Die geborenen Hüter [Arbeitstitel]

Es gibt 156 Antworten in diesem Thema, welches 33.598 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (6. April 2014 um 23:39) ist von Alopex Lagopus.

    • Offizieller Beitrag

    „Armel...“, schrie ich und er drehte sich um. Mit langsamen Schritten lief ich auf ihn zu und ließ somit den farbigen Horizont hinter mir.
    „... Du hast etwas vergessen!“
    „Ich besitze nichts mehr. Was sollte ich vergessen haben?“, rief er zurück und ich näherte mich ihm immer mehr. Das Seitenstechen zwang mich fast in die Knie, aber der Schmerz musste warten. Als ich vor ihm stand beugte ich mich nach vorn und rang nach Luft. Ich musste kurz meine Hände auf meinen Knien abstützen, während er fragend zu mir runter sah.
    „Du hast mich vergessen. Ich komme mit dir.“, schnaufte ich und hielt mir meine rechte Seite.
    „Dia, ich gehe nicht angeln. Das ist zu riskant. Geh zurück!“
    „Nein. Ich weiß, dass es gefährlich werden könnte und das ist mir bewusst. Aber ich kenne da so einen Kerl, er ist ziemlich groß und kräftig, allerdings braucht er oft eine Krankenschwester, Köchin und Haushälterin, der sorgt schon dafür, dass mir nichts geschieht.“
    „Dia, ich...“
    „Ich weiß, das du nicht weißt wie das alles werden wird, aber du kannst jede Hilfe gebrauchen, die du bekommen kannst. Ich könnte deine Augen und Ohren sein. Mein Gesicht ist unbekannt, meine Name taucht nirgends in der Stadt auf und ich kann mich ausweisen. Lass mich dir ein letztes Mal helfen, bitte.“
    Armel überlegte und schaute sich nervös um. Ihm gefiel es nicht, dass er mich dort mit hinein zog, aber andererseits konnte er etwas Hilfe wirklich gut gebrauchen. In der Stadt kannte man ihn, zumindest in den Protektor Kreisen und sein Name wäre umgehend registriert worden. Ich jedoch war ein unbeschriebenes Blatt. Ich konnte zu jedem Kontakt aufnehmen, ohne dass jemand Verdacht schöpfte. Somit war meine Superkraft, für ihn, die Unsichtbarkeit.
    „Warst du schon mal in der Stadt?“
    „Eh,.. Nein!“
    „Gut, schön... Aber du wirst tun was ich dir sage! Du wirst es nicht hinterfragen oder verneinen. Wenn ich sage – Lauf – dann läufst du. Wenn ich sage – Schieß – dann schießt du!“
    „Schießen?“, wiederholte ich skeptisch.
    „Wer weiß was passiert. Ich will nur vorab alle Eventualitäten abklären!“
    „Gut ich tue was du sagst. Laufen, schießen, rennen, ist gebongt.“
    „Ich glaub es nicht...“, stöhnte er und lief weiter.
    „Was ist denn?“
    „Ich glaube es nicht, dass ich dich wirklich mitnehme. Steht in der Bibel nicht irgendwas davon, dass man nicht töten soll oder so... Damit du dir das nochmal anders überlegst.“
    „Das steht da schon, nur heißt es auch; Und wenn der falsche Zeuge hat ein falsches Zeugnis wider seinen Bruder gegeben, so sollt ihr ihm tun, wie er gedachte seinem Bruder zu tun, dass du das Böse von dir wegtust, auf dass es die andern hören, sich fürchten und nicht mehr solche böse Stücke vornehmen zu tun unter dir. Dein Auge soll sie nicht schonen; Seele um Seele, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß. - Also wenn ich das richtig interpretiere, helfe ich nur einem Bruder die Gerechtigkeit wieder herzustellen und das mit allen Mitteln. Die Bibel ist da sehr gespaltener Meinung und oft grausamer, als man das jemals umsetzten würde.“
    „Kannst du das Ding etwa auswendig?“
    „Vielleicht...“, lachte ich und folgte ihm.

  • Obwohl mir der Fortgang der Geschichte sehr gefällt, fragt sich eine kleine Stimme im Hinterkopf, warum Gretchen zu Hause bleibt und auf Dias Haus und die Tiere aufpasst. Wenn Dia Armel schon helfen kann, weil sie ein "unbeschriebenes Blatt" ist und niemand sie sucht, wie groß müsste dann erst die Hilfe Gretchens sein - sie ist ein unregistrierter, nicht bekannter Protektor mit feurigem Temperament. 8o
    Bisher wurde Gretchen wegen ihrer Fähigkeiten ausgegrenzt - es würde ihr bestimmt gut tun, diese blöde Dorfgemeinschaft zu verlassen und sich auch mal als Protektor richtig austoben zu können. Wäre jetzt meine Idee (ich mag Gretchen :D ).
    :stick: Wie wärs denn?? :)

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

    • Offizieller Beitrag

    Armel wollte ja überhaupt niemanden mit herein ziehen. Auch wenn Gretchen die Kräfte hat, kennt Armel sie ja kaum. Wäre etwas komisch, wenn du eine "fremde" Frau fragen würdest,.. "Hey, ich leg mich mit unserem Bezirk an, und einem Drogenkastell,... machste mit?!"
    Dia ist ihm ja nachgelaufen aaaaaaaaber es ist ja nicht so, als ob ich das nicht bedacht hätte,... ;) Daran hab ich ja auch gedacht. Muhahahahaha

    Als freiwilliger Tipp:

    Spoiler anzeigen

    Gretchen wird später ganz dringend im Dorf gebraucht! Da kann sie dann zeigen, was für eine Art Protektor sie ist!

    • Offizieller Beitrag

    Kapitel 5
    Sieh weg, Gott


    Wir liefen solange uns unsere Beine trugen oder anders gesagt, solange mich meine Beine trugen. Es kam der Moment, da hinkte ich nur noch hinter ihm her und er hatte Mitleid. Seine körperliche Fitness stand außer Frage, meine beruhte auf mangelhaft, höchstens ausreichend. Die Stadt war nur etwas mehr wie eine Autostunde entfernt, allerdings belief sich die Entfernung auf ein Auto, nicht zu Fuß. Deshalb brauchten wir natürlich fast einen ganzen Tag für die Strecke. Der Morgen graute schon, als wir ein einsames Motel erreichten. Typischerweise blinkten nur noch wenige Lichter im Reklameschild und seriös sah anders aus. Nur ein paar Fahrzeuge standen auf dem Parkplatz und die Rezeption war noch oder wieder beleuchtet. Wir liefen zusammen hinein und eine elektronische Klingel ertönte. In dem kleinen Vorraum hing eine Kamera, die ein Abbild von uns auf einen Bildschirm hinter dem Tresen warf.
    „Guten Morgen.“, ertönte es von einer älteren Dame dahinter. Sie war gerade so groß, dass sie uns vor dem Tresen sehen konnte und trug einen extrem hochgebundenen Dutt.
    „G-Guten Morgen.“, stotterte ich und sah mich währenddessen um. Armel lief gleich auf sie zu.
    „Was kann ich für das junge Paar tun?“
    „Oh, wir sind kein Paar, wir sind nur...“, versuchte ich zu erklären, aber man ließ mich nicht.
    „Schon gut. Kein Paar, nur Kunde und Dienstleister. Wir hätten da noch ein Doppelbettzimmer mit Bad, Frühstück kostet extra.“
    „Das nehmen wir und das Frühstück brauchen wir nicht, das verschlafen wir ohnehin.“, antwortete Armel und nahm die Schlüssel entgegen, während ich verdattert meine Karte hinhielt.
    „Auch gut..“, wiegelte sie uns schnell ab.
    „Ich bin aber auch keine Nutte...“, stellte ich klar, als sie mir meine Karte wiedergab.
    „Natürlich.“, murmelte sie und sah auf ihre Zeitschrift, die sie prompt wieder zur Hand nahm und sich darin vertiefte.
    „Ich bin keine...“, maulte ich und Armel nahm mich am Arm und führte mich aus der Rezeption.
    „... Nutte! Hätte eine Prostituierte vielleicht eine Kreditkarte?“, keifte ich weiter, bevor die Tür zu fiel.
    „Reg dich doch nicht auf. Ist doch egal was sie von dir denkt. Du weißt es doch und nun komm.“, belehrte mich Armel und er kannte sich ja immerhin mit falschen Verdächtigungen aus und war geübt darin, solche Dinge hinzunehmen. Ich hingegen wollte nicht, dass man etwas falsches dachte. Wobei ich für eine leichte Frau in erster Linie völlig falsch gekleidet gewesen wäre. So hätte ich keinen Umsatz gemacht, in einfacher Alltagskleidung, ungeschminkt und mit zerzausten Haaren. Da hätte schon Armel die Nutte sein müssen, was auch logischer gewesen wäre, da ich das Zimmer bezahlt hatte.
    Unser Zimmer war im Erdgeschoss, Zimmernummer 34. Armel schloss auf und schaltete das Licht an. Die Zimmer waren so wie es von außen den Anschein hatte. Die Tapete hing halb von den Wänden und die Betten sahen aus, als würden sie gleich davonlaufen. Es roch nach Nikotin, Alkohol und noch ein paar Dingen, die ich nicht auszusprechen wagte. Armel schmiss seinen Rucksack vor das Bett und schaltete umgehend den Fernseher an.
    „Du darfst es der alten Dame nicht übel nehmen. Die häufigsten Übernachtungsgäste, die hierher kommen, sind gelangweilte Ehemänner, die sich etwas Spaß versprechen.“
    „Und lass mich raten,... Das nicht mit ihren Ehefrauen!“, antwortete ich wenig überrascht und warf meinen Rucksack neben seinen.
    „Kommt bestimmt auch vor, aber nicht so häufig wie die andere Variante.“
    Ich schmunzelte abfällig und setzte mich auf die Bettkante. Eigentlich wollte ich mich nicht einmal zurücklehnen, aber ich war müde. Er setzte sich neben mich und wir beide ließen uns auf die staubige Matratze fallen, die mit einer einzigen Decke bedeckt war, welche nach alten Mottenkugeln roch.
    Wir beide starrten an die Decke, hörten den Fernseher im Hintergrund und schnauften beide gleichzeitig in die Stille.
    „Darf ich dir eine persönliche Frage stellen?“, fragte ich.
    „Wie persönlich denn?“
    „Musst ja nicht darauf antworten, wenn du nicht willst. Aber mich würde schon interessieren wie man mit einer Frau 7 Jahre zusammen sein kann, verlobt war und doch niemals geheiratet hat.“, sprach ich die Dinge seiner Vergangenheit an, wo wir schon bei Ehemännern waren.
    Armel überlegte.
    „Vielleicht wussten wir beide, dass es eigentlich keine Zukunft hatte. Sie kam auch aus guten Hause, mit Hochschulabschluss, eine studierte Juristin und ich ein Protektor, der meist dazu da war die groben Arbeiten zu machen. Als ich dann noch unter Drogen zurückkam, sah sie wohl ihre Zukunft gefährdet.“
    „Du meinst ihre Karriere?“
    Er nickte und drehte sich zu mir.
    „Manchmal belassen wir Dinge aus purer Gewohnheit so wie sie sind, ohne darüber nachzudenken oder zu sprechen. Wir dulden den Umstand, ignorieren die Zeichen, dass es nicht passt, nur um nicht allein zu sein. Aber es benötigt nur einen Funken, um dann doch eine Entscheidung zu treffen!“
    „Verstehe...“, murmelte ich.
    Das musste der Zeitgeist sein. So hätte ich nicht leben können. Zu wissen, dass man sich eigentlich nicht viel zu sagen hat oder gar ein Kompromiss ist.
    „Du darfst nicht falsch über sie denken. Sie gehört einfach zu einer anderen Spezies Mensch, aber eigentlich ist sie ganz nett.“, dementierte er und was war das denn Bitteschön für eine Wortwahl – ganz nett – ganz nett war dieses Motel.
    „Fällt einem nicht leicht, aber ich werde es versuchen.“, log ich, denn versuchen würde ich gar nichts. Diese Frau war mir egal, aber interessiert hatte es mich schon. Aber durch seine Erzählungen wurden ganz andere Fragen in mir wach. Ich wusste über ihn nichts, was sein Leben als Protektor anging. Ich wusste allenfalls das er einer war, bis zu diesem Zeitpunkt. Abgesehen davon, dass er eine immense Körperkraft besaß, konnte das noch nicht alles gewesen sein. Immerhin erzählte er doch nicht unbeabsichtigt von Aktionen und Reaktionen des Körpers, wenn er nicht selbst betroffen war.
    „Was für eine Art Protektor bist du eigentlich?“, hakte ich deshalb nach und er wendete sich wieder der Decke zu.
    „Welche Art? Wie ich sagte, der Mann für´s Grobe. Mein Knochenbau und meine Kraft erlaubt es mir Wege zu schaffen, wo keine waren. Ich zog Gegner auf mich und deckte anderen den Rücken, also eine Mischung aus Verteidiger und Angriff.“
    „Knochenbau?“, wollte ich es jetzt ganz genau wissen. Er schmunzelte und sah mit erhobener Braue wieder zu mir.
    „Willst du es wirklich wissen? Denn es könnte einiger deiner Überzeugungen widerlegen.“
    Ich nickte. Wie sehr hätten sie schon noch widerlegt werden können. Meine Überzeugungen taumelten ohnehin schon mehr in der Luft herum, als dass ich sie noch hätte immer wieder stützen können.
    „Na schön. Eigentlich wuchs ich ganz normal auf. Ging zur Schule, machte meinen Abschluss und wollte danach in das Import – Export Geschäft meines Vaters einsteigen. Ich war schon immer ein großes Kind, nicht größer oder stärker als alle, aber doch über dem Durchschnitt. Als ich älter wurde änderte sich das aber. Mit zunehmenden Alter wurde ich stärker, konnte mir Achtzehn schon einen Kleinwagen anheben, aber meine Mutter sagte zunächst nichts. Sie schwieg, obwohl sie eine Ahnung bekam, was passieren würde. Mit knapp zwanzig fing an ein Körper zu schmerzen und ich kam ins Krankenhaus. Es wurden Wucherungen an meinen Knochen festgestellt, die Aufgrund der Unerfahrenheit erst für tumorartige Gebilde gehalten wurden. Sie operierten mich, aber konnten keines der seltsamen Rückstände auf meinen Knochen entfernen. Sie wuchsen in rasender Geschwindigkeit und überzogen bald mein Skelett und meine Kraft steigerte sich, genauso wie mein Körpergewicht, deshalb komm ich dir so schwer vor.“
    „Und was ist das an deinen Knochen?“
    „Man nennt es Lonsdaleit. Es ist eine auf Graphit bestehende Verbindung, die durch sehr hohem Druck und Hitze eigentlich zu einem diamantähnlichen Gestein wird. Es ist nur härter als ein Diamant. Natürlich kommt es in Meteoren vor. Durch den Eintritt und Aufschlag, beispielsweise auf unserem Planeten, werden die Bedingungen dafür gegeben. Mein Körper bildete es, um meine Knochen stabiler zu machen, damit sie nicht brachen, bei den Dingen, die ich stemmen kann. Es ist mein persönlicher Kampfanzug unter der Haut, was aber nicht heißt, dass ich unverwundbar bin. Durch meine Schädeldecke schießt man zwar nicht, aber trifft man andere Organe oder verletzt mich ausreichend sterbe ich wie jeder andere und das hat man ja wohl gesehen.“
    „So ist das also. Und was soll da jetzt meine Überzeugungen mindern?“
    „Wenn meine Knochen mit etwas überzogen sind, was unter anderem aus dem All stammt. Wo ist da noch Platz für Gott?“
    Endlich verstand ich seine Abneigung wirklich. Das war natürlich etwas, worauf auch ich keinen Vergleich oder Bibelvers kannte. Ich konnte es nur darauf beruhen belassen, das es war wie es war. Wir Menschen sind viel zu klein, um alles zu verstehen und sollten es auch nicht versuchen.
    „Versuch jetzt zu schlafen.“, riet er mir und ich schaufelte mich weiter auf das Bett. Langsam hatte ich mich an den Geruch gewöhnt und redete mir ein, dass ich später immer noch schnell Duschen konnte. Allerdings hatte ich die Befürchtung, dass das Wasser dort genauso war wie das ganze Motel. Rostiges Brackwasser und ich schüttelte mich schon, ohne es genau zu wissen.
    Armel schaffte sich auch unter die Decke genauso wie ich und wir beide lagen da. Teilten die Decke fast auf den Zentimeter genau und starrten wieder mal an die Decke.
    „Schon komisch dazuliegen, schweigend unter einer Decke, in einem Bett...“, unterbrach ich die Stille und er schmunzelte.
    „Ach, daran bin ich gewöhnt, ist fast wie zuhause.“

    • Offizieller Beitrag

    Ein stoßhaftes Lachen kam über meine Lippen, obwohl der Umstand eigentlich traurig war. Mutig wendete ich mich ihm zu und drehte mich auf die Seite. Unter meinem leisen Lachen schloss ich die Augen und schlief schon bald ein.
    Lange währte der Schlaf jedoch nicht. Gegen Mittag wurde ich geweckt, von einem Pusten, was gegen meine Stirn traf.
    Als ich meine Augen öffnete, sah ich Armel an, der verzweifelt versuchte mein Haar aus seinem Gesicht zu bekommen. Zudem spürte ich in meinen Mundwinkeln, dass ich wieder einmal peinlicher Weise im Schlaf gesabbert hatte.
    Ich hing mit meinem Oberkörper fast auf ihm, was nicht schlimm war, denn diese unbeabsichtigte Nähe wurde von meiner seltsamen Schlafweise überschattet. Mit meiner Hand fuhr ich mir durch mein Gesicht und rieb mir in den Augen.
    „Du bist schlimmer als dein Hund. Du riechst nur besser.“, murmelte er.
    „Von wem glaubst du hat er das...“
    Ich krabbelte aus dem Bett und nahm meinen Rucksack zur Hand. Eine schnelle Dusche konnte wirklich nicht schaden und außerdem wollte ich den Geruch loswerden. Zu meiner eigenen Überraschung kam sauberes Wasser durch den Hahn und es war sogar warm. Allerdings sah das Bad nicht einladend aus, also beeilte ich mich, bevor ich mir undefinierbare Krankheiten einfing. Die Fliesen hatten fast alle Risse und dunkle kranzartige Schatten schmückten die restlichen tapezierten Wände. Kalk hatte sich an den Armaturen und an der Duschwand festgesetzt, wobei ich glaubte gesehen zu haben wie sich kleine Krabbeltiere verkrochen, als ich das Licht einschaltete.
    Schnell verließ ich die Dusche wieder, trocknete mich ab und ging vorab sicher, dass zumindest das Handtuch sauber war. Dann zog ich meinen Rucksack auf.
    Ein Schrei ertönte. Ich schrie das ganze Bad zusammen, als ich in meine Tasche sah. Armels Stimme war zu hören und er fragte, ob alles in Ordnung sei, aber irgendwie war es das gerade nicht. Gretchen hatte mir ja meinen Rucksack gepackt und ich nahm ihn ohne einmal hinein zu sehen. Sie hatte alle meine Jeanshosen zerschnitten. Sie eigneten sich höchstens noch als Unterwäsche, aber Bekleidung sah für mich anders aus. Ich zog gezwungenermaßen eine der Jeans an. Sie war noch die Längste, die übrig war und genau an den Oberschenkel abgeschnitten. Die weißen Hosentaschen traten unten hervor und fransige Überreste des Stoffes baumelten dran herum. Ich wimmerte meiner Hose hinterher, aber machen konnte ich ja doch nichts. Die andere war verschmutzt und ich hatte in ihr auch noch geschlafen. Ich musste etwas anderes anziehen. Zudem hatte sie eine Packung Kondome hinein geschüttet und überall zwischen meiner Unterwäsche, meiner Zahnbürste und Klamotten befanden sich die kleinen Päckchen. Ich zog mir meine festen Stiefel wieder an und ein Shirt. Wütend verließ ich das Bad und sah Armel an.
    „Erinnere mich daran, Gretchen mal über einen angemessenen Kleidungsstil und Benehmen zu unterrichten, wenn wir zurück sind.“
    Armel sah mich an. Er plusterte seine Wangen auf und stierte auf meine nackten Beine.
    „Also ich finde es jetzt nicht schlimm,... Ist natürlich Geschmackssache.“, flüsterte er und fokussierte angestrengt meine Augen.
    Wortlos kippte ich meinen Rucksack aus und die grob geschätzten 25 Präservative kamen zum Vorschein. Armel atmete überrascht aus und stemmte nachdenklich seine Arme in die Hüfte.
    „Naja...“, sprach er, „... Ich glaube ja nicht, dass die reichen werden!“, setzte er nach und mir blätterte alles aus dem Gesicht.
    „War nur Spaß,... War nur Spaß, aber was verlangst du von jemanden, der seinen Partner an das Kreuz seiner Kirche pinnt. Sie will dich damit nur zum Lachen bringen und eventuell etwas bloßstellen, weil du dich wie eben gerade, so darüber aufregst.“
    Er hatte Recht. Bei Gretchen musste man so etwas einplanen. Ihr gefiel bestimmt der Gedanke, dass ich tobte und sie verfluchte, aber genau deshalb durfte ich ihr diesen Gefallen nicht tun. Ich räumte alles wieder ein und sogar die Präservative.
    „Außerdem hätte sie die bei mir verstauen müssen, nicht bei dir. Immerhin bin ich der... und du die... Unwichtig.“
    Armel stoppte seine Kommentare, aufgrund meines Gesichtsausdruckes. Das Schlimme an der ganzen Misere war, dass der Gedanke, den Gretchen dabei hatte, nicht einmal so abwegig für mich erschien. Ich glaube sogar, das war der ganze Ärger daran. Ich fühlte mich unweigerlich zu ihm hingezogen und das Tag für Tag immer mehr. Obwohl wir uns nicht lange kannten, konnte ich sagen und gucken wie ich wollte, nichts beeindruckte ihn. Er war nie wütend, enttäuscht, aufdringlich oder machte sich lustig über mich. Es war so, als konnte ich ihm alles sagen, aber ich tat es nicht. Ich war keine Frau aus der Stadt. Ich war schüchtern, übte mich als unbescholtenes Blatt, wobei mein Mundwerk wuchs. Aber in Dingen Liebe völlig unerfahren, stammelte mein Gehirn immer nur irgendwelchen Nonsens daher, der es nicht einmal über meine Lippen schaffte. Spätestens dann, hätte er mich nämlich für verrückt erklärt.
    Wie sagt man auch sowas? Wie fasst man wachsende Gefühle in einen Wortlaut, der weder kitschig, noch wahnwitzig klingt?
    Zudem kam hinzu, wenn er nicht so dachte. Ich hätte die Veränderung unserer freundschaftlichen Basis nicht aufhalten können. Er hätte dann gewusst was ich denke und empfinde, er es aber nicht erwidert. Das wäre sehr komisch geworden. Also musste ich ihn auf die Probe stellen. Die Weichen dafür legen, dass er zuvor zeigte wie er über mich dachte. Ich wusste, mit 25 Jahren hätte ich besser damit umgehen sollen, aber ich benahm mich wie ein Teenager. Ich konnte nicht meinen ganzen Charakter von Heute auf Morgen umkrempeln, aber ich konnte es Stück für Stück machen. Lockerer werden. Ich musste mich nicht schämen oder dahinter verstecken wie ich war, das wusste ich, denn man sah es mir schon an. Ein Teil von mir, und ich glaube es war der Animalische, nicht der Fromme, hatte sich in gewisser Weise an diesen Mann festgebissen. Mir war klar, so einem würde ich nicht einfach noch einmal begegnen. Nicht so einem wie ihm. Obwohl er aus der Stadt kam, war er weder sexistisch eingestellt oder mit Vorurteilen mir gegenüber behaftet. Er ahnte ja bereits, dass meine Männerwelt noch ziemlich klein, wenn überhaupt vorhanden war. Aber ich hatte auch die ganzen Jahre keine Zeit mir darüber Gedanken zu machen und jetzt wünschte ich an so mancher Stelle, ich wäre etwas mehr wie Gretchen gewesen. Sie hätte sich schon selbst die Weichen gelegt, indem sie ihrem Opfer nackt, mit dem Hintern voraus, ins Gesicht gesprungen wäre.
    Ich errötete wegen meiner wirren Wortwahl in meinen Gedanken, aber so war es immerhin.
    Ich konnte diese innerliche Stimme nicht mehr zum Schweigen bringen. Sie wurde einfach zu laut.

  • Da hat Gretchen ja mit dem Zaunpfahl gewunken :rofl:.
    Schöner Teil, von der useligen Herberge bis hin zur kurzen Hose gut beschrieben!
    Und bei deinen Protas knisterts auch ganz gewaltig. :thumbup:

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

    • Offizieller Beitrag

    Wir nahmen unsere Sachen und verließen das Zimmer zur vorgegebenen Zeit.
    Es war nun kein all zu langer Weg mehr und schon sehr bald waren die hohen Wolkenkratzer zu erkennen und der Verkehr vermehrt sich. Ehe ich es mich versah, stand ich inmitten von Häusern. Ein Wohngebiet wahrscheinlich und die bunten Häuserfassaden waren beeindruckend, aber doch sehr monoton. Im Hintergrund, erklärte mir Armel, waren die riesigen Gebäude der Banken zu sehen, der Sitz des Bezirksrates und vieler anderer großen Firmen, die ich nur aus der Fernsehreklame kannte.
    Hubschrauber und Flugzeuge kreuzten den Himmel, der mir nun nicht mehr so blau vorkam wie zu Hause. Der Smog, der in der Luft hing war überall zu riechen. Polizeisirenen erklangen am laufenden Band und unzählige Krankenwagen kamen uns entgegen, als wir uns in die Nähe des Stadtzentrums machten.
    „Es ist schrecklich laut.“, war das was mir dazu einfiel.
    „Die Stadt schläft nie und mit ihr ihre Bewohner.“
    „Hier kann man doch keine Kinder großziehen. Das ist viel zu...“
    „Da bin ich ja wohl der lebende Gegenbeweis.“, unterbrach mich Armel.
    Ich fühlte mich plötzlich unwohl. Überall hingen Warnschilder. Die Autos im Stadtinneren fuhren auf automatisierten Schienen, damit Unfälle vermieden wurden. Man musste nur an einer Andockstelle die Adresse eingeben wohin man wollte und schon fuhr man gemütlich dort hin. Allerdings hatte das auch einen anderen Grund. Die Warnschilder warnten vor Überfällen in der Nacht. Man sollte sich nach 23 Uhr nicht mehr alleine draußen aufhalten, den Schutz einer Gruppe suchen und mit dem Auto nicht liegen bleiben. Frauen sollten allgemein nicht nach Sonnenuntergang alleine auf die Straße. Ich empfand es als waren Gruselfilm, was sich dann dort alles abspielen musste, wenn eine Stadt schon solchen Schilder aufhing. Es durften ausschließlich nur Fahrzeuge in den Stadtkern, die zudem mit dieser Schienentechnik ausgestattet waren. Alle anderen mussten die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Schienenbusse, U-Bahn und eine Einschienenbahn führten dafür durch die Stadt.
    Der Müll häufte sich in den Abfalleimern und überall Piepte und blinke ein Reklameschild. Die Menschen waren hektisch. Als wir in eines der vielen Handels und Industriegebiete kamen, wurde ich am laufenden Band angerempelt. Ich sagte ein paar Mal ein Wort der Begrüßung zu dem Personen, zu denen ich Augenkontakt hatte, wurde aber nur missbilligend angesehen. Hier gehörte es eben nicht zum guten Ton sich einen angenehmen Tag zu wünschen oder Hallo zu sagen. Eine Erfahrung, die ich auch erst machen musste. Die Passanten hatten ihre Handys am Ohr. Meines war ausgeschaltet im Rucksack. Ihre Absatzschuhe und High Heels ertönten auf dem Asphalt wie ein Donner, der über mich hereinrollte, schaltete die Ampel auf grün. Sie benahmen sich alle wie Zinnsoldaten. Ihre Gesichter waren gestresst, farblos und ohne Glanz. Von hier sollte Armel stammen? Das war für mich kaum vorstellbar.
    Er führte mich an einen Fluss, wo ein kleiner Hafen angrenzte und die Gegend noch schäbiger wurde. Wir nahmen einen Bus, fuhren mit der U-Bahn und gingen den Rest wieder zu Fuß. In den hiesigen Transportmitteln war es eng, stickig und völlig überfüllt. In der Bahn konnte ich kaum gerade stehen, so wie sich andere Menschen in meinen Bereich drängten.
    Der Hafen war geradezu abgelegen, beachtete man die sonstige Dichte an Menschen und Fahrzeugen. In unmittelbarer Nähe, und am Wasser gelegen, stand ein mehrstöckiges Haus. Die Außenfassade war mit Graffiti besprüht und der Putz allgemein schon sehr brüchig.
    „Was ist das hier?“, fragte ich und sah mich beunruhigt um.
    „Hier hat die Firma meines Vaters eine Wohnung für die Fahrer eingerichtet. Wenn sie von einer Tour erschöpft zurückkommen, können sie hier schlafen und direkt weiter am nächsten Tag. Klebten die Schlüssel hinter dem Briefkasten, dann haben wir Glück. Sie wird wenig benutzt, meistens.“
    Armel griff sofort hinter den einen Briefkasten, der an der Wand hing und sein Gesicht erhellte sich, als er die Schlüssel zu fassen bekam.
    „Na wenigstens einmal Glück.“, murmelte er und schloss die Tür auf und wir gingen ins staubige Treppenhaus. Es war die Wohnung im vierten und letzten Stock.
    Auch diese Tür schloss er auf und man konnte am Türrahmen sehen, dass sie schon versucht wurde aufgebrochen zu werden. Das Holz war am Schloss völlig zerfetzt, aber es hatte ohnehin keinen Sinn gehabt. Absehen von einer kleinen Küche, integriert in das Wohnzimmer, wo eine ausklappbare Couch stand und einem kleinen Bad mit Dusche war da nicht viel zu holen. Ein dreifaches Sicherheitsschloss schütze die Wohnung und ich empfand es als Ironie, dass die Schlüssel einfach nur draußen versteckt waren, aber das Offensichtliche war meist noch die beste Möglichkeit etwas unterzubringen. Denn damit rechnete man nicht.
    Der verschwundene Schlüssel signalisierte, dass die Wohnung vergeben war und andere Fahrer waren dann gezwungen ein Hotel aufzusuchen oder im Auto oder in Fähren zu schlafen. Er schmiss seinen Rucksack auf die Couch und sah sich um.
    Er suchte etwas und ich vermutete richtig, dass er nicht zum ersten Mal dort war.
    „Wie geht es jetzt weiter?“, wollte ich wissen. Armel zog die Vorhänge zu und fühlte auf dem Boden herum, bis er einen kleinen Teppich wegzog und die darunter befindlichen Fliesen lockerte.
    „Als Undercover arbeitete, benutzte ich diese Wohnung um mich abzusichern.“, antwortete er mir und legte die Fliesen beiseite. Er holte einen Koffer aus dem Loch im Boden und eine Schachtel aus der ein beunruhigendes Klimpern drang.
    Er öffnete den Koffer und eine Waffe kam zum Vorschein. Den Schalldämpfer legte er neben sich und bestückte das Magazin mit den 9mm Patronen, die sich in der Schachtel befanden. Meine Überraschung war mir ins Gesicht geschrieben. Ich schaffte er es gerade so meinen Rucksack abzustreifen und ihn fragend anzusehen.
    „W-Was hast du jetzt vor?“, stotterte ich.
    „Ich werde mich auf die Suche nach den Unterhändlern von Cavla machen. An oberster Stelle anzufangen bringt nichts. Bis zum Bezirkspräsidenten komme ich nicht, also muss ich zuerst im Dreck wühlen. Mir ein schwaches Vögelchen heraussuchen, was dann schön brav singt.“
    „U-Unterhändler?“
    „Einen seiner Dealer von den Straßen. Als ich für ihn arbeitete habe ich mir einige Namen gemerkt und weiß wo sie zu finden sind. Einer ihre Drogenlabore befindet sich unterhalb eines renommierten Restaurants. Da fällt das Ein und Ausgehen nicht auf und falls jemand einen besonderen Nachschlag verlangt, bekommt er es mit Rechnung an den Tisch.“
    „Ist das nicht gefährlich?“
    „Keine Sorge, von so einem kleinen Licht hab ich nichts zu befürchten.“
    „Kann ich nicht mitkommen? Vielleicht könnten wir was zusammen herausbekommen, ohne jemanden zu erschießen...“
    Armel steckte das Magazin in die Waffe und stand auf. Er lud sie mit einer Armbewegung nach und sah mich an.
    „Vergiss es, du bleibst hier! Das ist kein Ort für eine junge Frau. Wenn ich deine Hilfe brauche, dann sage ich dir Bescheid. Wir hatten doch eine Abmachung! Du machst was ich dir sage!“
    Sein Ton klang plötzlich verändert, aber ich wusste ja, das er es nur gut meinte. Dennoch war er plötzlich nicht nur mehr Armel, sondern auch der Protektor, der in dieser unliebsamen Gegend, wieder wach wurde.
    „Und was soll ich derweil tun?“
    „Du bleibst hier,... Sieh fern oder schlafe etwas. Du öffnest nicht die Tür, wenn es klingelt oder klopft. Du redest mit niemanden und reagierst auf keinen der Anrufe, die über diese Leitung kommen. Ich nehme den Schlüssel mit. Lass am Besten auch die Lichter auch aus.“
    „Atmen darf ich?“
    „Hör auf damit,... Ich hatte dich gewarnt. Ich bin hier nicht zum Angeln!“

  • Du beschreibst die Stadt ja fast so, wie ich sie immer wahrnehme :S Auf jeden Fall gut geschrieben und endlich bewegt sich die Story vorwärts :thumbsup: Ich hab aber noch ein paar Anmerkungen für dich:

    Seele um Seele, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß.


    Das steht in der Bibel? 8| Ich dachte, das ist der Gesetzeskodex des Königs Hammurabi von Babylon ?(

    Die Stadt war nur etwas mehr wie eine Autostunde entfernt, allerdings belief sich die Entfernung auf ein Auto, nicht zu Fuß.


    die Entfernung ist dieselbe, die Strecke wird nicht länger, nur weil man zu Fuß geht. Du meinst die zeitliche Entfernung ;)

    Diese Frau war mir egal, aber interessiert hatte es mich schon.


    Ehm ... etwas sehr widersprüchlich, oder?

    Nicht so einem wie er.


    Nicht so einem wie ihm

    • Offizieller Beitrag

    Alopex Lagopus: Ja das stammt aus der Bibel :D (5. Mose 19.21) ;)

    Zum Thema widersprüchlich muss man sagen, Frauen sind widersprüchlich. Was sie mit dem Satz allerdings meint. Seine Vergangenheit interessiert sie, aber doch nicht jedes Detail wie Carol :D

    Die anderen Sachen verbessere ich oder formuliere sie um. Dankeschön Alo :D:thumbsup::thumbsup:

    PS: So empfimde ich auch die Stadt, das fiel mir extrem leicht zu schreiben 8o

    • Offizieller Beitrag

    Sein Ton wurde zunehmend rauer. Er trat an den Schrank, der neben der Couch stand und öffnete ihn. Vorsichtig nahm er eine Zwischenwand heraus und dahinter verbargen sich eine schusssichere Weste und ein Schulterholster für die Waffe. Er warf alles auf die Couch und zog sich augenblicklich sein Hemd aus.
    „Du willst jetzt gleich los? Einfach Knall auf Fall? Ohne eine Pause oder mal etwas zu Essen?“, warf ich ein, während er sich die Weste umlegte. Ich hatte mich nicht einmal umgesehen und er war schon wieder fast bereit zum Aufbruch.
    „Ich darf keinen Moment mehr verschwenden. Das hab ich schon viel zu lange getan.“, antwortete er und zog sein Hemd wieder über die Weste. Dann legte er sich den Holster um, steckte die Waffe hinein und zog seine Jacke darüber.
    „Und was hast du jetzt genau vor? Einfach mal drauflos spazieren und ein ganzes Restaurant auseinandernehmen?“
    „Es ist Montag, es hat geschlossen, also sind keine Zivilisten anwesend.Welcher Moment wäre wohl geeigneter dafür?“
    „Und wenn niemand dort ist?“
    „Oh glaub mir, da ist jemand! Das Videlle ist nie wirklich geschlossen.“
    Er steckte sich noch ein volles Magazin in seine Innentasche der Jacke und so langsam verstand ich, wem ich gefolgt war. Ich wollte Armel nicht gehen lassen, um nicht wieder allein zu sein, aber eigentlich war ich das auch hier. Ich konnte ihm bei dieser Aufgabe nicht wirklich helfen. Ich hatte keine Kampfausbildung oder war geübt in irgendeiner Art von Selbstverteidigung. Ich begab mich auf einen sehr düsteren Pfad, der so überhaupt nichts mehr mit Gott und meinem Glauben zu tun hatte. Hier war sein Terrain. Seine Heimat. Und ich wusste nichts über sein Leben hier. Die Bruchstücke, die er mir erzählte waren nur die Spitze des Eisberges. Ich fragte mich in diesem Moment, was sich unter der Wasseroberfläche befinden würde und ich sollte es noch herausfinden.
    Anhand seiner Planungen und der versteckten Utensilien, musste ich mir eingestehen, dass ich es ignorierte, was ein Protektor wirklich war. Es waren Menschen, die einzig und allein zum Kämpfen da waren. Ihre Begabungen waren keine einfachen Talente, sondern schlicht und ergreifend Waffen.
    Die Sonne ging unter und es war das Zeichen für die Ratten ihre Nester zu verlassen.
    „Darf ich fragen, was du jetzt genau vor hast?“, murmelte ich und setzte mich auf die Couch. Er atmete einen tief aus und hielt kurz Inne.
    „Ich suche einen Dealer, der sich – Die Schlange – nennt. Den Namen hat er deshalb, weil er es immer wieder schafft, sich aus den Händen der Justiz zu befreien. Nur diesmal hat der Mann, der ihn jagt, nichts mehr mit der Justiz zu tun und um sich zu befreien, muss er wirklich sehr beweglich sein.“
    „Wirst du ihn töten?“
    „Wenn es sein muss!“
    Ich nickte stumm. Mit dieser Antwort hatte ich gerechnet. Warum sonst eine Waffe. Er warf sich die Kapuze der Jacke über und kniete sich dann vor mich. Mit meinem Blick auf den gläsernen Wohnzimmertisch, suchte er meine, ins Leere starrenden, Augen.
    „Hey... Ich bin nicht der Böse. Ich versuche nur schlimmeres zu verhindern und da heißt es auch manchmal sie oder ich. Das verstehst du doch?“
    Wieder nickte ich.
    „Diese Menschen sind böse Kreaturen, die sich die Schwächen anderer zu Nutze machen. Ich war eine Zeit lang unter ihnen und glaub mir wenn ich sage, das eine einfache Kugel manchmal noch zu wenig wäre. Denn so gnädig sind sie mit ihren Opfern nicht.“
    Ich sah ihn an und erinnerte mich, was sie ja mit ihm angestellt hatten. Für Armel war es nicht nur eine Art Gerechtigkeit, es war auch etwas persönliches. Er wusste nicht, ob sie wussten, dass er noch lebte, aber er glaubte nicht daran. Selbst wenn der Bezirkspräsident mit involviert war, war Armel nur ein kleines Licht für ihn. Sie sahen ihn zuletzt völlig fertig, eine gebrochene Persönlichkeit. Sie wussten nicht, dass ich ihn gefunden und wieder aufgebaut hatte. Er war wie ein Boomerang, der im Begriff war wieder zurückzuschnellen. Ich sagte schon einmal:
    „Wer Wind sät, wird Sturm ernten!“
    Und nirgends hätte dieser Vergleicht besser gepasst, als auf ihn.
    „Dann geh, aber komm schnell wieder.“, bat ich ihn und er stand auf.
    „Keine Sorge, es brauch schon mehr als eine Schlange, um mir zu Leibe zu rücken!“ Er kontrollierte noch einmal alles und ging aus der Tür. Ich blieb zurück.
    „Dennoch... Eine Schlange reichte aus, um Adam und Eva aus dem Paradies zu vertreiben!“, flüsterte ich in die Stille und lehnte mich gegen die Couch.
    Da war ich nun. In einer fremden Stadt, die eigentlich zu meiner Heimat gehörte, ich aber immer mied. Nun wusste ich warum. Der schöne Schein von Luxus und Moderne, war doch nicht mehr als Schein. Es war ein Tummelplatz für die Korrupten und Skrupellosen unserer Zeit. Und mittendrin Menschen wie Armel, die versuchten die Waage zu kippen. Langsam stand ich auf und lief zum Fenster. Ich schob den Vorhang beiseite und betrachtete die untergehende Sonne. Auf der anderen Uferseite, des breiten Flusses, erhellten die Lichter der Stadt den Himmel, so dass man die Sterne nicht sehen konnte. Er war dort draußen und führte wieder sein Leben. Ich schaltete den Fernseher ein. Betrachtete ihn aber nur geistesabwesend, als wirklich zu sehen was lief. Ich klappte die Couch zudem aus und warf die Decken darauf, die neben der Couch lagen und schüttelte die Kissen aus. Mein Magen knurrte zwar, aber ich war zu faul mich in die Kochnische zu bewegen. All meine Gedanken machten mir meine Beine schwer und ich wollte nur noch schnell einschlafen, damit die Zeit an mir vorbei flog. Ich wollte, dass sich das Schloss wieder herumdrehte und Armel zurückkam. Wohlbehalten und in einem Stück.

    Nach zwei Stunden war ich immer noch nicht eingeschlafen. Es begann draußen wieder zu regnen und das Trommeln gegen sie Fensterscheibe machte mich wahnsinnig. Ich konnte doch nicht dort herumsitzen und warten. Mich wahrscheinlich noch in die Küche stelln und etwas kochen, bis er zurückkehrte, wenn er denn zurückkehrte. Die Ungewissheit über sein Tun war eine Qual.
    Sollte ich ihm wieder nachgehen? Den Namen des Restaurants kannte ich immerhin und wie viele konnte es schon davon geben. Er wollte nur einen Dealer aushorchen, also wie gefährlich konnte das schon sein. Wahrscheinlich sehr gefährlich, aber ich war ihm immerhin schon in die Stadt gefolgt.
    Nein! Er bat mich dort zu warten! Aber was wäre gewesen, wenn er bereits irgendwo verletzt lag? Ich wäre dann in der Wohnung gewesen und hätte ihm nicht helfen können. Wie auch immer meine Hilfe in diesem Moment ausgesehen hätte.
    Ich war ja so blauäugig, aber gerade als ich den Entschluss fasste, hörte ich wieder das Schloss und sah wie die Tür aufging. Ich stellte mich schlafend. Öffnete meinen Augen nur soweit, dass ich seine Silhouette erkennen konnte. Er sah zu mir und schien keine gute Laune gehabt zu haben. Er ging umgehend ins Bad und wusch seine Hände. Dann legte er Jacke und Weste wieder ab und ich tat so, als sei ich gerade wieder erwacht.
    „Und?“, stöhnte ich nur leise.
    „Er war nicht da!“, keifte er gereizt.
    „Das heißt?“
    „Ich habe ihm eine nette Nachricht hinterlassen und versuche morgen nochmal mein Glück.“
    „Eine Nachricht? Mit Zettel und Stift? Wird er dann nicht gerade deshalb nicht anwesend sein?“
    „Nein, eine andere Art Nachricht. Er ist ein Sadist. Er lässt sich ungern die Chance entgehen, einen Gegner nicht zu quälen. Er wird da sein, aber mein Vorteil ist, dass er nicht weiß, wer ihn besuchen kommt.“
    Ich stand auf und sah ins Bad. Auch wenn Armel es versuchte zu verstecken, als er die Ränder des weißen Waschbeckens abwischte, ich konnte noch den roten Schleier erkennen, der sich in den Abfluss flüchtete.
    „Ich habe Hunger.“, lenkte ich vom Thema ab.
    Er überlegte und trocknete sich dabei die Hände ab.
    „Ganz in der Nähe gibt es einen Imbiss. Er ist gerade so nah, dass es klug wäre dorthin zu gehen. Wie wäre es?“, schlug er vor und zurückhaltend nickte ich.
    „Na gut. Dann los!“
    Er verließ das Bad und es war so, als würde ich nun wieder mit dem alten Armel reden. Was war das für eine schräge Nummer? In einem Moment war er geradezu nach Rache dürstend und im nächsten Moment zog sich ein Lächeln durch sein Gesicht und er wollte Essen gehen.

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    „Darf ich jetzt wieder sprechen und atmen?“, fragte ich deshalb und er stoppte kurz, bevor er sich noch einmal zu dem Loch im Boden kniete und einen dicken Umschlag herausholte.
    „Versteh doch. Wenn ich diese Männer verfolge, darf ich mir keine Nachlässigkeiten leisten. Ich muss strikt eine gewisse Vorgehensweise verfolgen, aber wenn ich,... Wenn ich mit dir zusammen bin, kann ich davon Abstand nehmen.“
    „Du meinst, du trennst Arbeit und Privatleben...“
    „Genau so ist es. Ansonsten wäre ich nur am Verbrecher verfolgen gewesen, anstatt auch ein eigenes Leben zu führen. Manche von uns können das besser oder schlechter. Ich jedoch, trenne es strikt und das auch in diesem Fall. Also machen wir jetzt erst mal etwas gegen unsere knurrenden Mägen.“
    Er holte Geld aus dem Umschlag. Er hatte wirklich an alles gedacht, als er sich hier versteckte. Er zog einige Scheine heraus und steckte sie lose in seine Hosentasche.
    „Dann gehen wir mal.“, sprach er und legte mir dann seine Jacke um. Es nieselte immer noch draußen und ich sollte nicht nass werden, nachdem meine Jeans schon sehr luftig war.
    Wir verließen die Wohnung und folgten dem Ufer des Flusses. Es war fast Mitternacht und mir war unbegreiflich wer des nachts noch einen Imbiss geöffnet hatte. Unbegreiflich nicht, aber angesichts der vielen Warnschilder dachte ich eigentlich, nach Sonnenuntergang ließen alle die Gitter hinunter. Auf unserem Weg begeneten uns einige Gruppen von Menschen, die halb versteckt in engen Winkeln der Seitengassen hausten und fast kllischeehaft vor brenneden Mülltonnen standen. Überall verstreut waren sie, die düsteren Gestalten der Nacht, die für mich ohne Begleitung wirklich gefährlich hätten werden können. Einige von ihnen sahen aus wie normale Obdachlose, die anderen jonglierten mir Klappmessern herum, was eindeutig als Warnung gemeint war. Jedoch trauten sie sich an einen fast 2 Meter Kerl nicht heran, nicht einmal in einer Gruppe. Was ich eindeutig als Glück empfand.
    Nach wenigen Minuten kamen wir an dem kleinen Wagen an, der wirklich noch geöffnet hatte. Ein älterer Herr stand hinter dem Herd und aus irgendeinem Grund erinnerte er mich an Leeroy. Er hatte ebenso einen graumelierten Bart, zwar eine Haube auf seiner Halbglatze mit Netz, aber ansonsten hätten sie Brüder sein können.
    „Was kann ich für die Herrschaften tun?“, fragte er uns, während ich auf die Karte sah, die links an dem Wagen prangerte.
    „Wir nehmen von allem etwas, Morph.“, sagte Armel und der Imbissbesitzer kniff seine Augen zu.
    „Arthi,... Dich hätte ich ja beinahe überhaupt nicht erkannt. Was ist denn mit deinem Haar passiert? Hast du in den Spiegel geguckt und sie sind plötzlich davongelaufen?“
    Armel fasste sich über seinen kurz geschorenen Kopf und lachte.
    „Nein, war mal die Zeit für eine Veränderung.“, dementierte er und ich hörte gebannt zu. Hatte Armel mal längere Haare? Aus irgendeinem Grund hatte ich ihn plötzlich mit langer wallenden Mähne vor Augen, dass ich anfing zu lachen. So eine Art Unterwäschemodel wie sie immer mit lasziv verstörten Blick von den Reklameschildern der Hochhäuser starrten.
    „Und wie ich sehe gibt es da noch eine Veränderung. Wo ist Carol?“, bohrte der alte Mann in dem Leben von Armel.
    „Carol,... Nun ja, Carol und ich sind nicht mehr zusammen.“
    „Darf ich fragen woher ihr euch so gut kennt?“, unterbrach ich die beiden Herren verwirrt und Morph lachte.
    „Meine junge Dame, ich habe diesen Imbiss schon seit mehr als 25 Jahren. Ich kenne Arthmael seit seiner Geburt und bei mir aß er seinen ersten Hamburger. Wobei man dabei weniger von Essen reden konnte, er hat darin gebadet. Sein Vater und viele andere Mitarbeiter suchen mich heute noch auf, wenn sie am Hafen zu tun haben.“
    „Zudem ist er ein pensionierter Protektor. Keine Sorge alter Mann, sie weiß über mich ebenso Bescheid.“
    „Echt jetzt?“, wendete ich mich Morph zu.
    „Ich war nur ein kleines Licht und will von dem Verein nichts mehr wissen. Die sind doch alle gekauft.“, schimpfte er und fing an Eier aufzuschlagen.
    „Er war oder ist ein Heiler.“, flüsterte mir Armel zu und ich wusste somit, dass er zu den Helfern gehörte.
    „Das Leben in meinem Imbiss macht mich glücklich, fernab dieser Idioten. Aber um auf dich und Carol zurückzukommen, hast du sie endlich in den Wind geschossen, ja.“
    „Sie hat mich in den Wind geschossen.“
    „Wurde auch Zeit, ich konnte sie nie ausstehen, diese frigide Wachtel.“
    „Morph...“, seufzte Armel und hielt sich seine Hand an die Stirn.
    „Die war doch bloß auf dein Familienvermögen aus und auf deinen Namen. Sieh dich an. Jetzt hast du Farbe im Gesicht und wirkst fitter. Die hat dich doch ausgesaugt wie eine Spinne das gefangene Insekt.“
    „Ist gut Morph.“, seufzte Armel weiter.
    „Sie wollte keine Kinder, sie wollte nie etwas essen. Wahrscheinlich hatte sie Angst ein Kilo zuzunehmen und nicht mehr in ihren teuren Blazer zu passen.“
    „Könnten wir das Thema wechseln?“, wimmerte Armel und Morph sah mich an.
    „Und wie heißt du?“, wurde seine kratzige Stimme ruhiger und er wendete die Spiegeleier.
    „Di-Diandra.“, stotterte ich und fühlte mich irgendwie einer Prüfung unterzogen.
    „Und weiter?“, fragte er und Armel ergriff für mich das Wort. Er erzählte ihm in kurzen knappen Sätzen, dass wir uns in meinem Restaurant kennengelernt hätten, ohne dabei zu sehr ins Detail zu gehen. Als die Sprache auf mein Restaurant kam, grinste mich Morph nur an und schien sich noch mehr Mühe mit dem Essen zu geben. Wir kamen so gesagt aus der gleichen Branche und das schien mich sympathisch zu machen.
    „Eine Frau mit einer gesunden Gesichtsfarbe und Appetit, die auch noch kochen kann und du hast sie nicht sofort geheiratet...“
    „Wir sind Freunde.“, warf ich ein und Morph steckte zwei Brotscheiben in den Toaster.
    „Natürlich und ich bin der Weihnachtsmann.“, murmelte er dabei und schlug mit seinen Händen dann auf seine Arbeitsplatte.
    „Was darf ich den Freunden zum Trinken servieren? Tee, Kaffee, eine Latte?“, grinste er hämisch und Armel zeigte mahnend mit seinem Zeigefinger auf ihn.
    „Ich hätte gern ein Bier.“, überging ich die Neckereien des alten Mannes, der sich einfach zu freuen schien, dass es Armel gut ging.
    „Ein Bier,... Wie ungewöhnlich, aber sehr gern und der dusselig drein guckende Idiot vor mir möchte was?“
    „Gib mir auch ein Bier!“, stöhnte Armel und wendete sich mir zu, aber nicht ohne seinen Finger an seiner Schläfe kreisen zu lassen. Ich musste Lachen und kurz waren meine besorgniserregenden Gedanken verschwunden. Ich war sogar wirklich verwundert, solch einen Menschen in der Stadt zu treffen, der seine Kundschaft mehr als Familie ansah und sie beim Namen kannte. Ähnlich wie es bei mir auch war.
    „Und was führt eine junge Frau in die Stadt? Macht ihr eine freundschaftliche Besichtigung oder wie muss sich das ein alter Mann vorstellen?“
    „So ähnlich.“, antwortete ich und Armel nahm den ersten Gang entgegen und unsere Getränke. Auf die Eier folgten noch Cheeseburger, Spareribs, ein Salat und Kuchen als Nachspeise. Ich aß mich quer durch die Teller, solch einen Hunger hatte ich. Nach einer Weile wurde ich nur noch beobachtet wie ich alles restlos vertilgte. Selbst Armel hatte damit nicht gerechnet. Papp satt und mit einem hoch erfreuten Magen stand ich da, während mich die Männer nur ansahen.
    „Die ist doch für mehr als eine Person.“, murmelte Morph und wendete seinen Kopf langsam zu Armel, der nur alle Schuld von sich wich.
    „Ich hatte nur seit mehr als 24 Stunden nichts mehr gegessen, das ist alles.“, sagte ich und Morph drehte sich mit erhobener Braue um.
    „Wenn das so ist.“, antwortete er und packte uns noch einige Reste ein, die er keinem Kunden mehr am nächsten Tag anbieten konnte. Darunter auch der Kuchen und das restliche vorgebratene Fleisch und eine Salatkopf.
    „Dir muss ich ja nicht erklären wie man kocht.“, zwinkerte er mir zu und Armel wollte bezahlen, aber Morph ließ ihn nicht. Er bestand darauf es dieses Mal aufs Haus gehen zu lassen.

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    Mürrisch nahm Armel alles entgegen und wir machten uns auf den Weg zurück. Es tat einmal gut jemanden aus seinem Leben zu begegnen, egal wie verrückt er mir erschien. Morph, der eigentlich Morphius hieß, war eine angenehme Persönlichkeit, der ich noch viel zu verdanken haben sollte.

    „Arthi also...“, lachte ich, als wir am Ufer zurückliefen und Armel schmunzelte.
    „Wehe du nennst mich so! Schon schlimm genug, dass du das gehört hast.“
    „Warum? Es zeigt mir, dass sogar hier, wo ich es am Wenigsten vermutet hätte, etwas wie Verbundenheit gibt.“
    Ich sah erfreut geradeaus und atmete die kühle Luft der Nacht ein und umschloss die Jacke von Armel ganz fest, damit ich nicht fror.
    „Verbundenheit ist etwas, was man hier wirklich nicht oft findet, aber wie ich nun weiß, gibt es sie fernab der Stadt.“
    „Ja, wir sind schon eine lustige Kombination. Der Mann für´s Grobe und die Gläubige.“
    Er stieß mich scherzhaft an und waren nach wenigen Augenblicken wieder in dem Mietshaus. Es muss an meinem reich gefüllten Magen gelegen haben, aber kaum lag ich auf der ausgeklappten Couch, schlief ich ein.
    Wieder verging eine Nacht und ein neuer Tag brach an. Nur das ich an diesem Morgen ein mulmiges Gefühl hatte. Es war bald wieder soweit, dass Armel los ging und den Rächer spielte.
    Als ich meine Augen aufschlug, stand er schon in der Kochnische und kochte Kaffee, den er anscheinend besorgt hatte.
    „Guten Morgen.“, murmelte er und reichte mir eine Tasse ans Bett.
    „Guten Morgen.“ Ergriff die Tasse und nippte daran.
    „Du warst ja ziemlich schnell weg.“
    „Satt und müde wie ein Baby.“, lachte ich und starrte dabei in die Tasse.
    Wir verbrachten den Tag damit, dem Abend keine Geltung zukommen zu lassen. Wir hätten uns ohnehin nicht einig werden können, was der richtige Weg war und ob Gewalt nicht nur Gegengewalt erzeugte.
    Er zeigte mir den Hafen und die Zweigstelle der Firma seines Vaters.
    Die – Stirling and Son Cooperation –. Somit kannte ich auch endlich seinen Nachnamen, nachdem ich zuvor nie gefragt hatte. Kurz war auf den Schiffen SASC zu lesen, in dunkelblauer Schrift mit weißem Hintergrund. Es gab mir so langsam einen Einblick in sein Leben. Er erzählte mir, dass er eigentlich Firmenchef sein sollte, aber nachdem er zum Protektor wurde, war dies nicht mehr möglich. Was auch die Beziehung zu seinem Vater etwas erkalten ließ. Er lebte in einem etwas ruhigeren Teil der Stadt, in einer großen Villa. Ich hatte ja keine Ahnung wie reich er eigentlich war. Der Name stand repräsentativ für die gesamten Transporte rundherum. Mit einem goldenen Löffel im Mund geboren, wunderte es mich, dass er so für Recht und Ordnung einstehen wollte. Es hätte ihm auch egal sein können. Wenn ihm etwas nicht gefallen würde, hätte er es immer noch kaufen können.
    Ich sah langsam ein, dass einer der wenigen Person, die absolut in einem Klischee dachten, Menschen wie ich waren. Ich kam vom Land und verurteilte automatisch alles was aus der Stadt kam. Dabei gab es überall Ausnahmen.
    Zum Sonnenuntergang kehrten wir zurück und wieder machte er sich danach auf den Weg. Diesmal überlegte ich nicht so lange herum. Wenn ich mir meiner Gefühle bewusster werden wollte, musste ich alle Seiten von ihm kennen. Nicht nur die, die er zeigte, sondern gerade die, die er versuchte vor mir zu verstecken.
    Zunächst wartete ich aber eine Stunde ab, um nicht noch vor ihm am Restaurant anzukommen. Ich holte mein Handy aus meiner Tasche und bat die Auskunft mir eine nahegelegene Taxifirma zu empfehlen. Das tat sie auch und ließ mir eines kommen. Ich entnahm etwas Geld aus dem Umschlag und wartete draußen.
    „Bleib hier. Vertraue ihm und warte.“, schrie es aus meiner Magengegend, aber ich dachte nicht daran. Ich wollte wissen was er tat. Ich wollte auch diese Kreaturen sehen, die er verfolgte, damit ich sie ein Gesicht bekamen. Ich wollte so vieles, aber eines bestimmt nicht, sein Vertrauen missbrauchen. Dennoch war ich auf dem besten Weg dorthin.
    Nach wenigen Minuten hielt das feuerrote Taxi am Straßenrand und ich sagte wohin ich wollte. Wortlos fuhr der Fahrer los und lenkte in Richtung Stadt ein. Die Gebäude wurden immer höher und die Lichter immer greller, als das Taxi nach zirka 30 Minuten zum Stehen kam. Es hielt vor einem fünfstöckigen Haus, wo der Name des Restaurant mir schon entgegen leuchtete. Ich sah mich um und nirgends war Armel zu sehen. Ob er schon drin war? Wahrscheinlich!
    Der Betrieb fing gerade erst an und noch blinkte das Schild auf – Closed –.
    Diesem Moment wollte Armel anscheinend abfangen, bevor unschuldige Gäste mit hineingezogen wurden.
    „Das macht dann 24!“, blökte der Taxifahrer und ich warf ihm 30 hin.
    „Stimmt so.“, antwortete ich und stieg vorsichtig aus. Schnellen Schrittes lief ich über die Straße und bog in eine dunkle Seitenstraße, gleich neben dem Restaurants ein.
    „Na klar, Dia. In der ganzen Stadt hängen Schilder, dass Frauen sich nicht alleine im Dunklen bewegen sollten und wo versteckst du dich? In einer dunklen Seitenstraße!“, führte ich leise Selbstgespräche und sah mich nervös um. Zu meinem Glück handelte es sich auch noch um eine Sackgasse. Abgesehen von einem Lieferanteneingang des Restaurants, führte die Gasse an eine Wand. Ein riesiger stinkender Müllcontainer stand noch dort, zwischen Tür und Straße, aber ansonsten war alles eher sehr unspektakulär. Hier sollte ein Drogenlabor sein? Wenn das Essen so schmeckte wie der Container roch, begriff ich nicht einmal das Wort – renommiert – allenfalls – ramponiert – hätte dazu gepasst.
    Ich erspähte ein kleines Fenster oberhalb des Containers und stieg hinauf. Bei einem Blick hindurch war unschwer zu erkennen, dass dieses Fenster schon lange nicht mehr geputzt wurde. Nur durch einen kleinen Spalt konnte ich in den hinteren Teil sehen und da war er. Etwas verschwommen, aber ich erkannte ihn. Armel stand vor einem schlaksigen Mann, der eine Schlange seitlich im Gesicht tätowiert hatte. Zwei Leibwächter standen um sie herum und anscheinend wurden sie sich nicht einige. Ihre Stimmen wurden lauter, aber ich konnte nichts verstehen. Von einem Moment auf den anderen, zog Armel blitzschnell seine Waffe und schoss den beiden Leibwächtern in den Kopf. Von den beiden Schüssen zu Tode erschrocken, fiel ich fast vom Container. Er hatte sie einfach erschossen, aber da sollte noch nicht Schluss sein. Noch einmal sah ich hinein und Armel hatte die Schlange am Kragen seines seidenschwarzen Hemdes. Er brüllte, aber der Drogendealer lachte nur und grinste. Armel wurde immer rabiater und ging mit ihm zum Seiteneingang. Schnurstracks sprang ich vom Container und versteckte mich dahinter. Die Tor flog auf und mit ihr die Schlange nach draußen.
    Ich lehnte ganz an der Wand und war starr vor Schreck.

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    „Glaubst du nur, weil du alle meine Leute umbringst verrate ich dir, wo du Cavlas Leute findest? Du bist noch dümmer, als du aussiehst, Bloodhound.“
    „Bloodhound?“, fragte ich mich und drückte mich noch mehr an die Wand.
    „Ich weiß doch, sobald ich den Mund aufmache, bin ich so gut wie tot.“, lachte die Schlange und vorsichtig sah ich um den Container herum. Mein Herz pochte bis in meinen Kopf hinein und ich bekam vor Angst kaum Luft.
    Armel hob den Mann wieder hoch und warf ihn an die Wand. Mit seinem Unterarm drückte er ihm die Luft ab.
    „Tot bist du so oder so. Die Frage ist nur, nützt du mir noch etwas davor.“
    „Dann töte mich lieber gleich, denn falls nicht, schäle ich dir die Haut von deinem jämmerlichen Gesicht!“, krächzte er und Armel nahm mit seiner freien Hand, einer der Hände von ihm, die versuchten sich von seinem Unterarm zu befreien. Armel griff um und verdrehte die Hand so, das ein Knacken zu hören war. Die Schlange schrie, aber lachte gleichzeitig.
    „Das war Handgelenk Nummer Eins,... Wir können ewig so weitermachen, ein paar Gelenke hast du ja noch.“
    „Mach ruhig weiter. Von mir erfährst du nichts.“, lachte er weiter und Armel ließ ihn los. Als der Mann gerade so auf der Erde stand, trat Armel nach und brach ihm mit einem seitlichen Tritt die linke Kniescheibe. Unter Schmerzen wollte der Mann zusammensacken, aber Armel ließ ihn nicht. Wieder hob er ihn hoch und warf ihn mit dem Rücken gegen die Häuserwand.
    „Mach´s Maul auf!“, schrie er und der Mund des Drogendealers füllte sich mit Blut, welches er ihm ins Gesicht spuckte.
    „So etwa?“, keuchte er.
    „Na schön, wenn du nicht reden willst dann...“
    „Armel...“, wich benebelt von meiner Angst über meine Lippen, aber leider zu laut. Blitzschnell drehte Armel seinen Kopf in meine Richtung und ich stand gezwungenermaßen auf. Mit weit offenem Blick starrte ich ihn an und er mich genauso.
    „Was suchst du hier, Dia? Hatte ich dir nicht gesagt, du sollst im Unterschlupf bleiben.“, schrie er und ich konnte ihn verstehen. Ja, das hatte er gesagt und Nein, ich hatte mich nicht daran gehalten.
    „Ist das deine kleine Freundin, Bloodhound?“
    „Verschwinde, geh zurück.“, brüllte er weiter und drückte bei der Schlange etwas fester gegen seinen Kehlkopf.
    Wie gebannt blieb ich neben dem Container stehen. Ich konnte mich nicht rühren. Noch nie war ich dem Bösen begegnet oder stand ihm so nah gegenüber.
    „Ich rieche sie bis hierher. Ich werde es genießen in ihrem Blut zu Baden, nachdem ich sie wie einen Wanderpokal herum gereicht habe. Die kleine Schlampe wird schreien wie sie noch nie zuvor geschrien hat, du kleiner Bastard.“
    „Du wirst gar nichts mehr... Du verrätst mir jetzt erst mal wie ihr an den ganzen Stoff kommt und wo Cavlas Leute zu finden sind.“
    „Du bist wirklich dumm oder nicht? Welche Firma ist groß und mächtig genug, um die Handelspapiere zu frisieren und den Zoll zu schmieren,... Na eine Ahnung?“
    „SASC...“, flüsterte ich und wieder lachte die Schlange.
    „Deine kleine Cracknutte ist schlauer, als sie aussieht.“
    „Das ist unmöglich!“, brüllte Armel und ich konnte mir vorstellen, dass es ein herber Schlag sein musste, nun noch davon auszugehen, dass sein eigener Vater etwas damit zu tun hatte.
    In einem Moment der Unaufmerksamkeit, griff die Schlange in Armels leicht geöffnete Jacke und zog die Waffe, mit der er zuvor seine Leibwächter erschossen hatte und zielte zuerst auf ihn aber grinste dann teuflisch.
    „Das wäre zu einfach...“, lechzte er und wie im Zeitraffer zielte er auf mich. Armel konnte gerade noch seinen Schussarm nach oben schlagen, als er zwei Mal schoss. Eine Kugel flog nur knapp an meinem Kopf vorbei, die andere durchschlug meinen Körper.

  • 8| ......ja nee ne?
    Alles gut geschrieben, ein paar kleine Dinge hatte ich ja schon erwähnt - sein eigener Vater? Oha. Und ich denke mal, Dia wirds überleben und dann gibts aber Wolken am Horizont. Wahrscheinlich ist die Kugel harmloser als Armels Reaktion auf ihr Eingreifen.

    Erwähnte ich schon, dass ich jetzt dringend weiter lesen möchte?

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

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    „Nein! Du verdammter Hurensohn...“, brülle Armel, als er sah das ich getroffen wurde. Ich konnte jedoch nichts sagen. Ich spürte den Widerstand, der mich gegen die Wand schlug, aber meine Kehle war wie zugeschnürt.
    „Warum schreit die Schlampe nicht? Ich hab ihr eine Kugel verpasst.“, blökte der Dealer los und Armel schnappte ihn am Kragen.
    Er schleuderte die Schlange auf den Boden und nahm seinen Kopf in seine beiden Hände und verdrehte ihn um 180 Grad. Wieder hörte ich das Knacken, aber diesmal sollte es das letzte Mal gewesen sein. Regungslos blieb der Drogendealer liegen und er steckte schnell die Waffe wieder ein.
    Ich stolperte benommen vor Schmerz gegen den Container und sah an meine rechte Schulter. Die Kugel hatte meine Schulter getroffen und das Blut trat hervor. Binnen weniger Sekunden war mein Shirt voll davon und Armel rannte auf mich zu.
    Ohne ein Wort zu sagen, zerriss er mein T-Shirt und sah nach meiner Wunde.
    „Was hast du dir nur dabei gedacht,... Nein warte, wahrscheinlich gar nichts.“, schimpfte er und drückte seine Hand gegen meiner Schulter.
    „Ich wollte...“
    „Nichts, Dia, nichts. Du hattest hier nichts zu suchen. Du siehst ja was passiert, wenn ich nicht bei der Sache bin.“
    Mir wurde plötzlich schwindelig und ich verlor den Halt auf meinen Beinen. Armel fing mich auf und zückte sein Handy. Es dauerte für mich unsagbar viele Sekunden bis sein Anruf entgegengenommen wurde, aber wahrscheinlich kam es mir nur so vor.
    „Morph wo bist du?... Ich brauche deine Hilfe, sofort!... Im Park in 15 Minuten und klapp deinen Operationstisch aus!“, blökte er in den Hörer und legte auf.
    „Muss ich sterben?“, stöhnte ich fragend und meine Schulter wurde brennend heiß, während mir ansonsten eiskalt war.
    „Ich bin kein Arzt. Es sieht nicht schlimm aus, aber es könnt deine Lunge erwischt haben.“
    „Oh Gott...“, begann ich zu wimmern, „... Ich will nicht sterben““
    „Du wirst nicht sterben, dafür sorge ich.“ Er hob mich hoch, da mir immer wieder die Beine versagten und begann loszurennen. Aus der Seitenstraße hinaus und dann nach links die Straße hinunter.
    „Drück auf deine Wunde und bleib bei Bewusstsein, hörst du.“, keuchte er und ich nickte.
    „Armel...“, flüsterte ich, da mir langsam wirklich schlecht wurde und ich nicht wusste, ob noch mehr als meine Schulter verletzt war.
    „Genau, erzähl mir etwas, damit du wach bleibst.“, forderte er mich auf und ich überlegte was man wohl in solch einer Situation erzählt. Ich konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Ich hatte solche Schuldgefühle und hielt damit immer noch hinter den Berg. Wenn ich nicht jetzt damit aufhörte, dann nahm ich im schlimmsten Falle alles mit in mein Grab.
    „Es tut mir Leid, ich hätte auf dich hören sollen. Es tut mir wirklich Leid.“
    „Nein, mir tut es Leid. Ich hätte dich gar nicht erst mitnehmen sollen!“
    Er sah sich um und folgte dann einer Straße wieder nach links. Die Leute, denen wir begegneten starrten nur seltsam aus ihrer Wäsche und wer konnte es ihnen verübeln. Doch Armel hatte für sie keine Augen, er wollte den Park erreichen, wo Morph auf uns warten würde.
    „Dann wäre ich dir trotzdem gefolgt.“, antwortete ich und verzerrte mein Gesicht vor Schmerzen.
    „Ist das eine Drohung oder eine Tatsache?“, fragte er mich schon völlig außer Atem.
    „Armel, ich glaube,... Nein, ich weiß,... ich liebe dich!“
    Seine Schritte wurden langsamer, bis er anhielt und mich ansah.
    „Was?“, fragte er erschrocken.
    „Deshalb folge ich dir überall hin! Deshalb fürchte ich mich nicht, wenn du in meiner Nähe bist.“
    Er sah benommen nach vorn und lief augenblicklich wieder los und das diesmal noch schneller. Quer über die Straße, wo die Schienenautos hupten und sprang über eine Bank, auf der ein Obdachloser schlief.
    „Wenn du mir nach diesen Worten wegstirbst, werde ich richtig sauer!“
    „Ich versuche es!“
    Er rannte über eine weitere Straße und blieb vor einem Zaun stehen, der uns den Weg in den kleinen Park versperrte. Kurz setzte er mich ab und lehnte mich gegen eine Straßenlaterne. Dann lief er auf den Zaun zu und riss ihn aus dem Betonboden. Er schmiss das Metall beiseite und hob mich erneut hoch. Wir liefen durch das Gestrüpp und ehe wir an einen kleinen Springbrunnen ankamen, leuchteten schon die Scheinwerfer eines Wagens auf. Es war Morphs Imbisswagen, der mit voller Geschwindigkeit durch einen anderen Teil des Zaunes brach und bei uns zum Stehen kam. Er ließ die Scheibe nach unten und musterte uns.
    „Stadtführung, was?“, murmelt er durch seinen Bart und öffnete automatisch die hintere Klappe seines Wagens.
    „Steigt ein,... Schnell, bevor die Bullen kommen!“
    Armel trug mich hinein und sofort fuhr Morph weiter. Wir setzten uns auf den Boden, damit wir nicht herumgeschleudert wurden. Armel hielt mich fest, während meine Schmerzen sich in meinen Verstand bohrten. Die Kochutensilien klapperten an den Wänden und der Motor heulte auf, so dass ich kaum mein eigenes Wort verstehen konnte.
    „Ich will nur das du weißt, dass ich dir nicht gefolgt bin, um dir nachzuspionieren,... Naja eigentlich schon, aber nicht weil ich dir nicht traute, sondern weil ich Angst hatte, du kommst nicht mehr zurück.“
    „Darüber sprechen wir später.“, antwortete Armel, aber ich wusste ja nicht einmal, ob es noch ein später geben würde. Also handhabte ich es wie bei einer Beichte.
    „Ich wollte wissen, ob ich alles lieben würde. Die guten und die schlechten Seiten und bei Gott, das tue ich. Mir ist es egal was du tust oder welche Wege du einschlägst. Ich weiß ja, dass du niemals einem Unschuldigen verletzen würdest.“
    „Würdest du jetzt bitte damit aufhören. Das kannst du mir alles noch später sagen, wenn wir allein und du,... Wenn du außer Lebensgefahr bist.“
    Armel wollte das nicht hören. Es klang nach Abschied und das konnte er nicht akzeptieren. Nicht solange er mir nicht die Meinung geigen konnte.
    Morph lenkte seinen Wagen wieder aus der Stadt und fuhr etwas abseits der Gebiete, die von der Polizei kontrolliert wurden. Er kam zum Stillstand und öffnete die Tür.
    „Möchte mir einer sagen was passiert ist oder soll ich raten?“, sagte er und trat ein. Er klappte eine Arbeitsplatte aus, die an der Wand befestigt war und legte eine Matte darüber. Armel half mir drauf und Morph zückte eine Schere, mit der er mein Shirt komplett zerschnitt.
    „Hmm,... schöner Schuss.“, flüsterte er und legte eine Nierenschale neben mich, etwas hochprozentigen Alkohol und einige andere Utensilien, deren Namen ich nicht kannte, noch für was sie waren.
    „Wie schlimm ist es?“, fragte Armel, aber Morph antwortete nicht, sondern überprüfte seine Werkzeuge.
    „Ich will nicht sterben.“, wiederholte ich und Morph grinste.
    „Das wirst du nicht.“, antwortete er, aber diese Diagnose befriedigte nicht wirklich meine Besorgnis. Mein Körper war mittlerweile voller Adrenalin und ich fühlte mich wie bei einem Vollrausch. Meine Schmerzen wurden sogar weniger. Der Körper hat schon seltsame Methoden, mit solch einem Stress umzugehen, aber es half.
    „Ich muss die Kugel rausholen, anders kann ich sie nicht heilen.“, wendete er ein und Armel nickte nur stumm.
    Morph rollte ein Handtuch zusammen und steckte es mir in meinen Mund.
    „Für die Schmerzen.“, versicherte mir Armel, der sich anscheinend mit dieser Methode auskannte.
    „Bete das du kurz bewusstlos wirst. Dann ist es einfacher.“, riet mir der alte Heiler, aber vorab wollte ich noch was loswerden. Ich spukte das Handtuch noch einmal aus und nahm Morph am Kragen und zwar mit meinem gesunden Arm.
    „Ich darf auf keinem Fall sterben. Ich will nicht als Jungfrau sterben!“, wimmerte ich. Kurz schwiegen alle Anwesenden und Morph tätschelte mir verwirrt meinen Kopf.
    „Das kann ich dir nicht versprechen, nicht wegen deiner Schusswunde, aber ich habe wohl kaum einen Einfluss auf deinen Lebensstil...“, antwortete er und zeigte auf Armel.
    „... Das ist dann dem sein Problem.“
    „Sag mal haben dir 25 Jahre Frittierfett das Hirn vernebelt?“, keifte Armel.
    „Okay,... dann holt die Kugel raus.“ Und ich steckte mir wieder das Handtuch in den Mund
    Morph setzte an und zog die Haut an meiner Schulter auseinander. Das Letzte was ich hörte war, dass abgesehen von meinem Schlüsselbein nichts verletzt war. Ich versank im Schleier meiner Schmerzen, die mir zuerst die Sicht nahmen und dann wurde alles schwarz. Ich wurde wirklich bewusstlos, was wahrscheinlich ein Segen war. Ich wusste nicht wie die Heilung ablief, nur das meine Schmerzen verflogen waren, als ich meine Augen wieder öffnete. Es war immer noch tief schwarze Nacht draußen und ich konnte umgehend erkennen, dass wir wieder in der Wohnung waren. Morph fuhr uns anscheinend zurück und Armel brachte mich hinauf. Er legte mich ins Bett und decke mich zu. Völlig fertig und wieder Herr über meine Sinne, schaute ich mich um und entdeckte Armel am Bettende und wie er anscheinend auf mein Erwachen gewartet hatte.

  • Guter Cliffhanger :stick:

    und ich steckte mir wieder das Handtuch in den Mund.
    „Okay,... dann holt die Kugel raus.“

    umgekehrt wärs wahrscheinlich besser (erst die Worte, dann das Handtuch in den Mund) :thumbup:

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

  • Oha, jetzt nach diesen langen Szenen auf dem Land kommt mit einem Mal ganz plötzlich alles Schlag auf Schlag :golly: Großartiger Kontrast. Außerdem legt Dia endlich ihre Verklemmtheit ab :D

    Regungslos blieb der Drogendealer liegen und er steckte schnell die Waffe wieder ein.


    Ich glaube, das schafft er tot nicht mehr ;)

    • Offizieller Beitrag

    „Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?“, erschallte plötzlich auch Morphs Stimme aus der Dunkelheit und meine geöffneten Augen wurden noch nicht bemerkt.
    „Ich...“, stockte Armels Stimme und nun war er es, der wegen meiner Dummheit zu Rechenschaft gezogen wurde.
    „Nur mal zum Vergleich. Carol hatte 7 Jahre lang keine Ahnung, welchem Beruf du nachgingst und ihr erzählst du es nach einer Woche? Bist du denn von allen guten Geistern verlassen, sie in einen privaten Kampf hineinzuziehen?“
    „Er wird bald nicht mehr privat sein, wenn sie das erreichen, was sie erreichen wollen!“
    „Junge, das ist eine große Nummer, wenn das stimmt, was du mir erzählt hast. Ein Mädchen vom Land gehört da bestimmt nicht rein.“
    „Ich weiß...“
    „Wenn du das weißt, was sucht sie dann hier?“
    „Ich wollte es so...“, lenkte ich ein und mit einem Mal knipste Morph das Licht an.
    „Dornröschen ist ja schon wach!“, sagte er und grinste mich an. Ich richtete mich leicht auf und sah zuerst an meine Schulter, wo eine rundliche Narbe zu sehen war, aber jetzt sah meine Schusswunde aus, als sei sie schon Wochen alt.
    „Wie ist das...“, stockte meine Stimme und ich fasste über meinen Arm.
    „Was man kann, kann man eben. Aber gegen die Narbenbildung kann ich leider nichts tun. Ich bin ja auch ein Heiler, kein Zauberer.“
    „Nein, nein, schon gut. Das stört mich nicht. Mein Onkel Chester verlor beide Daumen beim Mähen und konnte sich trotzdem noch Zigaretten drehen, da werde ich damit schon fertig.“, kommentierte ich und sah dann die beiden an.
    „Es war nicht Armels Schuld. Ich bin ihm gefolgt. Er wollte mich ja heraushalten, aber ich ließ es nicht zu. Jetzt habe ich es gelernt, denke ich.“
    „Du denkst? Du denkst, du hast es gelernt?“, schimpfte Armel erneut mit mir und ich zuckte nur mit meinen Schultern.
    „Na gut. Dann will ich mich mal wieder auf den Weg machen. Solltest du Hilfe brauchen, Arthmael, dann ruf mich an. Könnte lustig werden den Bezirkspräsidenten zu stürzen.“
    „Du bist dabei?“, drehte Armel seinen Kopf ruckartig zu Morph.
    „Diesen Anzug tragenden Schwuchteln ganz oben trete ich gerne ins Hemd. Und wenn das Landei mitmacht, dann ja wohl auch ein Fossil wie ich!“
    „Okay...“, stieß Armel bestätigend aus. „... Du weißt aber, die Bezahlung ist mies!“
    Lachend ging Morph aus der Tür und verschloss sie hinter sich. Da saß ich nun im Dunklen und es wurde plötzlich unheimlich still. Erst als man den Motor des Imbisswagens in der Ferne verschwinden hörte, drehte sich Armel zu mir und zeigte auf mich.
    „Jetzt zu dir...“, sprach er.
    „Oh oh....“
    „Ja, oh oh! Sag mal, hast du Todessehnsucht, denn wenn ja, dann könnte ich es einigermaßen verstehen, dass du ständig in Lebensgefahr gerätst.“
    „Wie? Was? Nein!“
    „Erst der Pavillon und nun die Schlange! Hast du einen Funken eines Gedankens daran verschwendet wie es mir dabei gehen könnte, wenn ich ständig dahinterher sein muss, dass du am Leben bleibst? Wahrscheinlich nicht...“
    „Ich sagte doch, es tut mir Leid!“
    „Das genügt mir nicht! Ich will ein Versprechen, dass du sowas nie wieder ohne mein Wissen tust. Ich will, dass du mir verspricht, keine Alleingänge mehr zu unternehmen, ohne das ich genaustens darüber Bescheid weiß. Denn egal ob du glaubst, dass sich niemand Sorgen um dich macht...“
    Armel stand auf und lief im Zimmer auf und ab. Ich wusste er war noch sauer und konnte nun seiner Wut freie Bahn lassen, jetzt wo ich wieder gesund war. Ich klammerte mich an die Decke und starrte zu meinen Beinen.
    „... Muss ich dich nämlich enttäuschen. Denn ich mache mir Sorgen.Und das größte Übel daran war,... Wie kannst du mir in diesem Moment auch noch sagen, dass du etwas für mich empfindest? Wie ist das überhaupt möglich? Widerspreche nicht genau ich dem Typ Mann, der zu dir und deinem Glauben passt?“
    Ich starrte immer noch auf die Decke und konnte es ihm nicht erklären. Natürlich erhoffte ich mir, dass er das Gleiche fühlte. Sorgen machen, bedeutete für mich noch kein Zugeständnis. Ich fing an zu überlegen wie ich ihm es am leichtesten erklären konnte. Wie ich mein Verhalten entschuldigen konnte. Denn Zuneigung ging Vertrauen voraus, aber ich widersetzte mich ihm, aber nicht aus Mangels des Vertrauens, sondern ebenfalls aus Sorge. Es wurde in meinen Gedanken immer umständlicher. Ich fand nicht die Worte, die das alles erklärt hätten, außer:
    „Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie blähet sich nicht, sie stellet sich nicht ungebärdig, sie suchet nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht der Ungerechtigkeit, sie freut sich aber der Wahrheit; sie verträgt alles, sie glaubet alles, sie hoffet alles, sie duldet alles.... 1. Korinther, Kapitel 13, Vers 4 bis 8.“, murmelte ich.
    Armel entwich die wütenden Luft, die er in sich gesammelt hatte und setzte sich wieder auf die Couch.
    „Und was soll ich jetzt deiner Meinung nach machen?“, flüsterte er und ich verstand die Frage nicht. Mit ungläubig verzogenem Gesicht sah ich ihn.
    „Was meinst du?“
    „Wenn ich dir sage, das meine Gefühle ähnlich sind, wenn nicht sogar genau die Gleichen, dann kommt es mir so vor, als wenn in deinen Augen, der Teufel etwas für einen Engel empfinden müsste. Meine Welt ist wie ein schmutziger Sumpf, aber deine...“
    „... Meine ist ein Gebilde aus Lügen, Theorien und Halbwahrheiten. Wie soll ich ernsthaft an etwas glauben können, wenn ich mir nicht einmal glaube. Bis diese Worte über meine Lippen kamen, wollte ich sie totschweigen und vergessen. Aber warum sollte ich das tun? Schicksale verflechten sich niemals umsonst, es steckt immer mehr dahinter. Ob nun von Gott gelenkt oder etwas anderem. Wir sollten doch dankbar sein, wenn unsere Gefühle erwidert werden. Egal ob von einem Menschen, der nicht zu uns passt oder gerade deshalb an unsere Seite gehört. Wenn es etwas gibt woran ich nicht glaube, dann sind es doch Zufälle!“
    Armel nickte nachdenklich. Natürlich hätte er mir weiter die Leviten gelesen, geschimpft und geflucht, aber er tat es nicht mehr. Er hatte etwas in mir gefunden, was selbst er nicht kannte. Gefühle ohne Bedingungen. Ich forderte von ihm keinen Wandel wie es andere Personen von ihm verlangten. Ich akzeptierte wer und was er war und er es bei mir genauso.
    „Nur das wir uns verstehen,... Ich konvertiere nicht!“, sagte er und lächelte mich dabei an. Ich schüttelte bloß meinen Kopf und erwiderte sein Lächeln in der Dunkelheit, was nur durch die Lichter der Stadt sichtbar wurde.
    Er stieg auf die Couch und kam nach oben gerutscht. Mit seinem Rücken lehnte er sich an das Kopfteil und nahm mich in den Arm.
    „Wie geht es jetzt weiter?“, wollte ich wissen.
    „Zuerst muss ich herausfinden, was die Schlange damit meinte, dass nur eine Firma dazu fähig sei, all die verschieden Komponenten, die sie für die Herstellung der Drogen brauchen, zu liefern. Dann kann ich näheres sagen!“
    „Du willst zu deinem Vater?“
    „So sieht es aus!“
    Ich überlegte und ehe ich meinen Mund öffnete, bekam ich schon Antwort.
    „Ja, ich nehme dich diesmal mit.“
    Mit dieser Antwort einverstanden, lehnte ich mich auf seinen Oberkörper und schlang meine Arme um seine Taille. Just in dieser Stille, umfasste seine Hand meine linke Wange und strich sie hinunter. Er wendete mein Gesicht seinem zu und sah mir zuerst in die Augen, auf meine Nasenspitze,… Lippen.
    Langsam, mit seinem Blick auf Letzterem verharrend, küsste er mich. Vor meinem inneren Auge flackerten die Momente unserer Begegnung auf. Schon als er vermummt an dem Tisch meines Restaurants saß, gab es nur einen Weg und ein Ende für uns. Jetzt wo der Moment da war, war ich aber nicht aufgeregt oder ängstlich. Ich wusste, dass ich einfach meiner Natur folgte und in seinen Augen nichts falsch machen konnte. Der Kuss hielt an und er ließ sich nach unten sinken, so dass wir Arm in Arm im Bett lagen. Doch versuchte er nicht gleich zu viel. Er beließ es bei der Berührung unserer Lippen und so schliefen wir auch ein.
    „Gott,... Wenn dir dieses Bild nicht passt, dann sieh weg. Ignoriere mich einfach oder vergesse mich ganz. Denn egal welche Bürden du mir noch auferlegst, von der Seite dieses Mannes weiche ich nicht!“, betete ich in meinen Gedanken und meinte es so. Ob durch die Tiefen der Hölle oder himmelhoch jauchzend, nichts konnte mich mehr überraschen. Naja,... nichts mehr, bis ich Alex traf.

  • Morph kommt auch klasse an. Wieder mal toll geschrieben. :thumbsup::thumbsup::thumbsup:
    Aber wer ist Alex? 8|:thumbup:

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

  • Finde Morph auch absolut klasse :D
    :hmm: ich denke mal, mit Alex willst du einen Kontrahenten ins Spiel bringen. Junge junge, das arme gläubige Mädchen vom Land.Kaum kommt sie in die Stadt, fliegen ihr die Typen zu ;)