(Arbeitstitel) Seelensplitter

Es gibt 30 Antworten in diesem Thema, welches 1.733 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (23. April 2025 um 20:23) ist von Cory Thain.

  • Hallo, Kirisha ,

    danke für deine Gedankengänge. Ich finde das sehr interessant, wie du das siehst. Mir stellt sich da aber eine Frage:

    dass Jonna sich vielleicht langsam doch darauf einstellen sollte,

    Wie lange braucht ein Mensch, um so etwas zu akzeptieren. Ja, ich weiß, für die Geschichte wäre es sicher förderlich, wenn Jonna endlich "abtaucht" in die neuen Umstände. Aber mal ganz ehrlich: Stell dir vor, dir passierte soetwas... würdest du tatsächlich bereits nach einem Tag sagen: Okay! Ich bin (nicht?) verrückt, die Realität, die ich bisher kannte, kehre ich unter den Teppich und freu mich, ein Wolf zu sein? Jonna ist ein ganz normaler Mensch. Aufgewachsen in Deutschland. Es ist 2025. Sie hat schreibtechnisch nix am Hut (-> Geschichten-Fantasie = Null).

    Sie ist gestern den Berg hochgerannt. Und heut kribbelt ihr das Genick. Sie hört eine Stimme, die behauptet, ein Wolf zu sein. DAS sind die Veränderungen, die sie sieht und spürt. Weitere biologische Baustellen behauptet die Stimme zwar, aber sie sind nicht aktuell nachweisbar. Und dass der Typ in Goslar sie nach dem Rudel gefragt hat... vielleicht ist sie ja doch verrückt und sieht, einem Alzheimer-Patienten ähnlich, Dinge und interpretiert sie in ihr Schema?

    Ich persönlich BIN ein Geschichtenerzähler. Und trotzdem bräuchte ich sehr sehr lange, um wirklich zu glauben, dass mir (grade mir, wieso denn ich?) so etwas passiert... und vor allem widerspräche das allem, woran ich bisher geglaubt habe... Ich glaube nicht an spirituelle Einflußnahme von Göttern, ich glaub auch nicht an Wolfsmenschen... Und die Tatsache, dass ich imstande bin, mir Geschichten dazu auszudenken, würde mich mitnichten dazu bringen, einer Stimme in meinem Kopf (Da ist eh immer Chaos!) mehr Realität zuzugestehen als den tausend anderen Stimmen und Geschichten...

    Der Unterschied zwischen dem, was Du bist und dem, was Du sein möchtest, liegt in dem, was Du tust.
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    Was würdest Du tun, wenn Du keine Angst hättest?

  • Ich persönlich BIN ein Geschichtenerzähler. Und trotzdem bräuchte ich sehr sehr lange, um wirklich zu glauben, dass mir (grade mir, wieso denn ich?) so etwas passiert... und vor allem widerspräche das allem, woran ich bisher geglaubt habe... Ich glaube nicht an spirituelle Einflußnahme von Göttern, ich glaub auch nicht an Wolfsmenschen... Und die Tatsache, dass ich imstande bin, mir Geschichten dazu auszudenken, würde mich mitnichten dazu bringen, einer Stimme in meinem Kopf (Da ist eh immer Chaos!) mehr Realität zuzugestehen als den tausend anderen Stimmen und Geschichten...

    Ganz klar, natürlich würde das niemand direkt akzeptieren, weil es allem widerspricht, was man kennt. Meine Idee war einfach, dass, wenn ein widernatürlicher Zustand nach einem Tag immer noch existiert und ich ständig damit konfrontiert werde, dass ich dann vermutlich nicht mehr konstant denken würde "Das kann nicht sein, das kann nicht sein", sondern anfangen würde, neben Verleugnung auch Eventualitäten zuzulassen oder Überlegungen anzustellen, wie sich die Wahrnehmung logisch erklären lässt. Also ungefähr so: "Vielleicht sind das gentechnisch mutierte Wesen, die sind aus einem Labor ausgebrochen, und diese Joa in meinem Kopf ist die Nebenwirkung von dem neuen Medikament X, das mir mein Hausarzt aufgeschwatzt hat, das hätte ich nicht nehmen sollen, jetzt werde ich schon ganz meschugge davon ...", sowas würde ich dann wahrscheinlich versuchen mir zusammenzureimen. Ich würde aber vermutlich nicht denken: Das sind trotzdem ganz normale gefährliche Wölfe aus dem Wald, auch wenn sie sich bisher nicht so verhalten haben. Das ist für mein Empfinden eine Verleugnung, die über ein gewöhnliches Verhalten hinausgeht. Natürlich erwarte ich nicht, dass Jonna jetzt denkt, "aha, das sind magische Wölfe aus einem Fantasyroman, mit spannenden, in der Realität nicht vorhandenen Eigenschaften" :rolleyes: Das wäre dann in der Tat komisch.

    Ist natürlich nur so mein Gedanke! Vielleicht sehen das andere Leser anders.

    Meine Geschichten: * Meermädchen * Kriegerkönigin * Dark Prince

  • Hey, ich habe es endlich geschafft wieder aufzuholen :D ich finde die Geschichte bisher sehr unterhaltsam! Ich hab Jonna den Unglauben auch komplett abgekauft. Natürlich sollte sie sich das jetzt nicht ewig fragen. Aber da sie sich ja auch auf Gespräche einlässt, kam mir das bisher alles „realistisch“ vor. Nur in dem einen Abschnitt wo Joa nach ihrem Rudel fragt und dann feststellt, dass sie nur ein Mensch ist, fand ich die Situation komisch. Ich hätte es da passender gefunden, wenn die sagt, dass Jonna ja alleine ist. So von wegen den Finger in der Wunde reiben, dass sie in ihrem Alter allein ist und eben keine Familie hat. So wie du es formuliert hast kam es bei mir an, als ob sie traurig wäre dass sie kein Rudel hat und das ist ja doch sehr abwegig…

    Ansonsten frage ich mich jetzt wo die Reise hingeht. Weil wenn sie da in ihrem Körper rumdoktert und einen Gefährten bekommt, klingt das für mich ein bisschen nach Benjamin Button oder Jungbrunnen :rofl:

    Ich bin auf jeden Fall gespannt :)

    Manche Bücher müssen gekostet werden, manche verschlingt man und nur einige wenige kaut man und verdaut sie ganz (Tintenherz, Cornelia Funke)

    Meine Geschichte: Staub im Mondlicht

    Mein Blog

  • Und weiter gehts..

    Seelensplitter 12

    Doch die Wolfszeichen rührten sich kaum. Es gab kein Anzeichen dafür, dass sie sich auf Jonna zu bewegten. Nicht einer von ihnen…

    „Joa? Kann es sein, dass sie mich gar nicht wahrnehmen?“

    „Ich weiß nicht, vielleicht haben sie eine kürzere Reichweite für ihre Sensoren…“ , erwiderte Joa nachdenklich.

    „Wieso weißt du das nicht?“ wollte Jonna wissen.

    Die Stimme klang ein wenig angepisst, als sie antwortete: „Ich hatte noch keinen Kontakt zu anderen Wolfsmenschen!“

    „Doch! Da waren drei in Goslar!“

    „Ja, waren sie! Aber du bist davongerannt, ohne sie zu fragen!“

    „Ja, danke auch! Ich konnte ja nicht ahnen, dass das eine Frage werden würde!“ patzte Jonna zurück.

    „Aber ich, oder?“

    Jonna holte tief Luft… und begann zu lachen. Schnell schlug sie sich die Hand vor den Mund, um nicht gar so laut zu sein. „Wir sind schon ein eigenartiges Team, wir beide, hm?“ sagte sie kichernd.

    Joa schien nicht recht zu wissen, was sie von Jonnas Stimmungsumschwung halten sollte und schwieg.

    Jonna sah auf die vorbeieilende Landschaft und spürte den schwächer werdenden Wolfszeichen nach. Noch immer kein Hinweis darauf, dass sie die Verfolgung aufgenommen hatten. Schließlich verschwand das Kribbeln ganz und Jonna schloß die Augen. „Joa? Ich denk, wir werden uns noch ziemlich oft kabbeln. Aber ich möchte dass du etwas weißt…“

    „Was denn?“ erkundigte sich die Wölfin vorsichtig.

    „Ich mag dich! Frag mich nicht, warum, ich hab keine Ahnung! Aber ich mag dich!“

    „Ich dich auch…“ erwiderte die Wölfin leise.

    „Prima… Weckst du mich bitte, wenn wir in Leipzig sind?“

    „Mach ich! Ich pass auf dich auf!“

    „Danke, Joa!“

    ________________________________________


    Seelensplitter 13

    Jonna erwachte, weil ihr irgendwas im Bauche rumging. Sie hatte das Gefühl, sich gleich übergeben zu müssen. „Joa? Was ist mit mir?“ fragte sie und versuchte, das Würgen zu unterdrücken.

    „Entschuldige bitte, ich… ich wußte nicht, wie ich dich sonst wachkriegen sollte, auf meine Stimme hast du nicht reagiert“, erwiderte Joa und Jonna spürte, wie die Übelkeit rasch nachließ.

    „Hölle, Kleene, da müssen wir uns was andres ausdenken, das war nicht fein!“ Jonna hustete den Rest des Unwohlseins weg.

    „Da sind Wölfe!“ sagte Joa und Jonna bemerkte das Kribbeln im Genick erst jetzt wirklich.

    „Verdammter Kackmist! Hört denn das nie auf?“ Jonna lauschte in sich hinein. „Zehn in Leipzig am Bahnhof!“ murmelte sie dann. „Verdammter…!“

    „Warum ist das Kackmist? Wir können doch daran vorbeifahren, wie an dem anderen Rudel!“ schlug Joa vor.

    „Ne, können wir nicht, Kleene! Der Bus fährt bis zum Hauptbahnhof und lädt uns dort aus!“

    „Oh… das ist… nicht gut?“ Jonna hörte förmlich, dass die Wölfin das durchaus richtig gut fand, trotz ihrer Worte. Sie konnte es sogar ein wenig nachvollziehen, Joa war ziemlich erpicht darauf, endlich Kontakt zu anderen Wölfen herzustellen. Kein Hi-und-weg. Reden. Informationen sammeln. Das war prinzipiell keine schlechte Idee, aber Jonna fühlte sich extrem unwohl bei dem Gedanken, Leute zu treffen, die ebenfalls mit einer Wolfsstimme im Kopf lebten. Sie würde wahrscheinlich ziemlich schnell als absolut unwissend erkannt werden und dann übern Nuppel gezogen. Das war keine hübsche Aussicht. Jonna mochte es nicht sonderlich, für blöd gehalten zu werden. Besonders dann nicht, wenn sie es tatsächlich war. Und hier, in diesem Thema, war sie es nun mal…

    „Wir lassen das auf uns zukommen… denk ich“, sagte Jonna unsicher und seufzte. Doch zwei Minuten später versteifte sie sich. Weitere Wolfszeichen waren in ihrem Sensor aufgetaucht.

    „82. Irgendwo im Süden der Stadt…“ verkündete Joa.

    „Ich weiß“, erwiderte Jonna überdrüssig. Nahm denn das kein Ende? Jonna konzentrierte sich auf die Zeichen. Die in der Stadt konnte sie nicht so genau lokalisieren. Sie spürte nur, dass diese Wölfe keinerlei Anstalten zu machen schienen, sich auf sie zu zu bewegen. Wie das Rudel in Halberstadt.

    Die 10 Wölfe im Bahnhof allerdings konnte sie ziemlich genau orten. Sie standen alle relativ nah beieinander, etwa in der Mitte des Kopfbahnsteiges. Auch diese 10 Leute machten nicht den Eindruck einer Suche oder Jagd.

    Trotzdem wünschte sich Jonna, sie könne jetzt aus dem Bus klettern und Leipzig weiträumig umgehen. Wahrscheinlich spürten die Wölfe im Bahnhof, dass sie sich unaufhörlich zu ihnen hinbewegte. Die brauchten ja eh nur warten.

    Jonna fummelte ihr Handy aus der Tasche um zu googeln, wo sie gerade waren, da fuhr der Bus an einem Hinweisschild vorbei: Schkeuditzer Kreuz in 3000 Meter. Ahja, das waren noch so 20 bis 30 Kilometer bis zur Stadtmitte. Wenn ihre Sensorenreichweite derart groß war, könnte sie gut um weitere Wolfsbegegnungen drumrum fahren… wenn sie nicht in einem Reisebus sitzen würde, der jetzt definitiv keine Pullerpause mehr machen würde, bei der sie nett nach ihrer Tasche fragen und verschwinden konnte…

    „Verdammter Kackmist!“

    Der Unterschied zwischen dem, was Du bist und dem, was Du sein möchtest, liegt in dem, was Du tust.
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    Was würdest Du tun, wenn Du keine Angst hättest?

  • Hallöle.

    Ich hab mal alles aufgeholt bis hierhin - ich mag größere Absätze lieber als kleine Häppchen. Tja, also jetzt wird's wohl wirklich spannend mit der Geschichte. Wer sind die Wolfsmenschen und was wollen sie?

    Ich hatte bis jetzt eher nicht den Eindruck, daß von ihnen für Jonna eine Gefahr ausgehen würde (obwohl sie das für sich selbst ja glaubt...), vielmehr geht mein Tipp ins Blaue in die Richtung, daß es erst mal ein gegenseitiges "Beschnuppern" gibt, aus dem heraus wir dann etwas mehr über den Sinn der Existenz dieser Spezies erfahren.

    Nur meine Spekulation - ich bleibe gespannt.:smoker:

  • Nur meine Spekulation - ich bleibe gespannt. :smoker:

    Danke! Ich auch! :D


    Seelensplitter 14

    Der Bus rollte aufs Verderben zu. Jonna konnte nur abwarten und ab und an die Wolfszeichen im Bahnhof beobachten. Die schienen weiterhin keinerlei Aktivitäten starten zu wollen.

    In Jonna begann ein Plan zu reifen. „Sag mal, Joa… wenn ich im Bahnhof niemanden angugge, bleiben mir dann die Sensorsignale erhalten? Selbst, wenn der Wolf neben mir steht?“

    „Ja, glaub schon. Was hast du vor?“

    Jonna zog eine Grimasse: „Wenn ich das so genau… also, wenn ich niemanden ansehe, würde ich immer wissen, wo die Wölfe grade sind und kann ihnen ausweichen, richtig?“

    „Äh…“ machte Joa.

    „Naja, solange ich in der Menge bleibe, weiß doch keiner von denen, wer von den vielen Leuten ich bin, hm?“ Jonna erhoffte sich inständigst ein sicheres, bekräftigendes „Natürlich!“.

    Doch Joa schwieg.

    „Meinst du nicht?“ bohrte Jonna nach.

    „Äh…“ Joa klang alles andre als bekräftigend und sicher.

    „Ach komm, Kleene! Irgendwas müssen wir doch tun können, um ihnen auszuweichen!“ flehte Jonna.

    „Warum willst du ihnen unbedingt ausweichen?“ der Wölfin schienen Jonnas Pläne gar nicht zuzusagen. „Wir könnten mit ihnen reden… mehr erfahren. Was ist daran so schlimm?“

    „Ich hab einfach Angst, verstehst du das denn nicht? Das sind… Wölfe! Oder sowas! Wer weiß, was die mit mir machen, wenn sie erfahren, dass ich nicht echt bin!“

    Jetzt schien Joa verblüfft: „Nicht echt? Wieso denkst du das?“

    „Weil ich kein Wolfsmensch bin, sondern nur… ein Adoptiv-Mensch?“

    „Das bist jetzt aber du, der dich kleinredet“, sagte Joa leise.

    „Ja, weil ich mich klein fühle, man!“ Jonna seufzte und konzentrierte sich erneut auf die Signale aus dem Bahnhof. Die Wölfe dort begannen, sich zu zerstreuen. Jonna blickte auf die Uhr: noch 5 Minuten. Also etwa ein oder zwei Kilometer. War die Reichweite der Wölfe nur so gering? Vielleicht störten die Gebäude den Empfang? Nein, ihr eigener Empfang war ja gut…

    Als der Bus auf dem Bahnhofsvorplatz am Osteingang hielt, hatten sich die fremden Wölfe recht gleichmäßig auf der Straßenebene der Einkaufspassagen verteilt. Es war ganz offenbar, dass sie Jonna bemerkt hatten und nun herausfinden wollten, wer sie war. Warum allerdings auch Wölfe am entgegengesetzten Ende des Bahnhofs warteten, konnte sie sich nicht erklären.

    Jonna ließ sich Zeit beim Aussteigen. Ihre Tasche war sowieso eine der letzten, die herausgegeben wurde, also hatte sie keine Eile. Mit gesenktem Blick stand sie am Bus und beobachtete die Wolfszeichen. Der Wolf, der ihr am nächsten war, befand sich noch immer in der Halle. Er rührte sich nicht.

    Jonna griff ihre Tasche, suchte sich mit Blick auf den Fußboden vor sich eine Traube Füße aus, denen sie betont unauffällig ins Gebäude folgte. Den wartenden Wolf spürte sie fünf Meter links von sich. Und er blieb tatsächlich auch dort stehen, als sie an ihm vorbeiging. War ihr Plan wirklich aufgegangen? Das wäre ja…. Nein, nein, nein! Freu dich nicht zu früh. Wir jubeln erst, wenn wir hier raus sind!

    Immer wieder „scannte“ Jonna nach den Wölfen. Die hatten ihre Positionen nicht verlassen, seit der Bus hier eingetroffen war. Alle befanden sich auf der Straßenebene. Doch Jonna musste hinauf auf die Gleisebene, um zu ihrem Zug zu kommen. Jonna steuerte mit mehreren Kurven und Schlenkern durch die Einkaufspassage um weiteren Wölfen auszuweichen. Doch die blieben alle an ihren Positionen. Das machte Jonna sehr nervös. Wußten die Wölfe, wer sie war und würden ihr nur den Rückweg abschneiden, wenn sie umkehrte? Kurz entschlossen testete sie das aus. Sie schlug sich an den Kopf, als sei ihr etwas eigefallen, machte auf dem Absatz kehrt und ging ein Stück des Weges zurück.

    Keine Reaktion der Wölfe… Das war merkwürdig! Waren da überhaupt echte Wölfe? Oder waren die etwa in der Lage, irgendwelche künstlichen Signale auszusetzen und ihre eigenen zu verbergen? Jonnas Nervosität wuchs ins Unendliche. „Verdammter Kackmist!“ fluchte sie halblaut.

    Es blieb ihr nichts anderes übrig, als zu versuchen, auf die Gleisebene zu kommen. Wieder schlängelte und kurvte sie sich von Menschengruppe zu Menschengruppe, um zum Lift zu gelangen. Heut war der erste Tag, an dem sie die Massen im Bahnhof zu schätzen wusste.

    Dummerweiser löste sich die aktuell auserkorene Menschentraube direkt vor dem Lift auf, ein paar gingen links vorbei, ein paar rechts und Jonna stand einen Augenblick alleine vor dem Lift. Und wenige Meter von ihr entfernt: ein Wolf. Sieh nicht hin, Jonna, nicht guggen!

    Tapfer stieg Jonna in die Glaskabine, die Tür schloß sich und der Lift setzte sich in Bewegung. Der Wolf jedoch nicht. Er muss mich doch gesehen haben? Warum ist er mir nicht gefolgt? Jonna blickte durch das Glas hinunter zu schwindenden Ebene. Eine junge Frau, die telefonierte. Und eines der Wolfszeichen erlosch…

    Der Unterschied zwischen dem, was Du bist und dem, was Du sein möchtest, liegt in dem, was Du tust.
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    Was würdest Du tun, wenn Du keine Angst hättest?

  • Seelensplitter 15

    Das war…
    „Kackmist?“ vermutete die Wölfin und Jonna nickte: „Aber absolut!“ Wieder scannte sie die Wolfszeichen und jetzt bewegten die sich auch. Langsam, fast schon gemütlich strebten 9 Signale den Rollwegen und dem Lift zu.

    Der Aufzug brauchte eine halbe Ewigkeit, ehe er seine Glastür auf der Gleisebene öffnete. Jonna trat heraus und sah sich um. Hier, auf dem Kopfbahnsteig, war sehr viel weniger Trubel als eine Etage tiefer. Weil jedoch der Lift wieder nach unten gerufen wurde, musste sich Jonna schnell entscheiden. Nach einem Blick auf die Abfahrtsanzeige – Mist, noch 30 Minuten! – drehte sie sich um und stiefelte schnurstracks in den Buchladen gegenüber. Ihr Timing war nahezu perfekt, denn als sich die schwere Glastür hinter ihr geschlossen hatte, erschien das erste Wolfszeichen auf der Gleisebene.

    Nach einem kurzen Rundumblick entschied sich Jonna für einen drehbaren Zeitungsständer als Versteck. So konnte sie sehen, wer eintrat, derjenige konnte sie aber nicht sofort entdecken…

    „Aber sie spüren doch, dass du hier bist! Oder nicht?“ Joas Frage war durchaus berechtigt und entlockte Jonna einen weiteren Fluch. „Warum kommen sie nicht?“ fragte Joa weiter und klang recht wenig besorgt.

    Jonna ging nicht darauf ein, denn sie war durchaus beunruhigt. Wieder aktivierte sie ihre Sensorik und stellte verblüfft fest, dass die 9 Zeichen sich auf verschiedene Bahnsteige begeben hatten. Offenbar konnten sie nicht wirklich genau lokalisieren, wo sich Jonna befand. Das war irritierend, doch auch recht ermutigend.

    Die Wölfe kehrten von ihren Suche zurück zum Kopfbahnsteig und begannen, in die angrenzenden Läden zu gehen. Auch die Tür zur Buchhandlung öffnete sich, ein langer blonder Schlacks trat ein und ließ seine Blicke schweifen. Und in Jonna erlosch ein weiteres Signal. Das war wenig lustig, aber der Mann drehte sich um und verließ den Laden wieder. Offenbar hatte er Jonna nicht wahrgenommen.

    „Jaaaa!“ juchzte Jonna leise. Warum auch immer diese Leute sie nicht orten konnten, Jonna war extrem happie damit und ihre Zuversicht, heil aus dieser Geschichte herauszukommen, wuchs für ein paar Augenblicke ins Unermessliche. Bis zu jenem Punkt, da sich die Tür ein weiteres Mal öffnete und der Schlacks erneut eintrat, gefolgt von einem Kerl, für den Jonna sofort einen Begriff parat hatte: Vikinger. Fast so groß wie der Schlacks, aber muskulös. Rote Haare, die offenbar lang genug waren, um einen Männerdutt zu ermöglichen. Beiges Hemd, graue Hosen. Und alles in allem der unbedingte Eindruck, sein Körper müsse über und über mit Tattoos bedeckt sein. Sehen konnte man sie nicht, aber… da waren gewiss welche. Ein weiteres Wolfszeichen erlosch.

    Dieser Mann gab nicht so schnell auf wie der Schlacks. Er kam weiter in den Raum hinein, blickte sich sorgsamer um und schließlich entdeckte er Jonna, die wie versteinert hinter dem Zeitungsständer stand.

    „Hallo!“ sagte der Mann mit einer angenehmen Stimme und schenkte Jonna ein strahlendes Lächeln.

    Jonna schwieg.

    „Du hast uns ganz schön Kopfzerbrechen bereitet!“ fuhr der Vikinger fort und lächelte noch immer.

    Jonna schwieg weiter.

    Den Mann schien das eher zu belustigen: „Ich soll dich schön grüßen, von Marc! Er war sehr traurig, dass du fortgelaufen bist!“ sagte er.

    Jonna giekste entsetzt. Jetzt war klar, warum der Typ in Goslar ihr nicht gefolgt war. Sein Kumpel hatte vom Busfahrer das Ziel der Reise erfragt und dann hatte der Grieche seine Leute in Leipzig kontaktiert. Und die Wölfe hier hatten von Anfang an gewußt, wer sie war und wie sie aussah, deshalb hatten sie die Arschruhe weg und waren ihr nicht gefolgt. Verdammter Kackmist!

    „Hören Sie! Das muss ein Irrtum sein!“ Jonna wußte, dass es sinnlos war, aber sie wollte es wenigstens versucht haben. „Ich kenne keinen Maik!“

    „Marc! Er heißt Marc… „ , korrigierte der Vikinger amüsiert.

    „Kenn ich auch nicht!“ erwiderte Jonna trotzig „ Ich muss jetzt auch zum Zug!“

    „Marc kommt her, er müsste jeden Moment dasein, wartest du bitte noch?“ Der Vikinger schien das Konzept von Zügen und Abfahrtzeiten nicht wirklich zu kennen. Jonna schenkte ihm ein demonstratives Grinsen, schüttelte den Kopf und schob sich an ihm vorbei. Das heißt, sie versuchte es, doch der Mann hielt sie am Arm fest: „Ich sagte, du sollst…“ er brach ab und starrte auf seine Hand an ihrem Arm. „Das ist… unmöglich!“ murmelte er mit Fassungslosigkeit im Gesicht.

    Jonna sah hinunter zu seiner Hand. Da, wo sie einander berührten, leuchtete ein intensives Blau.

    Das war eindeutig drei Zacken zu viel. Hektisch riss sich Jonna los und stürmte aus dem Laden…

    Der Unterschied zwischen dem, was Du bist und dem, was Du sein möchtest, liegt in dem, was Du tust.
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    Was würdest Du tun, wenn Du keine Angst hättest?

  • Seelensplitter 16

    Draußen vor der Tür lungerten ein paar Leute herum. Jonna starrte sie herausfordernd an und weitere Wolfszeichen verschwanden von ihrem Radar. Nur noch drei saßen ihr jetzt kribbelnd im Nacken.

    Und als sei ihr nicht siedend heiß vor Angst, straffte sie die Schultern und ging erhobenen Hauptes hinüber zu ihrem Bahnsteig. Der Zug war noch nicht da, obwohl er immer sehr viel eher eintraf und eine längere Standzeit hatte hier in Leipzig. Jonna fluchte innerlich. Sie hätte diesen Wölfen nichts entgegenzusetzen, wenn die sich dazu entscheiden sollten, sie einfach von hier wegzuzerren.


    Doch niemand kam, um sie aufzuhalten oder gar zu entführen. Jonna sah sich um. Der Vikinger und der Schlacks waren ebenfalls aus dem Buchladen gekommen. Sie standen nun mit den fünf anderen einfach nur so da und starrten sie an. Worauf warteten die? Wahrscheinlich auf diesen Marc. Verdammt! Und der Zug kam noch immer nicht. Jonna zitterte vor Anspannung.

    Wo waren die anderen drei? Jonna aktivierte ihre Wolfssensoren ein weiteres Mal. Zwei von ihnen waren… auf Toilette? Ähm… okay, das war unerwartet. Und der dritte? Der stand irgendwo vor ihr auf dem Bahnsteig. Wie war der dorthin gekommen? Sollte sie unbeschadet aus diesem Kackmist hier herauskommen, würde sie versuchen, ihre Sensoren permanent angeschaltet zu halten. Es war wenig hilfreich, sie immer neu aktivieren zu müssen. Sehr wenig hilfreich!

    Aufmerksam musterte sie die Personen vor sich. Wer bist du, Wolf? Das Mädel mit der Gitarre? Der junge Kerl mit der Ditsch-Pizza? Die Mutter mit den zwei Kindern? Nein. Das Kribbeln höhnte weiter in ihrem Nacken. Der Wolf konnte nicht weit sein, sie spürte ihn doch in nicht mal zwei Metern Entfernung! Jonna machte einen Schritt nach vorn, auf die Stelle zu, wo sie den Wolf spürte. Und da sah sie ihn. Besser gesagt, sie sah Beine. Schwarze Hose in fast schon edlen Herrenschuhen. Der Kerl hatte sich hinter der Anzeigetafel für die Abfahrtszeiten gestellt. So ein Blödie! Dachte er wirklich, sie würde ihn nicht finden?

    Jonna zog eine Grimasse, als ihr einfiel, dass sie ja auch einen Zeitungsständer als gutes Versteck vor Wölfen betrachtet hatte. Selber Blödie! Sie holte tief Luft und ging kurzentschlossen um die Tafel herum.

    Der Typ sah ihr ruhig entgegen. Und er sah verdammt noch mal gut aus! Strubbeliges schwarzes Haar, tief dunkle Augen und ein gepflegter Dreitagebart in schwarz und etwas grau. Jonna schluckte. Reiß dich zusammen, Mädel! Das ist ein Wolf! Das ist nix zum Naschen!

    Der Typ schenkte ihr ein Lächeln und der Wunsch zu Naschen wurde stärker. Doch Jonna verbot sich derartige Gedanken und zog die Brauen finster zusammen: „Hat Ihr Chef sie geschickt, um mir hinterzuspionieren?“ fragte sie so böse, wie sie nur konnte.

    Das Lächeln des Mannes wurde intensiver: „Hat er, ja!“

    Grins nicht so, Strubbel! Jonna versuchte, weiterhin wütend zu sein, weil Angst eher kontraproduktiv war und Lüsternheit sie jetzt wahrscheinlich auch nicht weiterbrachte. Also Wut. Okay.

    „Was will er von mir?“ fragte sie barsch.

    „Wissen, wer du bist.“ Die Antwort war so fies logisch. Das war unfair! Konnte er nicht versuchen, Ausreden zu benutzen? Damit sie nen Grund hatte, wütend zu sein? Ne… der Kerl lächelte einfach.

    „Hören sie, ich find das nicht doll, dass sie mich hier belästigen…! Ich … äh… rufe die Polizei! Jawohl! Gehen Sie weg!“

    Der Mann nahm sein Lächeln etwas zurück.: „Ich belästige dich nicht. Ich steh hier nur so rum. Du hast mich angesprochen, nicht umgekehrt!“ Irgendwie wirkte er trotzdem amüsiert. Scheißkerl!

    „Hören Sie… würden sie mich in Ruhe lassen, wenn ich ihnen sage, wer ich bin?“

    Der Mann zog interessiert die Augenbrauen hoch: „Ja, würde ich!“ sagte er.

    „Liana Müller. Riesa. Bahnhofstraße 4…“, Jonna blickte den Mann herausfordernd an. „reicht das?“

    Der Wolf sah sie taxierend an: „Ich glaube dir nicht.“ sagte er dann leise.

    „Dann lassen Sie‘s halt!“ fauchte Jonna. Es wäre auch zu einfach gewesen.

    Der Zug fuhr ein. Und Jonna würde nichts tun können, um den Mann daran zu hindern, hinter ihr in den Waggon zu steigen. Verdammter Kackmist!

    „Du hast Angst, nicht wahr?“ Der Mann sprach jetzt noch leiser. „Du musst keine Angst haben! Wir wollen wirklich nur wissen, wer du bist.“

    „Ich habe keine Angst“, log Jonna. Als Beweise trat sie an ihn heran und legte ihm die Hand auf den Arm. „Ich bin nur gern alleine. Ich möchte niemanden sehen oder gar kennenlernen! Okay?“

    Die Stimme in Jonna begann unglücklich zu winseln. Still, Joa, bitte! dachte Jonna nervös.

    Der Mann legte seine Hand auf die ihre. “Ich…“, begann er und verstummte. Mit großen Augen starrte er auf ihrer beider Hände, die in sanftem Blau leuchteten…

    „Was zur Hölle…“ Jonna riss sich los und stolperte rückwärts gegen die Anzeigetafel. Dann fuhr sie herum und stürmte in den Zug. Fahr los! Fahr verdammt nochmal los! Doch der Zug ignorierte ihren Wunsch. Jonna sah nach draußen.

    Der Strubbelkopp stand da und betrachtete sie auf eine eigentümliche Weise. Dann trat er einen Schritt zurück und verschränkte die Hände hinter dem Rücken.

    Jonna verstand ihn nicht. Wieso kam er nicht hinterher? Nicht dass sie das wollte, aber wieso?

    Dann, nach mehreren Minuten schweigenden Hin-und-Herstarrens begriff sie: Er wollte, dass sie wußte, dass er hierbleiben würde. Dass er eben nicht zwei Waggons weiter doch noch einstieg, um ihr zu folgen.

    Jonna seufzte erleichtert auf. „Danke!“ sagte sie leise und sah, dass der Mann sie verstanden hatte. Er nickte ihr zu und das Lächeln, das er jetzt trug, war warm und fürsorglich.

    Die Wagentür schloss sich und der Zug fuhr an. Jonna hob die Hand zu einem letzten Gruß…

    Der Unterschied zwischen dem, was Du bist und dem, was Du sein möchtest, liegt in dem, was Du tust.
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    Was würdest Du tun, wenn Du keine Angst hättest?

  • Seelensplitter 17

    Erst als der Zug eindeutig aus dem Bahnhof heraus war, fand Jonna genug Muße, sich einen Sitzplatz zu suchen. Wenn sies recht bedachte, konnte sie nicht wirklich sicher sein, dass kein weiterer Wolf zugestiegen war. Immerhin hatte sie außer Strubbelkopp noch weitere 7 vom Radar verloren. Vielleicht war das pure Strategie gewesen: Ablenken, damit sie den Bahnsteig nicht mehr aufmerksam beobachtete. Das war ihm ziemlich gut gelungen. Jonna seufzte und wandte sich dann an Joa: „Du, sag mal? Bist du sicher, dass das blaue Glühen einen Gefährten anzeigt?“

    „Ja, absolut! Und du bist wieder davongelaufen!“ die Wölfin klang vorwurfsvoll.

    „Wieso drei, Joa? Was soll ich mit drei Gefährten? Ich komm doch schon mit mir selber nicht klar!“ Jonna starrte trübsinnig aus dem schmutzigen Fenster.

    „Das weiß ich nicht… vielleicht sollst du dir einen aussuchen?“ orakelte die Stimme.

    „Ist das üblich?“ erkundigte sich Jonna. Eigentlich wars ihr aber egal. Auch einer war zuviel. Das Leben war chaotisch genug, auch ohne Mann.

    „Ich hab keine Ahnung…“ , gab Joa zu „Wir hätten sie fragen können. Wenn du nicht…“ Joa unterbrach sich

    „… wenn ich nicht wieder weggelaufen wäre. Wolltest du das sagen?“

    „Hm“ machte die Wölfin nur unbestimmt.

    „Hör zu, Kleene. Ich kann mit so umwälzenden Neuerungen nur äußerst schlecht umgehen. Ich muss das erst sacken lassen, verstehst du? Einsortieren. Rausfinden, wie ich damit umgehen könnte. Ich bin im Koppe nicht so flexibel…“

    „Hm…“ machte die Wölfin wieder und sie schwiegen ein Weilchen.

    „Jonna?“

    „Ja, Kleene?“

    „Gefällt dir denn einer von denen?“

    „Einer?“ Jonna lachte bitter. „Alle drei! Wenn nicht einer oder zwei von ihnen eklatante Schwächen im Charakter aufweisen, würde es echt schwer, da auszuwählen.“

    „Ich mag auch alle drei!“ erwiderte die Wölfin und klang verträumt.

    „Vergiss es, Kleene! Die sehen wir nie wieder!“

    „Aber… wieso nicht?“ fragte Joa kläglich.

    „Weil ich es sage!“

    Das Schweigen war jetzt unbehaglich und hielt an, bis Jonna in Riesa den Zug verließ.

    Sie hätte noch zwei Stationen weiterfahren können, aber sie glaubte recht fest daran, dass einer der Wölfe sie weiterhin verfolgte. An ihrem eigentlichen Zielbahnhof hätte sie nach Hause laufen müssen und ein Verfolger hätte leichtes Spiel gehabt… hier konnte sie ein Taxi nehmen.

    Zu Hause warf sie alle Sachen von sich und stellte sich vor den großen Spiegel. Sie starrte der grauhaarigen dicken Frau mit Brille fest in die Augen: „ Bild dir bloß keine Schwachheiten ein! Die Jungs könnten deine Söhne sein! Die hatten dich schon vergessen, als die Zugtür zuging!“

    Doch die Frau im Spiegel schien ihr kein Wort zu glauben. „Dumme Kuh!“ schimpfte Jonna halblaut, kletterte in ihr Bett und starrte an die Zimmerdecke. Sie war sich sicher, die ganze Nacht nicht schlafen zu können, weil sie immer wieder nach Wölfen scannen würde…

    Wenige Minuten später schlief sie tief und traumlos.

    Der Unterschied zwischen dem, was Du bist und dem, was Du sein möchtest, liegt in dem, was Du tust.
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    Was würdest Du tun, wenn Du keine Angst hättest?

  • Seelensplitter 18

    Am nächsten Morgen war sie frisch und munter. Und das bereits um 5 Uhr. Jonna blieb noch ein paar Minuten liegen, aber lange hielt sie das nicht aus.

    Sie fühlte sich wie unter Strom gesetzt, sprang hoch und lief wie ein Firlichen durch die Wohnung. Die Koffer waren im Nu ausgepackt, der Abwasch von vor dem Urlaub war weggeräumt, die Handtücher, die noch auf dem Wäscheständer hingen gefaltet und eingeschrankt und die Blumen waren auch fix gegossen. Alle anderen Tätigkeiten, die noch hätten gemacht werden können, waren zu laut für Sonntag morgen.

    So saß sie mit einem Pott dampfenden Kaffees auf der Bettkante und starrte Löcher in die Gegend, grübelnd, was sie mit der Rest-Ewigkeit des Sonntags noch anfangen könnte.


    „Wir könnten nach Leipzig fahren!“ schlug Joa vor.

    „Was soll ich dort?“ Jonna wußte sehr wohl, was Joa dort wollte, aber sie fühlte sich nicht wirklich gut bei dem Gedanken, die drei, oder auch nur einen davon, wiederzusehen.

    „Ich verstehe dich nicht! Du hast doch gesagt, sie gefallen dir! Wo ist das Problem?“ Joa schien ehrlich interessiert.

    Deshalb antwortete Jonna auch ziemlich ehrlich: „Das Problem ist… bin ich. Schau mich doch an. Ich bin alt und dick und hässlich…“
    „Du bist nicht hässlich“, widersprach Joa energisch.

    „Okay, okay! Aber richtig dolle schön bin ich auch nicht. Was wollen die Jungs von mir, hm? Ich mein… wenn du nicht wärst, wenn ich nur ein stinkenormaler Mensch ohne leuchtblaue Hände wäre, würden die mich doch mitm Arsch nicht anguggen… Nur weil irgendeine Göttin da Sankt Elms Feuer zündelt… So will ich das nicht! Ich hätte gern, dass sie mich wollen, weil ich ich bin und nicht weil… ach was solls!“ verdrießlich brach Jonna ab.

    „Ich versteh dich ja“, sagte Joa unerwartet sanft „aber das blaue Leuchten ist doch kein Zwang. Es ist nur ein Hinweis. So ein bisschen wie: Hey schau dir den dochmal an, der passt gut zu dir! Und dieser Marc hielt es immerhin für wichtig, seinen Freund in Leipzig zu bitten, dich aufzuspüren. Hm? Weil er sich halt den Vorschlag der Göttin genauer ansehen wollte… „

    Jonna konnte nicht anders: sie kicherte albern wie ein Teenager. „Du bist echt gut, Kleene! Mit dir zusammen gewinnen wir jede Diskussion! – Okay! Wir fahren nach Leipzig! Aber sei bitte nicht zu sehr enttäuscht, wenn da niemand auf uns wartet, ja?“

    „Danke“, sagte Joa leise.

    „Na dann komm! Duschen, hübsch machen und frühstücken! Damit wir unterwegs nicht umkippen…“

    Seelensplitter 19

    Als Jonna in den Zug stieg, war sie sich jedoch wieder ganz sicher, hier unnötig Geld in den Sand gesetzt zu haben. Die Männer hatten unter Garantie nicht auf dem Bahnhof übernachtet. Aber was sollte es. Sie würde sich in der Stadt ne kleine Kneipe suchen, einen Kaffee trinken, sich und das Leben ein wenig beweinen und wieder nach Hause fahren. Wäre nicht der erste Schuß in den Ofen…

    Doch bereits 10 Minuten später, als der Zug in Riesa einfuhr, begriff sie, dass sie falsch gelegen hatte. Ein Wolfszeichen, in Oschatz auf dem Bahnhof. Offenbar hatten die Wölfe ihre Leute ausgeschickt, sie zu suchen. Und vielleicht war ja in Riesa hier auch einer, den sie nur nicht wahrnahm, weil sie ihn bereits gesehen hatte. Andererseits konnte er sie dann ja auch nicht… hach war das kompliziert.

    „Siehst du! Sie suchen uns!“ sagte Joa aufgeregt.

    „Ja“, antwortete Jonna knapp und wusste nicht wirklich, ob sie sich freuen sollte.

    Als der Zug in Oschatz einfuhr, versuchte Jonna, sogut wie möglich, den Bahnsteig zu scannen. Der Wolf war da, aber sie sah ihn nicht… bis der Zug hielt. Da kam am Ende des schmalen Blickwinkels ein Mann in Sicht, der sich hingebungsvoll den Nacken kraulte und aufmerksam den Zug entlangsah. Das Wolfszeichen erlosch und Jonna bemerkte, dass sie ein weiteres Zeichen übersehen hatte. Sie richtete kurz ihre Aufmerksamkeit darauf: Wurzen, ebenfalls Bahnhof. Eimerkette auf Wölfisch. Jonna grinste.

    Der Zug fuhr nach kurzem Halt wieder an und Jonna fuhr quasi direkt an dem Wolf vorbei. Sie winkte lächelnd hinüber und dem Mann fiel die Kinnlade herunter. Wohl aus einem Reflex heraus winkte er zurück. Das letzte, was Jonna von ihm sah, war, dass er ein Handy ans Ohr hob.

    „Ich glaub, wir kriegen grad einen Empfang organisiert…“ sagte sie und stellte fest, dass sie sich freute.


    Der Wolf in Wurzen blieb unsichtbar. Er stieg auch nicht in den Zug ein, sodass Jonna ihn weiterhin auf dem Radar hatte. Diesmal war sie allerdings aufmerksamer und wenige Minuten nach Wurzen hatte sie weitere vier Wolfszeichen auf dem Schirm.

    „Also mindestens fünf!“ sagte sie leise, obwohl ihr klar war, dass Joa das auch ohne Worte wußte.

    „Ich denke: sieben“, antwortete Joa zuversichtlich „sie werden alle drei da sein!“

    Jonna schniefte nachdenklich: „Ich weiß grad nicht, ob ich das gut oder schlecht finden soll, ehrlich gesagt…“


    In Leipzig war Jonnas Zuversicht wieder auf einem absoluten Tiefpunkt. Noch nie in ihrem Leben hatte sie solch eine Angst gehabt…. Doch, eigentlich schon. Vorgestern in Braunlage, als der Hund vor ihr aufgetaucht war. Und gestern in Goslar, als der hübsche Griechenjüngling sie angesprochen hatte. Und in Leipzig gestern, als sie begriff, dass der Wikinger zu dem Griechen gehörte… und Strubbel…

    Jonna holte tief Luft, um das Angstgefühl aufzulösen. „Komma übern Hund, komma übern Schwanz!“ sagte sie halblaut.

    „Redest du von mir?“ fragte Joa irritiert.

    „Nein, das ist ein Sprichwort. Es bedeutet, dass wir das Schlimmste eigentlich schon hinter uns haben!“ antwortete Jonna und als habe sie exakt diese Worte erst hören müssen, wurde ihre Angst merklich kleiner…

    Jonna stand auf, ging zur Tür und als der Zug hielt, trat sie betont selbstsicher hinaus auf den Bahnsteig. Da vorne, am Ende des Bahnsteiges standen sie: drei der schönsten Männer des Universums, zumindest für Jonnas Geschmack. Wenn das mal gut ging…


    Jonna straffte die Schultern: „Ooookay! It’s showtime!“

    „Was bedeutet das?“ flüsterte Joa, als könne sie irgendwer außer Jonna hören.

    „Das bedeutet, das es jetzt spannend wird“, erklärte Jonna.

    „Ernsthaft?“ fragte die Wölfin zweifelnd.

    „Japp!“ bestätigte Jonna.

    „Na dann“, sagte die Wölfin enthusiastisch: „Esst Schuhteig!“

    Der Unterschied zwischen dem, was Du bist und dem, was Du sein möchtest, liegt in dem, was Du tust.
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    Was würdest Du tun, wenn Du keine Angst hättest?

  • Ist nun schon ein Weilchen her, aber ich war irgendwie neben sämtlichen Spuren. Aber jetzt gehts (hoffentlich stringent) weiter, kurz und äh... nun ja.

    Seelensplitter 20

    Jonna konnte sich das Grinsen nicht verkneifen und stiefelte deshalb mit einem Strahlen im Gesicht auf die Männer zu. „Hi!“ sagte sie selbstbewußt.

    Die Männer waren sichtlich irritiert. Jonna wußte auch, warum. Nachdem sie gestern hier das „ängstliche Mausi“ repräsentiert hatte, wirkte ihre Art Offenheit wohl etwas aufgesetzt. Das lag wahrscheinlich zu einem Großteil daran, dass sie genau das war: Fassade, um einigermaßen die Selbstachtung behalten zu können. Das strahlende Lächeln kippte in eine bemühte Grimasse und Jonna entschied sich zur Wahrheit: „Um hier keine falschen Gedanken aufkommen zu lassen: Ich weiß nicht, was hier passiert und ich hab eine scheißende Angst. Okay? Ich bin kurz davor, schreiend davonzurennen und wäre euch sehr verbunden, wenn ihr darauf verzichten könntet, mich anzutatschen. Noch so ein blaues Leuchten und ich krieg nen Anfall…!“ Sie atmete tief durch und wartete auf die Reaktion der Männer.

    „Versprochen!“ sagte der Wikinger und die anderen beiden nickten. Aus irgendeinem Grunde genügte das, um runterzufahren. Jonnas Angst verkroch sich in ein stilles Eck ihrer Seele, allerdings bereit, jederzeit wieder hervorzuspringen.

    Jonna fiel das Lächeln schon wieder leichter: „Ähm… wer seid ihr?“

    Offenbar war der Wikinger der Cheff vons Janze, denn er übernahm die Vorstellung: „Das hier ist Marc, den kennst du ja schon…“ er zeigte auf den Griechen und Jonna nickte. „Mein Name ist Anthony und der hier“ er wies auf den Strubbelkopf „das ist Raoul!“

    Jonna nickte wieder und widerstand dem Reflex, die Hand zum Gruße auszustrecken. Kein Anfassen! „Ich bin Jonna!“

    Die Männer schenkten ihr erneut ein Lächeln und Jonna fand ziemlich viel Gefallen daran, so angelächelt zu werden.

    „Das ist ein schöner Name!“ Marcs Stimme war genauso tief, wie sie sie in Erinnerung hatte. „Ein Wolfsname!“ sagte Raoul und es klang anerkennend, als habe sie den Namen selber gewählt.

    „Was? Wieso?“ fragte Jonna neugierig.

    Raoul sah ihr beunruhigend tief in die Augen: „Wolfsnamen haben viele As, Os und Us und sie eignen sich gut zum Heulen… Jonnaaaaaaa!“ intonierte er leise und Jonna konnte nicht anders: Sie lachte laut los. Raoul grinste sie an, als habe er genau das gewollt.

    „Raoul kann man aber auch gut heulen…!“ erwiderte Jonna kichernd. „Anthonyyyyyyyyyyy geht auch. Aber Marc? Wie heult man Marc?“

    Die drei Männer lachten ebenfalls und Jonna fühlte sich um etliches sicherer. Sie grinste fröhlich und fraghte: „Was meint ihr, kriegt man hier Sonntag Mittag irgendwo nen Kaffee?“

    Der Unterschied zwischen dem, was Du bist und dem, was Du sein möchtest, liegt in dem, was Du tust.
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    Was würdest Du tun, wenn Du keine Angst hättest?