Beiträge von Ralath

    Manch einer würde mich vielleicht als etwas langweilig bezeichnen. Weil ich mit Party machen, Alkohol und lauter Musik absolut nichts anfangen kann. Aber ich selbst, würde mich eher als ruhige, sensible Seele bezeichnen.

    Leute, die den Nervenkitzel im "Nicht-Party-Elch-Sein" nicht sehen, DIE sind langweilig :P

    Und damit willkommen im Forum ^^

    Guten Abend, gute Nacht.

    Meine Anmerkungen zum Kapitel 18:

    Schwerfällig zog sie die Decke zurück und schwang sich aus dem Bett,

    "Zog" wirkt auf mich nicht besonders glücklich gewählt. Die Decke zurückschlagen oder auf die Seite schieben ist bildhafter.

    Leise öffnete sie die Tür und huschte dann ins Badezimmer, um sich am Waschbecken ein paar Hände voll kaltem Wasser ins Gesicht zu kippen

    Auch hier kann ich mir nicht in einer Alltagsgeste vorstellen, wie man sich mit den Händen aus dem Waschbecken heraus Wasser ins Gesicht kippt. Also, ich weiß natürlich wie das gemeint ist, würde sie aber das Wasser ins Gesicht spritzen oder werfen lassen, weil das mehr Sinn ergibt.

    Die Spannung, die sich zwischen ihnen aufbaute war beinahe spürbar und erinnerte an einen Heißluftballon, der unaufhörlich befüllt wurde und nun kurz vorm Platzen stand.

    Ich, meines Zeichens äußerst pragmatisch veranlagter Leser, finde, dass der Vergleich hinkt. So'n Heißluftballon kann nämlich gar nicht platzen *Klugscheiß ende* :D Andere Ballons hingegen schon.


    Kommen wir damit zu den Zeilen, die mir besonders aufgefallen sind.

    Tausend Gedanken explodierten wie ein Funkenregen am nachtschwarzen Himmel ihres beeinträchtigten Verstandes, hinterließen eine undurchdringliche Nebelwand zäher Verzweiflung

    Sehr wortgewaltig und metapherlastig. I like it.

    im Zustand fortgeschrittener Lebensfreude

    :D

    Emilia schob die Brauen zusammen und betrachtete ihn argwöhnisch. Warum bloß hörte sich das so an, als rezitiere er einen Passus aus seinem antrainierten Wissensfundus.
    „Die Menschliche Psyche Teil I: Motivationstheorien“, las sie gedanklich den Einband des dicken in Leder eingebundenen Buches, das wahrscheinlich zur Pflichtlektüre eines jeden Engels gehörte.

    :D:D Auch 'ne wunderbare Szene.


    Und dann noch was Inhaltliches:

    „Stimmt. Ich kenne deine Eltern nicht und dich kenne ich auch nicht wirklich. Aber du scheinst mir definitiv kein Versager zu sein…“, entgegnete Elias, während er sich den freien Hocker heranzog, um neben Freddy Platz zu nehmen. „Vielleicht solltest du die positive Bestätigung weniger bei deinen Eltern als vielmehr in anderen Lebensbereichen suchen. Emilia zum Beispiel wäre wohl kaum so lange mit dir befreundet, wenn du nicht ziemlich gute Qualitäten als Freund an den Tag legen würdest.“ Kurz schwenkte sein Blick in ihre Richtung, bevor er sich wieder Freddy zuwandte. „Oder nehmen wir dein Medizinstudium. Deine Beweggründe, die du mir gestern Abend geschildert hast, weshalb du Arzt werden möchtest, finde ich außerordentlich bemerkenswert und das imponiert mir zutiefst. Außerdem hast du mir gesagt, dass du dich mit diesem Vorhaben gegen den Willen deiner Eltern aufgelehnt hast, die eigentlich wollten, dass du Jura studierst, damit du die Kanzlei deines Vaters übernehmen kannst. Respekt kann ich nur sagen.“ Elias deutete eine Verbeugung an und tat so, als ziehe er den Hut vor Freddy. „Glaub an dich, Mann! Wir tun es und was deine Eltern sagen, ist zweitrangig,“ fügte er hinzu

    Zunächst mal: Gut geschrieben, keine Frage.
    Aber irgendetwas war mir hier zu viel oder auch zu steif, zu psychologisch korrekt. Elias spricht sehr sehr gewählt bis beinahe gestelzt und überaus einstudiert und auf einer zwischenmenschlichen Beziehungsebene, die mir persönlich nicht authentisch genug ist. Er ist wirklich überfreundlich und zu kumpelhaft, dafür, dass er Freddy noch keine 12 Stunden kennt und dabei rattert er auch noch so einen heftigen Motivationtrainermonolog ab.
    Der Zweck soll ja offensichtlich sein, ihn egomäßig aufzubauen, ihn "scharf zu machen" (also... wie einen Rottweiler auf 'nen Hasen... weniger wie wenn man jemanden auf einer Erotikmesse scharf macht... Achtung, mitarbeiten! :D ) damit er seinen "Mann stehen kann", wenn es zum Ernstfall kommt - letzten Endes hab ich Elias die Nummer dann aber nicht abgekauft. Tut mir leid. Gerade vor dem Hintergrund, dass es, wie gesagt, abseits von meinem Empfinden trotzdem super geschrieben ist.


    So far, weiter so :nummer1:

    Wenn jemand auf irgendeine Weise das Ableben von jemandem verursacht, finde ich, gehört dazu eine Reaktion und diese sollte auch unbedingt erwähnt werden.
    Eine Tötung ist eine derart endgültige und nicht rückgängig zu machende Handlung, dass wir in der heutigen Zeit nicht ohne Grund wahnsinnige Hemmungen haben, jemanden umzubringen. Ich denke, der Leser erwartet dazu auch ein paar Worte. Muss ja kein psychologischer Aufsatz werden, aber mit einem gelangweilten Schulterzucken wäre es für mich selbe keinesfalls getan.

    Wie genau man dem Leser diese Reaktion nun genau präsentiert, ist wieder eine völlig andere Nummer. Da gibt es unheimlich viel Raum, mit dem man arbeiten kann und auch unbedingt sollte. Es gibt in dieser Situation so viele Werkzeuge, um einzigartige Facetten und Nuancen in den Charakter seiner Figuren zu schleifen.
    Und gerade die Bandbreite, mit der man auf einen Tod reagieren kann, macht für mich eine sehr pikante Würze aus - unter anderem, weil ein Mord oft gegen selbstgesteckte Prinzipien verstößt und gegen das moralisch gute Gewissen schießt. Oder eben auch nicht. Beides fände ich als Leser sehr aufschlussreich.

    Ein Kind reagiert auf einen Mord anders als ein Erwachsener.
    Es macht einen Unterschied, ob das herbeigeführte Ableben versehentlich oder gewillt geschieht.
    Die äußeren Umstände spielen eine große Rolle.
    Auch die Vorgeschichte des Charakters nimmt eine gesonderte Priorität ein: Ein Henker reagiert auf die ausgeführte Hinrichtung anders, als eine Magd, die aus Notwehr jemanden von der Brüstung stößt.
    Sieht man sich harschen Konsequenzen entgegen, oder hat man gute Chance unbehelligt damit durchzukommen?
    Noch was: War es vielleicht der erste Kampf mit Todesfolge, oder bereits der 199ste erschlagene Gegner auf dem Schlachtfeld? Auch das ändert die Sichtweise auf das Töten.
    Hat man seinen Gegenüber in einem ehrenhaften Zweikampf gefällt, oder hat man gerade bei einer Plünderung einem wehrlosen Kind das Genick gebrochen?
    Hat man jemanden aus hundert Meter Entfernung mit einem Pfeil getötet oder ihm beim Sterben in die Augen gesehen, während sich der Dolch ins Herz gebohrt hat?
    War es eine Tötung aus Pflichtgründen, oder hat man einen sterbenden mit einem schnellen Schwertstoß erlöst?


    Diese Faktoren (und noch viele weitere) haben letzten Endes einen riesengroßen Einfluss darauf, wie der Charakter eine Tötung aufnimmt und verarbeitet. Man hat an solchen Stellen eine so rohe und nicht zu unterdrückende Reaktion, mit der man unheimlich viel über den Charakter der Figur durchscheinen lassen kann, dass man sich die Zeit unbedingt nehmen sollte. Meiner Meinung nach zumindest. Jedes vergessene Wort diesbezüglich, wäre für mich eine Verschwendung von Möglichkeiten.

    (natürlich muss man jetzt auch nicht seitenlang jeden der 457 namenlos gefallenen Fußsoldaten betrauern. Aber dort wo es Sinn macht, mit dem Tod einer Person die Gedankenwelt des Protagonisten/Antagonisten etwas offenzulegen, sollte man diese Chance ergreifen - dosiert, wie gesagt)

    So,ich bin mittlerweile beim 17. Kapitelangekommen und habe relativ wenig zu maulen. Deshalb auch nur zwei Anmerkungen. Der Rest war meines Erachtens gewohnt tippi-toppi.

    „Du hältst mich ja offensichtlich für verrückt und glaubst mir kein Wort, von dem, was ich schon die ganze Zeit versuche, dir zu sagen. Das da drin …“, er deutete über seine Schulter zu Emilias Wohnung, „… das waren ziemlich eindeutig Kreaturen dämonischen Ursprungs und die reagieren üblicherweise so auf Wesen wie mich. Anscheinend habe ich sie überrascht, weshalb sie sich aus dem Staub gemacht haben. Ich kann deshalb nicht mit Sicherheit sagen, um welche Art Dämonen es sich gehandelt hat.“

    Da habe ich ein wenig gestutzt. Er scheint das ja ziemlich nüchtern aufzunehmen, dass die Höllendiener Emilia bereits bis in ihre Residenz verfolgt haben. Irgendwie hatte ich erwartet, dass er deutlich an Coolnes einbüßt, weil Dämonen, die seinem Schützling derart nahe gekommen sind, ja ein oberheftig schlechtes Omen bedeuten und für jemanden wie Emilia (gerade so jemanden wie Emilia) eine große Gefahr darstellen. Gerade weil Elias weiß, wie unbeholfen sie sein kann.

    Vielleicht habe ich auch einen Zusammenhang übersehen oder es kommt noch was erklärendes, dass die Reaktion aufschlüsselt, aber hier war ich von seiner Reaktion erstmal etwas... überrumpelt. Ich hatte einfach damit gerechnet, dass sein Beschützerinstinkt von dem Moment an komplett das Ruder übernimmt und weniger, dass besagter Instinkt weggetreten in der Mannschaftkajüte in einem Transportnetz pennt. ^^


    Und das andere:

    Emilia ist sicher nicht dumm, aber über etliche Zeilen lang ziemlich betüdelt. Trotzdem drückt sie sich relativ gewählt und annähernd Wortgewandt aus, auch wenn man ihrer Denkweise anmerkt, dass die Getränke vom Glühweinstand das Chaos in ihrem Kopf noch etwas gesteigert haben. Während wir dem Erzähler über die Schulter schauen, reflektiert sich die Betrunkenheit für meinen Geschmack etwas zu wenig in der Art und Weise, wie sie spricht.
    Die Wortwahl könnte ruhig noch etwas einfacher oder sogar roher (fluchiger?) ausfallen, vielleicht muss sie zwischen dem Hin und Her während der Gespräche auch mal nach einem Wort suchen - als müsste sie überhaupt eines finden, was nicht völlig sinnentfremdet ist, anstatt sich das Schönste aus 5 ähnlichen Optionen auszusuchen.
    Die körperlichen Auswirkungen des Alkohols hast du immer mal wieder aufgegriffen, das hat alle gepasst. Nur die Sprache war mir ein bisschen zu wenig beeinflusst, dafür, dass sie knapp 1-2 Stunden vorher noch vor der Kirche rumgetorkelt und auf jedem Schritt fast 3 mal gestürzt ist.
    Sicher mag es auch Leute geben, die in solchen Situationen immer noch 95% ihres Sprachschatzes abrufen können, aber authentischer fände ich es, sich an die Referenz der großen Masse zu halten.

    Weil... wer so prächtig einen sitzen hat, der spricht nicht mal eben geradeaus. #isso :D


    Das war's dann auch schon. Wie gesagt, der Rest war super und hat sich in gewohnter Manier flüssig und zügig weggelesen. Bin mal gespannt, wann Emilia die Pille endlich runterschluckt, dass sie einen Engel an den Fersen kleben hat 8)

    Eben grade Creed II gesehen.


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    Ich war von der Auswahl nach unserer demokratischen Abstimmung (3:1)schon nicht sonderlich angetan, bin dann nach einer Stunde auch mal direkt duschen gegangen und habe mir den Rest erspart.
    War halt irgendwie ein typischer Rockyfilm und damit gar nicht mein Geschmack. Noch dazu zu langatmig, zu vorhersehbar, zu viel "we are the Hood". Die ganze Zeit hatte das alles so eine assihafte Ghettonote. Der Hauptdarsteller hatte dann noch genau so viel Mimik drauf wie Stallone - also grob über'n Daumen ca. 4 Gesichtsausdrücke und sieht ansonsten aus, als könnte er nicht bis 1 zählen. Das war mal absolut nix, für mich jedenfalls.

    Ich bin nun aber sehr froh diese Seite gefunden zu haben. Denn mich erhoffe mir von Gespräche mit Gleichgesinnten neue Motivation zu finden, an meinem Projekt weiter zu machen.

    Bei dem riesigen Sammelsorium an Threads über alles Mögliche wirst du sicher ein paar ansprechende Themen finden, über die es sich zu diskutieren lohnt - und damit Herzlich Willkommen. :)

    Herzlich Willkommen und keine Sorge wegen der Flut an Neuankömmlingen, mit ein wenig Ellebogeneinsatz, einem verbalen Messer an diversen Kehlen und den blanken Zähnen schaffst du es bestimmt, obenauf zu schwimmen. :thumbsup:

    Motivationen gibt es bei mir, wenn ich länger darüber nachdenke, sogar recht viele. Was nicht unbedingt bedeutet, dass deren Summe nicht trotzdem durch eine Schreibblockade oder schlichte Unlust völlig ausgehebelt werden kann.

    * Das Schreiben bildet mich - sowohl was Geistreichheit angeht, als auch Charakter. Ich lerne während des Prozesses viel Neues dazu. Hinterher fühle ich mich einfach gewachsener. Im Grunde genommen ist es wohl einfach das Gefühl, etwas bezweckt zu haben, auf das man wohlwollend zurücksehen kann.
    * Wenn ich mich mal dazu durchgerungen habe, jemandem einen Text in die Hand zu geben und dieser Jemand dann mit dem Geschriebenen klickt, sich dafür interessiert und ich für die sonst so stille brotlose Arbeit etwas Anerkennung erhalte, dann gibt mir das ebenfalls einen saftigen Motiovationsschub. Einfach eine positive Reaktion auf meine Mühe. Sowas wirkt Wunder.
    * Selbst ein Kapitel endlich zuende zu bringen oder sich durch eine Szene zu beißen, die mich wochenlang angestunken hat - und im Anschluss wirklich lesbar und authentisch wird. Da zeigt sich Fortschritt, Verbesserung, Lerneffekt, Handwerk. Sowas motiviert mich.

    Der allergrößte Antrieb ist für mich aber letzten Endes ein anderer, sehr intimer, fast schon naiv kitschiger Grund.

    Ich erinnere mich immer wieder an Momente zurück, in denen mich verschiedenste Geschichten richtig geflashed und überwältigt haben und deren Enden mir wie Beerdigungen von engsten Freunden vorkamen. Man steht am Sarg und will einfach nicht akzeptieren, dass es so zuende geht, dass es hiermit vorbei ist und von da an nichts mehr kommt. Das zeigt die verborgene Kraft und den Stellenwert, den der Autor mit seinen Figuren in meinem Alltag eingenommen hat. Plottwists, Charaktertode, wahnsinnig lebendig verfasste Szenen und Dialoge, die mich haben innehalten lassen, weil sie irgendetwas in mir gerührt haben. Das waren Stellen, die mir etwas sehr seltenes und wertvolles geben konnten, etwas, das ich bis heute nicht recht benennen kann. Was ich aber mit Sicherheit sagen kann, ist, dass sie (so kitschig und surreal das klingen mag) mein Leben auf die eine oder andere Weise bereichert haben. Diese Augenblicke möchte ich für andere quasi in der selben Intensität reproduzieren.

    Und das ist die Quintessenz. Das zu erreichen ist mein Wunsch - den Weg dahin zu schaffen - mich Abends ins Bett zu legen und in der Gewissheit einschlafen zu können, dass meine kleinen Texte jemandes Leben für einen Moment bereichert haben, dass ein Augenblick unter Tausenden plötzlich durch meine Arbeit einen unerwarteten Mehrwert erhält und mit einem Lächeln belohnt wird.
    DAS motiviert mich mehr als alles andere, eben WEIL ich am eigenen Leib nachfühlen kann, was für ein Hochgefühl daraus entstehen kann, unverhofft über so ein literarisches Goldnugget zu stolpern.
    Lesern etwas geben, das sie nie gesucht haben, und über das sie dennoch froh sind, wenn ich es ihnen vor die Füße lege, um es zu finden.

    Der Weg dahin mag lang und steil und steinig bergauf gehen, aber mit jedem Schritt kommt man dem Gipfel näher.
    Oh ja, Bruder. Das muss sich so anfühlen, als wäre die Druckertinte mit Ecstasy versetzt, wenn man dann oben ankommt. ^^

    Ich bin neulich über ein, ich nenne es mal "Analysevideo" zur Red Wedding Episode von Game of Thrones gestoßen. Und ich muss sagen, G.R.R. Martin hat da so derb viele unterschwellige Details und Hinweise eingebaut, um die Erwartungshaltung zu steuern, dass es schon fast absurd ist.

    Ich fand's jedenfalls sehr interessant (so wie den gesamten YT-Kanal - den kann ich den Englischsprechenden hier sehr empfehlen)

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    Ja. Also. Ich noch mal.

    Ansonsten zeige ich euch aber schon mal den Anfang von Kapitel 13...Was ich an der Stelle gerne mal von euch wissen möchte ist: Wie wirkt Emilia auf euch? Ich habe ja mal angedeutet, dass sie ein dunkles Geheimnis mit sich herumträgt und viele ihrer Gedanken dadurch dominiert werden, was vielleicht manchmal etwas übertrieben destruktiv wirken könnte. Mich würde interessieren, ob das beim Lesen als störend (oder gar als nervend) empfunden wird oder ob man vielmehr hellhörig wird und dadurch ein gewisses Interesse geweckt wird, diesem Geheimnis auf den Grund zu gehen. Je nachdem muss ich schauen, ob ich die Dosis herunterfahre, denn ich verrenne mich gerne in emotionalen Gemütszuständen

    Sie wirkt auf mich in dieser Hinsicht (in den aktuellen Kapiteln, abseits ihrer Sympathischen Charakterzüge, verschroben und hat ihre Prinzipien alle irgendwie nicht so richtig auf der Reihe. Verplant und durcheinander eben. Aber noch im Rahmen, sodass es (noch) nicht wirklich anstrengend oder nervig auf mich als Leser wirkt. Dass das jetzt auf ein übernatürliches Phänomen aka das dunkle Geheimnis (?) zurückzuführen ist, wäre mir im Traum nicht eingefallen.
    Ich glaube. ich habe mit ihr als Hauptcharakter soweit geklickt, dass ich ihr wirklich kein weiteres Dilemma in irgendeiner Form mehr zumuten möchte. Das spricht letztendlich dafür, dass du bisher deinen Job mit ihr und ihrer Entwicklung sehr gut gemacht hast.

    13

    Ihre Gedanken drifteten davon, wie ein Stück Treibholz, das vom Strom erfasst, und unaufhaltsam mitgerissen wurde, landeten sie erneut bei dem Geschehen des Vormittags

    Bei einem Entspannungszustand würde ich ein weniger starkes Verb benutzen, als "mitgerissen" ... vielleicht davongetragen?


    Das restliche Stück der ersten 13 war... uff.

    Boah... uff.

    UFF.

    Nein wirklich, soweit ich das als Kerl beurteilen kann, hast du das Gefühlschaos in deiner Protagonistin wirklich auf den Punkt genau getroffen und äußerst bildhaft und nachvollziehbar beschrieben. Wie sie das alles versucht zu ordnen und auf die Reihe zu kriegen und abzuwägen. Sogar ich bin da mitgekommen. Oft neigen ja solche "Reflexionsszenen" dazu, langweilig zu werden, weil wenig bis gar nichts passiert und man eben nur im stillen gedanklichen Zwiegespräch des aktiven Charakters unterwegs ist. Aber ich hab das gar nicht so empfunden und stattdessen da irgendwie voll angebissen. Gut gemacht, kriegst'n Fleißbienchen dafür :thumbsup:

    Und damit bekomme ich um 0:24 dann tatsächlich noch 'nen Cliffhanger vor die Nase gesetzt... bemerkenswert fies - und ein Grund, noch eine Szene dranzuhängen, bevor es ins Bett geht... danke auch!

    13.1

    Sie lukte um die Ecke ins Wohnzimmer,

    lugte

    Intuitiv griff sie nach dem Brotmesser, das sich in greifbarer Nähe

    Könnte man ändern, um es weniger redundant klingen zu lassen.

    Ich war mir zuletzt nicht mehr sicher, ob die Aktion mit den Küchenschränken und den Schubladen nicht vielleicht ein bisschen albern ist. Das erinnert ein wenig an die alten Poltergeist-Filme.
    Andererseits fand ich früher genau solche Situationen in meiner Vorstellung gruselig...vor allem, wenn man am Ende die eigene Zurechnungsfähigkeit in Frage stellt und einem keiner glaubt. Jetzt könnte man sich natürlich fragen, warum jemand so einen Eiertanz veranstalten sollte...es könnte ja auch einfach direkt zu einem handfesten Angriff oder sowas kommen....ich dachte allerdings, es wäre ganz sinnvoll, das noch ein wenig hinauszuzögern...manchmal ist ein bisschen Zermürbung am Anfang ja gar nicht so schlecht....und es soll ja Dämonen geben, die zehren von den Ängsten der Menschen Ich freue mich über eure Rückmeldungen/Einschätzungen.

    Ich fand die Dosierung genau richtig. Nicht zu dick aufgetragen, aber immer noch genug um ihren angeschlagenen Gemütszustand über die "Ich kriege echt einen an die Waffel"-Schwelle zu stoßen. Mich als Leser hat es in erster Linie neugierig gemacht und zwar mit so einer: "Huh... warte was... aber wie... waaarum? ...na das will ich jetzt aber auch genauer wissen"-Reaktion.
    Auch, weil immer noch so ein Hauch von Gefahr in der Luft hängt und weil der Kater ein zugegebener Maßen merkwürdiges Ziel für einen Angriff ist, der noch dazu so glimpflich ausgegangen ist. (Ist ja nur 'ne Katze. Grob gesagt reicht einmal kräftig drauftreten, und das war es dann - für einen Dämon (?) eben absolut kein Hindernis. Katze töten würde natürlich den Effekt des Zermürbens noch schwer steigern und wäre von dämonischer Seite ein Kinderspiel und eigentlich ein muss bei der Aktion.) Ich kann jedoch noch nicht einschätzen wie relevant die Details für den weiteren Plot sind.
    Alles in allem bin ich jetzt auf eine schlüssige Erklärung gespannt.
    Der Gedankensprung von "Dagon will die Menschen erst mürbe machen" zu dieser Aktion in der Küche ist bei mir ausgeblieben. Kann jetzt an meiner langen Lesepause liegen, aber da eine gedankliche Verbindung zu ziehen finde ich dem Leser etwas zu viel zugemutet, wäre mir also wohl auch so entgangen.
    Ein wenig fraglich fand ich dann noch, dass Emilia nicht noch beunruhigter gewesen ist, weil ja offensichtlich immer noch jemand in der Wohnung hätte sein müssen. Da geht noch ein Quäntchen mehr Schock um sie richtig in den Wahnsinn zu stoßen.

    14

    Nichts zu meckern. Gefällt und ist abgenommen.

    Nein! Halt! Da war noch irgendwo ein lukte (lugte) :D

    Wie angekündigt: Während ich mich von einer tückischen Sommer-(MÄNNER!)-Grippe zu erholen versuche (Mitleidsbekundungen werden wie immer gerne auch in Geldform entgegen genommen), habe ich wieder etwas Zeit, um Geschichten im Forum aufzuholen :D
    Erste Anlaufstelle unter anderem natürlich auch das apocalyptic/lovestory Crossover hier ^^

    *Fingerknack*

    11

    fremdartige Pflanzen empor, die wunderschöne Blüten und ungewöhnliche Früchte

    Das sind alles Beschreibungen, die bei mir leider 0 Visualisierung hervorrufen und damit eigentlich nur Ballast für den Satz sind.
    Ich lese das entsprechende Wort, bekomme dazu aber kein Bild im Kopf, was letztlich dazu führt, dass ich mir die Umgebung nur sehr nebelig bis gar nicht vorstellen kann.
    Ich habe mal in einem Seminar "Lernen wie man lernt" beigebracht bekommen (und das ist nebenbei auch das Einzige, was von den 5 Stunden hängen geblieben ist), dass man immer möglichst eindeutige Wörter für Beschreibungen benutzen sollte. Ausser natürlich, man will etwas nur vage beschreiben. Denn das Gehirn stolpert über einen solchen Begriff und strauchelt für einen Moment, was dazu führt, dass die beiden vorherigen und die beiden nachfolgenden Sätze quasi gar nicht verarbeitet bzw. "gelöscht" werden.
    *Schnips, zack* Einfach weg.

    Es war ja so klar, dass das ausgerechnet ihm passieren musste.

    Das ist jetzt nur ein kleines Detail, dass ich ganz allein für mich festgestellt habe, aber der Spruch ruft bei mir ein zeterndes/maulendes Weibsbild vor das innere Auge - ich würde die Aussage nicht unbedingt Elias zuordnen, bzw. fühlt sich sein Charakter so an, dass dieses innere Aufstöhnen etwas zu bitchig für ihn rüberkommt.

    11.1

    die Übergänge zu sichern und das Leck zu finden.

    Die Metapher hinkt ein wenig, "Übergänge" und "Leck" in diesem Zusammenhang zu benutzen. Ich stelle mir bei Übergängen eher Brücken/Portale/Risse vor. Lecks hingegen erinnern mich eher an Seefahrt und U-boote und weniger an dämonische Eindringlinge.

    Außer sich vor Wut und Sorge war er aufgesprungen und hatte die Worte laut herausgeschrien.

    Dass er beginnt, sich in Rage zu reden, würde ich 1-2-3 Sätze früher zumindest andeuten. Ich musste an dieser Stelle den Abschnitt nochmal retrospektiv umdenken.

    Seine Gedanken schwirrten durcheinander wie ein Bienenschwarm. Es war ihm nicht möglich, auch nur einen davon zu fassen zu bekommen.

    Ah, das'n schöner Vergleich. Gefällt mir. :)


    Der gute Elias ist also ganz schön heftig verschossen. Na das kann ja heiter werden. Aber zumindest ist er jetzt schon mal auf den Trichter gekommen, dass, selbst wenn er vom Militärdienst abgezogen wurde, aus völlig unerfindlichen Gründen und natürlich nur absolut versehentlich trotzdem am Ort des Geschehens sein kann :D
    Und ihm kann nicht mal einer was, denn er soll ja auf der Erde rumturnen. Wenn das dem Herrn Rebellen nicht superduper in den Kram passt.

    *

    12

    ausgesetzter Hundewelpen

    Ausgesetztes Hundewelpen hört sich merkwürdig an. Der ausgesetzte Hundewelpe - so kenn ich das.

    Das Taubheitsgefühl, das von ihr Besitz ergriff, fesselte sie an Ort und Stelle, machte jede weitere Bewegung unmöglich. Das hektische Treiben ringsum rückte in weite Ferne und die Geräusche drangen nur noch gedämpft zu ihr durch, als befände sie sich unter einer dicken Watteschicht.

    2x Das an aufeinanderfolgenden Satzanfängen.


    Die Szene hatte wirklich was. Schön vom Hauptgeschehen abgelenkt, indem die zwei Hühner diskutieren und dann ~Batz~ steht plötzlich der ominöse Typ so mir nichts dir nichts vor der Motorhaube und murmelt kryptisches Zeug - nur um 4 Sekunden später vor den nächsten Hermesbus zu hechten. Toller WTF-Moment, der einen schwer neugierig macht und kaum Zeit lässt, sich über alles Gedanken zu machen.
    Das "überbringen des Venti" durch den schwer morbiden Nebencharakter habe ich als sehr geschickt und stimmig rübergebracht empfunden.
    Dem scheint ja noch eine Bedeutung im weiteren Verlauf anzuhaften.

    Ein kleines Manko von meiner Seite wäre noch gewesen, dass die Umgebung nur umrisshaft auftaucht. Ich hätte mich gerne noch mehr im Geschehen orientieren wollen. Fahrbahn. Autos. Drogeriemarkt. Da hätten noch mehr Anhaltspunkte für die gedankliche Kamera sein können, wenn es nach mir geht :)

    Tach und Willkommen!

    Hamburg ja? Hoffentlich lässt du Pest und Feuer oben bei deinem Störtebecker und Kumpanen :D

    Stoff zum Lesen gibt's hier auf jeden Fall genug... und anderen Stoff auch, wenn man nur weiß wo man suchen muss. *Geheimnistuerisch wieder in die Schatten zurücktauch*

    Mahlzeit zusammen.
    Ich dachte mir, ich mache für die knapp zwei Kurzgeschichten pro Jahr, die ich bewältigt bekomme, auch mal einen Sammelthread auf. Ihr wisst schon, der Ordnung halber.

    Ohne noch mehr Worte zu vergeuden (die folgende Story hat sowieso schon ihre ca. 20 Normseiten) möchte ich euch "Goldkehlchens Laute" vorstellen.
    Da der Titel so schön irreführend, nichts- oder auch vielsagend ist, schenke ich mir an dieser Stelle einfach fieserweise eine kurze Beschreibung der Geschichte. (Müsste ich den Text mit einem Wort beschreiben, ich würde mich ohne groß zu überlegen für "BROCKEN" entscheiden :D )

    Stattdessen lade euch einfach recht herzlich ein, während eines ruhigen Moments mit in den bibbernden Bären zu kommen, um zu schauen, welche Geschichten uns so über den Weg laufen, während die klammen Lumpen trocknend vor dem Kaminfeuer hängen und man Bier aus einem prallgefüllten Humpen die Kehle herunterstürzt. Und das alles, während draußen der Winter vor den Butzenglasfenstern tobt und es aber trotz aller Gewalt nicht bis in den Schankraum oder gar in die Gemüter der alteingesessenen Zecher schafft.


    :beer:


    ~Goldkehlchens Laute~

    Spoiler anzeigen


    Es war keine Selbstverständlichkeit, dass der bibbernde Bär zu dieser Jahreszeit derart gut besucht war. Denn wenn sich der Winter erst einmal von den Berggipfeln herabsenkte und die steilen Talhänge in harschem Weiß begrub, dann galten die Passagen durch das Gebirge schon seit langem als unpassierbar.
    Wer nun der Meinung war, nur die verrücktesten der Lebensmüden würden unter solchen Bedingungen noch einen Fuß in die Berge setzen, der hätte richtiger nicht liegen können und wäre dennoch überrascht davon, wie viele Verrückte es auf der Welt noch immer gab. Der Gefahr zum Trotz stapften sie zu dutzenden in die grausame Obhut des Winterwinds, der mit fürchterlicher Gewalt durch die verschlungenen Schluchten jaulte. Schneidend kalt fegte er um die Felsentürme und ließ die, über viele Jahrhunderte lang eingetretenen Pfade, unter dickem Eis verschwinden. Sein Schneetreiben verschleierte die Sicht und drängte jeden noch so Vorsichtigen vom Weg ab, aufdass alle Unbelehrbaren auf nimmer Wiedersehen in der Tiefe verschwanden und für ewig ein Teil der Berge wurden. Für jene Wagemutigen, die sich dem Wahnsinn dennoch entgegenwarfen, waren Herberge und Pferdewechselstation des bibbernden Bären der erste oder letzte Anlaufpunkt – je nachdem, ob man die beschwerliche Reise durch das Gebirge schon hinter sich gebracht hatte oder gerade die letzten Fuß des steilen, zerfurchten Zuweges erklomm und ein finales Mal verschnaufte.
    Wie der Namensgeber der Herberge es in harschen Wintern tat, so schmiegten sich auch die Stallungen, zwei kleine Scheunen und das niedrige Wirtshaus mit den Gastquartieren unter den Überhang eines Felsvorsprungs, um die kälteste der Jahreszeiten auszusitzen. Direkt neben dem kleinen Gehöft lag die Passstraße – wenn man den durchlöcherten und zerfahrenen Weg denn überhaupt mit dem Wort Straße adeln wollte – und führte mit steilem Anstieg hinauf zum Eingang des Passes. Links und rechts davon säumten geröllübersäte Hänge den Zugang bis hinein in die Wolken, ganz so, als wären sie das Tor zu einer anderen Welt. Letzte verkümmerte und von den Böen geneigte Bäume trotzten der sturmschweren Luft und fingen sich den umhertaumelnden Schnee mit ihren nadelbesetzten Ästen ein, bis sie kleine Kappen und Hüte zur Schau trugen, welche an dem letzten bisschen Grün auch gleich ohne Umschweife festfroren.
    Wer zu dieser Zeit einer Reise entgegensah, der war aus vollstem Herzen dankbar für den hartgesottenen Wirt des Bären, der ohne Rast die Tür geöffnet und den Kamin ordentlich geschürt hielt und dessen Stall mit ausgeruhte Pferde glänzte, die ganzjährig auf ihren Einsatz warteten. Eben so, wie es sich für eine vernünftig geführte Wechselstation gehörte.
    Wie sich ein Jeder sicher denken konnte, wollten wichtige Nachrichten auch im Winter zügig und zuverlässig überbracht werden, Arzneien mussten rechtzeitig eintreffen, Termine und Audienzen zwangen einige Unglückliche zur Überquerung der Pässe, ohne Rücksicht auf die Gegebenheiten.
    Es war jedoch nicht nur die große Dringlichkeit vieler Anliegen, die es lohnenswert machte, Quartiere, Wirtshaus und Ställe in den wenig gastfreundlichen Höhenlagen zu betreiben, es war kurioserweise auch die Gesellschaft, die die Schankfamilie mehr und mehr zu schätzen gelernt hatte.
    Halb erfrorene Männer waren voll des Lobes für ein prasselndes Feuer und nicht zu Handgreiflichkeiten aufgelegt. Die Münzen saßen locker in den Börsen und für einen warmen Eintopf fand sich immer auch ein dankendes Wort. Und die Aussicht auf eine Strohmatratze hatte noch bei jedem für einen sehnsuchtsvollen Blick gesorgt, der zuvor nächtelang auf harten Ladeflächen Schlaf suchen musste.
    Und dennoch hatte der alte Narn - seines Zeichens Wirt des Hauses und beleibtes Oberhaupt der Familie - noch eine andere Vermutung, warum sich der Gastraum Abend für Abend bis unter die Decke füllte… auch mit Besuch, der aus dem Tal heraufkam und gar nichts in der nächstbesten Nachbarstadt hinten dem Gebirge zu suchen hatte. Ob ihm dieser Grund gefiel, stand wiederum auf einem anderen Blatt. Jener Grund hatte schon immer seinen eigenen Kopf gehabt und gab nicht viel auf Narns Bedenken.
    Der alte Wirt hatte ihn bei seiner Geburt Lysanna getauft und beobachtete nun mit krauchendem Ärger im Bauch, wie seine älteste Tochter gerade über die grob zusammengezimmerten Tische stelzte und dabei auf ihrer Laute die Melodie eines anzüglichen Trinkliedes zupfte.
    Ihr Haar, fuchsfellfarben wie… nunja, ein Fuchsfell eben, hüpfte verspielt auf ihren Schultern herum und schlug sich auf dem Ausschnitt ihres Mieders nieder, während sie über die massiven Bohlen tänzelte, sich drehte und den Anwesenden mit festgeschnürtem Schankkleid besten Grund zu guter Laune gab.
    Die Gäste fanden seiner Meinung nach etwas zu viel Geschmack an der Unterhaltung durch seine Tochter und Lysanna fand - wenn es nach ihm ging - zu viel Gefallen daran, den Männern etwas darzubieten.
    Solange es sich allerdings in genügend Münzen auszahlte, ohne dass einer der Gäste ihr zu nahe kam, wollte Narn es knirschend erdulden. Männer und Gäule durch den Winter zu kriegen war nämlich alles andere als billig. Auf jede Münze kam es an.
    Ein Rest des Unwohlseins verblieb am Ende dennoch. Sein ergrauender Schnauzer juckte ständig. Das war ein unzweifelhaftes Zeichen dafür, dass noch an diesem Abend etwas im Gange war, was er nicht mögen würde.
    Lysannas Zwillingsschwester und der jüngere Bruder waren derweil ausser Haus und sollten in zwei Tagen mit dem letzten großen Einkauf vor dem Winter vom Talmarkt zurückkommen, wenn ihnen das Wetter halbwegs gewogen war. In der Zwischenzeit kümmerten sich Narn und Lysanna allein um das Wohlergehen der Durchreisenden und Zechfreudigen.
    Das Publikum war auch heute wieder, wie so oft, gebannt von der Stimme seiner Ältesten. Goldkehlchen war schon seit langem der Spitzname, der ihr vorauseilte. Nicht zu Unrecht, nein, ganz und gar nicht. Sie hatte diese Gabe von seiner verstorbenen Frau geschenkt bekommen und wann immer Lysanna sang, wurde ihm warm ums Herz. Ein weiterer Grund, weshalb er dem Treiben nicht augenblicklich ein Ende bereitete. Narn hatte ebenfalls, wenn auch anders als die anderen Zuhörer, seine helle Freude an Lysanna. Woher allerdings das Talent mit der Laute stammte, das war ihm schleierhaft. Nie hatte ihr jemand gezeigt wie man sie spielt und dennoch dauerte es kaum ein paar Wochen, da konnte sie es bereits.
    Ein Spielmann hatte das Instrument vor langer Zeit zurückgelassen, unter der Bedingung, dass Lysanna darauf würde spielen können, wenn er das nächste Mal mit seiner Familie hereinschaute. Auf dem Weg über die Pässe wollte er dem wunderschön gearbeiteten Holz die Witterung nicht zumuten, weil es dadurch nur unnötig Schaden nehmen würde. Er meinte, die Laute würde seiner mitreisenden Frau zu sehr am Herzen liegen, weil die Kinder ihren Klang so mochten und sie würde für den Besuch in der Nachbarstadt stattdessen eine andere nehmen. So ergab es sich, dass sie die Laute lieber in Lysannas Obhut ließen und auf dem Rückweg wieder danach schauen wollten. Das waren des Spielmannes letzten Worte gewesen, bevor er und sein Anhang den langen Weg antraten, um eine Aufführung als Gastmusikanten auf einem Ball der Obrigkeit irgendwo in einer der Städte hinter den Bergen zu spielen.
    Diese Worte waren schon alt und lange vergangen. Niemand kam je wieder um die Laute zurückzufordern. Der Berg kannte keine Nachsicht, selbst dann nicht, wenn es um einzulösende Versprechen ging.
    Lysanna hingegen hatte sich jene letzten Worte zu Herzen genommen und mit dem Instrument Tag um Tag geübt. Sie hielt es in Ehren, spielte gerne und oft darauf.
    Narn fragte sich, was mit dem Mann, der seine Tochter schelmisch auf den Spitznamen Goldkehlchen getauft hatte, und seiner Familie wohl letzten Endes wirklich geschehen sein mochte. Gedankenverloren ließ er den Aufwaschlumpen zum hundertsten Mal durch den Krug kreisen.
    „Heyda, Narn, bist beim Krügeschrubben eingeschlafen, nehm‘ ich an?“, fragte eine bekannte Stimme. Das passende Gesicht dazu schob sich in sein Blickfeld und hielt ihm auffordernd einen leeren Humpen über die Theke.
    Narn bemerkte erst jetzt, dass er ins Leere gestarrte hatte und schüttelte seine schweifenden Gedanken ab. Nach kurzem Blinzeln fiel ihm auch der Name des kurzharrigen blonden Störenfriedes wieder ein. Frennik.
    „Ihr sauft mir das Bier weg wie Kälber die Biestmilch! Wenn ich beim Spülen nicht schlafen kann, dann komm' ich euretwegen gar nicht mehr zur Ruh‘!“
    „Ja, freilich mein Bester, so haben wir’s doch beide gern!“, lachte Frennik. Er war ein fliegender Händler für allerlei gebraute Wundermittelchen, der schon des Öfteren im Bären Station gemacht hatte und damit zu den alteingesessenen Stammgästen zählte – oder, da er die Nächte häufig sturzbesoffen auf dem Fußboden verbrachte, noch eher zum Inventar.
    „Schaffst du‘s vielleicht heut‘ mal auf deine Stube, oder muss ich nachher wieder um dich rumwischen, wenn ich die Tische abdeck‘?“
    „Ich und auf der Stube schlafen? Wer’s glaubt! Und nun Schluss mit dem Geplänkel, ich bin nicht zum Schwatzen hier, mein Alter, ich hab‘ Durst. Zapf mir lieber einen neuen Humpen und schnärbel dir kein‘ Zahn locker!“
    Narn riss ihm den Krug mit einem Rucken aus der Hand, murmelte eine Verwünschung die wenig erbaulich mit du Lump endete, und zog ein kniehohes Bierfass unter der Theke hervor. Doch bis auf ein paar wenige Tropfen und Schaum quoll aus dem eingeschlagenen Hahn nichts mehr heraus.
    „Ich muss kurz zum Lager“, sagte er und deutete mit dem Daumen über die Schulter nach draußen. „Das Fass mit Pferdepisse, die du so sehr liebst, ist gerad‘ leer geworden“, murrte er zu Erklärung.
    „Hol‘ besser zwei Fässer, die Pferdepisse schmeckt uns all‘n heut‘ nämlich wieder prächtig. Warm und frisch gemolken, wenn’s denn keine Umstände macht“, antwortete Frennik gut gelaunt und klopfte dem Wirt grinsend auf die massige Schulter. Sein lückenloses Gebiss kam dabei zum Vorschein, was Hierzulande nach etwas über dreißig Sommern kein allzu häufiger Anblick mehr war.
    Auch wenn es für Außenstehende nicht den Anschein erweckte, die rauhbeinige Art im Bären hätte freundschaftlicher nicht sein können. Das beschwerliche Leben und vor allem die langen Winter schweißten alle zu einer eingeschworenen Gemeinschaft zusammen.
    Narn schaute durch die Butzenglasscheiben hinaus in das Schneetreiben und schimpfte sich selber zum dutzendsten Male einen Narren, dafür, dass er damals keinen Keller angelegt hatte. Es war ihm zu mühselig gewesen, ganz allein die vielen Fuhrwerke Stein aus der Bergflanke zu brechen. Stattdessen hatte er hinter dem Schankhaus einfach eine zweite Scheune als Lager aufgestellt. Es war um Längen schneller gegangen, bedeutete aber auch immer wieder einen Spaziergang an frischen Luft. Bei jedem Wetter.
    „Du passt mir auf, dass hier alles beim Rechten bleibt. Jeder Teller, der zu Bruch geht, den setz‘ ich dir auf deine Rechnung“, wandte er sich mit drohendem Finger zurück an Frennik und nickte in Richtung des Trubels. „Und lass' ja die Finger von meiner Lysanna, du kleiner Tunichtgut“, fügte er hinzu und deutete mit einem besonderen Blick zu seiner Tochter herüber.
    Frennik verstand und zwinkerte heiter mit beiden Augen. „Wir woll‘n deine Spelunke in der Zwischenzeit schon nicht in Brand setzen und auch auf’s Töchterchen geben wir bestens acht. Ich schwör's bei meiner Seel‘! Jetzt aber husch husch, mir dörrt‘s in der Kehle und ich wird‘ sicher nicht der letzte Durstige bleiben.“
    Während Narn seufzend seine speckige Schürze gegen einen dicken Wollmantel tauschte und sich eine Fellmütze über die ergrauenden schwarzen Haare zog, schnappte sich Frennik seinen angefüllten Krug und warf sich wieder auf eine der Bänke, gleich neben die restlichen angetrunkenen aus seiner Reisegruppe, mit denen er sich erst Stunden zuvor zusammengeschlossen hatte. Es zog sich mit mehreren Gespannen nun mal einfach besser durch die verschneiten Lande, denn allein. Die Räder nahmen durch die Felsen, Eis und das Geröll auf den Wegen oft genug Schaden. Dann war guter Rat teuer und eine helfende Hand wie Gold.
    Es dauerte nicht lange, da tanzte auch schon Lysanna mit wehendem Rock an ihm vorbei und, mit den letzten Tönen des Liedes beschäftigt, geradewegs wieder auf ihn zu. Sie setzte über einen halben Braten hinweg und schwang sich auf den Zehenspitzen zwischen Tellern und Besteck hindurch. Geschickt umkreiste sie die etlichen Humpen und abgenagten Knochen. Direkt vor Frennik kam sie zum Ende des Liedes und ihrer bereits zweiten Zugabe. Geschwitzt vom Kaminfeuer in ihrem Rücken und mit rotem Gesicht verbeugte sie sich elegant, eine rote Strähne in langen Locken löste sich hinter ihrem Ohr und schwang sich frech in ihr hübsches Gesicht. Die Verbeugung ließ den ohnehin schon kaum verhaltenen Jubel der Anwesenden gleich aus mehreren Gründen noch einmal tosend anschwellen.
    Im selben Moment, in dem sie sich wieder aufrichten wollte, ergriff Frennik sie am Unterarm und zog daran, sodass Lysanna auf seinen Schoß herunterpurzelte.
    Aufdringlich legte er einen Arm um sie.
    „Oho! Immer langsam mit den jungen Wildpferden, wir woll‘n doch nicht, dass deine Tanzeinlage für heut‘ schon die letzte gewesen ist!“
    „Frennik!“, rief Lysanna empört und stemmte noch im Sitzen ihre Fäuste in die Hüften.
    „Wieder eine wunderbare Vorstellung, mein Täubchen mit der Goldkehle“, säuselte Frennik.
    „Recht vielen Dank, der Herr“, erwiderte Lysanna gezwungen artig und konnte trotzdem einen gewissen kratzbürstigen Unterton nicht aus ihrer Stimme verbannen. „Doch solang man mich auf einem Schoß gefangen hält, wird’s wohl die Letzte gewesen sein.“
    Lysanna kannte die gesteigerte Zutraulichkeit der Gäste bereits zur Genüge. Im Alter von neunzehn Sommern blieb es nicht aus, dass ihr die durchreisenden Männer nach langen Abenden schöne Augen machten. Gerade von Frennik kannte sie das nur zu gut und sie wusste, wie sie sein ständiges Anschmachten zu nehmen hatte.
    „Wie wär’s mit einem Kuss, mein Täubchen? Nur eine kleine Verabschiedung, bevor der tapfere Frennik sich wieder hinaus ins Ungemach schlagen muss, um den Armen und fürchterlich Kranken hinter den Bergen ihr rettendes Tonikum zu bringen“, brachte er theatralisch vor. „Wer weiß, kleines Täubchen, vielleicht ist’s ja mein Letzter?“
    Lysann sah sich um, ihr Vater war gerade nirgends zu sehen.
    „Ach, ich weiß nicht…,“ begann sie.
    „Zier dich nicht so, mein Täubchen, es soll dein Schaden nicht sein“, gurrte er.
    „Aber wenn ich das tu‘, dann wollen die anderen Herrschaften auch einen Kuss“, sagte sie gespielt seufzend, ließ dabei einen Zeigefinger kreisen. „Und dann komm‘ ich heute Abend weder zum Bedienen, noch zum Tanzen, zum Singen, noch zu was ander‘m…“
    „Ach was, es gibt schlimmeres!“, rief einer von den hinteren Tischen.
    „Das nehm' ich gern in Kauf für einen Schmatzer!“ rief ein weiterer der knapp dreidutzend Gäste und auch andere stellten lachend aus dem Hintergrund ihre persönliche Forderung auf Gleichberechtigung.
    „Aber ich hab‘ im Gegensatz zu euch noch alle Zähne im Maul“, rief Frennik laut und gut gelaunt den Nebenbuhlern zu, „ und ich stink im Vergleich zu euch auch nicht schlimmer als die Pferde, die ihr bis hier her zu Schande geritten habt!“ Der Scherz wurde mit gackerndem Gelächter erwidert. Man verstand sich und erwartete den rauen Ton in jedem Satz, ohne ihn allzu krumm zunehmen.
    „Nun, mein Täubchen? Es tut auch gar nicht weh, ich versprech’s bei allem was heilig ist. Und ich schwör‘s, dass ich’s dem alten Narn auch nicht auf die Nase binde. Ein Geheimnis, nur zwischen uns zwei‘n.“
    „…und dem andern halben Tal, dem der Wildeintopf noch nicht aus den Ohren quillt“, beendete sie mit einem Augenrollen und deutete ausladend in den Raum.
    Lysanna atmete aus und rang anschließend noch einen Moment mit sich. „Na gut“, gab sie überraschend nach und hüpfte keck von Frenniks Schoß. „Aber mein erster Kuss soll ein richtiger, ein besonderer sein, also lässt du mich führen und schließt dabei die Augen. Das ist die Bedingung.“
    „Wie die Dame wünscht“, sagte Frennik charmant und gleichzeitig milde verblüfft, dass sie ihm den Gefallen wirklich tat.
    Lysanna ließ ihren Unterkiefer ein paar Mal von Links nach Rechts kreisen und erntete für ihren Mut leisen Beifall und Anfeuerungsrufe. Frennik spitzte sogleich die Lippen. „Ah, ah ah! Augen schließen, sonst fällt das Glück einem ander'n zu! Und sei vor allem langsam und sacht‘ und zärtlich… und nicht so ungestüm“, fügte sie verführerisch hinzu.
    „Freilich, freilich! Augen zu und sacht‘, ganz wie die Herrin Täubchen befiehlt.“
    Der Gastraum hielt den Atem an, als Frennik die Lider senkte. Nur ganz leises Rumpeln und Rascheln erklang noch in der Stille, unterdrücktes Atmen und das eine oder andere erwartungsfroh kindische Kichern.
    Lysanna griff ihn sanft am Kinn und führte seinen Kopf in ihre Richtung. Sie ließ sich Zeit dabei. Frennik jedoch, ungeduldig wie er war, schnellte auf halbem Weg plötzlich nach vorn um sich den Kuss von ihr zu stehlen, damit sie es sich vorher nicht doch noch anders überlegen konnte – und versenkte seine Lippen zwischen den warmen Hinterbacken seines Sitznachbarn. Als er bemerkte, dass er keinesfalls die weichen Lippen seines Täubchens getroffen hatte, riss er die Augen weit auf, stieß hustend-würgend den haarigen Hintern von sich fort und fiel dabei mit rudernden Armen rücklings von der Bank.
    Der gesamte Gastraum johlte über den Schabernack, wieherndes Gelächter füllte die Stube und war sicher noch über den Sturm hinweg nach draußen zu hören. Frennik war der Schanktochter gerade gehörig auf den Leim gegangen und wurde zum unfreiwilligen Mittelpunkt der Belustigung.
    „Was ist los Frennik?“, rief einer, der neben der Tür saß, „Hat dir dein erstes Mal nicht gefallen?“ Auch dieser Scherz wurde lautstark mit Beifall quittiert, Stiefelsohlen polterten dazu auf den ausgetretenen Dielen.
    „Scheint nicht ganz sein Geschmack zu sein“, antwortete Lysannas Komplize und zog über alle vier Backen grinsend seine Hose wieder hoch. Sie bedankte sich bei ihm mit einem adretten Knicks und einem ebenso schelmischen Grinsen.
    Frennik rappelte sich derweil auf, wischte sich angewidert mit dem Ärmel über den Mund und spuckte mehrfach aus. Lysanna hatte unterdessen ihre Bühne erneut erklommen, sah vom Tisch auf ihn hinunter und ließ den Blick dann durch den Schankraum schweifen. „Lasst euch das eine Lehre sein, meine hochwohlgeborenen Herren! Huren und leichte Mädchen kann man sich ergaunern, aber wer eine richtige Frau will, der muss mehr können als nur mit der Börse und schönen Worten klimpern!“
    „Hört, hört!“, schallte es glucksend im Chor.
    Lysanna streckte die Arme von sich und posierte in burschenhaften Posen, um mit ihren zierlichen Muskeln anzugeben. Nach dem Possenspiel zwinkerte sie Frennik entschuldigend zu und zuckte mit den Schultern, als Antwort darauf, dass er schwer verärgert zu ihr hinaufsah.
    „Aber da wir im bibbernden Bären alle keine Unmenschen sind“, richtete sie das Wort erneut an die Anwesenden, „entschädigen wir unsere Gäste, die zum Abendprogramm und der guten Laune beitragen, natürlich gebührend.“
    Sie beugte sich versöhnlich zu Frennik herunter und hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn, dann patschte sie ihm sachte gegen die stoppelige Wange.
    Frenniks Sitznachbarn zogen ihn daraufhin wieder auf die Bank herunter und schenkten ihm mit großen Schwappen aus ihren Bechern nach, freundschaftliches Schulterklopfen und Haarewuscheln dämpften den Ärger über den groben Scherz auf seine Kosten leidlich. Schon bald darauf stahl sich wieder ein Lächeln auf seine Züge.
    „Lacht nur, ihr kurzbeinigen Wichte“, moserte er gegen den Spaß an, der allem Schabernack zum Trotz wieder in ihm aufglühte, „meinen Kuss hab‘ ich ja doch bekomm‘!“
    „Auf Frennik!“, rief Lysanna und hob, der Menge zuprostend, einen unsichtbaren Becher in die Höhe. Die restlichen Männer taten es ihr gleich und nahmen jeder einen kräftigen Zug aus ihren Humpen.
    Lysanna wartete die erleichterten Ahs und lautstarken Rülpser ab, dann klatschte sie kräftig in die Hände. „Nun die Herren, was machen wir mit begonnenen Abend?“, rief sie in die Runde.
    „Wir singen und saufen, bis der nächste Winter vor der Türe steht!“
    „Ja, Mädchen, ein Lied!“, pflichtete einer dem ersten Rufer bei.
    „Danz nommal fhür uns, D-Däubchen! Dasss wahr doch s-so soho hüpsch!,“ lallte einer undeutlich neben ihr und konnte schon die Augen nicht mehr offen halten.
    „Ein Gedicht! Ein bisschen Poesie für das verdummte Pack hier und was schönes für die vernarbten Seelen!“
    „Nein, eine Geschichte, Kleines! Erzähl uns was aus dem Nähkästchen!“, rief ein anderer.
    Lysanna wandte sich dem Letzten zu.
    „Eine Geschichte also, hm? Ja… ja, nach einer Geschichte steht mir auch der Sinn! Aber was für eine Geschichte soll’s sein? Es gibt doch so viele!“
    In gespielter Hilflosigkeit wartete sie erneut auf Vorschläge – wie erwartet überschlugen sich die Rufe zum wiederholten Male. Die Mehrheit bestand auf eine anzügliche Erzählung und Lysanna zog tatsächlich in Erwägung, den durcheinanderbrüllenden Kerlen ihren Willen zu lassen. Doch sie entschied sich nach kurzem Überlegen anders.
    Mit einer knappen Geste bat sie um Ruhe und das Publikum gehorchte sogleich.
    „Lieder, Gedichte,… alle schön und gut. Aber was haltet ihr stattdessen von einer noch sehr jungen Sage aus den Bergen? Einer unheimlichen Geschichte, bei der sich euch die Haare zu Berge stellen? Meint ihr, eure alten gegerbten Mägen verdauen einen zähen Schauderschinken?“
    „Du kannst doch gar keine Gruselgeschichten erzählen, Knöspchen!“
    „Genau, so hübsche Mädchen kennen überhaupt keine Geschichten, die uns das Fürchten lehren können!“
    „Oh! Seid ihr euch da wirklich sicher?“, fragte Lysanna schelmisch und zog eine Augenbraue in die Höhe.
    „Natürlich, sieh uns stattliche Männer doch an!“, lachte einer lauttönend und hob sein Holzbein in die Höhe.
    „Nun gut.“ Lysanna machte einen Satz vom Tisch herunter und zog einem der Männer salopp seinen ledernen Schlapphut vom Kopf. Sie hielt ihn auffordernd in die Runde.
    „Jeder, der der selben Meinung ist, wirft mir einen Schilling zu! Ich find‘ nämlich, die wirklich Furchtlosen sollten auch keine Angst davor haben, für ihren Mut mit ein wenig Kupfer zu bürgen. Doch Achtung! Schaudert‘s euch am Ende doch, behalt‘ ich den Wetteinsatz. Könnt ihr stattdessen reinen Gewissens behaupten, ich hab‘ euch nicht wenigstens ein bisschen erschreckt bekomm‘, kriegt derjenige ein ganzes Fass Bier! Also, ein Schilling gegen ein Fass, wer ist ein Hasenfuß und wer ist keiner?“
    Es dauerte keine fünf Herzschläge, da klimperten so viele Münzen im Hut, dass Lysanna mit der zweiten Hand darunter greifen musste, ihm ihn nicht fallen zu lassen. Es waren bei weitem mehr als ein Schilling je Kopf. Geschichten zu erzählen wurde immer großzügig belohnt, keinem ging es vorrangig um die Fässer, und wie man am gut gefüllten Hut sah, eilte Lysanna mit dem Goldkehlchen ihr Ruf einmal mehr voraus.
    „Wie ich seh‘ sind die meisten von euch sehr von sich selbst überzeugt. Schau‘n wir mal, wie lang‘ der Übermut noch anhalten wird.“
    Sie trat um den langen Tisch herum, legte den prallgefüllten Hut neben sich auf die Dielen und zog scharrend einen Schemel heran. Vor dem prasselnden Kaminfeuer nahm sie Platz, ließ sich ihre Laute und einen herrenlosen Krug reichen, an dem sie gegen ihre trockene Kehle nippte.
    „Seid so gut und löscht das Licht… es sei denn, ihr habt Angst im Dunkeln – dann löscht es trotzdem, denn keiner schert sich hier um euch schlotternde Wichte.“
    Umhänge, Mäntel und Lederwesten raschelten, während die Männer leise glucksend nach den kleinen Öllampen an den Wänden griffen und die Flammen niederdrehten. Artig nahm jeder wieder Platz und sah gespannt zur Wirtstochter herüber.
    Lysanna wartete geduldig, bis es vollkommen ruhig war und nur noch der flackernde Feuerschein des Kamins dem Raum die Dunkelheit streitig machte. Die flackernden Flammen schienen sich in ihrer Mähne zu verfangen und auf den Strähnen zu tanzen, von ihrem Gesicht hingegen blieben nur noch zarte Konturen zu erkennen. Das Knacken der Scheite und deren wohlige Wärme erzeugte eine dazu passende Stimmung.
    Lysanna schloss die Augen und räusperte sich. Sie atmete einmal tief durch und begann mit festem Ton in ihre Erzählstimme zu schlüpfen, während ihr Blick von Gesicht zu Gesicht zu Gesicht wanderte und jeden mit einem persönlichen Augenaufschlag in die Geschichte einlud.
    „Es ist einige Jahre her, da erzählte mir ein Gaukler, der hier Station machte, von der weißen Witwe in den Bergen.“
    „Oh nein! Ich schlotter‘ schon jetzt, so halt‘ mich doch einer!“, rief jemand frech herein.
    Mit einem deutlichen „Halt’s Maul, du dummer Sack!“ fing er sich daraufhin gleich etliche grobe Rempler von allen Seiten.
    Lysanna nickte dankend in Richtung derjenigen, die den Unruhestifter wieder zum Schweigen gebracht hatten. Sie rückte etwas vom heißen Kaminfeuer weg und näher an die Zuhörer heran, senkte die Stimme, um es geheimnisvoller zu machen und fuhr fort.
    „Der Mann schien ein bisschen wirr im Kopf zu sein und er war noch dazu betrunken, doch seine Angst und das Schaudern in seiner Stimme… ich schwöre es euch bei meinem Leben… nie, niemals habe ich echtere Furcht erlebt. Seine Augen waren weit aufgerissen und von Tränen des Schreckens verschleiert, als er mir von der Witwe und ihrem schlimmen Schicksal berichtete. Und ihr könnt es mir freilich glauben, nachdem ich hörte, was er zu sagen hatte, kann ich ihm nur beipflichten.“
    Lysanna schüttelte sich, als würde sie erst ihre aufziehende Gänsehaut überwinden müssen und setzte dann die Erzählung fort.
    „Einst soll eine Frau mit Mann und Kind hier entlanggekommen sein. Sie nahmen im Spätjahr, kurz vor dem Einbruch des Winters, die gleiche Straße, die hier an der Tür des bibbernden Bären vorbeiführt. Sie entschieden sich für jene Passage, die auch ihr noch nehmen werdet oder genommen habt, um auf die andere Seite nach Brackenwall zu gelangen. Sie schafften es unversehrt hinüber. Das Unglück jedoch ereignete sich nicht auf dem Weg dorthin, sondern nach ihrer Ankunft am Ziel in Brackenwall.
    Einer der Fürsten wollte die Frau ehelichen, nachdem sie ihm zwischen den vielen feinen Damen aufgefallen war. Wollte ihre Schönheit nur und allein für sich in Anspruch nehmen und ihr die Welt zu Füßen legen. Doch sie verschmähte ihn, weil sie schon einen guten Mann hatte und der Fürst hingegen ein verbitterter Tyrann war. Der Fürst allerdings war es nicht gewohnt, dass man ihm verwehrte, was er begehrte. Niemand zuvor hatte es je gewagt. Zurückgewiesen und von bösartiger Wut verzehrt, ordnete er an, die Frau hinrichten zu lassen und ihren Sohn und dessen Vater gleich mit. Die passenden Lügen hatte er parat, und da er der Fürst war, stellte niemand seine Lügen in Frage. “
    Lysanna machte einen Atemzug lang Pause, um die Dramatik des Gesagten wirken zu lassen. Die Worte entfalteten ihre Wirkung.
    „Eine gute Seele warnte die Familie jedoch und so flohen sie alle rechtzeitig, um der Hinrichtung zu entgehen. Der Fürst aber war rasend vor Zorn und folgte ihnen allein auf seinem Pferd. Er hetzte sie. Hetzte aus der Stadt. Hetzte sie über die Wiesen und Hänge. Hetzte sie hinein in den Pass. Hetzte sie Tag um Tag, bis er sie schließlich auf einem Pfad unweit von hier einholte. Der Vater stellte sich dem Fürsten mutig um seine Familie zu schützen, doch er unterlag dem geübten Kämpfer ohne jede Chance und wurde vor den Augen von Frau und Kind niedergestochen - und anschließend vom Fürsten grausamst enthauptet. Wie ihr selbst am besten wisst, haben die Berge allerdings ihr eigenes, zumeist sehr sprunghaftes Gemüt. Im selben Moment noch, in dem die Klinge auf den Hals niederging, ballte sich grollend ein Unwetter zusammen. Der Fürst war zwar ein böser Mensch, doch ebenso mannigfaltig schlecht wie er auch war, so wenig war er mit Dummheit geschlagen. Er wusste um die Macht der Natur in den Bergen und was sie mit Menschen tat, die in einem Gewitter Eisen am Leibe trugen. Bangend um seine eigene Haut jagte er auf seinem Pferd davon, ließ im Angesicht der Gefahr Rache eben Rach sein. Denn ein Feigling war er überdies.
    Und so ließ er Mutter und Kind im heulenden Sturm zurück.
    Verängstigt und frierend, ohne die Führung des Vaters, irrten die beiden in den Bergen herum. Bald schon wähnten sie sich fauchenden Schneegestöber verloren und hatten zu ihrem Unglück damit recht.
    Wäre ihnen an diesem Tage der Götter Gnade auf dem Fuße gefolgt, so wären sie einfach Arm in Arm erfroren. Doch wie so oft blieb jene Gnade gerade denen verwehrt, die am meisten auf sie angewiesen waren.
    Doch damit nicht genug!
    Eine Spalte tat sich aus dem Nichts im Gletscher auf und verschlang das Kind urplötzlich von einem Augenblick zum nächsten. Die Mutter wollte hinterher, wollte sich hineinstürzen ins Loch, um wenigstens das Kind zu retten, wo ihr Gemahl doch schon erschlagen worden war. Aber die Spalte war so klein, dass nur der Sohn hindurchpasste. Er war sogleich fort, verstummt und verschwunden in den Eingeweiden des eisigen Berges.
    Der Tod nahm sich kurz darauf der Mutter an, doch die Mutter weigerte sich, mit ihm zu gehen. Nicht, bevor sie ihr Kind nicht geborgen hatte, nicht, bevor die Vereinigung mit ihrem Fleisch und Blut jene Gram über den Verlust besänftigen konnte. Der Schnitter willigte ein ihre Seele auf der Erde wandeln zu lassen, bis sie fündig geworden war, er mahnte sie aber gleichzeitig, dass sie vielleicht nie mehr Ruhe finden würde, wenn sie nun nicht mit ihm ginge. Die Mutter vernahm das Gesagte und die Mutter... zahlte den Preis.“
    Lysanna begann mit den Fingerspitzen sachte und gleichmäßig gegen den Bauch der Laute zu trommeln, immer und immer wieder hallten die zwei schnell ineinander übergehenden Töne durch den mucksmäuschenstillen Schankraum. *po-poch* *po-poch* *po-poch*
    Etliche Wiederholungen lang sprach Lysanna nichts. Beinahe unmerkbar langsam senkte sie den Kopf, ihre Züge verschwammen mehr und mehr in ihrem selbstgeworfenen Schatten. Die unheimliche Stimmung griff um sich, untermalt von dem nicht enden wollenden Pochen.
    „Seitdem berichten die Reisenden immer und immer wieder davon, auf ihren Gängen durch die Berge von diesem leises Pochen begleitet zu werden. Es scheint in ihren Köpfen zu sein und gleichsam von den Hängen widerzuhallen, doch keiner kann seine Quelle finden und niemand weiß, wovon es entstammt. Doch zu viele berichten vom Herzschlag der Berge, als dass es bloße Einbildung sein kann oder wie erklärt man sich, dass jeder, der durch das Gebirge streift, dem gleichen Hirngespinst anheimfällt?
    Gleichbleibend ertönt es des Tages wie des Nachts, gibt den Wanderern und Pilgern den Takt ihrer Schritte vor und manchmal, wenn die Reise zu lange dauert… dann führen sie jene Schritte, aus der Bergestiefe geleitet, ins Unheil und in den Wahnsinn. Die Bemitleidenswerten stürzen schreiend von den Pfaden und in die Schluchten hinein. Sie lösen durch Fehltritte Lawinen aus, in denen sie mit Geröll und Schnee und Eis tosend herniedergehen. Sie schlagen mit fürchterlichen Geräuschen auf den Felsen auf und sterben qualvolle Tode in der Kälte, irrgeleitet – denn sie folgen dem Herzschlag des Kindes, der nach seiner Mutter ruft und sich weigert, zu verstummen, bis sie wieder vereint sind. Der Schlag zieht die Unglücklichen an und wirft sie in einen furchtbaren Tod, hofft dadurch, dass ihre Schreie von der Mutter vernommen werden… hofft, dass die peingeplagten Laute jene Frau an sein Grab heranführen, die ihn einst geboren hat.
    Doch die Mutter kann das Kind nicht finden. Sie will von Herzen, doch sie ist dazu nicht imstande. Erblindet durch Sturm und Schnee irrt sie, immer den Böen folgend, herum, auf der Suche nach etwas, dass für sie auf immer verloren scheint und wird gequält von der Einsamkeit des kleinen Herzschlags, der so nah und doch so fern im Echo durch die Schluchten schallt.“
    Lysanna wurde bei den folgenden Worten immer leiser, Angst durchsetzte ihre wohlklingende Stimme und ließ sie zittern wie die Saiten einer Leier.
    Ihre geraunten Silben schnitten geradewegs in die Herzen der Zuhörer.
    „Doch manchmal *po-poch
    wenn ein Wintersturm so wie heute *po-poch*
    vor den Fenstern des bibbernden Bären tobt, *po-poch*
    treibt der Wind die weiße Witwe vor sich her *po-poch*
    und ihre Suche nach dem verlorenen Balg, *po-poch*
    führt sie über die Pfade, *po-poch*
    führt sie durch unseren Pass *po-poch*
    und führt sie bis an die Tür unserer Hauses *po-poch*
    und dann …“

    Lysanna schlug zwei kräftige Male auf den Lautenbauch und sprang dabei mit einem Schrei auf, der Schemel fiel laut polternd nach hinten um. Einige selbsternannte, gestandene Männer jauchzten vor Schreck in die Totenstille hinein, andere zuckten erschrocken zusammen. Wieder andere verschluckten sich an ihrer eigenen Spucke und begannen zu Husten, weil sie das Abschlucken schon vor Minuten vergessen hatten.
    Als in den folgenden Augenblicken nichts weiter geschah, begannen die ersten erleichtert auszuatmen, einige sahen sich zunächst unsicher um und an, und begannen dann gelöst zu grinsen.
    Die Wirtstochter sah sich mit großen Augen in der Runde um und atmete schwer, dann entspannte sich Ausdruck und die verbeugte sich mit der Laute in der Hand.
    Verhaltenes Lachen ging schon bald in ersten, zaghaft anschwellenden Applaus über, der sich tosend steigerte.
    Plötzlich drosch es zweimal gegen die Eichenbohlen der Haupttür.
    Ausnahmslos alle sprangen auf und wandten sich zum Eingang um, Hände schnellten an Gürtel und umfassten Dolche, Schwerter und Prügel. Eine Armbrust richtete sich auf die Quelle des Klopfens, Pulverhähne klackten und Läufe schwenkten herum.
    Niemand sprach.
    Niemand wagte auch nur zu atmen.
    Sekunden verstrichen in vollkommener Stille.
    Wieder schlug es zweimal ans Holz.
    „Heyda! Ich weiß, dass ihr noch da seid!“, drang eine bekannte Stimme gedämpft von außerhalb durch die Ritzen der Tür. Narn erschien am Fenster und klopfte erneut mit dem Ellenbogen. Er stand bibbernd draußen in der Kälte. „Lasst mich gefälligst in mein eigenes Haus, ihr elendes Lumpenpack. Die vermaledeite Hintertür geht nicht mehr auf!“
    Mit pochenden Herzen ließ man die Waffen wieder sinken und Frennik erbarmte sich schließlich, dem halb erfrorenen Narn zu öffnen. Der Wirt stolperte mit einem kleinen Fass auf jeder Schulter über die Schwelle, brachte den halben Winter mit in die Schankstube hinein und schüttelte sich die Flocken vom Leib und aus dem Bart, nachdem er den Nachschub neben die Tür gewuchtet hatte. Der Sturm heulte für einen Augenblick von draußen herein und zankte sich bei jener Gelegenheit sogleich kräftig mit dem herunterbrennenden Kaminfeuer.
    „Herrje!, rief Frennik und griff sich, noch immer schnaubend vor Schreck, an die Brust. „Hast du uns einen Schrecken eingejagt!“
    „Du hätt‘st mal sehen sollen, wie dumm ich erst geguckt hab, als die verfluchte Hintertür einfach zugefroren war! Glotz mal nach draußen, Jung, ich dacht‘, ich schaff’s erst gar nicht mehr zur Vordertür!“
    Frennik starrte an Narn vorbei in die Dunkelheit, in welcher fingernagelgroße Schneeklümpchen durch den heraussickernden Lichtschein der Stube geschleudert wurden.
    Narn rempelte ihn in die Seite. „Frennik, verdammt, auf was wartest du? Mach‘ zu, oder hast du daheim Säcke vor den Türen?“
    „Ja…ich mein‘ nein, hab ich nicht… ich dacht‘ nur gerad‘… ich hätt‘-„
    Ein gewaltiger Windstoß fegte in den Schankraum hinein. Frennik bekam die katapultierende Tür ab, flog rücklings davon und ging zu Boden. Die obere Angel brach durch die Wucht aus der gemauerten Wand. Krachend schlug das Türblatt gegen die Steine und blieb dann schräg auf den Dielen hängen, die anhaltende Kraft der Böe verhinderte, dass das zerschundene Türblatt wieder zurückkippte.
    Das freihängende Scharnier tanzte quietschend im Sturmwind.
    Ein Schatten erschien in dem Viereck, den das ersterbende Kaminfeuer in die Schwärze nach draußen warf. Langsam wurde der Umriss heller, die Konturen klarer und der Schreck, der jedem Anwesenden das Mark zittern ließ, schlimmer.
    Ein vom Sturm zerfurchtes Gesicht in ungesundem grau-weiß, eingerahmt von silbernen Haaren, die wie verklebte Spinnennetze vom Wind umhergerissen wurden, starrte mit trüben Augen ins Innere der Schankstube – und gefühlt bis auf den Grund jeder einzelnen Seele. Die verdorrten und verschrumpelten Lippen reichten nicht mehr bis aufeinander und verliehen dem toten Antlitz ein bizarres Grinsen, welches einem das Blut in den Adern gerinnen ließ.
    Füße, knochig, zerbrechlich und in ein trostloses grau gefärbt, schwebten eine Handbreit über dem Boden und schoben einen abgemagerten Körper in einem zerschlissenen, viel zu groß wirkenden Reiseumhang über die Schwelle. Ein durchlöchertes Kleid wurde darunter sichtbar. Einst in bunten Farben gehalten lag nun ein trauriger schmutziger Grauschleier blass über den ehemals schönen Mustern. Leblose Augen richteten sich langsam auf Lysanna, die angststarr beobachtete, wie sich das geisterhafte Wesen ihr nährte. Nur ihr und niemandem sonst.
    Sie stand durch den drückenden Wind mit dem Rücken zur Wand, wollte fliehen, mit jeder Faser ihres Körpers wollte sie auf und davon. Doch Lysanna konnte nicht. Keines ihrer Glieder gehorchte ihr mehr. In ihrem Kopf heulte die Angst mindestens so laut wie der Sturm selbst und ließ keinen anderen Gedanken mehr zu, bis auf den einen, dass sie nun sterben würde.
    Langsam kam die Gestalt näher. Tische schoben sich laut scharrend wie von Geisterhand davon, als würde die unnatürliche Aura sie einfach zur Seite pflügen. Lysanna starrte auf die knorrigen Finger, die sich ihr Zoll um Zoll auf sie zuschoben und bekam kreischende Todesangst vor jener klauenhaften Spukhand, die sich ihr entgegenstreckte. Zu ihrer Überraschung und gleichsam zu ihrem Entsetzen, zogen die von der Kälte mumifizierten Glieder ihr die Laute aus dem verkrampften Griff.
    Das Wesen starrte auf das Holz hinab, auf dem sich erste Eiskristalle in den Vertiefungen der Blumen- und Rankenschnitzereien zu bilden begannen. Für einen halben Herzschlag hätte man glauben können, dass Wehmut in dem erloschenen Blick aufgetaucht wäre.
    Steif, aber dennoch sanft, pochte der Spuk gegen den hölzernen Korpus. Lysannas künstlich erzeugter Herzschlag ertönte von neuem. Ein einziges Mal nur. Und obwohl er so sacht angeschlagen wurde, klang er doch über den Sturmwind hinweg und drang gleichsam durch Mark und Bein.
    Das Wesen schloss die Augen und senkte den Kopf, eine gefroren Träne kam unter einem der Lider hervor. Sie fiel, unbekümmert vom Wind, zu Boden und formte eine tellergroße Eisblume. Von draußen erklang ein furchtbares Heulen im Sturm. Es schwoll unvermittelt an und ließ jede Scheibe des bibbernden Bären in einem Gewitter aus Scherben zerspringen.
    Lysanna kreischte mit einem hohen Schrei auf, warf sich zu Boden und hielt sich wimmern und verängstigt den Kopf. Beide Hände pressten sich gegen ihren Schädel, der vor Furcht ebenso zu zerspringen drohte, wie es den Butzenglasscheiben des Wirtshauses gerade widerfahren war.
    Und kurz bevor ihr Verstand vollends erlahmen wollte, und die eisigen Klauen des Schreckens ihr Herz zu zerquetschen drohten, verstand sie plötzlich.
    Der plötzliche Kummer, der Sturm, die Tote und das Pochen. Es war der nachgeahmte Herzschlag, der die arme verdammte Seele angelockt hatte. Doch dieser Herzschlag war nicht der richtige, nicht der, den sie suchte. Nicht der ihres…
    „Du bist… die weiße Witwe…“, raunte sie fassungslos und sah zwischen den Fingern hindurch nach oben.
    Die Erkenntnis traf Lysanna wie ein Huftritt vor die Brust und unter die schreckliche Angst in ihrem Innersten, mischte sich der Samen des Verstehens. Lysanna gewährte ihm einen Moment und spürte, wie daraus etwas erwuchs. Ein zarter Sprössling des Mitgefühls und der Aufforderung, die geschehene Ungerechtigkeit wieder ins Reine zu bringen. Sie spürte, dass sie etwas tun musste, vielleicht sogar helfen konnte und betete dabei inständig, dass sie mit ihrer dummen Ahnung nicht gerade ihr Leben verspielte. Lysanna biss sich schmerzhaft auf die Unterlippe bis rote Blutstropfen hervorquollen und zwang sich dazu, schlotternd aufzustehen. Vorsichtig kroch sie an der Wand empor, betrachtete unablässig das Antlitz der lebenden Toten, suchend, ohne jedoch fündig zu werden. Nun war sie es, die ihre Hand vorsichtig nach der Laute ausstreckte. Lysanna näherte sich ihr ganz langsam und griff äußerst behutsam über die ersten Saiten hinweg. Die Spukgestalt ließ sie ausdruckslos gewähren. Die Wirtstochter zupfte, von einem herzzersprengenden Angstzittern geschüttelt und der Ohnmacht nahe, einige der Saiten, um eine einfache Melodie erklingen zu lassen. Es war die erste, die sie sich selbst beigebracht hatte und in der sie Trost fand, wann immer sie traurig war.
    Sie schluckte gegen den Klos in ihrem Hals an, das Wesen war ihr viel zu nahe. Und es verströmte eine so derart unnatürlich Kälte. Es fühlte sich an, als würden Eiskristalle durch ihre Adern kratzen und sie von innen heraus aufschlitzen. Lysannas Angsttränen begannen in den Augenwinkeln zu gefrieren, als der tote Blick sich in den ihren bohrte und sich der Spukschädel mit der pergamentartigen eingerissenen Haut knisternd zur Seite legte. Taubheit begann sich von ihren Fingerspitzen an ihren Arm hinaufzuschieben und auf ihr Herz zuzuhalten.
    „Wenn… wenn er dich spielen hört“, begann sie schluchzend mit bebender Stimme, „dann… antwortet er vielleicht. Vielleicht findet ihr dann wieder zusammen… vielleicht bist du es diesmal, die Rufen muss… und er… er muss antworten.“
    Sekundenlang geschah nichts.
    Da war nur noch dieser Blick, kalt wie das Herz eines Gletschersees und so bar jeden Gefühls wie die Berge selbst.
    Dann nickte das Wesen kaum merklich, drehte sich langsam mit der Laute in den Armen um und schwebte wieder in die Nacht hinaus. Nur Augenblicke später war es in der Nacht verblasst, spurlos verschwunden und mit ihm jeder noch so seichte Hauch des Sturms - als wäre all das niemals geschehen.
    Die vom Schrecken gelähmten Anwesenden starrten noch lange in die Finsternis hinaus und beobachteten das ersterbende Schneetreiben, bevor sich endlich einer von ihnen traute, aufzuspringen und die schlingernde Tür ruckartig ins Schloss zu werfen.

    Als die Morgendämmerung einsetzte saß Lysanna immer noch weinend an die warme Basaltwand des Kamins gelehnt. Sie hatte in dieser Nacht nicht geschlafen. Keiner von ihnen allen hatte den Raum verlassen oder geschlafen, oder auch nur eine Silbe gesprochen. Das Wimmern hartgesottener Männer hatte sie alle durch die Nachtstunden begleitet, ebenso das jämmerliche Quietschen des Scharniers, dass die Eingangstüre nicht mehr im Schloss zu halten vermochte und sie halboffen immer eine Elle hin- und herschlingern ließ.
    Lysanna fragte sich, ob die lähmende Kälte je wieder aus ihren Gliedern weichen mochte. Noch immer hatte ihr Herz Mühe, das nur langsam auftauende Blut durch die Adern zu pumpen, obwohl der Basalt in ihrem Kreuz noch immer warm war.
    Sie die Arme um ihr Beine geschlungen, hatte sich stundenlang ausgeweint und seitdem nicht mehr aufgesehen. Sie wollte auch gar nichts und niemanden sehen, sie hatte Angst davor, was sich ihr zeigte, wenn sie den Kopf anhob und die Augen öffnete. Bis jetzt. Denn jetzt hörte sie etwas Anderes als ihr eigenes Schluchzen und die leisen Geräusche des nicht weichen wollenden Schreckens.
    Nein, was sie nun vernahm, war völlig anders, völlig unerwartet, völlig fern jeder Vernunft, völlig unmöglich. Die Wirtstochter war sich sicher, dass ihr niemals jemand glauben würde, was anschließend in ihrem Geist widerhallte.
    „Danke“, zitterte sich eine wohlklingende dünne Stimme zaghaft durch Lysannas Gedanken, die sich im Nachklang ein wenig nach raschelndem Laub anhörte, und ließ die Schankmaid mit Gänsehaut im Nacken aufblicken. Das erste Morgenrot tränkte den Horizont flammenfarben und blutete allmählich über den wolkenlosen eisblauen Himmel.
    „Danke, dass du solange darauf achtgegeben hast.“
    Lysanna traute ihren Ohren nicht, und sie tat es noch viel weniger, als eine weitere Stimme, eine, die sie Jahre zuvor das letzte Mal gehört hatte, in ihrem Kopf erklang.
    „Hab Dank, kleines Goldkehlchen. Hab vielen Dank.“
    Ein Kinderlachen schloss sich den wärmenden Worten des verschollenen Spielmannes an und verhallte mit langem Echo in ihrem Geist, während Lysanna durch den Haupteingang beobachtete, wie die erstarkende Sonne die Nacht davonscheuchte. Ihre warmen Strahlen tilgten die schwarzen Schatten und schmiegten sich um etwas, das zwischen Scherben und verblassender Dunkelheit auf der Türschwelle auftauchte.
    Lysanna wusste bereits was es war, noch bevor sie den Umriss ganz erkannte hatte: Es war das wunderschön gearbeitete und polierte Holz ihrer unversehrten Laute.


    *

    Ende

    Ich knabbere nun schon seit einigen Wochen an Markus Heitz' "Die dunklen Lande" herum.

    Darin geht es um die Tochter von Solomon Kane, einem berühmten Jäger, der finsteren Kreaturen den Garaus gemacht hat. Die besagte junge Dame ist dummerweise gerade dann in Hamburg unterwegs, um das Erbe ihres verstorbenen Vaters einzufordern, als die Pest Blütezeit hat und Deutschland sowieso kein einladender Ort ist, weil an jeder Ecke Krieg wütet und die Kirche ihre Hexenscheiterhaufen erst gar nicht abkühlen lässt. Wie man es von Heitz kennt, lässt er die Geschichte seiner Heimat so bewenden, wie es historisch korrekt ist, mischt aber bei jeder Gelegenheit eine Prise dunkler Kräfte und strahlender Helden zwischen.
    Ein durchaus brisantes und interessantes Setting für Aenlin Kane, um in die Fußstapfen des Vaters zu treten.

    Das Gerüst der Geschichte spricht mich wirklich an. Die Charaktere könnten unterschiedlicher nicht sein und in die deutsche Sagenwelt hineinzublinzeln bietet einige Abwechslung, aber ich kann nicht benennen, warum mich die Story trotzdem nicht so recht packen will.
    Mir kommt Heitz' Schreibstil mittlerweile etwas zu systematisch und dosiert vor, beinahe schon... steril? - und das, obwohl das Buch eher auf altbackene Sprache setzt und oft ausbrechen darf und sogar sollte, um das Drumherum aufzubauschen. Vielleicht hat sich auch mein Geschmack seit der "Der verlorene Thron"- Reihe von Brian Staveley ein wenig mehr zum Ausschweifenden gewandelt...

    Das Buch ist ein bisschen wie mein Balkon. Könnte ein Spur bunter und blumiger sein, dann wär's wirklich ganz ok :P

    Das war echt ein geiles Finale!

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    - hat noch nie irgendjemand jemals irgendwo gesagt.


    Das Gerüst der gesamten letzten Staffel war durchaus zu gebrauchen. Einige Sachen wären vielleicht nicht meine persönliche erste Wahl gewesen, hätten aber gepasst und wären durchaus in Ordnung gegangen. Das trifft auch auf die letzte Folge zu.
    Denn auch hier war die schauspielerische Leistung wie immer erste Sahne. CGI grandios. Kostüme, Ton... alles super.
    Aber inhaltlich, der Szenenablauf an sich, Art und und Weise der Dialoge. Der, ich nenne es mal "Mikrokosmus" des Finales war... suuuhuuuper flach.

    Die Charaktere völligst farblos, wirklich alle. Keine Überraschungen, keine erfüllten Erwartungen, beinahe alles was mich interessiert hätte, kam gar nicht erst vor.
    Tyrion geht unter dem hochgradig einsturzgefährdeten Bergfried spazieren und findet zuuufällig seine Geschwister unter Tonnen und Tonnen von Geröll? Meh.
    Jon ersticht Dany? Meh. Unfassbar unspektakulär. (Irgendwie fand ich ihr Verhalten in den letzten beiden Folgen absolut nicht mehr greifbar. Sinn und Intention hinter den Taten und Reaktionen blieben völlig schwammig, wobei es der Story wirklich gut getan hätte, gerade hier etwas klarer zu werden)
    Drogon schmilzt den Thron ein? Meh. Was kümmert die Echse sich um den Metallhaufen? Nicht nachvollziehbar.
    Hat der Thron ihn schief angesehen? War das seine Art zu sagen, Jon ist kein würdiger Erbe? Dachte er, Dany hätte sich daran gepiekst und ist dadurch gestorben? Hatte er keinen Bock mehr, noch irgendwem zu dienen und hat symbolisch den Herschersitz eingedampft? Keiner weiß es, vermutlich auch D&D nicht.
    Jon kriegt also keine Feuerprobe? Wenn schon alles auf Fanservice ausrichten, dann wenigstens richtig. Schlussfolgerung: meh.
    Das Tribunal wählt Bran zum neuen König? Meh. Bran war sowas von nutzlos in den ganzen Episoden. Sicher ist es eine logische Wahl (Stimm- und Machtentzug gegenüber den anderen und so, keine Neigung zur Bevorteilung und so weiter...) aber trotzdem sehr unbefriedigend und sehr fad: daher meh. Bran ist Rollstuhlgemüse und kann viel behaupten. Ich wüsste nicht, wo er sich nun wirklich bewiesen und hervorgetan hat. Ihn zum König zu wählen, weil er nach eigener Behauptung der 3-äugige Rabe ist, ist lächerlich simpel. Das mindeste wäre hier nochmal eine kurze "Machtdemonstration" gewesen.
    Sansa und Arya verlieren kein Wort über das geschehene Massaker in Königsmund, plädieren nicht einen Atemzug lang für Jon als rechtmäßigen Thronerben. Meh.
    Keiner hat Einwände gegen die Extrawurst, die der Norden vom neuen König fordert. Meh.
    Jon wird zur Nachtwache verbannt. Meh. Wozu ist die jetzt überhaupt noch da? Eisschnitzarbeiten für Hochzeiten? Um die Wildlinge abzuwehren ja wohl nicht mehr. Und... wo will Jon eigentlich hin? Seine neuen Wildlingfreunde beim Hüttenbau und den Vermehrungsakten beobachten? Ackerbauunterricht geben, weil da ein einzelner Grashalm durch den Schnee gestoßen ist?
    Die Blutbefleckten gehen währenddessen Segelkurs machen und die Pferdemänner sind nur mal kurz zum Jubeln aufgetaucht. Sehr spannend. Mäh.
    Aryas Rolle in der letzten Folge? Tschüss sagen. Meh.
    Sanas Rolle in der letzten Folge? Das perfekte "resting bitch face" zur Schau stellen.

    Insgesamt kommt es mir so vor, als hätte man jeden weiteren Konflikt vermeiden wollen, um die letzte Folge möglichst schnell abzuschließen und über den Klippenrand zu stoßen. Fühlte sich an, als wollte man es endlich hinter sich bringen. Enttäuschend. Langweilig.

    Was mir gefallen hat, war die Szene mit den neuen Meistern und dem kleinen Rat, auch Tyrions Spruch mit Varys' Asche war gelungen. Jon streichelt am Ende nochmal seinen Köter und Brienne bereitet Jamies Memoiren etwas auf. Das war alles doch sehr hübsch und, achja, die Abschiedsszene von Arya und Jon fand ich tatsächlich emotionaler als den Tod von Dany :D

    Solide 3,5/10.
    Nächster bitte.

    And now my watch ist ended.

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    Die Schattenwölfe waren unnötig und hätten gepflegt aus dem Plot gestrichen werden können. Ich habe keinen einzigen Sinn in ihnen gesehen. Und den Konflikt zwischen Stark und Lanister hätte auch der kleine, behinderte Inzucht-Bursche ohne einen Wolf hinbekommen.Zu schade, denn aus den Wölfen hätte man echt viel machen können.

    Da muss ich leider zustimmen. Die Wölfe waren mir ebenfalls etwas zu sehr in der Schublade "Randerscheinungen" unterwegs und hätten mehr Potenzial gehabt. Gefühlt waren sie nur Notfallwerkzeuge um sich aus kleinen Plotlücken herauszuwinden. Hier mal einen Wolf aus dem nichts angreifen lassen, um den Tag zu retten. Dort mal einen Wolf knurren lassen um jemanden in Schach zu halten. Da mal einen Wolfskopf auf einen enthaupteten Körper nähen lassen um der Dramaturgie ein bisschen unter die Arme zu greifen.

    2. Yara Greyjoy: Was sollte dieser Charakter denn darstellen? Hätte man auch einfach weglassen können.

    Ich fand sie als Nebencharakter akzeptabel. Schlussendlich hat sie Theons Plot gestützt und war am Ende ein Teil der Szenen mit/gegen Euron. Die Eiseninseln mussten ja irgendwie miteinbezogen werden.

    3. Melisandre: Was zum Henker...? Außer, dass sie zu beginn wie eine Blöde diesen einen "auserwählten" sucht, dabei unzählige Opfer bringt, nur um doch daneben zu liegen, irgendwann so ein komisches Dämonenwesen zur Weltbringt (was hat es noch gleich gemacht? Irgendwen gekillt... und dann? Was war das?). Naja, am Ende ist sie bei der Schlacht gegen die Weißen dabei... setzt einmal die Fackeln, dann den Graben in Flammen und zieht dann, während sie in die Dunkelheit entschwindet ihr "Jung-bleiben-Halsband" aus und stirbt. Öhm... joa...
    Aus Berichten weiß ich, dass sie im Buch aber eine viel wesentlicher Rolle spielt/spielen soll?... Allein dies ist ein Punkt, weshalb ich die Bücher lesen will und werde.

    Ja, oder?
    Das habe ich absolut nicht begriffen. Der Sinn der gesamten Charakterentwicklung hat sich mir entzogen. Alles wirkte nur so halbgar und jeder Erklärungsversuch endete quasi mit: "Weil es der Herr des Lichts so wollte" oder besser gesagt "A Wizard Did It!"
    Einerseits ist sie das Sprachrohr des Hüters des Lichts und will die Erlösung bringen. Dann verbrennt sie aber auch dauernd Leute, bringt irgendwelche Dämonen zur Welt, läuft danach wieder rum und setzt glorreich die Schwerter gegen den Nachtkönig in Brand.
    Dass sie letztendlich ihr Amulett ablegt und einfach so im Schnee davonstirbt war das unrundeste Ende, dass ich mir hätte vorstellen können.
    Ein Charakter, der riesengroß aufgezogen wurde und dann einfach verpufft ist.

    Ja genau, dieses komplexe und dennoch stimmige Verschieben der Charaktere hat in der jetzigen Staffel sehr klobig gewirkt, alle mussten innerhalb von wenigen Szenen an ihren Platz gebracht werden, mit allen Mitteln und zu Lasten der Handlung.

    [Achtung Spoiler]

    Spoiler anzeigen

    Cersei wurde für mich nicht zum Endgegner durch die Reihenfolge - das wäre, als würde man Saruman zum Endgegner in LOTR erklären, weil er erst nach Sauron überwunden wird. Dass Arya diejenige ist, die den NK tötet, passt für mich zu ihrem Weg und ihren Fähigkeiten - da würde ich mich höchstens beschweren, dass es beinahe zu vorhersehbar war, aber es wurden ja genügend falsche Fährten gelegt.
    Mich nervt dann eher, dass da in Winterfell vorher niemand drauf kam ("Wer von uns hier ist eigentlich der mit Abstand tödlichste Assasine?"). Und mich nervt, dass in der ganzen Schlachtplanung anscheinend niemand wusste, dass der Gegner Tote auferwecken kann ("Wir verstecken unsere Frauen und Kinder in der Gruft" / "Wir schicken unsere Schlachtreihen häppchenweise aus dem befestigten, erleuchteten Bereich in die Dunkelheit, um sie nach und nach in untote Gegner verwandeln zu lassen"). Und warum haben sich all die cleveren Schlachterprobten Helden in Wirklichkeit so verhalten? Damit die Folge auch richtig spannend wurde und dem Ablauf der "Standard-Schablone A1 für spannende Schlachtszenen" entsprach.

    Da muss ich ein bisschen widersprechen. Ja,ok, vom "Powerlevel" her war der Nachtkönig natürlich unangefochten der Endgegner. Allerdings hat es sich für mich ziemlich stimmig gefügt, dass Cersei sich aus der Misere herauswindet und den Nachtkönig überlebt, weil sie einfach ein unheimlich listiges Biest war. Im Grunde hat sie genau das getan, was sie seit der ersten Episode gemacht hat: sich den Regeln entzogen und das Spiel mit Hinterlist zu ihren eigenen Gunsten gewendet.

    Allerdings kam mir die Verteidigung von Winterfell ebenfalls erzwungen dümmlich vor, um sich der Handlung zu beugen. Klingt hart und ist eigentlich auch gar nicht so negativ gemeint, aber da gab es offensichtliche Kniffe, die man schon vorher hätte nutzen können. Ich habe mich immer gefragt: Warum haben sie nicht einfach den Wald abgefackelt, durch den die untote Horde gekrochen kam? Anscheinend hat man ja genug Zeit gehabt, Pfähle und Barrikaden in den Boden zu rammen - in dem Zeitraum hätte man da schon mal drauf kommen können. Allgemein gab es irgendwie kein richtiges Kräfteverhältnis, an dem man sich hätte orientieren können.

    Ich mochte dagegen die Szene sehr, in der die kleine Mormont den Riesen gefällt hat. Das war genial.

    Die Krypta hatte ich tatsächlich nicht auf dem Schirm, bis es soweit war, dass die Ahnen aus ihren Gräben gekrochen kamen.

    Bran war dann quasi gar nicht richtig anwesend. Ich habe fest mit einem Mentalduell zwischen ihm und dem Nachtkönig gerechnet und damit, dass er sich in den Kopf des blauen Kerls snapped, wie er es bei Hodor getan hat. Jedenfalls solange, um Zeit zu schinden, damit Theon zum Zug kommt. Aber dass Arya da aus dem Nichts angeflogen kam, ging mir ebenfalls zu schnell und unkompliziert, obwohl es zu ihrem Charakter schlussendlich gut gepasst hat.

    Warum und wohin gehen Sam und Gilly (Schauspieler einsparen, ich weiß)? Warum nimmt Jon seinen Ghost nicht mit (Animations-Kosten einsparen, ich weiß)? Natürlich ist keine Zeit, das in irgendeiner Form zu erzählen.
    Geschenkt, dass Rhaegal stirbt, um die letzte Schlacht noch mal spannender zu machen - aber dass von einem beweglichen Schiff aus dieser Entfernung für ihn gilt "Jeder Schuss ein Treffer" geht wohl nur mit Pfeilen, die ihr Ziel selbst suchen - "zum Glück" hat diese Automatik dann bei Drogon Aussetzer.

    Auch was, was mir tatsächlich zu faul war. Plötzlich ist jeder am Ort seiner Bestimmung, keine großen Abschiede, keine Reise, kein richtiges Ankommen.
    Und dann natürlich...
    E4: Jeder Schuss ein Treffer. E5: Jede verdammte Balliste in der Stadt schießt daneben. Minutenlang.

    Ich kann gut damit leben, dass Dany zur Mad Queen wird und Kings Landing in Schutt und Asche legt. Aber warum in dem Moment, als die letzten Soldaten sich ergeben? Und warum greift sie weder Cersei noch die Soldaten an, sondern geht als Erstes gleich mal voll auf die Zivilbevölkerung los? Ihr paradoxes "unsere Gnade ist, dafür zu sorgen, dass es nie wieder Tyrannen gibt" ist ja noch Teil des einigermaßen glaubwürdigen Wandlungsprozesses. Aber mit diesem plötzlichen Ausraster übertrifft sie sämtliche Targaryen-Vorgänger an grundloser und zielloser Brutalität um längen, und da schließe ich Maegor I und ihrem durchgeknallten Vater mit ein! Hätte sie im laufenden Kampf jede Rücksicht verloren, hätte das für mich gepasst. Hätte sie in diesem Moment des Waffenstillstands den roten Bergfried angegriffen und eingeäschert, hätte das für mich gepasst. Aber so?!?

    Schade natürlich für Daenerys, Jon und Co, dass es niemanden gibt, der die geheimen Eingänge in den Roten Bergfried kennt (Varys, Tyrion, Arya) oder eine fast fertig ausgebildeten "Faceless Women", die außertariflich arbeitet - sonst könnten sie ja problemlos ins Innerste eindringen und Cersei beseitigen. Aber das wäre ja wieder zu einfach und langweilig.
    Der Fakt, dass Bran im Süden mangels Weirwoods nichts sieht, ist ja in der Serie auch abgeschafft. Aber lassen wir diese Möglichkeiten.

    Und WTF - wo kamen die Dothraki her, von denen anderthalb Episoden nichts mehr zu sehen war, nachdem sie am Anfang von E3 komplett "erloschen" waren? Oder hab ich da was in E4 verpasst?

    Die goldene Kompanie: 20.000 Mann eingekauft, 200 sterben vor der Stadt (Die klassiche "verbrennen wir unsere Ressourcen ohne nennenswerten nutzen vor den Mauern"-Taktik) und der Rest macht... Urlaub? Wenn ja, jedenfalls nicht in der Hauptstadt.
    Daenys Wutanfall fand ich von der Theorie her ziemlich erfrischend, auch, dass die Glocken den Ausraster auslösen kann ich nachvollziehen. Sie war wohl vorher schon auf diesen Angriff aus, die Kapitulation, mit der sie gar nicht mehr gerechnet hat, hätte sie um ihre Rache gebracht. Warum allerdings der ottonormal Bürger das erste Ziel für die Flammen war... uhm what?
    Hier hätte vielleicht eine Szene mit ihr auf dem Rücken des Drachen eine Verbindung geschaffen und etwas vermittelt, was das ganze schlüssiger hätte rüberkommen lassen können.
    Cersei und Jamie unter der Burg begraben... hmm... meh.

    Mich wurmt aber immer noch am meisten, dass
    *gemauerte,
    *meterdicke,- lange und -hohe Steinquader,
    *die verfugt sind und
    *himmelhoch aufeinander sitzen
    von einem einzigen Feuerstoß des Drachenfeuers angepustet werden und wie von einem Airbus 380 getroffen durch die Luft segeln. Physikalisch nicht glaubwürdig. Viel zu bombastisch, viel zu viel Tamtam um innerhalb der Logik schlüssig zu wirken.


    Und hier noch eine Zusammenfassung von Tyrions emotionaler Reise - Von dem Moment des Glockenläutens an, bis zu dem Augenblick, als Daeny 9/11-mäßig Richtung WTC... pardon... roter Bergfried düst:

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