Ich öffnete die Augen und vom Tageslicht geblendet, schloss ich sie mit einem Stöhnen wieder.
Ich fühlte mich elend, aber wusste nicht so recht, warum. Hatte ich gestern zu viel getrunken? Ächzend drehte ich mich auf die Seite und blinzelte gegen das grelle Licht an.
Mir tat alles schrecklich weh. Hatte ich mich geprügelt?
Zwischen den Fingern spürte ich Kies und Schlamm und stellte fest, dass ich an einem Flussufer lag.
»Scheiße«, knurrte ich und richtete mich mit zitternden Armen auf.
Ich hatte mich noch nie so elend gefühlt. (Orange markiert klingt ähnlich = Wortwiederholung) Zumindest … glaubte ich das.
Denn desto mehr ich mich an irgendetwas zu erinnern versuchte, desto mehr wurde mir klar, dass ich mich an absolut nichts erinnerte.
Doch!
Da war eine Sache.
Neith.
Ein Name?
Mein Name!
Ich drückte meine Handflächen gegen meine hämmernden Schläfen und ein jämmerlich leidendes Stöhnen glitt über meine Lippen.
Mir fehlte ein Stiefel. Mein großer Zeh zeigte sich durch einen löchrigen grauen Strumpf. Mit einem tiefen Atemzug löste ich meine Hände von meiner Stirn und machte eine Bestandsaufnahme. An meiner Hüfte war ein Gürtel mit zwei Täschchen. Eine Geldbörse, in der sich wider Erwarten Münzen befanden und ein schwarzer Schlüssel, auf den ich mir keinen Reim machen konnte. Das zweite Ledertäschchen konnte ich ausrollen und erblickte darin Dinge, die mir so gar nicht geheuer waren. Ein Set Dietriche, drei fingerhutgroße Glasfläschchen mit zäher Flüssigkeit, Nadeln, ein aufgeweichtes, verklebtes Stück Papier und einen Angelhaken.
Ich saß eine Weile da und starrte die Sachen an.
Meine Kehle brannte vor Durst. Mit einer Hand strich ich mir über das von der Sonne verbrannte Gesicht und stieß ein Zischen aus. Jedes Stück freie Haut an mir leuchtete Rot wie eine Garnele. Ich packte das Täschchen wieder an meinen Gürtel und stand humpelnd auf. Mein Fuß ohne Stiefel fühlte sich verstaucht an, aber es war nicht allzu schlimm. Missmutig sah ich das in der Sonne glitzernde Flusswasser an und biss mir auf die rissige Unterlippe. Eine mir unbegreifliche Angst hielt mich davon ab, ein paar Schritte in das flache Wasser zu treten und mit den Händen aus der Strömung zu schöpfen, um meinen elenden Durst zu stillen. Als ob das kühle Nass eine bedenkliche Gefahr darstellte. Statt mein Bedürfnis zu befriedigen, beschloss ich, dass es weiser war, diesem Gefühl zu vertrauen. Unwohl wandte ich den Blick ab. In der Nähe spannte sich eine steinerne Bogenbrücke über den Fluss, auf dessen Mauerbrüstung drei Angler saßen.
Ich zog meinen verbliebenen Stiefel und die löchrigen Socken aus. Immerhin war es warm und ich fühlte mich weniger dämlich, ganz barfuß herumzulaufen, statt nur mit einem Stiefel.
Während ich auf die drei Angler zukam, schielten sie skeptisch in meine Richtung.
»He, in welcher Richtung liegt die nächste Stadt?«, erkundigte ich mich mit kratziger Kehle.
Die älteren Männer mit der wettergegerbten Haut tauschten einen Blick aus.
Der hagerste, und vermeintlich auch jüngste von ihnen, wandte sich mir zu. Er deutete mit dem Daumen über seine Schulter. »Dre‘ Kilomedder Flussaufwährds lieschd Remmisch.«
Ich zog (auch wieder Wortwiederholung) die Stirn kraus. Der Mann hatte einen heftigen sindetter Dialekt. Warum zum Teufel war ich im Norden des Reiches? Ein Stechen durchzuckte meinen Kopf und ich kniff die Augen zusammen.
Die Männer beäugten mich.
Drei Kilometer mit einem gestauchten Fuß und meiner miserablen Verfassung klang nicht sehr erbaulich. Andererseits … wie war ich hier überhaupt gelandet?
»Ehm … wir kennen uns nicht, oder?«, fragte ich die drei Männer wenig hoffnungsvoll.
Sie sahen mich stumm an, als ob sie herausfinden wollten, ob ich gerade irgendeine Masche abzog.
»Ich … Ich glaube, ich hatte eine harte Nacht und …« Sie wichen meinem Blick aus und ich konnte förmlich mitansehen, wie sich in ihrer Körperhaltung ihr Argwohn verdeutlichte. Ich stieß den Atem aus.
»Ach, vergesst es. Danke für die Richtung.«
Ich wandte mich ab und ging meiner Wege. Die brennende Sonne am Höhepunkt des Firmaments begleitete mich bei jedem müden Schritt. Zweifelsohne sah ich wie ein abgerissener Landstreicher aus, der Skepsis verdient hatte, aber ich hatte Geld. Ich brauchte neue Schuhe, etwas zu Essen und eine Mütze voll Schlaf in einem richtigen Bett. Dann würde mir schon mit der Zeit einfallen, was zur Hölle gestern passiert war.
In der Ferne tauchten Wachtürme und Zinnen auf. Remmisch, wiederholte ich in Gedanken, als mir jäh ein Geistesblitz kam. Remming! Das war eine riesige Stadt im Norden und die Residenz von König Allerik III. Na, wenn’s da kein kaltes Bier gibt, dachte ich mit einem Grinsen, doch in dem Moment, in dem ich das Gesicht breit verzog, wurde mir der heftige Sonnenbrand darauf wieder bewusst. Ich ließ das Lächeln bleiben und verfluchte grummelnd die Sonne, der ich hilflos ausgeliefert war.
An dem Tor mit Burggraben und Zugbrücke standen mehrere Wachen. Zwei von ihnen mit Hellebarde. Einer von ihnen rollte mit den Augen und trat mir in den Weg.
»He, zieh Leine, Landstreicher.«
Beschwichtigend hob ich die Hände. »Ich bin nicht zum Betteln hier. Ich …«
»Ich hab gesagt, zieh Leine!« Er trat einen Schritt auf mich zu und stieß mir die Stange entgegen. In einem Reflex griff ich danach, machte einen Seitschritt, wobei ich ihm die Hellebarde erst gegen die Nase schlug und dann aus der Hand riss.
Der andere Wächter stieß ein Fluchen aus und nahm seine Hellebarde in Angriffshaltung. »Lass die Waffe fallen!«
Ich zögerte. Nicht, weil ich es auf einen Kampf abgesehen hatte, ich hatte nur keine Lust, mich aufspießen oder gar zerhacken zu lassen, wenn ich meine einzige Verteidigungsmöglichkeit sinken ließ.
Bevor ich richtig wusste, was ich machen sollte, griff er mich an.
»Warte«, stieß ich aus. Ich schlug seinen Angriff zur Seite, doch er nutzte den Schwung und stieß unvermittelt mit der stumpfen Unterseite der Stange nach oben. Ich stolperte zurück und presste die Zähne aufeinander, als ich dabei meinen gestauchten Fuß belastete. Der Wachmann setzte nach. Ein Schmerz schoss durch meine Finger, als er sie mit einer rückwärtigen Bewegung mit seiner Stange erwischte, und ich ließ die Hellebarde fallen. Dann traf mich das stumpfe Ende auf der Brust und drückte mir sämtliche Kraft aus den Lungen. Ich landete auf dem Rücken, japste nach Luft und wurde im nächsten Moment von zwei Männern gepackt. Keuchend lehnte ich mich dagegen auf und verpasste einem einen Ellbogen.
Ein Arm schlang sich um meinen Hals und ich zog im letzten Moment das Kinn herunter, damit mir der Wachmann die Kehle nicht abdrücken konnte. Schwer atmend trat ich aus und versuchte mich erfolglos herauszuwinden. Auch wenn ich Verzweiflung in mir aufkommen spürte, so nahm ich in meinem Inneren einen Ausweg wahr. Wie eine Tür, nach der ich nur greifen musste. Mein Pulsschlag verlangsamte sich, ich streckte die Finger aus …
»Was zur Hölle wird das hier?«, brüllte eine autoritäre Stimme.
Scheppernde Schritte näherten sich uns und ich öffnete keuchend die Augen, während ich immer noch im Schwitzkasten festhing.
»Der Landstreicher hat uns angegriffen, Hauptmann«, erklärte der Mann mit der Hellebarde, die er auf mich gerichtet hielt, während ihm Blut aus der Nase lief.
»Der Bastard hat angefangen«, rief ich aus und bäumte mich wütend wieder gegen die zwei Kerle auf, die mich immer noch festhielten.
»Neith?«, stieß der Hauptmann mit glänzendem Brustpanzer ungläubig aus.
Ich verengte die Augen. Kenn ich den Kerl? Ein Schmerz fuhr durch meinen Kopf und ich zuckte zusammen. Zischend kniff ich die Augen zu und wartete hilflos darauf, dass das Pulsieren in meinen Schädel nachließ.
»Lasst ihn verdammt noch mal los, ihr Idioten«, befahl der Hauptmann.
Die Griffe lösten sich endlich und ich schnappte nach Luft. Der Mann über mir sah mit entsetztem Gesichtsausdruck auf mich herab.
Ächzend drehte ich mich auf die Seite und drückte mich keuchend auf alle Viere. Übelkeit übermannte mich und ich spuckte saure Galle aus. Ich stieß mehrere Flüche aus, setzte mich schließlich nach hinten und zog zitternd die Knie an, wobei ich den schmerzenden Kopf hängen ließ. Der Hauptmann reichte mir eine Feldflasche. Es war zwar lauwarmes Wasser statt dem ersehnten, kalten Bier, aber besser als nichts. Ich spülte meinen Mund aus und trank drei große Schlücke.
»Ich weiß, ich seh mies aus«, erklärte ich, als er mich mit gekräuselter Nase immer noch wortlos von oben herab musterte.
»Mies?«, stieß er überraschend laut und von Zorn erfasst aus. »Du bist seit drei Wochen verschollen! Und jetzt tauchst du wie ein Penner vor den Stadttoren auf, um dich mit meinen Leuten zu prügeln.« Er riss mir die Flasche aus der Hand. »Es gibt Leute, die auf deine scheiß Kompetenz geschworen haben, und ich hoffe, dass du eine verdammt gute Erklärung für dein Auftreten hast.«
Ich sah ihn unsicher an.
Er wandte sich mit einem Kopfschütteln von mir ab und marschierte voraus. »Mitkommen.«