Kapitel 8
Ja und Nein
Stirnrunzelnd griff er nach dem Schlüssel im Hängeschrank, welcher einst dazu gedient hatte, seine Kühltruhen zuverlässig zu verschließen. Er war sich ziemlich sicher, dass dieser noch genauso im Regal lag, wie er ihn zurückgelassen hatte. In Gedanken versunken schritt er zu den Truhen auf der anderen Seite des Raumes. Dort angekommen, besah er sich das Vorhängeschloss, welches der Tintenfisch ja irgendwie hatte aufbekommen müssen.
„Wie hast du das gemacht?“ Er drehte das Schloss mehrfach in der Hand. „Komisch, nicht ein Kratzer oder ähnliches. Und …“ Er verriegelte und entriegelte das Vorhängeschloss mit dem Schlüssel, „es funktioniert noch.“ Wie auch immer der Oktopus die Verriegelung entsperrt hatte, auf eine verlässliche Sicherung seiner Sachen konnte Angelo nun wohl nicht mehr hoffen.
Angelo öffnete die mittlere Truhe, in welcher sich glücklicherweise noch immer das Futter für seine Tiere befand. Wobei er dem Tintenfisch inzwischen eher die Rolle eines nervenaufreibenden Mitbewohners zusprechen würde. Er entnahm der Kühltruhe ausreichend Fisch, um damit einen ausgehungerten Seehund zu sättigen. „Lieber gebe ich ihm etwas zu viel, als dass er mir letzten Endes noch meine anderen Haustiere frisst.“
Mit voll beladenen Armen wandte sich Angelo wieder in Richtung des Tintenfischaquariums. Als seine Blicke dieses trafen, blieb er überrascht stehen. Der Achtarmige war aus seinem Becken geklettert und streckte ihm, während er sich mit sechs seiner acht Tentakel an der Oberkannte des Beckens festhielt, zwei seiner Arme fordernd entgegen. Mit einem grünen Pulsieren machte er zusätzlich auf sich aufmerksam, damit er auch ja nicht übersehen werden konnte.
„Junge, du bist ja noch verfressener als ich!“ Angelo ging auf die gierig ausgestreckten Arme zu. „Du solltest vielleicht warten, bis der Fisch etwas angetaut ist. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie das deiner Verdauung bekommt.“ Als er in Reichweite kam, versuchte der Oktopus ihm einen der noch verpackten Fische zu entwenden. „Jetzt bleib mal ganz unruhig, Freundchen. Bevor du noch was zu fressen bekommst, möchte ich dir mal was sagen, ja? Wenn du das hier …“, Angelo wedelte mit einer Packung vor dem Tintenfisch herum, „… willst, dann kannst du dich hier nicht benehmen wie die Axt im Walde, verstanden? Das mit den Embryonen verzeihe ich dir, aber du kannst nicht einfach deine Mitbewohner fressen, klar?“ Angelo tastete mit der freien Hand nach seinem Handy. „Google, zeig mir die Farbe Rot!“ Wie erwartet leuchtete der Bildschirm seines Handys rot auf. Und im selben Moment zuckte der Tintenfisch erschrocken zurück. Anscheinend assoziierte er die Farbe Rot aus Instinkt und genau wie Angelo es gehofft hatte, mit Gefahr.
Angelo ging zum geplünderten Quallentank hinüber. „Das hier geht gar nicht, klar?“ Und weil er gerade einmal dabei war, eine Moralpredigt zu halten, machte er auch gleich damit weiter. „Von den Kühltruhen eins und drei lässt du bitte auch die Tentakel.“ Er schritt von einer Truhe zur anderen und hielt das rot leuchtende Display vor die Schlösser. Die zweite Truhe ließ Angelo bewusst aus. Wenn der Tintenfisch einen solchen Hunger hatte, dass er der Meinung war, aus seinem Aquarium zu klettern und ein Vorhängeschloss zu knacken, dann wollte er es ihm nicht verbieten. Außerdem interessierte ihn, wie zum Teufel noch eins der Oktopode die Truhe aufbekommen hatte. Er ging zum Tintenfisch zurück, welcher aufgehört hatte grell grün zu leuchten und scheinbar etwas verunsichert am Beckenrand hing. „Wenn du dich daran hältst, dann sind wir cool miteinander, okay?“ Angelo ließ sein Handy kurz grün aufleuchten. Und wie es schien hatte sein Gegenüber zumindest im Ansatz verstanden, was er von ihm wollte. Denn kurz darauf ließ der Tintenfisch seinen Körper ebenfalls grün aufleuchten. Angelo lächelte zufrieden. „Alles klar, Kleiner. Hier, die hast du dir jetzt verdient, glaube ich.“ Angelo öffnete eine der Fischpackungen und hielt dem Oktopus den Inhalt hin. Zuerst machte der Achtarmige keine Anstalten, ihm den Fisch aus der Hand zu nehmen, doch als Angelo sein Handy erneut grün leuchten ließ, schien der Tintenfisch zu verstehen, dass er es gut mit ihm meinte und er das Futter nun nehmen durfte.
„Aber wehe, du platzt. Dann wäre nämlich nicht nur die Arbeit von Monaten dahin, man hätte mir auch noch die Haare vom Kopf gefressen. Apropos, jetzt habe ich selbst noch nichts gegessen. Meinst du, ich kann dir kurz den Rücken zuwenden, ohne dass du sofort alles inhalierst?" Angelo legte die restlichen Packungen auf den Boden und ging sich sein eigenes Essen holen, gespannt darauf, ob der Tintenfisch auf ihn warten, oder selber die Initiative ergreifen und sein Futter alleine auspacken würde.
Ein frohes Osterfest euch allen.