Die Schatten der Magie 2

Es gibt 3 Antworten in diesem Thema, welches 316 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (30. Juni 2025 um 11:37) ist von kalkwiese.

  • Ich glaube, mich hat selten etwas so viel Überwindung gekostet. Ich war vom Schreiben unheimlich frustriert. Frustriert, dass es mit meinem letzten Buch nicht besser lief, als es dann nach so langer Zeit endlich erschienen war, frustriert, dass kein Verlag Interesse an Den Schatten der Magie hatte, frustriert im Allgemeinen. Und da mich die Musik meist eher belohnt und weniger frustriert hat, war mein Schwerpunkt eher auf meinen Bands und meine Ambitionen als Schreiber sind nahezu zum Erliegen gekommen.

    Und doch hat mich diese Idee nicht losgelassen. Irgendwie glaube ich noch immer an Die Schatten der Magie, denn obwohl das Kernthema vielleicht etwas unangenehm und verfänglich ist, bin ich bis heute der Meinung, dass dieses Buch besser ist als das, das ich bereits veröffentlich habe. Und vielleicht muss die ganze Geschichte erzählt werden, um alles ins richtige Licht zu rücken und vielleicht doch noch einen Verleger dafür zu finden.

    Deshalb habe ich schon vor langem mit einem zweiten Band begonnen, verworfen, wieder neu angefangen, stecken geblieben. Aber heute Abend bin ich mit dem Prolog fertig geworden, und ich habe bemerkt, dass ich Hunger habe. Ich will das, und ich hoffe, dass ich es auch schaffen kann. Und deshalb werfe ich jetzt diese ersten vier Seiten in den Raum und hoffe, dass sie euch gefallen.

    Doch warum sollt ihr jetzt den zweiten Band einer uralten Geschichte lesen, ohne den ersten zu kennen? Tut es. Ich versuche, euch den Einstieg so einfach wie möglich zu machen. Klar kann ich nicht nebenher den gesamten ersten Band vermitteln, aber ich versuche, die Geschichte ohne das Backgroundwissen verständlich und interessant zu gestalten.

    Und deshalb verpacke ich euch einen kleinen Abriss des ersten Bandes in einen Spoiler, der euch natürlich auch hart spoilern wird. Falls ihr lieber im dunkeln tappt, lasst ihn lieber aus:

    Spoiler anzeigen

    Straßenkinder. Selten trug ein Wort so viel Leid mit sich wie dieses, war an so viel Schmerz und Elend gebunden, verfügte über so viele Schicksale und Leben. Aer schlägt sich mit den anderen Waisen der Stadt Limina auf den Straßen durch, und doch trifft ihn das schlimmste Schicksal, das einen Waisenjungen nur treffen kann - er wird von einem Magier als sein neuer Lehrling ausgewählt. Nicht von irgendeinem, sondern von Tecenis Arbor, einem kaltherzigen Meister seiner Zunft.

    Aer wird von Arbor gegen seinen Willen in seinem Turm gefangengehalten. Hier lebt der alte Magier nicht nur seine päderastischen Neigungen aus, sondern prügelt dem Jungen mit seinen sehr eigenen Methoden magisches Wissen ein. Bald schon muss Aer seinem Meister bei fragwürdigen Experimenten Hilfe leisten, und Türen mit magischen Schlössern verwehren ihm die Flucht. Doch Aer lernt eifrig, und er erfährt, dass sich auch magische Schlösser knacken lassen - eine Fähigkeit, die er sich überraschend schnell aneignet.

    Doch seine Fluchtversuche schlagen fehl, und Arbor kettet seinen unfreiwilligen Lehrling noch enger an sich. Bald begeben sie sich auf eine Reise zum Magierzirkel, dem Arbor angehört. Tief in der Wildnis hat der Zirkel eine mächtige Kreatur in ihre Welt geholt und unter ihre Knechtschaft gebracht, die sie dafür mit einem tieferen Verständnis der Magie versorgt. Doch lebende Magier müssen mit einem Blutpakt den Aswang unter Kontrolle halten, und Arbor steht in der Pflicht, seinen Lehrling dafür zur Verfügung zu stellen. Als Aer sich jedoch weigert, steht im Arbor überraschend zur Seite, und beide verlassen unverichteter Dinge den Zirkel.

    Jahre vergehen, in denen Tecenis Arbor immer gebrechlicher und Aer ein immer besserer Magier wird. Bald werden die Mittlande in einen Krieg verwickelt, aus dem sich auch Arbor nicht ganz heraushalten kann. Als sein Turm mit einer Blide beschossen wird, erkennt Aer seine Chance und hintergeht seinen Meister. Vom Geschoss der Blide zerquetscht stirbt Arbor zu Füßen seines Lehrlings, der nun auch die Stadt hinter sich lässt, die ihm so vieles zugemutet hat.

    Aber sein Verschwinden bleibt nicht unbemerkt ...

    Die Schatten der Magie 2

    Prolog


    Stunden trennten noch den Tag von der Nacht, und doch lag der tiefe Wald bereits in Dunkelheit. Die dichten Wolken eines Sommergewitters lagen drohend über dem Firmament, grollender Donner zog über die sturmgepeitschten Wipfel der alten Eichen und Buchen. Es war, als wollte Mutter Natur ein düsteres Schauspiel für jenen Abend orchestrieren, als wüsste sie, wer sich dort in der Einsamkeit der Wildnis traf.

    Und doch vermochte der strömende Regen nicht die Lampe zu löschen, die der Wanderer an einem Stab bei sich trug. Unbeirrt folgte er dem schmalen Fußpfad, die Kapuze seines Mantels tief ins Gesicht gezogen, unter der dennoch der graue Bart hervorblitzte. Er ging mit der Gemächlichkeit eines Mannes, der wusste, dass er zur rechten Zeit sein Ziel erreichen würde, keine Eile steckte in seinen Schritten, keine Not im Klacken seines Stabes auf dem Kies des Weges. Vielleicht sogar eher ein Zögern?

    Weit sah man ihn, den Wanderer, durch die Dunkelheit des Waldes, dessen alte Kinder längst von ihm Notiz genommen hatten. Er konnte sie nicht sehen, doch er spürte ihre Blicke zwischen den Stämmen, wie ihre Augen ihm folgten, als er die Böschung emporstieg. Im Tal unter ihm erstrahlten Lichter, nur um nach wenigen Sekunden wieder zu verblassen, wieder eins zu werden mit der Dunkelheit. Unruhe herrschte in den unergründlichen Tiefen des Forstes, doch der Wanderer wusste, dass sie nicht allein ihm galt. Das wäre zu viel der Ehre gewesen. Dennoch, sie wollten, dass er ihre Anwesenheit wahrnahm, sonst hätte er sie nicht so bald bemerkt.

    Kurz blieb der Wanderer stehen, stützte sich auf seinen Stab. Sollen sie doch etwas Zeit bekommen, mit seiner Anwesenheit warm zu werden. Er wusste, dass ihre Passivität nicht zu bedeuten hatte, dass sie ihn hier duldeten oder gar willkommen hießen. Im Gegenteil. Sie ließen ihn nur in Frieden, weil sie wussten, welche Gewalt jemand wie er ihnen antun konnte. Immerhin teilten sie sich ihren Wald schon seit Urzeiten mit ihr. Ein selbstmitleidiges Stöhnen entrang sich dem Wanderer beim Gedanken an seine baldige Gastgeberin.

    Vielleicht sollten wir dankbar sein, dass es noch Orte wie diesen auf der Welt gibt, dachte der Wanderer bei sich, als er seine Reise wieder aufnahm. Weit weg von den Städten der Menschen. Wer weiß, welche Kreaturen noch hier lauern, hier den letzten Rückzugsort gefunden haben. Genauso wie sie.

    Der Regen legte sich nicht, auch nicht die folgenden Stunden. Dennoch lichtete sich der Himmel genug, um dem Mond einen Blick auf die Welt zu erlauben. Die Nacht hatte ihm bereits eine schmale Kante seines vollen Gesichtes geraubt, was seiner Helligkeit jedoch kaum Abbruch tat. Weiß fing sich sein Licht im Rauch des groben Schornsteins, der aus der torfgedeckten Hütte stach wie ein Stiel aus einem verrottenden Apfel. Feuerschein drang durch die pergamentbezogenen Fenster und warf einen Kegel bis zu den Stiefeln des Wanderers, der vor der geziegelten Wand stehengeblieben war.

    Es hatte zwei Wochen gedauert, hier her zu kommen. Eine Woche auf dem Ochsenkarren einer Handelskarawane, eine Woche zu Fuß durch Dickicht, über Wildwechsel und Pfade, die nicht von Menschenhand geschaffen worden waren. All das, nur dass er hier und jetzt zögerte.

    Ich kann immer noch einfach verschwinden, dachte er bei sich und wusste schon, dass er sich nur selbst anlog. Sie hat meine Anwesenheit zweifelsohne längst bemerkt. Seufzend stieß der Wanderer mit seinem Stab auf den Boden, und das Licht der vermeintlichen Laterne erlosch.

    Ohne anzuklopfen öffnete der Wanderer die Tür. Hätte sie ihn nicht eintreten lassen wollen, so hätte sich die Türe auch nicht öffnen lassen, und Höflichkeit war nie etwas gewesen, worauf Hildr großen Wert gelegt hätte. Trotz des schweren Regens hinterließen die Stiefel des Wanderers keine Spuren auf dem gestampften Lehmboden, tropfte kein Wasser aus dem Filz seines Umhangs.

    „Ah, Fortu Seyo, der Letzte im Bunde. Wir haben schon auf Euch gewartet.“ Trotz des wärmenden Feuers war es in der Hütte dunkel, Ruß klebte an den Wänden, schwärzte den Boden. Hildr hauste noch immer wie einst die grauen Vorfahren, und in ihrer Behausung stank es, nach allem und doch nach nichts genau. Die alte Hexe war nicht groß, oder vielleicht war sie einst groß gewesen, doch die Last der Jahre hatten ihren Buckel gekrümmt. Ihr ausladender Körper unter braunem, dreckigem Stoff verlieh ihr jedoch etwas enormes, eine aufdringliche Präsenz. Vor ihrer Feuerstelle kauerte sie auf einem niedrigen Hocker, ihr zweites Paar verkürzter Beine auf ihren breiten Schenkeln ruhend. Manchmal zuckten sie unkontrolliert, diese abscheulichen Gliedmaßen, als wollten sie der restlichen Abscheulichkeit entkommen. Doch zu Fortus Überraschung war Hildr nicht allein.

    „Ich hatte nicht erwartet, erwartet zu werden.“ Ächzend ließ sich der alte Magier auf dem Hocker nieder, den Hildr ihm wahrscheinlich schon Stunden zuvor bereitgestellt hatte, nickte den beiden anderen Gästen zu. „Aber die Schleier der Zeit scheinen keine Geheimnisse mehr vor eurem Auge verbergen zu können.“

    Heiser lachte die Alte, ein lang anhaltendes Rasseln, dem dann doch nur Schweigen folgte. Ratlos musterten sich ihre Gäste, alles alte Bekannte, Fortu Seyo, Hivar Angan und Asmundar Tryggvason. Sie kannten sich noch aus den Tagen, als das Kaiserreich Kash noch offen für Schüler aus den Mittlanden war, von Al Kabesh, der großen Zauberschule. Keiner von ihnen wusste, was sie alle zur selben Zeit an genau diesen Ort verschlagen hatte – doch da Hildr ihre Finger im Spiel hatte, konnte es nichts Gutes sein.

    „Und?“, fragte Hildr mit einem ungeduldigen Schütteln ihres Kopfs. „Worauf wartet Ihr noch?“

    „Ich wüsste gerne zuerst, was das hier soll.“ Mit einem Anflug von Unsicherheit sah sich Fortu in der Runde um, blickte nur in ebenso ratlose Gesichter.

    „Das kann warten. Ihr habt etwas mitgebracht, und das ist wichtiger.“

    Wie konnte ich auch nur einen Moment glauben, dass sie nicht schon längst bescheid weiß. Resignierend griff Fortu in seine Reisetasche. Ein Bündel lag darin, und als er danach griff, spürte er das magische Geflecht darin tanzen. Zauber, die er in den Stoff eingewoben hatte, denn anders hätte er den Transport des wertvollen Guts kaum ertragen.

    Ungeduldig grabschte Hildr mit ihren schmutzstarrenden Händen danach, die Nägel lang und brüchig. Sie war alt, doch dieser Begriff bekam neue Dimensionen, wenn man ihn auf die Hexe anwandte. Vieles, was man sich über sie erzählte, mochte erdacht oder erlogen sein, doch das, was den Anschein von Wahrheit erweckte, reichte allemal aus, um Fortu eine Gänsehaut zu bescheren. Sie soll schon zu den Tagen gelebt haben, als die Menschheit nicht mehr als ein Haufen scheuer Geschöpfe war, ängstliche Schatten im Unterholz. Märchen erzählten von ihr, von der dunklen Mutter mit den zwei Gesichtern, die ihre eigenen Kinder fraß. Ja, Hildr war alt, und so war auch ihre Magie, wild und ungezämt und mächtig. Sie hatte Völker kommen und Gehen gesehen, Kulturen zerbrechen und wiederauferstehen, denn an allem nagte der Zahn der Zeit, nur an ihr nicht, und niemand wusste wieso.

    Schmutzige Fingerabdrücke auf dem Leinen hinterlassend zog Hildr den Riemen des Sacks auf. Gackernd griff die Alte hinein – und zog einen Haufen Federn heraus.

    Ein widerwärtiger Gestank schlug Fortu ins Gesicht wie eine Faust. Würgend warf sich der Magier zur Seite, sah aus dem Augenwinkel, dass seine Mitgäste es ihm gleichtaten. Dabei war er selbst ja vorbereitet auf das, was nun auf sie zu kam.

    Fast schon zärtlich hob Hildr den Kopf der toten Krähe an. „Da habt Ihr Euch aber Zeit gelassen, mein Guter.“

    „Ich habe sie kurz nach dem Verenden entdeckt und sie als die Eure erkannt. Ihr seid nun einmal auch nicht einfach zu erreichen.“ Wieder schüttelte ein Würgen den Körper des Magiers, als die Hexe ihre Fingernägel durch den Körper des Vogels drückte. Es schien, als würde das faulende Fleisch der Krähe keinen Widerstand gegen Hildrs Finger leisten. Ohne einen Anflug von Ekel riss Hildr einen Knochen aus der Brust des Vogels und legte ihn sich auf die Zunge.

    „Ein Heer steht vor den Toren Liminas, eine unglaubliche Streitmacht. Sie haben Katapulte aufgestellt.“ Der Blick der Alten war in weite Ferne gerückt, als sie eine weitere Rippe aus dem Brustkorb des Kadavers riss. „Sie tragen das Wappen Telepters, manche auch das Wappen des Kaiserreichs von Kashs. Diese braven Hunde.“ Nach und nach verschwanden die Knochen des Vogels in Hildrs Mund, doch nie sah Fortu sie schlucken, so als lösten sie sich auf, sobald die Hexe die Lippen schloss. „Sogar die vier Patrone Telepters ziehen mit in die Schlacht, wie Äffchen an Marionettenschnüren.“ Gackernd lachte Hildr, während sie einen Oberschenkel auslöste. „Wie lächerlich. Als würde man eine Meute Bluthunde eine fußlahme Katze jagen lassen. Ein reines Massaker.“

    „Ich kann Eure Belustigung nicht ganz teilen“, warf Hivar Angan ein. „Wir leben nicht wie Ihr in der Wildnis. Fallen die Mittlande unter die Herrschaft Kashs, ist es zu Ende mit unserer Unabhängigkeit. Das Kaiserreich wird keine Magier dulden, die sich nicht seiner Herrschaft beugen.“

    Verächtlich schnaubte die Alte. „Ihr habt es alle kommen sehen und doch nichts getan. Ihr hattet genug Zeit, Euch eine neue Heimstadt zu suchen. Aber Ihr seid Euch zu fein, die Vorzüge der Stadt zurückzulassen, die weichen Betten, das gute Essen. Ihr suhlt Euch in der Bewunderung dieser Würmer, Ihr könnt schon nicht mehr ohne sie.“

    „Diese Worte erinnern mich unangenehm an einen anderen Magier.“ Die Schärfe seines Tons überraschte Fortu selbst. „Sie könnten aus dem Mund von Tecenis Arbor stammen.“

    „Das klingt, als wäre es eine Schande!“ Ächzend riss die Hexe einen Flügel aus, trennte Fleisch von Knochen. „Arbor hat mehr Verstand in seiner Arschfalte als ihr alle zusammen!“

    „Und weil Ihr so viel von ihm haltet, lasst ihr ihn von euren Raben beschatten.“ Hivar Angan kämpfte sichtlich mit seinem Brechreiz, als er jene Worte zwischen seinen Zähnen herauspresste.

    „Gerade weil ich viel von ihm halte. Arbor ist gefährlich, und es lohnt sich, ihn im Auge zu behalten.“

    „Die Fomori in Eurem Wald führen sich eigenartig auf“, versuchte Fortu das Thema abzulenken. Tecenis Arbor war für ihn immer ein Buch mit sieben Siegeln gewesen, sieben äußerst unangenehmen Siegeln. Zweifelsohne ein begnadeter Magier, doch ein äußerst unangenehmer Mensch – einschüchternd. „Ich spürte ihre Präsenz so deutlich, als wollten sie sich nicht vor mir verbergen.“

    „Die Kinder des Waldes versammeln sich, ja.“ Noch immer puhlte Hildr gedankenverloren an den Knochen ihres Spähvogels. „Sie hecken irgendetwas aus. Es ist lange her, dass ich sie so aktiv gesehen habe. Sehr lange.“

    „Habt Ihr denn keine Vermutung, was sie vorhaben?“, hakte Fortu nach. „Hat es etwas mit dem Krieg zu tun?“

    „Vielleicht. Aber dann spielt er nur eine Randrolle. Die Fomori interessieren sich nicht für die Politik der Menschen, sie verstehen sie auch nicht. Wie wir die Dinge regeln, ist ihnen fremd. Was nicht heißt, dass sie die Lage nicht für sich ausnutzen werden.“ Ein Flügelknochen landete im eingefallenen Mund der Alte – die plötzlich erstarrte.“

    „Sie haben … ich glaube es nicht.“ Ein weiterer Knochen, so hastig, dass noch Federn daran klebten. „Sie haben Arbors Turm getroffen! Mit einem Felsen aus einer Blide!“

    „Unmöglich, das hätte Arbor nie zugelassen!“, entfuhr es Hivar Angan.

    „Er wurde hintergangen! Jemand war bei ihm im Turm.“ Knurrend schob sich die Alte die restlichen Knochen in den Mund. „Da! Sein verdammter Lehrling, er verlässt den Turm!“ Kurz meinte Fortu Trauer im Gesicht der Hexe zu sehen, doch das konnte nicht sein. Hildr hatte schon lange jedes Mitgefühl aus sich selbst verbannt.

    „Er hatte immer eine Schwäche für junge Knaben, aber an dem da hat er einen ungesunden Narren gefressen. Ich habe ihn immer für klüger gehalten. Man hängt sein Herz nicht an etwas so unzuverlässiges wie einen anderen Menschen.“ Weit öffnete Hildr ihren Schlund, um mit dem Schädel des Raben seine letzten Informationen in sich aufzunehmen. „Arbor ist tot, zerquetscht von einem Stein, ermordet von seinem eigenen Schüler.“

    Ein Schauder zog über Fortus ganzen Körper, und sein Entsetzen konnte er in den Gesichtern seiner Zunftgenossen wiederlesen. Nicht, weil sie Arbor gemocht hätten, nicht, weil sein gewaltsamer Tod sie schockierte. Nein, Arbors Tod hatte weitreichende Konsequenzen.

    „Und dieses Ding, das sie in unsere Welt geholt haben? Dieser Aswang?“ Fortu hatte nicht zum Zirkel der Magier gehört, die einst den dunklen Weisen aus dem Imaginarium gerufen und unter ihre Knechtschaft gezwungen hatten, dafür war er noch einige Jahre zu jung gewesen. Auch hatte man ihn nie offiziell eingeweiht, doch der Zirkel des Ketars hatte sich überraschend dilettantisch angestellt, ihr Geheimnis zu wahren. Fortu wusste nicht, wer alles von dem Ungeheuer wusste, doch wer hätte sie schon aufhalten sollen? Der Aswang hatte den Zirkel des Ketars mit Wissen versorgt, das sie auf keine andere Art hätten bekommen können, und Fortu konnte sich gut vorstellen, dass viele seiner Zunftgenossen insgeheim gespannt auf dieses Wissen gewartet hatten. Doch jetzt war der mächtigste Magier des Ketars tot – und die Siegel, die den Aswang hielten, bedeutend lockerer.

    „Wenn der Aswang frei wäre, wüssten wir davon. Noch können die verbliebenen Magier ihn unter Kontrolle halten, selbst ein einzelner von ihnen müsste für ein paar Tage durchhalten können. Aber wer weiß, wie lange der Rest noch am Leben ist?“ Jetzt griff die Alte in ihren Mund, und zwischen ihren grauen Zähnen holte sie ein Ei hervor. Wie selbstverständlich legte sie es in ein Nest, das sie mit ihrer unheimlichen Einsicht in die Vorgänge dieser Welt schon bereitgestellt hatte. Das war der Pakt, den sie mit ihren Raben geschlossen hatte, Unsterblichkeit durch Wiedergeburt, für den Preis, dass sie Nachrichten in ihren Knochen trugen.

    „Und was sollen wir tun?“, warf nun Asmundar mit seinem unverkennbaren Dialekt ein. „Dafür sind wir doch hier, oder nicht? Um etwas zu tun.“

    „Der Aswang darf nicht entkommen. Einmal außer Kontrolle vermag es wahrscheinlich niemand, ihn wieder in seine Fesseln zu werfen.“

    Asmundar räusperte sich. „Ich hoffe doch, ihr erwartet nicht von uns, uns selbst an diesem Pakt zu beteiligen.“

    „Für so töricht halte ich Euch nicht, sonst hätte ich euch längst dazu überredet.“ Gackernd lachte die alte Hexe. „Nein. Und trotzdem ist jetzt Zeit, unseren Teil des Kuchens einzufordern. Wir können am Wissen des Aswangs teilhaben, ohne uns selbst durch den Pakt in Gefahr zu bringen. Die Magier des Ketars werden Arbors Lehrling in die Finger bekommen wollen – immerhin weiß er schon von der Existenz des Aswangs, und diese Einfaltspinsel glauben ja noch, dass außerhalb ihres Zirkels niemand bescheid weiß. Sie werden wollen, dass er Arbors Platz einnimmt. Doch wenn wir ihn zuerst finden, können wir jeden Preis nennen, und sie werden bereitwillig bezahlen.“

    Das war klar, dachte sich Fortu. Das ist die Art, wie sie Dinge angeht. Allein auf ihren Vorteil bedacht, rücksichtslos, und das noch, ohne sich selbst die Finger schmutzig machen zu müssen.

    „Und wir sollen diesen Lehrling für euch finden?“ Der Gedanke beunruhigte Fortu. Wer es fertig brachte, Tecenis Arbor zu töten, musste unheimlich gefährlich sein. Aber neben Hildrs Eigensucht erkannte Fortu auch, dass es schlauer war, den Jungen in ihre Gewalt zu bekommen. Wer weiß, wer noch nach dem Zauberlehrling suchte und gegebenenfalls noch schlimmere Absichten mit ihm hatte?

    „Genau. Findet ihn! Versucht nur, keinen der Magier vom Ketar zu töten. Wir müssen den Untergang der Menschheit ja nicht provozieren.“

    „Ich weiß nicht einmal, nach wem ich suchen soll!“, begehrte Asmundar auf. „Ich habe diesen Jungen noch nie gesehen, wir wissen nichts über ihn. Das ist unmöglich.“

    „So gut wie niemand weiß etwas über ihn“, erwiderte Hildr genervt. „Aber ihr armen, erbärmlichen Scheißer habt ja mich, der euch mit Informationen füttern kann wie ein Kind mit Honig! Ich habe meine Mittel und Wege, und wenn ihr mir … mir noch einen Moment gebt …“ Grübelnd rieb sich Hildr die Stirn. „Dann fällt mir auch sein Name ein.“ Ein paar Sekunden dachte die Alte nach, und plötzlich leuchteten ihre Augen auf.

    „Ja, bringt in mir. Bringt mir Aer!“

    Magie hat etwas einzigartiges: Sie berührt alle Sinne. Sie ist wie ein Geruch, der sich nicht wirklich wahrnehmen lässt, wie Sand, der durch Fingerrillen rinnt. Sie ist ein Geschmack auf der Zunge, der sich nicht benennen lässt, und wie ein Lied, dessen Melodie einem nicht im Kopf bleiben will.
    So lernte Aer die flüchtigste aller Künste kennen: Das Weben von Zaubern, das Formen der Magie.

    Die Schatten der Magie

    Einmal editiert, zuletzt von Myrtana222 (2. Juli 2025 um 20:21)

  • Hallo Myrtana222 , ich werde natürlich auch wieder dabei sein, habe ja schon so lange darauf gewartet, zu erfahren, wie es mit Aer weitergeht.

    Spoiler anzeigen

    Nur für den Fall, dass du den Titel behalten willst: Es gibt inzwischen ein Buch, das den Titel "Schatten der Magie"trägt.

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

    ___________________

  • Tariq Ah Shit. Okay, im Großen und Ganzen war das immer ein Arbeitstitel, weil Die Schatten der Magie schon etwas aussaglos ist. Da muss etwas neues her.

    Freut mich, dass du dabei bist!

    Magie hat etwas einzigartiges: Sie berührt alle Sinne. Sie ist wie ein Geruch, der sich nicht wirklich wahrnehmen lässt, wie Sand, der durch Fingerrillen rinnt. Sie ist ein Geschmack auf der Zunge, der sich nicht benennen lässt, und wie ein Lied, dessen Melodie einem nicht im Kopf bleiben will.
    So lernte Aer die flüchtigste aller Künste kennen: Das Weben von Zaubern, das Formen der Magie.

    Die Schatten der Magie

  • Beitrag von HermiSin (2. Juli 2025 um 19:25)

    Dieser Beitrag wurde von Chaos Rising aus folgendem Grund gelöscht: Beiträge bitte mit Inhalt versehen ;) (2. Juli 2025 um 20:06).