VHP N 2 – Der andere Plane - Eine Expedition ins Ungewisse
Teilnehmer der Expedition:
Samanthara Christophori: Kommandantin der Raumfähre ESA 5
Tom Yilmaz: Ihr Stellvertreter
Vladimir Prinz: Erster Offizier
Nick Eisenhower: Zweiter Offizier
Karl Giesekind: Wissenschaftlicher Leiter der Mission
Col o´Beorth: Chef der Sicherheitsabteilung
Mark Wilson: Chef der Werkstätten
Amadeo Avogadro: Musiker und Leiter der landwirtschaftlichen Sektion
Karola Lauterbach: Chefin der medizinischen Sektion
Mario Berlustconi: Werkstattleiter
Teresa Drinkwater, Sprecherin der Echten Menschen
Mari Stadlmeier, Ken McKeene, Bogdan Swoboda, Adalbert Schröder: Sektionschefs
Betty Demaisier, Florine O´Conner: Studentinnen der Weltraumbiologie.
Ferner: Lasefünfpedrei, Hosezweidevier, Gaseeinsbeeins: Hominiden
sowie weitere Künstliche Menschen, Arbeits-, Kampf-, Reparatur-Roboter
Vorspiel auf der Erde
18. Januar 1989, Radioteleskop Effelsberg, Deutschland.
Es ist ein Uhr dreißig MEZ. Draußen, über dem großen Dome, glitzern Millionen kleiner und größerer Lichtpunkte vom klaren Nachthimmel. Darunter, in der Forschungsstation, starren zwei Radioastronomen gebannt auf einen Bildschirm.„Wann hast du es entdeckt?“, fragt der eine, ein hagerer junger Mann mit strohblonden Haaren und randloser Brille. „Gestern Abend um zehn.“ Sein Kollege ist erheblich älterer und ziemlich aufgeregt. Er schreibt gerade seine Doktorarbeit über das Thema: Die Wahrscheinlichkeit habilitabler Zonen für Hauptreihensterne der Spektralklassen F-M. Seine Augen strahlen. „Sören, das wäre die Sensation des Jahrhunderts!“, ruft er und klatscht sich begeistert auf die mageren Schenkel. Sören unterdrückt ein Lächeln. „Nicht so schnell, mein Lieber! Noch sind wir nicht sicher! Vielleicht ist es ja nur ein schnell rotierender Weißer Zwerg mit einer extrem starken Strahlenquelle.“ Karl schüttelt heftig den Kopf. „Nein, nein, Lieber! Das hier sind keine Rotationsintervalle. Ich schalte mal den Ton ein.“ Neben allerlei Knackgeräuschen waren leise, doch deutlich morseähnliche Zeichen zu vernehmen:
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„Du hast recht. Für ein schnell rotierendes Objekt sind die Signale zu unregelmäßig.“ „Ja! Und ich bin mir fast sicher: Da will uns jemand eine Botschaft senden. Möglicherweise ist es sogar ein galaktischer Hilferuf.“ „Oder eine Einladung, doch mal vorbei zu schauen.“ „Nun übertreibe mal nicht gleich. Hilferuf! Einladung! . . . Dergleichen halte ich für ziemlich unwahrscheinlich . . . Wo liegt das Objekt überhaupt?“ „Bei Gliese 181c in der Waage.“ „Entfernung?“ „Etwa 20,4 Lichtjahre.“ „Puh! Dann käme sowieso jede Hilfe zu spät, und der Sekt wäre sicherlich verschalt“, witzelte Sören. Karl berührt seinen Kollegen kameradschaftlich am Arm. „Wie dem auch sei, für deine Doktorarbeit ist diese Entdeckung allemal nützlich.“ Sören blickt eine Weile nachdenklich vor sich hin. Dann sagt er: „Ich würde weiß Gott was dafür geben, könnte diesem Planeten einen kleinen Besuch abstatten.“ Er seufzt. „Aber dafür bin ich wohl mindestens hundert Jahre zu früh auf die Welt gekommen.
. . . Tagblatt, vom 22. April 1998, Rubrik „Aus der Wissenschaft“
Nach fast zehnjähriger intensiver Forschungsarbeit ist es einem Expertenteam der Forschungsfunkstation Effelsberg gelungen, das galaktische Objekt VHP N 2 im Sternbild Waage als einen wahrscheinlich von einer technisch hochstehenden Zivilisation bewohnten Planeten zu identifizieren. VHP N 2 sendet seit etwa zehn Jahren Signale aus, die eine Botschaft enthalten und möglicherweise ein außerirdischer Hilferuf sein könnten. Die Untersuchungen haben ergeben, dass VHP N 2 zu den so genannten VH-Planeten gehört, deren Bewohnbarkeit und Ressourcenlage erheblich besser eingeschätzt wird als die auf der Erde. So ist N 2 fast doppelt so groß, er besitzt weniger Wasser – ein Umstand, der auf eine erheblich größere Landfläche hindeutet – und seine Atmosphäre enthält bis zu fünfzig Prozent Sauerstoff. Solche Himmelskörper bezeichnen die Astronomen als Very Habilitable Planets, im Kürzel VHP. Leider wird es in absehbarer Zeit nicht möglich sein, diesem freundlichen großen Bruder der Erde einen Besuch abzustatten. Das Sternbild Schwertfisch befindet sich rund zwanzig Lichtjahre entfernt auf einem Seitenast unserer Milchstraße.
*
Flugmedizinisches Institut der Europäischen Union, Dresden, 16. Juli 2099
Noch bevor sich die Klappe schloss, wusste sie, dass es ein Fehler war, an dieser Mission teilzunehmen. Es war nicht die Beengtheit der mit Elektronik vollgestopften Kapsel, die sie ins Grübeln brachte. Unter Platzangst hatte sie nie gelitten. Schon als Kind war sie gerne in dunkle Schränke oder Besenkammern gekrochen, wenn sie mit ihrem Bruder Such-Mich-Doch gespielt hatte. Es war auch keine richtige Angst. Es war vielmehr ein undefinierbares Unbehagen, das tief unten in ihren Eingeweiden hauste. Es war das durch nichts zu begründende Gefühl, dass man ihr nicht die Wahrheit gesagt hatte. Doch jetzt war es zu spät. Alle Dokumente waren unterschrieben, ein Zurück gab es nicht mehr. Niemand würde sie verstehen, und ihre Karriere als Weltraumbiologin wäre beendet, bevor sie richtig begonnen hatte. Und vielleicht war ja alles auch nur Einbildung.
„Hörst du mich, Betty? Hast du verstanden, was ich meine?“, knödelte der Lautsprecher. Die junge Frau schreckte hoch. „Was muss ich tun?“ „Du musst schauen, wie hoch du kommst und wie lange du es aushältst.“ „Wann habe ich bestanden?“ „Das wird die medizinische Untersuchung ergeben.“ „Okay! Also dann Mike, wirf die Schleuder an!“
Mike Adams überzeugte sich, dass die Tür der Kapsel fest verriegelt war und gab den beiden Raumfahrtmedizinern an den Monitoren mit den Vitalparametern, Dr. Harald Hausen und Dr. Joseph D. Jackson, das Zeichen, dass alles zur Abfahrt bereit war. Langsam setzte sich die 'Schleuder', die große Humanzentrifuge, in Bewegung.
Aber auch Bettys Gedankenkarussel begann zu kreisen. Wieder hörte sie die Stimme des MH, die sie gestern auf diesen Test vorbereitet hatte . . . Da muss jeder Astronaut durch, der sich auf einen Planeten begeben will, der erheblich massereicher ist als die Erde . . . Es hilft nichts, Betty – Verdammt, nenn mich nicht Betty, du Arschloch!, hatte sie ihn angebrüllt, doch der elektronische Ratgeber redete einfach weiter . . . Sie müssen Ihren Körper diesen Beschleunigungs-Kräften aussetzten, und nicht nur für die paar Minuten, wie es bisher üblich war, sondern mindestens eine halbe Stunde. Wir müssen wissen, wo Ihr Limit liegt. . ."
"Alles okay, Betty?“, fragte die Stimme im Lautsprecher. „Wie? Was? Aber ja doch, alles okay!“
Und wieder diese entsetzliche Kunststimme des Medizinischen Hominiden . . . Die negative Beschleunigung ist mindestens genau so hoch wie die positive, wenn nicht höher, denn manchmal muss es schnell gehen. Und wenn die Triebwerke auf vollen Gegenschub feuern, da denken Sie, Ihr letztes Stündlein hat geschlagen . . . hä . . . krr . . . krch. . . Der Kunstmensch hatte versucht zu lachen, doch dafür fehlte ihm offensichtlich die spezielle Software. Und weiter ging´s . . . Das ist keine Spazierfahrt, die Sie sich da vorgenommen haben, meine äch . . . äch . . .
Was hatte dieses Monstrum sagen wollen? Etwa „meine Liebe?“ . . . Und wieder hatte sie das Gefühl, dass ihr der Kerl etwas verschwieg. Zum Beispiel, warum diese Tortur auf dieser entsetzlichen Schleuder überhaupt nötig war. Wurde denn das Raumschiff wie eine Rakete ins All geschossen? Soweit sie wusste, war es doch eher ein behäbides Riesenrad, das langsam Fahrt aufnahm . . . Doch bevor sie dazu kam, sich weitere Gedanken zu machen, wurde ihr schwarz vor den Augen.
„Pressatmung“, vermeldete Dr. Hausen.
„Sofort runter auf 1,5 g und Druckluft geben!“, rief Dr. Hausen. „Blutmangel im Gehirn, Herzschlag unregelmäßig, Atmung krampfartig!“
„Okay!“ Die große Schleuder verlor an Schwung, und nach einer halben Minute konnte Dr. Jackson Entwarnung geben. „Zustand angespannt, aber nicht prekär.“
Forts. folgt