Innerhalb desselben Wimpernschlags kam der dazugehörige, schwarzhaarige Wirbelwind herbei gerauscht und las den Feen gehörig die Leviten: „Sechs gegen einen! Soll das euer Meinung nach fair sein?! Was für Feiglinge seid ihr eigentlich?“
Abigail... . Was trieb sie da?! Fassungslos gaffte Kolja die Wölfin an, die sich wie ein Schutzwall vor ihm aufbaute und ihn vor den Zudringlichkeiten des Schwarms abschirmte. Sie beschützte ihn.
Sie beschützte ihn.
Niemand dachte je daran, Kolja zu beschützen. Normalerweise war er es, hinter dessen respekteinflößender Statur Deckung gesucht wurde. Selbst Scott bot ihm immer Seite an Seite seinen Beistand und sprang niemals direkt zwischen Kolja und eine Gefahr – im Gegensatz zu seiner Schwester. Hatte sie den Verstand verloren? Zum Kuckuck, sie wies gerade die Feen zurecht! Diese Typen suchten ständig neue Opfer und Abigail servierte sich ihnen praktisch selbst auf dem Silbertablett.
„Abby, lass den Quatsch!“, pfiff Colin seine kleine Schwester zurück aber die Feen nahmen sie bereits ins Visier. Das Zebra unterzog Abigail einer herabwertenden Musterung.
„Noch so 'n Kläffer. Hat jemand die Zwinger im Tierheim offengelassen oder was? Was will die denn jetzt?“
„Die will euch ordentlich den Kopf waschen! Wofür haltet ihr euch?! Für die Könige von Irland höchstpersönlich? Aufgeblasene Straßentyrannen seid ihr, das ist alles! Kolja grundlos zu schikanieren – sucht euch ein Hobby, wenn ihr Langeweile habt!“
Weder die Feen vermochten Abigail einzuschüchtern, noch der harsche Befehlston, mit dem Scott die Wölfin bei Fuß beorderte. „Halt die Klappe und kommt her, Abby!“
„Nein!“, widersetzte sie sich der brüderlichen Anweisung. „Ich gucke bestimmt nicht dumm dabei zu, wie diese Rowdys Kolja drangsalieren!“
Sprachlos verfolgte Kolja, wie Abigail seinetwegen ihren hübschen Hals riskierte. Das war … unglaublich lieb von ihr. Und unglaublich dumm. Sie sollte auf Scott hören, herrje! Sogleich zogen Regenbogenhaar und Pelzjäckchen ihren Einsatz ins lächerliche. „Oh nein, der große Junge hat seine Mami geholt!“
„Nun bekommen wir den Hintern versohlt!“
„Hätten eure Mütter das nur mal getan, dann müssten sie sich heute nicht dafür schämen, wie ihr euch in der Öffentlichkeit benehmt“, schimpfte Abigail. „Was eure Erziehung angeht, haben sich eure Eltern wahrlich mit keinem Ruhm bekleckert! Als wärt ihr von Primanten aufgezogen worden!“
Kolja schluckte schwer. Denn damit verging den Feen das Lachen.
Von jetzt auf gleich erstarb ihr hämisches Amüsement und etwas Grausames ließ ihre Züge erhärten. Nicht gut, gar nicht gut! Abigail hatte es gewagt, Kritik an den Eltern der Feen zu üben und durch ihren Vergleich stellte sie für die Feen ihre ganze, angeblich perfekte Abstammung in Frage. Auf ihre Herkunft empfanden diese Möchtegernhochwohlgeborenen einen fast schon krankhaften Stolz; so wenig Respekt sie anderen gegenüber aufbrachten, desto mehr erwarteten sie, dass man ihn ihnen zollte. Und Abigail bearbeitete den fragilen Glasthron, von dem aus sie auf andere herabsahen, mit deftigen Kopfnüssen – denen, eines Rammbocks!
„Was...“
„hat sie...“
„gesagt?!“
„Ich sagte, eure Mü-... .“
„Rhetorische Frage!“ Beinahe hätte Abigail den Fehler begangen und ihre Aussage wiederholt, doch Kolja fiel ihr rechtzeitig ins Wort. Die Frau redete sich noch um Kopf und Kragen! Er griff ihren Arm und zwang sie nach hinten. Bloß raus aus der Reichweite der Feen! Aber der Schaden war angerichtet.
„Was nimmt die…
„sich…“
„raus?! Wer glaubt…“
„sie, wer…“
„sie ist…“
„solche Reden zu…“
„führen?!“
Besorgt registrierte Kolja das Fläschchen Feenstaub in den Händen der Zebrafee.
„Wir müssen ihr…“
„wohl das…“
„Maul stopfen! Am…“
„besten sorgen…“
„wir dafür, dass sie…“
„nie wieder in…“
„der Lage ist, ihre…“
„Lügen zu…“
„…“
„…“
„…“
…
Da… fehlte noch was, oder?
Anhand des Kontextes konnte Kolja auch ohne den Schluss des Satzes die Drohungen der Feen interpretieren, dennoch verwirrte ihn der vorzeitige Abbruch des sonst perfekten Staccato. Und nicht nur ihn. Abigail sah fragend zu Kolja auf, worauf er einzig mit den Schultern zu zucken wusste. Er suchte bei Scott und Colin Erleuchtung, aber dem jüngeren der beiden stand ein größeres Fragezeichen auf der Stirn geschrieben, denn Kolja selbst und Scott schien noch nicht einmal begriffen zu haben, niemals das Ende dieser Kampfansage zu hören zu bekommen. Moira hob ebenfalls unwissend die Brauen und zur Vervollständigung der allgemeinen Ratlosigkeit, blickte nunmehr sogar der Schwarm reihherum einander völlig verdattert an: Das Zebra schaute zu Schottenrock, dieser zu Pelzjäckchen, die ihr Augenmerk auf Regenbogenhaar richtete, welche ihrerseits Haargel-Johnny ins Auge fasste und der wiederrum die androgyne Fee, die… .
Die geistesabwesend auf ihr Smartphone stierte. „Hehe, die Katze ist zu fett für ihre Katzenklappe“, gluckste sie belustigt.
Mit einem Hieb gegen die Schulter brachte Schottenrock die digitale Traumblase des World Wide Webs zum Platzen, in der die androgyne Fee feststeckte. Wie aus einem Sekundenschlaf, schreckte sie hoch. „Huh? Was?“ Der übrige Schwarm rollte genervt mit den Augen.
So ging das nicht weiter. Irgendetwas musste passieren. Kolja wünschte wirklich, die Feen würden einfach gehen, bevor noch ein Unglück geschah und er… .
Vor ihm bildeten die Feen eine undurchdringliche Front, während Scott und Colin in seinem Rücken wütend um die Wette knurrten und auf diese Weise das Biest anpeitschten, das Kolja im Nacken saß. Die einzige Beteiligte, die augenscheinlich keinen inneren Kampf mit dem eigenen Raubtier führte, war Abigail – und ausgerechnet sie kippte literweise Öl ins Feuer! „Fasst euch erstmal an die eigenen Nasen! Wenn sich hier jemand im Ton vergreift, dann seid das ja wohl ihr.“
„Sei still“, raunte Kolja streng. In ihrer Leichtfertigkeit ritt sich Abigail so tief in den Ärger hinein, dass ihr sinnbildliches Pferd bereits unwiderruflich im stinkenden Morast versank. Wollte sie das denn nicht erkennen? Dann öffnete Abigail ihren Mund und Kolja trug seine naive Hoffnung auf eine gewaltfreie Beendigung dieses Konflikts vollends zu Grabe.
„Ihr seid ein Haufen schlimmer Schaumschläger!“
Leuchtend traten die Tätowierungen auf der Haut der Feen hervor.
„Schaumschläger sagt...“
„sie.“
„Wir reden…“
„ihr zu viel. Na…“
„gut, dann genug gequatscht. Tun wir…“
„ihr den Gefallen und…“
„demonstrieren ihr…“
„unsere…“
„Mayonnaise!“
Gleichzeitig drehten sich sämtliche Köpfe der androgynen Fee zu, deren Pupillen erneut am Display ihres Smartphones klebten. Na ja. Immerhin hatte sie dieses Mal ihren Einsatz nicht verschlafen. „Pack das Ding weg, Ailbhe!“, wurde sie von der Zebrafee angezischt.
„Ich schau nur kur-…“
„Pack es weg!“
Kleinmütig leistete sie gehorsam und das Zebra konzentrierte sich wieder auf Abigail und Kolja. „Wo waren wir? Ach ja! Die Töle-…“
„Hoppla, wo bin ich denn da hineingeraten?“ Aus dem Nichts tauchte Gwen neben Kolja auf. Sie spielte Naivität vor und umschloss, vermeintlich betroffen, mit den Handflächen ihre Wangen. Die Geste besaß unbestreitbar etwas Niedliches. Gwens Kleidung passte in keiner Weise zu einem Unschuldslamm, welches sie vorgab, zu sein aber Kolja musste zugeben, dass sie die notwendige Körpersprache mit dem dazugehörigen unbeleckten Tonfall erstaunlich überzeugend nachahmte. Wieso mischte sie sich ein? Was plante der Sukkubus?
Zumindest die beiden männlichen Feen störte Gwens widersprüchliches Erscheinungsbild kein bisschen. Wenn sie sie weiter so liebestrunken angafften, nisteten sich noch Pixies in ihren weit offenstehenden Mundhöhlen ein. „Oh je, oh je! Was für ein Schlamassel“, säuselte Gwen ihnen vor. „Ich suche besser schnell das Weite.“ Schon während sie sprach, spazierte der Sukkubus davon. Betört verfolgten Schottenrock und sein stark frisierter Kumpel jeden ihrer Schritte, bis Gwen schließlich ihr Sichtfeld zu verlassen drohte und sie ihr hormonberauscht nachtapsten. Die Sukkubusaura hatte die zwei definitiv im Griff.
Die verbleibenden Feen sah dem Dreiergespann irritiert nach. „Hey, wo geht ihr hin?“ Da sie keine Antwort bekamen, lief Regenbogenhaar den Männern hinterher. Pelzjäckchen tat es ihr gleich, doch sie stutze auf halber Strecke, weil Zebra an Ort und Stelle verharrte und kehrte zu ihr zurück – im selben Moment, in dem auch Regenbogenhaar einen Sinneswandel durchlebte und zu ihren Freundinnen ging. Allerdings setzte sich das Zebra just in Bewegung und ließ die Mädels einfach stehen. Sie folgten ihr, als das Zebra verunsichert eine jähe Kehrtwende und somit den Rückweg einschlug und geradewegs an ihren konfusen Geschlechtsgenossinnen vorbeimarschierte.
„Was machen die da?“, fragte Abigail leise. Gute Frage… nächste Frage. Die Frauen rotierten planloser im Kreis, denn eine Kompassnadel am Nordpol. Irgendetwas raubte ihnen die Orientierung. Sogar die eingestochenen Runen auf ihren Körpern erloschen flimmernd wie ein absaufender Benzinmotor.
Vor, zurück, um die eigene Achse herum und wieder vor - mit einmal standen sich Pelzjäckchen und Regenbogenhaar gegenseitig im Weg. Aber anstatt einander rechtzeitig auszuweichen, prallten die beiden Feen frontal zusammen und plumpsten rücklings zu Boden. Ächzend krochen sie über den Rasen hinweg in verschiedene Richtungen davon, derweil das Zebra ziellos durch die Landschaft irrte.
Über ihre Schulter hinweg zwinkerte Gwen Kolja zu, bevor sie mitsamt ihrem Gefolge hinter dem Parkplatz verschwand. Ah! Jetzt begriff Kolja, was hier passierte. Gwen hatte das Schwarmdenken der Feen sabotiert. Wie raffiniert! Indem sie die Männer mithilfe ihrer Aura gefangen nahm, riss sie sie aus dem kollektiven Bewusstsein der ganzen Gruppe heraus und unfähig, die abrupt entstandene Lücke zu verarbeiten, verfiel der Rest des Schwarms in heilloses Chaos. Lediglich die androgyne Fee stand unbewegt in der Gegend herum und kroch tiefer in den Kaninchenbau an lustigen Tiervideos hinein, den das Internet ihr bot. Ein Sukkubus ließ sie offenbar kalt, also steckte unter dem Kapuzenpulli und der Mütze wohl eine Frau. Oder ein hoffnungsloser Fall von Social Media-Sucht. Auch möglich. So oder so – friedlich setzte sich die Fee ins Gras und durfte endlich in aller Ruhe ihr Katzenvideo zu Ende ansehen. Von ihr brauchte man keine Gefahr befürchten.
Colin war der erste, der nach überstandener Krise das Wort ergriff. „Mann, was für Penner. Wird echt Zeit, dass O'Rourke sein Rudel auf die Reihe bekommt. Diese Feen-Pisser sind 'n echter Krampf im Arsch.“