Es gibt 48 Antworten in diesem Thema, welches 10.644 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (6. Februar 2022 um 17:33) ist von Kiddel Fee.

    • Offizieller Beitrag

    Cedric verlor keine Zeit. Als Rory hinter ihm aus der Tür trat, dirigierte er seinen jungen Freund ohne große Worte weg von dem erleuchteten Platz, an dessen Rand sich das Wirtshaus und andere Etablissements von zweifelhaften Ruf drängten.

    Ich finde gut, dass du reingenommen hast, dass sich über die eigene Schuld zumindest Gedanken gemacht werden. Ansonsten ist auch das Verarbeiten der Situation gut gemacht, wie sie da am Fluss stehen.

    Interessant ist es jetzt natürlich mit der Rückkehr. Ich dachte nur Rory sei unerlaubt auf der Straße. Aber Cedric meint ja UNSERE Abwesenheit fällt auf. Aber das kann auch nur so daher gesagt sein. Mal schauen ^^

  • Kapitel 3

    Der krachende Donnerschlag direkt über dem Haus riss sie aus dem Schlaf. Mit einem Aufschrei fuhr sie hoch und hatte Mühe, sich zurechtzufinden. Keuchend verharrte sie, in ihrem Bett kauernd, krallte die Rechte in den Kragen des weißen Hemds und wartete, bis die Traumfetzen verflogen und ihr die Gelegenheit gaben, wieder in der Wirklichkeit anzukommen.
    Wieder donnerte es.
    Seufzend schwang sie die Beine aus dem Bett und rieb sich mit den Handballen kräftig über das Gesicht. Im Zimmer war es still und auch die Geräusche des sonst so geschäftigen Hauses wurden vom gleichmäßigen Rauschen des Regens geschluckt. Es roch nach nassem Staub.
    Barfuß ging sie über den grob gezimmerten und vom vielen Schrubben blanken Holzfußboden, trat an das kleine Fenster ihres Quartiers und sah hinaus. Viel gab es freilich nicht zu sehen. Die Giebel der Nachbarhäuser glänzten nass und dunkel, auf den gepflasterten Straßen war bei diesem Wetter nicht mal die Nachtwache unterwegs.
    Noch immer schien die Luft schwül und dick. Das Zimmer fühlte sich auf einmal zu eng für sie an. Ihr Traum ließ sie nicht los und wieder hatte sie das Gefühl, gelähmt dazustehen, während das Unheil wie eine immer größer werdende Welle auf sie zurollte.
    Bevor die Angst sie zu überwältigen drohte, verließ sie die kleine Kammer, in der ihre Schlafstatt lag und trat in das große Treppenhaus. Von hier aus führten unzählige Türen zu winzig kleinen Zimmerchen, in denen ihre Familie schlief. Leise schlich sie die Stiege hinauf, um niemanden aufzuwecken.
    Auf der anderen Seite des großen mehrstöckigen Hauses, im Obergeschoss mit weitem Blick auf die Handwerkerviertel, lag ein kleiner überdachter Balkon. Dorthin wollte sie.
    Als sie den schmalen Durchgang erreichte, blitzte es wieder. Das gleißende Licht erhellte die Gestalt eines Mannes, der auf der Balustrade saß, den Kopf an den hölzernen Pfosten gelehnt hatte und scheinbar selbstvergessen dem Regen lauschte.
    Für einen Moment erwog sie, sich zurückzuziehen und nicht zu stören, doch da sah er schon auf. Ein feines Lächeln hob seine Mundwinkel, obwohl es im Dunkeln der Nacht kaum zu sehen war.
    “So spät noch auf? Fürchtest du dich wieder vor dem Donner?”
    Wie zur Bestätigung grollte der Himmel drohend, doch die schweren Schläge von vorhin wurden dumpfer. Das Unwetter zog bereits weiter. Trotzdem wehte der Wind Wasserschwaden über die hölzerne Brüstung und machte den Balkon nicht wirklich gemütlich.
    Ihr Vater schwang die Beine vom Geländer und trat zu ihr. “Im Nachthemd hier draußen. Du bist von Sinnen. Komm mit rein und dann kannst du mir erklären, warum du hier in der Finsternis herumwanderst.” Letzteres sollte wohl vorwurfsvoll klingen, doch der sanfte Blick aus seinen Augen widersprach ihm.
    Sie folgte ihm zurück ins Haus und er führte sie hinab in einen der drei Salons im Erdgeschoss. Diese Zimmer waren die größten im Gebäude und auch die einzigen, in der mehrere Sitzgelegenheiten Platz fanden, weshalb sich der Großteil der Bewohner zumeist hier aufhielt, wenn sie nicht unterwegs waren.
    Im Salon war es noch warm, aber dunkel. Mit sicherer Hand fand ihr Vater die Kerzen und die Zündhölzer und bald erhellte mildes Kerzenlicht die schon leicht verschlissenen Sofas und den wackligen Tisch in der Mitte, tanzte in den Glasscheiben der Fenster raus zur Straße.
    “Setz dich.” Seine Stimme war bestimmt. Dann drehte er ihr den Rücken zu begann, in einer Truhe an der Wand zu wühlen.
    Langsam ließ sie sich auf eines der abgewetzten Polster sinken, zog die Beine an und musterte ihre schlanken Füße. Ein wenig unbehaglich war ihr zumute. Ihr Vater hatte sie sicher nicht ohne Grund hier herein gebeten. Hatte sie etwas falsch gemacht? Zwar war sie sich keiner Schuld bewusst - außer der, in einem dünnen Hemd durchs Haus marschiert zu sein - doch ihr Vater schwieg so hartnäckig. Eigentlich hatte sie ihm von ihren Träumen erzählen wollen, von dieser Nacht für Nacht wiederkehrenden Vision …
    Ein Schauer überlief sie und fröstelnd zog sie die Schultern hoch. Im selben Moment trat er wieder zu ihr und eine Decke wurde über ihre Schultern gelegt, weich, aber nicht zu dick. Schweigend zog sie die ausgefransten Ecken vor ihrer Brust zusammen.
    “Warum kommst du nicht zu mir, wenn dich etwas bedrückt?”
    Er klang verärgert, doch sie ahnte, dass es nur deswegen war, weil sie sich ihm nicht anvertraut und ihre Sorge mit sich selbst ausgemacht hatte. Wie er so dastand, die Hände im Rücken verschränkt und in die Kerzenflammen starrend, wirkte er … gekränkt.
    “Pa, ich … es tut mir leid.” Kurz erwog sie aufzustehen und ihn zu umarmen, doch eine leise Stimme in ihr flüsterte, dass dies nicht der geeignete Moment dafür war. Also blieb sie sitzen und starrte wieder auf ihre Fußzehen. “Ich hatte nicht … ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst. Mir war nicht einmal klar, dass du bereits bemerkt hast-”
    Er wandte den Kopf und sah sie direkt an. Seine Miene war eine Mischung aus Belustigung und Mitleid. Es war sinnlos, ihm etwas vorzuspielen.
    “Natürlich habe ich es bemerkt.” Er wanderte ein paar Schritte hin und her. “Sieh dich doch an. Dunkle Ringe unter den Augen, noch blasser als sonst und wenn du nicht ein paar Pfund verloren hast, fresse ich einen Besen! Irgendetwas treibt dich umher.” Er blieb hinter dem einzigen Stuhl im Raum stehen und packte die Lehne, als wäre diese ein Gegner, den man zerbrechen musste. Die schwarzen Lederhandschuhe knarrten warnend.
    “Du bist jetzt beinahe erwachsen, ich verstehe, wenn du mir nicht - alles sagen willst. Aber du weißt, ich werde dir jederzeit zuhören und dir immer die Wahrheit sagen.”
    Sein Blick traf den ihren und sie wusste, dass er dasselbe auch von ihr erwartete. Gleichzeitig registrierte sie die Anspannung in seiner ganzen Haltung. Er wirkte wie ein Raubtier, dass sprungbereits auf dem Boden kauerte und mit einem Mal erkannte sie den Grund seiner Sorge.
    “Oh, Pa! Du denkst, ich hätte einen Mann?”
    Kurz weiteten sich seine Augen, doch dann hatte er sich wieder im Griff. Trotzdem wagte er es offenbar nicht, den armen Stuhl loszulassen.
    Lächelnd stand sie auf und trat zu ihm hinüber, schmiegte sich an ihn und bohrte ihre Nase in das vertraut duftende Leinenhemd. “Kein Mann der Welt könnte dich ersetzen, Pa”, murmelte sie. “Und ohne deinen Segen werde ich niemandem meine Hand reichen.”
    Ihr Vater schlang die Arme um sie und hielt sie fest. Eine Weile standen sie so, dann schob er sie sanft von sich und strich ihr eine dunkelrote Locke aus der Stirn. “Möchtest du mir etwas anderes sagen?”
    Sie sah in seine dunkelbraunen Augen, in denen sich Sorge und Wachsamkeit abzeichneten. Kurz zögerte sie, dann ging sie wieder zum Sofa hinüber und ließ sich erneut auf die Polster fallen. “Ich träume seit einiger Zeit jede Nacht denselben Traum. Immer denselben. Nichts anderes mehr.”
    Ihr Vater schwieg und lauschte aufmerksam, als sie ihm von ihrer nächtlichen Heimsuchung berichtete. Schließlich schenkte er aus der Karaffe ein Glas Wasser ein und reichte es ihr. Dann lehnte er sich mit verschränkten Armen an die Kommode.
    “Das ist interessant. Es verwundert mich nicht, dass dich deine Traumbilder aus dem Bett treiben.”
    “Meinst du, es hat etwas zu bedeuten?” Sie merkte selbst, wie bange die Frage klang.
    Nachträglich strich er über seinen tadellos getrimmten Bart. “Ich bin mir nicht sicher. Vielen Träumen darf man keine große Bedeutung bemessen. Doch deiner erscheint jede Nacht aufs Neue mit erschreckender Klarheit.” Grübelnd nahm er seine Wanderung durchs Zimmer wieder auf. “Du sagst, du stehst auf der Zitadelle?”
    “Ja. Ich nehme es zumindest an. Die ganze Stadt liegt zu meinen Füßen und hinter mir sind die Berge.” Ratlos zuckte sie mit den Schultern. “Ich war noch nie in dieser Ruine. Der Ausblick ist mir unbekannt.”
    “Und der Glockenturm? Was ist dort?”
    “Das wollte ich dich fragen. Ich … habe nur das Gefühl, dass dort etwas auf mich wartet, dass ich dieses Etwas dort herausholen muss, bevor die Stadt zerstört wird. Aber ich weiß nicht, was es ist.”
    Sinnierend starrte ihr Vater auf den Teppich. “Der Glockenturm … vielleicht müsste ich Informationen einholen. Die Zitadelle, der Glockenturm …”
    Jetzt war sie doch ein wenig erstaunt. “Du glaubst, es ist wichtig, oder? Ich bin nicht einfach nur verrückt?”
    “Nein, das bist du nicht.” Er kam zu ihr herüber, hockte sich vor sie und nahm ihre Hand in seine breiten Pranken. Sie spürte die Schwielen in den warmen Handflächen, die der Griff seiner Waffe durch viele Jahre harte Arbeit dort hinterlassen hatte. “Du bist nicht verrückt. Ich denke, dass dieser Traum durchaus etwas bedeutet. Was, kann ich nicht sagen. Noch nicht.”

  • Die Szene ist wunderschön! Das Gespräch mit dem Vater kommt richtig gut rüber, er ist mir gleich irgndwie sympathisch. Wie ein alter Bär, der seine Jungen beschützen will. Auch top, dass er seine Tochter so ernst nimmt (da könnten sich viele Väter in der echten Welt eine Scheibe von abschneiden).

    Ich habe nichts auszusetzen und freue mich auf den nächsten Teil ^^

    Spring - und lass dir auf dem Weg nach unten Flügel wachsen ~R.B

    Sometimes you have to be your own hero.

  • Hi Kiddel Fee
    die Szene ist finde ich sehr schön stimmig erzählt. Die Art und Weise, wie über den Traum gesprochen wird, macht auf jeden Fall neugierig. Die Beziehung der Beiden kann man sich auch gut vorstellen. Mir ist eigentlich nichts Größeres aufgefallen. Daher hier nur ein paar kleinere Bemerkungen:

    Spoiler anzeigen
    Zitat von Kiddel Fee

    Ein feines Lächeln hob seine Mundwinkel, obwohl es im Dunkeln der Nacht kaum zu sehen war.

    „obwohl“ passt finde ich irgendwie nicht

    Zitat von Kiddel Fee

    die schon leicht verschlissenen Sofas

    Ich persönlich hätte jetzt nicht mit Sofas in diesem eher mittelalterlichen Setting gerechnet, aber es ist ja eine Fantasy-Welt, da spricht im Prinzip nichts dagegen, wenn die etwas früher erfunden werden.

    Zitat von Kiddel Fee

    die Hände im Rücken verschränkt

    Vielleicht hinter dem Rücken verschränkt?

    Zitat von Kiddel Fee

    Die schwarzen Lederhandschuhe knarrten warnend.

    Warum hat der denn Handschuhe an? Ist doch warm draußen. Oder ist das Mode? :D

    Zitat von Kiddel Fee

    sprungbereits

    sprungbereit

    Zitat von Kiddel Fee

    Vielen Träumen darf man keine große Bedeutung bemessen.

    Beimessen

    Zitat von Kiddel Fee

    Sie spürte die Schwielen in den warmen Handflächen

    Jetzt hat er scheinbar keine Handschuhe mehr an?

  • Ondine , schön, dass es dir gefällt!

    Novize , danke für dein genaues Lesen, das ist Gold wert! Die von dir angemerkten Stellen habe ich bearbeitet!


    Kapitel 4

    Im Frühstückszimmer herrschte müdes Schweigen. Cedric blinzelte verschlafen auf sein Gedeck hinunter, dann warf er einen verstohlenen Blick zu Rory hinüber, der lustlos auf seinem Teller herumstocherte und den darauf liegenden Kuchen in winzige Krümel verwandelte. Sie schienen wohl beide nicht so gut geschlafen zu haben.
    Das Schweigen im Haus hatte sich auf seinen Magen niedergeschlagen. Er fühlte nervöse Unruhe in sich, ein warnendes Kribbeln. Der Rückweg, überlegte er grübelnd, der Rückweg aus der Stadt war beinahe zu leicht gewesen. Sicher hatte ihnen das kräftige Gewitter beigestanden, aufmerksamen Augen die Sicht geraubt und jedes verdächtige Geräusch mit unheimlichem Getöse überdeckt - doch insgesamt schien es beängstigend glatt gegangen zu sein. Der Dienstboteneingang, durch den sie die Residenz verlassen hatten und auch wieder betreten wollten, war völlig unbewacht gewesen. In den Fluren hatten sie niemanden getroffen. Merkwürdig.
    Seufzend griff Cedric nach dem Bier. Ihr nächtlicher Ausflug musste bemerkt worden sein, alles andere war unwahrscheinlich. Hatte Rorys Onkel Befehle gegeben, die Heimkehrenden in Ruhe zu lassen? Würde das Donnerwetter nach dem Frühstück über sie hereinbrechen?
    Eine der beinahe deckenhohen Türen wurde plötzlich geöffnet und mit einem Bückling ließ der Page einen älteren Mann mit großer Nase und tadelloser Haltung eintreten. Das Haar, üppig, aber grau, war aus der fliehenden Stirn gekämmt und der Backenbart akkurat gestutzt. Der Ankömmling verströmte edle Würde aus jeder Pore.
    Benedict Thero, der persönliche Leibdiener und Vertraute des Hausherren, verneigte sich höflich. “Seine Gnaden bitten nach dem Frühstück in den goldenen Salon. Unverzüglich.”
    Rory ließ die Gabel sinken und schob resigniert den Stuhl zurück. “Gehen wir, Ced. Ich will es hinter mich bringen.”
    Der goldene Salon war nicht nur einer der prächtigsten Räume in der gesamten Residenz, sondern auch abgelegen und diskret, weswegen er von Rorys Onkel als Arbeitszimmer und zum Empfang sorgfältig Auserwählter genutzt wurde. Er war optisch zweigeteilt durch eine Reihe großer grüner Topfpflanzen, die den Schreibtisch samt Regalen von einem gemütlichen Sitzbereich mit bequemen Polstermöbeln und erlesenen Speisen abtrennte.
    Cedric sah sich schon wie einen armen Sünder vor dem gigantischen Sekretär stehen, doch Thero winkte sie hinüber zur Sitzecke, wo sie schon erwartet wurden.
    Effed stand an einem der großen, beinahe bodentiefen Fenster und sah hinaus.Wie immer war er in Schwarz gekleidet, mit dezenten Goldstickereien. Die Hände hatte er auf den Rücken gelegt.
    Es wirkte, als würde er die Aussicht genießen, doch Cedric ahnte, dass die Aufmerksamkeit dieses Mannes in erster Linie der Szene hinter sich galt. Wie immer fühlte er sich in Gegenwart von Rorys Onkel seltsam schutzlos und hatte das große Bedürfnis, möglichst viel Abstand zwischen sich und den Hausherrn zu bringen. Rory schien es ähnlich zu gehen, denn er hatte die stumme Aufforderung Theros, Platz zu nehmen, ignoriert und war neben den Sitzmöbeln stehen geblieben. Leise trat Cedric noch drei Schritte nach vorn, blieb an der Wand stehen und hatte von dieser Position aus die beiden gut im Blick.
    Gerade als das Schweigen unangenehm zu werden drohte, wandte sich Effed vom Fenster ab und musterte seinen Neffen. “Mir wurde zugetragen, ihr beiden wart gestern unterwegs?” In der fast beiläufig gestellten Frage schwang keinerlei Emotion mit, lediglich Neugier. Mit einer auffordernden Geste ließ er sich auf einem der Sessel nieder.
    Erst jetzt nahm auch Rory Platz und als ihn der Blick aus den grauen Augen seines Onkels traf, nickte er langsam. “Das ist richtig.”
    Besagte Augen wurden fast unmerklich schmaler. Doch noch immer verbarg Effeds Miene, was er über den nächtlichen Ausflug seines Neffen dachte. Man wird einfach nicht schlau aus ihm, dachte Cedric kurz.
    “Warum?” Jetzt lehnte sich der Hausherr ein wenig zurück.
    Rory atmete tief durch, dann richtete er sich zu voller Größe auf. “Um meine Stadt kennenzulernen. Die Leute. Ihre Mentalität, ihre Art zu leben. Ich möchte wissen, wer und was mir in wenigen Jahren anvertraut sein wird. Und welche Aufgaben auf mich zukommen werden.”
    Nachdenklich nickte Effed. “Ich verstehe. Auch wenn du es mir nicht glauben magst, ich verstehe dein Handeln vollkommen. Dennoch habe ich dich gebeten, vorerst im Haus zu bleiben - was denkst du, wieso?”
    Kurz ballten sich die Fäuste auf Rorys dunklen Hosen. “Ich habe einige Vermutungen, Onkel, doch ich fürchte, Ihr wollt sie lieber nicht hören.”
    Jetzt lachte Effed. “Ich glaube nicht, dass mich Verleumdungen und falsche Anschuldigungen um den Schlaf bringen werden. Man gewöhnt sich an alles, weißt du?”
    “Ihr wisst also von den Gerüchten, die in der Stadt umherschwirren?” Rory blickte grimmig.
    Cedric bemerkte den Groll in der Stimme seines Freundes. Ungünstigerweise sah Rory nicht zu ihm herüber, sonst hätte er ihm wortlos mitgeteilt, ruhig zu bleiben.
    “Ich bin mir dieser Geschichten wohl bewusst, mein Neffe. Und es ist verständlich, dass sie dich aufwühlen. Solltest du darüber sprechen wollen, stehe ich dir jederzeit zur Verfügung. Du kannst mir vertrauen. Doch heute ist, wie du weißt, noch viel zu tun und deshalb werde ich dir nicht noch mehr deiner kostbaren Zeit stehlen. Nur soviel - bleibe im Haus. Setze dich nicht erneut so einer Gefahr aus wie gestern Nacht.” Ein mildes Lächeln zauberte einige Falten in Effeds Gesicht. “Ja, ich weiß von eurem Erlebnis im ‘Tanzenden Fass’. Bleib hier. Ich - bitte dich. Denn beim nächsten Mal könntest du mit hineingezogen werden in das Geschehen und nicht mehr entkommen. Cedric!”
    Cedric riss erstaunt den Kopf hoch. Er wurde nie persönlich von Effed angesprochen, er war sich nicht mal sicher gewesen, ob Rorys Onkel überhaupt seinen Namen kannte. “Euer Hoheit?”
    “Mein Neffe vertraut euch blind, also halte ich es ebenso. Doch sollte dieses Vertrauen noch einmal erschüttert werden, ist Euer Dienst hier beendet.”
    “Ich habe verstanden.” Benommen verbeugte sich Cedric. Verdammt, hatte ihn Effed gerade für Rorys Handeln in die Verantwortung genommen?
    “Gut. Dann geh jetzt an deine Lektionen, mein Junge. Wir sehen uns heute Abend.”
    Die beiden Freunde verbeugten sich, nicht ohne einander einen kurzen, verwunderten Blick zuzuwerfen. Wortlos gingen sie zu Tür.
    “Ach, eins noch, Eneas.” Effed sah bereits erneut wieder zu den großen Fenstern hinaus, doch die Anrede ließ Rory mit versteinerter Miene erstarren. “Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.”

  • Dann habe ich mit meiner Vermutung ja nicht ganz falsch gelegen :D Rory ist also der eigentliche Thronfolger, der warten musste, bis er alt genug geworden ist.

    Allerdings ist nun die Frage, wozu er alt genug geworden ist. Zum regieren oder zum ermordet werden xD

    Aber geschickt gespielt von seinem Onkel, Cedric mit in die Verantwortung zu nehmen. So wird sich Rory gut überlegen, ob er den Arbeitsplatz und damit den Verlust seines Freundes riskiert ... :hmm:

    Der letzte Satz ist mies ^^° der arme. Geburtstag haben sollte toll sein ...

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

  • Ohje, böser Onkel in Schwarz, der mit hinter dem Rücken verschränkten Händen vorm Fenster in seinem Büro steht? Nie ein gutes Zeichen xD

    Ich wünsche den beiden Jungs viel Glück, der Onkel hat ja schon ganz gut gezeigt, dass er sich nicht so leicht an der Nase herumführen lässt...

    Ich habe nur eine kleine Anmerkung hinsichtlich der Namen: ich habe mich nämlich jetzt schon mehrfach dabei ertappt, wie ich Rory und Cedric miteinander verwechselt habe. Ich glaube das liegt daran, dass Cedric für mich viel edler und erhabener klingt als Rory. Rory klingt dagegen so .. gewöhnlich, finde ich. Und jetzt stellt sich heraus, dass Rory eigentlich gar nicht Rory heißt, sondern eigentlich Eneas - ein Name, der nicht im Entferntesten etwas mit dem Namen zutun hat, den wir bisher für ihn kennen. Vielleicht geht es nur mir so und bestimmt gibt sich das auch mit fortschreitender Lektüre, aber ich dachte ich merke es mal an ;)

    Spring - und lass dir auf dem Weg nach unten Flügel wachsen ~R.B

    Sometimes you have to be your own hero.

  • Hi Kiddel Fee

    das war wieder ein cooles Kapitel! Du hast echt ein Talent dafür, die Spannung / Neugierde so konstant aufrecht zu erhalten, dass man ganz automatisch weiterlesen will. Fand es sehr gut dargestellt, wie Rorys wahre Identität nach und nach enthüllt wurde. Erst konnte man es ahnen, dann wurde es langsam klar. Über Effed vermutet man aufgrund der Gerüchte zunächst mal nichts Gutes. Sein Verhalten ist bisher nicht wirklich durchschaubar und kann sich noch in jede Richtung entwickeln. Er scheint aber - auch wenn seine Ziele noch im Dunkeln liegen - geschickt vorzugehen, in dem was er macht.

    Ich habe nicht wirklich was unstimmiges gefunden. Daher halte ich es diesmal kurz.

    den darauf liegenden Kuchen

    Seufzend griff Cedric nach dem Bier

    Das nenn ich mal ein Frühstück :D

  • “Verdammt!”
    Die kleine Trainingshalle hallte wieder von den Schlägen, die unbarmherzig auf die Puppe aus Leder niederprasselten. Immer wieder traf das hölzerne Schwert die rot markierten Punkte, welche die Schwachstellen eines Gegners darstellen sollten.
    Rory keuchte wütend. Sein Onkel, sein undurchsichtiger und milde lächelnder Vormund, erlaubt ihm nicht nur lediglich Übungsgegner - zur Vermeidung ungünstiger Wunden am Geburtstag, die zweifellos Fragen oder Spott nach sich ziehen mochten -, sondern nannte ihn auch noch Eneas. Seit Jahren hatten ihn alle Rory gerufen in der herzöglichen Burg. Effed weigerte sich, dies ebenso zu tun. Er rief ihn bei seinem Geburtsnamen. Und so, wie er diesen Namen aussprach, klang es wie ein Fluch. Es weckte Zorn in ihm, roten, heiß lodernden Zorn.
    Rasch duckte er sich vor der Puppe weg, tauchte auf der linken Seite an ihr vorbei. Der finale Schlag traf direkt auf den Hals und ließ den mit Stroh gefütterten Kopf in hohem Bogen durch die Halle fliegen. Er würdigte das abgetrennte Haupt keines Blickes, sondern lauschte zufrieden auf das satte Klatschen, mit dem das Puppenteil in der hintersten Ecke aufschlug.
    Seufzend dehnte er die Schultern und kam dann zu Cedric herüber. “Sag nichts!”, knurrte er, während er sich mit einem groben Handtuch übers Gesicht fuhr.
    Cedric tat, wie ihm geheißen. Der treue Freund leistete ihm Gesellschaft, nachdem Rory die Dienerschaft hinausgeworfen hatte, damit niemand Zeuge des Ärgers über seinen Oheim wurde. Er hatte den blonden Kopf nach hinten an die Wand gelehnt und die Augen geschlossen, während Rory die Puppe angegangen war, doch jetzt blickte er auf und grinste. “Ist es besser jetzt?”
    “Leidlich”, gab Rory gereizt zurück. “Puppen prügeln hilft mir leider überhaupt nicht weiter.”
    Er ließ sich einfach auf den Boden fallen, breitete die Arme aus und musterte Decke des Kampfsaales. “Ich weiß nicht, was ich denken soll. Mein Onkel hat sich mir gegenüber bis jetzt tadellos benommen. Selbst nach unserem Ausflug diese Nacht. Er scheint … einfach nur glücklich zu sein, dass ich hier bin. Aufrichtig erfreut.” Grimmig schlug er mit den Fäusten auf den gefliesten Boden. “Andererseits haben wir gestern Abend einiges erfahren. Gerüchte oder Tatsachen? Ich weiß es nicht, aber es kommt nicht von irgendwoher. Was soll ich tun? Wie soll ich agieren, wie mit ihm umgehen?”
    Erregt setzte er sich wieder auf.
    Cedric hatte sich nicht gerührt, sondern sah ruhig zu ihm herüber. “Was stört dich denn so? Dass er dich bei deinem richtigen Namen nennt? Dich so behandelt, wie es dir eigentlich zusteht? Und gut zu dir ist?” Ratlos zuckte der Freund die Schultern. “Ich verstehe deine Unruhe nicht.”
    Ich auch nicht, dachte Rory, innerlich. Ich verstehe es nicht. “Es ist nicht der Name,” murmelte er schließlich. “Alle hier nennen mich so und ich kenne diesen Namen. Es ist nur - all die Menschen, die mir etwas bedeuten, nennen mich immer noch Rory.” Mit einem schmerzhaften Ziehen in der Brust dachte er an die Festung in Rerys, welche die letzten zwölf Jahre sein Zuhause gewesen war. Lord Symon Racht, alter Vasall der edlen Königin, hatte Rory dort aufgezogen und ausgebildet. Auch nach dem Tod seiner ganzen Familie.
    “Ich...traue ihm nicht. Keinen Fuß breit. Obwohl er mir nichts getan hat, im Gegenteil. Aber in seiner Gegenwart schrillen bei mir alle Alarmglocken. Ich fürchte ihn und warte nur auf den Moment, da er diese Fassade fallen lässt und sein wahres Ich zeigt.”
    Sein Freund erhob sich und stupste ihn herausfordernd mit dem Holzschwert an. Sie bezogen ihre Positionen, grüßten einander knapp, dann eröffnete Cedric mit einem blitzschnelle tiefen Angriff.
    Rory parierte mühelos. Obwohl beide Männer ihre viel Kraft in die Attacken steckten, landete keiner einen Treffer. Das war wenig verwunderlich. Seit frühester Kindheit hatten sie zusammen trainiert, Schwertkampf, Boxen, Schwimmen, Reiten. Sie waren ein eingespieltes Team, so fein aufeinander abgestimmt, dass der Herzog in Rerys einmal im Scherz gemeint hatte, sie wären eine Seele in zwei Körpern.
    Cedric hob das Kinn und die stumpfe Holzspitze von Rorys Schwert verfehlte ihn knapp. “Was, wenn er wirklich so ist und die Gerüchte nichts als Humbug darstellen?”, fragte er nebenbei, während er eine Finte wagte, auf die Rory jedoch nicht hereinfiel. Den Gegenangriff blockte er und wie so oft fanden sich die beiden Klinge an Klinge und wieder.
    “Wenn er wirklich so ist und keine Schuld am Tod meiner Familie hat,” entgegnete Rory leise und seine Stimme klang bedrohlich, “dann werde ich es herausfinden.”

  • Spannend, was es mit den Machenschaften des Onkels auf sich hat - für mich ist da noch alles denkbar. Hier ein paar Anmerkungen zum Text:

    Spoiler anzeigen

    erlaubt ihm nicht nur lediglich Übungsgegner

    Was ist mit "Übungsgegner" gemeint? Vielleicht meinst du Übungsschwerter (aus Holz)? Wenn Rory nicht gerade in die Schlacht zieht sind seine Gegner ja vmtl. meistens zum üben / trainieren. Vielleicht könnte man den Satz außerdem etwas umformulieren. Z.B.: "... nicht genug damit, dass er ihm lediglich Übungsgegner/schwerter erlaubte ..." oder so ähnlich.

    Der finale Schlag traf direkt auf den Hals und ließ den mit Stroh gefütterten Kopf in hohem Bogen durch die Halle fliegen.

    Wenn ich es richtig verstanden habe ist das eine mit Stroh gefüllte Leder-Puppe. Da dürfte es schwierig sein, der mit einem stumpfen Holzschwert den Kopf abzuschlagen :D

    Ich verstehe deine Unruhe nicht

    Das kam mit etwas seltsam vor, denn eigentlich legen die Gerüchte, die die beiden gehört haben ja schon nahe, das etwas nicht stimmt.

    mit einem blitzschnellen tiefen Angriff

    Obwohl beide Männer ihre viel Kraft in die Attacken steckten

    • Offizieller Beitrag

    Der krachende Donnerschlag direkt über dem Haus riss sie aus dem Schlaf.

    okay, es geht also aus der Perspektive weiter, die wir auch im Prolog hatten, richtig? Ist ja schon was her ^^;
    Mich hatte es etwas verwirrt, wie der Vater von den Symptomen "Ringe unter den Augen und hat abgenommen" darauf schließt, dass sie einen Freund haben könnte ^^;
    Das sind ja alles eher Sachen, dass es ihr schlechter ergeht, nicht? :hmm:
    Ansonsten bin ich gespannt, was der Vater herausfinden könnte. Er macht mir zumindest den Eindruck, dass er weiß wo er anzufangen hat :hmm:

  • Novize , Ondine , Miri, Etiam , Tariq

    Hey ihr alle und ein dickes fettes SORRY, dass ihr so lange warten musstet! War viel los bei mir , Umzug, Urlaub und immer irgendwas anderes, inklusiver akuter Schreibunlust ...

    wie auch immer, es geht weiter und ich hoffe, ihr bleibt dran! Scheut euch nicht, mit Vermutungen, egal welcher Art , wild um euch zu werfen. Das hilft mir zu erkennen, ob ich euch in die richtige Richtung führe und/oder überraschen kann!

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    Das Mittagessen nahmen die beiden nicht mit dem Rest des Hofes in der Großen Halle ein. Rory hatte resolut verkündet, man hätte zum Geburtstagsbankett am Abend noch genügend Gelegenheit, ihn zu bestaunen, und aß in seinen Räumlichkeiten, nur mit Cedric. Doch wie schon am Morgen wurde ihre Mahlzeit von der Ankunft Theros unterbrochen.
    Seufzend legte Rory die Serviette neben den Teller und winkte dem Leibdiener seines Onkels zu sprechen.
    Dieser verneigte sich schweigend. “Euer Hoheit. Seine Gnaden bittet Euch eine Stunde vor Bankettbeginn zu sich, um Euch ein Geburtstagsgeschenk zu überreichen.” Ohne eine Antwort abzuwarten, beugte er erneut den Kopf, dann zog er sich zurück.
    Cedric verkniff sich das Grinsen, als er Rorys Miene sah. Der Freund sah aus, als hätte man ihn an den Schlund der Hölle gebeten. Da die Bitte des Regenten als Befehl zu betrachten war, gab es keine Möglichkeit, um diesen Besuch herumzukommen, außer vielleicht eine lebensbedrohliche Erkrankung, eine Verletzung.
    “Lass uns ausreiten”, schlug er vor. “Vielleicht haben wir Glück und dein Pferd wirft dich so unglücklich ab, dass du dir beide Beine brichst.”
    “Guter Vorschlag, aber leider nicht zu Ende gedacht”, entgegnete Rory trocken, während er den Stuhl zurück schob und sich erhob. “Mit zwei gebrochenen Beinen bin ich ans Bett gefesselt und kann erst recht nicht mehr entkommen.”
    Cedric zog in gespielter Bestürzung die Augenbrauen nach oben. “Das stimmt natürlich. Trotzdem, gehen wir. Es wird nicht mehr lange dauern, bis die geladenen Gäste heranströmen. Besser, wir sehen sie vorerst nur aus der Ferne, was denkst du?”
    “Exzellent. Los geht's!”
    Wenige Minuten trafen sie im königlichen Marstall ein und trafen auch hier auf einen ganzen Haufen aufmerksamer Diener. Die Pferde für den Prinzen und seinen Begleiter waren, so versicherte der dienstfertige Stallknecht unter zahlreichen Verbeugungen, vom Regenten höchstpersönlich ausgewählt worden und stünden ausschließlich ihnen zur Verfügung. Als die beiden Hengste nach draußen geführt wurden, konnte Cedric erkennen, dass es erstklassige Tiere waren, ohne Makel, mit kräftigen Muskeln unter dem auf Hochglanz gestriegelten Fell. Ebenso erstklassig musste ihre Ausbildung gewesen sein, denn die beiden Rappen reagierten auf den leisesten Schenkeldruck und trugen die Freunde rasch hinaus in die weitläufige Palastanlage.
    Rory schien in Gedanken. Er achtete kaum auf die Wege, sondern starrte grüblerisch auf den Widerrist seines Hengstes.
    So war es Cedric überlassen, die Reitstrecke zu bestimmen und er wählte einen breiten Weg, der zu einem kleinen Wäldchen in eine Senke hinab führte, fort vom Palast. Er hatte keine Ahnung, wohin dieser führte und auch sein Freund durfte kaum Erinnerungen an die Residenz haben, obwohl er hier geboren und aufgewachsen war, bevor er an die Grenze zu Lord Symon übersiedeln musste. Doch der Weg schien ebenso gut wie jeder andere. Kein Mensch war zu sehen, also trieb er sein Tier zum Galopp und stellte zufrieden fest, dass Rory ihm folgte. Seite an Seite fegten sie über den Kies, bis sie schließlich den Schatten der ersten Bäume erreichten.
    Noch immer roch es nach nassem Laub nach dem Gewitter der letzten Nacht. Das saftig grüne Gras dampfte in der Mittagssonne und als die beiden unter den dunklen Blätterdach entlang ritten, fielen Wassertropfen von den tief herabhängenden Ästen.
    Nach einer Weile öffnete sich der Wald und gab eine lichtdurchflutete Lichtung samt einem Teich darauf frei. Im Sonnenlicht tanzten Libellen, leises Plätschern am Ufer verriet die Anwesenheit von Fischen und von den Baumwipfeln aus schickten Vögel ihre Melodien über das Wasser.
    Fast achtlos glitt Rory aus dem Sattel.
    Cedric nahm die Tiere am Zügel, die sein Freund nachlässig über einen Baumstumpf geworfen hatte und sah diesem besorgt nach, als er ans Wasser trat und auf das Seerosenfeld hinaus sah. “Rory?”
    Seufzend bückte sich der Freund und hob einen flachen Stein vom Boden auf. Eine rasche Bewegung mit dem Handgelenk und der Stein sauste über den stillen Teich, strich hüpfend über die glatte Wasseroberfläche und hinterließ eine Spur zitternder Kreise.
    “Zwanzig. Nicht schlecht.” Cedric kam an Rorys Seite, wählte ebenfalls einen flachen Kiesel.
    Er wusste nicht mehr genau, wie oft sie beide schon an einem Gewässer gestanden und Steine losgeschickt hatten, doch es hatte sich im Laufe der Jahre deutlich gezeigt: Rory war der Bessere und je mehr etwas in ihm rumorte, desto weiter schlitterten seine Kiesel über das Wasser.
    Cedric ließ sich auf einem breiten Baumstamm nieder, der in Ufernähe umgefallen war. Da die Sonne netterweise die Rinde bereits getrocknet hatte, bekam er keine nassen Hosen und hatte so genügend Muße, Rory bei der Arbeit zuzusehen.
    Schließlich endete Rory mit einer Parade Leistung von dreißig Sprüngen. Einen Moment stand er noch da und starrte auf den Teich hinaus, dessen Wasser die Kreise schluckte und schließlich wieder zur Ruhe kam. Dann wandte er sich abrupt ab und kam zu Cedric herüber. “Erinnerst du dich an Lady Amelia?”
    “Deine Verlobte?” Cedric brauchte einen Moment, bis er ein Gesicht in seinem Gedächtnis fand. Das lag daran, dass die Dame bereits vor drei Jahren verstorben war. Sie hatte schon damals die Dreißig überschritten gehabt und Rorys Erleichterung über das Ableben seiner Zukünftigen war beschämend groß gewesen. Nicht zuletzt, weil sie ein herrisches Temperament und die Noblesse eines Wasserspeiers besessen hatte. “Ich weiß immer noch nicht, warum sie euch damals verkuppeln wollten.”
    “Sie war die einzige heiratsfähige Dame aus dem ältesten Geschlecht unseres Landes”, seufzte Rory. “Über die Großeltern sind wir sogar verwandt. Sie hätte einen Thronanspruch gehabt, wenn ich gestorben wäre.”
    Cedric zuckte leicht die Schultern. Er hatte sich nie in die Politik eingemischt, sondern dem Freund lediglich einen Krug Bier gereicht, wenn der von den langweiligen Diskussionen mit seinem Oheim zurückgekehrt war. “Wie kommst du jetzt auf sie?”
    Langsam hob Rory den Kopf und warf ihm einen fast mitleidigen Blick zu. “Alter. Heute abend findet ein Ball statt! Anlässlich des Geburtstages vom begehrtesten Junggesellen überhaupt. Die Damen werden sich nur so auf mich stürzen. Falls mein Onkel nicht schon jemanden ausgesucht hat, erwartet er sicherlich, dass ich bald eine Wahl treffe. Was sonst sollte er mir vor Beginn des Festes noch erzählen wollen?” Rastlos erhob er sich wieder und brach einen Weidenast ab, den er pfeifend durch die Luft sausen ließ. “Schöner Mist.”
    “Ach, ich bin sicher, es finden sich ein oder zwei Weiblichkeiten, die dich nicht komplett abstoßen.” Cedric bemühte sich, Heiterkeit in seine Stimme hineinzulegen, doch Rorys Miene wurde immer finsterer.
    “Ich will nicht heiraten.”
    Der scharfe Tonfall war nicht zu überhören und überrascht stellte Cedric fest, dass sein Freund die Fäuste geballt hatte. “Warum nicht? Ich kann mir nicht vorstellen, dass du Lady Amelia nachtrauerst, aber eine Frau und eine Familie … ich meine, du bist dann bald der König …” Was hatte Rory auf einmal? Auf der Burg von Lord Symon hatte es haufenweise Mägde, Zofen, Damen und Matronen gegeben und die eine oder andere war dem Freund durchaus angenehm aufgefallen. Einmal hatte Rory sich so heftig in die Frau des Kämmerers verguckt, dass Cedric schon mit dem Schlimmsten rechnen musste. Und jetzt wollte er keine Frau?

  • Interessent, Rorys Abneigung gegenüber einer Heirat scheint Cedirk nicht richtig zuordnen zu können, obwohl er ihn ja sehr genau zu kennen scheint. Auf diese Erkenntnis wird hier (beim Rätseln um Rorys Stimmung) sehr schön hin gearbeitet. Meine Anmerkungen enthalten nur ein paar auf die schnelle bemerkte Kleinigkeiten:

    Anmerkungen

    Seufzend legte Rory die Serviette neben den Teller und winkte dem Leibdiener seines Onkels zu sprechen.

    fehlt da irgendwas im Satz?

    Wenige Minuten trafen sie im königlichen Marstall ein und trafen auch hier auf einen ganzen Haufen aufmerksamer Diener.

    2x trafen

    Rory war der Bessere und je mehr etwas in ihm rumorte, desto weiter schlitterten seine Kiesel über das Wasser.

    Interessent, dass er BESSER wird im "flitschen", wenn er über etwas nachgrübelt. Liegt das daran, dass er durch seine Aggression mehr Kraft in die Würfe legt? Ansonsten hätte ich erwartet, dass man hier eher durch Geschicklichkeit / Konzentration punktet.

    Schließlich endete Rory mit einer Parade Leistung von dreißig Sprüngen

    Das kam mir erst unrealistisch viel vor, dann habe ich gesehen, dass der Weltrekord bei 88 liegt 8o .

  • Hey Novize , vielen Dank für deinen ausführlichen Kommi! Tatsächlich habe ich keine Ahnung, wie weit man beim Steine-Springen-Lassen kommen kann - meine Versuche waren da immer mehr als Bescheiden, weshalb ich 30 schon für ganz realistisch hielt, aber wenn der Weltrekord soweit oben liegt, muss ich das anpassen. Andererseits, würde Ced mitzählen? Wer weiß, egal. =)

  • Hey Kiddel Fee,

    ich würd's so lassen - war eher Spaß als ernst gemeint :) und hab das nur bemerkt, weil ich den Weltrekord ziemlich krass fand. Ich glaube 30 ist schon extrem gut (ich bin nie besser als einstellig geworden, aber auch nicht sehr begabt). Und wie du schon sagst - das muss ja auch einer zählen (ohne Kamera).

    • Offizieller Beitrag

    Im Frühstückszimmer herrschte müdes Schweigen.

    Gefiel mir gut der Part.
    Effed war zwar immer ruhig, aber ich weiß nicht, wie es in seinem inneren aussieht ^^;
    Ich glaube (habe den Char ja erst einen Part erlebt xD) ich finde den Char gut. Ich weiß noch nicht genau auf welcher Seite er ist. Die Gerüchte besagen eindeutig Böse. Und in der Position in der sich der Leser befindet würde man dem acuh schnell glauben schenken, aber ich warte erst mal ab, was du uns presäntieren willst. FALLS er böse ist, dann ist er glaube ich sehr gefährlich. Klar, er hat viel Macht/Reichtum und so ... aber darüber hinaus ist noch irgendwas, was ich nicht genau benennen kann.
    Ich warte ab...

  • “Zwanzig. Nicht schlecht.” Cedric kam an Rorys Seite, wählte ebenfalls einen flachen Kiesel.
    Er wusste nicht mehr genau, wie oft sie beide schon an einem Gewässer gestanden und Steine losgeschickt hatten, doch es hatte sich im Laufe der Jahre deutlich gezeigt: Rory war der Bessere und je mehr etwas in ihm rumorte, desto weiter schlitterten seine Kiesel über das Wasser

    Das ist eine schöne Stelle. Sie verleiht deinen Charakteren Tiefe, weil sie zeigt, wie gut die Beiden sich kennen und wie lange sie schon Weggefährten sind.
    Obwohl ich beinahe finde, dass die Freundschaft ... einseitig ist das falsche Wort ... Rory verbindet mit Cedric sicher viel und ich würde aus den letzten Teilen auch sagen, dass er sein bester Freund ist, aber er wälzt schon viel Verantwortung auf Cedric ab. Egal, ob er darauf vertraut, dass Cedric sich um sein Pferd kümmert oder den Heimweg findet (und die Führung übernimmt, obwohl Cedric vom Anblick den getöteten Betrunkenen in der Taverne sicher auch erschüttert gewesen ist) oder nach seinen Befindlichkeiten fragt. Vielleicht hat es damit zu tun, dass Rory eben Prinz ist und es Cedrics Aufgabe ist dessen Verantwortung zu übernehmen. Aber Rory achtet irgendwie wenig darauf, wie es seinem Freund bei all dem geht. Er scheint viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um auf andere zu achten ... (Das ist so schön menschlich ^^)

    Alter. Heute abend findet ein Ball statt! Anlässlich des Geburtstages vom begehrtesten Junggesellen überhaupt.

    Beste Anrede XD Könnte von mir sein. Eigentlich müsstest du statt dem Punkt ein Ausrufezeichen setzen XD

    Und jetzt wollte er keine Frau?

    Ui, da tut sich gleich das nächste Rätsel auf, dass vermutlich ein Puzzelteil im Gesamten Bild sein wird. Ich bin gespannt, wie das alles zusammenhängt.

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

  • sorry, dieser kleine Part - aber an den nächsten passt er nicht ran ,also gibt es ihn einzeln :) Die rote Farbe darf ignoriert werden.

    Nachdenklich musterte er Rory. Wie er so dastand, dunkel vor dem in der Sonne blitzenden Wasser, erhobenen Hauptes ins Weite starrend, sah er absolut königlich aus. Cedric hatte schon in den letzten Woche gemerkt, wie ernst der Freund geworden war. Hatte er endlich seine Rolle akzeptiert und war bereit, sie auszufüllen? Doch zum Königstum gehörten nun einmal Ehe und Nachkommen …

    “Erkläre es mir, Rory. Ich verstehe es nicht. Wenn du einmal die Krone trägst, wirst du Erben brauchen.”

    Rory seufzte, setzte sich neben ihn und starrte in das grüne Blätterdach über ihnen. “Das ist es ja, Ced. In zwei Jahren werde ich den Thron übernehmen. Vielleicht bin ich da schon vermählt, vielleicht habe ich bereits ein Kind. Aber mein Onkel wird noch da sein. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass er einen Diener macht und dann seinen Platz in der zweiten Reihe einnimmt. Dafür war er zu lange an der Macht und dafür gefällt ihm seine Position viel zu sehr. Er wird weiterhin versuchen, den Staat zu lenken. Durch mich.”

    Langsam drehte er den Kopf und starrte Cedric an. “Egal, ob er meine Familie umgebracht hat oder nicht, ich werde ihm vorerst nicht entkommen können. Und den Gerüchten auch nicht. Wahr oder nicht wahr, auch meine potenziellen Kinder werden damit konfrontiert werden. Wie kann ich sie dem aussetzen? Wie kann ich das meiner zukünftigen Königin zumuten? Ein Leben in ständigem Misstrauen, in steter Wachsamkeit?” Erneut stand er auf, zu unruhig, um lange sitzenzubleiben.

    “Du glaubst nicht, dass dein Onkel dich zufrieden lassen wird.” Cedric verstand. Es hatte Rory Mut gekostet, in die Höhle des Löwen zu kommen, um sich auf sein Geburtsrecht vorzubereiten. Dass Cedric als Freund mitkommen würde, stand niemals zur Debatte. Aber Cedric hatte weder gesellschaftliche noch familiäre Verpflichtungen. Eine Ehefrau oder Kinder hingegen …

    “Aber was ist, wenn du auf dem Ball jemand wirklich Besonderen triffst? In die du dich Hals über Kopf verliebst? Willst du sie hinhalten, bis dein Onkel netterweise dahinscheidet?”

    Rorys Faust ballte sich so plötzlich, dass Cedrich erschrocken zusammenzuckte. “Keine Sorge”, knurrte er, “das wird nicht passieren. Er wirbelte herum und lief mit schnellen Schritten zu den Pferden.

    “Aber- Rory!” Cedric folgte ihm verdattert. Er hatte nicht damit gerechnet, so einen wunden Punkt zu treffen. “Rory!” Er bekam den Zügel vom Reittier des Freundes zu fassen und hielt diesen fest. “Was ist los, zum Teufel?”

    “Lass es gut sein, Ced. Und gib mein Pferd frei, sonst reite ich dich über den Haufen.”

  • Obwohl der Part kurz war, hat er glaube ich wichtige Informationen transportiert. Ich konnte Rorys Gedanken sehr gut nachvollziehen - auch seine eher humorlose Reaktion am Ende. Also, der Dialog ist dir auf jeden Fall gelungen. Zwei Kleinigkeiten hier:

    Anmerkungen

    vor dem in der Sonne blitzenden Wasser

    meinst du vielleicht eher "glitzernd"?

    Dafür war er zu lange an der Macht und dafür gefällt ihm seine Position viel zu sehr.

    Geschmackssache, aber "gefallen" hört sich für mich in dem Zusammenhang etwas zu schwach an. Ich erlebe Personen in Geschichten und im realen Leben, die sich in machvolle Positionen gekämpft haben, als geradezu besessen - oder zumindest süchtig danach. Ich würde den Onkel auf den ersten Blick auch als so eine Person einschätzen, die die Macht freiwillig nicht mehr abgibt.

    Freue mich auf die Fortsetzung - vielleicht wieder in schwarz :D?