Liebe Kirisha
der letzte Abschnitt zeigt etwas mehr von der Welt. Sprachlich finde ich es teilweise zu modern. Ich bin mir auch nicht sicher wie eine ganze Stadt mit Strassen und allem drum und dran in einen Vulkan passen.
Er fand sich in völliger Dunkelheit wieder und spannte alle Sinne an, denn er befand sich nun in einem Sicherheitsabschnitt (Sicherheitsabschnitt finde ich zu modern), der unbefugte Eindringlinge töten sollte.
Diesen bewachten drei unsichtbare Feuergeister, deren Angewohnheit es war, sich erst zu materialisieren, wenn der Neuankömmling in sie hineingelaufen war und sich in eine loderne Stichflamme verwandelte. Wer zum König wollte, ließ sich daher gern von einer Hexe der Garde begleiten. Aber Raven verzichtete auf solche Gesellschaft lieber, auch wenn ihn dieser Gang nervös machte. Geister zu erkennen, hielt er für eine nützliche Fähigkeit, die er auch mal beim Erkunden unbekannter Orte gebrauchen könnte. Leise zog er einen alten Taschenspiegel aus seiner eng anliegenden ledernen Hose und drehte ihn, damit dieser den vor ihm liegenden Weg widerspiegelte. Während manche dunklen Wesen dadurch auffielen, dass kein Glas sie zeigte, war es bei den Feuergeistern umgekehrt. Sie warfen, wenn sie unaufmerksam waren, diffuse Bilder trotz ihrer fehlenden Gestalt. Außerdem waren sie fühlbar durch die große Hitze, die sie erzeugten. Da die Temperatur jedoch am Vulkan von Kalamachai an vielen Stellen abnorme Höhen erklomm, war das allein kein sicheres Zeichen.
Ravens kleines Glas zeigte düstere grüne Augen links vor ihm und die Umrisse zweier schwarzer Kreaturen weiter vorne. Er prägte sich die Entfernungen und die Richtung ein. Keinen Moment zu früh, schon färbte sich der Spiegel grau und zeigte nichts mehr an.
Angestrengt lauschte er in die Dunkelheit auf verdächtige Zeichen, die er inzwischen gut kannte. Ein leises Zischen links veranlasste ihn, sich geschmeidig rechts gegen die Wand zu drücken und drei Schritte vorwärts zu laufen. Wieder hielt er inne. War das ein Windhauch? Er duckte sich, huschte darunter weg. Noch einer übrig, ich hab es gleich. Meist versteckte sich der dritte Geist weiter hinten, daher schlich er im Schneckentempo vorwärts. Die Ohren wie Trompetentrichter aufgesperrt, versuchte er selbst das Niesen einer Schnecke nicht zu überhören.
Ein Schaben … aber zu tief unten. Klang eher wie eine Ratte.
Plötzlich knisterte es direkt neben seinem Ohr. Er rannte vorwärts. Mit einem Fauchen schoss ein Feuermeer neben ihm hoch und flammte glühend seinen linken Oberarm entlang. Er rannte drei Schritte weiter, um aus der Gefahrenzone hinauszukommen, drehte sich um und presste den Arm heftig gegen das Höhlengestein, das Feuerreste erstickte.
Das finde ich etwas seltsam, die Geister töten alle, die durch den Gang gehen. Aber wenn jemand geschickt ist, kann er einfach drumherumlaufen. Nicht sehr effektiv.
Schlecht gelaufen. Verärgert betrachtete er die neuen Brandlöcher in der Uniformjacke. Das nächste Mal musste er aufmerksamer sein. Wenigstens ließ er nun die Kontrollzonen (wieder so ein modernes Wort) hinter sich und konnte entspannen. Er trat wie durch einen Vorhang – und befand sich endlich im Licht. Geschafft.
Der Gang war hier zu den Seiten mit Fackeln ausgeleuchtet. Rechts und links befanden sich in den Stein gehauene Wohnungen, von denen sich die Türen und Fenster zur Straße hin öffneten.
Alle Gefolgsleute des Königs wohnten in solchen in den Fels geschlagenen Wohnungen, verteilt auf die diversen Ebenen im Vulkaninneren. Es war zu gefährlich, außerhalb des Vulkanes Häuser zu bauen, zu häufig schwemmten Lavabäche von oben herunter oder bildeten sich Gase, die bereits sämtliche Rinderherden getötet hatten, die sie auf den Bergabhängen mal versucht hatten zu halten. Auch die Pferde mussten aus diesem Grund im Inneren gehalten werden.
Die Idee eine Stadt in einen aktiven Vulkan zu bauen ist schon gewagt. Möglicherweise hilft hier Magie.
Das Gebirge des Vulkans von Kalamachai war groß genug, um innerhalb seines Gesteins eine ganze Stadt zu beherbergen, die sich über ein Labyrinth von gigantischen Ausmaßen hin erstreckte. An die Wärme hatte sich Raven mit der Zeit gewöhnt, die meisten Bewohner gingen Tag und Nacht in ärmellosen Hemden und dünnen Hosen.
Oberhalb der Grottengänge brauste stets ein leiser Luftzug und sie waren auch hoch genug, dass die Angehörigen des geflügelten Volkes mit ihren langen Fledermausflügeln über den Köpfen der Fußgänger entlang rauschen konnten.
Ein schwacher Geruch von Feuer und Schwefel hing in diesem Gang, der Raven jedoch kaum irritierte, der weit schlimmere Ausdünstungen vom Krater her gewohnt war.
Er hatte den Hauptgang kaum betreten, als bereits sein Bruder auf ihn zu hastete. Die blonden Locken des Prinzen Kimures flogen um sein erhitztes Gesicht, trotz des kurzen Weges war er bereits außer Atem und wäre in seinem Ungeschick beinahe über einen am Boden liegenden Helm gestolpert. Kaum zu glauben, dass dieser ungelenke, scheue Jüngling der Sohn des Königs war, sein einziger, was ihn zum Erben des gesamten mächtigen Reiches machte. Obwohl Raven und er sich Brüder nannten und Raven anfangs viele Gemeinsamkeiten zwischen ihnen gesehen hatte, bildeten sie äußerlich einen denkwürdigen Gegensatz.
Er ist also nicht sein Bruder, aber sie nennen sich so? Das finde ich unnötig verwirrend, außer es hat einen tieferen Grund.
Die Uniform des schmächtigen Prinzen Kimures war nicht von Aschestaub bedeckt, sondern in tadellosem Zustand, und sein Waffengürtel glänzte, denn er war so gut wie noch nie benutzt worden. Wäre er ein Mädchen gewesen, hätte er für hübsch gelten können. Das hatte Raven schon manchmal gedacht, denn sein Bruder hatte feine, adlig wirkende Züge mit melancholischen smaragdgrünen Augen und langen, zarten Wimpern. Raven hatte ihn zu dem Auftrag in Karghena vorsichtshalber nicht mitgenommen. Eine große Hilfe wäre er dabei nicht gewesen.
„Raven!“, rief Kimures, seine Augen flackerten aufgeregt. „Endlich kommst du. Was ist passiert? Ich hörte, du hättst in Karghena ein Blutbad angerichtet!“
Raven zog die Augenbrauen hoch. Beschimpfungen zur Begrüßung. Das fing ja gut an.
„Machst du mir Vorwürfe?“, gab er verärgert zurück. „Mann, das kann ich jetzt gar nicht gebrauchen.“
„Der König kocht vor Wut, er hat furchtbar auf dich geflucht“, berichtete Kimures sorgenvoll. „Es wäre besser, du vermeidest die Königshalle für eine Weile und verschwindest von hier, bis er sich beruhigt hat.“
Raven war so überrascht, dass er in schallendes Gelächter ausbrach.
„Ich, verschwinden?“, polterte er los. „Ganz bestimmt nicht. Der soll nicht wagen zu motzen!“
Zu modern, der redet ja wie ein Teenager.
Kimures wurde blass. „Hör auf so zu reden. Den Vater habe ich noch nie so wütend gesehen. Er redete davon, dir einen Dolch in die Brust zu stoßen!“
Was?!
„Das kann er ja mal versuchen“, fauchte Raven, dessen Zorn in rasender Geschwindigkeit anschwoll. Mit schnellen Schritten marschierte er weiter, wobei Kimures ihm folgte.
Will der König mich etwa bestrafen? Für was? Soll er seine dämlichen Spione auspeitschen, die ihn mit falschen Informationen versorgt haben!
Sie erreichten eine Kreuzung und bogen ab. In dieser Grotte reihten sich Hexenwohnungen aneinander, in denen alle Fenster magisch leuchteten und auf deren Fensterbänken sich Schlangen räkelten, die Wappentiere der Göttin.
Es war einiger Verkehr auf der Straße, eine Schar von Hexen kam ihm entgegen. Er versuchte sie zu ignorieren. Die Zauberinnen von Kalamachai waren wie Giftpilze, er reagierte allergisch auf sie. Das beruhte auf Gegenseitigkeit, mehrere von ihnen wichen zur Seite und bemühten sich, einen möglichst großen Abstand zwischen sich und ihm zu schaffen.
Leider schälte sich in diesem Moment Gaya aus der Menge, eine Führerin der Garde. Seit einem Vorfall, den Raven am liebsten vergessen würde, war sie seine erklärte Feindin. Sie steuerte direkt auf ihn zu und nötigte ihn anzuhalten. Mit ihren langen schwarzen Haaren, die sich über ihren tanzenden Brüsten ringelten, war es unmöglich an ihr vorbeizublicken.
„Der König wartet schon auf dich“, erklärte sie kühl und musterte ihn herablassend. „Wenn ich du wäre, würde ich mich jetzt in einer Felsspalte verkriechen. Es könnte passieren, dass er gleich deine Haut in kleine Fetzen peitschen lässt.“ Sie grinste schadenfroh. „Nicht dass mir das leidtun würde, Großmaul.“
Raven hätte ihr nur allzugern die spitze Zunge zerschlagen, aber unter ihren Fingerspitzen lauerten gewaltige magische Kräfte. Das wusste er sehr genau aus früheren Begegnungen, deshalb beschränkte er sich auf eine bissige Replik.
„Wenn alle tot umfallen würden, denen du jemals die Pest an den Hals gewünscht hast, wäre ganz Kalamachai schon ein Friedhof“, erwiderte er ebenso eiskalt wie sie vorher. „Jetzt lass mich durch.“
„Und du fackelst ein ganzes Stadtviertel ab und lässt doch die Beute entkommen.“ Sie funkelte ihn höhnisch an. „Voll am Ziel vorbei, würde ich sagen.“
Wieder etwas modern.
Damit ließ sie ihn stehen. Verdammte Hexen. In seinem Inneren brodelte es. Besten Dank, dass mich schon ganz Kalamachai für einen Versager hält, dabei kann ich das mit einem Wort klarstellen!
Sie passierten einen Übungsplatz in einer langgestreckten Halle, wo eine größere Gruppe von neu geschaffenen Kalmukern aufmarschierte. Wie frisch die Kerle waren, erkannte Raven an dem Schaum um ihre Münder und an ihren noch nicht richtig koordinierten Bewegungen. In einigen Augen glühten noch die letzten Funken von Todesangst, die sich jedoch bald in ein stumpfes, leeres Schwarz wandeln würden. Auf ein lautes Kommando der drei Anführerinnen fielen alle Seelenlosen gleichzeitig auf die Knie und schlugen ihre Köpfe mit einem lauten Knall auf den Boden, der Raven in seinem eigenen Schädel schmerzte.
Während er mit Kimures an ihnen vorbeihastete, konnte er es nicht lassen, ihnen nachzustarren.
„Kompanie – aufgestanden! Kompanie – im Gleichschritt marsch!“, kommandierte eine der Führerhexen. Die Truppe gehorchte in voller Perfektion. Wie ein einziger Mann erhoben sich alle gleichzeitig, stampften und atmeten im exakt selben Takt, und schon marschierten sie davon. Das Trampeln ihrer Schritte hallte durch das Gewölbe und entfernte sich.
Ein einziger Mann verharrte jedoch noch auf dem Boden, stand langsam auf und blieb dann stehen wie festgewachsen. Es war ein hünenhafter Krieger mit wirren rotbraunen Haaren. Er röchelte unnatürlich und immer mehr Schaum wuchs aus seinem Mund.
„Sieh nur, den haben sie vergessen.“ Raven tippte Kimures gegen die Schulter, um ihn aufmerksam zu machen. Er hatte schon einige Male versucht, solche Verlorenen unter seine Kontrolle zu bekommen, wie es die Hexen taten.
Der Prinz zog die Schultern zusammen, den Blick angestrengt in die andere Richtung gewandt. „Glaubst du, ich will mir das ansehen? Vielleicht kannte ich ihn.“
Einige Wegbiegungen weiter erreichten Raven und Kimures die Kraterhalle. Dies war ein riesenhafter Raum, in dessen Mitte der breite offene Krater gähnte. Trotz seiner Größe war nicht zu erkennen, wie weit unten die Lava blubberte. Zum einen befanden sie sich bereits zu hoch im Berg, andererseits behinderten auch die ständigen Dampfschwaden und Schwefelfontänen die Sicht. Und nicht zuletzt war der Zugang zum Kraterloch abgesperrt durch mehrere Pfeiler, auf denen Totenköpfe prangten, sowie eine durchsichtige Schutzwand, die ihn zu allen Seiten umhüllte. Diese schirmte auch die größte Hitze ab. Trotzdem herrschte immer noch eine drückende Wärme.
Die Halle erstreckte sich in enorme Dimensionen und etwas unübersichtlich, weil sie mehrgeschossig angeordnet war, an den Wänden voller Fensterluken und Balkonen. Viele Türrahmen waren aus Silber, da es im Berg eine Silberader gab, und dieses Metall glitzerte an der Wand so stark und an so vielen Stellen, dass es die Grotte fast taghell erleuchtete. Der Boden war mit feuerroten geschliffenen Platten belegt und zahlreiche auf- und absteigende Treppen führten von einer zur nächsten Etage.
In der Halle herrschte geschäftiges Treiben. Soldaten patrouillierten, Boten und Diener hasteten hin und her. Nahe dem Kratergeländer standen Gardistinnen mit roten Helmen und unterhielten sich, einige Hexen führten einander mit blitzenden roten Energiefunken etwas vor. Der Krach und Gestank war unbeschreiblich, denn nicht nur der Vulkan brüllte und zischte, auch die Stimmen der vielen Menschen in der Grottenhalle hallten durch die unterirdischen Gewölbe. Geflügelte rauschten über ihre Köpfe hinweg, und um das Maß voll zu machen, surrte die Strahlung der Hohepriesterin wie eine Höllenmusik.
Doch Raven achtete darauf nicht, jetzt wollte er nur den König erreichen. Wenn das eine Verschwörung gegen ihn war, dann würde er sie brechen. Niemand würde ihm seinen Platz so nahe am Thron stehlen!