Kurzbeschreibung: inspiriert durch ein Zitat des Buches "Die Nebel von Avalon" von Marion Zimmer Bradley:
"Morgaine lächelte und Viviane erinnerte sich, dass Morgaine in den ersten Jahren, als sie noch einsam hier war, manchmal ihre freie Zeit mit dem einzig anderen Kind verbringen durfte, das hier erzogen wurde - mit Galahad." Seite 189
Disclaimer: Orte und Personen sind dem oben genannten Buch entnommen, ich habe keinerlei Rechte an ihnen.
Oneshot
Kindheit auf Avalon
Schon seit Stunden saß Morgaine über den heiligen Schriften, die die Herrin vom See ihr gegeben hatte. Ihre Augen brannten bereits vom Entziffern der uralten Runen und ihr Magen knurrte, weil sie seit Tagen fastete, zur Ehre der Göttin. Sie wagte es, kurz aufzusehen und einen Blick aus dem Fenster zu werfen. Es war so schönes Wetter heute. Wie gerne würde sie jetzt mit Galahad am Seeufer sitzen und die Füße ins kühle Wasser tauchen, während er neben ihr saß und ein Lied auf der Harfe für sie spielte.
„Morgaine!“, riss die strenge Stimme der Hohepriesterin sie aus ihrem Tagtraum und errötend senkte sie den Blick wieder über ihre Aufgabe.
Die Priesterin, die heute Dienst hatte im Hause der Herrin, erschien und flüsterte Viviane etwas zu. Gleich darauf betrat Galahad den Raum.
„Kann Morgaine mit mir spielen kommen, Herrin?“ Morgaine sah hoffnungsvoll zu der Hohepriesterin auf.
Aber Viviane schüttelte den Kopf.
„Morgaine hat keine Zeit, Galahad. Sie muss lernen. Geh und nutze deine freie Zeit, um dein Harfenspiel zu verbessern.“
Traurig senkte Morgaine den Blick wieder. Wenn Viviane in dem Tonfall mit einem sprach, war Widerspruch zwecklos. Gehorsam las sie also weiter, konnte sich aber nicht verkneifen zu denken: Als ob es an Galahads Harfenspiel noch etwas zu verbessern gäbe! Ihr Vetter und einziger Spielkamerad auf Avalon war perfekt in ihren Augen. Sie bewunderte einfach alles an ihm. Am meisten, dass er der einzige war, der es wagte, Viviane zu widersprechen. Wie konnte man nur so mutig sein? Sie selbst würde sich das niemals trauen! Und Viviane gab ihm sogar manchmal nach, was Galahad in Morgaines Augen nur noch wunderbarer erscheinen ließ.
Auch diesmal wollte er seinen Willen durchsetzen.
„Ich will aber mit Morgaine spielen!“
Ohne sich um die wütenden Blicke seiner Mutter zu kümmern, nahm er Morgaine die Schriften weg und zog das Mädchen vom Hocker hoch. „Komm!“
Er nahm sie bei der Hand und zog sie hinter sich her ins Freie. Die Herrin vom See machte Anstalten, ihnen zu folgen und die Kinder zu maßregeln, aber dann seufzte sie und sagte, an die diensthabende Priesterin gewandt:
"Sollen sie diesmal spielen gehen. Bald ist es ohnehin für sie damit vorbei. Die Zeit lässt sich nicht aufhalten." Ein demütiges Neigen des Kopfes seitens der Priesterin war die einzige Antwort.
Die Kinder liefen indessen über die Wiesen, die sommerlich duftend im hellen Sonnenschein der Insel lagen. Morgaine blickte sich immer wieder furchtsam um. Folgte die Herrin vom See ihnen, um sie auszuschimpfen und zu bestrafen?
„Die Herrin wird sehr wütend auf uns sein, Galahad.“
„Pah, und wenn schon. Oh Morgaine, jetzt mache nicht solch ein ängstliches Gesicht! Schau, wie schön die Blumen blühen und die Schmetterlinge von Kelch zu Kelch flattern, so, als würden sie tanzen. Komm, Morgaine, tanz mit mir!“
Er zog sie in seine Arme und wirbelte sie lachend herum. Wie hätte sie da nicht mitlachen können!
„So gefällst du mir schon besser, Morgaine. Und jetzt komm, ich will dir etwas zeigen.“
Hand in Hand rannten sie bis zum Wald.
„Oh Galahad, wenn uns jetzt die Feen holen …“ Ängstlich sah das kleine Mädchen sich um.
„Die sollen nur kommen, denen werd ich es schon zeigen!“ Er bückte sich und hob einen kleinen Ast auf. „Schau, ich hab ein Schwert. Damit wird ich dich verteidigen, Morgaine.“ Sie musste lachen. Er war so süß, wie er da stand, den Stock in seinen schmalen zarten Händen haltend, die Haare vom Wind zerzaust und der Blick seiner Augen in seinem dunklen schmalen Gesicht, das so weich und fast mädchenhaft schön war, sprühend vor Freude.
„Du bist mein mutiger Ritter, Galahad!“, und er warf sich stolz in die Brust. Dann zog er sie weiter, bis sie zu einer Lichtung gelangten.
„Was ist denn das, Galahad?“
„Das hab ich für dich gebaut, Morgaine!“
„Für mich?“ Staunend ging sie um das kleine Häuschen herum, das aus Stämmen und Ästen, zusammengehalten von Schilfblättern, mitten auf der Lichtung stand.
„Das hast du ganz alleine gebaut?“ Er nickte und sie nahm seine Hände in ihre und betrachtete seine Handflächen. Aufgekratzt waren sie und die kleinen Wunden, die die Holzsplitter in ihnen hinterlassen hatten, noch deutlich zu sehen.
„Gefällts dir?“ Gespannt sah er sie an, Hoffnung, dass es ihr gefallen möge und der Angst, dass es nicht der Fall sein könnte, vermischte sich in ihm.
„Es ist wunderschön, Galahad! Ich bin so stolz auf dich!“
Bei ihren bewundernden Worten überzog eine leichte Röte sein Gesicht und seine Augen strahlten vor Freude. Doch dann legte sich ein leichter Schatten auf seine Züge.
Er wünscht sich, dass Viviane das auch einmal zu ihm sagt, dachte Morgaine. Gleich darauf verschwand der Schatten jedoch und Galahad strahlte sie wieder mit funkelnden Augen an.
„Und jetzt spielen wir, dass du eine Prinzessin bist und in deiner Burg von einem bösen Drachen gefangen gehalten wirst. Und ich bin dein mutiger Ritter, der gegen den Drachen kämpft und dich rettet!“
Er führte sie in das Häuschen, kehrte auf die Lichtung zurück und begann, laute Kriegsschreie ausstoßend, wild mit dem Stock herumzufuchteln. Morgaine sah ihm zu und feuerte ihn an. Endlich versetzte der tapfere Ritter dem Untier den Todesstoß und kam triumphierend zu Morgaine.
„Habt keine Angst mehr, holde Prinzessin, denn ich habe den schrecklichen Drachen besiegt!“
Galahad hob Morgaine hoch und trug sie auf seinen Armen aus dem Häuschen. Morgaine legte die Arme um seinen Nacken und säuselte:
„Wie tapfer und mutig Ihr doch wart, mein edler Ritter. Dafür bekommt Ihr einen Kuss.“ Sie hauchte ihm ein Küsschen auf die Wange, was ihn zum Erröten brachte.
Als sie am Abend an ihrem Lieblingsplatz auf einem der Apfelbäume saßen, bat er sie:
„Erzähl mir vom Hof des Königs, Morgaine.“
Und sie erzählte vom Leben an Uthers Hof, von den Pferden und Rittern und je länger sie erzählte, umso sehnsüchtiger wurde sein Blick.
„Weißt du, Morgaine“, vertraute er ihr an, „eines Tages, da werde ich diese Insel verlassen. Und dann werde ich ein richtiger Ritter mit einem richtigen Schwert, der gegen einen richtigen Drachen kämpft!“
„Das wirst du ganz bestimmt, Galahad“, antwortete sie und kuschelte sich an seine Schulter. Er legte den Arm um sie und schweigend sahen sie auf den im Abendlicht daliegenden See, nicht ahnend, dass sie die Zukunft vorweg genommen hatten und dass jener Tag, den sie beschworen hatten, das Ende ihrer Freundschaft bedeuten würde …