Der Auftrag - Part 1 von voraussichtlich 3
Das Tal war flach, die Hügel, die es umgaben nicht mehr als sanfte Erhebungen. Auf den Kämmen war es trocken und kahl. Brauner Staub und harte Steine. Durch das Tal zog sich ein Fluss. Jetzt war er ausgetrocknet, aber sein Bett war klar erkennbar. Ein braunes Band aus aufgebrochener Erde. Die Sonne hatte ganze Arbeit geleistet. Das Dorf war nicht mehr als eine traurige Ansammlung kleiner Hütten. Die meisten waren nicht mehr als ein Loch im Boden, umgeben von einer hüfthohen Steinmauer und gekrönt von einem Dach aus Schilf.
Tianon konnte nicht genau sagen, warum er sich Böhmers Söldnertruppe angeschlossen hatte und hierher gekommen war. Vielleicht war er es einfach überdrüssig, länger einem verlorenen Auftrag hinterherzurennen. Oder weil er sonst nichts besseres zu tun hatte. Die Söldner waren ein Haufen abgerissener und vom Schicksal durch alle Welt gespülter Halunken, Träumer und Mörder. Mit anderen Worten: ganz normale, einfache Menschen. Tianon war anders, aber das bedurfte keiner Erklärung. Jeder war anders als der andere. Und Tianon hielt sich einfach ein wenig abseits von den anderen und von ihren Trinkspielen und Lagerfeuerliedern.
Es war nicht so, dass er die Männer nicht mochte. Aber er kam einfach aus einer anderen Welt als sie. Einzig von Mannstein konnte ihn vielleicht verstehen. Der Adlige hatte alles verloren und aus seinem Land in die Ferne fliehen müssen, ohne jemals zurückkehren zu können. Er wurde nicht müde, wenn er betrunken war, davon zu reden, wie schändlich man ihn und seine altehrwürdige Familie hintergangen und verraten hatte. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen träumte (und redete all zu häufig) davon, eines Tages mit gezückter Klinge in seine Heimat zurückzukehren und sich seinen angestammten Platz wieder zu erobern. In all den Jahren, die er schon auf den Straßen dieser Welt verbracht hatte, hatte Tianon gelernt, dass solches Gerede bei den meisten Menschen leeres Geschwätz war. Sie taten nichts dafür. Sie sparten ihr Gold nicht, um Waffen zu kaufen und Leute anzuwerben, sondern versoffen und verhurten es in den Kneipen und Tavernen. Einmal hatte er einen Mann getroffen, der mit seinem Vorhaben Ernst gemacht hatte und Rache geübt hatte. Danach war es ihm aber nicht besser gegangen, woraus Tianon schloss, dass die meisten Menschen realistisch genug waren, um zu wissen, dass ihr Geschwätz besser Geschwätz blieb.
Trotzdem war es anstrengend, immer dieselbe Leier zu hören.
Da half es auch nichts, dass Krupp sich immer darüber beklagte. Der schwarzhaarige Mann hatte etwas Raubtierhaftes an sich. Vielleicht war es sein glattrasiertes, scharfkantiges Gesicht und seine kalten Augen oder seine schlanke Gestalt. Gleichzeitig nörgelte er immer an allem herum. Niemals nahm er etwas schweigend hin, immer musste er auf Nachteile hinweisen und Schattenseiten aufzeigen. Meistens äußerte er seinen Missmut allerdings ohne konkreten Anlass. Össbek, der die wunderbare Gabe hatte, sich für jeden Mann und jede Frau einen neuen Namen auszudenken, der wie die Faust aufs Auge passte, nannte ihn nur noch den Nörgler. Irgendwie war der Name hängengeblieben. Und so nannten sie ihn alle bald nur noch Nörgler.
Die Reise hierher war nichts besonderes gewesen. Von Auvron aus, wo Böhmer sie angeworben hatte, um, wie er sagte, einen Störenfried aus der unmittelbaren Nähe seines Dorfes zu vertreiben, waren sie der Straße nach Osten gefolgt. Anfangs gab es immer wieder befestigte Dörfer mit Gasthäusern und Wirtsstuben und die Landwehr sorgte dafür, dass es kaum Räuber gab. Dann wurde das Land hügeliger und karger und die Dörfer weniger. Drei Tage lang waren sie auf dem staubigen Weg geritten, ohne eine Menschenseele zu treffen. Dann wollte eine Schar Räuber sie überfallen. Es war das erste Mal seit langem, dass Tianon seine Klinge hatte ziehen müssen. Für den Sensenmann hatte es sich gelohnt, es war ein blutiger Tag gewesen. Von den Räubern war keiner entkommen. Die Söldner hatten kaum Verletzungen davongetragen. Nur Baku, der Waisenjunge aus Yamun, war eine Schramme am linken Auge zugefügt worden. Noch zwei Tage danach lamentierte er darüber, dass nun seine gutes Aussehen ruiniert wäre und dass ihn nun keine Frau auch nur noch ansehen würde und dass er doch der größte Liebhaber aller Zeiten hatte werden. Und so fort und so fort. Am dritten Tag hatte Fritz seinen Kriegshammer genommen, ihn vor Bakus Nase gehalten und mit ruhiger Stimme gesagt: „Weißt du, ich war Steinmetz. Kein gewöhnlicher Steinmetz, nein, ein Künstler. Ich habe Statuen geschaffen, die man ob ihrer Schönheit landauf, landab rühmt. Wenn du willst, dann verziere ich dir hier und jetzt mit meinem Hammer dein Gesicht. Wie gefällt dir das?“
Danach war Baku still gewesen. Von Mannstein und Össbek hatten schallend gelacht. Tianon selbst war es einerlei, ob sich die beiden gegenseitig die Schädel einschlugen. Er war zu dieser Zeit schlecht gelaunt gewesen. In letzter Zeit griffen die Schatten seiner Vergangenheit immer öfter nach seinem Geist und umwölkten sein Gemüt. Die anderen Söldner stichelten ihn deswegen, fragten, ob er ein Bad so arg vermisse und ob seine glatte, weiße Haut vom Staub der Straße spröde und dreckig wurde und er deshalb um seine Schönheit trauerte. Tianon hatte geschwiegen, hatte die Männer ihre Späße über ihn machen lassen. Das bedeutete ihm nichts. Trotzdem war ihm wieder bewusst geworden, wie verschieden er von ihnen war.
Nach einer Woche hatten sie dann endlich das Dorf erreicht. Böhmer hatte sie dann überrascht und ihnen eröffnet, dass der Störenfried ein Hexenmeister war, der in einem Turm sein Unwesen trieb und die Götter erzürnte. Deshalb mussten sie ihn auch vertreiben, wenn möglich töten. Krupp hatte nicht einmal Luft holen müssen, um mit einem Schwall erzürnter Worte von Betrug und Täuschung und der gleichen mehr über die Schlechtigkeit der Welt im allgemeinen und die ihres Auftaggebers im besonderen zu schimpfen. Auch die anderen hatten gemurrt. Alle außer Tianon und Fritz. Tianon vermutete, dass der alte Haudegen in Wirklichkeit ein Eisenpriester war. Tag und Nacht trug der Mann sein Kettenhemd und die eisernen Schulterpanzer. Der schwarze Vollbart tat sein Übriges, um ihn bedrohlich wirken zu lassen. Die Eisenpriester, so hatte er gehört, vertrieben einst alle Dämonen und Zauberer, Hexen und Hexer und andere Scharlatane gleich welchen Geschlechts, ja sogar alle anderen Götter aus ihrem Land und fürchteten nichts. Er wusste nicht, ob das stimmte oder ob es nur wieder das leere, unterhaltsame Geschwätz der Menschen war. Bisher hatte er nur ganz wenig des Eisernen Halbmonds, dem Land des Eisenvolkes und der Eisenpriester, gesehen. Eigentlich nur das ärmliche Fischerdorf und Auvron. Leider hatte er keinen Eisenpriester getroffen. Ihn würde interessieren, welche Weisheit sie von der Welt hatten.
Nun, die Dorfbewohner hatten ihnen zu Ehren ein Fest ausgerichtet. Es gab Bier und Fleisch. Danach waren die meisten Söldner zufrieden gewesen. Nur Krupp der ewige Nörgler hatte gesagt, dass es Unglück brächte, vor einem Auftrag ein Fest zu feiern. Von Mannstein hatte erwidert: „Wenn's schief geht, dann kann man danach ja nicht mehr feiern.“ Wieder hatten die Männer gelacht und gejohlt und sich damit beruhigen lassen.
Der Angriff auf den Turm sollte am folgenden Tag stattfinden. Heute sollten sich die Männer noch ausruhen, ihre Waffen und Ausrüstung in Ordnung bringen und keine Unruhe stiften. Die meisten hatten sich in den Wiesen um das Dorf ein schattiges Plätzchen gesucht.
Tianon selbst hatte es sich unter einem Baum gemütlich gemacht, den Rücken an den Stamm gelehnt und die Augen halb geschlossen. Trotzdem studierte er aufmerksam das Tal.
Das Dorf war wie die meisten Dörfer hier draußen kreisförmig angelegt – um einen zentralen Platz, der das öffentliche Leben markierte, standen versetzt zwei bis drei Reihen Häuser. Am Rand des Platzes hatten die Dörfler ihren Hochofen errichtet. Tianon hatte schon viele Kulturen gesehen, die die verrücktesten und unwahrscheinlichsten Götter anbeteten, aber noch nie eine, die ein profanes Element wie Eisen zu ihrem Gott erhob. Ein Hochofen als Tempel des Eisengottes... er musste lächeln. Und doch auch anerkennen, dass das Eisenvolk ehrlicher war als alle anderen – sie versteckten ihr Streben nach Macht und Härte nicht hinter den goldenen Fassaden von Göttern und Helden, sondern zeigten offen und ehrlich, dass nur kalter Stahl es vermochte, die Welt zu knechten.