Arthoria-Sammelsurium

Es gibt 2 Antworten in diesem Thema, welches 137 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (16. April 2025 um 12:21) ist von Amafiori.

  • Wie versprochen, habe ich versucht, möglichst typische Klappentexte für meine Romane zu schreiben, wie sie tatsächlich auf einem Buchrücken stehen könnten, um Lesende oder Kaufwillige neugierig zu machen. So erhaltet ihr wenigstens einen ungefähren Eindruck, worum es in meinen Romanen geht. :)


    Zwischen Dunkelheit und Licht

    Amarok hat es geschafft. Er hat alle Widerstände überwunden und gelangt in die Hauptstadt Arthorias, um sich seinen Lebenstraum zu erfüllen und ein Magier zu werden. Doch auf den Weg dorthin hat er sich einen mächtigen Feind gemacht, und dieser sinnt auf Rache. So wird Amarok während seiner Aufnahmezeremonie verhaftet, des Diebstahls bezichtigt und verurteilt, seinem Widersacher als Leibeigener zu dienen. Für den jungen Zauberlehrling beginnt eine Zeit des Leidens und der Prüfungen, die auch mit seiner Freilassung nicht endet. Und eines Tages steht er vor der Wahl: Für welches der beiden Bündnisse, Licht oder Dunkelheit, soll er sich entscheiden?

    Die verbotene Gabe 1: Das Erwachen

    Caedor, der ehrgeizige Fürst von Feoria muss sich, um die Macht an sich zu reißen, der Drachen bemächtigen, die seiner Schwester Sequya dienen. Zu diesem Zweck bedient er sich der Magie Arthorias. Der Zauber gelingt, doch Caedor entledigt sich der Magier, die ihn gewirkt haben. Einer von ihnen überlebt schwer verletzt. Er wird gefunden und gesund gepflegt, doch er hat sein Gedächtnis verloren. Nach seiner Genesung begibt er sich auf die gefahrvolle Suche nach seiner Vergangenheit, und als er erkennt, was Caedor in Wirklichkeit plant, setzt er alles daran, die Drachen zu befreien.

    Die verbotene Gabe 2: Der Verlust

    Amarok hat sich von der Magie abgewendet und ist bei seiner Wahlfamilie an der Küste zur Ruhe gekommen. Doch das Gerücht von Amaroks Macht über Drachen ist bis zu den „Söhnen Rajakthars“ gedrungen, einem Orden machtgieriger Geistlenker, deren Ziel die Herrschaft über die Magier Arthorias ist. Er gerät in ihre Fänge und begegnet den Brüdern Beran und Marelian, die mit einer besonderen Gabe gesegnet sind. Arthorias Magier können nur gerettet werden, wenn Amarok entkommt und es schafft, Marelian zu überzeugen, sich gegen seine Lehrer zu stellen. Doch zuvor muss er in der Arena der Ordensburg den schwersten Kampf seines Lebens bestehen.

    Die verbotene Gabe 3: Der Ruf

    Amarok, Beran und Marelian bekommen es mit einer neuen, gefährlichen Gegnerin zu tun, der mächtigen Geistlenkerin Lyandra, die nicht nur den Söhnen Rajakthars zur Macht in Arthoria verhelfen will, sondern ihre eigenen, ehrgeizigen Pläne verfolgt. Darüber hinaus befiehlt Sequya, die Herrin über Feorias Drachen, Amarok zu sich. Am Ende der abenteuerlichen Reise dorthin erhält Amarok einen gefährlichen Auftrag, den er lieber nicht erfüllen würde, doch seine Verpflichtung den Drachen gegenüber zwingt ihn dazu.

    Die verbotene Gabe 4: Die Entscheidung

    Verfolgt von den Schergen Lyandras begeben sich Amarok und Beran auf die gefahrvolle Reise zum erhabenen Vater der Drachen, während Marelian sich allein mitten unter seine Feinde wagt, um Großmeister Nibor zu entmachten und Lyandra endlich Einhalt zu gebieten. An seinem Ziel angekommen, beginnt Amarok an den Plänen des Erhabenen zu zweifeln und bringt sich und Beran dadurch erneut in Gefahr.

    Die verbotene Gabe 5: Die Heimkehr

    Marelian befindet sich in der Gewalt Lyandras und wird gezwungen, Amarok auf die Ordensburg zu locken. Somit sind die beiden einzigen Menschen, die Lyandra möglicherweise besiegen könnten, ihre Gefangenen. Während Maëlia mit Hilfe einer neu gefundenen Freundin ihre Flucht von der Insel der Frauen vorbereitet und die neue Hüterin des Drachen ihrem Schicksal entgegengeht, kämpft Amarok um sein Leben.

    Die verbotene Gabe II: Ein Herrscher für Feoria

    Rai Longg, der künftige Herrscher über Feoria, der sich nicht mit Drachen verständigen kann, braucht eine Frau mit der Gabe. Die Wahl seiner Eltern fällt auf die junge Carelia, die Tochter ihres Freundes Amarok. Doch vor der Verlobungsfeier lernt die Braut einen jungen Spielmann kennen und lieben. Dennoch hält sie an ihrem Eheversprechen fest. Rai Longg indes findet heraus, dass er einen Rivalen hat und will sein vermeintliches Glück mit Gewalt erzwingen.


    Sollte jemand tatsächlich neugierig geworden sein und einen der Bände lesen wollen: Gerne versende ich die Dateien per Mail.


    Und hier kommt noch eine neue Erzählung für euch. Natürlich spielt "mein" Amarok wieder eine Rolle darin. Dieses Mal erleben wir ihn aus der Sicht eines Teenagers. (Ja, doch, in der Einleitung darf ich solche modernen Begriffe noch verwenden.) Weil die Erzählung ziemlich lang ist, unterteile ich sie in mehrere Häppchen. Hier also der erste:


    Stumm


    Der junge Wolf in meinem Arm winselte leise. Er musste Schmerzen haben, und dass ich ihm nicht helfen konnte, brach mir das Herz. Ich hatte ihn am frühen Nachmittag aus einer Tellereisenfalle befreit, in mein Wams gewickelt und in mein Versteck getragen. Die Blutung hatte zwar aufgehört, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass sich das Tier erholte. Hilflos kauerte ich in der engen, von einigen Findlingen gebildeten Höhle, hielt es in meinem Schoß und streichelte wieder und wieder das weiche, schneeweiße Fell. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich schon so da saß, als ich das Geräusch von sich nähernden Pferdehufen vernahm. "Sei leise", beschwor ich das verletzte Tier in Gedanken, doch ebenso gut hätte ich die Sonne bitten können, nicht unterzugehen.

    Es kam, wie es kommen musste. Der Reiter auf dem leider viel zu nahe gelegenen Weg verlangsamte sein Pferd und hielt endlich an. Ich stellte mir vor, wie er lauschte und endlich die Richtung ausmachte, aus der das schwache Jammern zu ihm drang. Jetzt hörte ich ihn absteigen und näher kommen. "Ist da wer?", rief er. Die Stimme gehörte einem jungen Mann und war mir unbekannt. Vielleicht einer der Wachleute meines Vaters, oder ein neuer Jagdgehilfe.

    Ich wollte in Ruhe gelassen werden und versuchte, dem Welpen den Fang zuzuhalten, doch das half mir nichts, im Gegenteil. Er ließ ein protestierendes Fiepen ertönen und zappelte in meinem Arm. Sofort ließ ich ihn los, woraufhin er wieder in sich zusammen sackte.

    Der Reiter musste uns gehört haben. Vermaledeit! Gleich würde ich mir wieder einen Vortrag eines Erwachsenen anhören dürfen, dass Mitleid mit den Tieren, die mein Vater zu jagen pflegte, fehl am Platze und eines Heranwachsenden meines Alters unwürdig war, dass ich mich kindisch benahm und endlich erwachsen werden sollte. Oder man würde mich wieder einmal für dumm und zurückgeblieben erklären und meinen armen Vater bedauern, dass die Götter ihn mit einem solchen Balg gestraft hatten. Überdies würde man mir natürlich den kleinen Wolf grob aus den Armen reißen, ihn vor meinen Augen töten und mich mit harschen Worten nach Hause schicken. Resigniert ließ ich den Kopf sinken und konnte nicht verhindern, dass meine Augen feucht wurden und eine Träne meine Wange hinab kullerte.

    "Kann ich helfen?" Der fremde Reiter war vor meiner Höhle angekommen, bückte sich und blickte besorgt herein. Es war weder ein Soldat noch ein Jäger, sondern ein junger Mann in schlichter Reisekleidung, der mich freundlich anlächelte.

    Ich schüttelte den Kopf, schniefte und wischte mir die Träne mit dem Ärmel meines Seidenhemds ab.

    "Darf ich?", fragte er dennoch, kam neben mich und berührte sanft das seidige, weiße Fell des verletzten Wolfes. "Ich tue ihm nichts", versprach er, als ich versuchte, das Tier mit meinen Armen zu schützen. Also ließ ich ihn gewähren. Was hätte ich schon tun können, wenn er uns Böses gewollt hätte? Aber er hielt sein Versprechen und warf lediglich einen Blick auf die Verletzung. "Warte", sagte er daraufhin, kroch rückwärts wieder aus der niedrigen Höhle heraus und entfernte sich. Was würde er jetzt tun? Vermutlich würde er mit einer Waffe zurückkommen und den Wolf erschlagen, erlösen, wie die Erwachsenen so etwas oft zu nennen pflegten. Beklommen wartete ich, denn mir war klar: Eine Flucht war aussichtslos.

    Wenig später kehrte der Fremde mit einem ledernen Rucksack zurück und kauerte sich neben mich. Er nestelte den Verschluss auf, stöberte ein wenig darin herum und brachte einen tönernen Tiegel und einen leinenen Verband zum Vorschein. "Du hast die Wunde bereits gereinigt. Gut gemacht. Dies ist Heilpaste", erklärte er, öffnete den Tiegel und begann vorsichtig, die Salbe auf die Wunde am Bein des Tieres zu streichen. Der Wolf zuckte nur kurz zusammen, dann ließ er sich die Behandlung gefallen. Entweder war er bereits sehr schwach oder das Zeug hatte magische Kräfte. Anschließend wickelte der Fremde fachmännisch den sauberen Verband um das Bein des Tieres. Erneut kramte er in dem Tornister und fand einen Wasserschlauch. "Hier." Er reichte ihn mir. "Versuch, ihm etwas zu trinken zu geben. Gewiss hat er Durst."

    Ich goss ein paar Tropfen Wasser in meine hohle Hand und hielt sie dem Wolf hin. Dankbar begann er, es aufzulecken. Das kitzelte so sehr, dass ich laut auflachte.

    Der Fremde lächelte zufrieden und begann, seinen Rucksack wieder zu verschnüren. "Ich lasse dir das Wasser und ein paar Ersatzbinden da", sagte er. "Der Kleine kommt ein paar Stunden ohne Futter aus, aber nicht ohne Wasser. Versprichst du mir, ihn frei zu lassen, sobald er kräftig genug ist? Ich wette, seine Mutter und seine Geschwister sind noch in der Nähe."

    Ich nickte ernsthaft. Die Wette hatte er bereits gewonnen. Ich hatte die Wolfsfamilie schon oft beobachtet und wusste, wo ihr Bau war: Am Rande einer Lichtung in der Nähe des Frostsees. Den Aufenthalt dort hatte mein Vater uns Geschwistern strengstens untersagt, aber ich kümmerte mich meist nicht um derartige Verbote.

    "Schön, dass du ihn aus der Falle befreit hast und dich um ihn kümmerst. Viel Glück euch beiden." Mit diesen Worten ergriff er seinen Tornister, streichelte dem Wolf, der jetzt schon viel ruhiger war, noch einmal sanft über die Flanke, winkte mir zu und schob sich rückwärts aus der Höhle hinaus. Draußen richtete er sich auf, klopfte Erde und Laub aus seinen Kleidern und ging in Richtung des Weges davon. Dort hörte ich ihn auf sein Pferd steigen und im Schritt anreiten. Allmählich verklangen die Huftritte in Richtung des elterlichen Gutshauses.

    Ich glaubte zu träumen. Eben noch hatte ich vor Angst gezittert und geglaubt, es wäre jemand gekommen, um mir den Wolf wegzunehmen, mich aus meinem Versteck zu zerren und mich - einmal mehr - wegen für einen Sohn des Gutsherren ungebührlichen Verhaltens zu bestrafen. Stattdessen hatte ich unerwarteten Beistand erhalten. Hatten die Götter mir den merkwürdigen Fremden zum genau passenden Zeitpunkt gesandt, um dem kleinen Wolf das Leben zu retten? Ich hatte den Mann noch nie zuvor in unserer Gegend gesehen. Wer war er, und wohin war er unterwegs? Wie kam es, dass er, im Gegensatz zu allen anderen Erwachsenen um mich herum, keinen Anstoß an meinem beharrlichen Schweigen genommen hatte? Und woher wusste er, dass ich den Welpen aus einer Falle gerettet hatte? Ich stieß einen langen Seufzer aus. Dieses Grübeln half mir nicht weiter, ich würde wohl nie erfahren, wer mein freundlicher Helfer gewesen war. Aber dies war im Augenblick nicht mein größtes Problem, welches darin bestand, dass ich bei Einbruch der Dunkelheit zu Hause zu sein hatte und meinen Patienten schweren Herzens allein lassen musste. Noch einmal gab ich ihm zu trinken, dann bettete ich ihn, eingewickelt in mein warmes Wams, in die Ecke der niedrigen Höhle, kroch hinaus und wälzte einen Stein davor, damit der kleine Wolf nicht entkommen konnte. Ich konnte nur hoffen, dass er am anderen Morgen, wenn ich zu ihm zurückkehrte, noch da und vor allem noch am Leben sein würde.

    Heute war entschieden ein Glückstag. Ich gelangte ungesehen und pünktlich nach Hause und schaffte es sogar noch, mir ein sauberes Hemd überzustreifen und mir die Hände zu waschen, bevor die Glocke zum gemeinsamen Abendmahl geläutet wurde.

    Als ich den großen Saal betrat, staunte ich nicht schlecht. Die große Tafel war festlich gedeckt, im Kamin knisterte ein wärmendes Feuer, und selbst in den Leuchtern an den Wänden brannten die Kerzen. Und das, wo mein Vater doch sonst sparsam bis hin zum Geiz war. Doch sogleich erkannte ich den Grund für all den Aufwand: Mein Vater hatte Besuch, und sein Gast war niemand anders als der freundliche Fremde, der mit mir dem verletzten Wolf geholfen hatte. Er saß auf dem Ehrenplatz neben meinem Vater und blickte mir wohlwollend entgegen, während mein Vater mich mit einem Stirnrunzeln bedachte, weil ich wieder einmal der Letzte war. Kaum hatte ich meinen Platz in der Reihe meiner Geschwister eingenommen, als auch schon die Suppe aufgetragen wurde.

    Ich musste in mich hinein kichern, als ich sah, dass Vater die Gänsemagd in ein feines, schwarzes Gewand, das einst meiner Mutter gehört haben musste, und eine blütenweiße Schürze gesteckt hatte, auf dass sie uns in der Rolle einer Bediensteten die Speisen servierte. Doch das Kichern verging mir, als ich bemerkte, wie nervös das Mädchen war. Ihre Hände zitterten, als sie mit der Schöpfkelle den Teller des Gastes füllte und vor ihn hinstellte. Offenbar hatte mein Vater ihr die schlimmsten Strafen angedroht, sollte sie einen Patzer begehen, etwa indem sie das Tischtuch befleckte oder gar einem der Herrschaften die Kleidung beschmutzte. Der Besucher bedankte sich höflich und schenkte der Magd ein unangemessen freundliches Lächeln, was meinem Vater ein Räuspern entlockte, aber zugleich dem Mädchen etwas mehr Sicherheit verlieh. Sie bewältigte ihre Aufgabe fehlerfrei, während der junge Sohn des Großknechts den Mundschenk gab. Er hatte deutlich mehr Spaß an seiner ungewöhnlichen Aufgabe und spielte seine Rolle sehr überzeugend.

    Während der Mahlzeit wurde nicht viel gesprochen. Der Gast lobte die gute Küche, und mein Vater fragte ihn, ob er eine angenehme Reise gehabt hatte, was er bejahte. Daraufhin erkundigte sich Vater nach Neuigkeiten aus Elteran. Während wir erfuhren, dass Galveen noch immer Bürgermeister war und Xeridar noch immer Erster Magier, grübelte ich, was einen Mann aus der Hauptstadt zu uns führen mochte. Wie ein Magier sah er nicht aus, aber auch nicht wie ein Krieger. Am ehesten schien er ein Wissenschaftler zu sein, dachte ich bei mir, und nach allem, was er für den verletzten Wolf getan hatte, glaubte ich, er müsse ein Medicus sein, auch wenn er mir etwas zu jung vorkam. Weshalb hatte Vater einen Heiler aus der großen Stadt herbestellt? War er, oder sonst ein Mitglied unserer Familie oder unseres Haushaltes etwa krank? Oder womöglich meinetwegen?

    Ich musste mich bis nach dem Essen gedulden. Nachdem die Dienstmagd das Geschirr abgetragen hatte und wir nur noch unsere Getränke vor uns stehen hatten - dem Gast hatte Vater unseren kostbarsten Wein kredenzt - bat Vater um Aufmerksamkeit. Schneller als gewöhnlich wurde es still im Raum, und alle blickten neugierig zu ihm hin. "Lasst mich euch unseren geehrten Gast, den Magier Amarok aus Elteran, vorstellen, Kinder", sagte er feierlich. Also war er doch ein Magier! Ich hatte mir einen Vertreter seines Standes vollkommen anders vorgestellt. "Wie ihr wisst, verschwinden in letzter Zeit immer wieder Rinder, Ziegen und Schafe aus unseren Herden von den Weidegründen. Nachdem mehrere Hirten unabhängig voneinander Schneewölfe gesichtet haben, gehe ich davon aus, dass diese Bestien sich meine Tiere holen. Magier Amarok wird sich um sie kümmern."

    Ich erschrak. Wenn erwachsene Männer im Zusammenhang mit Tieren von "Kümmern" sprachen, war meistens Töten gemeint. Oh, Götter! Der Fremde war gekommen, um meine Wölfe zu bekämpfen! Und doch hatte er mir geholfen, einen von ihnen zu verarzten. Wie passte das zusammen? Hatte er mir womöglich nur etwas vorgemacht und würde bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit zu meinem Versteck zurückkehren, um den ersten Wolf sogleich abzuschlachten? Ich vermochte kaum noch still zu sitzen. Alles drängte mich, zu meiner Höhle zu eilen und nachzusehen, ob es dem Welpen noch gut ging. War es womöglich gar keine Heilsalbe gewesen, die er auf die Wunde aufgetragen hatte, sondern Gift? Wenn der Welpe noch am Leben war, musste ich ihn unbedingt anderswo zu verbergen.

    Vater hatte inzwischen weiter gesprochen. "Lasst mich Euch meine Familie vorstellen", sagte er soeben. Er wies zunächst auf meine beiden älteren Schwestern und nannte ihre Namen, dann auf meine drei Brüder. Zuletzt war ich an der Reihe. "Dies ist Tarlo, unser Dummerjan. Er redet nicht. Kümmert Euch einfach nicht um ihn. Wenn er Euch lästig fällt, sagt mir Bescheid."

    Götter, würde der Magier nun antworten, er habe bereits meine Bekanntschaft gemacht und damit unser Geheimnis verraten? Ich warf ihm einen flehenden Blick zu, den er offenbar verstand.

    Ohne unsere Begegnung im Wald zu erwähnen, erklärte er höflich, dass er sich freue, unsere Bekanntschaft zu machen. Allein ein leichtes Heben der Augenbrauen zeigte, dass er die Worte, die mein Vater für mich gefunden hatte, zu missbilligen schien.

    "Wann werdet Ihr Euch auf die Suche nach den Wölfen begeben?", fragte mein ältester Bruder wissbegierig.

    "Gleich morgen nach Sonnenaufgang", gab Amarok Auskunft.

    "Darf ich Euch begleiten? Ich könnte Eure Waffen tragen", erbot sich mein Bruder eifrig.

    "Hab Dank, aber das wird nicht nötig sein."

    "Es versteht sich von selbst, dass ihr Magier Amarok in Ruhe seine Arbeit tun lasst", mischte mein Vater sich ein. "Zudem ist der Frostsee für euch Kinder tabu, und das bleibt auch so. Wenn ich einen von euch auch nur in der Nähe erwische, setzt es was." Er warf einen drohenden Blick in die Runde, um sogleich in ruhigem und freundlichem Ton fortzufahren. "Gerne mag Euch einer meiner Wachleute begleiten, oder so viele wie Ihr wünscht", bot er dem Gast an.

    "Für gewöhnlich pflege ich meinen Gegnern allein gegenüberzutreten", erwiderte Amarok. "Aber wenn ich mir einen Begleiter auswählen dürfte, wäre dies Euer Sohn Tarlo."

    Ich zuckte zusammen und zog meinen Kopf zwischen die Schultern. Was wollte der Magier von mir? Glaubte er, ich würde ihm meine Wölfe verraten? Da hatte er sich aber getäuscht!

    "Was?" Mein ältester Bruder konnte nicht an sich halten. "Aber warum? Tarlo ist doch zu blöd, um einen Schneewolf von einem Schoßhündchen zu unterscheiden. Er ist zurückgeblieben. Was wollt Ihr ausgerechnet mit ihm anfangen?"

    "Schweig!", herrschte mein Vater ihn an, und er verstummte errötend.

    Amarok war ruhig geblieben. "Ihr erwähntet, dass Tarlo nicht spricht, darum."

    "Wie Ihr wünscht, ehrwürdiger Magier", katzbuckelte Vater. "Tarlo, du hältst dich morgen früh bereit. Hast du mich verstanden?"

    Ich überschlug im Geiste die Zeit, die ich brauchen würde, um heute Nacht heimlich nach dem Welpen zu sehen, ihn gegebenenfalls anderswo zu verstecken und wieder nach Hause zu gelangen. Es müsste zu schaffen sein. Also nickte ich beklommen.

    "Ich freue mich, Tarlo", sagte Amarok und lächelte mir ermutigend zu.

    Vater erklärte die Mahlzeit für beendet und erlaubte uns Kindern, aufzustehen, was nichts anderes hieß, als dass wir ihn gefälligst mit seinem Gast allein zu lassen hatten. Wie meine Geschwister erhob ich mich also. Wir wünschten Vater und dem Magier eine gute Nacht und gingen hinaus, ich als letzter. Ich gab vor, schlafen zu gehen. Niemand störte sich daran oder versuchte, mich aufzuhalten. Wir vier Brüder teilten uns eine Schlafkammer unterm Dach, aber ich wusste, dass die anderen es noch für viel zu früh hielten, zu Bett zu gehen. Gewiss würden sie noch eine Weile in der warmen Küche beisammen sitzen. Ich eilte hinauf in unsere Kammer und präparierte mein Bett so, dass es im Dunkeln so aussehen musste, als läge ich darin - bis über den Kopf zugedeckt. Dann stieg ich lautlos wieder hinab und stahl mich aus dem Haus.

    Längst war das Tor in der Mauer, die unseren Hof umschloss, verriegelt, und ein mürrischer Wachmann saß an einem Feuer in der Nähe und passte auf, dass niemand es ohne sein und Vaters Wissen passierte. Ich jedoch kannte einen anderen Weg hinaus, über die Mauer. Jedes Mal, wenn ich diesen nahm, schüttelte ich den Kopf über die Naivität unserer Wachen, die zu glauben schienen, wir seien vor heimlichen Eindringlingen sicher. Hierfür hätte man die Apfelbäume im Küchengarten ebenso fällen müssen wie die eine große Eiche jenseits der Umfriedung, die ich als Leiter benutzte.

    In der Küche war es hell und warm. Meine Geschwister saßen mit der Gänsemagd und dem Sohn des Großknechts beisammen und lachten über deren gelungene Darstellung von Bediensteten. Niemand achtete auf mich, als ich in der Dunkelheit vorbei schlich und den Apfelbaum erklomm, der der Mauer am nächsten stand. Nur Sekunden später war ich draußen, unterwegs zu meinem Versteck.

    Während ich schnellen Schrittes meiner Höhle zueilte, dachte ich über diesen Amarok nach. Er war so freundlich gewesen und schien es mit dem kleinen verletzten Wolf so gut zu meinen. Und doch hatte er sich bereit erklärt, für Vater die Schneewölfe zu bekämpfen. Ich fand, das passte nicht zu ihm, aber er hatte diesen Auftrag angenommen und würde ihn ausführen müssen, ob er wollte oder nicht. Alles in mir wollte ihm vertrauen können, aber ich durfte nicht zu leichtgläubig sein. Energisch verdrängte ich meine Zweifel und beschleunigte meine Schritte. Endlich stand ich vor dem Eingang zu meiner Höhle. Der Stein, den ich davor gewälzt hatte, lag scheinbar unberührt, doch dahinter war es still. Ich packte den schweren Felsbrocken und rollte ihn beiseite, dann kroch ich auf allen Vieren voran. Vermaledeit! Ich hatte in der Eile vergessen, eine Kerze oder eine Lampe mitzubringen. Nun war es zu spät, also tastete ich mich langsam vorwärts, bis ich mit den Fingern den Wollstoff meines Wamses berührte. Ich setzte mich auf und bewegte meine Hände zitternd in das Stoffknäuel hinein, und da fühlte ich es: Der kleine Wolf war da. Er schlief zusammengerollt und offenbar vollkommen entspannt. Auch Amaroks Wasserschlauch lag noch so neben dem Schlaflager, wie ich ihn zurückgelassen hatte. Ungeheure Erleichterung durchflutete mich. Niemand war hier gewesen. Nun würde ich meinen Wolf in Sicherheit bringen können. Ich kannte mehr als genug Verstecke hier im Wald, und dieses Mal würde ich eines wählen, das weitab von jedem Weg und Pfad gelegen war.

    Ich griff nach dem Bündel aus Jacke und Tier, da erwachte der Kleine, zuckte zusammen und reckte die Nase in die Luft. Ich gab ihm zu trinken und wickelte ihn im Anschluss wieder fest in die wärmende Wolle. Den Wasserschlauch und mit etwas Bedauern auch das Verbandszeug zurücklassend, robbten wir nach draußen, wo ich mich aufrichtete, den Welpen auf meinen Armen zurechtrückte und mich auf den Weg machte.

    Stunden später kehrte ich auf demselben Weg in unser Anwesen zurück, wie ich es verlassen hatte. Ich sah den Soldaten immer noch Wache halten, grinste in mich hinein, schlich an der mittlerweile dunklen und leeren Küche vorbei und kletterte lautlos durch das Fenster der Besenkammer ins Haus. Als ich unbemerkt, wie ich glaubte, in mein Bett schlüpfen wollte, starrte mein ältester Bruder mich an und flüsterte: "Wo warst du?"

    Ich bedeutete ihm mit einer Geste "austreten" und schob mich unter meine Decke, ohne ihn weiter zu beachten. Bald darauf hörte ich ihn wieder gleichmäßig atmen. Ich selbst fand jedoch noch lange Zeit nicht in den Schlaf.

    Einmal editiert, zuletzt von Chaos Rising (14. April 2025 um 12:07) aus folgendem Grund: Ein Beitrag von Amafiori mit diesem Beitrag zusammengefügt.

  • Irgendwann gegen Morgen musste ich wohl doch eingeschlafen sein, denn mitten in einem konfusen Traum von Schneewölfen, die versuchten, unsere Mauer zu überwinden, wurde ich unsanft wachgerüttelt. Mein ältester Bruder war es, der mir die Decke wegzog und mich grob schüttelte. "Aufstehen, du Faulpelz! Hast du deinen Auftrag vergessen? Oder soll ich an deiner Stelle mit dem Magier gehen?"

    Nein, natürlich nicht! Ich sprang auf und wollte nach unten laufen, doch er verstellte mir den Weg. "Er wartet schon auf dich", murrte er verdrossen. "Aber ich wusste ja gleich, dass du nicht dazu taugst, ihm zu assistieren. Und wieso schläfst du überhaupt in deinen Kleidern?"

    Mit einem unwilligen Brummen stieß ich ihn beiseite. Sollte er doch denken, was er wollte. Er folgte mir, als ich aus der Kammer trat, in die Stiefel schlüpfte, die ich draußen hatte stehen lassen, die Treppe hinab sprang, mir meinen Mantel überwarf und hinaus stürmte.

    „Wo ist dein warmes Wams? Du gehst zum Frostsee, schon vergessen?“, rief er mir hinterher. „Und willst du dich nicht waschen, du Ferkel?“

    Nein. Das musste warten, oder besser gesagt, ausfallen, wenn es stimmte, dass der Magier meiner schon ungeduldig harrte. Ich durfte und wollte ihn auf keinen Fall verärgern.

    Unvermittelt bremste ich meinen Lauf ab und kam stolpernd zum Stehen, als ich ihn im Hof vor dem Tor, das bereits geöffnet war, entdeckte. Er stand neben seinem Pferd und plauderte mit dem diensthabenden Wachmann.

    Dieses Pferd...! Ich hatte noch nie in meinem Leben ein so riesiges Reittier gesehen und auch noch nie eines mit einem solchen Fell. Es war von einer Schwärze, als saugte es alles Licht aus der Umgebung auf, dunkler als die finsterste Düsternis, die ich mir vorstellen konnte. Es stand ruhig neben seinem Herrn, doch ich malte mir aus, mit welcher Kraft und Energie es wohl zu galoppieren vermochte, wenn man ihm die Zügel ließ, und ich ahnte, dass es jedem Verfolger davonlaufen und jeden Flüchtenden einholen konnte.

    Unser Besucher sah heute anders aus. Er trug nicht länger seine abgewetzte Reisekleidung, sondern eine schimmernde Robe und eine ebensolche Kopfbedeckung, dazu Handschuhe und Stiefel, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte. In der Hand hielt er einen mannhohen Stab, an dessen Spitze ein großer tiefroter, funkelnder Edelstein befestigt war.

    Er musste mich gehört haben, denn er wandte den Kopf zu mir und winkte mich zu sich heran. "Guten Morgen, Tarlo", begrüßte er mich munter. "Ich hoffe, du hast gut geschlafen und kräftig gefrühstückt."

    Ich tappte zu ihm hin und nickte verlegen. Dass ich in Wahrheit während der vergangenen Nacht kaum ein Auge zugetan und heute noch keinen Bissen gegessen hatte, brauchte er nicht zu wissen.

    "Kannst du reiten?"

    Nicht wirklich. Wir besaßen einige Kutschpferde, die nicht geritten wurden und zwei Maultiere zum Lastentransport. Auf diesen hatten meine Brüder und ich zuweilen "reiten" geübt, wenn es niemand sah. Die Tiere hatten dies verständlicherweise nicht besonders geschätzt, und wir verbrachten dabei mehr Zeit in der Luft und auf dem Boden als im Sattel und trugen eine Menge Blutergüsse davon. Immerhin hatten beide Maultiere mich weitaus länger als meine Brüder auf ihrem Rücken geduldet und mich seltener abgeworfen. Mit Reiten hatte das ganze aber nur wenig zu tun gehabt. Und überhaupt, auf diesem Monstrum von Pferd? Vehement schüttelte ich den Kopf, dass meine Haare flogen.

    "Das macht nichts", antwortete Amarok lächelnd. "Dann werden wir uns Zeit lassen. Du kannst hinter mir aufsitzen."

    Niemals! Ich musste unweigerlich einen Schritt zurück getan haben.

    "Arnyek sieht Respekt einflößend aus, nicht wahr? Aber du musst keine Angst vor ihm haben. Komm, ich mache euch beide miteinander bekannt."

    Allein das hämische Gekicher meines Bruders, der uns hinter einer Hausecke hervor beobachtete, brachte mich dazu, meine Furcht zu überwinden. Nicht, dass er sich doch noch vordrängte und an meiner Statt mit dem Magier zum Frostsee ritt. Wenn ich nicht achtgab, wäre es um meine Wölfe geschehen. Ich wusste zwar noch nicht genau, wie ich es anstellen sollte, aber ich würde den Zauberer auf jeden Fall ablenken und dafür sorgen, dass das Rudel überlebte. Langsam, Schritt um Schritt, trat ich näher an den riesenhaften Rappen heran.

    "Arnyek, das ist Tarlo. Er wird uns beide heute begleiten. Tarlo, dies ist mein Schattenross Arnyek. Du kannst ihn jetzt unbesorgt berühren."

    Schattenross! Ja, dieser Name passte zu dem mächtigen Tier. Vorsichtig streckte ich die Hand aus und begann, Arnyek am Hals zu streicheln. Er ließ es sich ruhig gefallen, wandte mir lediglich den riesigen Schädel zu und blies mir seinen warmen Atem ins Gesicht.

    "Er mag dich", kommentierte Amarok zufrieden. "Nun steig auf. Ich helfe dir."

    Ehe ich mich versah, saß ich im Sattel, hoch auf Arnyeks Rücken. Ich konnte mir ein freches Grinsen in Richtung meines Bruders nicht verkneifen, doch dessen Reaktion entging mir, da auf einmal der Magier vor mir saß und die Zügel ergriff. "Halt dich an mir fest", riet er mir, winkte dem Wachmann noch einmal zu, und schon waren wir zum Tor hinaus.

    Wie Amarok es versprochen hatte, ritten wir gemächlich im Schritt von unserem Gut fort und in den Wald hinein. "Geht's?", fragte er mich, und ich nickte und brummte zustimmend. Es war ein erhebendes Gefühl, so hoch auf dem Pferderücken zu sitzen und aus der ungewohnten Höhe hinabzuschauen. Doch mein Begleiter brachte mich schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. "Was meinst du? Wollen wir noch eben nach deinem Patienten sehen, bevor wir zum Frostsee reiten?"

    Gut, dass er nicht sehen konnte, wie ich errötete. Auf keinen Fall durfte ich ihn in die Nähe der Höhle lassen, denn wenn er sähe, dass Wolf und Wams verschwunden waren, würde er wissen, dass ich ihm misstraut hatte. Hätte ich nicht verschlafen, hätte ich wenigstens behaupten können, bereits in aller Frühe nachgesehen zu haben, doch auch diese Möglichkeit hatte ich mir genommen. Ganz davon abgesehen hätte ich nicht gewusst, wie ich ihm all dies ohne Worte hätte erklären sollen. Ich begnügte mich zunächst mit einem Kopfschütteln, was er wohl spürte, denn er ließ Arnyek weiter in Richtung See laufen. "Du hast Recht. Es wäre ein ziemlicher Umweg", gab er zu.

    Danach ritten wir schweigend weiter. Mein Hochgefühl war vergangen. Je näher wir dem Frostsee kamen, desto schwerer wurde mir das Herz, wenn ich an meine Wölfe dachte. Allmählich wurde es kälter, und auf den Bäumen und dem Waldboden lag eine dünne Schneeschicht. Inzwischen hatte es auch zu schneien begonnen. Ich zog meinen Mantel enger um mich und lehnte mich an Amarok, um ein wenig Schutz vor dem eisig kalten Wind zu finden, der mittlerweile aufgekommen war.

    Auf einmal blieb das Schattenross stehen, und Amarok glitt vom Pferd. Indem er nach seinem Stab griff, mahnte er mich: "Bleib im Sattel. Bei Arnyek kann dir nichts passieren." Dann ließ er uns stehen und entfernte sich langsam, aber ohne zu zögern in Richtung des Sees.

    Angestrengt starrte ich ihm hinterher. Wo wollte er hin? Was mochte er gesehen haben? Waren meine Wölfe bereits in der Nähe? In dichten Flocken fiel der Schnee inzwischen und erschwerte mir die Sicht. Dennoch erkannte ich auf einmal... ja, was? Ein gigantisches Wesen, das ganz und gar aus Eisplatten zu bestehen schien, war mitten auf dem Weg erschienen und hatte sich Amarok entgegengestellt, um uns aufzuhalten! Götter, dergleichen hatte ich noch nie zuvor in meinem Leben gesehen.

    Amarok war inzwischen stehen geblieben und zielte mit seinem Stab auf die Eiskreatur. "Gib den Weg frei", sagte er ruhig.

    Als Antwort schleuderte das Wesen eine Handvoll Eissplitter in seine Richtung. Die meisten flogen an dem Magier vorbei oder prallten an seiner Robe ab, als schien ihn ein unsichtbarer Schutzschild zu umgeben.

    Amarok seufzte bedauernd und wirkte einen Zauber, der so etwas wie glühende Asche auf die Eiskreatur zufliegen ließ. Diese wich einen Schritt zurück und ließ eine weitere Salve von Eissplittern folgen. Jetzt fanden einige davon ihr Ziel, doch Amarok ließ sich nicht beirren und schoss ein weiteres Mal seinen Feuerzauber auf den Gegner. Dieses Mal blieben die Eissplitter aus, doch dort, wo Amarok stand, begann plötzlich die Schneedecke einzubrechen, und es war, als stürzte der Boden rund um ihn ein. Mit einem kühnen Sprung brachte er sich in Sicherheit. "Du willst es nicht anders", sagte er und hob seinen Stab erneut. Es hatte traurig geklungen, nicht etwa drohend, so wie etwa bei Vater, wenn er uns Kindern eine Strafe angedeihen ließ. Dieses Mal traf die Glutwelle - so nannte sich der Zauber, wie ich später erfuhr - das Wesen frontal. Es war verletzt und geschwächt und wich erneut einige Schritte zurück. "Bitte gib auf", hörte ich Amarok flüstern. "Ich will dich nicht töten, aber wenn es sein muss, um unser Leben zu retten, werde ich nicht länger zögern."

    Die Kreatur erstarrte mitten in der Bewegung und maß ihren Gegner mit einem abschätzenden Blick. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis sie sich endlich rührte. Langsam wandte sie sich ab und verschwand seitlich des Weges im dichten Tann.

    Erleichtert senkte Amarok seinen Stab und drehte sich zu mir und Arnyek um.

    Ich saß zitternd auf dem Pferd und blickte ihm angstvoll entgegen. Ich bedauerte wirklich selten, dass ich nicht zu sprechen vermochte, doch nun hätte ich einiges darum gegeben, hätte ich den Magier fragen können, was bei allen Göttern und Dämonen das gewesen war.

    Ruhig kam er näher und befestigte seinen Stab wieder an der dafür vorgesehenen Halterung an Arnyeks Sattel. "Das war ein Eisgolem", erklärte er und machte sich an der Satteltasche zu schaffen. Er zog eine Phiole hervor, die eine rötliche Flüssigkeit enthielt. "Heiltrank, aus Guljakbeeren und Jorugawurzeln hergestellt. Er schmeckt grauenhaft, aber hilft zuverlässig gegen magische Verletzungen." Er entkorkte das Gefäß und trank die Flüssigkeit in einem Zug aus. Anschließend verstaute er es wieder und blickte fragend zu mir auf. "Wollen wir weiter? Wenn du Angst hast, kehren wir um."

    Ich hatte Angst, und das nicht zu knapp. Schließlich könnte der Eisgolem uns wieder auflauern, und wer mochte wissen, was der Frostsee sonst noch an unbekannten Gefahren aufzubieten hatte? Aber Amarok musste doch Vaters Auftrag erfüllen. Allerdings begann ich mich zu fragen, aus welchem Grund er mich mitgenommen hatte. Wenn wir zurückritten, würde ich es nie erfahren. Außerdem wollte ich wissen, was er mit meinen Wölfen vorhatte. Also schüttelte ich zögernd den Kopf.

    "Gut", meinte er zufrieden. "Ich komme wieder rauf." Sekunden später saß er wieder vor mir im Sattel und nahm die Zügel auf. "Dann wollen wir mal", sagte er betont munter, und Arnyek setzte sich wieder in Bewegung. Unaufgefordert legte ich meine Arme um seine Taille. Wir ritten unbehelligt etwa eine halbe Stunde lang in der Nähe des Ufers weiter, bis der Wald sich allmählich öffnete und den Blick auf den dick vereisten Frostsee freigab. "Wir sind da", verkündete Amarok und glitt elegant von dem Pferderücken, ehe er mir die Arme entgegenstreckte, um mir beim Absteigen zu helfen. "Hast du Hunger?"

    Oh ja, ich hatte großen Hunger. Schließlich hatte ich nicht gefrühstückt, und das soeben überstandene Abenteuer schien mich noch hungriger gemacht zu haben. Ich nickte eifrig.

    "Ich auch", sagte er lachend und öffnete erneut die Packtasche, aus der er ein Paket mit Brot, Käse und zwei Äpfeln hervorzog. Er teilte das Brot in zwei Hälften und reichte mir eine davon. Den Käse schnitt er mit einem Messer, das er ebenfalls mit sich führte, in zwei Stücke, und zuletzt gab er mir einen Apfel. Den anderen bot er Arnyek an, der ihn mit sichtlichem Genuss zerbiss. "Lass es dir schmecken", wünschte Amarok, und ich wusste nicht, ob er mich oder sein Schattenross angesprochen hatte. Noch nie hatte mir ein so schlichtes Mahl so gut geschmeckt wie nun, da ich gerade einer großen Gefahr entronnen war.

    Als wir unseren Proviant verzehrt und einige Schlucke eines Getränks, das er Guljakbeerensaft nannte und eine leicht belebende Wirkung auf mich hatte, aus einer Steingutflasche getrunken hatten, räusperte sich Amarok und blickte mich ernst an. "Du wirst dich fragen, warum ich dich auf diesen gefährlichen Ritt mitgenommen habe, nicht wahr?"

    Ich konnte nur beklommen nicken.

    "Dein Vater hat mich beauftragt, die Schneewölfe, die sich immer wieder an euren Herden vergreifen, zu töten", erklärte er ernst.

    Wieder nickte ich. Dasselbe hatte Vater gestern Abend beim Essen auch gesagt.

    "Damit bist du nicht einverstanden, habe ich Recht?"

    Ich nickte ein drittes Mal.

    "Ich habe dich mitgenommen, damit du mit eigenen Augen siehst, dass deinen Schützlingen nichts zustößt. Nicht heute, nicht von meiner Seite", sagte er.

    Aber...? Ich verstand nicht. Würde er Vaters Auftrag denn nicht erfüllen?

    "Ich habe eine andere Idee", erklärte er, als habe er meine Zweifel gehört. "Aber dafür muss ich dem Herz des Sees gegenübertreten. Hast du jemals von ihm gehört?"

    Ich schüttelte den Kopf. Was sollte das denn sein, das Herz des Sees?

    "Einst lebte ein machthungriger Priester namens Sadek in unserem Lande, dem es gelang, sich göttliche Macht anzueignen und der sich durch böses und grausames Handeln hervortat. Dies erzürnte die Götter, und in einer nie dagewesenen Schlacht, in der die Anhänger aller drei Gottheiten vereint gegen Sadek stritten, wurde er besiegt und zur ewigen Strafe in diesem See angekettet. Die göttliche Kraft ist ihm genommen, aber er verfügt noch über ausreichend Macht, seine Geschöpfe, zu denen unter anderem die Eisgolems und auch die Schneewölfe gehören, zu zwingen, die Menschen, die sich in seine Nähe wagen, zu bekämpfen und zu töten. Kraft unserer Magie können wir ihnen in den meisten Fällen trotzen."

    Ich verstand nicht ganz, oder besser gesagt wollte ich nicht verstehen. Meine Wölfe, diese herrlichen, schneeweißen Geschöpfe, sollten böse sein? Das wollte und konnte ich nicht glauben. Der Eisgolem jedoch war eindeutig böse gewesen und hatte versucht, Amarok zu töten oder wenigstens zu verletzen. Sadek... War dieser Sadek der Grund dafür, dass uns strengstens verboten war, uns dem See zu nähern? Vater hatte uns jedoch nie eine Erklärung für das Verbot geliefert. Ich musste Amarok fragend angeblickt haben, denn er fuhr mit seiner Erklärung fort.

    "Meine Idee ist nun: Wenn Sadek diese Geschöpfe beeinflussen kann, wenn er sie zwingen kann, Wanderer anzugreifen und ihnen Schaden zuzufügen, so muss er auch ausreichend Macht über sie haben, ihnen zu befehlen, die Tiere deines Vaters in Ruhe zu lassen. Jemand muss ihn lediglich davon überzeugen, dass dies zum Besten aller ist.“

    Und dieser Jemand bist du?, dachte ich. Wie anmaßend konnte dieser Magier sein?

    "Ich ahne, was du denkst", seufzte Amarok. "Aber ich glaube, dass wir es schaffen können."

    Wir?

    Er bemerkte meinen skeptischen Blick. "Du hast einem seiner Geschöpfe, dem kleinen Schneewolf, das Leben gerettet. Wir haben etwas bei ihm gut."

    Optimist! Wenn dieses Herz des Sees so bösartig war, wie er es geschildert hatte, weshalb sollte es dann so gnädig sein, im Gegenzug für das Leben eines einzigen Welpen unsere Herden zu schützen und alle anderen Schneewölfe hungern zu lassen?

    "Ich muss es darauf ankommen lassen."

    Und wenn er dich nicht anhört? Wenn er dich angreift?

    "Wenn er nicht verhandeln will, muss ich allerdings kämpfen", sagte Amarok. "Ich kann Sadek besiegen, wenn du mir hilfst."

    Ich? Wie denn? Bin ich etwa ein Magier?

    "Beruhige dich. Du sollst lediglich, wenn mir die Kräfte schwinden, diese Spruchrollen wirken." Er zog einige versiegelte Papyrusrollen aus Arnyeks Satteltasche und reichte sie mir.

    Ich nahm sie zur Hand, wo ich sie ratlos drehte und wendete. Ich hatte nie lesen gelernt. Mutlos ließ ich den Kopf sinken.

    "Es ist nicht schwer", sagte Amarok leise, aber eindringlich. "Du brauchst sie nur zu entsiegeln und dabei meinen Namen auszusprechen. Willst du das für mich tun?"

    Meine Augen füllten sich mit Tränen. Er wusste doch, dass ich nicht sprach! Entschieden schüttelte ich den Kopf.

    "Ich weiß, dass du es kannst", flüsterte er.

    Vermaledeit, woher? Ich hatte gesprochen, bis ich vier Jahre alt war. Bis ich meine Mutter bei einem schrecklichen Vorfall hatte sterben sehen, für den ich meinem Vater die Schuld gab und noch gebe. Seither hatte ich nie wieder ein Wort gesprochen.

    „Erinnerst du dich?“

    Und ob ich mich erinnerte! Wie könnte ich je den Tag vergessen, an dem wir, meine Eltern, mein älterer Bruder und ich, beim Beeren Sammeln im Wald von einer Gruppe Orks angegriffen worden waren. Mein Vater hatte sich meinen Bruder geschnappt und war mit ihm geflohen, während meine Mutter sich, nur mit einem Knüppel bewaffnet, todesmutig vor mich gestellt und die Orks angebrüllt hatte, sie sollen ihr Kind in Ruhe lassen. Die Orks haben sie erschlagen und mich entführt. Allerdings kamen sie nicht weit, denn eine Gruppe reisender Magier aus Elteran befreite mich. Sie töteten die Orks und brachten mich nach Hause. Von diesem Tag an habe ich nie wieder ein Wort mit meinen Angehörigen gesprochen.

    "Ein guter Freund von mir, er heißt Carellon, war damals dabei und hat mir alles erzählt. Auch, dass du nach deiner Befreiung nach deiner Mutter gerufen und deinen Vater verflucht hast. Aber dein Vater konnte euch nicht allen beistehen. Er hat sich entschieden, seinen Erstgeborenen in Sicherheit zu bringen. Er hätte auch seiner Gemahlin beistehen können, doch dann hätten die Orks deine beiden Eltern getötet, und euch Kinder vielleicht ebenfalls. Wie auch immer, deine Geschichte hat uns sehr berührt, Tarlo. So sehr, dass ich mich sofort daran erinnert habe, als dein Vater gestern deinen Namen nannte und erklärte, dass du nicht sprichst. Doch damals konntest du sprechen, und ich glaube, du kannst es noch. Du willst es nur nicht. Ich respektiere das. Aber ich bitte dich inständig, heute eine Ausnahme zu machen. Für mich und für das Leben der Wölfe, die du so liebst."

    Meine Wölfe... Ich könnte sie retten. Oh Götter! Aber um welchen Preis? Ich wäre nicht mehr derselbe, wenn ich zuließe, dass meine Stimme wieder erklingt. Wenn ich mich heute entschied, meine Stimme erneut zu erheben, so wäre das keine Ausnahme, oh nein. Ich wusste, dann würde alles aus mir herausbrechen, was ich bisher mit großer Anstrengung unter Verschluss gehalten hatte. Ich würde mit meinem Vater klären müssen, was damals geschehen war und ich müsste mich wieder und wieder erinnern. Wollte ich das? Nein, um keinen Preis, auch nicht um meiner Wölfe Willen. Ich blickte zu Amarok, den ich vor lauter Tränen nur noch verschwommen sah, schüttelte den Kopf und dachte bei mir: Das kann ich nicht. Oh Götter, ich hatte seine Erwartungen und Hoffnungen enttäuscht. Was würde er jetzt tun? Was hatte ich einem Erwachsenen, einem Magier gar, entgegenzusetzen? Konnte er mich zwingen?

    Er überraschte mich. Er tat einen Schritt auf mich zu und legte mir sanft die Hand auf die Schulter. "Ich akzeptiere deine Entscheidung. Es ist schon in Ordnung. Vielleicht bleibt mir ja der Kampf erspart und ich kann Sadek mit Argumenten überzeugen. Oder vielleicht benötige ich selbst während eines Kampfes die Spruchrollen nicht. Mach dir nichts daraus."

    Ich brach in Tränen aus und wollte mich von ihm abwenden, aber er hielt mich fest und zog mich an sich. "Schon gut, Tarlo. Bitte verzeih mir. Ich hatte kein Recht, Solches von dir zu verlangen." Er hielt mich, bis ich mich einigermaßen beruhigt hatte, dann ließ er mich los. Überraschenderweise fühlte ich mich besser. Dabei hätte ich mich hundsmiserabel fühlen müssen, Verräter der ich war. An ihm und an meinen Wölfen.

    "Ich werde mein Glück jetzt versuchen", verkündete er endlich. "Bleib bei Arnyek. In seiner Nähe bist du sicher." Er entnahm seiner Tasche ein Arsenal von Fläschchen und Phiolen, die er nacheinander leerte. „Das sind magische Stärkungsmittel“, erklärte er, griff sich seinen Stab aus der Halterung, zwinkerte mir noch einmal zu, sagte leise "Wünsch mir Glück" und wandte sich ab, um zügig auf das Seeufer zuzugehen. Dort prüfte er die Tragfähigkeit des Eises und betrat, nachdem er damit offenbar zufrieden war, die Eisfläche. Erst als ich ihn im Schneegestöber schon fast aus den Augen verloren hatte, bemerkte ich, dass ich noch immer die Spruchrollen in Händen hielt.

  • Auf einmal schämte ich mich zutiefst. Da hatte mir endlich einmal jemand etwas zugetraut und mir eine wichtige Aufgabe zugedacht, und was tat ich? Ich ließ ihn im Stich. In die Scham mischte sich aber auch ein kleines Bisschen Trotz. Warum verlangte er etwas von mir, wozu ich nicht imstande war? Jede andere Bitte, so glaubte ich, hätte ich ihm erfüllt.

    Ich blickte mich um. Da stand ruhig das Schattenross, sonst war niemand, auch kein Tier oder sonstiges Wesen, zu sehen. Ich fühlte mich plötzlich einsam und verlassen. Angst kroch in mir hoch und ließ mich schaudern. Was, wenn der Magier nicht wieder kam? Wie sollte ich nach Hause kommen? Bei Arnyek sollte ich in Sicherheit sein, hatte Amarok behauptet. Wie aber sollte ich das riesenhafte Reittier dazu bewegen, mir nach Hause zu folgen, wenn doch sein Herr hier zurückgeblieben war?

    Was tat Amarok überhaupt? Ich lauschte angestrengt in die weiße Leere vor mir, doch ich konnte nichts hören außer den gedämpften Geräuschen der winterlich verschneiten Natur und dem fernen Krächzen einer Nebelkrähe. Müsste nicht Kampflärm zu vernehmen sein? Oder hatte dieser Sadek sich aufs Verhandeln eingelassen? Zögernd tat ich einige Schritte in Richtung des Ufers, doch dann erinnerte ich mich daran, dass ich nach Aussage seines Herrn nur in der Nähe des Schattenrosses sicher war. Dennoch siegte endlich meine Neugier über die Angst, und ich lief los. Ein Laut hinter mir ließ mich erschrocken herumfahren und erleichtert aufatmen. Arnyek folgte mir! Mit neuem Mut drang ich weiter vor und gelangte endlich an den Wassersaum. Der See war dick vereist, und ich konnte im frisch gefallenen Schnee noch undeutlich Amaroks Fußspuren erkennen. Warten oder Weitergehen? Aufs Eis würde das Pferd mir gewiss nicht folgen. Nur noch ein paar Schritte vielleicht, so weit, dass ich das Ross noch hinter mir erkennen konnte und vielleicht irgendein Lebenszeichen von dem Magier vernehmen konnte.

    Langsam und vorsichtig, immer wieder prüfend, ob mich das Eis auch trug, bewegte ich mich vorwärts auf die Mitte des Sees zu. Hier war das Schneegestöber noch dichter, doch mit einem Mal erkannte ich vor mir die Silhouetten zweier Menschen, wobei die eine die andere um mehrere Fuß überragte. Vorsichtig pirschte ich mich noch ein wenig näher heran und bereute meinen Wagemut im selben Moment, da ich erkannte, was sich vor meinen Augen abspielte.

    Einige Schritt vor mir stand, mir den Rücken zudrehend, Amarok. Seinen Stab hielt er in einer Hand, jedoch nicht in Kampfstellung. Sein Gegenüber bot einen unbeschreiblich grauenvollen Anblick. Die hochgewachsene Gestalt schien in schimmelige Lumpen gehüllt, seine Haut war faltig und sein Gesicht das eines uralten Greises, doch sein grausamer Blick brannte mir in der Seele, so dass ich schnell den Kopf senkte. Doch ich wusste, Sadek hatte mich gesehen.

    Auch Amarok wusste, ohne sich umzudrehen, dass ich da war und sein Gegner mich entdeckt hatte. Und vermutlich war er nicht besonders erfreut darüber, denn Sadeks Grinsen in dem totenkopfähnlichen Gesicht verhieß nichts Gutes. Instinktiv packte er seinen Stab fester, was dem Herz des Sees ein raues Lachen entlockte.

    "Na, hast du Verstärkung mitgebracht, Magier?", fragte es. Seine Stimme hörte sich seltsam tonlos und knirschend an und erinnerte vage an aufeinander reibende Eisplatten.

    Amarok blieb ruhig. "Das ist Tarlo, der Retter des Wolfswelpen, von dem ich gesprochen hatte", sagte er. "Er wird Euch nicht angreifen, Sadek."

    "Der Entführer, meinst du wohl."

    "Nein, der Retter. Er hat das Tier aus einer Tellereisenfalle befreit und seine Verletzung gereinigt und versorgt."

    "Spielt ohnehin keine Rolle, wer oder was er ist. Ich habe genug von dem Geschwätz. Ich werde euch beide vernichten."

    "Was spricht gegen die Abmachung, die ich Euch vorgeschlagen habe? Ihr haltet die Wölfe von dem besagten Gehöft fern, dafür bleiben sie am Leben, und Euch bleibt ein Kampf erspart."

    "Wer sagt dir denn, dass ich nicht kämpfen will? Wer bin ich, einen Kampf zu fürchten? Ha! Ich bin das Herz des Sees, und ich werde jeden Eindringling meine Macht spüren lassen. Auf nichts anderes warte ich tagein, tagaus. Genug der Worte! Lass uns endlich kämpfen!"

    "Wie Ihr wünscht. Aber einen letzten Vorschlag will ich Euch noch unterbreiten. Wenn ich siege, werde ich Euch nicht ausplündern, sondern mich mit Eurem Wort zufrieden geben, dass Ihr das Wolfsrudel schützen werdet."

    Sadek ließ erneut sein grausames Lachen ertönen. "Wenn du mich besiegst? Ha,ha,ha, das ist köstlich!" Er wollte sich schier ausschütten vor Lachen. "Nun gut, wenn dir so viel daran liegt, so will ich dir mein Wort geben und mein Versprechen gegebenenfalls halten. Aber dazu wird es niemals kommen. Du bist weder stark genug noch ausreichend gerüstet, mir gegenüber zu treten."

    "Lasst es darauf ankommen", sagte Amarok.

    "Oh, ich zittere schon vor dir, mächtiger Magier", spottete Sadek, und ohne eine weitere Ankündigung eröffnete er den Kampf, indem er, ähnlich wie der Eisgolem zuvor, Eissplitter auf seinen Gegner herabstürzen ließ, nur dass das Herz des Sees sie mit weitaus mehr Kraft von sich geschleudert hatte.

    Getroffen wich Amarok einen Schritt zurück und brachte seinen Stab in Angriffsstellung. Ich verstehe nichts von Zauberei und kann daher nicht im Einzelnen aufzählen, was sich nun vor meinen Augen abspielte. Amarok verteidigte sich wacker und griff das Herz des Sees immer wieder mit unterschiedlichen Feuerzaubern an, die es offenbar auch verletzten, doch Sadek schien sich in regelmäßigen Abständen wieder zu heilen und schlug dann umso stärker zurück. So kam es, dass Amarok, obwohl er auf mich zunächst mächtiger gewirkt hatte, immer weiter zurückweichen musste und immer schwächer zu werden schien. Ab und zu griff er in seine Robe und trank eine Phiole mit dem rötlichen Heiltrank leer, doch letztendlich schien Sadek ihm überlegen zu sein.

    "Soviel zu 'lasst es darauf ankommen'", höhnte das Herz des Sees, nachdem es Amarok einen besonders herben Schlag versetzt hatte, der ihn taumeln ließ. "Einen wie dich erledige ich nebenbei." Diesen Worten ließ er einen weiteren Eishagel folgen. "Und nach dir vergnüge ich mich mit dem Wolfsretter, ha, ha, ha."

    "Tarlo lasst in Frieden", keuchte Amarok. "Er ist kein Magier und hat mit unserem Kampf nicht das Geringste zu tun."

    "Was hat er dann hier verloren?"

    Das fragte ich mich allmählich auch. Bei Sadeks Ankündigung waren mir die Knie weich geworden, und das war der einzige Grund, warum ich noch immer hier stand und den ungleichen Kampf beobachtete, anstatt mich umzudrehen und die Beine unter den Arm zu nehmen.

    "Gute Frage, Sadek." Amarok wandte sich an mich. "Bring dich in Sicherheit, Tarlo. Arnyek wird dich nach Hause bringen. Geh", mahnte er eindringlich.

    Sadek nutzte die Tatsache, dass sein Gegner durch mich abgelenkt war, und überraschte Amarok mit einem neuen Angriff, der ihn zu Fall brachte.

    Im Liegen richtete dieser erneut seinen Stab auf seinen Feind und wollte einen weiteren Feuerzauber wirken, doch seine Kraft reichte nicht mehr aus.

    Entsetzt sah ich, wie Sadek sich auf den wehrlos vor ihm Liegenden stürzen wollte und beide Arme hob, um einen letzten, womöglich tödlichen Eiszauber auf ihn loszulassen. Amarok würde sterben, und es wäre allein meine Schuld. Mir zuliebe hatte er die Wölfe, mit denen er vermutlich spielend fertig geworden wäre, schonen wollen und stattdessen mit dem Herz des Sees verhandelt. Doch dieser Feind hatte nicht mit sich handeln lassen. Es geschah mir ganz recht, dass ich das grausame Ende mit ansehen musste.

    Aber noch war es nicht soweit. Während des Sekundenbruchteils, den Sadek benötigte, um sich für seinen Zauber zu sammeln, schaffte Amarok es, sich zur Seite zu werfen und mit einem Infernozauber eine Feuerwand zwischen sich und dem Angreifer entstehen zu lassen, der jenen zurückweichen ließ und es Amarok erlaubte, wieder auf die Beine zu kommen.

    Als der Zauber versiegte und die Kontrahenten einander wieder sehen konnten, lachte Sadek wieder sein schauriges Lachen. "Du bist am Ende, Magier, und das weißt du auch. Warum gibst du nicht einfach auf? Vielleicht verschone ich dann den jungen Wolfsfreund."

    Entsetzt erkannte Amarok mit einem Seitenblick, dass ich immer noch da war, aber bevor er etwas sagen konnte, war Sadek wieder über ihm. Dieses Mal hatte er dem dämonischen Eisgott nichts mehr entgegenzusetzen.

    Ich wollte mir die Augen zuhalten und hob meine Hände, da bemerkte ich die Papyrusrollen, die Amarok mir vor einer Ewigkeit, wie mir schien, gegeben hatte und die ich immer noch umklammert hielt. Es sei nicht schwer, hatte er gesagt, sie zu gebrauchen. Ich müsste sie lediglich entsiegeln und dabei seinen Namen aussprechen. Ich hatte es in der Hand, ihn zu retten, doch ich war unfähig, es zu tun. Götter, ich wollte es ja tun, unbedingt, aber ich konnte es nicht.

    Der Kampf vor mir war immer noch nicht zu Ende. Ich weiß nicht, woher Amarok die Kraft nahm, noch immer jeden Angriff Sadeks mit einem Zauber seinerseits zu parieren. Er lag wieder auf dem Eis, und ich konnte förmlich zusehen, wie das Leben aus ihm zu weichen schien. Als spürte er, dass ich ihn beobachtete, blickte er zu mir her. "Verzeih mir, Tarlo", flüsterte er. In diesem Augenblick traf ihn ein Fausthieb Sadeks, und er verlor das Bewusstsein.

    Ehe ich wusste, was ich tat, hatte ich das Siegel der ersten Rolle gebrochen und faltete das Blatt auseinander. Ich konnte nicht lesen und folglich nicht erkennen, was darauf geschrieben stand. "Du brauchst sie nur zu entsiegeln und dabei meinen Namen auszusprechen", hatte Amarok gesagt. Zitternd holte ich Luft. "Aaaa..."

    Oh nein! Ich wusste, dass ich nicht dazu in der Lage war. Wieder füllten sich meine Augen mit Tränen. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals an einem Tag so viel geweint zu haben wie heute, wenigstens nicht seit dem Tod meiner Mutter. Meine Mutter… Wie in einem Traum erschien auf einmal das Bild meiner Mutter vor meinen Augen, wie sie sich vor mich gestellt hatte und den Orks zornig entgegen geschrien hatte, mich in Ruhe zu lassen. "Mama", flüsterte ich. "Mama." Schon lauter. Heiser und rau war meine Stimme, fast wie Sadeks, doch sie war da, ich konnte mich selbst hören. "Mama!, brüllte ich endlich noch lauter. "Ama!" und dann "Amarok!"

    Die Rolle in meiner Hand löste sich in Rauch auf. Ich sah unendlich erleichtert, wie das Leben in Amarok zurückkehrte. Überrascht wich Sadek von seinem Opfer zurück, welches sich soeben aufgerichtet und einen neuen, starken Feuerzauber in seine Richtung entlassen hatte. Ja! Oh ja, ich konnte helfen! Sofort öffnete ich die nächste Rolle, und eine weitere und noch eine, und jedes Mal gelang es mir, Amaroks Namen laut und deutlich auszusprechen. Mit jedem Mal gewann er mehr und mehr Kraft zurück und seine Zauber an Wirksamkeit. Jetzt zeigte sich, dass Sadek geschwächt war, denn seine Angriffe verloren an Intensität, und nun war es Amarok, der ihn vor sich her über das Eis trieb.

    Die letzte Rolle war aufgebraucht und hatte sich wie die anderen entmaterialisiert. Verdattert blieb ich zurück und verlor die beiden Kämpfenden bald aus den Augen. Mir war seltsam zumute, und ich wusste nicht, ob das daran lag, dass ich erstmals in meinem Leben einen Zauber gewirkt hatte, oder ob mein Sprechen die Ursache dafür war. Ich öffnete den Mund, holte Luft und versuchte es noch einmal. "Tarlo", sagte ich. "Mein Name ist Tarlo, ich kann sprechen. Tarlo, Tarlo, Tarlo. Amarok, Tarlo. Sadek, Arnyek, Amarok, Tarlo. Ja, ja, jaaaaaa!"

    Eine nie gekannte Euphorie hatte von mir Besitz ergriffen. Ich konnte nicht aufhören, meine Stimme ertönen zu lassen. Immer wieder nannte ich meinen und Amaroks Namen, dann die meiner Geschwister und aller Bewohner unseres Gehöfts, die ich beim Namen kannte. Alle Namen sprach ich aus, bis auf einen: Das Wort 'Vater' wollte mir nicht über die Lippen kommen. Abrupt verstummte ich wieder. Vater... Wenn ich nach Hause kam, und ich war absolut überzeugt, dass ich unversehrt nach Hause kommen würde, stünde ich vor der Wahl. Ich könnte mit meiner Familie sprechen, mich feiern lassen und ein normales Leben führen, doch dann würde ich auch mit meinem Vater reden müssen. Oder ich könnte wieder in mein altes Schweigen verfallen. In vielerlei Hinsicht war mein Dasein als stummer, zurückgebliebener, bedauernswerter Junge angenehm einfach gewesen. Wenn ich mich fürs Sprechen entschied, würde es damit ein Ende haben. Ich würde wie meine Geschwister mit meinen Brüdern und Schwestern streiten müssen und mit Vater endlose Diskussionen um den Sinn oder Unsinn seiner Anordnungen und Strafen führen. Mein schönes, faules Leben mit viel Zeit, mich in der Natur aufzuhalten, würde ein Ende haben, denn sie würden mich zwingen, mich an den Pflichten zu beteiligen, die bedingten, sich mit anderen Menschen auseinanderzusetzen. Zum Markt fahren, Waren ein-und verkaufen, den Knechten und Mägden Anweisungen erteilen. Und vielleicht würde ich eines Tages beim Erntedankfest ein Mädchen zum Tanzen bitten müssen. Wie viel einfacher war es doch dagegen, mich mit den Tieren des Hofes und des Waldes abzugeben, die keine Ansprache von mir erwarteten!

    "Tarlo?" Amarok war von mir unbemerkt herbei gekommen und trat lächelnd auf mich zu. "Hab Dank, Tarlo. Du warst großartig, und es war genau der richtige Zeitpunkt."

    "Sadek?", fragte ich ängstlich und ein wenig beschämt, weil mir der Mut fehlte, meine Frage in einen ganzen Satz zu kleiden."

    "Besiegt", bestätigte Amarok meine Hoffnung.

    "Tot?"

    "Nein, natürlich nicht. Schließlich brauchen wir ihn. Er hat versprochen, sein Wort zu halten. Kein Schneewolf wird bei euch mehr irgendein Tier anrühren. Er bittet allerdings darum, den Welpen so schnell wie möglich wieder seiner Familie zuzuführen."

    Sadeks "Bitte" konnte ich mir lebhaft vorstellen. Aber meine Freude über diesen zweifachen Sieg kannte keine Grenzen. Laut jubelnd und fiel ich Amarok um den Hals, was er sich lachend gefallen ließ. "Gehen?" Ich konnte es auf einmal kaum erwarten, den kleinen Wolf in seinem neuen Versteck aufzusuchen und frei zu lassen.

    "Ja, gehen wir." Seite an Seite kehrten wir zum Ufer zurück, wo der treue Arnyek uns erwartete. Amarok nahm noch einige stärkende Elixiere zu sich, bevor er sich kräftig genug für den Ritt fühlte. Er verstaute seinen Stab und saß auf, reichte mir die Hand und zog mich hinter sich. Ich wies ihm den Weg zu meinem Versteck mit knappen Angaben wie "rechts", "links" oder "weiter". Schnell ließen wir das verschneite Gebiet rund um den Frostsee hinter uns und gelangten allmählich wieder in den frühsommerlich warmen Wald.

    Als wir angekommen waren und Amarok erkannte, dass der kleine Wolf während der Nacht umgezogen war, entschuldigte ich mich. "Angst, Sorge", sagte ich, "verzeih."

    "Du hast gut daran getan, Tarlo", erwiderte er. "Woher hättest du wissen sollen, dass du mir vertrauen kannst? Du sorgst wunderbar für deine Schutzbefohlenen."

    Mir fiel ein Gebirge vom Herzen, dass er mir nicht gram war. Gemeinsam befreiten wir den Welpen aus der gut getarnten Grube, wo ich ihn heute Nacht gelassen hatte, nahmen ihm den Rest des Verbandes ab, den er schon ordentlich benagt hatte und untersuchten die Wunde, die bereits erstaunlich gut verheilt war. Ein weiteres Mal kam der Tiegel mit der Heilpaste zum Einsatz, dann ließ ich den kleinen Wolf los, wir traten zurück und warteten ab, was geschehen würde.

    Erst zögerlich, dann immer schneller tapste der Welpe von uns fort, zunächst den Pfad entlang, auf dem wir hergeritten waren, dann blieb er kurz stehen, blickte sich noch einmal um, als wolle er Danke oder Lebewohl sagen und verschwand im Dickicht. Kurz darauf hörten wir das melodische Heulen dreier Wölfe ganz in der Nähe. Seine Familie war gekommen, um ihn abzuholen und gab der Freude über das glückliche Wiedersehen lautstark Ausdruck.

    Schweigend standen wir beisammen und lauschten dem Gesang des wiedervereinten Rudels. Ich wusste, auch für mich nahte die Zeit, in den Schoß meiner Familie zurückzukehren. Noch immer hatte ich nicht entschieden, ob ich mich ihnen öffnen würde oder nicht. Als das Wolfsgeheul in der Ferne verklungen war, seufzte ich schwer und murmelte: "Nach Hause."

    "Einverstanden." Wir gingen zurück zu Arnyek und saßen wieder auf. Dies würde mein letzter Ritt auf dem Schattenross sein, und ich bedauerte dies bereits. Noch mehr bedauerte ich jedoch, dass ich Amarok nach dem heutigen Tag vermutlich nie mehr wiedersehen würde, den Mann, der mir die Tür zu meiner verlorenen Sprache geöffnet hatte, wenn auch auf eine ausnehmend drastische Art und Weise.

    Als wir in den Innenhof unseres Anwesens einritten, dämmerte es bereits. Mein Vater schien auf uns gewartet zu haben, denn er trat aus dem Haus, sobald wir abgestiegen waren. "Seid gegrüßt, edler Magier. Willkommen zurück. Ich hoffe, Euer Vorhaben ist gelungen und Ihr seid wohlauf?" Mich ignorierte er geflissentlich, wie stets.

    "Habt Dank", erwiderte Amarok. "Ich habe die Ehre, Euch beruhigen zu können. Kein Schneewolf wird sich mehr an Euren Herden vergreifen."

    "Großartig", lobte Vater. "Ich wusste, dass es eine gute Idee sein würde, einen Magier mit dieser Mission zu beauftragen.“ Selbstgefällig nickte er, wie um seine Aussage zu bestätigen, da Amarok es nicht tat. Suchend schaute er umher, sein Blick blieb an Arnyek hängen, doch offenbar konnte Vater nicht entdecken, wonach er Ausschau gehalten hatte. "Äh", er räusperte sich verlegen. "Habt Ihr die Felle nicht mitgebracht?"

    "Die Felle?"

    "Von den Wölfen, die Ihr erlegt habt."

    "Oh, ich habe sie nicht erlegt."

    "Nein?"

    "Nein. In dem Fall wären über kurz oder lang andere Tiere in das Revier gekommen, und Ihr hättet dasselbe Problem erneut lösen müssen. Die Wölfe sind noch immer vor Ort und am Leben. Allerdings werden sie den Frostsee nicht mehr in Eure Richtung verlassen."

    Vaters Gesichtsausdruck war sehenswert, doch er fing sich schnell wieder. "Darf ich fragen, wie Ihr das bewerkstelligt habt?"

    "Mit Magie", antwortete Amarok mit einem geheimnisvollen Lächeln. "Und mit Tarlos tatkräftiger Hilfe."

    "Im Ernst?" Eigentlich hätte ich ob Vaters ungläubiger Miene gekränkt sein müssen, aber ich hatte Mühe, ein Kichern zu unterdrücken.

    "Ja, wirklich. Ohne Tarlo hätte ich es heute nicht geschafft, und das ist die reine Wahrheit."

    "Zu dumm, dass der Junge uns nichts erzählen kann", murmelte Vater nachdenklich.

    Ich erschrak. Würde Amarok nun auch die zweite, viel überraschendere Neuigkeit verkünden?

    Doch ich hatte mich umsonst gesorgt. Er zwinkerte mir zu und sagte freundlich zu Vater: "Manche Erlebnisse wollen geteilt werden, andere wiederum bleiben besser unberichtet. Je weniger über magische Wesen und Zauber bekannt ist, desto weniger fürchten sich die Menschen. Tarlo war heute überaus tapfer und hat seine Furcht vor dem Unbekannten überwunden, um mir beizustehen. Doch ob er diese Erinnerung in seinem Herzen verschließen möchte oder ob er eines Tages bereit ist, sie jemandem mitzuteilen, müssen wir ihm überlassen."

    "Aber er ist..." Vater zögerte, sprach es dann aber doch einmal mehr aus. "Er ist dumm, zurückgeblieben. Wie soll er allein etwas von solcher Tragweite entscheiden können?"

    "Ihr täuscht Euch in ihm und seid voreingenommen", sagte Amarok ernst. "Vertraut ihm. Glaubt mir, er wird Euch nicht enttäuschen."

    "Ich weiß nicht", murmelte Vater leise und bedachte mich mit einem seltsamen Blick, der mir durch Mark und Bein ging. "Wie sehr du deiner Mutter gleichst", flüsterte er beinahe unhörbar.

    Ich errötete stolz. Dass ich meiner tapferen und mutigen Mutter gleichen sollte, war seit langem die erste Äußerung meines Vaters über mich, die mich nicht verletzte, sondern mir sogar schmeichelte.

    "Tja", Vater räusperte sich erneut, straffte sich und wandte sich wieder der Gegenwart zu. "Wollt Ihr heute Abend und über Nacht noch einmal unser Gast sein, ehrwürdiger Magier Amarok?"

    Bitte sag ja, dachte ich inständig, doch zu meiner Enttäuschung schüttelte er den Kopf. "Leider muss ich ablehnen, doch habt Dank für Euer freundliches Angebot", entgegnete er. "Ich hatte nicht damit gerechnet, so lange unterwegs zu sein, und man erwartet mich in Elteran."

    "Schade", sagte Vater mit ehrlichem Bedauern. "So gehabt Euch wohl und habt tausend Dank für Eure Hilfe."

    "Gern geschehen. Euch meinen Dank für Eure Gastfreundschaft", erwiderte Amarok. "Lebt wohl, und grüßt den Rest Eurer Familie von mir."

    "Wird gemacht." Vater wandte sich ab und wollte mir den Arm um die Schulter legen, um mich mit ins Haus zu ziehen, doch ich befreite mich mit einer schnellen Bewegung und blickte bittend zu Amarok auf. Würde er verstehen, dass ich ihn noch ein letztes Mal unter vier Augen sehen, und vor allem sprechen wollte?

    Ja, er hatte begriffen. "Erlaubt Ihr, dass Tarlo mich noch ein Stück begleitet?"

    "Meinetwegen", brummte Vater. "Aber sobald es dunkel wird, bist du hier, sonst setzt's was. Gute Reise, werter Magier Amarok." Mit diesen Worten wandte er sich von uns ab und stapfte ins Haus.

    "Kommst du?" Amarok griff nach Arnyeks Zügel und durchquerte ein letztes Mal das Hoftor, nickte dem Wachmann, der schon bereitstand, freundlich zu und führte das Schattenross auf den breiten Fahrweg, der nach Südwesten führte und ihn in die Hauptstadt bringen würde. Doch nach kurzer Zeit bog er in den schmalen Pfad ab, der zu der Höhle führte, wo wir uns zum ersten Mal begegnet waren.

    Schweigend ging ich neben ihm her und wusste nicht, wie ich beginnen sollte.

    Einmal mehr kam er mir entgegen. "Du hast es nicht leicht mit deiner Familie", sagte er, und es hörte sich ein wenig traurig an.

    Ich seufzte lediglich. Ich war ja selbst mit schuld an meiner Situation. Ich hatte Jahre lang geschwiegen und es mir dadurch gewissermaßen leicht gemacht, indem ich mir so manche Auseinandersetzung erspart hatte. Der Preis dafür war die schlechte Meinung, die sie alle von mir hatten. "Mein Fehler", flüsterte ich endlich.

    Amarok schwieg so lange, dass ich schon glaubte, er habe mich nicht gehört oder verstanden. Dann blieb er plötzlich stehen. Wir standen genau vor der kleinen Höhle. "Nicht nur deiner", seufzte er. "Weißt du schon, was du jetzt tun wirst?"

    "Nein." Ich zuckte hilflos die Achseln.

    "Ich möchte jetzt nicht in deiner Haut stecken", meinte er nachdenklich. "Aber du hast heute bewiesen, wie mutig und stark du bist. Vertrau auf dein Gefühl und höre auf dein Herz, dann wird alles gut, Tarlo."

    "Hm", machte ich und schniefte vernehmlich.

    Amarok reichte mir ein Taschentuch. "Wenn du glaubst, dass du es gar nicht mehr aushältst, komm nach Elteran. Ich glaube, du hättest das Zeug zum Magier."

    Ich schüttelte energisch den Kopf. "Kann nicht lesen", brachte ich hervor.

    "Na und?", lachte er. "Das kann man lernen. Viel wichtiger ist das Gefühl für die Magie, und das hast du heute zur Genüge bewiesen."

    Wenn er wüsste! Ich habe diese Spruchrollen nur deswegen im passenden Moment gewirkt, weil ich vorher zu feige gewesen war. Beinahe hätte ich ihn dort draußen im See sterben lassen.

    "Ich ahne, was dir durch den Kopf geht", sagte er. "Ich meine nicht die Spruchrollen. Ich meine, dass du ganz genau empfunden, oder gewusst hast, welche Art Zauber dir heute begegnet sind. Du hast begriffen, auf welche Art der Eisgolem, Sadek und ich gekämpft haben, und du hast gewusst, wann ihre Angriffe magischer oder physischer Natur waren."

    Das stimmte. Er hatte mir mit keinem Wort erklärt, wie ein magischer Kampf ablief, und doch hatte ich jeden Angriff und jede Parade intuitiv erfasst.

    "Es gibt Schüler, die mit weitaus weniger Ahnung von oder Gefühl für die Magie ihre Ausbildung beginnen", fuhr er fort. "Denk einfach darüber nach und lass dir Zeit mit deiner Entscheidung. Mit allen Entscheidungen. Es spielt keine Rolle, ob du heute mit deinem Vater sprichst oder morgen, nächstes Jahr oder nie. Und hege keine falschen Hoffnungen. Er wird dich nicht von einem Augenblick auf den anderen mehr wertschätzen, nur weil du auf einmal sprichst. Die Auseinandersetzungen zwischen euch werden nicht plötzlich aufhören. Aber du wirst ihm deutlich mehr entgegenzusetzen haben, wenn du es tust."

    Ich nickte verstehend. Vielleicht würde ich es darauf ankommen lassen. Und wenn es schief ging, hatte ich ja immer noch die Möglichkeit, ein Magier zu werden. Auf einmal fühlte ich mich leicht und unbeschwert wie seit langem nicht mehr. "Danke, Amarok", sagte ich.

    Er strahlte mich an. "Ich habe dir zu danken. Ich bin sehr froh, deine Bekanntschaft gemacht zu haben, Tarlo. Nun lebe wohl, und mögen die Götter dich allezeit behüten. Ich wünsche dir alles Glück, das du verdienst. Und vielleicht sehen wir uns ja eines Tages wieder."

    "Ja, vielleicht. Bestimmt sogar", antwortete ich. "Gehab dich wohl."

    Wir reichten einander die Hände, ein Abschiedsgruß unter Männern, oh wie stolz mich das machte! Dann bestieg er sein Pferd, winkte mir noch einmal zu und ließ es antraben.

    Ich blickte ihm hinterher, bis er mit der Dunkelheit verschmolzen war, sein Taschentuch hielt ich fest in der linken Hand. Leise lachte ich. Er hatte mir ein Pfand dagelassen. Und nicht nur das eine. In der Wolfshöhle lagen noch sein Wasserschlauch und sein Verbandszeug. Ich würde auf jeden Fall einen Grund haben, früher oder später nach Elteran zu gehen, und sei es nur, um ihm sein Eigentum zurückzubringen. Ich kroch in die Höhle, versteckte das Taschentuch bei den anderen Gegenständen und verschloss den Eingang sicher mit dem schweren Stein. Dann endlich richtete ich mich auf, wandte mich um und rannte hüpfend nach Hause.