Alles endet hier
Lange habe ich darüber nachgedacht, was ich fühle. Im allgemeinen und für manche Personen und wenn ich könnte, wäre ich über das Ergebnis des Nachdenkens erschüttert gewesen. Ich fühle nichts. Für niemanden. Alles in den letzten Monaten war falsch. So falsch, denn ich habe nicht nur die anderen belogen, sondern auch mich selbst. Ich habe geträumt und bin in dieser Traumwelt geblieben, ohne zu merken, was außerhalb derselbigen passiert. Manche würden jetzt behaupten, ich wäre deprimiert, aber das bin ich nicht. Mir ist lediglich alles egal geworden.
Alles ist eine Lüge. Ich lächle, ohne Grund. Lächle, wenn ich eigentlich leiden sollte, damit niemand jemals etwas von meinem zerstörten Inneren sieht.
Zerstört.
Ja, ich bin zerstört und das schon lange. Ich bin völlig kaputt und doch kann ich nicht aufhören zu lächeln. Vielleicht ist das einfach nur eine Angewohnheit. Warum sollte ich auch weinen. Und vor allem, für und um wen sollte ich weinen?
Ich habe darüber nachgedacht wie man wohl geht, was danach passiert, wie es sich anfühlt.
Einmal sah das scharfe Küchenmesser sehr verlockend aus, doch meine Eltern waren daheim.
Den Gedanken, mich zu ritzen, hatte ich damals verworfen. Das würde eine zu große Sauerei machen. Also überlegte ich weiter. Im Mittelalter hatte man Hexen erhängt oder verbrannt.
Manche nannten mich Hexe, sollte ich dem nachkommen?
Ich wollte nicht durch Flammen sterben, doch erhängen wollte ich mich auch nicht.
Ich wollte keine Schmerzen haben, wollte doch bloß spüren wie es wäre, wenn einem auch die Seele entgleitet und ich wählte…
Die Brücke.
Nun stehe ich also allein mit meinem zerbrochenem Ich auf der Brücke, lasse den Wind durch meine Haare wehen und schaue mir den Sonnenuntergang an.
Ich wollte, ich könnte schreien, aber ich kann nicht. Ich wollte, ich könnte weinen, doch auch dies bleibt mir verwehrt.
Die Sonnenstrahlen spiegeln sich im Wasser unter mir und tauchen alles in ein frohes Farbenspiel aus Rot-, Gelb- und Orangetönen. Meine Hände liegen locker auf dem Brückengeländer. Mein Herz schlägt ruhig. Ich lausche auf den Takt und atme genüsslich die kühle Luft ein.
Dann bin ich bereit. Ich sehe ein letztes Mal zurück, doch auch diesmal steigen keine Gefühle in mir hoch. Meine Hände umschließen fest das Geländer und ich hiefe mich hinauf, stehe dort oben und versuche meine Balance zu halten.
Ich drehe mich vorsichtig um, atme noch einmal tief ein und halte meine Arme gekreuzt vor der Brust. Mein Herz schlägt immer noch ruhig, denn ich habe keine Angst. Dann lasse mich nach hinten fallen und sehe wie sich der Himmel und der Brückenrand schnell von mir entfernen, spüre für einen ewig erscheinenden Augenblick wie es sich anfühlt zu fliegen und genieße wie die Luft an mir vorbei zischt. Mein Körper dreht sich leicht beim Fallen und als mein Rücken auf der Wasseroberfläche aufprallt, bleibt mir für einen Moment die Kraft mich zu bewegen weg. Sterne tanzen vor meinen Augen. Das kühle Nass umschließt mich, während ich langsam tiefer sinke. Instinktiv will ich wieder hinauf schwimmen, um zu atmen, doch halte ich mich davon ab. Ich öffne meinen Mund, stoße die noch vorhandene Luft aus und atme Wasser ein. Freiwillig atme ich mehr und mehr Wasser in meine Lungen, bis ich spüre, dass es weh tut. Dann schließe ich meine Augen und gebe mich der Ruhe und der Strömung des Wassers hin.
Meine letzten Gedanken sind, dass ich nichts bereue. Auch wenn die letzten Monate und alles, was ich sagte fast nur aus Lügen bestand, waren sie trotzdem wertvoll.
Einzig und allein eines fehlt. Und das bist Du.
Du hast gesagt, du würdest mit mir fallen, doch du bist nicht hier.
Jetzt umfängt mich die süße Dunkelheit allein.
Dunkelheit