„Das
war wirklich knapp“, stimmte Moira ihm zu, sichtlich über den
glimpflichen Ausgang erleichtert. Knapp, ja. Definitiv. Ein Schritt
näher und Kolja wäre-… Egal. Gwen hatte ihnen aus der Klemme
geholfen und Kolja spürte die Verspannungen aus seinen Muskeln
weichen. Für Abigail sollte das Ganze jedoch noch ein Nachspiel
haben, denn Scott fuhr seine Schwester an:
„Bist
du bescheuert?! Ich hab' dir gesagt, du sollst die Klappe halten!“
„Diese
Fieslinge hatten es auf Kolja abgesehen!“, rechtfertigte Abigail
ihren Leichtsinn. „Sollte ich etwa tatenlos daneben stehen bleiben
und so tun, als wäre nichts?“
Kolja
schmolz das Herz. Seinetwegen riskierte Abigail Ärger mit den Feen;
außer Scott bewies sonst niemand solche Opferbereitschaft für ihn.
Trotzdem: Sie verdiente die Zurechtweisung, wenngleich Kolja einen
weit weniger ruppigen Umgangston dafür gewählt hätte. Ein bisschen
versetzte ihn dieser Umstand in eine Zwickmühle. Einerseits wollte
er für Abigail einstehen und ihr zeigen, wie viel ihm ihr Beistand
bedeutete. Andererseits focht Scott gerade einen geschwisterlichen
Disput mit ihr aus und aus diesen hatte Kolja sich rauszuhalten. Im
Endergebnis starrte er nichtsnutzig auf die eigenen Füße und Scott
stauchte seine Schwester weiter zusammen:
„Das
waren die Feen, verdammte Scheiße! Drauf geschissen, wen die auf dem
Kieker haben!“
„Mir
ist egal, wer sie sind. Jemand musste ihnen die Meinung sagen!“
„Deine
Standpauke interessiert die einen Dreck“, konfrontierte Scott sie
mit den Tatsachen. „Abby, diese Typen geben O'Rourke und seinen
Männern auf die Schnauze. Ein Mädchen wie dich fressen die zum
Frühstück.“
„Aber-...“
„Kein
Aber.“ Scott unterstrich die Endgültigkeit seines Machtwortes
mittels einer entsprechenden Handbewegung. „So eine dämliche
Aktion will ich nie wieder von dir sehen. Du hast dich gefälligst
von den Feen fernzuhalten. Punkt, fertig, aus!“
Darauf
leistete Abigail keine Widerrede mehr. Trotzig überkreuzte sie die
Arme und ihre Lippen formten diesen süßen Schmollmund, den Kolja
liebend gern mit mehr nachfahren würde, denn bloß seinen Augen.
Seine Phantasie glitt in eine Vorstellung ab, in der seine
Daumenspitze zärtlich über die Konturen strich und… und dann riss
Colin ihn aus seiner Traumwelt.
„Was
wollten die Pilzköpfe überhaupt von dir?“
„Sie
behaupten, ich nehme ihnen die Jobs weg“, gab Kolja die fragwürdige
Begründung der Feen wieder, aus der sie meinten, ihm auf die Nerven
gehen zu müssen und Colin reagierte mit angebrachtem Unverständnis:
„Häh?
Sind die behämmert? Krepiert denen zwischen Litha und Samhain
endgültig das Hirn weg, oder was?“
„Na
ja“, warf Scott ein. „Technisch gesehen hat Kolja das wirklich
gemacht.“ Als der Wolf in der Folge von seinen Freunden skeptisch
angeschaut wurde, rekapitulierte er für Kolja: „Die Tussi mit den
bunten Haaren, Oonagh, die hat vor dir als Köchin im Tír na
nÓg gearbeitet. Hayes hat sie rausgeschmissen, damit du ihren
Job übernehmen kannst.“
Davon
hörte Kolja zum ersten Mal. Bis jetzt ging er immer davon aus, seine
Stelle wäre damals schlichtweg frei gewesen – ein glücklicher
Umstand zu jener Zeit, dank dem Kolja Fuß fassen konnte. Dass ein
anderer Mitarbeiter dafür gehen musste, wurde nie erwähnt.
„Das
ist sieben Jahre her“, betonte Moira kritisch, „und Kolja kann
auch gar nichts dafür, schließlich war es Mister Hayes'
Entscheidung, diese Oonagh zu entlassen.“
„War
auch nicht unberechtigt, das zu tun. Den Fraß, den die
zusammengerührt hat, konnte man niemanden vorsetzen.“ Es
schüttelte Scott. „Die hat alles anbrennen lassen oder das Zeug
halbroh auf die Teller geklatscht. So was will niemand essen. Du
kamst Hayes also ganz recht, um die Pfeife endlich abzusägen.“
„Und
mal ganz ehrlich“, meinte Colin, „wenn 'n
Kerl mit Sprachbarriere und ohne passende Berufsausbildung ankommt
und trotzdem 'nen besseren
Job abliefert, als man
selbst, verdient man's, auf
die Straße gesetzt zu werden. Nichts für ungut, Großer.“
Gleichgültig zuckte Kolja mit den Schultern. Wo Colin Recht hatte,
hatte er Recht.
Moira
fasste es treffend zusammen: „Es ist echt arm, Kolja zum Sündenbock
zu machen.“
„Die
Feen sehen in Kolja eine lebende Erinnerung an das eigene Versagen,
dessen Ursprung sie, mangels der Fähigkeit zur Selbstreflektion, auf
eine Komponente außerhalb ihrer Einflussmöglichkeiten übertragen.
In diesem Fall bedeutet das, den unmittelbaren Nutznießer des
Misserfolges zur Verantwortung zu ziehen und ihn eine aktive
Manipulation zu unterstellen, damit man sich weiterhin vor den
eigenen Unzulänglichkeiten verschließen kann.“
Nochmals
rückte Scott in den Mittelpunkt des allgemeinen Augenmerks.
'Nutznießer'… Wo hatte Scott denn diesen Begriff
aufgeschnappt?
„Spricht
da wieder Orgasmus-Hazel aus dir?“, fragte Colin seinen Bruder und
zog eine Braue nach oben. Gut, dass Scotts ungewohnte Rhetorik nicht
nur Kolja spanisch vorkam.
Scott
bestätigte seine Vermutung mit einem unbeeindruckten „Jap.“ Oha.
Wie oft Hazel ihm das wohl zwischen den Kissen zugehaucht haben
musste, dass es sich in seinem Gehirn festsetzte? Sein Bruder
entwickelte scheinbar ähnliche Gedanken:
„Ihr
zwei fahrt echt aufeinander ab, was?“
Ein
trillernder Pfiff unterbrach jedwedes Gespräch - das Signal für die
Fußballer, Aufstellung zu nehmen. Gleich sollte das Spiel anfangen.
Die Fitzpatrickbrüder liefen daher zu ihren Positionen auf dem
Spielfeld: Colin in der Abwehr und Scott, zusammen mit Ward, im
Angriff. Moira folgte ihnen mit gezückter Kamera. Sicher ergaben
sich nach dem Anpfiff einige spannende Fotomotive für sie.
Unverhofft
fand sich Kolja in Zweisamkeit mit Abigail wieder. Immer noch bockte
die Wölfin vor sich hin und sah einfach entzückend dabei aus. Dem
bezaubernden Gesamtbild fehlte bloß noch, ihr würden kleine
Dampfwölkchen aus der schönen Nase aufsteigen. Vorwurfsvoll blickte
sie Kolja an. „Du denkst wie Scott, nicht wahr?“
Mh?
Worüber sollte er genau wie Scott denken? Offenbar stand Kolja seine
Ratlosigkeit in den Zügen eingraviert, denn Abigail schob nach:
„Über mich, meine ich. Du hältst mich für ein Kind. Für ein
kleines Mädchen.“
Wie
bitte? Wer redete ihr denn so einen Quatsch ein? Abigail war eine
tolle Frau; allein eine Berührung von ihr genügte und die Hormone
rauschten flotter durch Koljas Körper, als eine Störung durch das
alte Röhrenfernsehgerät seines längst verstorbenen Großvaters aus
Gattschina. „Das ist Unsinn“, widersprach Kolja ihr deshalb, doch
Abigail glaubte ihm nicht.
„Sei
ehrlich. Du traust es mir nicht zu, mich durchzusetzen. Aber damit
liegst du falsch, genau wie meine Brüder. “
„Ich
traue dir zu, dich-...“
„Jetzt
lügst du“, warf sie ihm vor. Kolja klappte den Mund zu. „Ich bin
eine erwachsene Frau. Und eine Wölfin! Nur weil ihr älter seid als
ich, müsst ihr mich nicht wie ein Baby behandeln. Zur Erinnerung:
Weder du, noch Scott oder Colin hatten genug Rückgrat, den Feen die
Stirn zu bieten. Das habe nur ich fertiggebracht.“ Rückgrat?
Rückgrat spielte hierbei keine Rolle, es ging um Vernunft. Und die
schien in Abigails Fall fröhlich tschilpend zum imaginären Fenster
hinaus davonzuflattern. Kolja wollte einen Versuch unternehmen, ihr
die Sachlage klarzumachen. Soweit ließ Abigail ihn jedoch nie
kommen. Sie setzte ihr Gezeter fort und schleuderte währenddessen
aufgebracht ihre Hände durch die Luft, als trügen die Moleküle
darin eine Mitschuld an allem und verdienten dafür ordentliche
Backpfeifen. „Das ist so ungerecht. Ich habe das einzig richtige
getan und muss mich dafür von Scott als dämlich bezeichnen lassen.“
„Er-...“
Aufs Neue schnitt Abigail Kolja das Wort ab.
„Und
du teilst seine Ansicht. Du denkst, mich bevormunden zu müssen.“
„Ich
denke ni-...“
„Für
dich bin ich, genau wie für meinen Bruder, bloß ein kleines Kind.“
Genug
davon! „Ich denke“, begann Kolja seinen abgebrochenen Satz von
vorn, dieses Mal etwas lauter und in einem strickten Tonfall, dank
dem Abigail es nicht wagte, ihn nochmal zu unterbrechen. Er schnappte
ihre herumfuchtelnden Hände und zwang sie zur Ruhe. „Ich denke, du
bist eine attraktive junge Frau mit einer wundervollen
Persönlichkeit. Gerade benimmst du dich aber überhaupt nicht wie
eine Erwachsene. Scott und mir geht es um die Konsequenzen, die du
durch dein Einschreiten heraufbeschworen hast. Deine Leichtsinnigkeit
und dein Trotz hätten beinahe zu einer Eskalation mit den Feen
geführt und anstatt Einsicht zu zeigen, stapfst du wütend mit dem
Fuß auf. Begreif' endlich: Du hast die schlimmsten Schläger der
Stadt so sehr provoziert, dass sie fast handgreiflich geworden wären.
Damit hast du nicht nur dich selbst in ernste Gefahr gebracht,
sondern auch Moira, Gwen, deine Brüder und mich. Das ist kein Spiel,
Abigail. Du hast gesehen, wie sie den Schrat zugerichtet haben. Ich
glaube nicht, dass man dich bevormunden muss jedoch was dein
Verhalten eben angeht, gebe ich Scott Recht. Das war wirklich dumm.“
Ob
seines Tadels verdrängte Enttäuschung den Vorwurf aus Abigails
Mimik. „Ich wollte dir helfen“, beharrte Abigail darauf, richtig
gehandelt zu haben und Kolja wollte ihr gleich hier und jetzt einen
Kuss dafür geben. Nichtsdestotrotz:
„Das
weiß ich zu schätzen. Aber hast du eine Ahnung, wie schlecht ich
mich gefühlt hätte, wenn dir deswegen etwas zugestoßen wäre? Du
hast dich den Hyänen zum Fraß vorgeworfen.“ Was für ein
treffender Vergleich. Er brachte Abigail zu der Frage:
„Wieso
hast du dich denn nicht gewehrt? Kolja, du bist so groß und stark!
Niemand kann dir etwas entgegensetzen. Würdest du das den Feen
beweisen, würden sie dich nie wieder behelligen und du hättest
Frieden vor ihren Gemeinheiten.“ Und er würde damit zu dem
gewalttätigen Monster werden, das jeder in ihm sah. Außerdem:
„Dann
lauern sie mir beim nächsten Mal mit dem Rest ihres Schwarms auf. Es
ist klüger, manche Situationen auszusitzen, anstatt auf
Provokationen einzugehen.“ Eindringlich erklärte Kolja ihr: „Ich
kann nicht gedankenlos jedem Impuls nachgeben, der mich überkommt.“
„Wiesoooo
niiicht?“, jaulte Abigail daraufhin los und setzte einen
herzerweichenden Hündchenblick auf, für den Kolja ihr jeden Wunsch
erfüllen wollte. Sie sprach noch von der Konfrontation mit den Feen,
oder?
„Abigail.“
Kolja lenkte das Thema zurück auf die ursprüngliche Kernaussage
seiner Rüge. „Ich maßregle dich nicht, weil ich daraus irgendeine
bizarre Form von Befriedigung ziehe. Ich habe Scott versprochen, auf
dich achtzugeben und will nicht, dass dir etwas passiert.“
Da
zerfiel Abigails wehleidige Miene. „Und das ist alles, worum es dir
geht?“, forderte sie gekränkt zu erfahren. „Dein Versprechen
gegenüber meinem Bruder? Mehr bin ich nicht für dich?“
Was?
Nein, jetzt zog sie falsche Schlüsse. „So habe ich das nicht
gemeint. Mir liegt etwas an deiner Sicherheit, unabhängig von deinen
Brüdern.“
„Weil
du dich für einen von ihnen hältst?“
Perplex
gaffte Kolja sie an. Wie… wie meinte Abigail das? Er schwieg
überfordert und Abigail präzisierte ihre als Frage getarnte
Unterstellung: „Liegt dir etwas an mir, weil du in mir eine
Ersatzschwester siehst? Wenn das nämlich der Fall ist, dann kannst
du mir gestohlen bleiben. Ich habe schon genug Brüder, die mich
herumkommandieren. Noch mehr brauche ich nicht.“
Auf
der Suche nach Klarheit grub sich Abigails forschender Blick tief in
Koljas Bewusstsein hinein. Welche Antwort sollte er ihr geben? Gerade
bot sich ihm der ideale Zeitpunkt, Abigail und sich selbst ein für
alle Mal die Hoffnung auf eine Romanze miteinander unwiderruflich aus
dem Kopf zuschlagen. Seine Vernunft flüsterte ihm ein, die Chance zu
ergreifen. Eine kurze, rasch daher gesagte Lüge genügte dafür.
'So ist es'. Doch etwas in Koljas Brust schrie gegen diese
Idee an. Es klammerte sich an die Gefühle für Abigail, wie ein
Schiffbrüchiger an einen Rettungsring, hin und her getrieben von den
hohen Wellen, die Koljas Empfindungen mit jedem Gedanken an die
Wölfin schlugen.
Zweifel
überkamen Kolja. War sie von sich zu weisen wirklich das, was er
wollte?
„Also
ist es das“, deutete Abigail niedergeschlagen sein Schweigen. „Du
magst mich nicht auf dieselbe Weise, auf die ich dich mag.“
Alles,
was Kolja tun musste, war, ihr zuzustimmen.
Aber
der Kummer in ihrer Stimme traf ihn wie ein Dolchstoß mitten ins
Herz und so pumpte es um sein Leben statt Blut die Wahrheit zwischen
Koljas Lippen hervor: „Wenn dem so wäre, dann hätte ich mich
längst dazu durchringen können, deine Hände loszulassen.“
Abigail
senkte ihre Augen. Sie betrachtete ihre Finger, die nach wie vor
sanft von Koljas Handflächen umschlossen wurden. Behutsam ließ er
seine Daumen über ihre Haut wandern. Die Berührung fühlte sich so
gut an, wie Kolja es sich vorgestellt hatte – und besser.
Ein
zweites Trillern seitens des Schiedsrichters bekundete den Anpfiff.
„Das Spiel geht los“, stellte Kolja fest und beendete den zarten
Körperkontakt zu Abigail. „Wir reden ein anderes Mal weiter.“
Und
mit diesem Versprechen wandte er sich von ihr ab und trottete zu den
Zuschauerrängen.
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