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Mal wieder etwas Längeres. Eigentlich sollten es zwei Geschichten werden, aber was soll's...
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„Ganz schön unbequem“, versuchte der Held den lautstark pfeifenden Wind zu übertönen.
Aber es geht fix, merkte die Stimme schlau an.
„Warum nutzen Sie eigentlich nicht etwas Komfortableres zum Fliegen?“
Sein Führer, ein wohlgekleideter, nicht mehr ganz junger Magier, schaute mit einem verächtlichen, aber auch etwas ratlosen Blick über die Schulter. Er schien jedoch wenig gewillt zu sein, die Frage irgendeiner Antwort zu würdigen und frischte stattdessen den Zauber auf.
Die teuer wirkende Marmorplatte, auf welcher die drei ihrem Ziel entgegenflogen, behinderte die Sicht nach unten nur geringfügig. Insofern hatte der Held bereits wiederholt den Göttern dafür gedankt, dass ihn die enorme Höhe nicht belastete. Neben der unter ihnen dahinziehenden, üppig bewaldeten Landschaft fiel dem Helden nun ein sonderbares Detail ins Auge: Er hatte die wundervolle Formation einer Schar Zugvögel noch nie von oben gesehen.
Manchmal wirken sie richtig intelligent, dachte er fasziniert.
Ja, das denke ich auch oft von dir…
Warum sie die Bulle nicht gleich von einem Magier haben teleportieren lassen?, überging der Held die Aussage beflissentlich.
Beschwerst du dich jetzt allen Ernstes über diesen stinkeinfachen Botenauftrag?
Tatsächlich diente ihre Reise einzig dem Zweck einer Dokumentenübergabe. Warum genau der Magier die Papiere nicht auf sich allein gestellt transportieren konnte, war ein Mysterium. Der Held rechnete inzwischen nicht mehr mit irgendwelchen Überfällen genoss schlicht die atemberaubende Reise. Diese schien sich jedoch dem Ende zu nähern, da das Marmorgeschoss in einen leichten Sinkflug übergegangen war. Am Horizont vor ihm ragten unzählige Türme in den Himmel, an deren Fundament sich eine kreisrunde Stadt in den umliegenden Wald gefressen hatte. Die Landung erfolgte unweit einer mittelgroßen Arena auf einer kleinen unbebauten Fläche in Sichtweite des scheinbar zurückweichenden Waldrandes. Von hier aus wirkten die Türme noch imposanter, ließen sie doch die umliegenden, zumeist zweistöckigen Ziegelhäuser eher winzig erscheinen.
Während sein Führer ihn anwies, nun von der Platte zu steigen, drang lautstarker, rhythmischer Lärm zu ihm durch.
„Rettet die Magie!“, hörte der Held ein knappes Dutzend Leute zu ihm herüberrufen. In den Händen hielten sie große hölzerne Schilde, auf welchen in großen Lettern kurze Sätze wie etwa „Spart euch eure Magie!“ geschrieben standen.
Also ich hab ja schon viel erlebt, aber…, ließ die Stimme den Gedanken unvollendet.
Da ihr Weg sie an den Demonstrierenden vorbeiführte, konnte der Held erkennen, dass es sich ihrer Bekleidung nach überwiegend um einfache Bedienstete handelte. Vorsichtshalber festigte er seinen Griff um die Tasche mit den Schriftstücken und tatsächlich stellte sich ihm eine junge Frau in Zofenkleidung direkt in den Weg. Der Held blieb stehen und sah sie erwartungsvoll an. Auch sein Führer blieb stehen, wandte den Blick jedoch entschieden ab.
Oh ja, das wird bestimmt interessant!, frohlockte die Stimme aufgeregt.
„Alles muss irgendwo herkommen, alles wird verbraucht und muss erst nachwachsen“, erklärte die Frau klug. „Es gibt keinerlei gesichertes Wissen über die Erholung natürlicher Magiebestände. Vermutlich ist Magie eine endliche Ressource.“
Wahnsinn!, applaudierte das Schwert beinahe. Los! Jetzt du!, forderte es.
„Werte Frau, Ihr seht mir nicht wie eine Magiebewanderte aus… woher nehmt Ihr das Selbstbewusstsein, den Zauberern ihre vermeintlichen Fehler vorzuwerfen?“, formulierte der Held im Gegenzug.
„Also…! Also das gebietet ja wohl der gesunde Menschenverstand!“
Da hat wohl jemand seine Argumentation bloß auswendig gelernt…, grinste das Schwert.
„Sie hätten also nicht mit einem Pferd hierher reisen können?“, fügte die Frau an.
„Nun, theoretisch schon…, a-aber…“, geriet er etwas ins Stottern.
„Und besonders bequem war die Reise auf einer Marmorplatte gewiss auch nicht, oder?“, setzte sie sofort nach.
„Aber es geht fix“, entgegnete der Held rasch.
Hey, das ist geistiger Diebstahl!
Die junge Frau schüttelte ungehalten den Kopf.
„Magiewirker verschwenden wertvolle Magie für Dinge, welche die eigenen Füße oder ein paar Dutzend kräftige Hände auch in ein paar Stunden erledigt hätten. Das ist Arbeitsdiebstahl!“
„Dann können diese kräftigen Hände doch in dieser Zeit andere nutzbringende Dinge verrichten“, schlug der Held vor und kam sich sogar ein bisschen schlau vor.
„Also Sie denken aber auch nicht besonders weit, hm? Irgendwann werden keine solchen Dinge mehr übrig bleiben. Die Menschen verlernen alles, was die Magier für sie tun und wenn dann keine Magie mehr übrig ist…!“, endete sie mit einer bedeutungsschweren, ausladenden Handbewegung.
Manchmal wirken sie richtig intelligent, wiederholte das Schwert spitz.
„Aber sie wollten euch doch nur helfen!“, platzte es aus dem Helden heraus.
„Wir haben NICHT darum gebeten, dass DIE sich einmis-!“, wollte die Frau weiterwettern, doch abrupt versagte ihr die Stimme.
Das war aber nicht besonders respektvoll, gab das Schwert zu bedenken, als der Held plötzlich von seinem Führer weitergeschubst wurde. Er hatte die Handbewegungen des Magiers aus dem Augenwinkel gesehen und war sich ebenfalls ziemlich sicher, dass der Frosch im Hals der jungen Frau magischen Ursprungs war.
Nachdem sie einige Schritte zwischen sich und die aufgebrachten Demonstranten gebracht hatten, bemerkte der Held ungewöhnliche Säulen an den Straßenkreuzungen. An ihrer Spitze tanzten in scheinbar regelmäßigen zeitlichen Abständen rote und grüne Flammen. Einen Augenblick später hatte er den Sinn dahinter an den jeweils stehenden oder vorbeiratternden Kutschen und Fuhrwerken erkannt.
„Können sich die Einwohner denn nicht selbstständig einigen?“, fragte er den vor ihm laufenden Magier etwas resigniert.
So ganz unrecht scheint die Furie von vorhin nicht zu haben, überlegte das Schwert.
„In unserer wunderbaren Stadt wird es nun einmal so gehandhabt und wie Sie sehen können, sind die Vorteile unverkennbar“, ließ sich der Mann zu einer Art Erklärung herab.
Was sind das denn da für helle Streifen?, fragte die Stimme interessiert und der Held gab die Frage weiter.
„Diese Markierung – die unbedarfteren Einwohner nennen sie wohl »Tigerstreifen« - gilt nur für unsere hochrangigen Einwohner“, erklärte der Führer, als eine herannahende Kutsche scharf abbremste, um einen fetten, reichlich geschmückten Mann vorbeiwatscheln zu lassen.
„Woran erkennen die Kutscher denn, für wen sie bremsen müssen und welche Einwohner die Fuhrwerke passieren lassen müssen?!“, fragte der Held ehrlich interessiert.
An Tand und Übergewicht natürlich, ahmte das Schwert den Tonfall des Magiers nach.
„Allen unbegleiteten Personen wird beim Einlass in unsere großartige Stadt eine Erkennungsmagie verliehen. Vor allem darf kein niederer Bürger im Umkreis eines Einwohners weilen, welcher seinen eigenen Rang um wenigstens fünf übertrifft.“
„Wie viele Ränge gibt es denn?“, wagte er es zu fragen.
„17 natürlich.“
Uff, machte die Stimme.
„Und welcher Rang gilt für mich?“
„Für Sie gilt der Sonderstatus 1c >Ortsfremder in ortskundiger Begleitung<.“
Für wen gilt denn dann 1b?, dachte die Stimme.
„Und für wen gilt 1b?“, fragte der Held folgsam.
„Für Leichen.“
Du kommst sogar noch NACH den Toten…, staunte das Schwert amüsiert.
Inzwischen passierte der Held den Eingang zu der Arena, welche er bei der Landung gesehen hatte. Auf seine Bitte hin betraten sie das Gebäude.
Dies ist die städtische Ertüchtigungsbühne“, erklärte der Führer, als sie am Rand der ovalen Fläche im himmelsichtigen Zentrum des gewaltigen Baus ankamen.
„Sieht verdammt nach einer Arena aus…“, stutzte der Held zurecht, „… und das da oben ist doch die Tribüne!“
„Sie meinen den Publikumsbereich?“
Nein, er meint die Gaffer!, äffte das Schwert den Tonfall des Führers erneut nach.
Erst jetzt bemerkte der Held ein gutes Dutzend schwer gerüsteter Personen, welche eine Art kantige Kugel mit ihren stumpfen Waffen – Hämmer und Eisenstangen – vor sich her trieben.
„Bei dieser sportlichen Ertüchtigung“, nahm der Magier die aufkeimende nächste Frage vorweg, „versuchen zwei Personengruppen eine mit Leder umwickelte Holzkugel in den Schutzkreis der jeweils anderen Gruppe zu bewegen. Das Berühren der Kugel mit den Händen ist erlaubt“, ergänzte er, während ein Hammer mit brachialer Gewalt gegen die Kugel donnerte, „allerdings wird davon abgeraten.“
Eine Weile verfolgten der Held und sein Führer das zutiefst befremdlich anmutende Spektakel.
„Ist das nicht ziemlich dämlich?“, entfuhr es ihm.
Kannst du jetzt etwa auch Gedanken lesen?, fragte das Schwert überrascht.
Der Magier antwortete nicht. Die wilde Szenerie sprach ohnehin für sich.
Ich glaube, ich werde alt, dachte der Held beschämt.
Lass uns schnell etwas niedermetzeln, damit wir dieses entsetzliche Bild verdrängen können, schlug die Stimme hoffnungsvoll vor.
„Nur zu gern.“
„Wie bitte?“, fragte der Führer verwirrt und wandte sich zu ihm um.
Los, knöpf dir den Knilch vor!
Bedaure, dachte der Held seufzend und schüttelte den Kopf.