Beiträge von Kyelia im Thema „Experiment Erde“

    Atharra war nicht begeistert davon, diese Fremde und ihr Haustier mit in ihr Dorf zu schleifen. Aber da sie auch keine Lust hatte, als ausgelutschte Hülle zu enden, blieb ihr nichts anderes übrig.

    Sie ruckelten mit dem Auto durch die kaputten Straßen, sodass der Schrott hinter ihnen lärmend gegeneinander schlug. Dabei ignorierte sie die Blicke der Leute, welche sich auf den Straßen herumdrückten. Interessiert sah man ihnen nach und von irgendwo glaubte sie zu hören, dass jemand schrie: was schleppt die nun schon wieder für Müll an?

    Vor ihrer Werkstatt hielt sie an, warf sowohl der Frau als auch dem … Ding einen bösen Blick zu.

    „Es wird niemand gefressen“, zischte sie und sprang aus dem Wagen und schlug die Tür zu. „Das gilt für euch beide“, warf sie durch das geöffnete Fenster nach. Nur um sicher zu gehen. Dabei zerdrückte sie die Bierdose mit ihrem mechanischen Arm.

    Ihre Werkstatt bestand aus einer großen alten Garage, welche mit mehreren massiven Steinziegeln mehrfach erweitert wurde. Es war keine Schönheit, schließlich war keiner aus ihrer Familie Maurer. Aber es gehörte ihr, und stand auf dem Grundstück ihrer Familie. Der Sandfarbene große Klotzbau, in welchem ihr Vater und ihre Brüder wohnten, stand direkt daneben.

    Sie blickte zu den Fenstern auf. Offenbar war noch keiner da. Umso besser.

    Sie hörte die Türen ihres Wagens schlagen.

    „Wenn du Munition willst, wirst du warten müssen, mein Bruder scheint noch nicht zurück.“

    Sie wartete die Antwort nicht ab und öffnete das Garagentor ihrer Werkstatt. Der Wagen sollte nicht ewig draußen herumstehen und sie musste langsam ebenfalls mal aus der Sonne, sonst würde sie am Ende noch aussehen, wie die Gärten und Straßen: wie der verbrannte Hintern eines extrem hässlichen Trolls.

    Zum Vorschein kamen ihre Schätze: Werkbänke, Geräte und teilweise fertiggestellte neue Geräte aus Müll…und natürlich Berge von Schrott.

    „Irgendwo dort hinten müsste ein Mixer stehen“, meinte sie in den Raum hinein und wedelte in die Richtung eines überfüllten Regals. Ob Hyde sie gehört hatte, oder nicht, war ihr egal. „Und mit etwas Glück findet ihr dort auch einen Atlas mit Karten der Umgebung. Die sind zwar uralt und nicht mehr recht aktuell, aber meine Brüder haben angefangen, dort die Städte der Umgebung reinzukritzeln.“

    Atharra betrachtete die Frau im dem hochgeschlossenen Kampfanzug. So weit sie wusste, waren diese Anzüge unter einigen Schwarzhändlern einiges wert. Allerdings wäre keiner ihrer aktuellen Handelspartner so dumm, einen VEN-Kampfanzug in seiner Sammlung zu haben. Schade eigentlich.

    Sie kniff die Augen zusammen.

    Moment ...

    War das nicht diejenige, die zuvor von den Banditen überfallen worden war. Staub bedeckte den Overall und sie schien auch verletzt zu sein.
    Das heißt doch aber, dass ..., traf sie die Erkenntnis.
    Ihr Blick streifte die umstehenden Häuser, fanden aber nichts Ungewöhnliches. Aber das hatte nichts zu sagen. Das Letzte Mal war dieses ... Ding auch aus dem Nichts aufgetaucht. Womöglich hätte sie doch weiterfahren sollen.
    Verdammt sei deine Großzügigkeit.
    „Du hast ein Auto. Kannst du uns nicht in die nächste Stadt bringen? Was ist aus der alten Schrotti Freundlichkeit geworden?"
    Langsam, beinahe mechanisch wandte Atharra den Blick zurück zu der Fremden. Kurz zuckten ihre Finger zu ihrer Waffe.

    Schrotti-Freundlichkeit? Diese Kampfspastikerin von VEN suchte wohl Streit? Den konnte sie haben!
    „Dann hätte ich dich aber überfahren müssen“, gab sie zurück und stützte sich auf dem Lenkrad ab. „Hast wohl dein Raumschiff verloren, was?“
    „Da war der Tank leer!“

    Atharra hob die Augenbrauen. Wollte diese Kuh sie verarschen?
    „Und dann schickt VEN einen einzelnen Scheißer ohne Verpflegung, Ausrüstung und Plan allein los? Ihr seid ja noch überlebensunfähiger als ich dachte.“ Ein Lachen entrang sich ihrer Kehle, ehe sie theatralisch seufzte. „Zum Glück schwebt ihr Helden über unser aller Köpfe, um die Erde vor Bedrohungen zu schützen. Wie könnte ich sonst nachts ruhig schlafen?“
    Die Frau hob den Rucksack in ihrer Hand hoch.
    „Ich habe Schrott?“
    Unbeeindruckt zuckte sie die Schultern.

    „Ich hab‘ ‘ne Knarre.“

    Es sollte tatsächlich nicht schwer sein, die Frau zu überrumpeln. Immerhin stand sie noch immer überfahrbar vor ihrem Kühlergrill.
    Sichtlich frustriert senkte die Frau den Arm, bevor sie energischer zu sprechen begann.
    „Pass auf ... Ich bin auf VEN nicht gerade gut zu sprechen. Deswegen kann ich die Sackgesichter auch nicht anpiepen, denn die würden meinen Hintern mit größtem Vergnügen vom Diesseits ins Jenseits befördern. Ich bin verletzt und brauche medizinische Versorgung ... Nur bis in die nächste Stadt oder Zivilisation."
    Atharra horchte auf.
    „Bedeutet das, auf deinen Hintern ist Kohle ausgesetzt?“

    Nun wurde das Gespräch also doch noch interessant.
    "Ich bin ehrlich ... Vermutlich nicht.“
    Diese VEN-Penner waren wirklich für nichts zu gebrauchen. Heulten auf der Erde herum, weil sie ihr Raumschiff verloren hatten, anstatt das Sonnensystem zu verteidigen. Und Geld brachte sie einem auch nicht ein.
    „Dann soll ich meinen Hintern ebenfalls riskieren indem ich dich mitnehme und bekomme nicht mal etwas dafür?“
    „So sieht es wohl aus ...“
    Atharra legte den Kopf schieb und legte nun beide Arme auf das Lenkrad.

    „Und was genau sollte mich jetzt dazu antreiben, einem von euch Scheißern zu helfen? Ich könnte dir einfach den Kopf wegzupusten, deine Sachen nehmen und mich verpissen." Die Idee klang laut ausgesprochen nicht einmal so schlecht, wenn da dieses blöde Gefühl des Beobachtetwerdens nicht gewesen wäre. Dennoch grinste sie und formte aus ihrer Hand eine imaginäre Waffe, welche sie mit einem geflüsterten Peng auf die Fremde richtete.

    „Weil es einen Grund gibt, warum VEN mich sucht. Und wenn dir irgendwas an deinem Leben lieb ist, du mir lieber hilfst, bevor du morgens aufwachst und ein Eis am Stiel für irgendwelche Experimente bist.“
    Hatten die dort oben nichts Besseres zu tun, als herumzuexperimentieren? Die Welt war am Arsch, je eher die das einsahen desto besser.

    Und dann werfen die ihren Abfall einfach auf die Erde, klar.

    „Ach ja...deinen komischen Freund habe ich schon gesehen. Eure Haustiere sind echt hässlich." Wenn sie genau darüber nachdachte, dann wollte sie nicht wissen, wie viele von diesen Dingern es bereits gab. Wer sagte ihr eigentlich, dass diese Frau nicht auch eines dieser Experimente war?
    Die Fremde ließ den Blick schweifen.
    „Du hast ... ihn gesehen?"
    Atharra nickte und fummelte an ihrer Waffe im Holster herum.
    „Mmh, mehr oder weniger. Aber es hat gereicht, um mich zu verpissen. Ich hoffe, er ist satt."
    „Cyrus tut niemanden solange etwas, solange man uns nichts tut."

    Fragend sah Atharra die Frau an. Uns? War doch die halbe Armee von VEN ausgerückt? Mehr Experimente, die sie im Dunkeln fressen wollten? Sie musste ein Lachen unterdrücken. Sollte VEN nur kommen. Sie umzubringen, das hatten schon ganz andere Sachen versucht.
    „Die Kerle vorhin hatten meine Schwester überfallen. Cyrus hat ihr geholfen ...", gab die Fremde von sich, die ihren fragenden Blick wohl bemerkt hatte.
    „Es gibt noch mehr von dir?!"

    War ja klar ...
    Die Frau lachte auf.
    „Lange Geschichte ... Nimmst du uns jetzt mit?"

    „Beinhaltet uns jetzt dich und deine Schwester, oder auch das Ding?"
    „Nur Cyrus und ich ..."

    Atharra fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Sie war zu gut für diese Welt.
    „Warum immer ich? Ich hätte doch einen Umweg machen sollen...“, sprach sie zu sich selbst, dann wandte sie sich zurück an die Fremde. „Die nächste größere gesicherte Großstadt ist ein paar Tage von hier, aber mein Dorf ist in der Nähe ...“ Sie deutete zur Beifahrerseite. „Wehe es frisst mir das Gesicht ab.“
    Die Frau schien zufrieden und winkte in eine Richtung. Zögerlich trat aus einer der schattigen Gassen das verhüllte Vieh heraus, das sie zuvor noch an den Toten gesehen hatte. Also hatte es tatsächlich die ganze Zeit im Schatten gehockt. Mit einem Mal war sich Atharra sicher, dass sie diese Auseinandersetzung niemals überlebt hätte, hätte sie tatsächlich die Waffe gezogen und auf die Fremde gerichtet.
    Wäre ich doch einfach über sie drübergefahren…
    Neben ihr stieg die Fremde ins Auto.
    „Keine Sorge, er kann nichts Festes essen!"
    „Beruhigend“
    , murmelte Atharra, während sie diesen Cyrus dabei beobachtete, wie es skeptisch ihren Jeep musterte - ganz als befürchtete es, dass der Jeep es anfiel.

    Nervös frickelte sie dabei am Pistolenholster herum.
    „Dein Dorf wird erstmal reichen, das ist besser als nichts. Oder ..."
    , sprach die Fremde unbeirrt weiter und betrachtete ihre Umgebung. „... das hier!"
    Atharra beobachtete jede Bewegung der gebeugt laufenden menschenähnlichen Kreatur. Unter der Kapuze erkannte sie gerade genug, damit sie ihre Entscheidung bereute. Allein die fahle Haut und die dunkel durchscheinenden Adern, weckten in ihr den Wunsch, einfach das Gaspedal durchzutreten und während der Fahrt dreimal auf das Ding zu schießen. Gelbe katzenähnliche Augen trafen ihre, weshalb sie sich schließlich räusperte und sich lachend an die Fremde zurückwandte. Teils aus Belustigung , teils um sich zu beruhigen. Das Ding konnte doch keine Gedanken lesen, oder?

    „Glaub mir, das hier ist besser als mein Dorf."
    „Beruhigend ..."

    Als das Ding namens Cyrus seine Musterung beendet hatte, stieg es ebenfalls auf der Beifahrerseite zu der Frau, welche dadurch in die Mitte gedrängt wurde und Atharra beinahe auf der anderen Seite aus ihrem eigenen Auto flog.
    Versuchten diese Wahnsinnigen etwa ihr das Auto zu klauen?

    „Sagt mal hackt's bei euch?!", keifte sie und drückte beide wieder auf die Beifahrerseite.
    „Haustiere sitzen hinten, Cyrus!", schimpfte auch das VEN-Kanonenfutter und schob ihn von sich.
    Cyrus schaute die Frau einen Moment böse an, stieg dann aber wieder aus und ging nach hinten. Dass er sich sichtlich unwohl fühlte, war offensichtlich. Willkommen im Club!

    Atharra versuchte das bohrende Starren zu ignorieren und fischte lieber eine Dose Bier aus dem Türfach. Energisch riss sie das Behältnis auf, nahm einen tiefen Schluck und trat aufs Gas. Je schneller sie diese Pfeifen loswurde desto besser.

    Atharra sicherte ihre Waffe und steckte sie zurück in den vorgesehenen Holster.
    „O-kay“, gab sie gedehnt von sich, während sie sich weiter in den Schatten des Hochhauses zurückzog. Die Augen weiterhin auf das Ding gerichtet, das sich gerade mit dem Gesicht über einen der Plünderer lehnte. Wenn man glaubte, alles gesehen zu haben und nichts wäre mehr neu oder überraschend, kam ein Ding um die Ecke und spaltete seinen Kiefer wie ein unglaublich hässlicher Schmetterling.
    Atharra wandte sich ab, als die menschenähnliche Kreatur Zunge und Kiefer im Toten vergrub. Mehr erkannte sie aus ihrem Versteck heraus nicht. Aber der Umstand kam ihr eher zum Vorteil. Alpträume hatte sie sowieso schon, noch mehr konnte sie nicht gebrauchen.
    Woher kam dieses Vieh? Und was machte es hier?
    Sie beschloss, dass es gesünder wäre, sich an einem anderen Ort weiter Gedanken darüber zu machen und nebenbei vielleicht noch nach einem neuen Ventil für ihren Jeep zu suchen. Jedenfalls gesünder, als ebenfalls ausgesaugt zu werden.
    Genervt schüttelte Atharra den Kopf. Sollte das Ding sich an den beiden Plünderern laben. Hauptsache, sie wurde nicht die Nachspeise.
    Ein kurzer Blick auf die Frau, dann schlich sie rückwärts. Immerhin schien sie nun auch ohne ihr Eingreifen außer Gefahr. Mehr oder weniger. Das Vieh schien die Frau nicht anzugreifen. Was sich diese Wahnsinnigen in ihren luxuriösen Raumschiffen für Haustiere hielten, war nicht ihr Problem. Und wenn sie sich schnell genug verdünnisierte, würde das hoffentlich auch so bleiben.
    „Diese blöden Affen von VEN", moserte sie, während sie sich weiter an der Wand in die Gasse schob. „Als hätten wir hier unten keine anderen Sorgen…schicken sie uns auch noch… das.“
    Am Ende der Gasse gestikulierte Atharra wild zurück. Wahrscheinlich war der Schnaps einfach nicht mehr gut gewesen, den sie gefunden hatte. 150 Jahre alter Schnaps konnte nicht mehr gut sein. So musste es sein. Ihre Augen hatten ihr einen Streich gespielt.
    „Red’ dir das nur ein, wenn du dich damit besser fühlst", rief sie aus. Bei ihrer Rückkehr musste sie definitiv ihren Leuten davon erzählen. Diese Geschichte würde in jeder Kneipe einschlagen wie eine Bombe.
    Weiterhin über das Bild nachdenkend, das sie gesehen hatte, humpelte sie die breite Straße weiter. Je schneller ein Ventil gefunden war desto schneller wäre sie weg.
    Das erste Auto erwies sich jedoch als Fehlschlag. Im Grunde war von dem Fahrzeug nur noch das Metallgerüst vorhanden. Auch bei den nächsten war nicht mehr viel zu holen. Lediglich ein leerer Werkzeugkoffer wurde wie zum Spott zurückgelassen.
    „Diese Möchtegernplündererarschtrompeten. Wenn ich davon einen in die Finger bekomme, dann…“ Sie drehte der Luft den Hals um, ehe sie in einem anderen Wagen hinter und unter den Sitzen zu suchen begann.

    Nach gefühlten Stunden, in denen sie schwitzend durch die ausgestorbenen Straßen gehumpelt war und sich mittlerweile auch ihrer Jacke entledigt hatte, fand sie endlich, was sie suchte. Zwei Vollidioten, die einen Reifen herumschleppten. Soweit sie es von weitem beurteilen konnte, glich dieser der Machart ihrer eigenen Reifen.
    „Hey, ihr“, rief sie den beiden Männern entgegen. Mit etwas Glück gelang es ihr, den Kerlen den Reifen abzuluchsen.
    Erschrocken wandten sie sich in ihre Richtung, dann warfen sie sich verwirrte Blicke zu.
    Die Zeit nutzte Atharra, um sich ihnen zu nähern.
    „Einen schönen Reifen habt ihr da.“
    „Ja“
    , gab einer von ihnen von sich und verbarg den Reifen dabei hinter seinem Rücken.
    „Was haltet ihr von einem Handel?“
    „Nicht viel“
    , gab der andere von sich. Seine Hand ging zu seinem Gürtel, in welchem eine uralte Glock hing.
    „Nana“, Atharra hob die Arme, „ich will euch nicht angreifen. Gegen zwei so starke Männer habe ich doch sowieso keine Chance.“ Sie versuchte sich an einem unschuldigen Lächeln. „Es ist nur“, sie deutete hinter sich, „mein Wagen ist vor der Stadt liegen geblieben und ihr wollt doch eine arme Frau nicht allein in der Wüste lassen.“
    „Doch“
    , gab der Mann mit dem Reifen misstrauisch von sich.
    Autsch.

    „Ich werde natürlich dafür bezahlen“, knurrte Atharra. Im Wagen würde sich sicherlich noch irgendwas finden, was man den beiden Idioten als wertvoll aufschwatzen konnte.

    Die beiden warfen sich erneut Blicke zu, ehe sie sie eingehend von oben bis unten musterten wie Schlachtvieh und sich dann erneut unsicher ansahen.
    „Nein danke, lieber nicht.“ Beinahe angeekelt verzog der eine das Gesicht.
    Wütend trat Atharra einen Schritt an den Kerl heran, der gut einen Kopf größer war als sie. Über die plötzliche Bewegung irritiert, wehrte er sich erst nicht, als sie ihn am Kragen packte und ihn auf Zahnbürstenlänge an sich heranzog.
    „Das habe ich nicht gemeint, du Lappen!“, zischte sie ihn an. Sie sah wie sein Kumpel die Glock zog. „Und was heißt hier bitte ‚nein danke‘?“

    Mit ihrem Metallbein trat sie dem Größeren auf den Fuß, was ihm einen Schmerzensschrei entlockte, der wenig männlich zwischen den Häusern widerhallte. Augenblicklich war die Glock seines Kollegen auf sie gerichtet.
    „Hört mir mal zu“, fauchte sie, während sich der Mann versuchte aus ihrem Griff zu befreien, doch ihr Metallarm hielt ihn zuverlässig fest und sie aus dem Gleichgewicht zu bringen, würde ihm so leicht auch nicht gelingen. „Wir haben zwei Möglichkeiten, um diese Sache zu beenden. Nummer eins: ihr gebt mir das Rad freiwillig oder Nummer 2: ich nehme mir das Rad mit Gewalt.“
    „Oder wir erschießen dich und behalten das Rad“,
    meinte der mit der Glock und entsicherte.
    Atharra konnte sich ein selbstgefälliges Lachen nicht verkneifen, hielt den Blick aber weiterhin auf den Größeren gerichtet, der nun auch auf die Idee gekommen war, seine Glock aus seinem Gürtel zu friemeln.
    „Glaube mir, ehe du den Abzug gedrückt hast, habe ich dir schon eine Kugel zwischen die Augen gejagt.“ Ein Grinsen schoss über ihr Gesicht, während sie mit der freien Hand nach seinem Arm griff, diesen verdrehte und ihm seine Waffe entriss. Sie ließ von ihm ab und trat mit der Handfeuerwaffe zurück. Geübte Finger leerten das Magazin und drehten die nutzlose Waffe dann am Zeigefinger in der Luft. Das alles geschah so schnell, dass der Bewaffnete sie nur verwirrt ansah und der Größere überrascht auf seine leere Hand sah. „Allerdings habe ich keine Lust durch unnötig viel Lärm die Handlanger von VEN anzulocken.“
    „VEN hat Truppen hierhergeschickt?“
    Der Mann blinzelte mehrmals, ehe er zu lachen begann. „Du lügst doch!“
    „Möglich“
    , erwiderte Atharra und grinste selbstgefällig. „Oder aber, ich habe vor nicht mal vier Stunden welche gesehen. Wer weiß.“ Sie zuckte die Schultern. „Du kannst es gern herausfinden. Aber dann bin ich weg und sammle den Reifen ein, wenn die Typen euch zerlegt haben. Ich meine, mit dem Teil unter dem Arm sieht man ja sofort, dass ihr Plünderer seid.“
    Die Unsicherheit, die in die Augen der beiden Männer trat, nährte Atharras Zuversicht.
    „Was sollten die Truppen hier suchen? Hier ist nichts!“ Der Größere ließ die Finger knacken.
    „Vielleicht suchen sie ein Ersatzrad?“, lachte Atharra, ehe sie ernst wurde. „Sehe ich aus, wie eine Hellseherin? Keine Ahnung. Aber offenbar haben sie eine neue Waffe bei sich, die sie furchtbar gerne an ahnungslosen Plünderern testen.“ Sie dachte an die Kreatur, die sie bei der Soldatin gesehen hatte.

    „Eine neue Waffe?“ Unterdrückte Angst schwoll in der Stimme des Bewaffneten mit, als er zu seinem Kumpel blickte. Er schluckte. „An Plünderern?“
    „Was für eine Waffe?“
    , grollte der Größere und funkelte Atharra an.

    „Ich kenne mich mit sowas jetzt auch nicht aus, aber ich würde auf etwas Biologisches tippen.“ Nachdenklich strich sie sich über das Kinn und dachte an die Kreatur. Ja, biologisch traf es ganz gut.
    „Scheiße!“, fluchte der Bewaffnete. „Eine Biowaffe?! Wir sollten verschwinden, wenn die das Ding hier hochjagen, sind wir die Ersten, die draufgehen.“
    Der Größere von beiden hob jedoch nicht völlig überzeugt die Augenbraue und durchbohrte Atharra mit seinem Blick. „Du verarschst uns doch.“
    „Du kannst ja gerne nachschauen“
    , gab Atharra gelassen von sich. Sie deutete in die Richtung, aus der sie kam. „Ein Stück in die Richtung liegen sicherlich die Überreste der armen Schweine, die es zuerst erwischt hat.“ Die beiden folgten ihrem Blick, dann ertönte ein Klicken, als der Bewaffnete seine Glock sicherte und mit den Worten "ich bin zu jung zum Sterben" davonrannte.

    Atharra und der andere Mann blieben zurück.

    „Heißt das jetzt, ich bekomme den Reifen?“

    Atharra lehnte sich genervt an ihren Wagen und sah auf die Silhouetten der Wolkenkratzer, die sich nicht weit am Horizont abzeichneten. Qualm stieg dort auf. Zwar konnte Atharra nicht sehen, was genau dort dampfte, aber ein bloßes Feuerchen war es sicherlich nicht. Seit zwei Stunden schraubten sich Staub und Asche bereits in die Luft.

    So weit sie wusste, trieben sich in den Ruinen der Stadt Plünderer herum und mehrere kleinere Gruppen Menschen wohnten dort noch dauerhaft. Aber im Grunde war es eine von vielen Städten, die aufgegeben und langsam von den Weiten der Wüste verschluckt wurden. Die Menschen hatten größere Städte schon nach der Katastrophe nach und nach verlassen. Denn wo es Güter gab, gab es auch immer Leute, die sich nicht an die neuen und zum Teil auch ungeschriebenen Gesetze hielten. Sicherer lebte man in kleinen Gemeinden, in denen man sich kannte und schützte.

    Nach einem Blick in die Ferne überlegte sie, ob sie nicht einen Abstecher machen sollte. Dunkel war es mittlerweile sowieso und der Wind flaute unangenehm auf. Davon abgesehen hatte sich Bob offenbar nicht nur ihrer Beute bemächtigt, um sie zu verkaufen und ihr ein äußerst nutzloses Stückchen Papier anzudrehen, sondern sich auch noch einen Spaß daraus gemacht, ihr ein Reifenventil kaputt zu machen. Der konnte was erleben, wenn sie ihn das nächste Mal in die Finger bekam.

    Genervt seufzend klaubte sie ihre Waffen vom Beifahrersitz, schloss ab und marschierte in Richtung Stadt. Hoffentlich stand ihr Jeep noch, wenn sie zurückkam und hoffentlich fand sie schnell, was sie suchte.

    "Ein blöder Code auf einem blöden Zettel und dann macht der blöde Kerl mir noch den blöden Wagen kaputt ... diesmal ist der Blödmann zu weit gegangen", fluchte sie, während sie an einer Sanddüne vorbei auf die ersten Gebäude zulief. Das musste seine Rache für die unzähligen Male sein, in der sie ihm Schläger auf den Rücken geschmiert hatte.

    Eine Windböe blies ihr etwas Sand ins Gesicht. Nicht mehr lang und es würde vermutlich ein Sandsturm durch die Wüste toben. Hoffentlich hatte sie bis dahin die Ruinen erreicht. Sie hatte wenig Lust, sich an diesem sowieso schon bescheidenen Tag auch noch Sand aus Stellen zu kratzen, an denen Sand nichts verloren hatte.

    "Ich hätte im Bett bleiben sollen", murrte sie, während sie sich ihr Tuch vor das Gesicht zog.

    Das Geräusch von berstendem Glas und Scheppern von Metall hallte durch die teilweise aufgebrochenen Straßen der Stadt, als die Frau wenig elegant durch das Fenster bugsiert wurde und in drei Fahrräder klatschte, die irgendein Vollidiot dort geparkt hatte.
    „Dir bringe ich Manieren bei, Mädchen.“
    Atharra stöhnte schmerzverzehrt und öffnete langsam die Augen. Der fette Kopf eines Warzenschweines steckte den Kopf durch das kaputte Fenster und zeigte ihr schwarzmodrige Zähne. Das Gesicht war zerknautscht, als hätte das Schwein versucht seine Stalltür mit dem Kopf zu öffnen – mehrmals.
    „Versprich nichts, das du nicht halten kannst, Warzenschwein“, lachte Atharra, während sie aus dem verbogenen Metall herauskroch.
    Rot flackerte Wut in dem Faltenteppich.
    „Wie hast du mich genannt?“ Er schwenkte die Faust bedrohlich durch die Luft.
    „Warzenschwein“, wiederholte Atharra ungerührt. In aller Ruhe fischte sie nach dem Flachmann an ihrem Gürtel und nahm einen Schluck. Der Selbstgebrannte ihres jüngsten Bruders rann ihr den Hals hinunter, während sie dabei zusah, wie sich das Schwein durchs Nadelöhr presste.
    „Na warte, das bezahlst du teuer!“, brüllte es dabei.
    „So viel bist du nun auch nicht wert.“ Atharra zuckte die Schultern. Dann blieb das Schwein im Nadelöhr stecken.
    Fäuste flogen in Atharras Richtung, doch keine davon fand ihr Ziel - trat sie einen Schritt zurück.
    Hinter dem Kerl erklang lautes Gelächter.
    Gelassen nahm die Sammlerin noch einen Schluck. Zwar war sie kein Fan des Selbstgebrannten ihres Bruders, aber es schmeckte noch immer besser als die Plörre, die sie ihr in diesem Saftladen als Bier verkaufen wollten. Das Zeug wollte vielleicht einmal Bier werden, war aber noch vor dem Gären des Hopfens falsch abgebogen, ohne es bemerkt zu haben und dann eifrig in Richtung widerlich gerannt.
    Atharra zuckte die Schultern. Es war nicht ewig schade rum.
    Als sie gedanklich in die richtige Zeit zurückkehrte, hatte das Schwein bereits bemerkt, dass es feststeckte und brüllte nun noch wütender umher. Auf der anderen Seite des schmalen Fensters schienen einige der Besucher der Absteige zu versuchen, den Kerl aus seiner Lage zu befreien. Nur schien es, als waren sie sich nicht sicher, ob sie drücken oder schieben sollten.
    „Erstaunlich“, meinte sie, „wie es Menschen in der heutigen Zeit, abseits der großen Städte noch schaffen, so ein Volumen zu halten.“ Es juckte sie in den Fingern, dem Kerl nochmals in den speckigen Unterleib zu pieken. Der Grund, dass es zu dieser aberwitzigen Situation gekommen war.
    „Na warte, wenn ich hier rauskomme, dann … “
    Atharra lachte auf.
    „ … dann werde ich leider nicht mehr hier sein.“ Sie hob ihren Metallarm zum Gruß, ehe sie sich abwandte. „Hat Spaß gemacht, aber ich muss dann mal. Ich habe einen wichtigen Termin, den ich nicht verpassen darf.“ Es schien erstaunlich, sie hatte das erste Mal in ihrem Leben eine Kneipenschlägerei gewonnen. Ein Hoch auf das schmale Fenster.
    Hinter ihr tobte es, was Atharra genauso lang ein Grinsen ins Gesicht zeichnete, bis es laut krachte und die Taverne durch das Fenster im Erdgeschoss einen hautfarbenen Klumpen auf die Straße kackte. Die Fahrräder verschwanden komplett.
    Atharra hob die Augenbrauen. Sie versuchte ihre Chancen neu berechnen. Als sie aber sah, wie das Warzenschwein sich in eine äußerst unförmige Schildkröte verwandelte, entschied sie, dass sie es dabei belassen konnte.
    „1 zu 1209“, feierte sie ihren Sieg, ehe sie doch die Beine in die Hände nahm und über die unförmige Straße davonhumpelte. Das metallene Popp ihres Beines mischte sich dabei wunderbar in das Gebrüll des Kneipenwirts.
    Wie gern hätte sie in diesem Moment ihren Jeep, mit welchem sie in diese Stadt gekommen war. Aber wegen der aufgebrochenen Straßen, konnte man das Fahrzeug in der Stadt vergessen.
    Aus ihrer Hosentasche holte sie eine Taschenuhr, die sie irgendwo gefunden und wieder auf Vordermann gebracht hatte.
    „Das wirst du noch bereuen!“, hörte sie das Schwein brüllen. „Hör auf meine Worte! Wir werden uns wiedersehen.“
    Ohne sich umzudrehen, verschwand Atharra in der nächstbesten Gasse.
    „Das will ich doch hoffen“, flötete sie noch.

    Es dauerte nicht sehr lang, bis sie an ihrem Wagen angekommen war. Es stand noch immer an der gleichen Stelle, an der sie es abgestellt hatte. In der Werkstatt eines Kerls, der sein Geschäft in einer dunklen Seitenstraße betrieb und bei dem ein muskelbepackter Kerl mit Narben und Tattoos vor dem Eingang herumlungerte.
    „Ciarán, da bist du ja“, sprach ein Mann, der mit dreckigen Hosen und Öl an den Händen auf sie zukam.
    Atharra ignorierte ihn und lief auf ihren Jeep zu.
    „Hast du alles verkauft?“, wollte sie wissen, während sie durch das Fenster ihre Rückbank betrachtete.
    Aus dem Augenwinkel sah sie wie der Dreckige nickte und sich die Hände an einem Fetzen Stoff sauber wischte.
    „Waren wirklich gute Sachen dabei. Wurde mir regelrecht aus den Händen gerissen.“
    Eigentlich war es Atharra lieber, wenn sie ihre Sachen selbst an die Leute herantrug, aber manchmal brauchte sie die Hilfe der Ortskundigen einfach und es gab niemanden, der sich auf dem Schwarzmarkt in dieser Stadt besser auskannte, als Bob.
    Der Hinterhofhändler suchte in der Tasche seiner Latzhose und hielt Atharra dann noch einen Fetzen Papier entgegen.
    Was soll das sein?“ Atharra fingerte nach dem Zettel. „Wenn da wieder ein plumper Versuch ist, mir deine Funknummer anzudrehen, dann pustet dir mein Colt das Hirn aus dem Schädel.“
    Wieder lachte Bob, wodurch seine schiefen Zähne zum Vorschein kamen.
    „Mach dich nicht lächerlich.“ Er hielt inne und griff sich an den linken Arm. „Ich habe daraus gelernt.“
    Mit gekräuselter Stirn betrachtete Atharra die Zahlenfolge auf dem Papierfetzen. Die Frequenz eines Funkgerätes war es wirklich nicht. Aber auch sonst konnte sie damit nicht viel anfangen. Wertlos.
    „Weißt du, mein Leben wäre sehr viel einfacher, wenn ich auch nur Zahlen auf einen Zettel krakeln müsste und könnte mir davon mein Essen kaufen.“
    „Das ist nicht nur irgendeine Nummer“, meinte Bob und tippte mit dem Zeigefinger auf dem Papier herum. „Einer der Käufer hat ihn mir gegeben. Das ist ein Code.“, meinte er.
    Atharra hob die Augenbrauen.
    „Ein Code für was?"

    Bob zuckte die Achseln.
    „Wenn ich das wüsste. Der Kerl, der ihn mir gab, sah ziemlich wichtig aus. Vielleicht solltest du die Zahlen mal von einem Profi prüfen lassen.“
    Atharra hielt inne, als sie von draußen Stimmen hörte. So ein Mist. Eilig stopfte sie den Zettel in ihre Tasche und sprang dann über die Tür ins Innere ihres Jeeps. Ihre Zeit wurde langsam knapp.
    „Okay, ich nehme das diesmal an, aber wehe, du hast mir wieder in den Tank gepisst, statt ihn mit richtigem Benzin zu füllen, dann mache ich Schweizer Käse aus dir.“
    Atharra grinste spitz. Sie presste den Hebel in den ersten Gang und ließ den Motor aufheulen. Als sie losfuhr, rollte sie Bob beinahe über die Füße, weshalb dieser zurückspringen musste.
    Sie fuhr an Pepe am Eingang vorbei und blickte dann in die Gasse, in die Richtung, aus der sie Minuten zuvorgekommen war. Tatsächlich schob sich dort gerade ein breiter Schatten ins Bild. Ein dickes Grinsen stahl sich auf ihr Gesicht, während sie laut winkend auf sich aufmerksam machte.
    „Da bist du ja!“, hörte sie das Schwein noch brüllen, während sie mit quietschenden Reifen in die andere Richtung davonfuhr.
    „Bob wird meine Schulden zahlen“, rief sie noch, dann war sie außer Hörweite.
    Wenn der Kerl ihr schon nur ein wertloses Stück Papier gab, statt dem üblichen nutzlosen Schrott, dann konnte er auch Herrn Fettschwabbel für sie bezahlen.