etikette meint Ihr?“
„Schweig, böser Knabe!“, zischte sie, „und mach den Fehler durch alberne Entschuldigungen nicht noch peinlicher!“
Ich schwieg gehorsam.
„Gottseidank ist der Herzog diesem Hause dank der Erfolge meines Gemahls sehr gewogen, und so konnte ich Schlimmeres verhüten. Du jedenfalls hast Glück im Unglück. Ich konnte erreichen, dass der Herzog deine Bestrafung in meine Hände legte.“
„O Herrin –“
„Nimm zunächst dies!“ Blitzschnell versetzte sie mir eine Ohrfeige, allerdings eine ziemlich zahme ohne Saft und Kraft. Ich empfand es mehr als einen halb-freundschaftlichen Backenstreich.
„Auf die andere Wange auch noch eine!“, rief ich ohne zu überlegen.
„Bube! Was erlaubst du dir? Anscheinend verkennst du deine Situation! Dies ich kein Mummenschanz! Für jemanden, der den Herzog beleidigt hat, solltest du mehr Zerknirschung an den Tag legen!“
„Ich hätte den Herzog beleidigt?“
Das alberne Lachen der beiden Zofen brachte mich völlig aus der Fassung. „Ich wüsste nicht – – O je!“ Jetzt ging mir ein Licht auf! Beschämt klatschte ich mir mit der Hand vor die Stirn, dass die Spatzen von der Linde stoben. Das war´s! Ich Hornochse hatte vergessen, den Herzog vor der Ballade persönlich mit 'Euer Erlaucht und gnädigster Herr Herzog' anzureden, wie es die Etikette vorschrieb! Hatte ich in der Aufregung total vergessen. Und dieser Blödmann von Mönch hatte mich nicht darauf hingewiesen. Um das Tächtelmächtel ging es also gar nicht! Mir fiel ein Stein vom Herzen.
„Weißt du, dass der Herr auf Wolken-Kuckucksheim einen Domestiken, dem ein ähnlicher Lapsus widerfuhr, halb tot geprügelt hat?“
„Ja, Herrin, ich hab davon gehört“, bestätigte ich kleinlaut. War ja wochenlang Gesprächsthema Nummer eins gewesen.
„Prügeln lasse ich dich nicht, Bursche, schließlich bist du einer der Unsrigen, wenn auch ein Unwürdiger, und auf der Burg gibt es genug Prügelknaben*. Für dich habe ich mir etwas anderes ausgedacht.“
Begeistert sprang ich vom Brunnenrand und fiel auf die Knie. „Herrin!“, rief ich, „betraft mich! Bestraft mich hart! Eine Strafe von Eurer Hand, wie auch immer sie ausfallen sollte, ist keine Strafe, sondern eine Köstlichkeit!“
In meiner Liebestollheit deutete ich das Aufblitzen in ihren Augen als geheime Bewunderung meines Mutes.
„Eine Köstlichkeit, sagst du? Nun gut, Bursche, die sollst du haben! Steh gefälligst auf!“
Sie winkte dem Jagdmeister, der schon seit einiger Zeit wartend in der Nähe stand. „Herr Walther“, sagte sie, als der Mann bei uns stand, „hüllt diesen Knaben in ein Wolfsfell, und dann kommt mit ihm zurück.“
Herr Walther führte mich in eine Remise, in der die Attrappen für den Fang von Wölfen, Bären und Hirschen aufbewahrt wurden, stülpte mir ein Fell über und band es gehörig fest. Noch ahnte ich nichts Böses; wahrscheinlich, so dachte ich, sollst du auf allen Vieren kriechen und wie ein Wolf jaulen, zusammen mit einem brummenden Bären und einem röhrenden Hirschen, mit allerlei Kunststückchen zwischendurch; ein beliebtes Spektakel, das die Zuschauer reihenweise in Lachkrämpfe versetzte. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, wie grausam diese Frau sein konnte, auch wenn sie wie ein Engel daherkam. Und ich wusste auch nicht, dass mich jede ihrer Grausamkeiten fester an sie band.
„Lauft auf allen Vieren und heult wie ein Wolf!“, rief die Herrin, als wir zurück waren. Sie nahm einen Stecken und trieb mich damit an. Zu spät bemerkte ich die Teufelei. Erst als das Fallgitter hinter mir herunter krachte, ahnte ich, was sie mit mit vorhatte, doch nun war es zu spät. Ich befand mich im Zwinger, jenem Raum zwischen der Wehrmauer und den Wirtschaftsgebäuden, in dem bei hohem Besuch tatsächlich ab und zu lebende Raubtiere gegeneinander gehetzt wurden.
Ich blickte hoch. Auf der Bastion standen dicht gedrängt die Zuschauer und ließen es an blöden Bemerkungen nicht fehlen.
„Ha!“, rief ein Arschlappen, „wo ist der Schneider, der sein Fell wieder zusammenflickt?“ – Ein anderer: „Warum? Ist doch nicht sein Fell!“ – „Ach was Schneider!“, grölte ein Hirntölpel, „einen Arzt braucht er, einen Chirurgen!“ – „Hoho, sagtet Ihr Arzt? Einen Abdecker braucht er, einen Abdecker!“ – „Arzt oder Abdecker! Kommt doch eh aufs Selbe hinaus!“, ein Fünfter. Ein ganz kesser Witzbold schrie: „Meint Ihr den hiesigen Knochendreher?
Ha! Der ist Arzt für sich und seinen Beutel! Indessen
streben die Patienten, von Geschwüren zerfressen!“
Rohes Gelächter belohnte diesen schlechten Scherz.
Ehe ich einen Plan fassen konnte, rief die Herrin: „Nun spute dich, Page, die Hunde sind los!“
Wütendes Gekläff erscholl, und schon stürzten Castor und Pollux, zwei Jagdhunde aus der Meute des Herren, auf den vermeintlichen Wolf zu. Die Tiere wurden stets sehr knapp gefüttert, um sie für die Jagd scharf zu halten, und dementsprechend zausten sie das Fell. Ihr stinkender Atem raubte mir fast die Besinnung. Wenn es auch nicht mein Fell war, so war ich doch nahe daran, meine Seele dem Allmächtigen zu empfehlen. Immer wieder sprangen mich die Bestien an; hatte alle Mühe, zu verhindern, dass sie mir nicht auch noch mein eigenes Fell zerbissen. Doch auf einmal, wie durch Zauberhand bewirkt, ließen sie ab; setzten sich hin, begannen, friedlich mit dem Schwanz zu wedeln. Geistesgegenwärtig erkannte ich meine Chance: Sie hatten den Menschen gewittert! Für einen Hund ist der Mensch so etwas wie der Kaiser für seine Untertanen, ein unbegreiflich hohes Wesen, dessen Worte man kaum versteht, denen man aber trotzdem Folge leisten muss. Jetzt galt es, mich als der erkennen zu geben, der ich war, nämlich Mundburt, ihr Treiber, dem sie das Gesicht leckten. Doch so heftig ich auch zog, zerrte und fluchte, es gelang mir nicht, das vermaledeite Wolfsfell zu lockern, geschweige denn abzuwerfen; der Hurensohn von Jagdmeister hatte mich fest eingebunden wie einen Rollbraten im Bratnetz. Schon machten die Köter knurrend Anstalten, sich wieder auf mich, oder besser: Auf den vermeintlichen Wolf zu werfen, offenbar durch dessen heftigen Bewegungen und den Geruch des Fells gereizt.
Auf der Bastion war es still geworden, gespannt harrte man der Dinge, die da kommen würden. Normalerweise wurden bei solchen Verlustierungen Wetten abgeschlossen; ich selbst hätte in diesem Moment keinen abgenagten Hühnerflügel auf mich gesetzt. Verzweifelt suchte ich nach einem Ausweg... Ich wusste, die Leute wollten Blut sehen, hatte es ja selbst oft so gehalten... Zum Henker, was mach ich bloß!, dachte ich. Die verdammten Hunde erkannten mich nicht, denn ich roch ihnen zu stark nach Wolf, und nicht nach Mundburt, da halfen auch keine beruhigenden Worte! Zu allem Überfluss bekam ich wieder Leibschmerzen; die Aufregung war mir auf den Darm geschlagen.
Da kam mir die zündende Idee. Ha, triumphierte ich, ihr lausigen Hasenschwänze da oben auf der Galerie! Diese Suppe versalz ich euch, und zwar gründlich!
Noch heute, nach mehr als einem Vierteljahrhundert, wo ich dies meinem Schreiber in den Gänsekiel diktiere, bin ich wieder erstaunt, wie durchschlagend meine Idee war. Gut, sie war ziemlich abartig, mehr noch, es war eine arge Schweinerei. Doch, Herr im Himmel, Schweinerei hin, Schweinerei her, wer denkt schon an saubere Füße, wenn er im Morast versinkt. Zog mir die Hose runter, legte mich auf den Rücken, winkelte die Beine an und präsentierte meine Hinterpforte. Die Köter kamen und schnupperten nach alter Hundeart; jetzt drückte ich kräftig meine Eingeweide zusammen und spie ihnen donnernd eine Tracht klumpigen Darmsaft auf die Nasen. Der Erfolg hätte nicht besser ausfallen können. Castor und Pollux machten kehrt und liefen prustend und jaulend davon.
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*Nicht adelige Knaben, die statt der adeligen bestraft wurden.
Mundburt hadert mit seinem Schicksal.
Manche hielten diesen Streich für genial, andere für die Ausgeburt eines kranken Hirns. Einig waren sich allerdings alle: Die Art und Weise, wie ich den Feind in die Flucht geschlagen hatte, war einzigartig. Wenn auch kein Blut geflossen war, so hatte ich anscheinend trotzdem etlichen hartgesottenen Humpenrittern und Tellerausleckern ein Erzvergnügen bereitet. Es gibt ja immer und überall Leute, die über den gröbsten Unsinn lachen. Doch die Meinung der Leute interessierte mich einen kalten Kehricht. Wichtig war: Was sagte die Herrin dazu? Ja länger ich darüber nachdachte, desto mehr kam ich zu der Überzeugung, dass ihr das nicht gefallen haben konnte, denn ich hatte mich der Menge in der unwürdigsten Pose gezeigt, in der sich ein Ritter in spe normalerweise nur als unmündiges Wickelkind präsentiert. Andererseits: Hatte ich nicht hohe Geistesgegenwart besessen, eine Tugend, die ein Ritter unbedingt braucht?
Um Gewissheit zu erlangen, zu welcher Seite ihre Ansicht neigte, bat ich um eine Unterredung, doch eine dieser albernen Kammerzofen teilte mir schmallippig und ziemlich von oben herab mit, die Herrin sei für mich nicht zu sprechen.
Da lag ich nun in meiner Kammer und leckte mir die Wunden, denn einige Bisse und Kratzer hatte ich doch abbekommen. Aber es waren nicht nur fleischliche Wunden, die ich zu lecken hatte... Jetzt war Gewissheit: Frau Mathilde, Herrin auf Burg Schwarzenraben, der ich zum
vrouwen dienest
bestimmt war, der Traum meiner einsamen Nächte, dieses holde Wesen hatte mich verstoßen!
Eine tiefe Traurigkeit überkam mich. Ach, was soll nun werden?, dachte ich. Was ist ein Ritter ohne Dame? Noch viel weniger als einer ohne Pferd! Ein neues Pferd bekommt man schnell, hingegen eine neue Dame? Ha! Ein Ritter ohne Fehl und Tadel wollte ich werden, wie mein großes spanisches Vorbild, und stattdessen, was war ich? Ein Knabe ohne Pferd und Adel! Da war es auch kein Trost, dass ich als ausgelernter Knappe demnächst die zweifelhafte Ehre haben würde, den Herrn auf Turniere zu begleiten, sein Pferd zu striegeln, ihm die Stiefel zu putzen, sein Schwert zu fetten, den Harnisch zu ölen.
Ach was, Ehre! Wie sagte doch mein Vater oft? Ehre, sagte er, ist, wenn man sonst nichts davon hat!
Doch dann traten Ereignisse ein, das mich für einige Zeit auf andere Gedanken brachten.
Zunächst: Acht Tage nach diesem Streich wurde ich sechzehn Jahre alt und einen Tag darauf feierlich zum Knappen ernannt. Womit ich diese Ehre verdiente, weiß ich nicht; vielleicht empfand die Herrin ja Gewissensbisse und das Bedürfnis nach Wiedergutmachung.
Wie gesagt, ich weiß es nicht.
Aber eines weiß ich: Die Frage, warum mich jetzt gerade eine Mücke sticht, mich, Mundburt zu Wolkenstein, und nicht meinen Bruder Lofhar; warum nicht Schwester, Oheim, Vater, Vatersvater usw., Mutter, Muhme, Muhmesmuhme, Magd, Mamsell, und auch nicht irgendeine, sondern just diese eine, bestimmte Mücke, und nicht etwa anno 1346, auch nicht am 13. Augusto in der siebten Stunde, sondern genau in diesem Augenblick, und auch nicht ins Gesicht, nicht in den Nacken, Ellenbogen, Hals, nicht in die Hand, in die Nase, in den Hintern und so weiter, sondern genau zwei Daumen unterhalb der Kniekehle, wo doch noch viele andere mögliche Stichstellen ungenutzt blieben – diese Frage, klatsch!, ist leichter zu erklären als die Launen einer Frau.
Nun gut. Die Höflichkeit des Sängers verlangt, dass er sich kurz fasse, denn
ein kurzes Wort dringt auf zum Himmel eh´r,
ein langer Zug macht nur die Kanne leer.
Da ist nämlich noch die ach so traurige Geschichte meiner Kammerzofe, der vom Teufel besessenen Hildegardis, die ich Euch unbedingt erzählen muss.
Forts. folgt