Es gibt 3 Antworten in diesem Thema, welches 1.196 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (2. Juni 2021 um 08:51) ist von Theo-Drecht.

  • Kokoronashi


    Abends denk ich immer noch an dich

    seh in die blindgefärbten Bäume,

    doch sie lindern nicht. –

    Verwunderlich – In meinen Träumen

    bist du wieder so… veränderlich.


    Am Tag bin ich wie unter Andern

    doch es ändert nichts:

    Bist über-Wunden und doch mag ich dich

    Füll ich noch deine Stunden vor dem Zeichentisch?

    – Dennoch sagst du nichts. Wagst du’s nicht?


    Nachts taste ich nach dir und das verändert mich

    Durchhaste Tür zu Tür, ich haste hinter mich

    … Dein kleines Zimmerfenster war so winterlich…

    Es zerspringt nicht: In meinen Träumen

    wirkst du so… verbindlich


    Draußen findet Abendlicht

    ins Nachtkleid – und versäumt

    daran hängt unser Augenblick

    vertrautes Glück. Schau zurück:

    Wir kosten Augenlicht und traun uns nicht


    Und reicht das nicht?

    Denkst du, dass du mich nicht willst, das weiß ich nicht?

    Verwandere ich zu einem Fremden mich?

    Nur um zu Träumen – das scheint so… verschwenderisch.

    Drum änder ichs.

  • Was mir dazu in den Sinn kam ...

    Hallo Theo-Drecht

    ich hab dein Gedicht mal gelesen. Nein, eigentlich hab ich es dreimal gelesen und dann noch einmal eine Weile drüber nachgedacht. ^^

    Jetzt versuch ich mal, dir diese Gedanken rüberzubringen.

    Zum Inhalt:

    Generell finde ich das, was dem Dichter durch den Kopf geht, gut nachvollziehbar. Das lyrische Ich wurde verlassen und empfindet keinen Zorn, denn ich lese nur innere Zerrissenheit und Trauer um diesen Verlust heraus. Es interagiert mit der Umwelt, doch das scheint nicht zu helfen, um sich besser zu fühlen.

    Zur Form:

    Ich kann kein Reimschema erkennen. Aber ich muss auch gleichzeitig eingestehen, dass ich das nie wirklich gelernt habe. Zu meiner Zeit gab es noch keine Leistungskurse in Deutsch. (Deshalb haben meine Gedichte auch so ein einfaches Reimschema :ugly: )

    Es ist aber auch keine reine Prosa. Und ich tue mich schwer mit der unterschiedlichen Zeilenlänge. Die fünfte Zeile gefällt mir in der ersten, dritten und letzten Strophe sehr gut und ich fände es toll, sie (abgewandelt wie in der dritten) in den anderen Strophen auch zu finden. So wäre wenigstens etwas gleich an den Strophen. ist aber nur ein Vorschlag.

    Und insgesamt wirkt deine Zeichensetzung für mich etwas willkürlich verteilt. Mal die Auslassungspunkte, mal der Gedankenstrich, Komma, Doppelpunkt. Es irritiert mich ein wenig, weil es mich als dem Lesefluss reißt.

    Kleinkram:

    Abends denk ich immer noch an dich

    seh in die blindgefärbten Bäume, Hier hab ich ein Problem mit dem Adjektiv "blindgefärbt". Ich kann mir nix darunter vorstellen.

    doch sie lindern nicht. – Dass sie "nicht lindern" verrät mir, dass etwas gelindert werden muss.

    Verwunderlich – In meinen Träumen

    bist du wieder so… veränderlich. Das gefällt mir, obwohl ich persönlich das Wort "wieder" an der Stelle vllt weglassen würde.

    Am Tag bin ich wie unter Andern Ohne das "wie" würde es mMn mehr Sinn ergeben für den Kontext. Vllt weglassen?

    doch es ändert nichts:

    Bist über-Wunden und doch mag ich dich Hier frag ich mich, ob du tatsächlich den Bezug zu Wunden herstellen möchtest oder ob du "überwunden" meinst.

    Füll ich noch deine Stunden vor dem Zeichentisch?

    – Dennoch sagst du nichts. Wagst du’s nicht? Das "Dennoch" finde ich hier fehlplatziert. Es bedeutet in etwa "trotzdem" und mir fehlt hier der Auslöser, der das "trotzdem" hervorbringt. Trotz was sagt er/sie nichts?

    Nachts taste ich nach dir und das verändert mich

    Durchhaste Tür zu Tür, ich haste hinter mich Hier würde ich anstelle des "zu" vllt eher "um" schreiben. "Tür um Tür durchhasten" (natürlich sinnbildlich) verdeutlicht mir die Suche nach dem Ausweg besser.

    … Dein kleines Zimmerfenster war so winterlich…

    Es zerspringt nicht: In meinen Träumen

    wirkst du so… verbindlich

    Draußen findet Abendlicht

    ins Nachtkleid – und versäumt Das kursiv Gesetzte find ich sehr poetisch :thumbup: und es gefällt mir! Aber mit dem "und versäumt" kann ich nichts anfangen. Auch nicht in Zusammenhang mit der Folgezeile. :hmm:

    daran hängt unser Augenblick

    vertrautes Glück. Schau zurück:

    Wir kosten Augenlicht und traun uns nicht Hier versteh ich nicht, was du mit "Augenlicht" meinst. Das Wort wird mWn allgemein für "Sehvermögen" verwendet.

    Und reicht das nicht?

    Denkst du, dass du mich nicht willst, das weiß ich nicht? mMn ein komplizierter Satzbau. Vielleicht etwas einfacher formulieren?

    Verwandere ich zu einem Fremden mich? Meinst du "verwandele"? Denn "Verwandern" kennen ich nicht, auch nicht als lyrische Umschreibung

    Nur um zu Träumen – das scheint so… verschwenderisch.

    Drum änder ichs.  Was ändert das lyrische Ich, weil es das für zu verschwenderisch zum Träumen hält? Kann aber sein, dass ich's nur nicht raffe ...


    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

    ___________________

  • Tariq

    Spoiler anzeigen

    Liebe Tariq,

    danke für deine zahlreichen Anmerkungen! Es ist wertvoll, mitzubekommen, was spontan gefällt und was nicht. Oft verschraubt man sich doch so in den Prozess, dass man irgendwann nicht mehr weiß, was schön, was hässlich ist… 0.0

    Was, wie du richtig bemerkst, spontan ins Auge springt, ist die Uneinheitlichkeit. Ich vermute mal, das ist Kennzeichen einer noch nicht abgeschlossenen Arbeit. Ich war ja schon froh, überhaupt Fünfer-Strophen zustandegebracht zu haben.

    In der Form ist das, was du Zeilenlänge nennst, wohl die variierende Länge des Metrums. Die Verse klingen zwar alle sauber, aber du hast Recht damit, dass es noch glatter von der Hand gehen könnte! Es wäre ein fruchtbares Experiment, alle Verse auf eine Hebungsanzahl zu trimmen.

    Damit hängt dann wohl auch zusammen, die Form der fünften Zeile zu vereinheitlichen! Diese Suche nach Worten, die sich darin ausdrückt "…" ist ja tatsächlich ein Aussagefundament. Dieses wird angegriffen, wenn das Lyrische Ich vor allem die vierte Strophe so locker runterpoetisiert.

    Das Reimschema ergibt sich lediglich aus den zahlreichen Assonanzen mit "ich"; durchbrochen von gelegentlichen "-äumen" besonders im Endreim. Das wäre nun aber etwas von dem wenigen, das ich in diesem Gedicht tatsächlich für formgebend und stabil erachten würde. Sonst würde es ja gar nicht funktionieren.

    Die Zeichensetzung empfinde ich tatsächlich als Inhaltsträger und daher würde ich sie ungern einebnen. Darüber haben wir schonmal in anderem Kontext diskutiert ;) ! Aber vielleicht stört die weniger; oder die feinen Unterschiede treten stärker ins Gewicht, wenn das übrige vereinheitlicht ist.

    Was den Kleinkram angeht: Auch hier sollte ich in einer Bearbeitung darauf achten, dass vor lauter Klanglichkeit der Inhalt nicht allzusehr überspült wird. So ist "blindgefärbt" eine spontane Assonanz zu "lindern", was quasi in Abwesenheit mit "Linde", also dem Baum vor dem Fenster, assoniert.

    Einige Strophen sind auch arg zusammengesetzt und erscheinen daher nun brüchig: Die Geschichte mit dem Zeichentisch ist zum Beispiel gar nicht wahr. Also vermute ich mal… 0_0.

    "über-Wunden" ist ein Wortspiel, genauso wie "versäumt". Bei versäumt geht es um den "versäumten Augenblick", der am "Saum des Nachtkleides" hängt.

    Aber die vierte Strophe fällt ja allgemein raus. Sie wirkt mir auch ein wenig zu geziert, zu glatt. Eben genau was dir gefällt, das Elegante erlebe ich als unpassend zur Empfindung des Ich. Dass hier eine Gemengelage vorliegt zeigt nur, dass diese Empfindung in den anderen Strophen nicht klar und einheitlich genug präsentiert worden ist.

    "Verwandern" wieder Wortspiel; Ausgängig von "verwandeln": "Verwandern" wäre dann etwas wie "verlaufen", sich in den Träumen zu verlaufen und damit sich selbst verfremden. Der Wanderer ist ein Fremder. Auch wandert er weit; das kann auch Bewältigung sein.

    "Tür um Tür" hatte ich auch ursprünglich stehen, nun änderte ich es in "zu", damit es eine Alliteration mit "Zimmer-" bildet.

    Die letzten drei Verse gehören zusammen. Ich verwandere (verwandele) mich zu einem Fremden nur um zu Träumen – das ist verschwenderisch und zwar Verschwendung des täglichen Lebens. Ja, und auch das: Spannend, wie man die Brüche in der Herstellung gleich alle wieder findet. Eigentlich sollte die letzte Strophe irgendwie klarstellen, dass das Lyrische Ich sein Leben für diese nächtlichen erotischen Versöhnungsträume verbrät, indem es die Tage in Unruhe verbringt. Dann im Prozess setzte ich die letzte Strophe eben einfach wieder zusammen; aus den ersten beiden Versen, den folgenden Zwein und dem Letzten.

    Es sollte klargeworden sein, wo ich nochmal ansetzen müsste. Danke! Die poetische Kraft dafür spüre ich jetzt noch nicht, das obige war anstrengend genug.

    Aber das Bedürfnis spüre ich schon, das alles in ein gescheites Werk zu kulminieren.

    Viele Grüße! :)