Es gibt 526 Antworten in diesem Thema, welches 49.403 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (7. Juli 2025 um 09:12) ist von Thorsten.

  • Tanred konnte Fetzen aus den Gesprächen hören, aus dem Getuschel, das ihn begleitete, als er durch das Lazarett in Richtung auf das Feldlager der Kerrinsmänner ging. Blicke folgten ihm und ab und an zeigte auch jemand auf ihn.

    "... in der Schlachtreihe gekämpft wie einer von uns..."

    "... so ganz anders als die adeligen Herrn..."

    "... so ein Prinz ist es wert, sein Leben zu wagen..."

    Er war müde, seine Arme und Beine waren schwer wie Blei, ein stechender Schmerz pochte in seinem Kopf und seine Rippen taten bei manchen Bewegungen weg, aber ganz wie Vinlind ihm geraten hatte ignorierte er was er hörte und bemühte sich, trotz der Prellungen aufrecht und mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck durch das Lager zu gehen. So viel war sicher, Perren hatte jetzt seinen geheimnisvollen Kerrin für den die Männer kämpfen würden... Tanred mochte in Wahrheit in der Schlachtreihe gakämpft haben weil er schlicht und einfach nicht gut genug Reiten konnte - aber für die Kerrinsmänner war die Erklärung eine ganz andere. Vermutlich hatte Perren auch das geplant...

    Er blickte sich im Lazarett um ohne irgendwo stehen zu bleiben. Ein Prinz verschafft sich einen Überblick, aber hält sich nicht mit Einzelheiten auf - ein guter Anführer vertraut seinen Untergebenen daß sie diese Details ohne Hilfe entscheiden können. So hatte Perren ihm das erklärt. Ab und an nickte er jemandem zu als würde er ihn kennen. Das Gefühl der Aufmerksamkeit - besonders von einem höher gestellten - ist wichtig für viele Menschen. Es gibt ihnen das Gefühl nicht namenlos zu sein, sondern gesehen zu werden. Vinlind hatte ihm das erklärt als sie ihn auf seine Rolle vorbereitet hatte.

    Und die Kerrinsmänner die hier lagen konnten ein bisschen Aufmerksamkeit gut vertragen... Die Feldscher verrichteten ihre blutige Arbeit so gut sie konnten, schnitten Pfeilspitzen aus Wunden, versuchten klaffende Verletzungen zu verbinden, Fleisch zu nähen oder gebrochene Knochen zu richten, aber nicht jeder der ins Lazarett gebracht worden war würde es wieder verlassen, so viel konnte sogar Tanred erkennen. Blut war allgegenwärtig, es stank nach verkohltem Fleisch wo Wunden ausgebrannt wurden und gellende Schreie übertönten immer wieder das leise Wimmern derer, die zu schwach waren um laut zu werden. Zu Tanreds Überraschung gab es schmerzstillende Kräuterextrakte und andere Heilmittel, aber es war von allem zu wenig, die meisten Verletzten mußten die Torturen mit wenig mehr als einem kräftigen Schluck Branntwein überstehen...

    "He, Soldat!"

    Tanred ignorierte die Stimme zuerst, er war sich sicher daß sie jemand anderen meinte, aber dann kam eine junge Frau mit einem blutbespritzten Kittel und einem Tuch um die Haare geschlungen auf ihn zu.

    "Soldat - dich meine ich!", wiederholte sie.

    Tanred sah sie verständnislos an. Wußte sie nicht wer er war? Der Gedanke kam ganz von alleine und brachte ihn kurz zum Lachen. Er mußte komplett absurd auf die Frau wirken...

    "Was ist?", fragte er schließlich.

    Sie wies mit einer Hand auf seinen Kopf.

    "Der Schnitt an deiner Stirn - sollte vielleicht besser sauber gemacht und verbunden werden."

    Unwillkürlich faßte er an seinen Haaransatz und fühlte klebriges Blut. Seltsam, da war kein Schmerz, jedenfalls nicht wie von einem Schnitt... Nur das hartnäckiges Pochen tiefer in seinem Kopf, seit einiger Zeit schon.

    Er nickte, ließ sich fast willenlos bei der Hand nehmen und zu einem Stuhl führen. Erst als die Heilerin anfing, die Wunde mit einem feuchten Tuch auszuwaschen kam plötzlich der brennende Schmerz den er vorher nicht gespürt hatte - heftig und unvermittelt. Tränen traten ihm in die Augen und unwillkürlich stöhnte er auf und versuchte den Kopf wegzureißen, aber sie hielt ihn mit geübtem Griff fest.

    "Ist besser wenn ich das tief reinige...", murmelte sie beruhigend. "Wenn du da Wundbrand bekommst, dann endet das nicht gut."

    Sie legte das blutige Tuch zur Seite, auf einen großen Haufen wo schon viele andere lagen, und strich dann eine aromatisch riechende, grüne Paste auf seine Stirn, die angenehm kühl war, bevor sie ihm am Ende einen Verband anlegte.

    "So - das wars schon", sagte sie aufmunternd. "Eine Narbe wird wohl bleiben, aber die hast du dir ehrlich erworben - dann hast du später mal was zu erzählen. Und die Frauen werden das nicht häßlich sondern abenteuerlich finden..."

    "Danke...", murmelte Tanred und erhob sich mit etwas wackeligen Knien. Einen Augenblick lang drehte sich die ganze Welt um ihn und er hatte Angst das Gleichgewicht zu verlieren. Aber nach ein, zwei Atemzügen wurde es besser. Prinz Kerrin durfte jedenfalls nicht dabei gesehen werden, wie er in einem Schwächeanfall in den Schlamm fiel...

    Die einzige Frau die er möglicherweise mit einer Narbe auf der Stirn beeindrucken wollte war Sigrun. Aber sie war ja selber in der Schlacht gewesen... Der Gedanke brachte sein Herz dazu, schneller zu schlagen. Er hatte sie nicht im Lager gesehen, vermutlich war sie noch mit der Reiterei unterwegs. Aber es erschien ihm plötzlich die wichtigste Sache der Welt, sie wiederzusehen und mit ihr zu reden.

  • Tanred wußte nicht genau, wann irgend etwas in ihm akzeptiert hatte, daß die Kerrinsmänner wirklich gegen die Garde gewonnen hatten. Vielleicht war es gewesen als die Ritter vom Angriff auf den Troß zurückgekommen waren und die Kerrinsmänner sie über den Hügel kommen sehen hatten, mit glänzenden Rüstungen und flatternden Bannern. Oder als die Bogenschützen aus Eschgeir Wagen um Wagen der Garde ins Lager eskortiert hatten - Pfeile, Ersatz an Waffen und Rüstungen und vor allem Vorräte. Oder vielleicht war es noch später gewesen, als Bauern aus Kedaholt und Skaving, den zwei umliegenden Dörfern, gekommen waren, bepackt mit frischem Brot, Honig und Bier und die siegreichen Kerrinsmänner strahlend umarmt hatten und bald eine Feier begonnen hatte bei der Gaukler aufspielten und Bier, Wein, Met und auch Schnaps reichlich flossen.

    Was auch immer es gewesen war, jetzt als Tanred in der Abendsonne über das Lager schaute, konnte er es in sich spüren, das rauschende Triumphgefühl. Es spielte keine Rolle daß der Schnitt an seiner Stirn immer noch schmerzhaft pochte, oder daß er drei dunkle Blutergüsse unter seinem Kettenhemd gefunden hatte, oder daß seine Rippen schmerzten und sein linker Arm zitterte wenn er versuchte ihn zu belasten. All das war nicht mehr wichtig.

    Die Kerrinsmänner hatten die Schlacht auf dem Feld von Kedamoor gewonnen, Ädon hatte ihnen den Sieg geschenkt, und die Reihen der Garde waren zerschlagen, die wenigen Überlebenden verstreut und auf der Flucht. Und die warme Sonne schien über das Feldlager, Vögel sangen, Musik erklang, Menschen drehten sich zu Tanzschritten im Kreis und die Luft schmeckte süß wie selten zuvor. In diesem Moment hätte Tanred die ganze Welt umarmen können.

    Vor allem Sigrun...

    Sie war mit den Rittern zurückgekommen, unverletzt. Und sie war irgendwo in der feiernden Menge.

    Auf einmal erschien Tanred sein ganzes Zögern absurd. Wie viel Zeit wollte er noch damit verschwenden um den heißen Brei herumzureden? Seit Arngard ihn verlassen hatte war Sigrun die erste und einzige Frau die ihm etwas bedeutete. Er war heute in der Schlachtreihe gestanden, hatte sein Leben riskiert, um ihn herum waren andere gestorben - und es hätte auch ihn treffen können, bevor er noch Gelegenheit gehabt hatte mit ihr zu reden.

    Heute...

    Der Entschluß kam plötzlich, aber ohne Zögern.

    Er würde heute Nacht noch mit ihr reden.

    Vorher mußte er sie allerdings finden... Sein Blick wanderte über die bunten Zelte, die lodernden Feuer dazwischen, die Massen der feiernden Kerrinsmänner unter der sich die Bauern der Gegend gemischt hatten und die offenen Bierfässer aus denen sich jeder reichlich bediente. Lärm drang an seine Ohren, Lachen, lautes Rufen und dazwischen Musik - aber aus zwei verschiedenen Richtungen, offenbar war nicht nur seine Gauklertruppe im Lager.

    Seine Truppe... der Gedanke war seltsam. Gehörte er noch dazu, nach den letzten Wochen und einem blutigen Tag in der Schlachtreihe? Konnte er einfach zurückgehen und Tamburin spielen als wäre all das nie passiert? Perren und Wulfgar hatten es offenbar irgendwie gekonnt, sie waren zwischen beiden Welten hin und her gewechselt...

    Tanred lachte auf. Was spielte es für eine Rolle, es war nicht die Zeit für trübe Gedanken. Es war eine Nacht um zu feiern und um endlich Sigrun zu finden. Entschlossen setzte er sich in Bewegung um sich in das Fest zu stürzen. Irgendwann würde sie ihm schon über den Weg laufen...

  • Beitrag von HermiSin (2. Juli 2025 um 19:34)

    Dieser Beitrag wurde von Chaos Rising aus folgendem Grund gelöscht: Beiträge bitte mit Inhalt versehen ;) (2. Juli 2025 um 20:01).
  • "Du bist ein feiner Bursche", verkündete Runstan leutselig während er Tanred auf die Schulter klopfte. "Ein echt feiner Bursche!"

    "Gnau!", fiel Notger ein, der schon ein wenig lallte. "Das bisse, Tanred! Keine Angss im Getümml zu stehn! Keine verdammte Angss! Darauf trinkma noch einn!" Er griff nach einer bauchigen Tonflasche und füllte - mit überraschend sicherer Hand - drei kleine Becher mit einem scharfen Kräuterschnaps die er in die Runde reichte.

    "Für Kerrin!", rief der dann und kippte seinen Becher in einem Zug. "Kerrin...", murmelte Tanred und trank ein wenig langsamer - das letzte Mal als er versucht hatte den brennenden Schnaps auf einen Zug runterzustürzen war er zur allgemeinen Heiterkeit von einen längeren Hustenanfall geschüttelt worden. Außerdem hatten die Dinge schon begonnen diesen gewissen Glanz anzunehmen... Alles wirkte weich und ohne richtige Kanten. Aber Notger und Runstan - das waren schon feine Kerle, genau wie der Rest seiner Männer aus der Schlachtreihe, Männer die irgendwo in der Gegend um ihre drei Anführer herumstanden, lachten und sich gegenseitig erzählten was sie alles in der Schlacht getan hatten.

    Plötzlich mußte er kichern.

    "Was issn?", wollte Notger wissen.

    Tanred nippte nochmal an seinem Becher, genoß die plötzliche Hitze in seinem Bauch, dann legte er Notger den Arm um die Schultern.

    "Sag mal - du glaubst doch nicht ernsthaft daß ich ganz ohne 'ne Waffe zwei Schwarze erledigt hab', oder?", fragte er. "Sowas hat Arwig nämlich vorhin erzählt... Aber das stimmt nicht!" Tanred machte eine dramatische Pause und hob den Finger während er in die Runde blickte. "Ich hatte doch den zerbrochenen Speer!"

    Alle drei brachen in brüllendes Gelächter aus in das auch manche der umstehenden Männer einflielen.

    Tanred sah glücklich in die Runde. Ein warmes Feuer in der Nähe, gute Kameraden um sich herum, reichlich zu trinken - was konnte ein Mann mehr wollen?

    Dann fiel es ihm wieder ein.

    "Ich muß noch was wichtiges... erledigen", verkündete er mit ernster Miene während er versucht aufzustehen. Das erwies sich als nicht ganz so einfach. "Also, ich muß jetzt erstmal weg. Aber ich vergess euch nicht, versprochen!"

  • Oh, oh, Tanred, ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, jetzt zu Sigrun zu gehen. 🤣

    Schön geschilderte Trinkszene. Aber gut, dass Tanred jetzt geht. Ich hatte schon Angst, er plaudert was aus, was nicht für die Ohren seiner Männer bestimmt ist. Zum Beispiel dass er nicht Kerrin ist. :fie:

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

    ___________________

  • Oh, oh, Tanred, ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, jetzt zu Sigrun zu gehen. 🤣

    Naja, Beziehungen organisieren ist nicht so seins...

    Ich hatte schon Angst, er plaudert was aus, was nicht für die Ohren seiner Männer bestimmt ist. Zum Beispiel dass er nicht Kerrin ist. :fie:

    Das waer' glaube ich gar nicht so schlimm, denn die anderen wissen ja dass er sich Tanred nennt und kennen nur Geruechte dass er Kerrin ist - wenn er jetzt das Kerrin-sein leugnet nehmen sie das eher als Beweis seiner geheimen Identitaet die er zu schuetzen versucht...

  • Oh, oh, Tanred, ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, jetzt zu Sigrun zu gehen. 🤣

    Schön geschilderte Trinkszene.

    Das war genau mein Gedanke. Es hat so vielversprechend angefangen und, tja, mir schwant nichts Gutes. Aber die Situation kann ich gut nachvollziehen.

    Meine Geschichten: * Meermädchen * Kriegerkönigin * Dark Prince

  • Tanred fand Sigrun schließlich in einer kleinen Gruppe, die um ein loderndes Feuer beisammen stand. Der Flammenschein ließ ihre Züge wild erscheinen und die Tatsache, daß sie in einem zu großen Männerhemd aus Leinen und einer ledernen Hose steckte machte sie in seinen Augen nur noch begehrenswerter. Mit ihrem kurzen, hellen Haar und ihren kräftigen Schultern hätte sie beinahe ein Junge sein können - aber nur beinahe, die schmale Taille und der Ansatz ihrer Brüste unter dem Hemd verrieten sie.

    Ihr Gesicht leuchtete förmlich auf als sie Tanred kommen sah, und sie lief ihm strahlend entgegen.

    "Ich hab' dich in die Schlacht reiten sehen..." - "Ich kann nicht glauben daß du mitten im Getümmel warst...", begannen sie beide gleichzeitig zu reden und brachen dann lachend ab.

    Tanred ergriff sie bei den Schultern.

    "Es tut so gut dich zu sehen!", sagte er und blickte ihr in die Augen.

    Flammen spiegelten sich in ihren Pupillen, tanzten wild umher, und sein Herz begann plötzlich zu hämmern. Sigrun schwieg und sah ihn einfach nur an als ob sie sich an seinem Anblick gar nicht sattsehen konnte.

    "Sie reden von dir...", sagte sie leise, nach einer halben Ewigkeit. "Wie du die Schlachtreihe zusammengehalten hast und zum Gegenangriff geführt hast..."

    Tanred schüttelte verwirrt den Kopf.

    "So war es nicht...", versucht er zu erklären, aber gleichzeitig stieg ein warmes Gefühl in ihm auf. Es war Bewunderung die in ihren Augen leuchtete... Bewunderung für ihn.

    "Laß uns ein Stück gehen...", schlug er vor. Es war nicht genau was er hatte sagen wollen, aber es war besser als nichts. Ohne zu zögern winkte Sigrun den anderen am Feuer zum Abschied zu, hakte sich bei ihm unter und ließ sich von ihm durch das Getümmel führen, zum Rand des Lagers hin.

    Tanreds Schritte waren ein wenig unsicher. Sigruns Nähe machte ihn nervös. Sie war so nah, daß er ihre Wärme spüren konnte und ab und an fühlte er ihr Haar an seiner Wange und jedesmal wenn das passierte schien sein Herz einen Schlag auszusetzen. Er wünschte sich daß sie mit ihm zu reden beginnen würde, und doch hatte er Angst davor, was sie dann sagen mochte.

    Langsam wurden die Gruppen der Feiernden weniger und das Lager blieb hinter ihnen. Taufeuchtes Gras war unter ihren Füßen und das Mondlicht einer schwachen Sichel am Horizont erhellte die Landschaft nur schemenhaft. Instinktiv steuerte Tanred eine kleine Gruppe von Obstbäumen an zwischen denen ein paar Lagerschuppen standen, vermutlich Teil eines Hofs der irgendwie zum nahen Dorf gehörte. Sigrun folgte ihm ohne Fragen zu stellen.

    Unter einem der Apfelbäume hielt Tanred schließlich an und drehte sich so daß er ihr genau ins Gesicht schauen konnte. Ihre Augen glänzten im schwachen Licht und sein Herz hämmerte wild. Sie war eine Edeldame, und er... Aber spielte es eine Rolle?

    "Tan?", flüsterte sie. "Warum...?"

    Jetzt oder nie... Er beugte sich vor, legte seine Arme um Sigrun und küßte sie bevor er noch weiter darüber nachdenken konnte was er tat.

    Einen Augenblick lang versteifte sie sich in seinen Armen, aber dann öffnete sie ihre Lippen und erwiderte den Kuß, und ihre Arme legten sich um seinen Nacken und zogen ihn näher.