Beiträge von N. Kalinina

    Tariq, ich habe mich hier mit Genuss reingelesen. Der Einstieg war ein kurzes Vergnügen, aber nicht immer muss es lang sein - oder in guter alter "Hohlbein-Manier" locker, flockig mal eben 10.000 Wörter allein im Prolog präsentieren. In der Kürze liegt die Würze, oder so. Eine Gabe, die ich immer wieder sauber verfehle.

    Draußen tobt der Sturm, schüttelt die Baumkronen und lässt Blätter in wildem Tanz taumelnd über den Asphalt wirbeln. In der Ferne grummelt der Donner.

    Klar, der "Wetter"-Einstieg ist nicht gerade neu, aber es passt zur Szene. Ehrlich gesagt würdest du mich hier als Leser aber eventuell verlieren, wenn ich dein Werk als Buch aufschlagen würde. Ich persönlich mag schnelle Einstiege. Ein "KRACH! BUMM! PENG!" - keine langatmigen Beschreibungen. Aber du formst diesen Einstieg wie Knete mit den folgenden Sätzen. Du steigerst die Ahnung, dass irgendwas nicht stimmt.

    Genießerisch schließe ich die Augen und atme tief ein. Ich liebe es, einem nächtlichen Gewitter zu lauschen. Es ist so herrlich bequem, dabei im Bett zu liegen und sich in Sicherheit zu wissen.
    Einen kurzen Gedanken nur habe ich übrig für die, die bei dem Wetter noch zu Fuß unterwegs sind, denn noch regnet es ja nicht.

    Jeder kennt dieses sonderbare Gefühl. Warm und sicher liegt man im eigenen Bett - und draußen herrscht gefühlt der Untergang. Diese tobende Gewalt hat etwas unfassbar furchteinflößendes und dennoch beruhigendes an sich. Regen rieselt auf die Sinne - Donner streut Furcht. Gefällt mir. Vor allem die Betonung darauf, dass man keinen Gedanken an die verschwendet, die da draußen sind. Im Dunkeln. Im Donner. In dem sich nahenden Schauer.

    Es ist still.
    Es ist wirklich vollkommen still.

    Hier würde ich das "wirklich vollkommen" streichen. Show don't tell - und so wenig "schwache" Steigerungen wie möglich. "Wirklich vollkommen" würde ich persönlich mit "mucksmäuschen still" ersetzen. Oder sogar kurz und knackig als "Es ist still. Vollkommen still" umformulieren. Mach aus der Wiederholung ein rhetorisches Stilmittel. Steigere die Stille. Das Unwohlsein. Das drückende NICHTS, was plötzlich für den Leser herrscht.

    Danke dafür. Ich bin gespannt auf mehr.

    Herzliche Grüße

    Naduschka

    Thorsten Vielen Dank für dein Kommentar. Ich hab leider gerade etwas Ärger mit dem Internet, daher kommt mein dankbares Kommentar erst jetzt. Du sprichst genau die Dinge an, die mich schon länger beschäftigen. Zum Beispiel habe ich unglaublich Mühe, „Spannung“ und „Erklärung“ zu trennen. Ich vermeide gezielt die Trennung von Szene mit Fakten über die Welt – und Szenen mit Spannung. Ich greife hier gerne auf Tim Butcher‘s „Die dunklen Fälle des Harry Dresden“ zurück, der stark zwischen Spannung und Erklärung der Welt getrennt hat. Ich hab mich bei den reinen „Erklärungstexten“ zu Tode gelangweilt und nicht wirklich gelesen, sondern weitergeblättert. Seine Charaktere hatten mitten in einer Crime-Szene plötzlich sechs Seiten lange Dialoge über magische Fakten. Das kam mir sehr suspekt vor. Irgendwie nicht richtig. Daher griff ich auf einen direkten Stil zurück. Im Verlag wurde mir ebenfalls eingebläut, reine „Faktenszenen“ zu streichen. Es soll wie ein Gedanke wirken. Wie eine Nebeninfo. "Erklärungen" waren hier ein No-Go, da der Leser abschaltet.

    Du stimulierst genau den Zweifel, der sich schon länger in mir regt. Danke dir für deine Worte. Ich schaue mir den Text nochmals genau an und wiege ab, wie ich was umsetze. :thumbup:

    Grüße aus St. Petersburg


    Stadtnymphe Na, da sieh mal einer an! Und schon sieht man sich wieder. Und es ist mir eine Ehre :thumbup:

    Ich habe leider gerade etwas Ärger mit dem Internet und komme nur "immer mal wieder" ins Netz. Daher verzeih mein Übersehen deines wunderbaren Kommentars. Ich habe dich ja bereits begrüßt - daher zum Eingemachten.

    Ist ja im Prinzip dasselbe

    Tatsächlich habe ich hier im Verlag und der Literaturwissenschaft gelernt, dass gerade eine Anhäufung von Synonymen die Situation oder die Aussage verstärkt. Daher greife ich sehr gerne auf diese Methode zurück. Ich werde mir diese Szene aber nochmals zur Brust nehmen, da du Recht hast. Im Enddefekt ist es die gleiche Aussage. Vielleicht klingt es für mich als Autor schön - aber für den Leser ist es unnötig. Wird somit geprüft :D

    Deine restlichen Anmerkungen habe ich mir mal Privat im Schreibprogramm markiert, da du hier gezielt Dinge aufzählst, die im Deutschen enorm ins Auge stechen. Da das "Original" der Geschichte tatsächlich in Russisch entstanden ist, merke ich viele Stilfehler nicht wirklich. Daher vielen Dank. Deine Hinweise sind sehr hilfreich und bedeuten mir viel. Gerade weil man als Autor für seine eigene Geschichte blind ist. Dein Auge ist das von einer Person, die viel liest - und Ahnung von der Materie hat. Wie gesagt, ich freue mich enorm auf deine Geschichten.

    Herzliche Grüße aus St. Petersburg.

    Man liest sich :thumbup:


    Spoiler anzeigen

    Meine Lieben, ihr seid wunderbar! Vielen lieben Dank für eure hilfreichen Kommentare. Leider habe ich gerade etwas Ärger mit dem Internet und noch nicht auf alle Kommentare geantwortet, aber alle gelesen und bereits (hoffentlich) angemessen die Tipps und Anregungen umgesetzt. Ich hoffe, die Länge ist angenehm. Gerade hier muss ich mich noch etwas auf "Forum"-Länge einspielen.

    Herzliche und magische Grüße aus St. Petersburg 8)

    Kapitel 3

    Gierige Zwerge


    «Das Besondere an einem Ball der Vampire ist, dass alle in Jeans kommen. Wäre sonst Schade um den guten Anzug.»


    Dmitrij war müde und abgekämpft, als er mit einem recht schäbigen Blumenstrauß bewaffnet endlich an seinem Ziel ankam. Zwei ganze Stunden hatte er gebraucht, um vom verdammten Revier hierher zu gelangen. Dmitrij atmete einmal tief durch, richtete seine komplett zerfetzte und blutige Sportjacke, dann klingelte er. Er setzte sein schönstes Lächeln auf. Frauen liebten sein Lächeln. Zumindest redete er sich das gerne ein. Es dauerte einen Moment, ehe die Tür entriegelt und geöffnet wurde. Zwei helle Augen hinter riesigen und dreieckigen Brillengläser starrten ihn vorwurfsvoll an.

    «Du bist zu spät, Jungchen.» Die kleine und alte Frau musste den Kopf weit in den Nacken legen, um die Ausmaße ihres Besuchers erfassen zu können. «Und lass diese elendige Grinserei. Du weißt, dass ich diese Gesichtsfratzen hasse.»

    Dmitrij lächelte noch etwas breiter, noch ein wenig charmanter, und reichte seiner Gastgeberin den Blumenstrauß, den er, Schande über sein Haupt, auf dem Weg hierher gestohlen hatte. Nun, er hätte ihn ja gerne gekauft, nur leider hatten diese Ärsche von der Sonderpolizei sein Smartphone, seine Geldbörse und seine Fake-Rolex einkassiert. Extreme Situationen erforderten nun mal extreme Maßnahmen.

    «Für dich, Radost», sagte er überflüssig. «Ein einfacher Strauß für eine nicht ganz so einfache Frau.»

    «Vorsicht, Junge. Ich muss sonst kotzen.» Radost nahm ihre riesige Brille ab, polierte übertrieben sorgfältig die Gläser und setzte sie anschließend wieder auf ihre knollige Nase. «Was soll das überhaupt sein? Unkraut? Pah. Dieses Zeug kommt mir nicht in die Wohnung. Und du, Junge. Schuhe aus. Reinkommen.»

    Dmitrij kannte Radost lange genug um zu wissen, dass es niemals klug war, ihr in irgendeiner Art und Weise zu widersprechen. Radost war vielleicht ein alter Zwerg, aber ihr steinharter Kopf befand sich in unangenehmer Höhe mit Dmitrijs äußerst empfindlichen Schritt. Er hatte nach der letzten Kopfnuss von Radost über eine ganze Woche lang nicht mehr richtig pinkeln, geschweige denn gehen können. Radost Wohnung war wie die meisten Altbauten in dieser Stadt hoch geschnitten, jedoch waren sämtliche Möbel und Einrichtungsgegenstände für sehr, sehr kleine Menschen ausgelegt. Dmitrij kam sich bei jedem seiner Besuche wie Alice im Wunderland vor, nachdem sie den Iss-Mich-Kuchen verdrückt hatte und rapide in die Höhe geschossen war. Die Wohnung war übersät mit hölzernen Trittleitern, da Radost sonst nicht an die Fenster herankam. Dmitrij folgte der Zwergin brav durch den Flur in das Wohnzimmer, wobei er sorgsam auf das für ihn winzig wirkende Mobiliar achtete.

    «Wirf endlich dieses hässliche Gestrüpp weg», brummte Radost und winkte verächtlich in Richtung der Blumen. «Wenn du mir das nächste Mal eine Freude machen willst, Junge, dann bewege gefälligst deinen Arsch pünktlich hierher.»

    Dmitrij legte die Blumen achtlos auf einen kleinen und niedrigen Tisch und setzte sich etwas unbeholfen auf den Boden. Der Fernseher prahlte mit normaler Größe, aber sämtliche Sitzmöbel, Schränke und Ablagen waren speziell für Zwerge gemacht. In die Sessel hätte sich vielleicht noch ein kleines Kind setzen können, aber ganz sicher kein erwachsener Mann. Besonders kein Werwolf.

    «Ich wurde aufgehalten.» Dmitrij zog den Reißverschluss seiner Sportjacke auf und streifte den mit Blut verschmierten Stoff vorsichtig ab. «Ich habe ein paar echt miese Stunden hinter mir.»

    «Hör auf zu jammern, Junge.» Die alte Frau öffnete einen kleinen Schrank und wühlte kurz ungeduldig darin herum. Sie wurde schließlich fündig und zog mit einem zufriedenen Brummen einen sichtlich mitgenommen Verbandskasten hervor, der in ihren kleinen Händen unglaublich riesig wirkte. «Wir alle haben miese Stunden. Miese Tage. Miese Wochen. Das Leben ist quasi nichts weiter als eine Aneinanderreihung von miesen Ereignissen. Und jetzt halte still. Das könnte wehtun.»

    Dmitrij stöhnte gequält, als ihm Radost etwas auf die offene Wunde kippte. Das Zeug brannte und zischte.

    «Silberbolzen», murmelte die Alte. «Na, da wurdest du aber sauber aufgemischt. Irgendwann bringen dich diese verdammten Halbmondlinge noch um.»

    «Du kannst mir glauben, Radost. Spaß hat der Scheiß ganz sicher nicht gemacht. Hätte Graf nicht eine seiner irren Nummern durchgezogen, würde ich jetzt immer noch in einer Folterkammer abhängen.»

    Radost schnaubte verächtlich, während sie die tiefen Wunden abtupfte. Das verfluchte Silber hatte ganze Arbeit geleistet.

    «Dummer Junge. Ein Wunder, dass du überhaupt noch lebst. Du vertraust diesem Blutsauger zu viel. Vampire sind böse Omen. Ärger auf zwei Beinen. Irgendwann liefert er dich ans Messer. Es sei denn, ich bin schneller und drehe dir noch vorher deinen unzuverlässigen Hals um. Wo zum Teufel hast du gesteckt?»

    «Ich wurde geschlagen und mit Silber beschossen. Also verzeihe mir meine kleine Verspätung.»

    «Kleine Verspätung? Pah! Du hättest gestern Abend hier sein sollen.»

    «Scheiße, Radost. Hast du mir nicht zugehört? Ich hatte Ärger.»

    «Du hast doch immer Ärger, Junge. Nicht mehr lange und du endest in Stücke gerissen in einer Mülltonne. Aber vielleicht ist es das Beste für alle, wenn so ein Trottel wie du früh geht, anstatt ewig zu leben und alt zu werden. Ich hasse alte Wesen.»

    Dmitrij wusste, dass es jetzt gerade kein guter Zeitpunkt war, Radost auf ihren bald anstehenden 93. Geburtstag hinzuweisen, wenn sie mit einer scharfen Nadel dabei war, seine Schulter wieder zusammenzunähen. Manche Sprüche waren einfach dazu verdonnert, elendig auf der Zunge zu verenden und unausgesprochen wieder geschluckt zu werden.

    «Ich muss für eine Weile abtauchen», sagte Dmitrij. Er atmete bemüht gleichmäßig, während die spitze Nadel immer wieder durch sein Fleisch stach. «Du weißt schon. Von der Bildfläche verschwinden.»

    «Verstehe.» Radost beendete ihr Werk und betrachtete sichtlich zufrieden die frische Naht. «Du schuldest mir aber noch etwas für das letzte Mal, Jungchen. Es hat mich einige Gefallen gekostet, dich nach der Romanow-Sache abtauchen zu lassen.»

    «Ich weiß, aber es ist wirklich dringend.»

    «Und du weißt, dass ich keinen Kredit gewähre. Also entweder du zahlst für dein Verschwinden, oder du musst alleine schauen, wie du aus der Stadt kommst. Kein Geld, kein Abtauchen.»

    «Du gieriges Miststück.»

    «Die Gier ist mit den Armen, Jungchen. Wir alle müssen unser Brot verdienen. Ich habe dich vielleicht aufgezogen, als es deine Eltern nicht konnten, aber ich bin nicht für dein Leben zuständig. Und jetzt sei so gut und lasse deine dreckigen Finger von der Naht. Das entzündet sich sonst wieder und du jammerst mir ewig und drei Tage lang die Ohren voll.»

    Dmitrij wusste, dass er verloren hatte. Radost hingegen war nun so richtig in Fahrt und noch lange nicht mit ihm fertig.

    «Ich hätte dich gestern Abend gebraucht.» Radost starrte Dmitrij in Grund und Boden. «Die Kunden waren am Boden zerstört, als sie hier ankamen und ich ihnen leider mitteilen musste, dass meine Spürnase nicht wie vereinbart aufgetaucht ist. Ihr Sohn ist verschwunden. Du weißt, was mit Kindern in dieser Stadt passiert, die zu lange allein auf der Straße unterwegs sind. Die armen Eltern sind krank vor Sorge.»

    «Komme mir jetzt nicht so», knurrte Dmitrij, während er seine zerfetzte Sportjacke wieder anzog. «Dir sind diese ganzen Kids doch scheißegal. Dir geht es doch bloß um's Geld. Hast du nicht selbst gesagt, dass Kinder niemals ohne Grund weglaufen?»

    Radost nickte. «Natürlich hat es immer einen Grund. Die Eltern des entlaufenen Burschen sind religiöse Fanatiker und ihr ach so frommer Junge ist vermutlich so schwul, dass ihm das verdammte Glitzer schon aus den Ohren tropft. Der Jüngling ist abgehauen, weil er sich die Hörner abstoßen will. Weit weg von den fanatischen Eltern und vor allem weit weg von Mütterchen Homophobia. Aber uns sind eine Menge leicht verdienter Rubel durch die Lappen gegangen. Mama und Papa sind nämlich abgesprungen, nachdem du gestern nicht da warst. Sie lassen ihren Sprössling jetzt von einer kirchlichen Organisation im Großaufgebot suchen. Mit freiwilligen Helfern.»

    «Nutzlos.» Dmitrij bewegte vorsichtig seinen Arm mit der frisch genähten Schulter. Es zog und zwickte unangenehm. «Der Junge hat sich längst einen reichen und magischen Gönner angelacht. Jung und verzweifelt. Darauf stehen die.»

    «Natürlich ist der Bursche längst das Bückstück für einen magischen Sugardaddy. Wir hätten dennoch ordentlich Profit abgreifen können, Jungchen. Verzweifelte Eltern zahlen verzweifelte Summen. Freiwillige Helfer. Pah! Wenn ich diesen Mist nur schon höre.»

    Radost zündete sich eine ihrer stinkenden Zigarren an. Sie wusste ganz genau, dass der widerliche Geruch Dmitrij fürchterliche Kopfschmerzen bereitete. Sie rauchte immer, wenn sie ihn bestrafen wollte. Wie einen ungezogenen kleinen Jungen. Manchmal, so wie heute, nahm sich Dmitrij fest vor, sich beim nächsten Vollmond nicht einzusperren, sondern seiner Pflegemutter einen kleinen Besuch abzustatten. Dann jedoch zeigte Radost ihre weiche Seite. Die Seite, die nicht jeden Kopeken zweimal umdrehte. Es war der kleine, weiche Teil von Radost, der sie vor gut zwanzig Jahren dazu bewegt hatte, den Sohn ihrer ehemaligen Angestellten aufzunehmen, als die Scheiße so richtig am dampfen gewesen war. Natürlich hatte Radost Dmitrij und seine empfindliche Nase für ihre Arbeit ausgenutzt. Sie hatte ihn ziemlich sicher nur deswegen überhaupt erst aufgenommen, aber sie hatte ihm Essen gegeben. Ein warmes Bett. Sich um ihn gekümmert, während alle anderen ihn zurückgelassen hatten. Es war Radost gewesen, diese kleine und alte Zwergin, die ihn bei seinen ersten Verwandlungen nach Einsetzen der Pubertät an Vollmond hinter einer schweren Eisentür weggesperrt hatte. Sie hatte Dmitrij an den schweren Tagen danach versorgt, ihn schlafen lassen und ihn wie ein kleines Kind gefüttert, weil er selbst zu müde gewesen war, auch nur eine Gabel in die Hand zu nehmen.

    «Wie lange musst du untertauchen?» Radost musterte Dmitrij skeptisch. Jetzt hieß es schnell sein, denn das Herz der alten Zwergin war nie besonders lange weich. «Ein paar Tage? Wochen? Monate?»

    «Ein paar Monate, denke ich.»

    «So schlimm?»

    «Quatsch, alles locker. Ich habe mich ja nur mit der Sonderpolizei angelegt. Keine große Sache. Diese Kerle sind ja für ihr leichtes Vergeben und Vergessen bekannt. In ein paar Tagen lachen wir alle über die ganze Sache und trinken feierlich auf Brüderschaft. Was glaubst du denn, verdammt? Natürlich ist es schlimm.»

    «Na schön.» Radost seufzte schwer. «Du hast eine Stunde, dann bist du von hier verschwunden, klar? Ich werde ein paar Bekannte kontaktieren und schauen, was ich so schnell für dich tun kann. Du kennst die Regeln. Ich will keine Details von deinem Ärger wissen. Keine Namen. Sollte die Polizei bei mir auftauchen, sage ich ihnen was nötig ist, um meinen eigenen Hals zu retten.»

    Dmitrij verzog leicht das Gesicht, nickte aber. So war Radost nun einmal. Sie würde ihn für die richtige Summe dem Teufel persönlich verkaufen. Aber immerhin gab sie es offen zu. «Ich kann nicht nach Hause. Meine Wohnung und meine Agentur werden überwacht.»

    «Eine Stunde», blieb Radost hart. «Nicht länger. Ich bin kein Hotel. Auf welchem Weg bist du zu mir gekommen?»

    «Ich bin von der Metro auf Trolleybus umgestiegen und danach per Anhalter weiter. Die Halbmondlinge haben keinen Werwolf, der meine Fährte aufnehmen könnte. Außerdem weiß ich, wie man seine Spuren verwischt. Ich bin kein verfluchter Anfänger, Radost. Also bleib cool, okay?»

    «Ich bin nie cool, wenn du mal wieder abtauchen musst. Du bist ein nutzloser Idiot, Junge. Diese ganze Detektiv-Sache bringt einen Haufen Scheiße und kostet ein Vermögen. Mal ganz zu Schweigen von deinem Bullen-Dracula. Glaubst du ernsthaft, du kannst einfach so für ein paar Monate verschwinden, ohne, dass dieser irre Vampir nach dir sucht? Hat er dir nach der Romanow-Sache nicht fast die Kehle zerfleischt? Wie lange warst du damals weg, mmh? Zwei Wochen? Drei? Was glaubst du passiert, wenn du einen Abhängigen für Monate verlässt? Ich habe dich von Anfang an gewarnt. Lass dich nicht zu oft von einem Vampir beißen. Und was machst du? Du wirst zum Luxus-Snack für so einen elendigen Blutsauger, damit er dir billige Infos zuschiebt.»

    Dmitrij wusste, dass Radost recht hatte. Scheiße, natürlich hatte sie recht. Ein abhängiger Vampir war ein gefährlicher Vampir, wenn man ihm plötzlich die Versorgung abschnitt. Dmitrij wusste noch nicht, was er wegen Graf unternehmen sollte. Er wusste nur, dass sein Magen knurrte. Er würde die einstündige Gnadenfrist ohne jeden Zweifel nutzen, um eine warme Mahlzeit zu sich zu nehmen und das ein oder andere Telefonat zu führen. Er musste seine Mutter erreichen, irgendwie. Sie vor der Sonderpolizei warnen. Falls sie nicht schon längst bei ihr aufgetaucht sind, flüsterte der kleine Teil in Dmitrij, der sich gerne selbst quälte. Es waren die Qualen eines schuldbewussten Sohnes, der sich seit Ewigkeiten nicht mehr bei seiner Mutter gemeldet hatte.

    Wieso aber auch? Olga war verrückt. Sie war mehr Bestie als Mensch. Sie jagte ihr Essen und verspeiste es in der Regel roh und mit einer Gier, die Dmitrij an ausgehungerte Wölfe denken ließ. Und nichts anderes war seine Mutter. Ein hungriger Wolf in Menschengestalt. Sie würde der Sonderpolizei ordentlich wehtun, so viel war klar. Niemand betrat ungestraft ihren Grund und Boden. Ihre Datscha war ihr Heiligtum. Ihr Revier. Aber auch Olga Sorokina war nicht unverwundbar und hatte den ein oder anderen schlechten Tag. Dmitrij musste sie warnen. Ein abenteuerliches Unterfangen, da seine Mutter zwar Strom und sogar ein funktionierendes Telefon in ihrer Datscha besaß, aber selten bis niemals abhob. Frauen wie Olga verabscheuten Telefonate. Sie riefen höchstens an, wenn es um eine ganz konkrete Sache ging und das ganze Gespräch mit Begrüßung und Verabschiedung nicht länger als eine Minute dauerte.

    Nun, wenigstens war Graf dafür recht einfach zu kontaktieren. Nach Jahren der heimlichen Zusammenarbeit hatten beide Männer ein gewisses System entwickelt. Es gab einen ganz bestimmten Ort, an dem man sich immer wieder traf, wenn Dinge hässlich wurden. Und das heute im Revier war quasi ein ganz neues Level an Hässlichkeit. Radost hatte Recht, auch wenn es Dmitrij mächtig gegen den Strich ging. Er musste mit Graf reden, bevor er abtauchte. Natürlich würde sein Abgang dem anderen Mann nicht gefallen, aber es war weit gesünder, den Vampir zu informieren, als ohne ein Wort von der Bildfläche zu verschwinden. Dmitrijs Blut war wie eine Droge für Graf und beide Seiten hatten absolut keine Interesse an einem eiskalten Entzug. So etwas endete immer mit einem Massaker. Ein Massaker, welches Dmitrij gerne vermeiden würde.

    «Das wären dann schon zwei Verschwinden, die du mir schuldig bist!», rief ihm Radost nach, als Dmitrij in der kleinen und viel zu engen Küche verschwand. Er verfluchte Radost leise, wagte es jedoch nicht ihr in irgendeiner Form zu widersprechen. Diese gierige Alte war eine Person, die man lieber auf seiner Seite wusste. Zumindest solange, wie man sie für ihre Treue bezahlen konnte. «Wehe, da kommt nicht bald mal endlich etwas Geld!»

    Dmitrij setzte in der Küche Wasser zum Kochen auf. Er ignorierte Radost, zumindest so weit wie man die keifende Alte ignorieren konnte, und machte sich an die Arbeit.

    Kyelia Wow, welch schmeichelhafte Worte! Dank dir, da werde ich hier ja fast rot. (Ich bin käseweiß, just saying...)

    Verzeih mir meine späte Rückmeldung. Ich habe wegen eines Umzugs gerade Probleme mit dem Internet. Obwohl das Netz hier in Russland um einiges besser ist als in Deutschland (hust) - sitze ich hier gerade ohne. Also "hello" modernes Smartphone mit Internetzugang und hallo vermisstes Forum der Fantasten.

    Es freut mich, dass ich deinen Humor getroffen habe. Noch mehr freue ich mich über deine Worte des Lobs. Ich höre oft, gerade von einem deutschen Lektor, dass ich "zu russisch" schreibe. Dass der Humor beim Leser nicht ankommt, aber du beweist das Gegenteil. Danke! Auch vielen lieben Dank für deine Anmerkung wegen der Länge. Ich hatte wegen der Länge echt viel hin und herüberlegt. Da ich kein "unfertiges" Kapitel online stellen wollte, wurde es halt die Originallänge. Beim Durchlesen im Forum war ich dann selbst erschlagen von der Länge. Ich werde mich dann wohl in Kürzung üben. Danke für die Anregung. :thumbup:

    Grüße aus St. Petersburg

    Kiddel Fee Vielen lieben Dank für deine Worte. Mensch, dieses "ER" ist mir selbst nach dem dritten Durchlauf nicht aufgefallen. Ich versuche zwanghaft Wortwiederholungen zu vermeiden. Gerade am Satzanfang ist das ein absoluter Todfeind. Aber ich Blindling übersehe glatt diese enorme Ansammlung an "Er's" - einfach weil. Somit tausend Dank für den Hinweis :thumbup:
    Wird umgehend korrigiert.

    hier fehlt ein "i"

    Tatsächlich nicht. "DMITRIJ" ist so richtig - und wird so auch im ganzen Roman geschrieben. Die Deutschen lesen und sagen zwar gerne DImitrij, mit einem zusätzlichen I, aber im Original wird es eben Dmitrij geschrieben - ohne I. Weder geschrieben, noch gesprochen. Ich bekam bereits von einem befreundeten Lektor angeraten, die Namen anzupassen, da scheinbar gerade russische Namen oft verwirren. Ich hänge aber oft an Namen und ändere diese nur ungern ab.

    Grüße aus St. Petersburg

    :D

    Hey-Ho, let's go, du Mit-Fantast!

    Sehr sympathische Vorstellung. Bin auch noch recht "frisch" hier unterwegs und kann dir versichern, dass die Leute hier super dufte und hilfsbereit sind. Hab mich hier direkt wohlgefühlt. Der direkte Austausch hilft enorm - und macht Bock.

    Du schreibst und liest Urban-Fantasy? Sehr schön. Dann werden wir zwei sicher noch öfters miteinander die Ehre haben.

    Freu mich schon auf deine Werke.

    Grüße aus St. Petersburg

    8)

    @Pepsi Sei gegrüßt, Fantasy-Genosse. Für Austausch bist du hier genau an der richtigen Stelle. Das hier ist ein dufter Haufen von epischen Leuten und coolen Ideen. Jeder ist willkommen. Ich bin selbst noch ein Frischling hier, aber hab mich von der ersten Sekunde an einfach nur wohlgefühlt. Ich schreibe selbst seit Jahren schon im Urban & Dark-Fantasy-Bereich, also denke ich, dass man sich hier noch öfters über den Weg läuft. Ich freu mich auf deine Werke.

    Lass es krachen. 8)

    @Paraxai привет,

    "Лукьяненко"-Список:

    - Ночной дозор

    - Дневной дозор

    - Сумеречный дозор

    (и - Последний дозор)

    - Новый дозор

    - Шестой дозор

    Da keine reinen fremdsprachigen Post erlaubt sind - wünsche ich dir viel Spaß beim Hören.

    Grüße aus St. Petersburg 8)



    Kapitel 2


    - Arbeiten mit Profis -


    «Nehmen Sie es nicht persönlich, aber ich gebe Vampiren niemals die Hand. Auch nicht den Hals.»


    Dmitrij war in seinem Leben schon öfters in den fragwürdigen Genuss der magischen Sonderpolizei gekommen. Seiner unfehlbaren Meinung nach war die MSP nichts weiter als ein Haufen uniformierter Irrer. Das letzte Mal, als ihn diese charmanten Genossen erwischt hatten, hatten sie ihm zwischen Tritten und Schlägen angeraten, seine Nase aus ihren Angelegenheiten herauszuhalten. Anschließend hatten sie Dmitrij noch seine Lizenz als Detektiv entzogen und seine kleine, wenn auch schäbige Agentur demoliert und ihn auf die Rote Liste verfrachtet. Der Name war Programm, denn die Roste Liste war die Waffe der magischen Bürokratie. Sie beherbergte all die Namen derer, denen man auf Grund magiefeindlicher Ansichten die Ausreise aus dem Land verweigerte. Während der Verlust seiner Lizenz eine echte Misere für Dmitrij war, machte ihm sein Status als Gefangener im eigenen Land nur wenig zu schaffen. Er war ein echter Heimscheißer, durch und durch, und weder an Weltreisen interessiert, noch ein großer Freund von überteuerten Flugreisen. War ja eh alles schlecht für die Umwelt, dieser ganze Kerosin-Dreck. Außerdem war es nahezu unmöglich, als Werwolf ein gültiges Visum zu bekommen. Aber verdammt, wem machte er hier was vor? Wenn diese Arschlöcher von der MSP mit ihm fertig waren, würde er so oder so nirgendwo mehr hinreisen können.

    Der nächste Faustschlag saß. Dmitrijs ganz persönlicher Folterer wusste, wie man Proportionen neu verteilte. Vermutlich war der Kerl neu bei der MSP, frisch aus einem Gefängnis oder aus dem Militär rekrutiert und wollte sich nun bei seinen Kollegen einen Namen als harten Macker machen. Der Kerl würde es in diesem Scheißverein sicher noch weit bringen, denn er hatte eine wirklich miese Rechte. Zudem schien er auch ein ernsthaftes Problem mit Dmitrijs Gesicht zu haben.

    «Verdammte Werwölfe.» Der Polizist war hörbar außer Atem und roch nach Erschöpfung und Wut. Er schlug immer verzweifelter auf Dmitrij ein. «Machen die eigentlich niemals schlapp?»

    «Weitermachen», befahl eine schmierige Stimme. Sie kam aus einer dunklen Ecke, irgendwo zu Dmitrijs Linken. Er kannte diese ölige Stimme. Er mochte ihren Tonfall ebenso wenig, wie den aufgeblasenen Saftsack, zu dem sie gehörte. Egal wie schön ein Tag auch war, man konnte sich darauf verlassen, dass Spiridon Below einen Weg fand, diesen innerhalb nur weniger Minuten in einen Alptraum zu verwandeln. «Auch Knochen aus Granit brechen. Man muss sie nur lange genug bearbeiten.»

    «Sir, bei allem Respekt-»

    «Ich sagte, dass Sie weitermachen sollen.»

    Ein erneuter Faustschlag beförderte Dmitrijs Kopf zur Seite. Er roch und schmeckte sein eigenes Blut. Wunderbar, so viel zum guten Aussehen. Ein zweiter Schlag folgte. Dann ein dritter, vierter und fünfter -

    Er brach zusammen.

    -----

    Dmitrij fühlte sich beschissen. Es war eine äußerst beschissene Beschissenheit. Das letzte Mal, als er sich so mies gefühlt hatte, war er mit voller Wucht von einem Lastwagen erfasst, ungünstig hängen geblieben und einige Kilometer mitgeschleift worden. Kurzum; es tat verflucht weh. Die Schmerzen waren zwar ein fieses, trotz allem aber nicht das zentrale Problem. Hauptsächlich nervte es Dmitrij, dass man seine Hände und Füße mit versilberten Handschellen und Lederriemen an einen massiven Stuhl befestigt hatte, der unangenehme Ähnlichkeit mit einem elektrischen Verwandten aus einem amerikanischen Todestrakt hatte. Dieses Ding hier war so gewaltig, dass man selbst Trolle darauf festschnallen konnte. Dmitrij versuchte vergeblich seine gefangenen Hände und Füße zu befreien. Keine Chance. Man hatte ihn straffer geschnallt und gezogen, als Cher ihre Gesichtshaut. Kinky. Diese Arschlöcher von der Sonderpolizei hatten ganz eindeutig einen Faible für schlechte Fesselspielchen. Jede Menge Handschellen, Ketten und Leder. Mal ganz zu schweigen von diesen verstörenden Lederpeitschen mit Silberkugeln gespickt, mit denen sich selbst der unerfahrenste MSP-Rekrut für Indiana Jones hielt.

    Generell wurde Dmitrij für seinen Geschmack viel zu oft geschlagen, gefesselt und angekettet. Es war einfach nicht richtig. So etwas gehörte verboten. Wieso zur Hölle nochmal gab es Gesetze, die reichen Magischen quasi die Carte blanche auf dem Tablett servierten, aber keine, die Wesen wie ihn vor sinnloser Polizeigewalt schützten? Es hatte mal andere Zeiten gegeben. Zeiten, noch lange vor dem Ende der Zaren und der blöden Weltkriege. Zeiten, in denen sich Wesen gegen die Magischen gewehrt hatten. Es hatte zwar nicht sonderlich viel gebracht und war stets in einer schrecklichen Tragödie geendet, aber man hatte wenigstens versucht zu rebellieren. Heute kaufte man, ganz der abgestumpfte Konsument der man war, jedes magische Produkt aus der Werbung, trank Zaubertränke und Wundermittel wie Wasser und feierte die großen und reichen Magier wie Hollywood-Stars. Die Schattenseite der Magie jagte der Bevölkerung zwar ordentlich Angst ein, aber in erster Linie wurde die Zauberei konsumiert. Sie versprach ein besseres Leben. Straffere Haut. Volleres Haar. Mit diesem magischen Trick verlieren Sie vierzig Kilo in nur zwei Wochen!

    Die Angst der Menschen versteckte sich unter purer Bequemlichkeit. Und Bequemlichkeit, so hatte Dmitrijs Vater immer gepredigt, war nur der erste Schritt in Richtung Sieben-Tage-Jogginghose, löchrigem Unterhemd und unrasierter Erscheinung. Senior Sorokin hatte Bequemlichkeit für eine Sünde gehalten. Er war ein Mann gewesen, der mit seinen Händen hart gearbeitet hatte. Es hatte keinen Tag gegeben, an dem Dmitrijs alter Herr nicht in der Werkstatt gestanden und bereits längst aufgegebene Autos von den Toten zurückgeholt hatte. Jelisej Sorokin, der beste Automechaniker der Stadt, hatte nicht verdient, was die Magischen ihm angetan hatten. Ebenso wenig wie Dmitrij diese verfluchten Handschellen verdiente. Er riss und zerrte erneut, aber seine Fesseln blieben standhaft. Langsam aber sicher hatte er gewaltige Scheißlaune.

    «Ey, ihr hässlichen Arschlöcher!» Dmitrij bedauerte zutiefst, keinen freundlichen Fingergruß in Richtung der Kamera senden zu können, die blinkend in einer Ecke hing. Sie war neben dem gruseligen Folter-Stuhl das einzige Objekt in dem grauen Raum. Abgesehen von einer schweren Eisentür. «Ich habe irgendwie das unangenehme Gefühl, dass ich hier schon seit einigen Stunden abhänge. So sehr wie ich unsere gemeinsame Zeit auch liebe, würde ich so langsam echt gerne nach Hause.»

    Niemand reagierte. Nicht, dass Dmitrij damit gerechnet hätte.

    «Ey, Halbmondlinge. Ich weiß, dass ich auf Sendung bin. Wäre also nett, wenn mich jemand losmachen könnte. Ich habe noch einiges zu erledigen. Ihr wisst ja, wie das ist. Termine, Termine, Termine.»

    Nichts passierte. Die Kamera blinkte fröhlich weiter. Die Tür blieb verschlossen.

    «Ich habe eine Katze, die gefüttert werden muss. Wollt ihr etwa, dass dieses arme Tier verhungert? Ich schwöre, wenn mein Koschka nicht mindestens viermal am Tag Futter bekommt, fällt er komplett ins Elend.»

    Überraschenderweise entpuppte sich ausgerechnet das schmierige Arschloch Below als Katzenfreund. Die schwere Sicherheitstür wurde geöffnet und mit dem Boss des Reviers drangen auch die ganzen Gerüche und Geräusche in den isolierten Raum, welche die magische Tür bis dato abgefangen hatte. Es stank nach Schweiß, Poliermittel und kaltem Kaffee. Below selbst verströmte wie immer seinen üblichen Haargel-Geruch, den Dmitrij ebenso verabscheute wie seine schmierige Stimme. Zudem war Below ein Mann, der sich nach dem Pinkeln nie die Hände wusch. Dmitrij hasste ihn.

    «Sorokin, du lästige Pestfliege. Kaum bei Bewusstsein, schon wieder groß die Fresse am aufreißen.»

    Below umkreiste Dmitrijs Stuhl mit langsamen und sichtlich genussvollen Schritten. Die schwere Tür schloss sich wieder und der Lärm verklang, ebenso wie die Gerüche von außerhalb des Raumes. Dmitrij fühlte sich fast ein wenig geschmeichelt, dass sich die MSP den Aufwand gemacht hatte, ihn im ohnmächtigen Zustand in einen magischen Isolationsraum zu sperren. Wer hier im Gewahrsam landete, hatte es wirklich krachen lassen.

    «Du steckst in der Scheiße, Werwolf.» Below blieb direkt vor Dmitrij stehen und durchbohrte seinen Gefangenen mit einem starren Blick aus grauen Augen. Es waren die Augen eines Mannes, der sich an den Qualen anderer ergötzte. Below war selbst für einen Sonderpolizisten ein echtes Stück Scheiße. «Und dieses Mal, Sorokin, wirst du dich nicht aus der Sache herauswinden können. Die obere Etage ist ziemlich verärgert.»

    Below beugte sich so weit in Richtung Stuhl, dass sein öliger Haargel-Gestank kaum noch zu ertragen war. Dmitrij hielt verzweifelt die Luft an. Nicht kotzen, dachte er fiebrig. Jetzt bloß nicht kotzen.

    «Ich habe meine Befehle, Werwolf. Im Moment will man dich lebend. Aber glaube mir. Ein Wort von meinem Vorgesetzten und ich lasse an dir ein Exempel statuieren, wie es diese verdorbene Stadt noch nie zuvor erlebt hat.» Dmitrij glaubte jedes Wort, denn Below war kein Mann leerer Drohungen. «Meine Männer haben dich in direkter Nähe von Anna Nikitinas Leiche verhaftet. Es gibt weder Zeugen, noch ein Alibi. Selbst so einem Idioten wie dir müsste klar sein, dass es nicht gerade gut um dich steht, Sorokin. Nikitinas einflussreiche Freunde wollen Antworten. Man wird dich früher oder später nach Moskau schicken. Und du weißt, was sie mit verurteilten Kreaturen wie dir in der Hauptstadt machen.»

    Und wie Dmitrij das wusste. Es hatte seine Gründe, wieso Skeptiker der magischen Regierung einen großen Bogen um die russische Hauptstadt machten. Nicht nur, weil man in Moskau keine Bierflasche werfen konnte, ohne irgendeinen superwichtigen und stinkreichen Magischen zu treffen, sondern weil das wahre Herzstück der Stadt nicht der Rote Platz war - sondern das verfluchte Asylum. Dort landeten alle, die bei den Magischen auf der Abschussliste standen. Das Asylum war mehr als nur ein Gefängnis. Es war ein düsterer und trostloser Ort, von dem es keine Rückkehr gab.

    «Ich war mal als junger Rekrut im Asylum.» Belows widerlicher Plauderton verpasste Dmitrij eine Gänsehaut. «Man wollte uns Neulingen den Ort zeigen, von dem wir so viel gehört hatten. Von dem jeder Vorgesetzte sprach, als wäre es die Hölle auf Erden. In Wahrheit ist es tausendmal schlimmer. Die Wärter brechen dort keine Knochen, sondern Seelen. Die knacken deinen Lebenswillen wie eine faule Walnuss.»

    Dmitrij schwieg.

    Jeder noch so dumme Spruch, jede noch so kleine Reaktion, wäre nichts anderes als ein Zugeständnis. Ein Zugeständnis dafür, dass er Below und seinem Gelaber tatsächlich zugehört hatte. Dass es ihm eine echte Scheißangst einjagte. Dmitrij würde sich eher beide Eier abreißen und sie anschließend am Stück runterwürgen, als hier und jetzt vor Below einzuknicken. Dieses miese Arschloch war nicht der neue Polizeichef der Sondereinheit geworden, weil er einen umwerfenden Charakter und ein unbestechliches Streben nach Gerechtigkeit hatte. Below war der Chef in diesem Laden, weil er ein Händchen für Manipulation besaß und die richtigen Leute geschmiert hatte. Er war der Alpha-Rüde eines bissigen Rudels voller Psychopathen, weil er am kräftigsten zubeißen konnte. Below war vielleicht kein Vampir, dennoch taten seine verbalen Bisse höllisch weh. Männer wie Below waren beim Militär rausgeflogen, weil sie ihren Vorgesetzten zu intrigant waren. Man konnte ihnen nicht trauen, besonders nicht mit einer Waffe in der Hand. Und wie die meisten Irren, die selbst das russische Militär nicht haben wollte, war Below bei der Sonderpolizei gelandet. Und weil Below nun einmal Below war, gab er Dmitrij gnadenlos den Rest.

    «Meine Männer haben deine Wohnung durchsucht.» Below packte seinen Gefangenen grob am Kinn. «Hast du gehört, Sorokin? Meine Leute haben die Tür eingetreten und alles auf den Kopf gestellt, während du hier dein Nickerchen gemacht hast. Man hat zwar keine Katze gefunden, dafür aber die Kopien von Polizeiakten. Und da frage ich mich, Werwolf, wie kommt ein dreckiger Detektiv ohne gültige Lizenz an Kopien von Polizeiunterlagen?»

    Dmitrij schwieg.

    «Entweder du bist hier eingebrochen und hast stundenlang Unterlagen kopiert, was ich ernsthaft bezweifle, oder aber du hast einen meiner Männer geschmiert.»

    Dmitrij schwieg.

    «Ich habe eine sich automatisch ergänzende Übersicht über sämtliche Druckvorgänge in diesem Revier. Ich weiß ganz genau, wer was wann und wo kopiert. Niemand scannt und kopiert hier seinen Arsch, ohne dass ich es weiß. Die Unterlagen, die meine Leute bei dir gefunden haben, wurden irgendwo anders ausgedruckt. In deiner Wohnung gibt es weder einen Kopierer, noch einen Laptop. Beides fehlt auch bei deiner kleinen Agentur, wenn man diesen schäbigen Schuhkarton denn so nennen kann. Merkwürdig. Als Detektiv keinen Drucker zu haben. Nicht mal einen Computer.»

    Kurze Fingernägel bohrten sich drohend in Dmitrijs Kinn.

    «Du hältst dich wohl für clever, mmh? Aber glaub mir, Sorokin. Du bist ruiniert. Ich werde dafür sorgen, dass du dir bis zu deiner Überführung ins Asylum wünschen wirst, niemals geboren worden zu sein.»

    Dmitrij vermied es zu blinzeln. Und schwieg.

    «Na gut», knurrte Below und ließ Dmitrijs Kinn ruckartig los. «Du willst Krieg? Ich gebe dir Krieg. Du wirst in eine Zelle gebracht und dort so lange eingesperrt und durchgeprügelt, bis man dich nach Moskau bringt. Deine Wohnung? Die fackeln wir ab. Deine lächerliche Agentur? Die wird ebenfalls brennen.»

    Below machte ein paar Schritte zur Tür, hielt jedoch inne und drehte sich noch ein letztes Mal zu seinem Gefangenen um.

    «Oh, und bevor ich es vergesse. Wir wissen, wo deine verfluchte Mutter steckt. Schöne Datscha, die sie da hat. Klein, aber fein. Ruhige Lage. Kein Lärm. Keine Nachbarn. Niemand, der sie schreien hört. Traumhaft.»

    Dmitrij riss so heftig an den Handschellen und Riemen, dass der wuchtige Stuhl ein paar Millimeter vom Boden abhob. Below wirkte für einen kurzen Moment ehrlich überrascht. Dann lächelte er schleimig.

    «Ich wusste, dass du ein Muttersöhnchen bist. Aber keine Sorge. Ich werde mich gut um sie kümmern. Ich habe eine Schwäche für große und starke Frauen. Je heftiger die Gegenwehr, umso größer der Spaß.»

    Die schwere Sicherheitstür öffnete sich und Below verließ den Raum, dicht gefolgt von Dmitrijs wütenden Verwünschungen. Er wusste, dass dieses kranke Arschloch nicht bluffte. Man würde sein Leben ohne jeden Zweifel in Schutt und Asche legen - und das seiner Mutter gleich mit. Zwar war Olga Sorokina keine Frau, mit der man es sich gerne verscherzte, aber auch sie hatte keine Chance gegen ein ganzes Aufgebot der Sonderpolizei. Dmitrij hatte nicht gerade das beste Verhältnis zu seiner Mutter, sie war immerhin ernsthaft verrückt, aber sie war seine Mama. Außerdem hatte sie rein gar nichts mit diesem ganzen Ärger zu tun. Sie hatte schon vor Jahren Sankt Petersburg den Rücken gekehrt und sich ganz in ihre Datscha auf dem Land zurückgezogen. Frauen wie sie schätzten ihre Ruhe. Eine Ruhe, die schon sehr bald äußerst massiv gestört werden würde, wenn Below Wort behielt. Und das würde er. Dmitrij brüllte und zerrte an den Fesseln, bis ihm die Luft ausging. Oh, wie er sie alle hasste. Below. Die MSP. Diese verdammten Hurensöhne in Moskau. Aber allen voran verabscheute er Anna Nikitina. Wieso hatte es ausgerechnet ihr Körper sein müssen, über den Dmitrij mehr oder weniger gestolpert war? Wieso hatte sie sich überhaupt umbringen lassen? Wieso zur Hölle war es Dmitrij, dem nun alles um die Ohren flog? Er hatte doch nur einen Fall lösen und etwas Geld abgreifen wollen.

    Der Strom fiel aus.

    Es passierte so plötzlich, dass es Dmitrij im ersten Moment gar nicht wirklich realisierte. Er blinzelte mehrmals, da er kurz glaubte, dass er sich die schlagartige Dunkelheit nur einbildete. Es war jedoch keine Einbildung. Es herrschte absoluter Totalausfall und selbst das lästige Blinken der Kamera war abrupt zum Stillstand gekommen. Irgendetwas stimmte nicht. Das hier war keine Masche. Keine Methode der Folter, immerhin war diese Dunkelheit um einiges angenehmer als das grelle und künstliche Licht, welches bis eben noch in dem spartanisch eingerichteten Raum geherrscht hatte. Dennoch brauchten Dmitrijs Augen einen Moment, um sich an die Schwärze zu gewöhnen. Er konnte spüren, wie sich seine Pupillen vergrößerten. Die Dunkelheit wich einer klaren Nachtsicht, die alles in ein verblasstes Grau tauchte. Hin und wieder hatten Dmitrijs Werwolf-Gene doch den ein oder anderen Nutzen. Die Sicherheitstür öffnete sich.

    Lärm und Gestank strömten in den Raum, wie sie es schon zuvor bei Belows Besuch getan hatten. Hektisches Stimmengewirr war zu hören, ebenso wie das Geräusch unzähliger Stiefel, die rasch entfernte Gänge entlang liefen. Der Besucher, der sich von Dunkelheit umgeben in den Raum schob, war weder Below, noch einer seiner sympathischen Schläger. Es war ein junger Mann, höchstens achtzehn oder neunzehn Jahre alt, der eine ziemlich harte Jugend hinter sich zu haben schien. Er war dürr, schreckhaft und hatte den wahnsinnigen Ausdruck eines Mannes, der schon lange die Kontrolle über sein Leben verloren hatte. Er war ein Vampir, auch wenn man ihm die meisten Zähne herausgeschlagen und gezogen hatte. Er stank nach Angst, Krankheiten und einem Körper, der schon seit Ewigkeiten in den immer gleichen und abgetragenen Klamotten steckte.

    «Rauslassen», nuschelte der Vampir, sichtlich neben der Spur. Er hatte einen Schlüsselbund in den mageren und zittrigen Fingern. Er klappte förmlich vor Dmitrijs Thron aus Silber und Ketten zusammen. Die zittrigen Finger des Vampirs hatten Mühe die Schlüssel ins Schloss zu bekommen. «Schnell, schnell», murmelte er scheinbar zu sich selbst, während er immer fahriger mit den Schlüsseln herumstocherte. «Sonst wird er wütend.»

    Dmitrij hatte da so eine Ahnung, wer wütend zu werden drohte. Wer für den Stromausfall verantwortlich war und einen scheinbar irgendwo aufgegriffenen Stricher als Schlüsselkurier auserkoren hatte. Dieser Mistkerl Graf konnte Dmitrij schlecht selbst retten, wie ein edler Ritter aus einem beschissenen Märchen, sondern schickte eine entbehrliche Marionette. Das sah ihm ähnlich. Der junge und zahnlose Vampir tat Dmitrij fast schon ein wenig Leid. Sicher hatte ihn Graf irgendwo in der Nähe der Pushkinskaya Ulitsa aufgegriffen und ihn wegen Prostitution oder Drogenbesitz an den Eiern. Vielleicht auch wegen beider Vergehen. Vielleicht hatte sich der jüngere Vampir überhaupt nichts zu Schulden kommen lassen, sondern war lediglich zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Dmitrij traute es Graf durchaus zu, einen Unschuldigen vor die Hunde gehen zu lassen, nur um seine eigene Haut zu retten. Immerhin wäre der Polizist geliefert, sollte Dmitrij in Plauderlaune kommen und ihren Deal auffliegen lassen.

    Irgendwo fielen Schüsse. Dmitrij konnte das Blut von einem Menschen riechen und den Gestank eines alten Ghuls. Wie es schien, war nicht nur der Strom ausgefallen, sondern auch die gesamte Notversorgung in sich zusammengebrochen. Neben seiner Tür hatten sich noch weitere Räume und Zellen geöffnet, die besser verschlossen geblieben wären. Ein Polizist schrie einige Meter entfernt nach Verstärkung. Noch mehr Schüsse erklangen. Schwere Stiefel näherten sich. Dmitrij zappelte nervös. Er konnte die Wut und Anspannung der näher kommenden Polizisten bereits riechen. Einer war verletzt und humpelte leicht.

    «Beeile dich, Mann. Wir bekommen gleich Gesellschaft.» Der Vampir verzog das schmale Gesicht. Seine nervösen Finger ließen den Schlüssel fallen. Ganz große Nummer, dachte Dmitrij gereizt. Einmal arbeiten mit Profis. «Junge», flüsterte Dmitrij bemüht beherrscht. Die Polizisten waren nur noch wenige Meter entfernt. Er konnte hören, wie einer der Männer hektisch Munition nachlud. Der andere spannte seine Armbrust. «Wenn du mich nicht in weniger als zwei Sekunden befreit hast, schwöre ich dir, dass alles, was dir unser gemeinsamer Freund angedroht hat, ein Witz im Gegensatz zu dem ist, was ich mit dir tun werde, wenn der nächste Vollmond fällig ist.»

    Die Finger des Vampirs zitterten immer stärker, jedoch schaffte er es trotz seiner aufkeimenden Panik, Dmitrij zu befreien. Er löste die Ketten und Handschellen und auch das viel zu eng geschnallte Leder gab endlich nach. Dmitrij sprang in dem Moment auf die freien Beine, als die zwei längst gewitterten Polizisten durch die offene Tür stürzten. Das grelle Licht einer Taschenlampe zuckte kurz hektisch hin und her, dann drückten die Männer ab. Dmitrij entkam nur knapp einem ziemlich hässlichen Kopfschuss und ging hinter dem massiven Stuhl in Deckung. Mehrere Kugeln und ein mit Silber gespickter Bolzen schlugen lärmend in der grauen Wand über ihm ein. Die Halbmondlinge im Dienst waren Menschen, somit blind außerhalb des Lichtpegels der Taschenlampe. Ein Umstand, den sich Dmitrij zu Nutzen machte. Er rollte sich wie James Bond an seinen besten Tagen hinter dem Stuhl hervor, ging leicht in die Hocke und sprang den Polizisten mit der lästigen Knarre aus der Dunkelheit an. Der Beamte fluchte, ließ jedoch nicht wie erhofft seine Waffe fallen. Er war jung, aber kein Anfänger. Er ballerte um sich, als gäbe es keinen Morgen mehr, wobei er den erneut in Deckung hechtenden Dmitrij verfehlte, dafür aber seinen Kollegen erwischte. Der Getroffene schrie schmerzerfüllt auf, als die Kugel seinen Oberschenkel durchbohrte, stolperte ungeschickt nach hinten und löste dabei den Abzug seiner Armbrust aus.

    Der bereits frisch gespannte Bolzen sauste durch die Luft und verfehlte nur um wenige Millimeter den Kopf des Vampirs, der sich in der Dunkelheit dem zweiten Polizist genähert hatte. Mit einem wütenden Kreischen stürzte sich der Blutsauger auf den verletzten Mann. Man hatte dem jungen Vampir vielleicht seine Zähne und seine Würde genommen, aber nicht seine Wut und seine Instinkte. Der Polizist mit der Armbrust ging zu Boden, halb im Isolationsraum und halb im Flur liegend, und versuchte verzweifelt den irre kreischenden Vampir von sich zu schieben. Dieser war wegen des Blutgeruchs längst in Raserei verfallen und schlug wie ein wild gewordenes Tier auf den Mann ein. Bedauerlich, durchaus, aber absolut nicht Dmitrijs Problem. Er knockte den hysterischen Schützen mit einem gezielten Fausthieb aus, schnappte sich dessen Waffe, - die natürlich längst leer war, weil hallo, das hier war nicht Hollywood -, und rannte, wie er noch nie zuvor gerannt war.

    Den Geräuschen nach, von denen Dmitrij immer weiter floh, schlug und kratzte der Vampir den Polizisten mit der Armbrust zu Brei. Dmitrij war kein Freund der Sonderpolizei, aber noch weniger war er ein Befürworter von irrer Mordlust. Jedoch würde er ganz sicher nicht umkehren und eine dumme Heldennummer für ein Arschloch in Uniform abziehen. Es gab immerhin genug Arschlöcher in Uniformen - aber nur einen Dmitrij. Weitere Halbmondlinge näherten sich, angelockt von den Geräuschen eines Kameraden in Not. Dmitrij konnte die Polizisten riechen. Und hören. Diese Typen waren vielleicht auf der Straße harte Kerle und im Einsatz organisiert, aber in ihrem eigenen Revier wirkten sie wie kopflose Hühner. Der Stromausfall hatte sie nicht nur überrascht, sondern das gesamte Gebäude in ein komplettes Chaos gestürzt. Sämtliche elektronischen Türen ließen sich entweder nicht mehr öffnen - oder schließen. Polizisten waren eingesperrt, während sich die ein oder andere Zelle geöffnet hatte.

    Dmitrij stolperte und stürzte auf einem der langen Korridore an einem tätowierten Zwerg und einem Halbtroll vorbei, die ebenfalls optimale Fluchtbedingungen gewittert und ihre sich plötzlich geöffneten Zellen verlassen hatten. Während sich der Zwerg mit übel zugerichtetem Gesicht einigermaßen in der Dunkelheit zurechtfand, stieß der massige und breite Halbtroll gegen jede Kante und Ecke. Meistens mit dem Schienbein.

    «Ist doch alles scheiße», beschwerte sich der Zwerg. «Wo ist der verfluchte Ausgang, huh? Hier ist auch echt gar nichts ausgeschildert. Nicht mal einen Notausgang hat dieses Scheißhaus. Bei einem Feuer sind hier alle am Arsch. Und ich dachte schon, in den Ausnüchterungszellen würden miese Standards herrschen.»

    «Mmpf», sagte der Halbtroll trocken, während er blind und sichtlich verzweifelt der Zwergenstimme folgte. Sein linkes Schienbein machte krachend mit einem Wasserspender Bekanntschaft. «Nur gut, dass es nicht brennt.»

    Dmitrij ließ die zwei Ausbrecher ebenso hinter sich zurück, wie er es zuvor bei den zwei Polizisten und dem Vampir getan hatte. Das Chaos im Revier war zwar heftig, würde dafür aber nicht lange anhalten. Sicher hatte man irgendwie Verstärkung beim zweiten Halbmond-Revier im Außenbezirk angefordert.

    «Lasst mich raus!», kreischte es irgendwo aus einer der noch verschlossenen Zellen. Das Kreischen war hell und hysterisch. Sirene. Dmitrij hasste diese niederträchtigen Kreaturen. Diese Schlampen saugten einem schneller die Seele aus, als empörte Mittvierziger nach einer halben Flasche Wein über Politik schwadronieren konnten. «Lasst mich raus! Ich kann euch hören!»

    Der Gang endete in einem weiteren Gang. Der Geruch nach Regen, nassem Asphalt und Stadt kam immer näher. Dmitrij musste sich irgendwo im dritten oder vierten Stock befinden. Der Ausgang war im Erdgeschoss. Er war nah dran. So verdammt nah. Jemand schoss auf ihn. Mal wieder. Der Schütze war jedoch um einiges talentierter als der schießwütige Revolverheld von gerade eben, denn die Silberkugel verfehlte nur knapp Dmitrijs Kopf. Es wurde nicht hysterisch herumgeballert, sondern sauber auf ihn gezielt.

    «Nicht der Kopf, ihr Idioten! Moskau will ihn lebend. Zielt auf den verfluchten Rest!»

    Es war Belows schmierige Stimme, die Dmitrij nach einem überstürzten Sprung aus einem nahe liegenden Fenster in die Freiheit entließ. Dmitrij entkam so zwar einer Kugel in den Allerwertesten, fiel dafür aber überraschend tief. Ein Feuerwerk aus Schmerzen explodierte in Dmitrijs Körper, als er mit voller Wucht auf einem weiter unten geparkten Polizeiwagen landete. Knochen und Dach gaben gleichermaßen nach. Die Alarmanlage des Autos heulte los.

    Was für ein beschissener Tag.

    @Paraxai Willkommen, willkommen! Sehr dufte, dass du hier bist. Also ich persönlich mag die Hörbücher von Sergei Wassiljewitsch Lukjanenko. Seine Bücher habe ich zwar nur im Original gelesen, habe mir aber mal die Hörbücher auf Deutsch besorgt und die sind genial gesprochen. Die Übersetzung ist mitunter die Beste, die ich von Russisch ins Deutsche kenne. Die "Wächter"-Reihe ist knallhart und spannend (Urban Fantasy). Mehr langatmig ist seine SciFi Serie "Spektrum". Auch gut fand ich "Niemalsland" von Neil Gaiman. Fängt zwar langsam an, kommt aber richtig gut in Fahrt und bleibt bis zum Schluss interessant.

    Die "Monster Hunter"- Reihe von Larry Correia ist (klassisch) amerikanisches "Hau drauf!"- Geballer auf Monster jeder Art, aber teilweise immer wieder witzig und ohne jeden Zweifel spannend. Der erste Band heißt im Deutschen "Die Monster die ich rief", wenn mich nicht alles irrt. Ebenfalls Fan bin ich persönlich von der "Lockwood & Co"-Serie von Jonathan Stroud. Ich habe seine "Bartimäus"-Reihe geliebt und fand seine neue Idee mit einem England, welches unter einer Geisterepidemie leidet, einfach nur gut. Ist schaurig-gut geschrieben - und gesprochen. Trotz Wechsel der Sprecher.

    "Die dunklen Fälle des Harry Dresden" von Jim Butcher machen auch Bock zu hören. Auch hier wechselt (leider) ab dem 1. Band der Sprecher, aber auch daran gewöhnt man sich.

    Fühl dich wohl hier, Keule :thumbup:

    Rainbow Vielen lieben Dank für deinen Hinweis. Das ist mir, und man will es fast nicht glauben, nie so aufgefallen. Es wird in meinen Texten viel geflucht und ich nutze "verdammt" und "verflucht" wie Leute Konfetti an Fasnacht. Die Erstversion von "Halbmondlinge" entstand hier tatsächlich in Russisch. In dieser Version hatte ich ein paar Alternativen, aber bei der Übersetzung später bin ich irgendwie bei "Verdammt" hängen geblieben.

    9x? Wow. Das ist echt nicht gerade wenig. Das schreit ja schon irgendwie nach einem Running Gag, aber ich denke, ich werde mir den Teil nochmals zur Brust nehmen und nach eleganteren Alternativen suchen 8)

    Nochmals vielen lieben Dank für den Hinweis. Das wurde von mir trotz aller Korrekturleserei nie bemerkt.

    Grüße aus St. Petersburg

    Spoiler anzeigen

    Nachdem ich mir das Recht "erarbeitet" habe, hier etwas posten zu dürfen - tue ich das auch. Wobei ich immer noch das Gefühl habe, in diesem Forum völlig "grün" hinter den Ohren zu sein. Ich schreibe seit Jahren, aber hier herrscht eine völlig andere Dynamik, als ich bis dato kenne. Und ich finde es klasse. Also haltet euch nicht zurück. Ich schätze Kritik. Natürlich auch Lob, aber vor allem lerne ich mit Kritik. Oder scherzhaft ausgedrückt; wer auf dem Blocksberg feiert, muss mit Hexen rechnen. Und ich habe hier schon in einige Wunderwerke reinlesen dürfen. Diese Geschichte neigt zu einer gewissen "Brutalität" und derber Sprache. Da ich dies bezüglich nichts genaues in den Regeln finden konnte - seid frei, mich bei eventuellem Verstoß sofort darauf aufmerksam zu machen. Hier gibt es keine wählbaren Alterstufen, von demher bin ich froh, wenn mir jemand ungeniert auf die Finger klopft. Ich schreibe zwar allgemein etwas "derb" - aber dies entschuldigt keine Verstöße gegen eventuelle Regeln. Zudem neige ich zu Gesellschaftskritik und miesen Kalauern. Verzeiht.

    Kapitel 1

    - DIE ELENDIGKEIT VON FAHRSTÜHLEN -

    «Das Problem mit diesem ganzen magischen Mist ist, dass er einem echt auf die Nerven geht.»


    Der alte Fahrstuhl war übel. Richtig übel, wie Dmitrij fand, kaum schlossen sich die mit Graffiti versprayten Türen. Es war diese eindrucksvolle Marke Horror-Fahrstuhl, die einen sofort bereuen ließ, dass man lieber faul und bequem sein Leben riskierte, als die Treppe zu benutzen. Wobei Dmitrij ernsthaft bezweifelte, dass ihn ein abstürzender Fahrstuhl umbringen konnte. Immerhin hatte er schon den ein oder anderen Autounfall überlebt, vorausgesetzt, absichtliches-über-den-Haufen-gefahren-werden zählte noch als Unfall. Abgesehen davon hatte man auch schon verflucht oft auf Dmitrij geschossen. In den Bauch. In die Brust. Hin und wieder sogar in den Arsch. Und dennoch - er hatte all diesen Mist überlebt. Dmitrij war ein Meister im Überleben. Es gehörte quasi zu seinem Job. Nur ein lebender Detektiv war auch ein erfolgreicher Detektiv, denn tot verdiente man keinen einzigen Kopeken. Sterben hatte einfach keinen Stil.

    Dmitrij war zum Ärger vieler Lebewesen nicht nur nicht tot, sondern auch verflucht gut in seinem Job. Er fand alles heraus. Falsche Identitäten. Affären. Nichts blieb vor seiner empfindlichen Nase als Detektiv verborgen. Er war zwar kein sonderlich taktvoller Mann, aber drauf geschissen. In diesem Business kam man nicht sonderlich weit, wenn man alles und jeden mit Samthandschuhen anfasste. Man wurde nicht für Mitgefühl bezahlt, sondern dafür, in einem alten Lada ohne Heizung herumzuhängen, Leute zu beschatten und dämliche Ehebrecher in Erklärungsnot zu bringen. Aber dieser Fall hier war anders. Größer. Dreckiger.

    Dmitrij konnte den Skandal bereits riechen, welcher im vermeintlich Verborgenen lag und sich ihm offenbaren würde, sobald sich die Fahrstuhltüren öffneten. Nun, falls sich diese öffneten. Das ungesunde Quietschen und Krächzen des Fahrstuhls ließ keinen Zweifel daran, dass die letzten Wartungsarbeiten noch lange vor dem Zerfall der Sowjetunion stattgefunden hatten. Scheiße, dachte Dmitrij und griff sich kurz in den Schritt, um seine Männlichkeit zu richten. Er hasste diese Jeans. Wieso zur Hölle nochmal hatte er sie nicht schon längst aussortiert? Sie war viel zu eng. Der Reißverschluss war unangenehm und drückte. Scheiße, verdammt. Hoffentlich bleibt dieser Fahrstuhl nicht stecken. Es wäre ein echter Jammer, wenn Dmitrijs ganze Mühen nur wegen eines dämlichen Fahrstuhls im Sand verlaufen würden. Wobei, so viel Mühe hatte ihn dieser Fall bis jetzt noch nicht gekostet. Dmitrij verdankte die meisten Informationen allein seiner äußerst schmackhaften Blutgruppe, mit der er einen gewissen Blutsauger leichter zum Reden bringen konnte, als einen auf Zwangsdiät gesetzten Schokoladensüchtigen mit Brownies. Jedoch hatte selbst der irre Graf Dmitrij geraten, lieber die Finger von diesem Fall zu lassen. Der Vampir war nur widerwillig mit wagen Angaben und spärlichen Details herausgerückt und vermutlich hätte er Dmitrij überhaupt nichts von dieser Sache erzählt, wenn er nicht so verflucht durstig gewesen wäre. Dieser Fall hier war eine verflucht fette Geldquelle, das spürte Dmitrij klar und deutlich, und die halb zerfetzte Kehle, die er dafür hatte zahlen müssen, allemal wert.

    Hier ging es um weit mehr als das Beweisen einer Affäre oder das Aufspüren untergetauchter Verwandte, die bei irgendeinem langsam ungeduldig werdenden Hexenmeister Schulden hatten. Nein, dieser Fall hier war politisch. Dmitrij war noch nie ein Freund der magischen Regierung gewesen. Besonders die obere Etage der Magischen, zu reiche Magier mit zu viel Einfluss, ging ihm gehörig auf die Eier und somit wäre es ein Verrat an seinen eigenen Idealen gewesen, wenn er sich nicht eingemischt hätte. Wenn er nicht auf Grafs Rat geschissen hätte und genau jetzt, in diesem Moment, das tat, was er nicht tun sollte. Nämlich hier sein. Der perfekte Detektiv. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Vorausgesetzt, dieser verdammte Fahrstuhl blieb nicht doch noch stecken. Was er nicht tat, zur Überraschung aller.

    Zumindest wirkten die zwei Zombies überrascht, die gerade dabei waren einen zusammengerollten Teppich aus einer Wohnung zu tragen, als sich die Türen des Fahrstuhls ächzend öffneten. Einen mit Blut verschmierten Teppich. Zusammengerollt. Groß genug, um darin eine menschliche Leiche einzuwickeln.

    «Jungs», sagte Dmitrij, der so viel Dummheit nicht fassen konnte. «Hollywood hat gerade angerufen. Die wollen ihre Idee zurück.»

    Die zwei Zombies sahen sich kurz verwirrt an, sichtlich wegen der Störung und dem dummen Spruch aus dem Konzept gebracht, dann ließen sie den Teppich fallen und rannten. Jedoch nicht davon, was Dmitrij durchaus begrüßt hätte, sondern geradewegs auf ihn zu. Und wenn es etwas gab, was selbst für einen Mann wie ihn ziemlich ätzend war, dann war es hochgiftiger Zombiespeichel. Diese untoten Mistkerle waren zwar ausgesprochen dumm, dafür aber verflucht schnell. Dmitrij hingegen war nicht schnell, es lag einfach nicht in seiner Natur. Man musste nicht schnell sein, wenn man mit bloßen Händen anderen Kreaturen den Kopf vom Hals reißen und mit ihrem Dickdarm Springseil springen konnte. Seine gesamte Anatomie war dafür ausgelegt, aus einem großen Mann ein noch größeres Ungeheuer zu machen. Jeden Monat, jeden verfluchten Vollmond.

    Dmitrij war selbst im menschlichen Zustand ein Kleiderschrank auf zwei Beinen. Laufen war nun wirklich nicht sein Ding. Er war gerade mit einem ausladenden Schritt aus dem Fahrstuhl gestiegen, als der erste Zombie bereits nach ihm schnappte. Kleine, aber unglaublich fiese Zähne hätten sich geradewegs durch Dmitrijs schwarze Sportjacke hindurch in seine Haut gebohrt, wenn er den blöden Untoten nicht rechtzeitig an der Kehle gepackt und auf seinen ebenfalls nach ihm schnappenden Kollegen geworfen hätte. Und wer schon einmal einen Zombie mit einem anderen Zombie verprügelt hatte, konnte sich in etwa vorstellen, wie angepisst Dmitrij gerade war.

    Die beiden Untoten brauchten einen Moment zu lange, um sich wieder aufzurappeln. Trotz ihrer Schnelligkeit waren sie kognitive und motorische Totalversager. Dmitrij trat beiden Geschöpfen mit einem widerlichen Schmatzen die hohlen Schädel ein. Eine Aktion rein aus dem Affekt heraus, die er sofort bereute. Angewidert starrte er auf die unappetitliche Suppe aus verwesten Flüssigkeiten, welche sich auf seinen nagelneuen weißen Sneakers ausbreitete. Memo an ihn selbst; endlich damit aufhören, immer die besten und neusten Schuhe für die widerlichsten Fälle anzuziehen.

    Die zwei Zombies zuckten noch kurz, dann erschlafften ihre Körper. Es erfüllte Dmitrij mit einer gewissen Zufriedenheit, dass wer auch immer diese verfluchten Wichser mit Magie geweckt hatte, seinen Zauber nun geradewegs um die Ohren bekam. Oh, wie sehr er diese Magischen verabscheute. Diese zauberhaften Wichtigtuer hielten sich aus Prinzip für die Krone der Schöpfung und lebten in dem Glauben, alle anderen Lebewesen wären lediglich Passagiere dritter Klasse, die nichts anderes taten, als mit ihrem lästigen Krach den VIPs im Luxusabteil auf die Nerven zu gehen. Die Magischen kauften und verzauberten alles, was sie in ihre gierigen Finger bekamen. Natürlich, es gab ja ach so tolle Gesetze, an die sich auch die Magischen zu halten hatten. Gesetze, die Magische für Magische schrieben, während ihnen Magische auf die Finger schauten. Es war eine einzige Farce. Bodenlos in ihrer verächtlichen Lächerlichkeit. Es war, als würde man einen Kannibalen ein Kochbuch für Vegetarier schreiben lassen.

    Apropos Magische. Das ist also der Haken an der Sache, dachte Dmitrij, während er sich dem zusammengerollten Teppich näherte. Deswegen ist der Fall so heiß. Da war Blut. Eine Menge davon. Trotzdem konnte er nichts riechen und es gab nur eine verdammte Spezies auf dieser verfluchten Erde, die keinen Geruch hatte. Magische. Sie löschten ihn aus dem Gedächtnis der Realität, sobald sie ihre Ausbildung abgeschlossen hatten. Es war ein aufwendiger Zauber, der Macht und Unantastbarkeit demonstrieren sollte. Man wollte damit den nicht magischen Pöbel auf Abstand halten und dafür sorgen, dass selbst solche Wesen wie Dmitrij keine Witterung aufnehmen konnten. Verfluchte Magische. Darum ging es also. Ein magischer Wichser hatte einen anderen magischen Wichser gekillt. Wie in den guten, alten Zeiten. Kein Wunder, dass Graf seine spitzen Zähne nicht auseinander bekommen hatte, als es um die Details dieses Falls gegangen war. Man biss nicht gerne in die Hand, die einen bezahlte. Das hier war wirklich fette Beute. Ein Mordkomplott unter den Magischen. Auch wenn sich diese zauberhaften Idioten früher einmal ständig gegenseitig aus dem Weg geräumt hatten, herrschte seit mehreren Jahrzehnten ein gewisser Frieden. Man machte lieber miteinander korrupte Geschäfte, als sich gegenseitig mit aufwändiger Magie um die Ecke zu bringen. Nun, zumindest bis jetzt. Irgendwer hatte wohl Sehnsucht nach den alten Traditionen bekommen. Vermutlich hatte sich ein Magischer eines jungen und lästigen Kollegen entledigt, der ihm irgendwie in die Quere gekommen war. Es gab eine Menge schnell aufsteigender Magische, die gerade einmal frisch ihre Ausbildung abgeschlossen und ihren Geruch losgeworden waren, aber schon eifrig bei den Großen mitmischen wollten. Sie waren ein gefundenes Fressen.

    Dmitrijs Verstand lief auf Hochtouren. Der Teil in ihm, der für seine detektivische Wahrnehmung zuständig war, hatte bereits alles erfasst. In seinem Kopf ratterte und arbeitete es. Vermutungen, Informationen und Fakten vermischten sich und ergaben zusammen die Antwort. Die Lösung. Wenn alles glatt lief, würde Dmitrij in weniger als vierundzwanzig Stunden ein reicher Mann sein. Nur leider interessierte sich die Realität nur äußerst wenig für Dmitrijs zusammengebastelte Lösung. Sie ging ihr sogar ziemlich am Arsch vorbei. Die Leiche im Teppich war nämlich kein Neumagischer, kein Frischling. Kein naiver Idiot, der mit den falschen Vorgesetzten ein magisches Armdrücken veranstaltet hatte. Es war die Leiche einer Frau, gut und gerne fünfzig Jahre alt, die nach einem raschen Aufrollen des Teppichs zum Vorschein kam. Sie war nackt und lag mit gebrochenen Beinen und Armen da, als wäre sie eine Balletttänzerin aus einem Gruselkabinett. Man hatte ihr die Haare abrasiert, ebenso wie die Augenbrauen. Nicht nur ihr Alter überraschte Dmitrij, sondern auch die offensichtliche Brutalität, mit der sie getötet worden war. Selbst während der rauen Zeiten hatten sich Magische an gewisse Regeln gehalten, was das Ermorden anderer Kollegen betraf. Man hetzte Dämonen auf seine Feinde. Man ließ sie den Zorn der Elemente spüren. Es gehörte zum guten Ton, seine magischen Feinde mit aufwändiger Magie zu töten. Nicht mit brachialer Gewalt. Das farblose und starre Gesicht der Frau kam Dmitrij irgendwie bekannt vor. Er hatte sie schon irgendwo mal gesehen. Ganz sicher. Er versuchte sich die Frau mit Augenbrauen und Haaren vorzustellen. Dunkle Locken? Nein. Braune und glatte Haare? Auch nicht. Blond? Ja. Dazu noch helle und schmale Augenbrauen. Etwas Schminke und übergroße Ohrringe - Scheiße!

    Dmitrij stolperte ein paar Schritte zurück. Er zog sein Smartphone aus seiner Jeanstasche und gab in die Suchleiste einen Namen ein. Sofort tauchten tausende Artikel, Bilder und Videos auf. Er wählte ein aktuelles Bild aus und vergrößerte es. Es zeigte eine blonde Frau in einem goldenen Abendkleid, aufwendiger Hochsteckfrisur und großen Goldkreolen. Sie hatte einen kleinen Zuchtdrachen im Arm, natürlich mit goldgefärbten Schuppen, damit das lebende Accessoire auch ja zur aufwendigen Garderobe passte. Zuchtdrachen waren bei den Magischen der letzte Schrei. Je seltener, umso besser. Der Drache auf dem Bild gehörte zu einer nahezu ausgestorbenen Gattung, was ihn wohl zum Blickfang des Abends gemacht hatte. Dennoch sah seine Besitzerin nicht sonderlich glücklich aus. Die Frau lächelte nicht. Natürlich nicht. SIE lächelte nie. Anna Nikitina, das berühmt-berüchtigte Resting Bitch Face der magischen Luxuswelt. Das Aushängeschild der Reichen und Schönen. Sie war Russlands einflussreichste Magische. Und neuerdings auch ziemlich, ziemlich tot. Zum ersten Mal in seinem Leben wünschte sich Dmitrij, dass er sich irrte. Aber es gab keinen Zweifel. Die nackte Leiche war Anna Nikitina. Misshandelt und verunstaltet, achtlos in einen verdammten Teppich eingewickelt, als wäre Dmitrij in die Dreharbeiten eines klischeehaften Krimis geplatzt. Er starrte erneut auf das Foto, dann wieder auf die Leiche.

    Er hatte auf einen großen Fall gehofft. Auf politische Skandale, mit deren Enthüllung er dem ein oder anderen Magischen mächtig ans Bein pissen konnte. Etwas Bestechungsgeld abgreifen. Er hatte seit dem Verlust seiner Lizenz immerhin ein paar wirklich harte Monate hinter sich. Aber das hier war selbst für ihn ein paar Nummern zu groß. Graf hatte Recht gehabt. Diese ganze Sache stank zum Himmel. Und zwar bestialisch. Dmitrij musste hier weg. Fersengeld geben, bevor er noch tiefer in die Nummer rutschte. Von wegen der richtige Mann am richtigen Ort. Das hier war ganz offensichtlich eine Falle. Jemand wollte, dass es Dmitrij war, der Annas Leiche fand. Jemand wollte, dass er es war, der über diese zwei Hohlköpfe von Zombies stolperte, nachdem er einer heißen Spur zu diesem schäbigen Wohnhaus gefolgt war. Denn jetzt mal ernsthaft. Eine Leiche in einem Teppich? Niemand, der nicht gefunden werden wollte, machte so einen Mist. Hier gab es kein Geld zu holen. Keine Enthüllungen, zumindest keine, die Dmitrij auch nur ansatzweise überleben würde. Es war eine Sache, ein paar aufgeblasenen Wichtigtuer ans Bein zu pinkeln - und eine ganz andere, mit Anna Nikitinas Leiche dazustehen. Dmitrij stopfte hektisch sein Smartphone wieder in seine Hosentasche und wollte gerade den Rückzug antreten, als ein paar Stockwerke weiter unten laut krachend die Haustür eingetreten wurde. Natürlich. Die Jungs vom Sondereinsatz klopften nur äußerst selten höflich an. Dmitrij witterte Schweiß, Silber und mürrische Arschlöcher in Uniform. Schwere Stiefel polterten die Stufen nach oben.

    Da war sie also. Die verfluchte Sonderpolizei, wie immer ganz der lästige Partycrasher. Dmitrij ging an Ort und Stelle auf die Knie, legte die Hände gut sichtbar an den Hinterkopf und versuchte wie jemand zu wirken, der sich nur ganz per Zufall in der Nähe einer nackten Leiche aufhielt. Nicht, dass es Dmitrij viel nützen würde. Die Sonderpolizei musste einen Tipp bekommen haben. Jemand musste gesungen haben. Dmitrij bezweifelte stark, dass sich Graf in die eigene Suppe gespuckt und seinen Kollegen den Hinweis gegeben hatte, dass sich ein ganz bestimmter und vor allem besonders verhasster Privatdetektiv mal wieder in Angelegenheiten der Polizei einmischte. Der Vampir war vieles, aber ganz sicher nicht dämlich. Es waren vier Polizisten, die am Ende der Treppe auftauchten. Sie trugen die übliche Uniform der MSP, Magische Sonderpolizei direkt aus der Hölle, und waren an Hand ihrer silbernen Halbmond-Abzeichen selbst für einen Blinden zu erkennen. Die ausgerüsteten Schlagstöcke, Schusswaffen und Armbrüste waren ebenfalls ein Hinweis dafür, dass die Scheiße mächtig am dampfen war. Niemand sagte etwas. Die Polizisten sahen die Leiche, den Teppich und Dmitrij. Das reichte ihrer Meinung nach. Das Letzte, was Dmitrij noch mitbekam, war eine auf ihn gerichtete Armbrust.

    Die Finger des Polizisten bewegten sich, ein Silberpfeil sauste los und die Welt wurde schwarz.

    Ich selbst habe kein Problem mit "Splatter" und auch kein Problem mit Sex in Büchern. Des Ersten bediene ich mich selbst gerne in meinen Geschichten, wobei ich finde, dass Schmerzen beim Lesen auch wehtun sollten. Der Leser muss fühlen können, dass ein gebrochener Arm wehtut - und der Charakter nicht eben mal locker-flockig "Hey, ho! Schweinebacke!"- mäßig wie Bruce Willis mit einem weißen Unterhemd (was auch irgendwie immer weiß bleibt?) aus den Trümmern eines Gebäudes rausspaziert und cool weitermacht. Die Mischung macht es. Ich persönlich mag spannende Szenen. Verfolgung. In meinen Geschichten bekommen die Charaktere (ziemlich oft) auch mal richtig auf die Mütze - eben weil sie keine Übermenschen/Wesen sind, sondern weil sie Schmerz durchaus fühlen können.

    Ich habe eigentlich nur dann ein echtes Problem mit Gewalt, wenn Waffen wie Spielzeug beschrieben werden - oder so hammermäßig cool sind, dass jeder militante Mensch mit einer Vorliebe für Knarren davon feuchte Träume bekommt. Ich mag zum Beispiel die Monsterjäger-Reihe von Larry Correia. Aber meine Güte, da wird geballert, als gäbe es keinen Morgen mehr. Egal ob Monster oder Mensch - Handgranate oder Atombombe drauf und die Sache ist erledigt. Das ist mir dann nach dem fünften Buch zu bunt geworden und ich habe nicht weitergelesen. Die Amis und ihre Knarren - ist ja eh so ein Thema. Aber gerade in der (Science-Fiction) Literatur weiß man einfach sofort, welches Buch von einem Amerikaner geschrieben wurde.

    Bei Sex-Szenen bin ich entspannt. In der Regel überlese ich sie, wenn sie mich nicht interessieren, oder es ist gut in die Story eingebaut und passt halt. Lieben und lieben lassen, sag ich da nur. Mir geht es um die Story. Die sexuelle Entwicklung zwischen den Figuren muss einfach SINN machen - und nicht plötzlich einfach passieren, weil gerade Bock drauf.

    Der Wanderer Danke dir für diese geniale Lösung wegen des Einstiegs und des Prologs. Ich lese die zwar sehr gerne, und auch diese experimentelle Umsetzung von dir gefällt mir - aber alleine die Tatsache, dass man die Option zum "Überspringen" hat - genial. Das hätte ich mir ehrlich gesagt bei J. R. R Tolkien ebenfalls gewünscht. (Herr der Ringe. Episch, keine Frage. Aber der gute Tolkien schweift ja gerne mal ab...) Eins vorweg: Ich hab noch nicht alles durch, sondern den ersten Teil gelesen und bereits ein paar Eindrücke gesammelt, die ich hier nun "brüderlich" teilen will 8)

    Mühsam Atem schöpfend verhielt er für einen Moment auf der Spitze, ohne des friedvollen Anblicks gewahr zu werden

    Du malst Bilder - mit Worten. Mensch, diese Szene konnte man quasi fühlen. Du spielst hier geschickt mit der Sprache und passt sie deiner Geschichte an. Und das, ohne dabei übertrieben "geschwollen" zu klingen. Das ist eine Kunst. Manch einer rutscht da gerne in einen pseudo Barden-Slang ab, der einen eher verwundert, als zu unterhalten vermag.

    Elv

    Ein Elv, also. Ich mag es, wenn man klassische und (scheinbar) in Stein gemeißelte Wesen abändert. Auch wenn es hier nur ein V statt ein F ist - die Wirkung bleibt. So wie Tolkien die Elben schuff, schaffst du hier einen Elv. Netter Schachzug mit dem Namen. Habe ich so in dieser Form tatsächlich noch nicht gelesen.

    Und doch entzog es ihm stetig und unbarmherzig seine Kraft, denn rechtmäßiger Träger des Amuletts war nicht er, Esthan, sondern ein anderer.

    Ich hätte hier seinen Namen weggelassen. Wir Leser wissen ja bereits, dass der Elv Esthan heißt. Zudem würde der Satz ohne diese zusätzliche Information irgendwie knackiger wirken.

    Nein, das waren mindestens zwei Wesen im Nebel vor ihm und...

    ...dann, wie ein Schlag vor die Brust traf den Elven eine Woge von Hass und schwarzer Dunkelheit.

    Reine Formsache, aber im Verlagswesen arbeitet man ungern mit "...". Zwar sind hier sauber und brav nur drei Aufzählungspunkte (nichts nervt Leser mehr, wie eine unüberschaubare Anzahl an; .........), aber es wirkt für das Auge beim Lesen angenehmer, wenn man "..." gegen "-" Ersetzt. In Russland verwendet man zum Beispiel niemals Aufzählungspunkte. Zumindest nicht in Büchern. Kann also sein, dass mich hier die reine Gewohnheit trügt und es für deutsche Literatur durchaus üblich ist.

    Und aller seiner Schwäche zum Trotz sandte er das Geschoß mit der gleichen todbringenden Sicherheit der ersten der dunklen Gestalten ins Auge, mit der er Zeit seines Lebens den Bogen geführt hatte.

    Ich liebe ausufernde Sätze. Schachtelsätze? Ich bin dabei. In erster Reihe, wenn du verstehst, was ich meine. Wobei, dieser Satz ist gar nicht mal so lang. Ich bastel mir da manchmal Monster zusammen, die man sich ausgedruckt dreimal um den Hals wickeln könnte. Wie einen Schal aus Buchstaben und Kommas. Dieser Satz hier bietet aber dennoch eine gewisse Komplexität. Man wird beim Lesen regelrecht entschleunigt - und muss den Satz kurz nochmal lesen. Ich persönlich würde ihn ein wenig umformulieren. Vielleicht so: "Und all seiner Schäche zum Trotz sandte er das Geschoß, mit der gleichen todbringenden Sicherheit, mit der er Zeit seines Lebens den Bogen geführt hat, der ersten dunklen Gestalt ins Auge." Nur eine Idee. Für mich wirkt es dann weniger verknotet.

    Ich freu mich auf den Rest, gerade wegen des eher "düsteren" Endes.

    Danke für diese Geschichte und ich lese mit Freuden weiter.

    Das hier verspricht gut zu werden :spiteful:

    Ich habe nun den Schreib-Ratgeber "Story" von Robert McKee beendet und bin begeistert. Das Bucht ist mit seinen Auszügen aus der Filmgeschichte eigentlich für Drehbuchautoren, bietet aber mit seinem tiefen Kern über das Schreiben und den Aufbau von Szenen auch für Autoren jeden Genre viel Neues. "Story" ist herrlich geschrieben, flüssig und für einen Ratgeber sehr unterhaltsam. Es ergründet die großen Fragen: Was IST eine (gute) Geschichte? Wieso sehnt sich der Mensch nach Unterhaltung? Wie baue ich nachvollziehbare Charaktere?

    Eigentlich tue ich mir mit Ratgebern ja schwer. Jeder weiß plötzlich alles über alles - wie man schöner, besser und glücklicher wird. Es herrscht ein Krieg der Ratgeber. Für Schreiberlinge gab es irgendwie auch immer nur diese trockenen "Show, don't tell!"- Regeln, lieblos verfasst und auf den Markt geschmissen. "Story" ist da anders. Es bietet keine Regeln, sondern entführt den Leser in die Welt der (Film-)Geschichte, der Unterhaltung, die menschliche Psychologie und die Gesellschaft an sich. Ich hatte richtig Spaß beim Lesen und quasi gespürt, wie mir beim Lesen manche Sachen klarer geworden sind.

    Eine Empfehlung für alle, die sich für Drehbücher, Filme und natürlich die Kunst des Schreibens interessieren 8)

    "Diner des Grauens" von A. Lee Martinez . Herrlich schräger Humor. Ich habe die beiden Hauptcharaktere, das Auto voller leerer Bierdosen und die Zombie-Kühe gefeiert, über die ich immer noch nicht ganz hinweggekommen bin. Hier trifft schräge Fantasy auf Tarantino-Stil. Sehr blutig, unverblühmt und sicher nicht für jeden was - hat bei mir aber für Unterhaltung gesorgt.

    Kisa So, ich hoffe, ich mach das hier jetzt auch richtig. (Blutiger Frischling im Forum...)

    Ich habe gerade die beiden Prolog-Teile gelesen und will hier mal meine Eindrücke zu Papier bringen.

    New Orleans, 1925. Die "goldenen" 20er und der Geburtsort des Regtime. Interessante Zeit, spannendes Setting. Man konnte die Jazzmusik quasi hören. Reizt zum Weiterlesen. Mich hat es aber etwas "gestresst", dass der gesamte Prolog (beide Teile) in Kursiv geschrieben ist. Liegt aber vor allem daran, dass ich selbst nicht gerne längere Textstellen in Kursiv verfasse. Klar, nichts zeigt einen Rückblick so deutlich wie kusive Textstellen, aber dadurch verliert der Text auch irgendwie seine Wirkung. Ich als Leser distanziere mich dirket etwas, weil ich direkt denke, "naja, nicht so wild. Liegt ja alles in der Vergangenheit." Es wirkt nicht aktuell.

    Im Verlagswesen rät man Autoren an, Flashbacks ruhig in normalen Schriftblöcken zu verfassen. Eben weil kursive Schrift für das lesende Auge überreizend wirkt. Aber das ist lediglich eine kleine Formsache - und Dank deinen Absätzen ist es noch gut zu lesen. Der Prolog generell fängt sehr spannend an. Die versprochene Spannung wird direkt eingehalten. Mir gefallen auch die Namen der bis dato vorgestellten Charaktere, wobei Tamsyn und Therrie sehr ähnlich klingen. Das ist gerade als "Frischling" am Anfang recht verwirrend. Ich habe kurz gebraucht, bis ich die Namen nicht mehr verwechselt habe. Aber da komme ich locker noch rein 8)

    Doch Tamsyn wusste selbstverständlich, dass diese Gerüchte der Wahrheit entsprachen, schließlich war sie selber einer. Ein Vampir. Eine Jägerin der Nacht, wie Therrie es immer so schön ausdrückte.

    Hier hätte ich das "selbstverständlich" weggelassen. Es wirkt beim Lesen überflüssig. Für den Leser ist es eben nicht selbstverständlich, dass Tamsyn es besser weiß. Wir sehen ihr ja nicht in den Kopf. Ich finde, dass "... doch Tamsyn wusste, dass diese Gerüchte nicht der Wahrheit entsprachen. Immerhin war sie selbst ein Vampir..." besser. Da ist man als Leser eher überrascht. Immerhin wird hier offenbart, dass es Vampire wirklich gibt. Und sie eben kein Humbug sind.

    Er war ein über Jahrtausende alter Dämon, der sich mit einem gefallenen Engel, einem Schwarzenengel, zusammen getan hatte und so, die neue Rasse der Vampire erschaffen hatte.
    Therrie gehörte noch mit zu der ersten Generation dieser Vampire. Je mehr Generationen weiter gereicht wurden durch das trinken von Blut, wurde das ursprüngliche reine Vampirblut immer mehr verwässert. Sodass die neuen Vampire alle nicht mehr so eine Macht inne hatten, wie die erste Generation.

    Zu viel Infos, meiner Meinung nach. Natürlich, als Autor will man den Leser an die Hand nehmen und ihm die Welt erklären, die man mit so viel Liebe kreiert hat. Der Trick ist, und da habe ich auch immer unglaublich Mühe mit, diese ganzen Informationen so einzubauen, dass sie den Leser nicht aus dem Lesefluss reißen. Zudem würde ich bei "Therrie gehörte noch mit zu der ersten Generation..." das "mit zu" weglassen. "Therrie gehörte noch zur ersten Generation" klingt irgendwie knackiger.

    Egal ob nun sterblich oder unsterblich. Sie hielt die Augen immer offen und suchte sich jemanden der sie interessierte, aber in den meisten Fällen endete es damit, dass sich dieser Jemand, als Vampirjäger herausstellte und ihr nach dem Leben trachtete, der weil er von Ridley oder Marcel eliminiert wurde.

    Dieser Satz fängt unglaublich gut an, weil, wer kennt das nicht? Da ist der Kerl von Interesse mal eben ein Vampirjäger. (Super trockener Humor :)) Jedoch wird der Satz gegen Ende verwirrend. Fehlt da nicht irgendwas?

    Natürlich schrie jeder von ihnen schmerzerfüllt auf

    Hier würde ich das "natürlich" weglassen. Das nimmt dem Satz irgendwie seine Brutalität. Und es geht ja gerade brutal zu.

    So. Das waren mal die kleinen Stellen, die mir beim Lesen aufgefallen sind. Beim Rest kam ich sehr flüssig durch. Mir fehlt noch eine gewisse Sympathie für Tamsyn, aber wie gesagt, ich habe erst beide Prolog-Teile gelesen. Wobei diese Distanz auch irgendwie gewollt wirkt. Sie wirkt taff und unnahbar - beobachtet aus der Ferne. Ich habe eine gewisse Hass-Liebe zu Vampiren. Es gibt einfach zu viele Schmonzetten und vorhersehbare Romanzen und Vampire sind irgendwie immer superheiß und alle wollen sie und so weiter. Ich bin also gespannt, wie es hier weitergeht und hoffe auf frischen Wind.

    Ich lese gleich mal weiter :)

    Lieber Wanderer,

    ich bin gerade auf diesen Text gestoßen und habe ihn mir (verdient) zum Feierabend einverleibt. Ich habe ihn mir quasi "gegönnt" - ganz im Jugendstil von heute.

    "DU" - ach, wie gerne lese ich es, aber wie selten wird diese Art verwendet. Wir alle kennen ihn. Den persönlichen Ich-Erzähler, die verworren-epische Multiperspektive und der auktoriale Erzähler, der kleine Alleswisser. Aber das DU - einfach wieder anders. Man fühlt sich als Leser ertappt. Man spürt den Fingerzeig und auch wenn man weiß, dass man ÜBER jemanden liest, fühlt es sich näher an. Rauer. Ohne Filter. Wir hängen hier in keinem Kopf herum, der als das ICH agiert und dessen Sichtweisen wir erfahren, sondern wir fühlen uns direkt angesprochen. Man hört und sieht genauer hin.

    Zitat

    Doch es ist schwer, die Vorstellung von der Wahrheit zu lösen.

    Welch ein Satz. Und wie wahr - wie oft verliert man sich in Vorstellungen. In Traumwelten, die nur zu gerne 50000km von der Realität entfernt sind. Menschen lesen, weil sie die Welt verstehen wollen. In einem Zeitalter, wo alte Weltbilder zerbrechen und neue ihren Aufschwung feiern, sehnt man sich nach guter Unterhaltung. Nach einem Leitfaden. Man liest nicht zur reinen Ablenkung, sondern zum Erforschen. Und sei dir versichert - ich habe dieses kleine Werk hier erforscht und genoßen.

    Du hast generell einen sehr schmucken Schreibstil. "Verblümt" wäre hier das falsche Wort, da denkt man direkt an Kitsch und Adjektive aus der "Rosamunde Pilcher"-Hölle. Du schreibst mit Sorgfalt und wiegst deine Worte ab. Ich hatte beim Lesen den Eindruck, hier das Werk eines Denkers vor mir zu haben. Einer mit Herzblut, der sich in seinen Stücken verliert, aber oft mit einzelnen Sätzen hadert. Und überarbeitet - und wieder hadert. Man merkt, dass hier reale Gefühle reingeflossen sind. Aktuelle Ereignisse, die man irgendwie verarbeiten möchte. Kurzum; Leidenschaft. Und so etwas macht Bock zu lesen.

    Zitat

    Oder vielleicht bedingt das Gehen des einen das Bleiben des anderen?

    Das ist tief, knackig und geht unter die Haut. Ich persönlich hätte nach diesem Satz das Ende gesetzt und nicht noch

    Zitat

    Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, daß die Trauer eines einsamen Königs auf seinem Thron auch die meine ist.

    angehängt. Wobei, wenn man das Ganze betrachtet, ist dieses gewählte Ende auch gelungen. Hier erfährt man, im letzten Satz, etwas über den Sprecher. Es hat somit seine eigene Eleganz, wobei ich es ja gerne mit einem Knall enden lasse.

    Danke für diese kleine Perle.


    "Stößchen" aus dem Osten :wein:

    Naduschka

    Hikari Sei gegrüßt. Ich habe gerade diese kleine Perle entdeckt und sie euphorisch verschlungen. Wobei, deine Kurzgeschichte kann man gar nicht verschlingen. Sie gemahnt zur Aufmerksamkeit, zum Nachdenken und irgendwie, ja, irgendwie auch einfach mal zum Fühlen. Dein Werk liest sich am Besten mit Ruhe, ohne Hektik. Der Text selbst ist wie der Ort des Geschehens ein zeitloser Raum.

    Hier herrscht eine beinahe schon fühlbare Stille. Und diese Stille ist alles andere als bedrückend, sondern zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk. Mit wenigen Worten hast du das geschafft, was eine gute Kurzgeschichte einfach schaffen muss - den Leser reinwerfen, auffangen und genau dann wieder loszulassen, wenn er es sich gerade gemütlich gemacht hat. Wenn er glaubt, die Personen zu kennen - nur um ihn dann zu überraschen.

    Die beiden Geschwister sind herrlich real. Kinder, aufgedreht und neugierig. Der große Bruder, der betont, dass er hier der Große im Raum ist. Er plustert sich auf, weil er ja auf die "Kleine" aufpassen muss. Die kleine Schwester, die entdecken will und alles andere als auf den Kopf gefallen ist. Zudem gefiel mir sehr, wie du mit den Personifizierungen gespielt hast. Ein sehr "charmanter" Tod.

    Danke für dieses kleine und wunderbare Werk :D


    Herzliche Grüße

    Naduschka

    Katharina Mensch, was ein herzlicher Empfang hier. Ich schreibe weitesgehend auf Deutsch. (Abgesehen von ein paar Kurzgeschichten). Ich bin in Deutschland aufgewachsen und hier zur Schule gegangen. Ich "denke" in Deutsch. Das merke ich vor allem dann, wenn ich hier in St. Petersburg offizielle Schreiben unter Zeitdruck aufsetzen soll - und mir dann der kalte Schweiß ausbricht. Mein Geschriebenes sorgt bei meinen russischen Verwandten und Kollegen gerne mal für Lacher.

    Einen wunderschönen (und epischen!) Gruß in die Runde. Ich bin frisch in dieser Wunderwelt der fabelhaften Ideen und kreativen Köpfe gelandet und schnuppere und "wühle" mich gerade eifrig durch die Schatzkammer voller Geschichten.

    Ich bin Naduschka, 28 Jahre alt und wollte als Kind schon Weltraum-Pirat werden - oder Schriftsteller. Da die NASA wegen der Piratsache NEIN gesagt hat, bin ich schließlich Buchhändler geworden, habe eine Weile in einem Verlag gearbeitet und schlafe in der Nacht nicht, sondern schreibe. Schreiben ist meine große Leidenschaft. Es ist ein Hobby, welches mich schon seit Jahren wie ein guter und alter Kumpel begleitet.

    Fiktive Traumwelten sind mein Zuhause. Pen-&-Paper? RPG? Ich bin dabei. Meine Kindheit und Jugend wurde von Terry Pratchett, Hohlbein und Sergei Wassiljewitsch Lukjanenko geprägt. Ich fühle mich besonders im Bereich der Urban Fantasy wohl und die meisten meiner Geschichten spielen im vertrauten Berlin und St. Petersburg. Dennoch wird auch eifrig an eigenen Welten gebastelt, womit ich JAHRE verbringen könnte. (So eine eigene Welt ist wie ein Kind. Plötzlich wird es groß und zieht in die Welt hinaus und man selbst bleibt mit einem Haufen Katzen zurück, weil man sich sonst irgendwie... leer fühlt.) Meine Erstentwürfe glänzen vor Wahn und hektischen Tippfehlern, die ich in der Nacht (bei vier Tassen Kaffee) versuche in den Griff zu bekommen. Meine Figuren fluchen - gerne und viel. Daran muss ich noch arbeiten. ^^

    Ich lese viel, lasse stets ehrliche und von Herzen kommende Kritik da und bin offen für alles. Außer schnulzige Vampir-Schmonzetten. Da bekomme ich direkt Nasen- und Augenbluten.

    Hachja. Ich denke, dass ich mich hier wohlfühlen werden.

    In Ehren,

    Naduschka