Kapitel I.
Schatten der Vergangenheit
„Fjann!!!“
Des Zauberers rechter Zeigefinger deutete auf die Stelle, hinter der Adhrens Sohn sich sicher verborgen glaubte.
„Ich sehe Dich!“
"Was tust du dort und warum bist du da?"
Elgars Stimme hatte einen herrischen Ton angenommen, der die Stille des ihn umgebenden Waldes harsch durchbrach.
Ein leises Rascheln, eine leichte Bewegung der Pflanzen am Rande der Lichtung und ein hastiges Geräusch sich rasch entfernender Füße ließen Elgar sicher sein, daß die Botschaft angekommen war.Der Zauberer gestattete sich ein knappes Lächeln und kehrte zu seiner Heimstatt zurück.
Fjann's Atem ging rasch, während er so schnell er nur konnte in's sanfte Grüne des Waldes eintauchte. Sein Herz klopfte rasend schnell und schließlich blieb er erschöpft stehen, um Luft zu holen. An einen Baum gelehnt holte er mehrmals tief Luft, bis er fühlte, wie sich sein Puls verlangsamte.
Bis das Flimmern der vielen kleinen Lichtpunktevor seinen Augen nachließ. Langsam rutschte er am Stamm herab, bis er auf einer den Boden fliehenden Wurzel zu sitzen kam.
Dieser Zauberer war unheimlich!
Stets hatte er größte Sorge getragen, sich so leise und unbemerkt wie nur möglich an ihn heranzuschleichen, um vielleicht Zeuge einer Zauberei des Alten zu werden.Niemals war ihm das gelungen. Und was noch schlimmer war: Jedesmal hatte Elgar gewusst, daß er anwesend war. Und, noch viel schlimmer: Wo er war. An seinen Vater hatte er sich heranschleichen können, viele Male, ohne das der Jäger seine Anwesenheit wahrgenommen hatte. Wieso also gelang ihm das bei Elgar nicht?
Fjann schüttelte über sich selbst verärgert den Kopf. Sein Vater würde es wissen. Adhren kannte den Magier, so wie er jeden kannte, der in den Wäldern umging. Ein Jäger geht auf ihm zum Teil unbekannten Wegen und dort trifft er manchmal die, die sich verbergen vor dem Rest der Welt.
'Ja', dachte Fjann. Wenn überhaupt, würde es sein Vater wissen. Ächzend erhob er sich wieder. Seine Beine fühlten sich an wie aus Gummi, als er sich auf den Weg nach Hause begab.
"Elgar überraschen?" wiederholte Adhren die Frage seines Sohnes mit hochgezogenen Augenbrauen und ließ ein leises Lachen hören. Er schnitt sich noch ein Stück Käse ab und schob es erheitert in den Mund. Kauend betrachtete er seinen Sohn, der ernsthaft und bestimmt nickte, während er sich eine dicke Brotscheibe absäbelte und wilden Honig darauf strich. Die beiden sassen im langsam einsetzenden Dämmer am Tisch ihrer Hütte.
„Ich will dir ja nicht den Mut nehmen, aber einen Mann wie Elgar unaufmerksam anzutreffen...“ Adhren nahm einen Schluck Wein aus seinem Becher und fuhr sich im Anschluß mit dem Hemdsärmel über den Bart, ehe er den Satz beendete, "...nun, das wäre wohl eine Aufgabe für jemanden, der noch geboren werden muß. Du hast also Pech."
Adhren schüttelte erheitert den breiten Schädel, der wie alles an seiner Gestalt auf unbestimmte Art irgendwie zu groß geraten schien. Er war ein großer, stark gebauter Mann inmitten seiner Fünfziger und sein Haar, seit frühester Jugend dichtgelockt, wies wie sein Bart mittlerweile zahlreiche graue Strähnen auf. Es wirkte wie die Mähne eines alternden Löwen.
Fjann hatte ihm gar nicht richtig zugehört.
„Er kann doch nicht allwissend sein,“ sagte er mit gerunzelter Stirn und tauchte einen Finger in den Honigtopf.
„Ich meine, mittlerweile könnte ich sogar einen Hasen zwischen den Ohren kraulen, ohne daß er es merkt. Woher weiß Elgar dann immer noch, wo ich mich verstecke?“
Er leckte den Honig vom Finger.
„Woher weiß das Reh von meiner Nähe, wenn ich es jage?“ fragte sein Vater lächelnd zurück.
„Manchmal steht der Wind ungünstig, dann kann es mich wittern. Und manchmal bin ich nicht leise genug und es hört mich.“
Adhren goß sich noch etwas von dem gewürzten Wein in den Becher und setzte ihn an die Lippen.
„Aber manchmal habe ich alles richtig gemacht und trotzdem...trotzdem spürt mich das Reh irgendwie und flieht“, sagte er und blickte seinen Sohn an.
„Ein Zauberer ist kein Hase und er ist auch kein Reh. Viel verstehe ich nicht von den Künsten dieser Zunft. Aber Elgar lebte schon hier, als ich noch ein Junge in Deinem Alter war.Und ich denke, er hat vieles gesehen und erlebt, das weit über unsere Erfahrungen hinausgeht. Weshalb sollte es ihm also schwerfallen, deine Anwesenheit zu spüren, wenn es ein junges Reh kann?“
Er sah zu Fjann hinüber. Hinter der Stirn seines Sohnes rasten die Gedanken; Adhren konnte es deutlich sehen. Dieses stete Runzeln und Glätten der Stirne, während der Finger des Jungen abwesend in den Hongtopf tauchte, beiläufig abgeschleckt wurde und wieder hineinfuhr.
Adhren schmunzelte darüber, dann fiel sein Blick wehmütig auf die Strahlen der Abendsonne, die durch die Baumwipfel auf die Lichtung vor dem Haus fielen.
Sonji hätte jetzt irgendwie eine Erklärung für Fjanns Frage gehabt, die nichts mit dem zu tun gehabt hätte, was er zu erklären versuchte.
Aber Sonji war seit fünf Jahren nicht mehr bei ihnen. Sie schlief in dem kleinen, eingesunkenen Hügel am Waldrand hinter der Hütte.
Adhren vermisste seine Frau.
Er wischte sich mit der Hand kurz über die Augen und verscheuchte die Erinnerung.
„Lass mich dir eine Geschichte erzählen,“ sagte er.
Fjann hob überrascht den Blick. Eine Geschichte?
Er konnte an beiden Händen abzählen, wann sein Vater Geschichten erzählt hatte. Adhren war immer ein Mann der Tat gewesen. Eine Geschichte berichtete vom Vergangenen und irgendwie hatte Fjann immer das Gefühl gehabt, das sein Vater nur ungern über seine Vergangenheit sprach.
Aber wenn er es tat hatte Fjann immer lange über das Erzählte nachgedacht.
Er sah seinen Vater gespannt an.
„Nun,Äähchächämm,“ räusperte sich der Jäger ausgiebig und nahm noch einen Schluck Wein, ehe er begann.
„Als ich so alt war wie du, waren diese Wälder noch grösser als heute.“
Adhren machte ein weit ausholende Geste.
„Ich meine, sie sind immer noch groß, aber manches ist mittlerweile geschwunden. Manche Stellen des uralten Waldes sind gewichen, haben Neuem Platz gemacht...“ Adhren suchte nach den richtigen Worten.
„Was ich sagen will: Zum Beispiel hat man viel öfter Elven getroffen. An bestimmten Orten tauchten sie regelmäßig auf. Und wen sie würdig genug fanden, dem zeigten sie sich. Was mich damals auszeichnete weiß ich nicht zu sagen – vielleicht der Umstand, daß ich hier geboren wurde. Genau kann ich es nicht sagen, aber ich durfte oft an ihren Festen teilnehmen, die stets erfüllt waren mit Freude und Licht, auch wenn der Mond das einzige Licht in der Nacht war.“
Adhren's Blick wanderte in der Erinnerung zur offenen Tür der Hütte hinaus. Einige rotgoldene Strahlen der untergehenden Sonne strichen noch über die Baumwipfel. Langsam sank die Nacht auf die Welt.
„Und damit nicht genug,“ fuhr der Jäger in seiner Erzählung fort. „Einer von ihnen wurde sogar mein Freund.“
„Earen!“ unterbrach Fjann die Erzählung und nickte eifrig. Earen hatte sein Vater eigentlich immer wieder erwähnt, aber irgendwann ... irgendwann nicht mehr. Fjann wußte nicht warum.
Adhren erhob sich, entzündete ein Talglicht und stellte es auf den Tisch. Die Flamme blakte kurz auf, etwas Ruß erhob sich vom Docht, dann reichte es, um das Gesicht seines Sohnes in der sonst dunklen Hütte vor sich sehen zu können.
„Wie auch immer,“ fuhr er fort und nippte an seinem Becher. „Earen brachte mir vieles bei über das, was ich heute über die Wälder weiß.“
'Und noch manches mehr...' fügte er in Gedanken hinzu, während sein Blick auf Fjann fiel, der gebannt an seinen Lippen hing.
„Und eines Abends trafen wir auch auf einen Zauberer,“ sagte Adhren. „Es war nicht Elgar. Aber sicherlich ein ebenfalls sehr erfahrener Mann seiner Zunft. Und Earen und ich versuchten ihn damals genau so zu überlisten wie du es heute mit Elgar versuchst.“
Fjann's Finger fuhr beiläufig in den Honigtopf. Ein leises Schlecken.
Adhren grinste unwillkürlich.
„Nun. Wir gedachten, ihn zu überlisten. Im Dunkel der Nacht schlichen wir an sein Lager heran und versuchten, seinen Wanderstab zu stehlen.“
Adhrens Mundwinkel zuckten unwillkürlich bei der Erinnerung an die Geschehnisse dieser Nacht.
„Was ist passiert?“ Fjann beugte sich über den Tisch vor.
„Es war ein kindischer Streich,“ entgegnete er. „Und ich bin froh und dankbar, daß dieser Zauberer nicht zu denen gehörte, die dem Dunklen dienstbar sind. Jedenfalls ergriff ich den Stab und war noch im gleichen Augenblick ausserstande, auch nur noch einen Finger zu rühren. Ich wurde genau wie Earen von einem Bann getroffen.“
„Was geschah mit Earen?“ fragte Fjann gespannt.
„Auch er wurde getroffen, jedoch anders als ich. Sein elvisches Blut half ihm zunächst scheinbar zu fliehen, aber später wußte ich, daß er dadurch nicht besser dran war als ich in dieser Nacht.“
Fjann wollte etwas sagen, doch Adhren hob abwehrend die Hand.
„Laß es mich zu Ende erzählen, mein Sohn,“ sagte er lächelnd.
„Ich stand also dort, die Hand um den Stab und keiner Regung fähig, als der Zauberer erwachte. Er musterte mich nur kurz und sagte:
„Seh' seltsame Früchte ich am Baum ist's eher nur ein schlechter Traum!“
Und das war alles. Er schloß die Augen und schlief weiter. Ich jedoch stand die ganze Nacht, ohne auch nur einen Muskel bewegen zu können. Seitdem hatte ich nie wieder das Verlangen, mit Mächten zu spielen, die ausserhalb meines Verstehens sind.“
Adhren schenkte sich noch einen Becher ein. 'Der letzte für heute' sagte er sich. Meistens trank er gar keinen Wein, aber irgendwie hatte er heute abend gut zu seiner Stimmung gepasst.
„Und Earen?“ wiederholte Fjann seine Frage.
„Earen hatte den Stab nicht einmal berührt. Aber Elven haben, genau wie Zauberer, Macht über die den Menschen verborgenen Kräfte. Doch anders als bei einem Zauberer nährt sich elvische Magie nur aus dem sie umgebenden Lebensraum.
Zauberer jedoch können aus allem Kraft schöpfen, auch aus den Dingen, die einem Elven zuwider sind. Und dieser Zauberer hatte seinen Schutzkreis an diesem Abend aus allem gezogen, was ihm verfügbar war. Schlechte Dinge, böse Dinge. Aber auch mächtig. Und Earen berührte diesen Kreis.
Er verbrachte die Nacht in einem entsetzlichen Zustand der Übelkeit, wie man ihn sich als normaler Mensch nicht vorzustellen vermag.“
Adhren lachte leise auf in der Erinnerung an das soeben erzählte.
„Du siehst, Fjann, Zauberer sind stets wachsame Leute, auch wenn es manchmal nicht unbedingt den Anschein hat. Daher wäre es vielleicht gescheit, wenn du bei eurem nächsten 'Treffen' Elgar selbst fragst wie er es anstellt deiner gewahr zu werden.“
Auf der anderen Seite des Tisches wurden zwei Augen aufgerissen.
„Ich soll was machen?“ fragte Fjan erschrocken.
Adhren grinste.
„Du hast schon ganz richtig gehört“, sagte er. Geh einfach zu ihm und frag ihn. Elgar ist vielleicht ein mächtiger Zauberer. Aber deswegen beißt er dich noch lange nicht. Wer anständig fragt, wird auch eine anständige Antwort erhalten, soviel ist mal sicher.“
„Und was, wenn er mich stattdessen mit einem Bann belegt?“ fragte Fjann, der von dem Vorschlag seines Vaters noch lange nicht überzeugt war.
„Dummes Gewäsch!“ schnaubte Adhren und macht eine abfällige Handbwegung.
„Geschwätz von denen, die in den Städten leben! Gerüchte an den Höfen!“
Adhrens Stimme war laut geworden für einen Augenblick. Zu laut. Er wusste das und mochte es nicht. Der Wein. Er war ihn nicht mehr gewöhnt.
„Kein Zauberer würde seine Gaben mit unnützem Zeug vergeuden,“ sagte er dann mit deutlich gesenkter Stimme. Er hatte das Erschrecken seines Sohnes wahrgenommen.
„Dafür sind sie zu kostbar und zu schwer zu erlangen. Als vor drei Zeitalten Garthon bezwungen wurde trug die Zunft der Zauberer maßgeblich dazu bei. Viele von ihnen starben bei ihrem Kampf gegen die Dunkelheit.“
Der Jäger fuhr sich über die Stirn.
„Elgar dürfte selbst in friedlichen Zeiten besseres zu tun haben, als dir einen Bann aufzuerlegen, denke ich. Wenn du also lernen willst, stelle Fagen. Sei respektvoll dabei, aber habe keine Angst davor. Nur wer Fragen stellt, kann Antworten erwarten.“
Adhren stemmte seinen Körper in die Höhe.
„Und nun lass uns schlafen gehen.“ Er gähnte und streckte sich und verfluchte das leise Schwindelgefühl, das der Wein bei ihm hervorgerufen hatte.
'Verdammte alte Zeiten', dachte er noch, als er sich auf seiner Bettstatt niederließ und sich das alte Fell unter's Kinn zog.