Atharra betrachtete die Frau im dem hochgeschlossenen Kampfanzug. So weit sie wusste, waren diese Anzüge unter einigen Schwarzhändlern einiges wert. Allerdings wäre keiner ihrer aktuellen Handelspartner so dumm, einen VEN-Kampfanzug in seiner Sammlung zu haben. Schade eigentlich.
Sie kniff die Augen zusammen.
Moment ...
War das nicht diejenige, die zuvor von den Banditen überfallen worden war. Staub bedeckte den Overall und sie schien auch verletzt zu sein.
Das heißt doch aber, dass ..., traf sie die Erkenntnis.
Ihr Blick streifte die umstehenden Häuser, fanden aber nichts Ungewöhnliches. Aber das hatte nichts zu sagen. Das Letzte Mal war dieses ... Ding auch aus dem Nichts aufgetaucht. Womöglich hätte sie doch weiterfahren sollen.
Verdammt sei deine Großzügigkeit.
„Du hast ein Auto. Kannst du uns nicht in die nächste Stadt bringen? Was ist aus der alten Schrotti Freundlichkeit geworden?"
Langsam, beinahe mechanisch wandte Atharra den Blick zurück zu der Fremden. Kurz zuckten ihre Finger zu ihrer Waffe.
Schrotti-Freundlichkeit? Diese Kampfspastikerin von VEN suchte wohl Streit? Den konnte sie haben!
„Dann hätte ich dich aber überfahren müssen“, gab sie zurück und stützte sich auf dem Lenkrad ab. „Hast wohl dein Raumschiff verloren, was?“
„Da war der Tank leer!“
Atharra hob die Augenbrauen. Wollte diese Kuh sie verarschen?
„Und dann schickt VEN einen einzelnen Scheißer ohne Verpflegung, Ausrüstung und Plan allein los? Ihr seid ja noch überlebensunfähiger als ich dachte.“ Ein Lachen entrang sich ihrer Kehle, ehe sie theatralisch seufzte. „Zum Glück schwebt ihr Helden über unser aller Köpfe, um die Erde vor Bedrohungen zu schützen. Wie könnte ich sonst nachts ruhig schlafen?“
Die Frau hob den Rucksack in ihrer Hand hoch.
„Ich habe Schrott?“
Unbeeindruckt zuckte sie die Schultern.
„Ich hab‘ ‘ne Knarre.“
Es sollte tatsächlich nicht schwer sein, die Frau zu überrumpeln. Immerhin stand sie noch immer überfahrbar vor ihrem Kühlergrill.
Sichtlich frustriert senkte die Frau den Arm, bevor sie energischer zu sprechen begann.
„Pass auf ... Ich bin auf VEN nicht gerade gut zu sprechen. Deswegen kann ich die Sackgesichter auch nicht anpiepen, denn die würden meinen Hintern mit größtem Vergnügen vom Diesseits ins Jenseits befördern. Ich bin verletzt und brauche medizinische Versorgung ... Nur bis in die nächste Stadt oder Zivilisation."
Atharra horchte auf.
„Bedeutet das, auf deinen Hintern ist Kohle ausgesetzt?“
Nun wurde das Gespräch also doch noch interessant.
"Ich bin ehrlich ... Vermutlich nicht.“
Diese VEN-Penner waren wirklich für nichts zu gebrauchen. Heulten auf der Erde herum, weil sie ihr Raumschiff verloren hatten, anstatt das Sonnensystem zu verteidigen. Und Geld brachte sie einem auch nicht ein.
„Dann soll ich meinen Hintern ebenfalls riskieren indem ich dich mitnehme und bekomme nicht mal etwas dafür?“
„So sieht es wohl aus ...“
Atharra legte den Kopf schieb und legte nun beide Arme auf das Lenkrad.
„Und was genau sollte mich jetzt dazu antreiben, einem von euch Scheißern zu helfen? Ich könnte dir einfach den Kopf wegzupusten, deine Sachen nehmen und mich verpissen." Die Idee klang laut ausgesprochen nicht einmal so schlecht, wenn da dieses blöde Gefühl des Beobachtetwerdens nicht gewesen wäre. Dennoch grinste sie und formte aus ihrer Hand eine imaginäre Waffe, welche sie mit einem geflüsterten Peng auf die Fremde richtete.
„Weil es einen Grund gibt, warum VEN mich sucht. Und wenn dir irgendwas an deinem Leben lieb ist, du mir lieber hilfst, bevor du morgens aufwachst und ein Eis am Stiel für irgendwelche Experimente bist.“
Hatten die dort oben nichts Besseres zu tun, als herumzuexperimentieren? Die Welt war am Arsch, je eher die das einsahen desto besser.
Und dann werfen die ihren Abfall einfach auf die Erde, klar.
„Ach ja...deinen komischen Freund habe ich schon gesehen. Eure Haustiere sind echt hässlich." Wenn sie genau darüber nachdachte, dann wollte sie nicht wissen, wie viele von diesen Dingern es bereits gab. Wer sagte ihr eigentlich, dass diese Frau nicht auch eines dieser Experimente war?
Die Fremde ließ den Blick schweifen.
„Du hast ... ihn gesehen?"
Atharra nickte und fummelte an ihrer Waffe im Holster herum.
„Mmh, mehr oder weniger. Aber es hat gereicht, um mich zu verpissen. Ich hoffe, er ist satt."
„Cyrus tut niemanden solange etwas, solange man uns nichts tut."
Fragend sah Atharra die Frau an. Uns? War doch die halbe Armee von VEN ausgerückt? Mehr Experimente, die sie im Dunkeln fressen wollten? Sie musste ein Lachen unterdrücken. Sollte VEN nur kommen. Sie umzubringen, das hatten schon ganz andere Sachen versucht.
„Die Kerle vorhin hatten meine Schwester überfallen. Cyrus hat ihr geholfen ...", gab die Fremde von sich, die ihren fragenden Blick wohl bemerkt hatte.
„Es gibt noch mehr von dir?!"
War ja klar ...
Die Frau lachte auf.
„Lange Geschichte ... Nimmst du uns jetzt mit?"
„Beinhaltet uns jetzt dich und deine Schwester, oder auch das Ding?"
„Nur Cyrus und ich ..."
Atharra fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Sie war zu gut für diese Welt.
„Warum immer ich? Ich hätte doch einen Umweg machen sollen...“, sprach sie zu sich selbst, dann wandte sie sich zurück an die Fremde. „Die nächste größere gesicherte Großstadt ist ein paar Tage von hier, aber mein Dorf ist in der Nähe ...“ Sie deutete zur Beifahrerseite. „Wehe es frisst mir das Gesicht ab.“
Die Frau schien zufrieden und winkte in eine Richtung. Zögerlich trat aus einer der schattigen Gassen das verhüllte Vieh heraus, das sie zuvor noch an den Toten gesehen hatte. Also hatte es tatsächlich die ganze Zeit im Schatten gehockt. Mit einem Mal war sich Atharra sicher, dass sie diese Auseinandersetzung niemals überlebt hätte, hätte sie tatsächlich die Waffe gezogen und auf die Fremde gerichtet.
Wäre ich doch einfach über sie drübergefahren…
Neben ihr stieg die Fremde ins Auto.
„Keine Sorge, er kann nichts Festes essen!"
„Beruhigend“, murmelte Atharra, während sie diesen Cyrus dabei beobachtete, wie es skeptisch ihren Jeep musterte - ganz als befürchtete es, dass der Jeep es anfiel.
Nervös frickelte sie dabei am Pistolenholster herum.
„Dein Dorf wird erstmal reichen, das ist besser als nichts. Oder ...", sprach die Fremde unbeirrt weiter und betrachtete ihre Umgebung. „... das hier!"
Atharra beobachtete jede Bewegung der gebeugt laufenden menschenähnlichen Kreatur. Unter der Kapuze erkannte sie gerade genug, damit sie ihre Entscheidung bereute. Allein die fahle Haut und die dunkel durchscheinenden Adern, weckten in ihr den Wunsch, einfach das Gaspedal durchzutreten und während der Fahrt dreimal auf das Ding zu schießen. Gelbe katzenähnliche Augen trafen ihre, weshalb sie sich schließlich räusperte und sich lachend an die Fremde zurückwandte. Teils aus Belustigung , teils um sich zu beruhigen. Das Ding konnte doch keine Gedanken lesen, oder?
„Glaub mir, das hier ist besser als mein Dorf."
„Beruhigend ..."
Als das Ding namens Cyrus seine Musterung beendet hatte, stieg es ebenfalls auf der Beifahrerseite zu der Frau, welche dadurch in die Mitte gedrängt wurde und Atharra beinahe auf der anderen Seite aus ihrem eigenen Auto flog.
Versuchten diese Wahnsinnigen etwa ihr das Auto zu klauen?
„Sagt mal hackt's bei euch?!", keifte sie und drückte beide wieder auf die Beifahrerseite.
„Haustiere sitzen hinten, Cyrus!", schimpfte auch das VEN-Kanonenfutter und schob ihn von sich.
Cyrus schaute die Frau einen Moment böse an, stieg dann aber wieder aus und ging nach hinten. Dass er sich sichtlich unwohl fühlte, war offensichtlich. Willkommen im Club!
Atharra versuchte das bohrende Starren zu ignorieren und fischte lieber eine Dose Bier aus dem Türfach. Energisch riss sie das Behältnis auf, nahm einen tiefen Schluck und trat aufs Gas. Je schneller sie diese Pfeifen loswurde desto besser.