Diese Geschichte wurde inspiriert von "Divinity: Original Sin 2 - Definitv Edition". Bei näherem Interesse ist hier ein Steam-Link:
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Teil 0
Nervös lies Oun seinen Blick durch die Umgebung wandern. Der junge Prinz stand in dieser Nacht, wie in so vielen anderen Nächten auch, in seinem Nachtgewand auf dem Balkon seines Schlafgemachs, trank dabei irgendeinen Fruchtsaft und blickte auf die verbotene Stadt rund um den Palast hinab. Oun gehörte zur Palastgarde und war diese Nacht mit der Aufgabe betraut für die Sicherheit des rotschuppigen Prinzen zu sorgen. Er mochte es nicht, wenn der Thronerbe so offen irgendwo herumstand. Dabei war heute nichts Ungewöhliches zu bemerken. Wie fast jede Nacht stand der Prinz auf seinem Balkon. Wie fast jede Nacht trank er dabei einen Saft. Wie fast jede Nacht war das einzige, was sich sonst bewegte das, womit der leichte Wind spielte. Wie fast jede Nacht war es absolut friedlich und ruhig.
Das war bei weitem nicht immer so gewesen: In den letzten zwanzig Jahren hatte es wahrlich genug Aufregung gegeben. Nach den Ereignissen in Arx - keiner wusste scheinbar bis heute so recht, was eigentlich passiert war - hatte die Welt plötzlich verrückt gespielt. Quellmagier, welche kurz zuvor noch gejagt und inhaftiert wurden, waren plötzlich die Tagesordnung. Über Nacht war fast jeder zu einem geworden. Viel Chaos, Gewalt und Tod hatte dies zur Folge gehabt, da die meisten nicht mit dieser Macht umgehen konnten, die sie so plötzlich erhalten hatten - und jene, die es konnte, waren in den Monaten zuvor systematisch vom göttlichen Orden gejeagt und zur Streckt gebracht worden. Fast fünf Jahre hatte es gedauert, bis sich die Unruhen gelegt hatten. Doch es gab einen angenehmen Nebeneffekt: Die Überlebenden dieser Plagenjahre konnten sich nun der Monster erwehren. Wie man inzwischen herausgefunden hatte, konnte man sie nicht wirklich töten, aber doch zurückdrängen und verteiben. Das wiederum war eine Erkenntnis, welche bei weiten Teilen der Bevölkerung Glückseligkeit ausgelöst hatte. Das ganze glorreiche Imperium der Echsen war davon ergriffen worden; aber auch die niederen Völker der Menschen, der Zwerge, der Elfen und sogar der Orks. In den nächsten zwölf Jahren hatte ihr großer Imperator es geschafft die Welt unter seinem Banner zu einen. Auch wenn die anderen Völker nicht direkt ihre Sklaven oder Vasallen waren, so war es doch klar, wer die Befehle gab - und da sie glaubten, sie hätten sich selbst dafür entschieden, gab es auch keine lästigen Aufstände; Oun schwoll immer noch die Brust vor Stolz auf seinen Imperator, wenn er daran dachte. Selbst in seinem Exil hatte seine Majestät stets solche großen Pläne verfolgt - so hatte er geradezu freundschaftliche Beziehungen zu wichtigen Personen der Niederen geknüpft. In den letzten Jahren hatten sie unter der Führung des Imperiums diese Welt wieder aufgebaut und neu geordnet.
Natürlich hatte es immer viele gegeben, welche dem Volk Zorl-Stissas nicht ihren rechtmäßigen Platz gönnen wollten. Es hatte immer wieder Anschläge auf das Leben die Herrscherfamilie gegeben - allesamt gescheitert - und inzwischen glaubte der Gardist Oun, dass den Unwilligen schlicht die Attentäten ausgegangen waren. Er wusste, dass dies kein kluger Gedanke war, aber die Vorstellung erheiterte ihn immer wieder. Dennoch war ihm niemals wohl dabei, wenn einer seiner Schutzbefohlenen ohne Deckung irgendwo war.
Von links näherten sich Schritte. Oun erblickte seine Ablösung - seinen Bruder Juun, der genau wie er zur Palastgarde gehörte. "Du bist fast eine Stunde zu spät dran!", begrüßte Oun seinen Bruder mit leicht verstimmten Unterton. Juun antwortete nicht direkt, sondern legte erst den Kopf schief und schien Oun zu mustern. Bildete Oun sich das ein oder blickten Juuns Augen in verschiedene Richtungen? Juun sagte weiterhin nichts, sondern stellte sich neben Oun und blickte zum Prinzen. Allmählich wurde Oun doch etwas ärgerlich. Nicht nur, dass Juun ihn hatte warten lassen - er hatte sich vermutlich wieder mit einer der Dienerinnen vergnügt - jetzt ignorierte ihn sein kleiner Bruder auch noch! Oun packte ihn an der Schulter und dreht ihn zu sich um. "Hast du verlernt zu sprechen?", fragte er Juun.
"Der Junge ist in der Tat prächtig gewachsen, meint Ihr nicht auch guter Mann?", meinte Juun dann und deutete mit einer lässigen Bewegung auf den Balkon, von dem der Prinz inzwichen weggegangen war. Nun war Oun wirklich aufgebracht, brüskiert und auch ein wenig verwirrt. "Wie sprichst du denn über unseren zukünftigen Imperator?!", fuhr er sein Gegenüber an: "Und seit wann nennst du mich "guter Mann"? Hat dir eine der Zofen doch noch die Birne weich gemacht?"
"Bruder?", entfuhr es Juun überrascht und schlug sich die rechte Hand vor die Stirn. "Oh. Oh je - das tut mir jetzt wirklich Leid. Ich ziehe es üblicherweise vor in derlei Angelegenheiten ein wenig taktvoller zu sein und normalerweise verwende ich auch Leichen (Euresgleichen hinterlässt eh genug, die muss man ja nicht verschwenden, zumal sie überall zu finden sind), doch bedauerlicherweise konnte ich keine finden, welche man hier hineingelassen hätte. Doch seid unbesorgt werter Herr! Wenn alles so läuft, wie ich mir das vorgestellt habe, erhaltet ihr euren Bruder schon bald unversehrt wieder - nunja, zumindest beinahe unversehrt. Ich benötige ihn nicht lange." Was sollte das denn bitte heißen? War Juun nun völlig verrückt geworden? Nun betrachtete er seinen Bruder genauer. Die Augen waren tatsächlich nicht im Einklang: während das rechte ihn fixierte, blickte das linke in Richtung des Balkons. Der Kiefer war ebenfalls ungewöhnlich. Er hatte sich war zu den Worten bewegt; jedoch eher wie bei einer Puppe und nicht wir beim Sprechen. Mit seinem Bruder stimmte etwas ganz und gar nicht und der über viele Jahre antrainierte Gardistensinn meldete sich.
Oun wollte aufreien. Wollte Alarm schlagen! Was war hier los? Wenn es nicht sein Bruder war, wer war es dann? War das ein Dämon, der von seinem Bruder besitzt ergriffen hatte? War sein Bruder noch am Leben? Diese Fragen und noch viele weitere schossen durch Ouns Kopf, gepaart mit immer größer werdendem Entsetzen. Denn als er rufen wollte, so konnte er es nicht; genausowenig, wie er sich bewegen konnte. "Es tut mir wirklich Leid; ich werde auch bald wieder gehen", erklärte Juuns Gestalt und legte ihn beruhigend die Hand auf die Schulter: "Habt keine Angst. Ich bin nur hier um mit dem Jungen zu reden; aber ich muss darauf bestehen, dass Ihr mir nicht in die Quere kommt guter Mann; daher bitte ich Euch es mir nachzusehen, wenn ich Euch nun außer Gefecht setze. Sicherlich wird Euch schon bald jemand finden und zu euren Heilern schaffen." Auf dem Gesicht von Juun zeigte sich ein Lächeln, welches vermutlich beruhigend sein sollte, bei Oun jedoch seine Wirkung verfehlte. Dann wurde es auch schon schwarz um Oun. In seinem Kopf hörte er nochmal die Stimme, welche ihm versicherte, dass er sich keine Sorgen machen brauche und kurz bevor Oun das Bewusstsein verlor, wurde ihm klar, dass diese Stimme nicht die seines Bruders war. Sie war etwas höher, eher weich und angenehm - und vor allem war sie schon die ganze Zeit in seinem Kopf gewesen.