Künstler auf Reisen

Es gibt 9 Antworten in diesem Thema, welches 1.161 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (23. August 2022 um 12:02) ist von kalkwiese.

  • Der Seemann kreuzt die See | und schreibt mit seinem Kiel

    Das Boot zieht Tintenspur'n | und findet nie ans Ziel

    Er segelt ewig hier | in mir, auf dem Papier

    Auf Irrweg folgt ein Irrweg | und nirgendwo ein Pier

    Der Seemann segelt streng | nach hellem Sternenbild

    Er will geradeaus | folgt stur dem Plan der gilt

    Präzise, knapp und klar | es soll gefällig sein

    Penible Arbeit schafft | und wahrt des Simplen Schein

    Dann weht ein Wind geschwind | und rüttelt an den Sternen

    Er blättert Seiten laut | dass Sterne tanzen lernen

    Mit Rumba, Walzer, Twist | die Sterne schwingen lassen

    Vermischte Bilder woll'n | nach neuen Zielen fassen

    Der Seemann blickt empor | und sieht das Sternenwirrwarr

    "Den Bildern muss ich nach | der Weg, der stimmt noch immer!"

    Er lächelt breit und hell | begrüßt auch jede Idee

    Begrüßt den neuen Wind | begrüßt die reiß'nde See


    Spoiler anzeigen

    Hab mich mal wieder an Poesie versucht. Ich glaube, endlich kapiert zu haben, wie Versmaß und sowas funktioniert, darum wollte ich es dieses Mal vor allem durchhalten, eine strengere Form einzuhalten. War auch gar nicht so einfach. :hmm: Meine Wahl fiel nach einigem Hin und Her auf Alexandriner. Die haben in der Versmitte eine Zäsur, also Sprechpause, darum füge ich dort die Striche ein.

    Inhaltlich geht es um etwas, was man als Schreibender einfach kennt, das ist nicht so kreativ. Aber vielleicht hat ja die Segler-Metapher auch ihren Reiz ^^

    Meinungen, Verbesserungsvorschläge, Interpretationen etc. sind alle willkommen.

    Häupter auf meine Asche!

    4 Mal editiert, zuletzt von kalkwiese (17. Dezember 2022 um 21:48)

  • Heyho kalkwiese

    Gefällt mir gut. Vor allem der Seemann und sein Kiel, den man ja auch als Federkiel kennt.

    Den "Alexandriner" kannte ich noch nicht, aber ich kümmere mich auch eher selten um korrekte Formen.

    Finde ich sehr interessant, allerdings stolperten beim Lesen meine Augen immer dann, wenn vor der Zäsur ein Komma gesetzt wurde.

    Jetzt frage ich mich daher:

    Muß die (korrekte) Zeichensetzung bei Verwendung des Alexandriners trotzdem eingehalten werden???

    Mit Rumba, Walzer, Twist, | die Sterne schwingen lassen

    Falls ja, stört's mich in meinem Lesefluß kolossal. Der Trennstrich als solcher wäre da meiner meiner Meinung nach völlig ausreichend...

  • Der Wanderer

    Nabend! Also, ich habe selbst überlegt, ob ich die Kommata nicht lieber entferne. Den Trennstrich habe ich selbst entschieden zu setzen, den muss man gar nicht machen. Vielleicht sollte man den auch sein lassen. Aber ich wollte eben diese Zäsur etwas betonen, da ist das vielleicht nicht so doof. :hmm: Kommata kann man dann wahrscheinlich streichen.

    Bei Alexandrinern geht es, wie ich es verstehe, vor allem um die Zäsur nach drei betonen Silben (wobei jeder Vers sechs betonte Silben hat), und dass betonte und unbetonte Silben sich abwechseln. :hmm:

    Leider ist mir selbst schon ein inhaltlicher Fehler in der ersten Strophe aufgefallen: Eine Tintenspur kann man nicht radieren ... Da muss ich nochmal feilen.

    Ich bin sehr glücklich darüber, dass der Kiel aufgefallen ist. :D Auf die Stelle bin ich stolz!

    Häupter auf meine Asche!

  • Die dargestellte Metapher find ich sehr ansprechend und poetisch... Mich irritiert allerdings, dass die Reimfolge der ersten Strophen in der letzten nicht mehr existent scheint... ist das typisch für diese Reimform?

    Der Unterschied zwischen dem, was Du bist und dem, was Du sein möchtest, liegt in dem, was Du tust.
    -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
    Was würdest Du tun, wenn Du keine Angst hättest?

  • Cory Thain

    Huhu! Ja, also, der Gedanke war, dass die Struktur den Inhalt reflektieren sollte. Die offensichtliche Veränderung ist sicherlich das Reimschema in der vierten Strophe, wo ich statt einem Paarreim (aa bb) einen umschließsenden Reim genommen habe (ab ba). Ja, "Wirrwarr" soll sich da auf "immer" reimen :rofl: Die Änderung des Reimschemas ist ein harter Bruch, über deren Sinn ich auch immer noch nachdenke. :hmm:

    Die nicht ganz so offensichtliche Änderung ist, dass ab der dritten Strophe sich die Kadenzen verändern, also ob die Verse auf einer betonten oder unbetonten Silbe Enden. Strophe 1 und 2 enden auf betonten Silben, Strophe 3 auf unbetonten, und in Strophe 4 enden Vers 1 und 4 auf unbetonten Silben und Vers 2 und 3 auf betonten. 🤔 Ich wollte da eine noch größere Veränderung einführen, um die Änderungen im Schreibprozess mit darzustellen.

    Formschöner wäre es, wenn ich in Strophe 4 die Verse so vertausche, dass wieder Paarreime entstehen. Die Kadenzen bemerkt wahrscheinlich eh keiner. xD

    Ich weiß nicht, ob ich diesen bewussten Bruch lassen will, oder ob ich lieber für die Gefälligkeit den Paarreim haben will

    Häupter auf meine Asche!

  • Ja, also, der Gedanke war, dass die Struktur den Inhalt reflektieren sollte. Die offensichtliche Veränderung ist sicherlich das Reimschema in der vierten Strophe, wo ich statt einem Paarreim (aa bb) einen umschließsenden Reim genommen habe (ab ba).

    Mich hat die Stelle beim Lesen auch extrem gestört, also aus dem Lesefluss gerissen. Ich dachte mir schon, dass du das bewusst passend zum Inhalt gemacht hast. Bin mir nicht ganz sicher, ob ich das gut oder eher schlecht finden soll. :hmm: Ich glaube, beide Varianten haben einen gewissen Reiz.

    Die Änderungen in den Kadenzen sind mir jetzt nicht aufgefallen, aber ich bin auch noch ziemlich müde.

    Unabhängig von diesen technischen Sachen gefällt mir das Gedicht ziemlich gut. Die Metaphern sind zwar vielleicht nicht außergewöhnlich kreativ, aber sehr schön umgesetzt, gerade im Zusammenhang mit den Sternen, dem Navigieren, den verschiedenen Tänzen, dem Wind... es passt einfach gut zusammen ^^

    „Alice, man darf sein Leben nicht nach anderen richten. Du allein musst die Entscheidung fällen.“ [Alice im Wunderland]

  • Ach Ihr Lieben kalkwiese  Cory Thain Asni

    macht's Euch doch nicht immer so mühselig mit der Dichterei:

    Spoiler anzeigen


    "In nur vier Zeilen was zu sagen,

    ist gar nicht leicht, ist sogar schwer.

    Man braucht ja bloß mal nachzuschlagen:

    Die meisten Dichter brauchen mehr."

    (H.Erhardt)

    ^^ ^^ ^^

    Es soll ja letztlich Freude machen...

  • Ach Der Wanderer , ich verstehe schon, was du meinst. Bei Gedichten, der dichtesten Ausdrucksform, die ich mir so vorstellen kann, kann ich da aber nicht mitgehen. :hmm: Da sollte man schon danach streben, dass alles sitzt, also jede Silbe, jeder Reim, und dass das alles auch irgendwie zusammenpasst. Fünf gerade sein zu lassen, nur weil es mühselig ist, aber obwohl man es besser weiß, das wäre Faulheit. Und die ist die größte Feindin des Dichters mMn. :hmm:

    "In nur vier Zeilen was zu sagen, (9 Silben)

    ist gar nicht leicht, ist sogar schwer. (8 Silben)

    Man braucht ja bloß mal nachzuschlagen: (9 Silben)

    Die meisten Dichter brauchen mehr." (8 Silben)

    (Die einsilbigen Worte werden dann wohl so betont, dass unbetonte Silben sich streng mit betonten abwechsweln.)

    Überhaupt hat Heinz Erhardt sich auch bei diesen Zeilen wahrscheinlich viel Mühe gegeben, dass das rhythmisch so schön harmoniert und fließt. Man muss sich nur mal die Silbenanzahlen je Vers angucken und wo die Wörter betont sind. :) Das ist gutes Handwerk! Der Mann hat nicht geschlampt.

    Asni Tja, da muss ich wohl gucken, was ich mit dem Gedicht möchte. Wenn ich schon eine strenge Form möchte, gehe ich vielleicht am besten zum Paarreim zurück und lasse die Kadenzen einfach einen subtilen Hinweis für Detektive sein. :D Der Bruch im Reimschema ist einfach zu krass.

    Ich denke, der letzte Vers ist in beiden Versionen, also umschließender Reim ("Den Bildern muss ich nach | der Weg, der stimmt noch immer!") und Paarreim (Begrüßt den neuen Wind | begrüßt die reiß'nde See) eine gute Abschlusszeile. :)

    Häupter auf meine Asche!

  • Heyho kalkwiese

    Nicht liegt mir ferner, als das Bemühen eines Dichters gering zu schätzen.

    Jedoch...meiner Meinung nach sollte man aus seinem Kopf herauslassen, was drinsteckt. Folgt es einem gegebenen Schema - wunderbar.

    Folgt es ihm nicht - ebenfalls wunderbar.

    Daß Du Erhardts Gedicht nach Silben ordnest, ist völlig legitim.

    Ich bezweifele jedoch sehr, daß Erhardt das beim Schreiben auch getan hat. Weshalb auch hätte er sollen?

    Da sollte man schon danach streben, dass alles sitzt, also jede Silbe, jeder Reim, und dass das alles auch irgendwie zusammenpasst

    Da hatte er eine Idee. Und die hat er aufgeschrieben.

    Kann man analysieren auf Metrik etc.

    Kann man auf entsprechende Betonung analysieren.

    Kann man alles machen...

    Nur bitte nicht, bevor man ein Gedicht schreibt.

    Tja, da muss ich wohl gucken, was ich mit dem Gedicht möchte.

    Sorry. Wenn Du was mit deinem Gedicht "möchtest" bist Du auf dem besten Wege, nichts mehr draus zu machen. Was ich sehr schade fände.

    Es ist nämlich ein gutes Gedicht, an dem man nichts mehr zu ändern braucht.

  • Daß Du Erhardts Gedicht nach Silben ordnest, ist völlig legitim.

    Ich bezweifele jedoch sehr, daß Erhardt das beim Schreiben auch getan hat. Weshalb auch hätte er sollen?

    Ob Erhardt das getan hat, können wir natürlich nur herausfinden, indem wir ihn fragen - und er ist tot. Ansonsten bleibt mir da nur zu sagen, dass er eben etwas von seinem Handwerk verstand, dein Beispielgedicht einen deutlichen Rhythmus hat (vierhebiger Jambus, also auf eine unbetonte Silbe folgt eine betonte, das viermal je Vers) und ein deutliches Muster, was die Kadenzen angeht (also das Versende, das mal betont oder unbetont ausfällt) und das dadurch einfach fließt wie Wasser. Das halte ich jedenfalls nicht für Zufall. Wenn man das ein paarmal gemacht hat, ist das auch nicht so schwierig. In meinem Gedicht hier waren manche Verse echte Selbstläufer, andere waren richtig Arbeit.

    Dass Dichter wie Erhardt ihre Werke unbewusst in Rhythmen verfassen, halte ich für naiv. :hmm: Schreiben ist ein Handwerk, das mal besser und mal weniger gut von der Hand geht. Homer wird seine Odyssee und seine Ilias nicht versehentlich in einem Hexameter verfasst haben; Goethe und Schiller sind ihre strengeren Gedichte sicher auch nicht einfach plötzlich in den Kopf geschossen. Schweiß gehört schon auch dazu.

    Es gibt natürlich auch freie Formen, hab ja auch schon sowas geschrieben, da ist der Improvisationsfaktor wahrscheinlich etwas höher. Aber auch das entschuldigt keinen Text, der über seine Füße stolpert, und darum braucht man auch da Handwerk ...

    Da hatte er eine Idee. Und die hat er aufgeschrieben.

    Kann man analysieren auf Metrik etc.

    Kann man auf entsprechende Betonung analysieren.

    Kann man alles machen...


    Nur bitte nicht, bevor man ein Gedicht schreibt.

    Also, erstmal sollte jeder so arbeiten, wie er gute Ergebnisse liefern kann. Ich denke, da sind wir uns sicher einig. :)

    Und dann denke ich, dass es hier vielleicht ein Missverständnis gibt. Es gibt beim Schreiben natürlich ein Davor, ein Währenddessen und ein Danach.

    Davor habe ich beispielsweise folgende Vision gehabt:

    - ein Gedicht in einer strengen Form

    - Paarreime

    - die Verbindung vom Schreiben mit einer Segelreise

    - ein balladenartiger Erzählansatz

    Währenddessen ergab sich dann:

    - Alexandriner als Form, nachdem andere Formen nicht so richtig gelingen wollten (hab ich also durchaus ausgejamt, wenn man so will)

    - 4 statt 3 Strophen, die ich erst geplant hatte

    - natürlich die Verse an sich, da ging es in penibler Arbeit von Zeile zu Zeile

    Spätestens ab da würde wahrscheinlich auch ein Heinz Erhardt sehen, auf was für eine Form sein Gedicht hinausläuft.

    Und danach wurde nochmal die Feile angesetzt, denn ich hatte in der ersten Strophe behauptet, eine Tintenspur zu radieren.

    Hat ja keiner behauptet, dass die Leute ihre Texte vorher fertigplanen sollen, aber Pläne mit Metaphern, Reimwörtern und Versmaßen zu machen - was ist daran abwegig?

    Sorry. Wenn Du was mit deinem Gedicht "möchtest" bist Du auf dem besten Wege, nichts mehr draus zu machen. Was ich sehr schade fände.

    Es ist nämlich ein gutes Gedicht, an dem man nichts mehr zu ändern braucht.

    Ich bin nicht sicher, was genau du damit meinst, aber ich sehe bisher nichts, wofür du dich entschuldigen musst. :)

    Von Anfang an war dies ein Gedicht, von dem ich viel wollte und mit dem ich viel gemacht habe, was für mich neu war. Deinem Urteil nach wurde es gut, und das freut mich. Ich bin der letzte, der etwas zu Tode korrigieren würde, nur um zu gefallen. Hier geht es eher um den Anspruch vor mir selbst, und der war hier ein leichtgängiges Gedicht mit festem Versmaß etc. zu machen. Dem gilt es gerecht zu werden. Daran sehe ich nichts, was etwas verhunzen könnte.

    "Leichtgängig" heißt nur nicht, dass es für mich einfach wird.

    Häupter auf meine Asche!

  • kalkwiese 1. Dezember 2023 um 15:25

    Hat den Titel des Themas von „Schreibprozess“ zu „Künstler auf Reisen“ geändert.