Es gibt 126 Antworten in diesem Thema, welches 25.379 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (15. Januar 2025 um 15:36) ist von Jennagon.

  • Wie Esther hier saß und die Zeichen von der Kiste auf das Stück Seife duplizierte, kam sie sich vor wie eine Alchemistin. Da die Seife um einiges kleiner als die Kiste war, hatte sie sich ein Vergrößerungsglas ans Auge geklemmt und übertrug nun hochkonzentriert die einzelnen Zeichen und benetzte sie anschließend mit dem entsprechenden Zauber. Wenn die anderen sie jetzt beobachten könnten, hätten sie sie sicher für bekloppt erklärt oder ihr anerkennend auf die Schulter geklopft. Je nachdem, wer sie beobachtete …

    Angespannt lehnte sie sich zurück. Ihre Schulter schmerzte, obwohl Nelli sich große Mühe gegeben hatte. Das Angebot von schmerzlindernden Mitteln hatte Esther ablehnen müssen. Zu groß waren die Bedenken, sich dadurch nicht mehr konzentrieren zu können. Im Nachhinein waren die Schmerzen allerdings nicht besser geeignet gewesen.

    Sie nahm das Vergrößerungsglas ab, legte die feine Nadel beiseite und rieb sich die müden Augen.

    Wenn sie das erledigt hatten, musste sie unbedingt etwas schlafen.

    Sie schlug das Stück Seife mehrmals ein … nur für den Fall. Ob das dabei half, dass Trevor die Magie nicht so stark wahrnahm, wusste sie nicht, aber der Versuch schadete nicht.

    Anschließend verstaute sie es noch einmal in einen Reisesack. Sie verzichtete aber darauf, ihn sich um die Schulter zu legen. Die Verletzung dankte ihr das sicher.

    Hadernd begutachtete sie den Beutel. Auch wenn sie den Vorschlag eines Duplikates gut fand und auch die Idee mit der Seife eine gewisse Belustigung in ihr hervorrief, wollte sie sich nicht ausmalen, was geschah, wenn Thomas hinter alle dem kam. Aber daran durfte sie nicht denken, ihr Überleben hing quasi von dem Stück Seife ab.

    Als sie auf dem Oberdeck ankam, blinzelte sie. Erschreckend, wie schnell die Zeit davongerannt war. Immerhin berührte die Sonne bereits den Horizont und der Himmel war betupft mit rot schimmernden Wolken.

    Trotz des hereingebrochenen Abends arbeiteten die Handwerker weiter, als würden sie den Zeitdruck der Schiffsherren bemerken.

    Unweit des Mastes sah Esther, wie Edmund und Trevor mit einem der Handwerker sprach, während Nelli auf einem Fass hockte und scheinbar in die Leere starrte. Mittlerweile kannte sie die Hexe gut genug, um zu wissen, dass dem nicht so war.

    Esther ging auf Trevor und Edmund zu, während der Handwerker sich wieder seiner Arbeit widmete, worin auch immer diese bestand.

    „Ich bin fertig“, sagte sie und schob den Reisesack etwas nach vorn, damit die beiden Männer ihn besser sehen konnten.

    „Gut, dann sollten wir zusehen, dass wir das Teil schnell loswerden“, meinte Trevor und runzelte die Stirn.

    Esther nickte schnell. „Deshalb würde ich vorschlagen, dass ich mich gleich auf den Weg mache.“

    „Ich werde hier bleiben“, mischte sich Nelli plötzlich ein. Hatte sie eben nicht noch auf dem Fass gesessen? „Vermutlich würde ich euch sowieso nur im Weg stehen.“

    Esther wollte das Wort erheben, weil sie eigentlich niemanden darum bitten wollten, sie zu begleiten. Wofür auch? Ein Stück Seife auf einen Karren werfen, schaffte sie auch allein.

    „Dann komme ich mit dir mit, Esther“, beschloss Trevor, nachdem Edmund bekundet hatte, ebenfalls auf dem Schiff zu bleiben und bevor Esther überhaupt ihre nächsten Worte wählen konnte.

    Komisch. Sollte Trevor nicht das Schiff hüten wegen seiner Verletzung? Aber möglicherweise wollte der Formwandler sie nur nicht alleine gehen lassen. Edmund schien von ihrem letzten gemeinsamen … Ausflug jedenfalls noch geheilt zu sein und verdenken konnte Esther es ihm nicht.

    „In Ordnung.“ Sie nickte Trevor zu, der ihr die Tasche abnehmen wollte, woraufhin sie schnell einen Schritt zurückwich. „Das sollte lieber ich tragen. Es steckt voll mit Magie, aber keine Sorge, das kleine Stück Seife ist nicht schwer“, sagte sie lächelnd, als sie Trevors entgeistertem Blick begegnete.

    Es dauerte nicht allzu lang, bis sie die am Hafen angrenzende Stadt erreichten. Währenddessen schwiegen sie zumeist, bis auf kleine Banalitäten. Immer wieder blickte Trevor sich unauffällig um und zu gerne hätte Esther einen Schutzzauber um sie herumgezogen, doch ihre Sorge, den Formwandler dabei zu verletzen, war zu groß. Obwohl er sich schon einige Male innerhalb ihrer Barriere aufgehalten hatte, hieß das nicht, dass er dadurch keinen Schaden genommen hatte. Sie würde das nicht riskieren. Ob es eine Möglichkeit gab, ihn gegen ihre Magie immun zu machen? So oder so. „Trevor, hör mal“, begann sie, obwohl sie nicht einmal genau wusste, was sie zu ihm sagen wollte, „wir beide wissen ja jetzt um deine Schwäche. Und … ich wollte dich nur wissen lassen, dass ich auf dich aufpassen werde … Was meine Magie betrifft und die eines fremden Magiers. Ich werde nicht zulassen, dass dich Nekromanten oder Magier wie Thomas in die Finger bekommen.“

    Ach. Und wie willst du das anstellen? Neben Thomas wirkt deine Magie wie ein Fliegenschiss.

    Und als wären ihre Selbstzweifel nicht schon genug, lachte Trevor leise und schüttelte ungläubig wirkend den Kopf.

    Ja, ich traue mir das selber auch nicht zu. Warum sollten es also andere tun?

    Aber wieso eigentlich nicht? Schwach war sie keinesfalls.

    „Was gibt es denn da zu lachen?“, fragte sie harscher als beabsichtigt. Aber auch nur, um sich ihre eigenen Gedanken nicht anmerken zu lassen. Im nächsten Moment tat ihr das schon etwas leid, Trevor so angefahren zu haben.

    Mit einem Mal schnellte er vor, stellte sich recht dicht vor sie und sah auf sie herab.

    Vor Schreck sprang ihr Herz beinahe aus der Brust und sie konnte in dem Moment nichts anderes tun, als zurückzustarren.

    „Wenn mich ein Magier in die Hände bekommt, egal für was, wirst du nicht versuchen, mich zu retten. Du wirst rennen! Hast du mich verstanden?!“ Obwohl seine Stimme ruhig war, konnte sie den Druck dahinter spüren.

    Und das war der Moment, in dem sie sich vornahm, einen Weg zu finden, ihn zu befreien. Auch wenn sie diesen vermutlich nie entdecken würde, aber sie wollte es versuchen.

    Sie schüttelte langsam den Kopf. „Egal, was passiert, ich werde nicht weichen.“

    „Du kannst gerne gegen Magier kämpfen, wenn dir danach ist, aber nicht wegen mir dein Leben in Gefahr bringen. So viel bin ich nicht wert, nicht im Vergleich zu einer Gräfin.“

    Esther wich ein kleines Stück zurück. „Grundgütiger! Würdet ihr alle vielleicht mal aufhören, mich zu bevormunden?! Ich wusste von Anfang an, dass die Reise gefährlich wird und auf dem Weg hierher hat jeder von uns sicher schon dreimal sein Leben riskiert. Oder sogar noch öfter. Und wenn ich meine, deinen Kopf aus der Schlinge ziehen zu müssen, dann ist das meine Entscheidung. Denn du bist mein Freund und tausendmal mehr wert als irgendein Titel, der im Grunde nichts bedeutet, weil ich ohnehin eine Frau bin.“

    „Ich bevormunde dich nicht“, hielt Trevor dagegen. „Ich bitte dich darum eindringlich, weil mein Leben genug Leichen pflastern. Auf die Leichen meiner Freunde würde ich dabei gerne verzichten ...“ Er grinste. „Auch, weil du eine Frau bist."

    Esther sah ihn daraufhin eine Weile schweigend an. Was sollte sie dazu sagen? Er konnte sie nicht dazu bringen, ihn einfach irgendwo zurückzulassen, egal, wie gefährlich es für sie werden konnte. Und sie wusste, dass er ihr genauso wenig den Rücken kehren würde. „Dann sollten wir uns darum bemühen, dass keine weiteren Leichen dazukommen“, meinte sie, als wäre das in ihrer Situation das Leichteste der Welt. Immerhin klebte ihnen einer der gefährlichsten Magier im Nacken, der scheinbar gemeinsame Sache mit Armod machte und die zusammen nach den magischen Relikten suchten. Das war doch ein Spaziergang!

    Innerlich zerriss sie der Gedanke daran, sollte Thomas ihre Finte bemerken. Dass das unweigerlich passierte, wusste sie. Sie selbst war zweifelsohne eine gute Magierin, aber Thomas gehörte zu einer anderen Sorte. Seine Art, Magie zu wirken, ließ sich kaum erklären, so unterschiedlich und unberechenbar war sie.

    „Wenn ... sollten es die Leichen anderer sein. Damit kann ich leben.“, riss Trevor sie plötzlich aus ihren Gedanken und sie blickte in sein schelmisch grinsendes Gesicht.

    Sie schauderte kurz. Es war für sie schwer zu begreifen, wie man so etwas verkraften konnte. Ein Leben zu nehmen, war ein schweres Vergehen. Dennoch verurteilte Esther Trevor dafür nicht. Merkwürdigerweise beruhigte sie es, dass Trevor so etwas ohne mit der Wimper zu zucken, übernahm. Und nach Nellis Geschichte über die Formwandler verstand sie nun ein wenig mehr, aber immer noch nicht genug.

    „Gut“, nahm sie das Gespräch wieder auf, bevor die Stille unangenehm zu werden drohte. „Ich hatte jetzt auch, um ehrlich zu sein, nicht damit gerechnet, dass dir das schlaflose Nächte bereitet.“ Obwohl …Ihre Neugier siegte. „Hat es das mal? Dir den Schlaf geraubt?“ Sie ging an ihm vorbei und schaute über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass er zu ihr aufschloss.

    „Am Anfang vielleicht.“ Er zuckte die Schultern. „Man fragt sich, ob das Gegenüber, das man tötet, Familie hat. Kinder, eine Frau, aber das gewöhnt man sich ab, wenn jemand dir keine Wahl lässt.“

    Sie nickte leicht. Das klang logisch. Trotzdem blieb der bittere Beigeschmack. Wäre sie dazu in der Lage, ein Leben einfach zu beenden? „Das mag naiv klingen, aber ich hoffe, dass wir zukünftig immer eine andere Wahl haben werden.“ Sie lächelte etwas unbeholfen, um ihre Nervosität herunterzuspielen.

    „Das klingt naiv, aber hoffen darfst du es trotzdem.“

    Nun wurde ihr Lächeln etwas echter, auch wenn seine Worte sie nicht annährend erleichterten.

    Bevor sie darauf etwas erwidern konnte, deutete Trevor mit dem Kinn nach vorne. „Scheint, als würde der Karren noch heute Nacht aufbrechen.“

    Esther kniff die Augen zusammen und folgte Trevors Geste. Und tatsächlich wirkte es so, als würden die Männer ringsum noch Ladung draufpacken. Einer zog die Riemen des Zaumzeugs der Pferde fester. Wieso machte sich jemand noch so spät ab Abend auf den Weg und reiste über Nacht? Aber eigentlich konnte es ihnen auch egal sein, die Hauptsache war, dass sie Thomas auf Abstand brachten.

    „Das wäre unsere Gelegenheit“, flüsterte sie, woraufhin Trevor nickte.

    Normalerweise hätte sie jetzt dem Formwandler das Verstecken überlassen, aber aufgrund der Magie hielt sie es für besser, dass sie das übernahm.

    Trevor stimmte dem zu, wenn auch sichtlich widerwillig. Ob das nun daran lag, dass Esther mit solcherlei Dingen keine Erfahrung hatte und Trevor ihr das insgeheim nicht zutraute oder ob er sie beschützen wollte, konnte sie nicht sagen. In dem Punkt ließ sie aber nicht mit sich diskutieren. Sie hatte keine Lust darauf, dass Trevor wieder zusammensackte wie der Früchtekuchen ihrer Köchin, wenn dieser abkühlte.

    Und dann warteten sie darauf, dass das Treiben um den Karren etwas weniger wurde, und gingen verschiedene Möglichkeiten durch, den kleinen Reisesack auf die Ladefläche zu bekommen.

    Schließlich stemmte Trevor sich von der Hauswand ab, an der sie gestanden hatten. „Besser wird es vermutlich nicht“, murmelte er und ging auf die kleiner gewordene Gruppe zu.

    Esther wartete noch einen kurzen Moment und schlug einen kleinen Umweg ein. Während Trevor die Männer in ein Gespräch verwickelte, ging Esther von hinten am Karren vorbei und warf den Beutel zielgenau zwischen die anderen Leinensäcke auf die Ladefläche. Natürlich hatte sie sich zuvor abgesichert, nicht beobachtet zu werden. Das hatte Trevor ihr eingeschärft und sie war ziemlich überrascht davon, dass es ihr ohne Weiteres gelungen war. Lächelnd wandte sie sich um, als just in dem Moment jemand aus dem Gebäude trat und kurz davor war, sich zu ihr herumzudrehen.

    Ihr rutschte das Herz in die Hose, aber sie reagierte geistesgegenwärtig, indem sie geduckt an dem Karren vorbeihuschte. Das Blut rauschte in ihren Ohren und sobald der Unbekannte außer Sichtweite war, richtete sie sich auf, ging um den Karren herum und auf Trevor zu. Sie sammelte sich gedanklich.

    Schauen wir mal, ob das höfische Schauspielern dir jetzt auch was bringt.

    „Ach, guckt ma da ... Pferde. Die sehen aus wie meine Alde. Die macht auch imma so 'ne lange Fresse ...“, hörte Esther Trevor bereits nuscheln und kichern.

    Es viel ihr schwer, sich das Lachen zu verkneifen.

    „Ich könnte wetten, bald sieht sie aus ...“, er rülpste zwischen seinen Worten, „... wie ihre Mutter. Fett, aufgedunsen ... und ...“

    Der Mann hatte Talent, das musste Esther ihm lassen. Sie holte tief Luft. „Das gibt´s ja wohl nicht!“, begann sie loszutoben, woraufhin sich sofort alle zu ihr herumdrehten. Sie nutzte die Aufmerksamkeit, blies die Backen auf und stemmte gespielt genervt die Hände in die Hüften. „Den ganze Tag lässt du dich nicht blicken, selbst die Kinder fragen, wo du bist! Und wo finde ich dich wieder?!“ Sie warf die Arme in die Höhe und schnaubte hörbar.

    „Ich bin verheiratet. Wo wärd ich wohl sein. Da wo du und die Kinder nisch sind.“

    „Glaub mir, ich habe auch keine Lust, deinen nach Bier stinkenden Atem ständig zu ertragen, aber du hast immer noch Verpflichtungen“, polterte Esther. „Jetzt sieh zu, dass du deinen versoffenen Arsch nach Hause bekommst oder du lernst mich kennen!“ Sie hob die Hand als Drohung.

    „Pflischten, Pflischten ... Wir ham genuch Kinder!“, warf er ihr an den Kopf.

    Am liebsten hätte Esther sich gegen die Stirn gehauen. Konnten sie nicht einfach endlich gehen? Aber gut, so lange Trevor keine Anstalten machte, musste sie mitspielen.

    „Als würde mit dir Schnapsleiche noch jemand ins Bett steigen“, sagte sie naserümpfend. „Von mir aus … bleib doch wo der Pfeffer wächst. Aber komm mir morgen nicht an, du willst deine miefenden Klamotten von mir gewaschen haben!“

    Trevor stöhnte hörbar und schaute die Kerle an. „Nischt nur die Kleidung, Essen brauche ich auch.“ Dann wandte er sich ihr um. „Warte Schätzelein … Du weißt doch, wie isch bin. Ein Trottel … Och, jetzt sei nischt so.“

    Während Trevor das sagte, entfernten sie sich immer mehr von den umstehenden Leuten.

    Als sie außer Hör- und Sichtweite waren, ließ Esther die Anspannung von sich abfallen und sah Trevor von der Seite an. „Schauspielern kannst du, das muss ich dir lassen“, sagte sie grinsend.

    „Die Rolle der keifenden Ehefrau kannst du aber auch gut“, meinte Trevor anerkennend.

    „Es hat hoffentlich den Zweck erfüllt“, sagte sie achselzuckend und erst dabei wurde ihr wieder bewusst, dass sie an der Schulter verletzt war. Während dieser ganzen Aktion hatten sich die Schmerzen so weit in den Hintergrund gerückt, dass sie es beinahe vergaß. „Das Säckchen liegt auf dem Karren. Bleibt nur abzuwarten, ob Thomas den Köder schluckt.“

    „Hoffen wir es“, gab Trevor kurz angebunden zurück, womit Esther sich zufriedengab. Mehr als warten, konnte sie schlussendlich nicht tun.

  • Nelli schaute Trevor und Esther nach, wie sie das Schiff verließen, die runzelige Stirn noch etwas mehr in Falten gelegt. Ihr Plan wies mehr Falten auf, als eine Scheibe Käse, aber sie hatte auch nicht wirklich eine bessere Idee. Und Zeit zu schinden, damit sie entkommen konnten, war allemal sinnvoller als auf diesen unheimlichen Typen zu warten, dessen Gegenwart selbst ihr Übelkeit verursacht hatte, auch wenn sie es niemandem gesagt hatte.

    Die Handwerker waren noch weiter mit der Reparatur des Schiffes beschäftigt, grade der Mast hatte noch wirklich Arbeit nötig. Eigentlich ein Wunder, dass diese Nussschale sie bis hierher gebracht hatte. Ihr Blick ging zu Edmund, der sichtlich genervt auf dem Deck stand, die Arme vor der Brust verschränkt und in seiner üblichen nölenden Art die Arbeiter herum kommandierte.

    Das muss schneller gehen. Und so wird das sicher nicht funktionieren!“ meckerte er, woraufhin sich einer der Arbeiter zu ihm umdrehte. Die Hexe musste sich das Lachen sehr verkneifen, als der ihm einen Hammer in die Hand drückte.

    Dann macht es selber besser“, verlangte er, was den Händlersohn die Backen aufblasen ließ. Nelli konnte die Empörung in seinem Gesicht sehen und beschloss einzugreifen, bevor Edmund auch noch die letzten Arbeiter vergraulen konnte.

    Du bist nicht hilfreich, Edmund. Lass sie einfach ihre Arbeit machen“, schlug sie vor und humpelte auf ihn zu, lehnte sich vielleicht etwas mehr auf ihren Stock als sonst.

    Sagt das alte Weib, was bisher nur auf einem Fass gesessen und zugeschaut hat“, gab er genervt zurück und fuchtelte mit dem Hammer herum.

    Ich hab aber auch nicht so getan, als wenn ich hilfreich wäre. Und es geht sicher schneller, wenn du nicht mit ihrem Werkzeug nutzlos in der Gegend herum fuchtelst“, merkte sie trocken an, schaute kurz zu dem Handwerker, der irgendwas zwischen peinlich berührt und belustigt schien. Wie ein Kind, das zwischen den streitenden Eltern stand.

    Aber er hat es mir doch in die Hand gedrückt anstatt vernünftig zu arbeiten!“, empörte der Schnösel sich, was Nelli ein genervtes Seufzen entlockte. Manchmal fragte sie sich, warum sie Edmund nicht einfach dem Kraken zum Fraß vorgeworfen hatten.

    Gib ihn einfach zurück. Steht dir eh nicht, so ein Hammer.“ Der Blick mit dem Edmund sie betrachtete hätte weniger standfeste Personen in die Flucht getrieben. Ein Morddrohung nur mit den Augen... Dennoch drückte er dem Handwerker das Werkzeug wieder in dessen große Pranken.

    Zurück an die Arbeit und beeilt Euch, ich will hier keine Wurzeln schlagen“, wies er ihn an und wandte sich zum Gehen. Vielleicht sollte sie etwas machen, damit er die Arbeiter in Ruhe ließ, ihn irgendwie ablenken. Sie watschelte ihm hinterher.

    Sag mal, Edmund, hast du schon in das Buch geschaut, was ich dir gegeben habe?“ fiel es ihr siedend heiß ein. Damit würde sich doch was anfangen lassen. Doch Edmund schnaubte nur verächtlich.

    Klar, in den zwei Stunden, in denen ich mal hätte schlafen können“, kam es sarkastisch zurück und die Alte runzelte die Stirn. Kein Grund gleich so pampig zu werden...Wobei, das war Edmund, warum wunderte sie das überhaupt?

    Hätte ja sein können, alter Griesgram“, brummte sie und tat sich etwas schwer, mit ihm Schritt zu halten.

    Klar, eignet sich hervorragend als Einschlaflektüre...Sehr spannend. Nicht“, ätzte er, lehnte sich an die Reling. Nelli entging nicht, wie sein Blick unruhig zwischen dem Hafen und den Arbeitern auf dem Schiff hin und her wechselte. Oh ihr Götter, er war wirklich nervös und angespannt.

    Ha! Also hast du darin gelesen!“ triumphierte sie und grinste ihn frech an. Dann eben so.

    Ich sagte doch, in den zwei Stunden, in denen ich mal hätte ein Auge zu machen können“, brummte er, „Und jetzt grins nicht so blöd.“

    Ist ja gut. Aber du hast rein geschaut, das freut mich. Ich mag eifrige Schüler“, stichelte sie und beobachtete, wie er sie zum ersten Mal bewusst anschaute, ein wütendes Funkeln in seinem Blick.

    Ich bin NICHT dein Schüler!“ fauchte er, was Nelli eine Augenbraue heben ließ. Warum war dieser Kerl nur einfach so voller Widersprüche? Warum musste er dagegen eseln auch wenn es völlig sinnlos war?

    Wenn du das nicht willst, warum hast du dann das Buch gelesen?“ hakte sie nach, was Edmund den Blick abwenden ließ, während er irgendwas von Interesse in seinen nicht vorhandenen Bart nuschelte. Noch immer glitt sein Blick unruhig zum Hafen und gerade als er ansetzte, die Handwerker wieder zur Sau zu machen, griff Nelli nach seinem Ärmel und zog ihn mit sich.

    Hey! Was soll das?“ meckerte er, versuchte ihr seinen Arm zu entziehen, doch Nelli konnte einen sehr unbarmherzig festen Griff haben, wenn sie wollte. Und gerade wollte sie.

    Statt sinnlos auf dem Deck rumzustehen, kannst du mir auch helfen. Dann bist du wenigstens den Handwerkern nicht mehr im Weg“, bestimmte sie, was ihr ein gemurmeltes „Danke! Endlich!“ der Arbeiter einbrachte. Sie zog den Händlersohn unter Deck in die Küche, was ihn leicht panisch werden ließ.

    Entspann dich. Wenn Trevor und Esther entdeckt worden wären, würden wir das auch von hier aus ganz sicher mitbekommen“, stellte sie nüchtern fest während sie einen Topf mit Wasser füllte und versuchte das Feuer zu entzünden, was mit ihren krummen Fingern nicht unbedingt einfach war.

    Um die beiden mach ich mir gar keine Sorgen. Eher um uns“, gab Edmund flapsig zu, tigerte unruhig in der Küche auf und ab.

    Warum? Dass wir nicht rechtzeitig weg kommen?“ Sie zog die Augenbrauen erneut hoch. Für so ängstlich hatte sie ihn nun wirklich nicht gehalten.

    Mal überlegen: Wir beide hocken hier, beide nicht in der Lage etwas gegen Magier auszurichten. Die Einzige, die Schiff und Leute verteidigen könnte, bringt gerade eine Kiste weg, von der wir hoffen, dass ein widerlicher Magier darauf hereinfällt. Was wenn nicht? Das war ein saublöder Plan und wenn der Kerl beschließt uns auszuräuchern, können wir beide nichts machen, außer ihn mit Gold zu bewerfen“, kam es zynisch von dem Händlersohn. Nelli hielt in ihrem Tun inne und lehnte sich auf die Arbeitsfläche.

    Naja, so ganz wehrlos sind wir ja nicht...“ wandte sein, was Edmund ein freudloses Lachen entlockte und ihn die Arme in die Luft werfen ließ.

    Klar, was willst du machen? Ihn bitten, Gift zu trinken? Da kann ich ihn ja noch eher ins Meer locken und ertränken...“

    Sie stemmte die Hände in die Hüfte und schnaubte entrüstet. Für wie nutzlos hielt dieser Schnösel sie eigentlich?

    Ich kann auch Pulver herstellen, das ist meistens sogar hilfreicher“, gab sie patzig zurück, widmete sich erneut dem verdammten Feuer. Oh, wo war die Magierin, wenn man sie mal wirklich brauchte? Es herrschte einen Moment Stille, Edmund hatte aufgehört herum zu laufen.

    Seine nächsten Worte waren eher etwas gedehnt, als müsste er sich zwingen, sie auszusprechen. „Wenn du mir unbedingt etwas beibringen willst, dann das. Das halte ich für taktisch klüger als irgendeinen Trank.“

    Erstaunt drehte sie sich zu ihm um. „Einverstanden, dann das. Wenn du das lernen willst, dann bringe ich dir das bei.“

    Er wich ihrem Blick aus, rieb sich den Nacken. „Du willst, das ich das lerne.“

    Sie winkte ab, das hatte keinen Sinn darüber zu diskutieren. „Wie auch immer.“

    Sie begann ihm die verschiedenen Kräuter, die sie nutzen würden, zu erklären und vorzubereiten. Zwar tat Edmund genervt, aber Nelli merkte, dass er ihr immerhin zuhörte. Schließlich ging sie das alles Schritt für Schritt mit ihm durch, ließ ihn aber dabei das meiste machen. Sie merkte, dass er müde war, gab sich aber wirklich Mühe, ihr zu folgen und ihren Anweisungen zu folgen. Das klappte ja schon überraschend gut.

  • Zu sagen, dass Edmund nicht begeistert war, weil Nelli ausgerechnet jetzt meinte, ihm irgendwas über Tränke und Pulver beizubringen, wäre untertrieben gewesen. Er hasste es, nicht zu wissen, was um das Schiff herum passierte. Als hätten sie im Moment keine anderen Probleme, als irgendwelche Kräuter zusammenzukippen und seine Töpfe damit einzusauen. Allerdings hatte Nelli seine Unruhe bereits bemerkt und noch weniger als Hexenkram zu lernen, wollte er, dass sie dachte, er würde sich Sorgen machen.
    Zugeben, dass er das Gebraue interessant fand und es ihn beruhigte und ablenkte, würde er dennoch nicht.
    „Fertig“, verkündete Nelli schließlich.
    Edmund schüttelte die Gedanken ab und betrachtete das mehrfarbige Gebräu in seinem Topf.
    Es roch ja nicht schlecht, aber … „Was haben wir da eigentlich gemacht?“ Er hob die Augenbrauen und betrachtete die Hexe, die aber nur verschmitzt grinste.
    „Anhand der Zutaten, mein Schüler, was meinst du, was der Trank bewirkt?“
    „Nenn mich nicht deinen Schüler, altes Weib…“, grummelte Edmund genervt. Wenngleich das Buch interessant war und das Trankmixen dem Kochen ähnelte, gefiel es ihm überhaupt nicht, als Schüler bezeichnet zu werden.
    Das erinnert mich an diesen Dreckssack von einem Hauslehrer …
    Der Kerl war völlig stumpf gegenüber der Nymphen-Aura gewesen und hatte ihn immer wieder als dumm und unfähig beschimpft. Dabei war der Unterricht genauso spannend gewesen, wie Hornhaut mit dem Bimsstein vom Fuß zu schrubben. Wer konnte es ihm da verübeln, dass sein 10-Jähriges Ich erst gar nicht zum Unterricht erschienen war?
    „Keine Ahnung, es verleiht Flügel?“
    Nelli verdrehte die Augen und seufzte.
    „Nein, das ist ein Vergessenstank.“
    „Ein Vergessenstrank?“ In dem Alter braucht die noch einen Trank dafür?
    „Es schadet wohl nicht, die Handwerker vergessen zu lassen, was sie hier gesehen haben.“ Nelli grinste zufrieden und rührte in dem Topf herum. „In ein paar Stunden sollte er fertig sein.“
    Keine dumme Idee …
    Er sollte darüber nachdenken, einen extra Satz Geschirr für Nelli anzuschaffen. Auf Dauer war es nicht gut, wenn er in den gleichen Gefäßen kochte, in denen Nelli ihren Sud zubereitete. Am Ende vergaßen sie beim Essen, was sie aßen.
    Er wollte Nelli gerade fragen, als er Schritte hörte.
    Als er sich umdrehte, betraten Trevor und Esther die Küche.
    Alles erledigt“, meinte Esther.
    Und scheinbar reibungslos, nahm Edmund zur Kenntnis. Er musterte beide. Sie waren unverletzt. Und ohne Verletzungen.
    „Was macht ihr da?“ Trevor reckte den Hals zum Topf. Er kniff die Augen zusammen, als würde er überlegen, ob es gut oder schlecht war, dass Nelli und Edmund beisammenstanden, ohne sich zu streiten.
    „Wahllos Kräuter zusammenklumpen, die alle gleich aussehen." Ich glaube, das Mütterchen verspottet mich die ganze Zeit, in dem sie mir die gleichen Kräuter immer wieder vorlegt und mir irgendwas anderes Ausgedachtes dazu erzählt.
    „Edmund ablenken", meinte dagegen Nelli im gleichen Atemzug.
    Er musste nicht abgelenkt werden. Alles hier geschah gegen seinen Willen! „Jetzt, da Trevor da ist, lenk ihn doch ab!"
    „Da Trevor den Handwerkern hilft und nicht im Weg herumsteht, muss ich ihn nicht ablenken.“ Nelli kicherte vor sich hin und vollendete damit das typische Bild einer Hexe, die bei Feuerschein in schummerigem Licht in einem großen Topf rührte. In einem Haus im Wald.
    „Ich stehe nicht im Weg!“, kommentierte Edmund und verschränkte die Arme. Während sich Trevor in der Enge der kleinen Küche an ihm vorbeidrängte, um neben Nelli zu treten.
    „Was soll der Trank bewirken?“, Esther begutachtet neugierig den Topf.
    „Der Trank soll uns noch ein paar zusätzliche Minuten verschaffen, wenn dieser Magier, Thomas, den ersten Schwindel mit den Kisten bemerkt.“ Nelli rührte noch einmal, dann legte sie den Deckel auf.
    Esther hob die Augenbraue.
    „Es ist ein Vergessenszauber für die Handwerker“, erklärte Edmund, was er eben "gelernt" hatte. Kurz erklärte er, was Nelli damit plante. Dann grinste er als ihm ein Gedanke kam. „Und vielleicht müssen wir auch nichts bezahlen … wenn sie von dem Auftrag nichts mehr wissen.“
    „Gute Idee“, stimmte ihm Esther zu seiner Überraschung zu. Er wollte gerade fragen, welchem Teil davon sie zustimmte, als ihn bereits ein Hieb am Hinterkopf traf. Ein Schmerzlaut von Esther verriet zudem, dass sie einen ähnlichen Schlag abbekommen haben musste.
    „Diese Handwerker dort draußen mussten Edmund die letzten Tage ertragen und ihr überlegt, sie nicht zu bezahlen?“, zischte Nelli. „Abgelehnt!“ Sie schwenkte ihren Stock drohend und wirkte nicht, als würde sie sich umstimmen lassen.
    Was heißt denn hier „ertragen“?
    „Du hast recht. Dafür sollten wir ihnen sogar noch einen Bonus geben“, gab Esther mit einem schadenfrohen Zucken im Mundwinkel zu.
    Fall mir nur in den Rücken, blöde Magierin …
    Die blöde Magierin rieb sich den Hinterkopf, dabei war sich Edmund sicher, dass die Alte die Adlige nicht so fest geschlagen hatte wie ihn. Aber mit ihm konnte man es ja machen.
    „Das war doch nur ein Witz“, nuschelte er nur, notierte sich die Idee aber dennoch gedanklich.
    Trevor grinste derweil vor sich hin und legte Edmund einen Arm um die Schulter.
    „Ehe wir uns wieder an die Gurgel gehen, wie wäre es, wenn wir beiden etwas Spazierengehen, Edmund?“
    Edmund war verwirrt.
    „Spazierengehen?“
    Trevor nickte nur.
    Edmund war nicht begeistert. „Warum habe ich das Gefühl, dass ihr mich von den Handwerkern fernhalten wollt und ich deshalb keine andere Wahl habe, als ja zu sagen?“
    „Gut erkannt“, meinte Nelli mit einem Grinsen, das ihm nicht gefiel.
    „Aber wir sollten nicht weggehen. Wenn Thomas hier …“, versuchte Edmund das Unheil abzuwenden. Aber Nelli fiel ihm ins Wort.
    „…dann könnt ihr beiden sowieso am wenigsten ausrichten…“
    Autsch …
    Aber Edmund wäre nicht Edmund, wenn er sich einfach so geschlagen geben würde. Er setzte also erneut zu einem Widerspruch an. Trevor kam ihm aber zuvor, packte ihn und warf ihn über die Schulter wie einen Sack Mehl.
    „Sag mal geht es dir noch gut?“
    „Du kommst jetzt mit!“, meinte Trevor trocken und verabschiedete sich für die nächsten Stunden bei Nelli und Esther.
    „Irgendwie glaube ich nicht, dass du mich in dein Bett trägst … also wo gehen wir spazieren?“
    Trevor antwortete darauf nicht, was Edmund jedoch recht war. Schweigend ertrug er, von Trevor vom Schiff getragen zu werden, als wäre er ein – zugegeben sehr schickes – Accessoires.
    Erst im Hafen setzte Trevor ihn ab.
    „Wir suchen uns jetzt einen Platz und üben dort.“
    „Warum machen wir das nicht auf dem Schiff?“
    „Willst du, dass Omma es kommentiert?“
    Edmund setzte an, konnte das Argument aber nicht entkräften.
    Er war sich noch immer nicht sicher, ob er das wirklich konnte und wollte. Ja, er hatte vorgehabt, Trevor um Hilfe zu bitten. Aber konnte er das auch? Wieder mit einem Schwert kämpfen, wenn es sein musste?
    „In Ordnung, ehe ich es mir wieder anders überlege.“


    Er folgte Trevor durch die Straßen der Hafenstadt.
    „Hast du denn eine Vorstellung, wo du-“
    Trevor zerrte ihn so plötzlich von der Straße in einen Hauseingang, dass er das Gleichgewicht verlor und in den ehemaligen Piraten krachte. Etwas knirschte und polterte. Dann drehte sich die Welt um die eigene Achse. Das wohlbekannte Gefühl in seinem Rücken, seinen Schultern, seiner Brust und seinem Hintern verriet ihm, dass sie soeben eine Treppe nach unten krachten. Eine Treppe aus Stein, wohlbemerkt. Irgendwo auf halben Weg bekam er Trevors Fuß in die Nieren und seine Schulter in den Nacken.
    Er kam zuerst unten an und wurde dann von einem Berg überrollt, der ihn auf den Boden nagelte.
    „Ich mag keinen Schmerz spüren“, brachte er hervor. Tatsächlich war ihm lediglich von dem Hin und Her schwindelig. „Wenn du schon auf mir liegst, dann zieh dich wenigstens aus! Ansonsten runter von mir!“
    Trevor reagierte sofort.
    „Oh entschuldige.“ Er stemmte sich hoch und bewegte seinen Hintern von ihm runter. Dann krümmte er den Rücken und ließ den Nacken knacken. Edmund sprang ebenfalls auf und klopfte die Kleidung ab.
    „Was war das denn?!“
    „Ich meine am Ende der Gassen einige Männer von unserem neuen "Freund" gesehen zu haben…“ Völlig ruhig blickte Trevor die Treppen nach oben. Lediglich die gerunzelte Stirn verriet, dass er sich Sorgen machte.
    „Ähem“, räusperte sich jemand im Halbdunkel.
    Edmund sah sich in dem düsteren Kellerraum um, der nur von zwei Fackeln beleuchtet wurde. Es gab mehr Schatten als Licht. Überall standen Kisten und Fässer herum, Regale bis zur niedrigen Decke. Und in Mitten dessen standen fünf Männer, die ihre Waffen auf sie richteten. Zwischen ihnen hockten zwei Gestalten, beide gefesselt. Die Frau hatte einen Sack über dem Kopf und der Mann einen Knebel im Mund. Er wehrte sich heftig gegen die Seile an seinen Händen und starrte aus – DREI! – Augen durch den Raum.
    „Wer seid ihr und was macht ihr ihr?!“, zischte einer der Männer. Sein Aussehen war unbedeutend, zu sehr war Edmund von der Tatsache irritiert, dass er einem dreiäugigen Mann ins Gesicht starrte. Das dritte Auge trug er direkt auf der Stirn und war das einzige, das ihn ansah, da die anderen beiden nach außen wegschielten. Und entweder die Wände oder den Bereich HINTER dem Mann betrachteten.
    „Das gleiche könnten wir euch auch fragen.“ Trevor verschränkte die Arme und tat als wären nicht sie diejenigen, die gerade unangekündigt in einen Keller gefallen waren.
    „Das geht euch nichts an!“, fauchte der Mann hinter der Frau. Er verpasste ihr einen Tritt, was diese aufwimmern ließ.
    „Ich denke schon.“ Trevor rückte nicht ab und griff nun seinerseits zu einer der Waffen, die er am Gürtel trug. Verunsichert über die Ruhe, die Trevor dabei ausstrahlte, sahen sich die Männer nacheinander an. Die Zeit nutzte Edmund, um Trevor mit dem Ellenbogen in die Seite zu stoßen.
    „Was soll das?“, flüsterte er.
    „Ich glaube, die handeln hier gerade mit Menschen.“
    „Na und? Lass uns verschwinden.“ Er deutete über die Schulter die Treppe hinauf.
    „Er guckt so traurig. Wir sollten ihm helfen.“ Trevor verwies auf die Gestalt mit den vielen Augen.
    „Er guckt traurig? Ich bin mir nicht mal sicher, ob eines der Augen überhaupt in unsere Richtung guckt."
    „Du hast mir auch geholfen“, argumentierte Trevor dagegen.
    „Ich habe dich für ein Kind gehalten.“
    „Was es nicht besser macht, wenn ein erwachsener alleinstehender Mann ein Kind kauft."
    „Beim nächsten Mal lass ich dich sitzen!"
    „Komm schon Edmund, die hier brauchen auch Hilfe.“
    Was redete er überhaupt auf Edmund ein? Als würde Trevor seine Hilfe wirklich brauchen!
    „Ja, wie wir auch und uns hilft auch keiner! Wir haben augenscheinlich genug eigene Probleme.“ Er winkte ab. Als ob er zwei hässlichen dreiäugigen Leuten helfen würde. Besser sie als andere.
    Ihm gefiel der Gedanke nicht, diese Leute hier zu lassen, aber einmischen bedeutete sein Leben für diese Fremden in die Waagschale zu werfen. Oder Gold. Und letzteres hatten sie gerade nicht dabei und erstes wollte er nicht für Fremde über Bord werfen, die kein Augenschmauß waren.
    Trevor sagte nichts mehr. Mit einem Grinsen reichte er ihm die zweite Waffe, die er bei sich trug und wohl für ihn und den Übungskampf gedacht war. Ein alter Säbel.
    Wo hat er das eigentlich her?
    Edmund wich dem Blick aus.
    Von dir lasse ich mir kein schlechtes Gewissen machen. Ich helfe denen nicht. Niemals!
    Einer der Männer trat näher.
    Die Frau wimmerte.
    Eines der Augen des Dreiäugigen blickte ihn hilfesuchend an.
    „Ich hasse dich...“, murrte Edmund. Warum geriet er immer in Schwierigkeiten, wenn er mit Trevor unterwegs war? Am Ende war er immer betrunken, stand unter dem Einfluss von Pilzen oder seine Kleidung war voller Blut. Wahlweise auch alles davon.
    „Du wolltest doch üben."
    Edmund entrang sich ein freudloses Lachen. Doch nicht so, du Depp!
    „Ja, aber dafür bist du mir was schuldig.“
    „Setz es auf meine Rechnung."
    „Die Liste wird länger...“ Er nahm den Säbel entgegen, den Trevor ihm reichte. Ein Säbel war deutlich schwerer als ein Degen. Er lag anders in der Hand und wirkte irgendwie gröber.
    „Das ist eine Hiebwaffe. Du solltest damit Schläge von oben, unten oder der Seite ausführen. Ich rate dir einen festen aber lockeren Stand - leicht in die Knie gehen. Damit bist du beweglicher und kannst leichter reagieren.“
    Edmund rollte die Augen. Was zum Teufel soll ein fester, lockerer Stand sein?
    „Noch mehr so hilfreiche Tipps?“, zischte er zu Trevor.
    „Ihr wollt also Ärger machen!“, meinte der Mann, der vorgetreten war. Ein Bärtiger, der auch als Bär mit Räude hätte durchgehen können, sah sie finster an. „Die Ware gehört uns!“
    Edmund sah den Mann genervt an.
    „Er da will Ärger“, er deutete auf Trevor, „und da ich nicht in der Lage bin, ihn aufzuhalten, wünsche ich viel Spaß.“ Grinsend trat er einen Schritt beiseite und ließ Trevor den Vortritt. Der sah ihn kurz an, zuckte dann aber die Schultern.
    „Lasst die Leute frei.“
    „Und das schöne Geld damit verlieren? Nein.“ Die Männer lachten, dann kassierte der Bär bereits Trevors Faust.
    Edmund seufzte, als zwei blutige Zähne an ihm vorbeiflogen.
    Wie ein Tier…
    Hinter Trevor näherte er sich ebenfalls den Kerlen. Und ehe einer von ihnen - ein Mann mit hässlichen Narben im Gesicht - seinem Freund in den Rücken fallen konnte, mischte er sich in den Kampf ein. Er parierte die Waffe von Narbengesicht. Dabei fiel ihm auf, wie rostig das Ding war, mit dem der Typ kämpfte. Er sollte wohl vermeiden, sich davon treffen zu lassen. Den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, zerrte Narbe seine Waffe zurück, schwankte stark und hieb hektisch von der Seite auf sein Bein ein. Edmund entging dem Angriff, der ihm lediglich den Stoff am Hosenbein aufschlitzte.
    „Die war neu!“, gab er von sich.
    Rücken an Rücken mit Trevor versuchte er sich mit der neuen Waffe gegenüber dem Kerl zu verteidigen. Was nicht so leicht war, da der Kerl mehr schwankte, als was er stand. Weshalb Edmund sich darauf konzentrierte, in Bewegung zu bleiben und den perfekten Zeitpunkt zu finden. Und irgendwie seine eigene Waffe kennenzulernen.
    „Du bist zu passiv“, meinte Trevor. „Du kämpfst wie ein Fechter.“
    „Woher willst du das wissen? Hast du Augen am Hinterkopf?!“ Edmund duckte sich unter einem Schlag weg und fuchtelte seinerseits in Richtung des Mannes.
    „Fechten sieht immer aus, als würden Krabben einen Balztanz aufführen.“
    „Vergleichst du mich gerade, mit einer balzenden Krabbe?“
    Irgendwo hinter ihm ertönte das Geräusch von Metall, das durch Fleisch schnitt.
    „Ich will nur sagen, dass du aufhören sollst zu tänzeln.“
    Ich tänzel dir gleich ins Genick …
    Dennoch versuchte er weniger „zu tänzeln“, festigte sich Haltung und bewegte sich nur noch, um auszuweichen und zu parieren. Was ihnen – er würde es nie zugeben – deutlich mehr Raum brachte, da es zu wenig Keller für zu viele Leute gab. Von denen auch noch zwei untätig gefesselt mitten auf dem Boden hockten und er Augen aufhalten musste musste, nicht über sie zu stolpern. Oder sich von Dreiauge ablenken zu lassen, der allen Bewegungen im Raum gleichzeitig folgte.
    Sich weniger zu bewegen, sparte also Raum. Dadurch musste er sich aber noch mehr konzentrieren.
    Ach, scheiß drauf!
    In Ermangelung einer anderen Strategie und weil ihm das taumelnde Narbengesicht langsam auf die Nerven ging, weil er sich nicht treffen ließ, passte Edmund den nächsten Schlag ab und ließ sich von dem herumgewedelten Rostsäbel treffen. Der Säbel bohrte sich in seine Seite, was seinen Gegner genug überraschte, damit dieser verwundert stehen blieb. Entweder war er überrascht, dass er getroffen hatte, oder aber darüber, dass Edmund nicht mal mit der Wimper zuckte. Sein Blick glitt jedenfalls irritiert zwischen Waffe, Wunde und Edmund hin und her.
    „Das schöne weiße Hemd“, murrte Edmund, nutzte die Gelegenheit aber und schlug nach dem Arm des Mannes, ehe er es sich anders überlegen konnte. Zwar wäre auch der Oberkörper des Mannes ein hervorragendes Ziel gewesen, aber er wollte Narbengesicht nicht töten.
    Da er nicht Trevor war, gelang es ihm zwar nicht, dem Mann die Hand abzuschlagen, aber immerhin schrie dieser schmerzerfüllt auf und taumelte von ihm zurück, wodurch er seine Waffe losließ. Schreiend hielt er seine Wunde.
    „Geht es dir gut?“, vergewisserte sich Trevor, während er seinen letzten Gegner entwaffnete. Dessen Schwert flog durch den Raum.
    In der Zeit, in der ich mit einem zu kämpfen hatte, hat der Kerl einfach vier Gegner besiegt …
    Edmund seufzte und drückte an der Wunde herum, ehe er den Säbel aus seiner Seite zog. Es blutete.
    „Sehe ich aus, als würde es mir gut gehen? Meine Kleidung ist voller Blut.“ Womit sich die Annahme wieder einmal bestätigte. Kein Ausflug mit Trevor ohne, dass er dreckig zurückkehrte.
    Trevor nahm sein Elend nickend zur Kenntnis.
    Dann frag doch nicht.
    Trevor packte den entwaffneten Mann im Genick. Einen Atemzug später knackte es und der Mann sackte schlaff zu Boden.
    Unter dem Sack schrie die weibliche Stimme auf. Und Edmund konnte sie verstehen. Das Geräusch eines brechenden Genicks, war nichts für schwache Nerven. Und ging mehr durch Mark und Bein als das Schlagen von Metall auf Metall oder wenn Metall durch Haut fuhr.
    „Geht das auch etwas sanfter?!“
    Trevor sah ihn verwirrt an.
    „Man kann ein Genick nicht sanft brechen.“
    „Eben!“
    Warum bin ich nochmal mit dem befreundet?
    „Also ich…“ Narbengesicht wollte sich gerade davon machen.
    „Halt die Klappe!“, fuhr Edmund ihn an. „Ich bin noch nicht fertig mit dir, du schuldest mir ein neues Hemd!“, zischte Edmund ihn an. Woraufhin der Mann verstummte. Endlich mal jemand, der machte, was er von ihm wollte.
    „Am besten tötest du ihn schnell“, kam es von Trevor hinter ihm. Edmund blickte über die Schulter, wo er erwartungsvoll beobachtet wurde. Was war das hier? Eine Ausstellung?
    „Zum einen klingst du als würdest du das zu sehr zelebrieren und zum anderen bin ich kein Barbar.“ Edmund fixierte Narbengesicht und verwies den Mann mit einem Fingerzeig in die Ecke. Kurz verharrte der Menschenhändler, dann wankte er mit gesenktem Kopf davon. Er hockte sich hin, zog sich einen Sack über den Kopf und hielt sich dann die Wunde, während er vor und zurückschaukelte.
    Erstaunlich, dass das funktioniert hat.
    „Reicht das so oder muss ich ihn töten?“
    Trevor betrachtete Edmund einen Moment, dann den Typen und zuckte die Schultern.
    „Wenn er uns in den Rücken fällt, gebe ich dir die Schuld.“
    Edmund verdrehte die Augen. Er war gedanklich noch damit beschäftigt, warum der Kerl überhaupt auf seine Worte gehört hatte. Das machte sonst niemand. Es erinnerte ihn etwas an seinen Vater. Wobei, dann hätte er ihn umbringen müssen, oder? Bei dem Gedanken schüttelte es ihn.
    Verwerfen wir das.
    Das Letzte, was er wollte, war in einem dunklen Keller, umgeben von Tod, an seinen Vater zu denken.
    „Es ist nun alles in Ordnung. Ihr seid in Sicherheit.“ Trevor wandte sich an die beiden Gefangenen und schritt auf sie zu. Die Frau mit dem Sack über dem Kopf wich hysterisch heulend zurück.
    „Tut mir nichts“, flehte sie. „Bitte.“
    „Glaubt Ihr, wir haben den Aufwand betrieben, um Euch jetzt etwas an zu tun?“ Edmund verschränkte die Arme. Als würde er seine Kleidung vollbluten und in einem dreckigen Keller kämpfen, um dann eine gefesselte Frau zu verprügeln.
    Trevor warf ihm für die Aussage einen Blick zu, der irgendwie wertend wirkte, aber das war sicherlich Einbildung.
    „Was?“, zischte er zurück. War seine Einschätzung etwa falsch? Er wollte ihr doch unbedingt helfen.
    Trevor schüttelte seufzend den Kopf. Mit langsamen Schritten ging er auf die Frau zu, hob beschwichtigend die Hände – als könnte sie das sehen – und sprach beruhigend auf sie ein. Irgendwas von, sie solle Edmund ignorieren, sie würden ihr nichts tun und würden ihr helfen.
    Die Frau wirkte nicht wirklich ruhiger dadurch, aber der Tatsache geschuldet, dass ihr in den letzten Minuten niemand wehgetan hatte, schien zumindest etwas Vertrauen zu wecken. Es genügte, damit sie aufhörte zu wimmern.
    „Ich werde dir jetzt den Sack abnehmen.“
    Gröber, als Edmund nach dem ganzen Getue erwartet hatte, riss der ehemalige Pirat der Frau förmlich den Sack vom Kopf, wodurch lange blonde Locken zum Vorschein kamen.
    Grobmotoriker …
    Trevor erstarrte.
    Überrascht hob Edmund die Augenbrauen, als er an Trevor vorbeiblickte. Immerhin wusste er nun, warum die Kerle die Frau hatten verkaufen wollen. Nicht etwa, weil sie drei Augen hatte, wie der andere Kerl.
    „Es tut mir leid. Hab ich Euch Haare ausgerissen?“, stotterte Trevor plötzlich verunsichert vor sich hin und zupfte die Haare aus dem Sack.
    Ach was, dem Sack sind einfach nur endlich Haare gewachsen...
    Die grünen Augen der Frau blickten aus einem puppenähnlichen Gesicht ängstlich zu Trevor und dann zu ihm. Erst dann betrachtete sie die toten Männer. Ein Anblick, der sie nicht gerade aufheiterte.
    Wehe, du fängst jetzt wieder an zu heulen…
    Edmund musterte die Frau eingehender. Ihr Gesicht war leicht verdreckt und sie wirkte etwas abgemagert, was ihrer Schönheit aber keinen Abbruch tat. Ihre Kleidung war zwar zerrissen und dreckig, wirkte aber hochwertig und maßgefertigt und passte nicht in die Umgebung. Vielleicht war sie die Tochter eines reichen Händlers oder eines Adligen?
    Das ändert die Situation natürlich.
    „Wie wäre es, wenn du der Dame mal etwas Platz lassen würdest“, meinte Edmund und zog den Haufen bemitleidenswertem Stück Mann, der eben noch selbstbewusst vier Typen niedergeknüppelt hatte, bei einer Frau aber zu stottern begann, zurück. „Ich entschuldige mich für die bisherige grobe Behandlung, aber Ihr müsst wirklich keine Angst mehr haben. Die Männer können Euch nichts mehr tun und wenn Ihr erlaubt, nehme ich Euch auch die Fesseln ab.“ Er setzte sein Lächeln auf, von dem er wusste, dass es charmant und freundlich wirkte (und das bei Esther rein gar nichts brachte, außer sie wütend zu machen). „Ich bin im Übrigen Edmund Wendel Vinzenz von Stein, aber Ihr dürft mich gerne Edmund nennen.“ Er deutete beiläufig auf Trevor. „Ach und der grobe Schläger da ist Trevor.“
    „Grober Schläger?“, echauffierte sich Trevor. Immerhin erwachte er so aus seiner Starre. Was zog der Kerl beim Anblick von Frauen eigentlich immer den Schwanz ein?
    „Die Leute sind ja nicht spontan tot umgefallen.“
    „Das macht mich noch nicht zum Schläger.“
    „Wenn dir Mörder lieber ist?“
    Trevor seufzte lediglich. „Dann weist der grobe Schläger einen gewissen Edmund Wendel Vinzenz von Stein darauf hin, dass man die beiden Gefangen eventuell nach draußen begleiten sollte.“
    Edmund warf dem Piraten noch einen bösen Blick zu.
    „Dann nehm du dir doch schon mal einen Augenblick und helf dem...da." Beiläufig deutete er auf den Mann, der mit seinen drei Augen … blickte. Trevor rollte mit seinen zwei Augen, kümmerte sich dann aber um den hässlichen Typen.
    Er selbst wandte sich wieder an die Frau, hockte sich zu ihr und reichte ihr die Hand, während er beruhigend auf sie einredete. Vielleicht würde der Tag doch noch besser werden.
    „Also erlaubt Ihr, dass ich Eure Fesseln abnehme? Ich verspreche auch, Euch nicht weh zu tun.“
    Die Frau starrte ihn an, als würde sie etwas in seinem Blick suchen und sich über etwas Klarheit verschaffen wollen. Dabei blitzten immer noch Tränen in ihren Augenwinkeln. Sie nickte.
    Vorsichtig nahm er ihr die Seile ab, die ihr in die Haut geschnitten und dort Wunden hinterlassen hatten. Er fuhr kurz mit den Fingerkuppen über Haut und Wunden.
    Zarte Haut, keine Narben und nie gearbeitet. Eindeutig keine Bäuerin.
    „Wir kennen jemand, die sich die Wunden anschauen kann, wenn Ihr wollt.“
    Edmund reichte ihr die Hand, um ihr beim Aufstehen zu helfen. Sie zögerte und schien mit sich zu ringen.
    „Habt keine Angst, ich beiße nicht.“
    Die Frau holte Luft und nickte dann, ehe sie sich von seinem Lächeln und seinen Worten beruhigen ließ und endlich seine Hand ergriff. Sie war kalt.
    „I-Ich danke Euch für Eure Hilfe“, gab die Frau von sich, als sie vor ihm stand und er ihre Hand losgelassen hatte. Ihre Stimme zitterte noch, wurde aber mit jedem Wort fester. Sie knickste leicht und senkte höflich den Kopf. „Diese Männer haben mich vom Hof meines Vaters entführt und hierher verschleppt.“ Sie sah sich um. „Wo auch immer hier ist“, setzte sie geknickt nach. „Mein Name ist Cecilia von Dornburg, Tochter von Herzog von Dornburg und ich danke Euch, dass Ihr mir die Freiheit zurückschenkt.“ Dabei lächelte sie leicht zu Trevor und Edmund. Edmund nickte. Aussehen und Verhalten deckten sich mit seiner ersten Einschätzung. Adel.
    Mmhh..
    Hinter ihm wurde plötzlich etwas von „Freiheit“ geschrien. Es polterte, dann rannte Dreiauge durch den Raum, fand zielsicher die Treppe mit seinem Rundumblick und war AUGENblicklich aus dem Keller verschwunden.



    Wenn es ein Buch gibt, das du wirklich lesen willst, aber das noch nicht geschrieben wurde, dann musst du es selbst schreiben.
    - Toni Morrison -

    • Offizieller Beitrag

    Trevor hob lediglich seine Augenbraue, als der Triklop die Flucht ergriff. Lautstark polterte er die Treppe hinauf und verschwand im gleißenden Tageslicht.
    Wow, das nenne ich mal undankbar …
    Kaum war die Gestalt verschwunden, hörte er neben sich ein tiefes Seufzen. Nachdem er sich umgedreht hatte, bemerkte er, wie sich die Herzogstochter an Edmund abstützte.
                „Entschuldigt …“, hauchte sie schwach. „Ich bin wohl erschöpft.“
    „Das ist kein Problem“, antwortete Edmund. „Trevor wird Euch tragen!“
    „Werd‘ ich das?“, hakte der Formwandler nach.
    „Natürlich! Oder willst du, dass ich sie vollblute?“
    Sich in das rechte Licht rücken, das konnte Edmund. Für alles andere schien der grobe Schläger verantwortlich zu sein. Aber worüber sollte sich Trevor beschweren? Es war schließlich seine Idee, hier aufzuräumen und das länger, als es Edmund bewusst war. Das verschwieg er ihm aber lieber.
    Während Trevor am Strand trainiert hatte, waren ihm ein paar Gestalten aufgefallen, die Kisten von einem Beiboot am Strand gehoben hatten. Das wäre an sich nicht sonderlich schlimm gewesen, aber wenn jemand den Hafen mied, der nur unweit vom Strand entfernt war, hatte er etwas zu verbergen.
    Zuerst dachte Trevor an selbstgebrannten Schnaps oder Tabak. Als er allerdings Stimmen aus den Kisten vernahm, war er sich recht sicher gewesen, dass es sich um eine Art anderer Ware handeln musste. Er war schon selbst oft genug in solch einer Situation gewesen, sodass er nicht einfach weitergehen konnte. Aus sicherer Entfernung hatte er die Schmuggler beobachtet, war ihnen zu ihrem Versteck gefolgt und holte – nachdem die Sache mit Esther erledigt war – Edmund als Unterstützung. So konnten sich die Schmuggler für den Moment in Sicherheit wiegen, bevor die beiden auftauchten. Beziehungsweise in die Szenerie stürzten. Natürlich hätte Trevor die paar Gestalten auch alleine aufmischen können, aber Edmund wollte üben und das ging am besten am lebenden Objekt. Außerdem war sein Freund auch eine gute Rückversicherung. Das hieß, wenn ihm etwas Ernstes geschehen wäre, hätte Edmund ihm aus dem Kellerloch ziehen müssen.
    Trevor ging auf die junge Frau zu und schaute sie von oben herab an. „Ich müsste dann …“, meinte er und hob sie sachte an.
                „Ich bin sicherlich schwer …“, sprach sie und hielt sich an seinem Nacken fest.
    Ja, genau …
                „Ihr könnt gar nicht schwer sein, so schlank, wie ihr seid“, verlautete Edmund.
    Es war erstaunlich, wie schnell dieser Kerl von vorlaut zu zuvorkommend wechseln konnte. „Macht Euch darüber keine Sorgen. Ich bin einiges gewohnt. Was nicht heißen soll, dass ihr dick oder schwer seid, ihr seid leicht, aber … Ihr wisst schon.“
    Cecilia lachte leise. „Dann bin ich beruhigt. Vielen Dank.“

    Trevor sah sich am oberen Ende der Treppe um. Alles schien normal zu sein, weswegen er und Edmund den direkten Weg zum Schiff zurücknahmen.
    An den etwas erstaunten Blicken der Handwerker vorbei, brachten sie Cecilia direkt unter Deck.
    Etwas ungelenk platzten sie in die Küche, in der Esther und Oma standen und den Vergessenstrank in Flaschen abfüllten.
    Esther fiel umgehend Edmunds Hemd auf. „Was ist passiert? Geht es euch gut?“
    „Ja ja, alles großartig“, meinte Edmund und verwies auf Trevor. „Er hat nur wieder Probleme gefunden.“
    „Wen schleift ihr denn schon wieder an?“, wollte Oma nach einem musternden Blick wissen.
                „Die junge Frau ist erschöpft und geschwächt“, erklärte Trevor ohne Umschweif. „Sie war von einem Menschenhändlerring entführt worden.“
                „Ein Menschenhändlerring?“, hinterfragte Esther und runzelte die Stirn. „Ich will gar nicht wissen, wie ihr da wieder reingeraten seid. Kümmern wir uns erstmal um eure Wunden …“
    Alles kalkuliertes Risiko!
                „Wir?“, wandte Nelli ein und verschränkte ihre Arme vor sich. „Dann mach mal, ich schau zu.“
                „Ich wollte doch nur helfen ...“, antwortete Esther betrübt.
    Nelli seufzte. „In Ordnung, ich schau es mir an.“
                „Könntet ihr wohl aufhören herumzudiskutieren, und ihr helfen?“, moserte Edmund.
    Sei bloß still, du kommst auch noch dran!“, ermahnte Nelli Edmund und warf ihm einen ernsten Blick zu.
    Trevor sah alle abwechselnd an. „In Ordnung … Da jetzt alle versorgt sind, kann ich mich kurz davonstehlen.
    Er hatte noch etwas zu erledigen!
    Er wandte sich ab und ging aus dem Raum.
    „Was hast du vor?“, wollte Esther wissen, aber Trevor lächelte zunächst nur.
    „Nichts, mach dir keine Sorgen!“
    Trevor zog sich zurück und tauschte seine Rüstung gegen ein paar alte beige Klamotten. Er begab sich zum Schiff, das am Strand verharrte, in einem kleinen Beiboot. Getarnt als alter Fischer würde niemand seine Anwesenheit hinterfragen, nachdem ein paar Mann der Besatzung neugierig sein Tun beobachtet hatten. Nachdem sich die Besatzung wieder ihren Aufgaben widmete, kletterte Trevor über die Ankerkette an Bord und nahm die Gestalt eines Matrosen an. Eben jenen, den er zuerst geschnappt, erstochen und in ein Fass mit gesalzenem Fisch gestopft hatte. Danach begann er, das Schwarzpulver aus den Fässern zu lassen. Der Laderaum füllte sich damit, während Trevor kleinere Fässer unterhalb der Maste platzierte.
    Warum er das tat? Er konnte es nicht genau sagen. Vielleicht, weil er selbst schon oft genug solchen Leuten ausgeliefert war und nicht wollte, dass es anderen genauso erging wie ihm, Cecilia oder dem Triklop. Zudem wäre der ganze Hafen mit diesem Vorfall beschäftigt, sodass sie vielleicht unbehelligt von Thomas und seinen Schergen die Segel setzen konnten.
    Trevor schlich sich von Bord, nachdem er ein kleines Feuer unter Deck entfacht hatte, was sich rasch zum Pulver ausbreiten würde. Deswegen hatte er auch nicht viel Zeit, die Gestalt des Fischers wieder anzunehmen und das Beiboot in sichere Entfernung zu bringen. Er durfte nicht seinen Gedanken nachhängen.
    Trevor war vielleicht hundert Meter entfernt, als er die erste Explosion hörte. Die überraschte und panische Besatzung entlockte ihm ein müdes Lächeln. Vor allem, weil die Leute anscheinend versuchten, das Feuer zunächst zu löschen.
    Blöde Idee, da kommt noch mehr …
    Diese Leute würden nie wieder mit Menschen oder magischen Wesen handeln … Und warum schrien gestandene Männer immer nach ihrer Mutter? Diese hätten sicherlich nicht gutgeheißen, was sie dort taten.
    Immer lauter wurden die Schreie, während weitere Explosionen zu hören und zu sehen waren. Holzsplitter flogen, Funken sprühten … brennende Figuren stürzten sich ins tiefe Nass, aber tauchten nicht mehr auf.
    Mit kräftigen Zügen näherte sich Trevor wieder dem Strand, während das Schiff lichterloh brannte, und die Schreie allmählich verstummten. Der verräterisch süßliche Geruch von brennenden Menschenfleisch drang an seine Nase, und ein wohlwollendes Gefühl breitete sich in Trevor aus. War er tatsächlich so böse, dass ihm so etwas nichts ausmachte? Er kam zu dem Entschluss: Ja, war er. Es gab Menschen, die verdienten es, zu leben. Und es gab jene, die das nicht taten. Zumindest nach seinen Moralvorstellungen. Er redete sich ein, die Welt damit etwas sicherer gemacht zu haben, was angesichts seiner Piratenvergangenheit sehr ironisch in seinem Kopf klang. Aber immerhin war es nie zu spät, sich zu ändern … außer für die Besatzung dieses Schiffes natürlich.
    Er stieg aus dem Boot, zog es an Land und schaute noch kurz den Flammen zu, als er neben sich eine Person mit verkohlter Kleidung entdeckte.
                „Hilfe …“, gurgelte der Mann halb unter Wasser, unfähig, sich mit seinen verbrannten Gliedern selbst an Land zu ziehen. „Hilfe …“
    Trevor seufzte, nahm seine eigene Gestalt wieder an und sah auf den Kerl hinab. „Haben das auch die Leute in euren Käfigen zu euch gesagt? Diejenigen, die ihr verscherbelt habt?“, wollte der Formwandler ohne Gefühl in der Stimme wissen.
                „Fick dich, du Kreatur …“, hauchte der Sterbende abwertend.
    Ach ja, jetzt will er keine Hilfe mehr.
                „Kreatur? Wie einfallsreich …“ Trevor trat mit seinem Stiefel auf den Kopf des Mannes und drückte ihn so lange unter Wasser, bis keine Blasen mehr aufstiegen.
    Danach wandte er sich pfeifend vom Szenario ab, bevor allzu viele Schaulustige am Strand erschienen.
    Bereits wieder in Hafennähe bemerkte er plötzlich, dass Esther in Sichtweite des Strandes stand.
    Überrascht blieb er stehen.
    Esther verschränkte ihre Arme und schaute ihn an. „Sag bitte, dass ich mir das einbilde und du nicht wirklich das ganze Schiff niedergebrannt hast.“
    Trevor schnalzte mit seiner Zunge und verkniff sich das Auflachen. „Du bildest es dir ein“, meinte er, „und ich habe nicht das gesamte Schiff niedergebrannt.“
                „Ich wusste, dass du was Blödes machst!“ sie nahm die Arme herunter und schaute zum Schiff, das allmählich unterging.
                „Das war nichts Blödes!“, dementierte Trevor. „Das ist Gerechtigkeit!“
                „Das ist deine Auffassung von Gerechtigkeit?“
    Trevor blieb auf Höhe von Esther stehen und schaute sie von der Seite an. „Was wäre denn deine? Solche Menschen zu verschonen, sodass sie immer wieder anderen wehtun? Nein, ich schaffe sie aus dem Weg, damit sie niemanden mehr schaden können.“
                „Ich verstehe dich ja, aber die Menschen einfach zu töten, ist auch der falsche Weg! Sie haben vielleicht Familie oder sind nur auf das Geld angewiesen. Hast du darüber mal nachgedacht?“
    Ja, diese Gedanken hatte er kurz, aber …
                „Selbst ich als Pirat habe niemals Geiseln genommen. Geld rechtfertigt nicht, andere zu foltern oder zu verkaufen. Damit hast du eben ein gewisses Urteil unterschrieben“, erklärte Trevor. „Die Reiche würden sie in der Öffentlichkeit hängen lassen, ich töte sie ohne die Schande.“
                „Nein, es rechtfertigt dieses Tun keineswegs!“, widersprach Esther lautstark, „aber du hast kein Recht über sie zu richten. Mit ihrem Tod nimmst du ihnen die Möglichkeit, sich zu bessern.“
    Trevor atmete tief durch, aber wandte sich dann Esther zu und drängte sie an die benachbarte Häuserwand. „Ach ja? Habe ich nicht? Du, die mit goldenem Löffel geboren wurde? Weißt du, wie es ist, in einer Kiste zu sitzen, Tage zu hungern und nicht zu wissen, wo du endest? Todesängste durchzustehen? In seiner eigenen Scheiße zu sitzen und sich eventuell davon ernähren zu müssen? Nein?! Dann lerne von mir, bevor du solche Menschen weiterleben lässt! Du bist anders aufgewachsen, also rede mir nicht in das rein, was ich kenne sowie ich dir nicht in deinen Kreis rede!“
                "Beruhigst du nachts damit deine Gedanken, wenn du jemanden getötet hast?" Sie reckte ihr Kinn. "Oder ist das bei dir Normalität geworden?"
                „Du machst dir keine Vorstellung von meiner Normalität“, erwiderte Trevor genau vor ihr. „Das ist vermutlich besser so.“
    Sie musterte Trevor. „Wie machst du das? Die Last auf deinen Schultern muss erdrückend sein?“ Sie flüsterte den Rest ihres Satzes.
                „Jemand muss es machen!“
                „Du musst das aber jetzt nicht mehr alleine machen."
    Trevor lachte laut auf. „Oh ja, ihr alle seid dafür absolut empfänglich. Natürlich.“
                „Vermutlich stimmt das, aber vielleicht hilft es mir, dich besser zu verstehen." Sie lächelte gequält, "und falls du mit jemanden über diese ... Last sprechen willst, höre ich dir zu.“
                „Mach dir keine Sorgen um mich.“ Trevor lächelte beschwichtigend. „Ich kann besser schlafen, wenn diese Leute keine Wesen mehr einsperren können.“
    „Ich mache mir aber Sorgen.“ Esther legte ihren Kopf schief und wartete kurz, ehe sie zum brennenden Schiff sah, zu dem sich bereits etliche Schaulustige begaben. „Nun ja“, wandte sie dann ein, „diese Leute werden gar nichts mehr tun, schätze ich ...“
    „Vielleicht noch ein bisschen röcheln und gurgeln." Trevor lief weiter und wollte das Thema hinter sich lassen. Wäre er schlauer gewesen, hätte Esther von seiner Tat nicht einmal etwas mitbekommen. Jetzt musste er sich ihrem Urteil darüber stellen. Für so etwas waren Formwandler doch gemacht worden, oder nicht? Warum also es nicht für etwas „Gutes“ einsetzen?
                „Belustigt dich das Leid der Anderen etwa?" Esther schloss zu Trevor auf. „Menschen zu töten, ist die eine Sache, aber sich über die Sterbenden lustig zu machen ... Ist das nicht doch etwas zu vermessen?“
    Trevor lachte laut los, schluckte es aber hinunter, als er komisch angesehen wurde. „Vermessen? Vielleicht für jemanden wie dich, aber weißt du, was diese Kerle mit Frauen machen, während sie sich darüber lustig machen, dass du Worte wie 'vermessen' benutzt? Glaub mir, sie werden sich pausenlos über ihre Opfer lustig gemacht haben.“
    Er sah Esthers nachdenkliches Gesicht, während sie neben ihn lief. „Ja, bedauerlicherweise. Die Mütter würden sich schämen für die Taten ihrer Söhne.“
                „Deswegen …“, meinte Trevor und lächelte sie an.
    Esther nickte. „Ich werde dennoch versuchen, dich das nächste Mal davon abzuhalten, sowas zu machen.“ Sie verwies auf das brennende Schiff, was immer weiter in die Ferne rückte.
    Trevor wusste, dass keiner diesen Brand hinterfragen würde. Es kam häufiger vor, dass Schiffe, ob des Schwarzpulvers, Feuer fingen. „Viel Erfolg dabei!“, wünschte er ihr und grinste breit. Das nächste Mal würde er sich mehr Mühe geben, um nicht erwischt zu werden. Da kam ihm der Gedanke, ob es ihn wirklich belustigte, Menschen zu töten – zumindest die, die es verdient hatten. Tat es das? Vielleicht ein wenig! Dennoch, er wusste, was sich auf solchen Schiffen abspielte. Cecilia schien noch Glück gehabt zu haben, dass das Schlimmste anscheinend ein muffiger Sack über den Kopf gewesen war.

    Sie kehrten zurück und Trevor wusste nicht, ob Esther etwas davon verraten würde, aber das war ihm auch egal. Solange es sich um Oma und Edmund handeln sollte.
    Esther ging unter Deck, während Trevor von einem der Handwerker aufgehalten wurde. „Wir sind so weit fertig. Ein paar Nägel noch und unsere Arbeit ist beendet.“
    Großartig! Dann schnell weg hier!
    Trevor holte den Trank des Vergessens, den Nelli ihm auch mit einem mahnenden Blick übergab, und er legte das Gold für die Handwerker auf eine Kiste am Steg. Er hatte nicht vor, sie auch um ihre Arbeit zu betrügen. „Aye, auf das Reparieren sollten wir Einen heben.“, verkündete Trevor und nahm sich einen Krug Bier ohne Trank. Den Rest des Fasses hatte er mit dem Gebräu von Nelli versetzt.
    Die Handwerker waren nach all der Arbeit anscheinend heilfroh, etwas zu trinken zu bekommen und schlangen das Bier runter wie nach einer Woche Wasser auf offener See.
    Trevor ging sicher, dass es alle tranken und begab sich dann an Deck. Er löste die Taue, und das Schiff schob sich der Flut entgegen auf das offene Meer hinaus.

  • Die Revenge lag ruhig im Wasser, weshalb Esther sich dazu entschieden hatte, mit dem Rücken an der Wand gelehnt und auf einer Kiste sitzend, das Buch zu studieren, welches Edmund und Nelli von Thomas Schiff entwendet hatten. Zwar war es nicht ihr Eigentum, aber es gehörte niemanden hier so richtig und sie bezweifelte, dass Edmund oder Trevor viel von Magie verstanden. Bei Nelli war sie sich nicht so sicher. Außerdem hatte bislang niemand Einwände dagegen erhoben, dass Esther das Buch in ihren Besitz genommen hatte.

    Die Lektüre musste eine Menge Wert sein für Thomas, denn es war voll von Randnotizen und eigenen Kreationen von Sprüchen. Einige davon konnte sie sicher einmal ausprobieren. Wie schon zuvor bei der Herstellung des Duplikats der Truhe begegnete ihr auch jetzt hin und wieder die andere, saubere Handschrift, die winzige Hinweise hinterließ. Wie sie bereits beim Öffnen der Kiste festgestellt hatte, waren hier zwei Magier am Werk gewesen.

    Was in vielerlei Hinsicht schlecht für sie war. Thomas allein reichte schon, um die Revenge und ihre Besatzung in Fischfutter zu verwandeln. Sie vermochte sich gar nicht festzustellen, was er mit einem Partner unternahm.

    Das ließ in ihr den Gedanken aufkeimen, dass sie sich schnell magische Hilfe holen sollten. Auf kurz oder lang würde Thomas die Verfolgung aufnehmen. Spätestens wenn er ihre Finte bemerkte.

    Entweder heuerten sie einen weiteren Magier an oder Esther begann damit, ihre eigenen Fähigkeiten auszuweiten, zu festigen und zu stärken. So, wie Trevor es vorgeschlagen hatte. Gerade, als sie beschloss, den Gedanken mit den anderen zu teilen, breitete sich ein Schatten über die Buchseiten aus.

    „Ich hätte nicht gedacht, dass du lesen kannst“, sprach Cecilia sie mit ihrer glockenhellen Stimme an.

    Esther sah auf und musterte die Jüngere. Die Prinzessin trug nach wie vor ihr langes Gewand und schützte sich zusätzlich mit einem Schirmchen vor der Sonne. Wo auch immer sie dieses lächerliche Teil herhatte.

    „Wie bitte?“

    Cecilia strich sich in einer bedachten Bewegung eine ihrer goldenen Locken über die Schulter und reckte das Kinn ein wenig. Zugegeben, ihre korrekte Haltung war beneidenswert.

    „Ich habe nicht viele Bedienstete gesehen, die lesen können“, stellte Cecilia fest. „Hat Edmund es dich gelehrt?“

    Bedienstete? Beinahe hätte Esther laut aufgelacht. Sie überlegte einen Moment, ob sie darauf antworten wollte, schlug dann das Buch zu und erhob sich. Neben der Prinzessin musste sie aussehen, wie eine gewöhnliche Magd mit ihren lose zusammengesteckten Haaren, dem einfachen Hemd und dem knöchellangen Rock.

    „Da fällt mir ein, dass ich bisher keine Gelegenheit hatte, mich vernünftig vorzustellen“, begann Esther. Und natürlich hatte sie dafür genügend Zeit gehabt, sie wollte bisher aber nicht. Doch sie würde sich von Cecilia sicher nicht herabsetzen lassen. „Gräfin Esther Ottilia von Silberberg“, sagte sie und neigte höflich den Kopf, was Cecilia kurz die Stirn kraus ziehen ließ.

    Sieh an, das perfekte Gesicht zeigt doch Falten.

    Zwar war ihr eigener Rang niedriger als der einer Prinzessin, dennoch dürfte das bei Cecilia für Respekt sorgen. Und tatsächlich neigte diese ebenfalls, wenn auch nur aus gebotener Höflichkeit, den Kopf und lächelte weiter.

    Dann hätten wir das geklärt. „Entschuldigt mich“, meinte Esther und wollte sich entfernen, da hielt Cecilia sie noch einmal auf.

    „Man sagt, Silberberg sei sehr schön, aber auch ziemlich … bäuerlich.“

    Noch immer trug die Prinzessin das Lächeln auf den Lippen.

    „Es leben viele gute und hart arbeitende Menschen dort“, bestätigte sie die vergleichsweise bescheidenen Verhältnisse in Silberberg. Allerdings hatte Esther selbst nie das Gefühl gehabt, bäuerlich zu leben. Oder ihr war es nie selbst aufgefallen. Oder aber ihr war es schlicht egal.

    Cecilia brauchte ihr nicht zu sagen, wie sehr sie dieser Gedanke befremdete, Esther konnte es in ihrem Gesicht sehen.

    Unweigerlich dachte Esther daran, wie oft sie den einfachen Menschen in Silberberg mit ihren magischen Fähigkeiten geholfen hatte. Und dass sie dafür nie auch nur eine Münze verlangt hatte. Es reichte ihr, zu wissen, dass sie damit die Arbeit etwas erleichterte.

    Wie schwer war es für die Menschen jetzt, wo sie nicht zuhause war?

    Diese Frage trübte ihre Gedanken, weshalb sie unweigerlich das Oberdeck verlassen wollte. Weg von Cecilias makelloser Gestalt, die Esther nur vor Augen führte, was sie eben nicht war.

    Sie hatte ihre Heimat verlassen, ohne auch nur eine Sekunde daran zu denken, was sie hinterließ. Ihren Vater hatte sie dazu gezwungen, Silberberg wochenlang ohne Herren zurückzulassen, weil sie einfach fortgegangen war. Sie lief herum wie irgendein billiges Thekenmädchen und vergrub sich in ihrem naiven Denken, eine der besten Magierinnen zu werden, in die Notizen eines Wahnsinnigen, obwohl sie eine Verantwortung hatte.

    „Wenn Ihr mich jetzt entschuldigt.“ Dieses Mal gab sie Cecilia nicht die Zeit, sie erneut aufzuhalten.

    Auf dem Weg nach unten konnte Esther aus dem Augenwinkel sehen, wie Edmund einen Teller mit frischem Obst zu Cecilia brachte. Ihr glockenhelles Kichern floh über das Deck.

    Kurz erwog sie den Gedanken, bei Trevor oder Nelli Gesellschaft zu suchen, entschied sich letztendlich aber dagegen und verkroch sich stattdessen in die hinterste Ecke ihrer Kabine. Erneut schlug sie das Buch auf und las weiter. Für sie gab es mehr Probleme als Cecilia, nämlich einen Zerstörer, der ihnen womöglich dicht auf den Versen war.

    Ihr Blick streifte die Kiste mitsamt Fernrohr und Horn. Allgemein hatte man beschlossen, dass die beiden Relikte zunächst in ihrer Nähe bleiben sollten.

    Eine ziemlich lange Zeit verging, als Esther in dem Buch plötzlich auf eine Sammlung der Relikte stieß. Acht Gegenstände unterschiedlicher Art waren mit ihren Eigenschaften und Kräfte beschrieben. Daneben gab es eine kleine Zeichnung.

    Sie entdeckte das Fernrohr und auch das Horn von Kelton, welches – laut Erklärung – wenn man hineinblies, einen so starken magischen Stoß erzeugte, der ganze Städte in Ruinen verwandeln konnte.

    Sie ging neugierig die Zeichnungen durch und stockte im nächsten Augenblick. Wie erstarrt hockte sie da und erst wenig später sprang sie auf und kramte in ihren Sachen, bis sie den Stein fand, den ihr Trevor ziemlich am Anfang ihrer Reise geschenkt hatte. Gerade einmal so groß wie ihre geballte Hand hatte er bei der Meuterei noch in ihren Beutel gepasst. Zusammen mit Edmunds Magiesteinen, die sie seither nicht noch einmal angefasst hatte.

    Sie hob den Stein von Trevor etwas an und hielt das Buch mit der Zeichnung daneben.

    „Das Auge von Zydderfon“, flüsterte sie. Oder besser gesagt Zyredon, wie es eigentlich hieß.

    Das bedeutete, dass sich bereits drei der acht Relikte auf diesem Schiff befanden.

    Das waren drei Gründe mehr für Thomas, sie in Asche zu verwandeln.

  • Es war deutlich leichter ein Schiff zu steuern, das nicht jeden Augenblick auseinanderzufallen drohte. Dennoch blieb das Schiff ein Schrotthaufen, der sich langsamer und behäbiger bewegte als eine Seekuh nach einer Fressattacke.
    „Bei der Geschwindigkeit überholt uns noch ein Seestern“, murrte Edmund. Er balancierte auf dem Mast und kontrollierte die Seile und Knoten der Segel vor dem Einbruch der Nacht. Hier oben war es windig und ständig wehten ihm die Haare um die Ohren. Er hätte sich die Haare kürzer schneiden lassen sollen, oder lang genug, um sie ordentlich zusammen zu binden!
    Zweimal hatte ihn bereits eine Möwe als potentiellen Nistplatz angeflogen.
    Mistviecher ….
    Er sah sich um. Die See war ruhig, der Himmel wolkenlos und die Sonne verschwand am Horizont rötlich-lila. Nur in der Ferne waren einzelne grobe Schäfchenwolken zu erkennen, die sich über den Horizont erstreckten und bisher nur schwer zu erkennen waren. Er schirmte die Augen ab und versuchte zu sehen, wohin sich die Wolken bewegten. Allerdings waren sie zu weit weg.
    „Das könnte schlechtes Wetter geben…“ Er würde Trevor suchen und diesen darauf hinweisen. Zumindest im Auge behalten, sollten sie es. Er wollte gerade vom Mast klettern, als er aus dem Augenwinkel einen Schatten bemerkte. Als er den Kopf in die Richtung drehte, war dort aber nichts zu sehen, außer einem Felsen, der leicht aus dem Wasser ragte und von der Sonne lila-orange gefärbt war.
    Eine der lästigen Möwen startete einen neuen Versuch, ihm an die Haare zu gehen. Er wurde von der Seite angeflogen und fuchtelte genervt mit dem Arm in der Luft.
    „Verpiss dich, du dreckiges Mistvieh, oder ich mach Ragout aus dir!“, brüllte er die Möwe an. Er erwischte den Vogel natürlich nicht und er flog laut gackernd weite Kreise. „Lach nur …“
    Er fixierte nochmal den Felsen, den er aber im Meer gar nicht mehr fand. Verwirrt sah er sich um, konnte den Felsen aber nicht mehr finden. Hatten sie ihn schon passiert? Wurde er nicht mehr angestrahlt, oder zwischen dem Wasser nicht mehr zu erkennen?
    Edmund zuckte die Schultern.
    Hoffen wir, dass da nicht noch mehr unter der Wasseroberfläche sind…
    Er kletterte vom Mast und wischte sich die Hände an den Hosen ab. Bei den ganzen Schwielen daran unterschieden sich seine Hände mittlerweile auch nicht mehr vom Holz des Mastes.
    Wie die eines Bauern….
    Auf dem Weg in die Kombüse überlegte er, ob es eine gute Idee war, Nelli um eine Creme zu bitten. Wenn sie ihm schon irgendwelche Kräuterkunde einprügeln wollte, dann wenigstens wichtige Dinge – wie weiche Haut. Auf der anderen Seite befürchtete er, dass ihm dann wieder hässliche Blasen wachsen würden, wenn er Nelli um Hilfe bat.

    Edmund betrat die Kombüse und sah dort Cecilia am Kessel stehen. Er hob die Augenbraue. Irgendwie passte das Bild nicht ganz zusammen. Wobei: er selbst und eine Küche passten auch nicht zusammen. Und doch fühlte er sich dort mittlerweile sogar wohler, als er jemals zugeben würde.
    „Ah Edmund“, säuselte Cecilia. „da seid Ihr ja. Das ist gut.“ Sie drehte sich elegant um, der Stoff des Kleides schwang ihr nach. Esther hätte mit dieser Bewegung sicher die halbe Einrichtung aus den Regalen geräumt, Cecilia schaffte es aber problemlos, sich an Tellern und Bechern vorbeizuschlängeln, ohne, dass auch nur etwas klapperte oder wackelte.
    Ist nicht so, dass das Schiff viel Platz bietet, um „nicht da zu sein“.
    Er setzte ein gewinnendes Lächeln auf. „Ihr habt mich also vermisst? Eure Schönheit hat mir ebenfalls gefehlt.“
    Cecilia kicherte hinter vorgehaltener Hand. Sie war in vielen Belangen deutlich adliger als Esther. Ihre Haltung war akkurater, ihr Ausdruck vornehmer und ihre Anmut strahlender. Inmitten der Schlichtheit der Revenge und der Hölle der letzten Woche, dem Leben auf dem Meer, wirkte sie derart fehl am Platz wie ein Pfau im Sumpf. Was sie einerseits unglaublich anziehend machte, auf der anderen Seite war sie das Sinnbild dessen, was er an der gehobenen Gesellschaft nicht mochte: Langeweile und Ernst. Dagegen war Esthers Langeweile beinahe schon spannend.
    Zu viele Esthervergleiche!
    „Ihr seid ein Charmeur.“ Cecilia hielt ihm einen Becher entgegen. „Ich habe Tee gekocht.“ Ihre Augen strahlten wunderschön wie Edelsteine. „Weil Ihr mich mit Euch nehmt und so hart arbeitet.“
    „Das mache ich selbstverständlich gerne für eine so bewundernswerte Herzogstochter“, gab Edmund mit einem Lächeln von sich. Und vor allem für die Belohnung deines Vaters …
    Er nahm den Tee entgegen.
    „Der Tee ist nach einem Familienrezept gekocht.“ Cecilia sah ihn aus großen Augen abwartend an.
    Edmund nahm einen bitteren Geruch wahr, tat jedoch ihr zu liebe einen Schluck. Und musste seine ganze Zurückhaltung aufbringen, um ihr das Gesöff nicht direkt wieder ins Gesicht zu spucken. Der Tee war bitter … derart bitter, dass er das Gefühl hatte, etwas würde sterbend über seine Zunge kriechen.
    Meine Fresse! Deine Familie ist wohl geschmacksblind!!
    „Der Geschmack ist neu ... interessant und erquickend.“ Er hielt seine Gedanken zurück, behielt sein charmantes Lächeln bei und ließ sich nicht anmerken, dass ihm gerade etwas Verwestes in den Rachen kletterte.
    „Er schmeckt Euch?“
    „Ja“, presste Edmund hervor. „Zauberhaft…“ Er lächelte Cecilia an, welche fröhlich zurücklächelte und wohl darauf wartete, dass er weiter von dem Tee trank. Allerdings bekam er bereits bei dem Gedanken Ekelblasen.
    Lieber sauf ich einen von Nellis Tränken …
    „Der Abend scheint sehr schön zu werden. Wollen wir den Tee nicht gemeinsam an Deck genießen?“, schindete er Zeit, „Habt Ihr schon einmal den Sonnenuntergang auf dem Meer gesehen? Wenn Ihr wollt, können wir das gemeinsam tun.“ Und das Bittergurkenähnliche Gesöff über Bord kippen.
    Cecilia wollte etwas sagen, wurde aber von Trevor unterbrochen, der gerade in die Kombüse trat.
    Edmund funkelte ihn an. Du störst…!
    „Hey, wo sind die anderen, ich denke da kommt …“ Trevors Blick fiel auf den Becher in Edmunds Hand. „Oh prima, etwas zu trinken, ich habe echt Durst.“
    Edmund drückte Trevor den Becher in die Hand. Dieser stürzte ihn erleichtert in einem Zug hinter, verharrt dann aber. Seine Augen weiteten sich und er begann zu husten. Was Edmund mit einem zufriedenen Grinsen zur Kenntnis nahm. Wenn er litt, konnte das auch der Pirat. Außerdem hatte der Kerl den Moment versaut.
    „Meine Fresse, das ist das Widerlichste, was ich jemals getrunken habe! Ich habe das Gefühl, irgendwas stirbt in meinem Mund!“, rief Trevor auf und wischte sich mit der Hand die Zunge ab.
    „Cecilia hat den Tee gemacht“, kommentierte Edmund.
    „Oh … ähm“, Trevor blickte zu Cecilia hinüber, die ihn aus traurigen Augen ansah. Er räusperte sich sichtlich beschämt. Irgendwie war es witzig, dass der Massenmörder-Pirat in Cecilias Nähe immer zu einem stotternden Kleinkind wurde. Noch witziger war, wenn der Pirat rot wurde vor Verlegenheit. Stand ihm. Aber am witzigsten war, dass er sich mit dieser Reaktion bei Cecilia sicher nicht beliebt machte. „Ich meine … der Tee ... ist wirklich … belebend.“
    „Was wolltest du eigentlich sagen?“, unterbrach Edmund ihn.
    „Ach ja … da kommt …“, setzte Trevor an, wurde aber von Esther unterbrochen, die vor Nelli in die Küche kam. Esther trug das Zauberbuch von diesem dreckigen Zauberer bei sich und schien etwas sagen zu wollen. Sie rümpfte allerdings leicht die Nase, als sie Cecilia entdeckte. Der Ausdruck in ihrem Gesicht blieb nur kurz, verschwand schnell wieder.
    „Ich muss mit euch allen reden. Allein und unter acht Augen.“
    Adieu Zweisamkeit. Hallo störende Faktoren meiner persönlichen Hölle. Edmund verdrehte genervt die Augen.
    Cecilia zögerte und schien nicht gehen zu wollen. Bis Esther klar machte, dass sie als Crew etwas besprechen mussten. Es ging wohl um eine Entdeckung aus ihrem Buch.
    Derweil rümpfte Nelli die Nase und schnupperte in der Luft. Sie runzelte die Stirn, während Cecilia sichtlich unzufrieden an ihr vorbei durch die Tür ging. Edmund sah ihr nach, blieb dann an Nelli hängen.
    „Warum riecht es hier so?“
    Trevor meinte, dass Cecilia Tee gekocht hatte, während sich Edmund auf die Zunge biss.
    „Tee?“, fragte Nelli und blickte in Richtung ihrer Vorräte. Die Alte strahlte heute regelrecht und schwebte mit ihrem Gehstock durch die Küche auf ihre Kräuter zu. Dabei zog sie den Duft von getrocknetem Lavendel und erloschenem Feuer hinter sich her. Sie öffnete das Regal mit ihren Vorräten, dabei musste sie sich auf die Zehenspitzen stellen. Sie hätten bei der Reparatur und dem Umbau direkt dafür sorgen sollen, dass ihre Begleiterin besser an die Regale herankam. Es ärgerte ihn, dass er nicht daran gedacht hatte.
    Warum zum Teufel ärgert mich das? Kann mir doch egal sein, wie die Alte an ihre Gifte kommt ...
    Nelli streckte sich nach den Dosen und kontrollierte sie.
    Edmund trat neben sie, ehe er etwas dagegen tun konnte. Sein Körper bewegte sich quasi von allein und half ihr dabei die Gefäße aus dem Schrank zu holen, die zu weit oben standen.
    „Lass mich dir helfen.“ Er reichte ihr die kleinen Döschen mit einem reizenden Lächeln.
    „Danke“, meinte Nelli und sah ihn ein bisschen verwundert an. Die Verwunderung gefiel ihm, ließ sie jünger wirken als sie eigentlich war. Ihre Augen sahen von nahem ebenfalls viel lebendiger aus als er gedacht hatte und ihre Haare weiß und weich wie Seide rahmten das zierliche Gesicht ein.
    Er stellte eines der Döschen ab. „Honigkraut - Süß wie du, Nelli.
    Bei Neptun, wo kommt das denn her?
    Nelli zog die Augenbrauen hoch und sah dabei schöner aus als jeder Stern im Himmel. Was dachte er da eigentlich? Nelli sah aus wie ein alter Lappen, den man hinter dem Herd gefunden hatte. Nein. Wie ein Baby-Manatis. Ein klein wenig falig, aber süß und zum Verlieben.
    „Geht es dir gut?“
    „Natürlich geht es mir gut, obwohl ich mich auch liebend gerne von dir gesund pflegen lassen würde.“ Er griff nach ihrer Hand, sanft und hauchte ihr einen Kuss auf den Handrücken. „Darf ich dir etwas verraten, Nelli?“
    Nelli räusperte sich, plötzlich etwas verlegen. „Jaaa?“, fragte sie gedehnt.
    „Du bist der Glanz, der mein Leben erhellt, wie goldenes Licht, das die Dunkelheit zerschellt. In deinen Augen spiegelt sich das Licht, ein Funkeln, das selbst die Sterne spricht.“
    Nelli legte ihm die freie Hand an seine Stirn. „Bist du sicher, dass es dir gut geht? Setz dich, ich mach dir einen Tee.“
    Er setzte sich nicht, blieb vor ihr stehen.
    „Deine Berührung ist so warm und sanft. So viel schöner als jeder Tee.“
    „Mhm...“, Nelli ließ die Hand sinken, „Was hast du als letztes gegessen oder getrunken, Edmund?"
    „Ich lebe von meiner Liebe zu dir.“
    Nelli sah hilfesuchend zu Trevor und Esther.
    „Das wäre ja neu...“, murmelte Nelli und schob ihn auf einen Hocker. Er folgte ihrer Forderung griff jedoch nach ihren Händen und ging vor ihr auf die Knie.
    „Der Himmel brennt in tausend Sternen, ein Meer aus Licht, so fern und nah. Dein Lächeln strahlt, so wunderschön, wie alte Seefahrerträume da. Die Zeit vergeht, doch deine Schönheit bleibt unvergänglich, ewig jung. Ein Zauber liegt in deiner Nähe, ein Lied, das ich für dich gesungen. Und wenn die Wellen uns umspülen, Und Sturm und Wind uns trennen wollen, Dann halt ich fest an deiner Hand, Bis uns die Ewigkeit verschlossen. Die Sterne funkeln, hell und klar, reflektiert in deinen Augen. Ein alter Traum, ein Wunsch so nah, mit dir die Zeit zu überdauern. Die Seefahrt des Lebens, gemeinsam, durch stürmische und ruhige See. Dein Lächeln, mein Anker im Sturm, für alle Ewigkeit bei mir“, sang er.



    Wenn es ein Buch gibt, das du wirklich lesen willst, aber das noch nicht geschrieben wurde, dann musst du es selbst schreiben.
    - Toni Morrison -

    • Offizieller Beitrag

    Trevor schaute dabei zu, wie Edmund Nelli förmlich den Hof machte.
    Was zum Klabautermann ist mit ihm los?
                    „Edmund benimmt sich irgendwie ...“, setzte Esther an, und Trevor drehte sich zu ihr herum.
    Es traf ihn wie ein Blitz den Hauptmast!
    Apropos Blitz ...
    Sein Herz begann zu rasen, seine Hände wurden schwitzig und Hitze steig ihm in den Kopf. War Esther schon immer der Inbegriff von Anmut und Schönheit gewesen? Wie konnte er das nicht bemerkt haben? Vor allem ... Warum bemerkte er es jetzt? Doch bevor er der Ursache näher auf den Grund gehen konnte, rückte Esther wieder in sein Blickfeld. Ihr brünettes Haar umspielte ihr zierliches Gesicht, das jeden Hinterwäldler erkennen ließ, dass sie von blauen Blut war. „Tss, ehm, wullewulle baaaah“, stammelte Trevor vor sich hin.
    Esther musterte ihn mit ihren jadegrünen Augen. „Ich weiß, die Szenerie ist krotesk, aber ... hast du einen Schlaganfall?“
    Allein ihre Ausdrucksweise war so ...
    Unsere Kinder würden hübsch und klug werden!
    Trevor schlug sich ob seiner Gedanken mit der flachen Hand gegen seine Stirn. Er musste sich in den Griff bekommen. Ein Sturm sollte aufziehen, und er hing romantischen Gedanken hinterher. „Ich sollte ... Segel ... eingezogen werden sie müssen, weil ... Sturm ... aufzieht?!“
                    „Oma, ich glaube, Trevor ist auch kaputt“, wandte sich Esther an Nelli, die alle Hände damit zutun hatte, selbige aus Edmunds zu befreien, der liebestoll Gedicht an Gedicht reihte.
    Trevor dachte dabei nur, dass er nicht so wortgewandt war und sich niemals trauen würde, so offen Liebesverse zu rezitieren – oder sich gar aus dem Stegreif auszudenken. Er konnte erst seit einigen Jahren einigermaßen flüssig lesen und kaum fehlerfrei schreiben. Vielleicht sollte er sich Poesiebücher anschaffen? Gefiel Esther so etwas überhaupt? Er wusste gar nicht, welche Art Mann sie bevorzugte.
    Sturm! Es zieht ein Sturm auf!
    Seine Gedanken schrien ihn an. Die Segel würden sicherlich reißen, wenn sie nicht eingeholt würden. Was würde Esther über ihn denken, wenn er das Schiff in den sicheren Tod fahren ließe? Was, wenn Esther etwas passieren würde? „Ich muss an Deck! Bleibt Ihr hier unten und sichert die Ladung!“, sprach Trevor in einem ganzen und verständlichen Satz.
                    „Esther ...“, meinte Nelli, „du musst diese Prinzessin irgendwie in ihre Kajüte sperren. Lock sie unter den Vorwand rein, dass ein Sturm aufzieht. Ich glaube, nein, ich weiß, dass sie hier irgendetwas gemacht hat. Aber das klären wir nach dem Unwetter!“
                    „Nicht nur schön, auch so weise ...“, säuselte Edmund.
    Esther nickte.
    Das Lächeln, das ihr Gesicht dabei zierte, kannte Trevor nur zu gut. Selbst rachsüchtig war sie wunderschön.
    Trevor schüttelte seinen Kopf. Er wollte nicht von ihrer Seite weichen, zur Not hätte er Cecilia auch einfach in die Kajüte geworfen, um Esther Arbeit zu ersparen, aber er musste zu den Segeln, um seine Herzensdame vor Unheil zu bewahren. Aber was, wenn Cecilia gefährlich war? Bilder überfluteten sein inneres Augen, wie die Prinzessin einen Dolch zückte, um Esther davon abzuhalten, sie in ein Zimmer zu sperren.
    Vielleicht sollte ich sie einfach töten?
                    „Zur Sicherheit belege ich sie mit einem Bannzauber“, antwortete Esther, wodurch Trevor von seiner Idee abgebracht wurde. Jene war vermutlich etwas übertrieben.
                    „Trevor?“, riss Omas Stimme ihn aus den Gedanken. Ihm war gar nicht aufgefallen, dass er Esther die ganze Zeit angestarrt hatte. „Die Segel? Schaffst du das?“
    Edmund drückte Oma auf einen Stuhl. „Du solltest dich nicht so sehr anstrengen. Wie wäre eine Fußmassage, bevor es ungemütlich wird?“
    Trevor nickte und riss seinen Blick von Esther los. Ihre Sicherheit war ihm das Wichtigste, deswegen musste er an Deck. Zusammen mit Esther verließ er die Kombüse, woraufhin sich ihre Wege trennten. Nur leise bekam er mit, wie Esther Cecilia aufforderte, ihr zu folgen.
    Sie Sonne war bereits vollständig untergegangen. Und die gleiche Finsternis umhüllte sein Herz, als er darüber nachdachte, dass Esther wahrscheinlich wenig Interesse an ihm hatte. Warum auch? Er war bloß ein ungebildeter Pirat. So jemanden stellte niemand seinem Vater vor, erst recht, wenn dieser ein Baron war.
    Jetzt komm schon! Konzentrier dich!
    Trevor rieb sich die Hände und begann, das Hauptsegel einzuholen. Die See wurde bereits unruhig und Donnergrollen war aus der Ferne zu hören. Kaum hatte er das Hauptsegel eingeholt, fing es an zu regnen. Er befestigte alles und wandte sich dann dem Vorsegel zu.
    In diesem Moment bemerkte er, dass Esther neben ihm Stand. „Was soll ich machen?“, fragte sie gegen den peitschenden Regen.
                    „Sofort unter Deck gehen!“, schrie Trevor.
                    „Das kannst du vergessen, ich bleibe!“, antwortete Esther entschlossen.
    Er war hin- und hergerissen. Einerseits hatte er sie nur zu gern bei sich, andererseits war es an Deck viel zu gefährlich. Was sollte er tun? Bei all seiner Liebe zu ihr, sie beschwören, wieder unter Deck zu gehen? Aber wer war er schon, ihr Befehle zu geben? Viel mehr würde er alles tun, worum sie ihn bitten würde.
    Und du starrst sie schon wieder an!
    Wem konnte Mann es verdenken? Im gießenden Regen begann Esthers Kleidung wie eine zweite Haut an ihr zu kleben. Jede Facette ihres Körpers wurde dadurch deutlich.
                    „Ihr ... Ihr könnt die Ladung zusätzlich sichern“, stotterte Trevor und zeigte auf die Fässer und Kisten in etwas Entfernung. „Ein großes Seil müsste neben dem Eingang hängen.“
    Esther holte das Seil und lief wankend zur Ladung.
    Trevor erkannte sofort, dass sie wahllos die Kisten und Fässer sicherte, weshalb er zu ihr ging.
                    „Hoffentlich verfliegt der Zauber von selbst bald“, rief sie, und Trevor schaute sie verwundert an.
                    „Welcher Zauber?“, wollte er wissen.
                    „Ist nur eine Vermutung, aber wir halten es für möglich, dass du und Edmund verzaubert wurden“, gestand Esther.
    Seine plötzlichen und absolut irrationalen Gefühle sollten ein Zauber sein? Gab es sowas? Und selbst wenn ... er fühlte, wie er fühlte.
    Trevor nahm Esther das Seil aus der Hand und zeigte ihr einen richtigen Knoten. „Dann wisst Ihr um meine Gefühle?“, hakte er leise nach.
    Ich weiß nur, dass du gerade durch einen Zauber geblendet wirst und das, was du fühlst, nicht echt ist“, erwiderte Esther und prüfte, ob alles fest war.
    Wie immer es auch war ... Es fühlte sich echt an. Zumindest hatte Trevor keinen Vergleich. Noch nie hatte er so empfunden. Seine Gedanken kreisten nur um sie, ließen ihn alles andere vergessen, was er begrüßte. Zum ersten Mal in seinem Leben dachte er nicht ausschließlich an seine Kämpfe, seine Schlachten. Den Wunsch, Esther zu beschützen – und vieles mehr – erleichterte ihm sein Dasein.
    Plötzlich wurde das Schiff von einer Welle getroffen. Es wankte nach links und beide verloren beinahe den Halt.
    Trevor ergriff das Seil und schlang seinen anderen Arm um Esthers Hüfte, um sie vom Wegrutschen abzuhalten. Allerdings löste sich der Knoten, sodass beide abwärts glitten.
    Trevor schaute nach oben. Die Ladung war noch an Ort uns Stelle, aber unterhalb kamen sie der Reling näher. Eilig drehte er sich zur Seite und presste Esther an sich, um den Aufprall mit seinem Rücken abzufangen. Das Wasser der Wellen schoss über und auf beide.
    Trevor befreite eine Hand und fuhr sich über sein Gesicht.
    Sie mussten schnell das zweite Seil wieder anbringen!
    Er schaute auf Esther nieder, die sich ihre nassen Haare aus dem Gesicht fischte. „Alles in Ordnung?“,wollte sie wissen.
    Trevor lächelte verlegen. „Ja ... immer.“ Tatsächlich war der Aufprall nicht allzu schlimm gewesen. Er rappelte sich auf und zog Esther wieder auf ihre Beine. Auch wenn er ihre Wärme genoss, war jetzt der gänzlich falsche Zeitpunkt dafür. Er schob sie zurück zur Ladung, während das Schiff zur anderen Seite kippte. Für diesen Moment konnten sie zumindest an den Fässern halten finden.
                    „Wir sollten uns beeilen, bevor wir noch über Bord gehen“, schrie Esther in den Sturm, und dem konnte Trevor nur zustimmen.
    Er ergriff das Stück Seil, das ihm Esther reichte und verknotete es. Dann richtete er seinen Blick nach vorn und erkannte zwischen dem Aufhellen der Blitze, dass sich in der Ferne etwas auftat. Waren das Klippen? Wie weit waren sie vom ursprünglichen Kurs abgetrieben worden? Trevor schaute Esther an. Klippen verhießen nichts Gutes. Das Schiff konnte an ihnen oder den Felsvorsprüngen davor zerschellen. „Ich muss zum Steuerrad!“, brüllte Trevor. „Ihr bleibt hier!“
    Anscheinend hatte Esther die Klippen auch gesehen. „Ich kann einen Schutzschild um das Schiff legen“, schlug sie vor, aber Trevor verneinte.
                    „Das ist nicht mein erster Sturm und nicht mein erstes Schiff!“, wandte er ein. „Wenn Ihr einen Schild heraufbeschwört, verliere ich meine Kräfte. Spart Euch diese Kraft für den Fall, dass ich versage!“
    Er wusste nicht, wie lange der Sturm anhalten würde. Esthers Kraft sollte gespart werden, bis es keine andere Möglichkeit mehr gab.
    Esther nickte sichtlich widerwillig. „Aber ich begleite dich, nur für denn Fall, dass ... etwas passiert!“
    Er seufzte, zog sich sein Hemd über den Kopf und schlang es um Esthers Hüfte. Dann verknotete er es fest mit dem Seil an der Seite der Ladung. Kurz überkam ihn ein Déjà-vu, aber das verwarf er für den Moment. „Nein!“, antwortete er strikt. „Ich kann mich nicht auf Euch und das Schiff konzentieren!“
                    „Sag mal, geht’s noch? Du kannst mich nicht einfach hier festbinden! Was glaubst du eigentlich ...“, beschwerte sie sich lautstark.
                    „Versteht doch ...“, wandte Trevor ein und umfasste ihre Schultern. „Ob künstlich oder wahrhaftig ... ich fühle, was ich fühle. Die Sorge um Euch bringt mich fast um den Verstand. Ich nutze weder Euch noch diesem Schiff etwas, wenn mir das Schicksal von letzterem egal wird. Und wenn ich versage, dann seid Ihr die Einzige, die noch etwas ausrichten kann. Wenn Euch etwas dort oben passiert, verliert mein Leben jeglichen Wert. Ich brauche meine Kräfte, um das Ruder herumzureißen und uns von diesen Klippen wegzubringen ... Versteht Ihr das?“
    Esther schaute ihn an und nickte langsam. „Ich verstehe, aber ... pass auf dich auf!“
    Beide schauten sich an und ...
    Jetzt oder nie, du Lappen!
    Kurzerhand küsste er Esther ... erneut. Dann wandte er sich ab und begab sich zum Steuerrad.
    Er hatte es schon wieder getan, aber diesmal fühlte es sich anders an. Diesmal fühlte es sich an, als könnte er danach lachend dem Tod ins Angesicht springen. Er hielt sich zunächst am Mast fest und bahnte sich seinen Weg zum Steuerrad. Die Stufen hinauf fühlten sich endlos an und immer wieder sah er zu Esther zurück, die alle Mühe damit hatte, die Balance zu halten.
    Oben angekommen, drehte er das Ruder Backbord, um von den Klippen wegzukommen. Mit aller Kraft, die ihm innewohnte, hielt er gegen den Sturm. Doch es schien schon zu spät. Zwischen den Blitzen sah er etliche Felsformationen immer näherkommen.
                    „Den Schild!“, brüllte er so laut er konnte. „Den ...“. Urplötzlich türmten sich riesige Arme über der Backbordseite des Schiffes auf und umfassten es.
    Ein Kraken? Was zum F... Ist das euer Ernst?
    Er verfluchte innerlich jeden Meeresgott, den er kannte. Die und alle anderen Götter. Erst der Sturm, dann die Klippen und jetzt auch noch ein verfickter Kraken. Er hatte nicht einmal eine Waffe zur Hand.
    Trevor ließ das Ruder los und wankte zur Treppe. „Wenn du nicht deine Tentakel von diesem Schiff und Esther lässt, verarbeite ich dich zu Calamari, hörst du!“, drohte er. Aber bevor Trevor die Stufen hinuntergeeilt war, schob der Kraken das Schiff von den Klippen weg.
    Hilft er uns? Das ist doch ... Was genau war in dem Tee eigentlich drin?
    Vielleicht träumte er das alles nur. Genau, vielleicht hatte der Tee ihn außer Gefecht gesetzt und das war alles nur ein seltsamer Traum.
    Erneut umfasste der Kraken das Schiff und schob es immer weiter von der kleinen Insel weg.
    Eilig begab sich Trevor wieder zu Esther und schob sie hinter sich, während er nach oben schaute.
    Mehrere Male ragten die Arme des Kraken über sie hinweg, umschlangen das Schiff und beförderten es in die andere Richtung.
    Esther umklammerte mit einem Arm Trevors Hüfte, um sich an ihm festzuhalten.
    Er spürte ihre durchnässte Kleidung an seinem Rücken – und wie sehr sie zitterte. Wie gerne hätte er eine wärmende Decke um sie gelegt, aber angesichts ihrer Lage, war das nicht möglich. Er hielt sich selbst mit einem Arm am Seil fest und presste den anderen sanft, aber bestimmt, gegen ihren Arm, um ihr zusätzlich Halt zu geben.
    Esther beschwor einen bläulich leuchtenden Schild über ihnen, der Trevor umgehend seine übermenschlichen Kräfte stahl. Er konnte es spüren, weil er plötzlich beide Arme brauchte, um beide an Ort und Stelle zu halten. Indes stoppten der Regen und der Wind unter dem Schild.
                    „Er bringt uns von den Klippen weg, keine Sorge!“, versuchte Trevor Esther zu beruhigen, die verängstigt in den Himmel sah.
                    „Sicher, dass wir einem Kraken trauen können?“, fragte Esther skeptisch.
    Trevor sah sie unsicher lächelnd an. „Ich weiß nicht, warum er das macht, aber er ist unsere beste Option.“
                    „Dann sollten wir unter Deck. Der Schild schwächt dich. Und wenn der Kraken das Schiff bewegt, können wir ohnehin nichts mehr ausrichten.“
    Trevor nickte und band sein Hemd vom Seil los, ließ es aber noch um Esthers Hüfte.
    Esther ließ kurz darauf den Schild fallen, woraufhin Trevor sie mit sich Richtung Eingang zog. Mit seinen wieder aufkommenden Kräften war das wesentlich einfacher. Er stieß die Tür auf und fühlte Erleichterung. Nichts außer Erleichterung. Esther war sicher – und das Schiff natürlich auch. Im schmalen Gang begegneten sie Nelli, die sich an den Wänden festhielt, während Edmund wie ein Kind an ihr hing. „Du bist in Sicherheit, dir passiert nichts mehr! Soll ich dir etwas kochen? Hast du Hunger? Durst? Willst du dich setzen? Schlafen?“
    Nelli unterdrückte ein Augenrollen. „Ruhe wäre toll!“
    Trevor sah es ein. Irgendetwas stimmte nicht mit ihnen. So waren sie niemanden eine wirkliche Hilfe. Ganz im Gegenteil. Ihr Fokus gegenüber Esther und Nelli verkomplizierte vieles.
                    „Esther wird alles erklären ...“, setzte Trevor an. „und wir beide sollten eine Pause einlegen.“ Er sah zu Edmund und nahm ihn an der Hand mit sich. „Lassen wir die beiden nach einer Lösung suchen.“
                    „Warum nach einer Lösung? Ich fühle mich großartig!“, dementierte Edmund.
                    „Geh ruhig, ich komme gleich nach“, beruhigte ihn Nelli, woraufhin Edmund Trevor folgte.
    Alle gingen zusammen zu Edmunds Kajüte.
    Trevor dachte nach, bevor er im Zimmer verschwand. Bei allem, was er für Esther fühlte, konnte er nicht so einfach die Tür hinter sich schließen, als sei nichts gewesen. Er drehte sich noch einmal zu ihr herum und nahm sachte ihre Hand. Sanft küsste er ihren Handrücken und schaute sie an. „Ihr habt es verdient, dass ein Mann solche Gefühle für Euch hegt, denn Ihr seid mutig und selbstlos. Niemand sollte weniger als sein Leben für Euch hergeben wollen ... Und egal, als wer ich diesen Raum wieder verlasse ... Ich würde niemanden an Eurer Seite akzeptieren, der weniger fühlt“, sprach Trevor mit beinah gebrochener Stimme.
    Esther lächelte, und Trevor glaubte, eine gewisse Verlegenheit bei ihr zu erkennen. „Ich hoffe, das niemand für mich sein Leben geben muss“, antwortete sie.
    Trevor nickte verstehend und begab sich dann in das Zimmer.
    Er hörte, wie jemand – vermutlich Oma – abschloss, während Edmund sich auf sein Bett setzte. „Du hast ein Talent dafür, im falschen Moment die Stimmung kaputt zu machen.“
    Trevor rutschte an der Wand entlang auf den Boden und lehnte seine Arme auf die Knie. „Wem sagst du das ...“