Wun-...
Halt. Was hatte Abby da gesagt? 'Wundervoll'? Sie musste sich
von Kolja abweisen lassen und fand es 'wundervoll'? „Hast du
verstanden, was ich dir gesagt habe?“, ging Kolja verdutzt auf
Nummer sicher und seine Verwirrung wuchs noch mehr an, als Abby
bestätigend nickte.
„Das
habe ich. Oh Kolja, dass du die Zustimmung deines besten Freundes
über dein eigenes Glück stellst, beweist deinen ehrenwerten
Charakter! Es war wirklich kein Fehler mich in dich zu verlieben.“
Schon hing die Wölfin wieder an Koljas Hals und drückte ihm
unbeschwerte Küsse auf die Lippen. Sie meinte zudem: „Und ich
denke, dass deine Befürchtungen unbegründet sind. Scott wird sich
für uns freuen. Da bin ich mir sicher, denn es gibt keinen Mann von
dem er mehr hält als von dir. Aber ich verstehe, dass du ihn nicht
vor vollendete Tatsachen stellen möchtest, deswegen solltest du zu
ihm gehen und dir seinen Segen abholen. Ich warte solange auf dich,
egal ob es nun bis morgen dauert oder die nächsten Tage oder den
Rest der Woche. Und danach kommst du gleich zu mir, ja?“ Mit einem
letzten Kuss löste sich Abby von Kolja, nahm den Kasten Wasser und
kehrte damit munter trällernd zur Terrasse zurück. Überfordert
gaffte Kolja ihr nach. Was…was hatte hier eben stattgefunden?
Ein
Rascheln hinter ihm riss Kolja aus dem Wirrwarr seiner Gedanken und
der Bär drehte sich nach dem Geräusch um. Skeptisch zog er die
Brauen zusammen. Huh? Die Beleuchtung vorm Haus brannte immer noch?
Mittlerweile hätte sie sich doch schon längst abgeschaltet haben.
Dann flackerte auf dem Boden ein Schatten auf und unweigerlich
entwich Kolja ein tiefes Seufzen. Großartig. Offenbar hatte jemand
Abby und ihn von der Auffahrt aus beobachtet. Konnte dieser Abend
denn noch komplizierter werden? „Du kannst rauskommen“, rief
Kolja der unbekannten Person zu. „Dein Schatten verrät dich.“
Einige
Sekunden vergingen, doch letztlich lugte vorsichtig ein hellhaariger
Schopf hervor. Gleich darauf trat Moira betroffen auf den Weg. Derart
unangenehm berührt, wie die Banshee auf Kolja wirkte, war sie
zweifelsohne Zeugin der Szene geworden. „Ich wollte euch nicht
belauschen“, erklärte sie kleinlaut. „Du warst bloß plötzlich
weg, deswegen wollte ich sichergehen, dass alles in Ordnung mit dir
ist.“ Anschließend machte sie einen zögerlichen Schritt auf Kolja
zu. „Also… du und Abby, was?“
Seine
Reaktion bestand aus einer resignierenden Geste. „Du hast es
miterlebt.“
Moira
gestand ihm: „Um ehrlich zu sein, ich habe so etwas schon seit
längerem geahnt. Abby himmelt dich schon eine ganze Weile an, nur
war ich mir unsicher, ob du Interesse an ihr hast. Vor allem, nachdem
du sie auf dem Fußballplatz hast abblitzen lassen.“
Nachdem
er… „Das hast du also doch mitbekommen.“
Die
Banshee senkte schuldbewusst das Haupt. „Bitte entschuldige, dass
ich nichts gesagt habe. Ich hielt es für besser meine Klappe zu
halten, um dich in keine unangenehme Situation zu bringen.“
Somit
hatte sich Kolja den wissenden Unterton während seiner
Unterhaltungen mit Moira doch nicht eingebildet. Na ja. Es hätte
schlimmer kommen können. Lieber ließ sich Kolja von Moira in
flagranti mit Abby erwischen, denn von Colin oder schlimmer, von
Scott. Ein kümmerlicher Trost angesichts seiner Lage. „Ist schon
in Ordnung“, beschwichtigte er Moiras schlechtes Gewissen. „Ich
verstehe das.“
„Das
beruhigt mich. Aber sag mal, Kolja… .“ Kritisch legte Moira ihre
Stirn in Falten. „Du willst Abby doch nicht wirklich für Scott
abweisen, oder?“
Welche
Optionen blieben Kolja denn übrig? „Scott wird durchdrehen, wenn
er rausfindet, dass ich Abby zu nahegekommen bin.“
„Vermutlich,
ja“, räumte Moira nachdenklich ein. „Er wird eine Weile toben
und über dich schimpfen aber am Ende, denke ich, wird er sich
einkriegen. Bisher hat Scott dir doch alles verziehen. Sogar, als du
mal den Topspieler der irischen Fußballnationalmannschaft mit dem
Grashüpfer aus der Biene Maja verglichen hast und das zählt
nach seinen Maßstäben immerhin als Kapitalverbrechen.“ Das
stimmte zwar, jedoch unterschlug Moira dabei, dass Scott Kolja zu
jener Zeit eine vollzählige Woche lang die eiskalte Schulter gezeigt
hatte und das nur wegen eines wildfremden Fußballers. Hier ging es
um Abby; für Scott spielte sie in einer völlig anderen Liga. Die
Banshee fügte hinzu: „Außerdem glaube ich, dass Scott seine
Schwester auf lange Sicht lieber mit dir zusammen sieht, als mit
irgendeinem anderen Mann. So gesehen hat er sie dir mit seiner Bitte
auf sie aufzupassen ja sowieso schon anvertraut und nachdem du ihm
geholfen hast, seine Beziehung zu Hazel zu retten, bist du für ihn
so was wie sein persönlicher Held.“
Wenn
Kolja ihren Optimismus doch nur teilen konnte. „Und falls nicht?“,
äußerte er pessimistisch seine Zweifel. „Was ist, wenn Abby und
ich uns irgendwann trennen sollten? Sie ist noch so jung. Womöglich
ist sie schon in wenigen Jahren von mir gelangweilt.“ Die
Erinnerung an seine Zauberin und daran, wie schnell er damals ihre
Existenz aus seinem Bewusstsein gelöscht hatte, schoss Kolja durch
den Kopf. „Dann wäre ich ihr Exfreund und das allein ist für
Scott Grund genug, mich zu verabscheuen. Mir liegt viel an Abby aber
genauso viel liegt mir an ihm.“
Anstatt
sofort auf seine Bedenken einzugehen, musterte Moira ihren
Mitbewohner grüblerisch. Kolja kannte diese Miene; sie verriet ihm,
dass die Banshee gerade sorgfältig ihre Wortwahl abwog. Sie kam
offensichtlich zu einem Schluss, denn sie sagte: „Niemand wird dir
eine Versicherung dafür abgeben können, dass deine Beziehung mit
Abby für den Rest eures Lebens halten wird. Nicht mal bei Pärchen
wie Scott und Hazel sollte man davon ausgehen, auch wenn Scott einem
gern gegenteiliges weismachen will. Aber Abby wird dich schon nicht
von heute auf morgen einfach wie ein benutztes Handtuch ablegen. Was
das angeht, unterschätzt du sie meiner Meinung nach. Von uns allen
ist sie diejenige, die am ehesten weiß was sie will. Und dass sie
dich… na ja… dich will, das hat sie in meinen Augen ziemlich
deutlich gemacht.“
„So?“
Moira
nickte. „Du und Scott und ich, wir treiben von Tag zu Tag vor uns
hin, ohne eine Ahnung zu haben, wie unser Leben eigentlich verlaufen
soll. Bei Abby ist das anders. Ich wette mit dir, sie könnte dir
ohne zu zögern ihre komplette Lebensplanung vorlegen. Mit halben
Sachen hat sie sich noch nie zufriedengegeben und ich glaube, wenn du
nicht genau das wärst, was sie sucht, dann hätte sie von Anfang an
keine Gefühle für dich entwickelt. Daher brauchst du dir
wahrscheinlich keine Sorgen darübermachen, für sie nur eine Phase
zu sein. Selbst wenn, dann hattet ihr zumindest für eine Weile eine
schöne Zeit miteinander. Und offen gesprochen… “, eröffnete sie
Kolja, „offen gesprochen finde ich, dass es dir gut bekommt, mit
Abby zusammen zu sein. Früher hast du in deiner Freizeit häufig
zuhause rumgehangen oder dich von Scott und mir mitschleifen lassen.
Aber seit du mit ihr anbändelst, ist das fast gar nicht mehr der
Fall. Abby animiert dich dazu rauszugehen, zum Beispiel zu Scotts
Fußballspielen und dank ihr hast du in Kieran einen neuen
Schachkumpel gefunden. Sie kurbelt dein Leben an. Im Gegenzug bringst
du ihr turbulentes Wesen zur Ruhe. Das ist für euch beide ein
gesundes Arrangement, finde ich.“
Unsicher
fuhren Koljas Finger durch sein Haar. Romantische Belange gehörten
eher weniger zu den üblichen Gesprächsthemen zwischen Moira und
ihm. Beziehungsweise: hin und wieder redeten sie schon darüber,
allerdings stand bei diesen Unterhaltungen bisher immer Moiras
Liebesleben im Mittelpunkt und bei den Männern, um die es dabei
ging, handelte es sich für Kolja praktisch um Unbekannte. Dieser Ken
war ihm beispielsweise zu gerade einmal zwei Begebenheiten unter die
Augen gekommen, bevor er Moira einen Korb verpasst hatte. Seinen
Freunden ein offenes Ohr zu leihen lag Kolja wahrlich mehr, denn über
seine eigenen Romanzen zu philosophieren.
Doch
Moira wäre schwerlich seit Jahren eine enge Freundin, würde sie
sein unschlüssiges Schweigen nicht zu interpretieren wissen. So
teilte sie ihm ihre abschließende Meinung mit. „Ich halte es für
einen Fehler, dein eigenes Glück für Scotts Allüren zu opfern.“
„Er
würde das gleiche für mich tun“, entgegnete Kolja.
„Aber
du kämst niemals auf die Idee so etwas von ihm zu verlangen und
umgekehrt wird es sich genauso verhalten, wenn Scott erst einmal Zeit
hatte, über alles nachzudenken. Außerdem wirst du ohnehin nicht
drum herumkommen Klartext zu sprechen - entweder gegenüber Scott
oder gegenüber Abby. Einen Kompromiss gibt es nicht, denn
spätestens, wenn du und Abby vielleicht irgendwann mal heiraten
solltet, wird selbst Scott anfangen den Braten zu riechen. Und so
gesehen hast du Abby ja eh bereits versprochen, die Karten auf den
Tisch zu legen.“
Bitte?
Gar nichts hatte Kolja. „Eigentlich habe ich überhaupt nichts zu
ihr gesagt.“
„Eben.
Ach komm schon, Kolja“, winkte Moira ab. „Du kennst Abby. Für
sie geht doch sogar ein 'Auf gar keinen Fall!' als Zusage
durch, wenn es ihr gerade in den Kram passt.“ Dann berührte sie
Kolja freundschaftlich am Arm. „Wenn es dir hilft, kann ich dabei
sein, wenn du es Scott sagst. Zur moralischen Unterstützung.“
„Du
meinst, zur moiralischen Unterstützung?“ Die Banshee
kicherte über Koljas Scherz. Am Ende behielt Moira Recht; es gab
keinen Weg um eine Auseinandersetzung herum und je später Kolja den
Sprung ins kalte Wasser wagte, desto größere Wellen würde er
schlagen. „Danke“, sagte er. „Aber ich denke es ist klüger
unter vier Augen mit Scott zu sprechen.“
Moira
nickte verstehend. „Wie du es für richtig hältst. Ich weiß, das
ist alles leichter gesagt als getan, vor allem wenn man nicht in
deinen Schuhen steckt. Immerhin wird Scott ganz bestimmt niemals
einen seiner Brüder in meinem Bett erwischen. Ich habe also gut
reden.“
Da
wurden Moira und Kolja plötzlich aus der Dunkelheit heraus von einer
Stimme konfrontiert:
„So,
so, so!“
Sie
wandten ihre Köpfe um und aus der Nacht schälte sich Colins
Schemen, begleitet von Gwens weiblicher Silhouette. „Was haben wir
hier? Heimliche Rendezvous zu zweit?“, spottete der Wolf. „Soll
ich Scott schon mal darauf vorbereiten, dass er demnächst aus dem
Schlafzimmer nebenan Keuchen und Stöhnen erwarten muss?“ Die
Ironie seines Hohns schrie zum Himmel, aber immerhin bedeutete die
Anspielung, dass Colin nichts von der vorangegangenen Unterhaltung
mitbekommen zu haben schien - anderenfalls wäre ihm der Spaß
definitiv im Hals stecken geblieben. Weder Bär noch Banshee gingen
auf seinen Zynismus ein. Stattdessen bemerkte Kolja, wie Moiras
skeptischer Blick an Gwen entlangwanderte. Der Sukkubus hing
zutraulich an Colins Arm und ein bezirzender Augenaufschlag ging mit
dem Tadel einher, mit dem sie Colin halbernst zur Ordnung rief. „Zieh
sie doch nicht so auf.“
„Wo
wollt ihr denn hin?“, unterbrach Moira die Liebäugelei zwischen
den beiden. Gute Frage. Sicher hatten sich die zwei Turteltauben
nicht grundlos von der Gemeinschaft auf der Terrasse abgekapselt. Das
Duo spazierte an Moira und Kolja vorbei und währenddessen eröffnete
Colin ihnen beiläufig: „Ich zeig Gwen die Gegend. Kann ein
Weilchen dauern, also rennt uns nicht nach.“
„Bis
später“, warf Gwen ihren Freunden einen Abschiedsgruß zu. Danach
verschwanden der Sukkubus und der Wolf hinter der Ecke zum Vorgarten.
Moira
schaute den beiden nach. „Hast du das gesehen?“ Hm? Was meinte
die Banshee? Was sollte Kolja gesehen haben? „Sie trägt seine
Jacke. Colin hat ihr seine Jacke gegeben.“
Ach
so. Ja, warum nicht? Immerhin hatte es eben geregnet und ohne
wärmenden Sonnenschein konnte es da schon mal recht kühl werden.
Außerdem ging es hier um Gwen. Für sie entwickelte Colin sogar
untypische Wesenszüge wie Fürsorglichkeit.
Weil
Kolja auf ihre Feststellung lediglich mit den Schultern zuckte,
sprach Moira ihn direkt auf seine Meinung an: „Geht dir dieses
ständige Rumgerurre nicht auch langsam auf die Nerven?“
Ob es
ihn nervte? Na ja, zugegeben: teilweise konnte das Süßholzgeraspel
der zwei wirklich etwas aufdringlich werden. Stören tat es Kolja
allerdings nicht wirklich. Er schüttelte demzufolge verneinend den
Kopf und gab die Frage an Moira zurück. „Nervt es dich denn?“
„Ich
finde es anstrengend“, vertraute die Banshee ihm an. „Ich meine,
Hazel und Scott waren auch anstrengend, weil sie so lange gebraucht
haben um ihre Gefühle füreinander zu sortieren. Gwen und Colin
hingegen… zwischen den beiden geht das alles viel zu schnell, wenn
du mich fragst. Sie kennen sich doch gerade einmal zwei Wochen,
maximal drei.“
Abermals
hob Kolja überfragt die Achseln. Manche Paare vertrödelten eben
keine Zeit und solange sowohl Colin als auch Gwen kein Problem in dem
rasanten Fortschritt ihrer Beziehung sahen, weshalb sollte Kolja es
dann?
Von
der Auffahrt drang Gwens heiteres Gelächter an Koljas Ohren. Es war
kein amüsiertes Kichern und erst recht kein gestelltes Glucksen. Der
Sukkubus lachte und das tatsächlich aus tiefsten Herzen. Na so was.
Womit Colin es wohl geschafft hatte, der sonst gefassten Gwen diese
Laute zu entlocken? Bei Moira löste die Geräuschkulisse ein
missbilligendes Kopfschütteln aus, doch schlussendlich gelangte sie
zu derselben Einsicht wie Kolja: „Aber
eigentlich geht mich das alles auch gar nichts an.“
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