Beiträge von Der Wanderer im Thema „Des Wanderers Kurzgeschichten“

    Die Wahrheit

    Tränen verschleierten Za'endars Blick, als er den letzten Stein auf den Grabhügel legte, unter dem er seine Brüder zur letzten Ruhe gebettet hatte.

    Oder besser: Das, was er in den rauchenden Trümmern der Siedlung von ihnen noch hatte finden können. Er wischte sich den Schweiss von der Stirn und sein russverschmierter Arm hinterliess einen dunklen Streifen in seinem Gesicht, einer archaischen Kriegsbemalung gleich.

    Er holte tief Atem – einmal, zweimal. Dann klärte sich sein Blick, schweifte über die kleine Lichtung. Dort an den Rändern zum Wald hin schwelten die Überreste der Hütten, die ihm und den anderen Heimat gewesen waren, seit er denken konnte.

    Und in der Mitte, trotz der Rauchspuren im Licht der Abendsonne silbern glänzend die Stele, auf der die Schale seit ehedem geruht hatte.

    Und die jetzt fort war, gestohlen.

    Za'endar musste schlucken, ihm sass ein Kloss im Hals.

    Er kannte die Diebe und wusste um ihre Absichten, auch wenn es ihm verrückt erschien, daß sie glaubten sich einzig durch den Raub der Kraft und Macht des reinen Wassers der Schale zu vergewissern.

    Saassen'or, den sie von hier verbannt hatten, als er die Schale zu seinen Zwecken nutzen wollte, hatte das hier zu verantworten.

    Den Mord an den Brüdern des Ordens der Thaul, deren sterbliche Überreste er gerade begraben hatte, die Zerstörung dieses Ortes und den Raub der Schale.

    Saassen'or, der stets Diener des Eigennutzes gewesen war, den sie niemals in ihre Reihen hätten aufnehmen dürfen. Der immer wieder hierher zurückgekehrt war, ein Recht einzufordern, was ihm niemals zustand. Erst alleine, dann mit den ersten Anhängern seiner falschen Lehre. Und dann wurden es mit jedem Male mehr.

    Seine Worte schienen ihnen wie ein süsser Traum in die Hirne zu sickern, liessen sie, die anfänglich noch Respekt vor dem Orden hatten, fordernder werden.

    Es wäre ungerecht, wenn nur die Ordensbrüder den Segen des Wassers der Schale nutzen dürften, predigte Saassen'or. Jedem stünde darauf ein Recht zu...

    Und nun hatte Gewalt genommen, was lediglich gehütet worden war über all die Zeit.

    Diese Narren!

    Za'endar blickte hinab auf den Grabhügel, dessen Umrisse im schwindenden Licht der einbrechenden Nacht zu verschwimmen begannen.

    Seine Gedanken gingen hinaus, riefen sich die Gesichter seiner toten Ordensbrüder ins Gedächtnis zurück:

    Ordem, der sanftmütige Hüne mit den strahlenden grünen Augen. Sath'oon, dessen aufbrausender Charakter stets für Probleme gesorgt hatte. Alassin, der selten sprach. Und Aslador, der der älteste von ihnen gewesen war.

    Nicht ihr Abt, denn im Orden der Thaul gab es keinen, der den anderen gegenüber besondere Rechte gehabt hatte. Aber der Stimme des Alters wurde seit je hoher Wert zugemessen.

    Leise in der Ferne vernahm Za'endar den rythmischen Schlag der Trommeln, die Saassen'ors Triumph verkündeten. Oder das,was er dafür hielt.

    Za'endar richtete sich auf. Sog die letzten Sonnenstrahlen des vergehenden Tages in sich auf. Dann verneigte er sich vor der letzten Ruhestätte seiner Brüder, den er nur noch als Schemen wahrnehmen konnte, nestelte abwesend an der kleinen Phiole, die an einem ledernen Band um seinen Hals hing und machte sich auf den Weg...

    Strahlendes, goldenes Licht. In den Himmel aufstrebend, von einer flachen Schale ausgehend, die auf einem Baumstumpf ruhte.

    „So ist endlich geschehen, was uns schon lange zusteht, habe ich recht?“ rief Saassen'or, die Arme ausgebreitet.

    Rings um ihn herum brachen seine Anhänger in lauten Jubel aus, klatschten in die Hände und reckten die Fäuste in den von der Schale erleuchteten Himmel.

    „Seht ihr dieses Licht? - Wir haben es uns genommen, weil es seit je her uns gehört!!!“

    Saassen'ors Stimme überschlug sich fast, während ihm die Umstehenden noch frenetischer zujubelten.

    „Die Schale des reinen Wassers...“

    „Sie gehört Dir nicht!!!“

    Za'endar trat aus dem Schatten des Waldes auf die Lichtung, bahnte sich einen Weg durch die Anhänger Saassen'ors, die bei seinem Anblick verstummten und verhielt neben dem Baumstumpf, der Schale und dem, der den Orden der Thaul vernichtet hatte.

    „Sie gehört Dir nicht! Die Schale dient niemandem. Und niemand hat das Recht, sie zu seinen eigenen Zwecken zu missbrauchen“ schrie Ze'andor.

    Mit einem Ruck riss Ze'andor sich das Lederband vom Hals, hielt die Phiole hoch, in der ein strahlendes weisses Licht schimmerte.

    „Dies ist die Essenz. Hier ruht Wahrheit. Golden ist nur der Trug.“

    Saassen'ors Gesicht, verzerrt von Wut und Gier nach Macht war direkt vor ihm.

    „Dann gib sie mir!!! Der Orden derThaul ist ausgelöscht!!!“

    Saassen'ors Hände fuhren krallengleich auf die Phiole zu, fegten ins Leere, als Za'endar ihren Inhalt in die Schale goss.

    Der der Schale entströmende goldene Schein veränderte sich. Das Gold verblasste, veränderte sich. Strahlend weisses Licht entströmte nun dem Gefäss, erfüllte die Lichtung kurz mit solcher Helligkeit, daß manche Anhänger Saassen'ors aufschrien und die Hände vor das Gesicht schlugen. Dann zog sich der gleissende Schein in die Schale zurück, bis er nur noch die Gestalten Za'endars und Saassen'ors beleuchtete, die sich lauernd gegenüberstanden.

    Stille senkte sich über den Ort.

    „Und jetzt berühre das Wasser, wenn du glaubst, du hättest ein Anrecht auf die Schale!“ sagte Za'endar fordernd.

    „Die Schale kennt die Wahrheit.“

    Saassen'ors Hand verharrte zitternd über der Schale. Za'endar sah die kleinen Schweißperlen, die sich auf der Stirn seines Gegenübers bildeten.

    „Nun? Was zögerst du?!?“ rief er laut und ließ dabei den Blick über die Versammelten schweifen, die ihnen gebannt zusahen.

    Wie beiläufig ließ er seine Hand ins Wasser der Schale sinken. Helles, weisses Glitzern strömte empor in den dunklen Nachthimmel, irisierend für einen kurzen Moment, dann wieder zurückkehrend in seinen Ursprung.

    Ein Raunen erhob sich im dunklen Kreis der Lichtung.

    „Zauberspuk der Thaul, nichts weiter!!!“ schrie Saassen'or und fuhr herum, wandte sich seinen Anhängern zu. Seine Augen blitzten zornig.

    „Wäre es nicht unser Anrecht gewesen, zu nehmen, was sie uns so lange verweigerten, wie hätten wir es ihnen nehmen können?“

    Zustimmendes Murmeln ringsum.

    „Unsere Zeit ist jetzt – die ihre vergangen! Und dieser hier...“ Saassen'or zeigte auf Za'endar, der reglos dastand.

    „Dieser letzte wird jetzt wie ihr alle hier Zeuge werden, daß unsere Zeit gekommen ist!“

    Frenetischer Beifall von allen Seiten erscholl.

    Mit einer herrischen Handbewegung schnitt Saassen'or ihn ab, wandte sich zu Za'endor.

    Ihre Blicke trafen sich, bohrten sich ineinander, als Saassen'or die Hand in den Himmel reckte, sie dann langsam wieder senkte, dem Inhalt der Schale entgegen.

    „Du glaubst, ich hätte Furcht?“ murmelte er so leise, daß nur sein Gegenüber die Worte vernehmen konnte. Saassen'or schüttelte leicht den Kopf.

    „Ich nehme jetzt, was mein ist.“

    Damit tauchte er seine Finger ins Wasser.

    Za'endor schloß die Augen.

    Für einen langen Augenblick verharrten Zeit und Ort in Reglosigkeit.

    Dann zerriß ein Wimmern die atemlose Stille, schwoll an zu einem schmerzerfüllten Stöhnen und wurde zu einem markerschütternden Schrei des Grauens und der Agonie, als Saassen'or vergeblich versuchte, seine Hand aus der Schale zu reissen, aus der weisses Licht sich schlangengleich um seinen Arm zu winden begann, immer höher daran hinaufkroch, seinen Körper mehr und mehr und unaufhaltsam umschlingend.

    Entsetzt sahen die Umstehenden, wie Saassen'or in die Luft erhoben wurde, gehalten von einem einzigen weissen Lichtstrahl, wie sein Körper hin und her geworfen wurde in einem grotesken Tanz, während sich das ihn umgebende Licht in gleissendes Feuer verwandelte. Weisse Flammen verbrannten seine Haut, verbrannten ihn. Seine Augen traten aus den Höhlen und unfähig, daß Licht in seinem ganzem Glast zu ertragen, platzten sie letztlich. Und aus den leeren Augenhöhlen zuckten Blitze reinen Lichtes herunter auf die Menge unter ihm und wer von ihnen getroffen wurde verging.

    Za'endor wußte nicht, wie lange seine Ohren die Schreie Saassen'ors gehört hatten. Und er wagte es lange nicht, die Augen zu öffnen, auch nachdem alle anderen Schreie rings um ihn her verklungen waren.

    Als er es schließlich doch tat, lag die Lichtung im Dämmer, erhellt nur von einem leisen Schimmer, der der Schale entströmte. Völlige Stille umhüllte ihn.

    Niemand war mehr hier, nicht Saassen'or noch auch nur ein einziger seiner Gefolgsleute.

    'Die Schale kennt die Wahrheit,' dachte Za'endor. Behutsam hob er das Gefäß vom Baumstumpf und goß ihren Inhalt auf die vertrockneten Wurzeln.

    Und noch als er sich abwandte und die Lichtung verließ begannen die ersten Keime neuen Lebens aus den trockenen Wurzeln zu wachsen und verkündeten mit ihrem hellen Grün, daß der Orden der Thaul nicht vergangen war.

    Licht des neuen Tages

    Das ist jedes Mal der schönste Moment, finde ich.

    Jener winzige Augenblick, wenn die Finsternis der Nacht weicht, sich zurückzuziehen beginnt vor dem ersten Glanz der neuen Sonne. Dabei gibt es diesen Augenblick gar nicht. Es ist vielmehr ein so sanftes ineinander übergehen des einen in das andere, daß ich ich ihn noch nie wirklich zu bestimmen vermochte.

    Trotzdem: Wenn der Reif auf dem Gras unter mir das Licht des neuen Tages einfängt, es reflektierend zurückwirft in die Dämmerung des anbrechenden Tages und wenn mit jeder Sekunde die Helligkeit zunimmt, so daß ich die Schönheit der mich umgebenden Landschaft immer deutlicher wahrnehmen kann, so erfüllt mich eine namenlose Freude.

    Gerade noch nur Schatten, kann ich schon den Saum des Waldes erkennen, unscharf jetzt und in der folgenden Sekunde klar und scharf konturiert.

    Dort stehen sie wie gestern, als die Nacht hereinbrach und dort werden sie auch morgen wieder stehen: Diese stille Armee der Bäume, festverwurzelt im Boden, schweigend.

    Die nadeligen Fichtenäste, steifgefroren von der Kälte der Nacht, beginnen sich zu regen im Licht der aufgehenden Sonne. Nebelschwaden schweben zwischen den Bäumen, bewegt von leichtem Wind. Sie tanzen zwischen den Stämmen, scheint es. Ein leises Tropfen hebt an, langsam erst, dann immer stetiger.

    Eis schmilzt, während die Nebel tanzen.

    Ich stehe auf der rauhreifbedeckten Wiese. Und die Sonne steigt langsam empor, drängt die Kälte der Nacht zurück. Um mich herum der Wald, schweigend, trotzdem wispernd.

    Mein Blick, gleitend von links nach rechts, streift jeden einzelnen Stamm. Ich kenne sie alle. Dort die drei Fichten, aneinandergedrängt. Daneben die Buche, deren raschelnde Blätter mir sagen, daß sie die Steifheit der Nacht abgestreift haben. Die Eiche dort unten, knorrige Wurzeln dicht am Flußufer, aus dem der Nebel schon seit dem ersten Tageslicht die Wiese hinauf gekrochen ist.

    Und der sich jetzt, da der neue Tag zu strahlen beginnt vom Boden erhebt.

    Die Nebelschwaden tanzen schneller. Der Wind bläst in sie hinein, er bläst auch in mich hinein.

    Ich gebe nach, ich weiche zurück, bewege mich, bewegt vom Wind. Ich tanze mit den Nebeln, wiege mich im sanften Hauch.

    Das Gras glitzert, von den unzähligen Tropfen geschmolzenen Eises bedeckt, die langsam zum Boden herab rinnen, während das Licht der Sonne immer mehr zunimmt.

    Der Wind bläst leicht, aber stetig.

    Die Nebel lösen sich auf, zerfasern, verwehen zwischen den Stämmen und Ästen und Gräsern. Bis zum nächsten Morgen, in dem alles ineinander übergeht.

    Und ich folge ihnen.

    Nebelschwade, die ich bin.

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    Der Lebensgefährte meiner Mom hat am Montag folgendes gesagt: "Eine Nebelschwade, die über's Land zieht."

    Das hat mich zu diesem Text inspiriert.

    Das Geheimnis des gefrorenen Meeres

    Dunkelheit, Kälte, Schweigen.

    Er saß regungslos und wartete geduldig, wie er es immer tat, seit er hier war. Wie er hergekommen war und aus welchem Grund wußte er nicht zu sagen. Aber darüber dachte er nicht nach. Die Frage nach dem „Warum?“ spielte für ihn keine Rolle. Genau so wenig wie die nach dem „Wie lange?“.

    Er hatte alle Zeit. Und kommen würde, was kommen mußte. Oder kommen wollte.

    Und etwas kam, näherte sich ihm. Er spürte die feinen Veränderungen der Schwingungen im Gefüge um sich herum.

    So, wie ein leichter Windstoß daß Licht einer Kerze zum Flackern bringt...

    'Flapp, flapp. Flapflapp'.

    Decker erwachte von diesem Geräusch und schlug die Augen auf, was er sofort bereute. Das grelle Sonnenlicht, daß durch den geöffneten Zelteingang hereinfiel, bohrte sich schmerzhaft direkt in seinen Kopf.

    Schneeflocken wirbelten herein. Decker hörte das leise Pfeifen des Windes.

    Er stöhnte und streifte sich die fellbesetzte Kapuze seines Anoraks hastig über das Gesicht. Das war entschieden besser, auch wenn sein Kopf explodieren wollte von dem Schmerz, der im Takt seines Herzschlags darin pochte. Die Augen zu Schlitzen zusammengekniffen, versuchte er es erneut.

    Er schielte nach links hinüber.

    Hallströms Platz war leer. Völlig leer. Kein Hallström. Kein Schlafsack.

    Decker schloß die Augen wieder, während er versuchte, alles in einen Zusammenhang zu bringen wie ein Kind, das seine Bauklötze zu einem Turm aufstapelt.

    Kein Schlafsack...? Dann konnte Hallström ja nicht draußen sein, weil er mal eben pinkeln mußte...

    Deckers Hirn hatte seine Bauklötze zuende aufgestapelt.

    Mit einem wütenden Brüllen fuhr er hoch, ignorierte das grelle Sonnenlicht und seine Schmerzen und steckte den Kopf aus dem Zelt.

    Und kein Gespann!

    Hallström und der Hundeschlitten waren weg.

    Dieser dreimal verfluchte Dreckskerl!!!

    Er sank im Zelteingang auf die Knie und stützte den Kopf in seine Hände.

    'Vielleicht hätte ich auf den Alten hören sollen,' dachte er einen verzweifelten Augenblick lang.

    Aber Hallströms Köder war zu verlockend gewesen:

    Die alte Karte, die er ihm in der Kneipe raschelnd auf dem Tisch ausgebreitet hatte.

    Hallströms Erläuterungen dazu.

    Dort, und dabei war sein Finger auf einige wellenförmige Linien auf dem Pergament herabgesaust, dort im gefrorenen Meer, wie dieser Teil der Eiswüste genannt wurde gäbe es eine Höhle. Und in der Höhle ein uraltes Totem, Hinterlassenschaft und Heiligtum eines längst vergangenen Volkes. Und zu dessen Füßen ein Schatz, Opfergaben, die über Jahrhunderte dort abgelegt wurden.

    Er, Hallström, habe bereits drei Expeditionen dorthin gewagt, aus verschiedenen Umständen aber jedes Mal sein Ziel nicht erreichen können, obwohl er ihm stets ein Stück näher gekommen sei und nun sogar wisse, wo sich der Eingang zu dieser Höhle befände.

    Ob er, Decker, ihn vielleicht begleiten wolle? hatte er gefragt und eine neue Runde Schnaps für beide bestellt. Die fünfte oder sechste?

    Das hatte Decker irgendwann nicht mehr gezählt. Vielmehr war er froh gewesen, daß sich jemand für ihn interessiert hatte fünf Tage nach seiner Ankunft in diesem trostlosen Nest am Rande der Eiswüste.

    In dem nichts zu geschehen schien und er feststellen mußte, daß er dort genau so wenig Möglichkeiten hatte sein Glück zu machen wie an dem Ort, von dem er gekommen war. Und so hatte er zugestimmt.

    Sein anfängliches Mißtrauen, warum Hallström ausgerechnet ihn dabei haben wollte, hatte dieser rasch zerstreut.

    „Niemand wagt sich alleine in die Eiswüste hinaus,“ hatte er auf seine Nachfrage geantwortet. „Ein verstauchter Knöchel durch eine Spalte im Eis und ohne Hilfe ist man verloren. Nur gemeinsam kann man das schaffen, aber dazu braucht es Mut.“

    Eine weitausholende Geste war gefolgt.

    „Aber an diesem Ort findet man keine Männer mit Mut.“

    Und tatsächlich: Decker hatte nur gebeugte Rücken gesehen, vor ihrer Zeit faltig gewordene Gesichter mit müden Augen, die trübe in ihre Bierkrüge starrten.

    „Ich mußte jedesmal darauf warten, daß jemand wie Du vorbeikam. Zum Wohle!“

    Damit hatten sie das nächste Glas hinuntergestürzt.

    Und kurz darauf ihren Pakt mit Handschlag besiegelt:

    Aufbruch im Morgengrauen des nächsten Tages. 70% des Schatzes für Hallström als Inhaber der Karte und Ausrüster ihrer Expedition, der Rest für ihn, Decker.

    Klang gut für ihn nach den Pechsträhnen der letzten Wochen.

    Als er am Ende schwankend die Kneipe verlassen wollte, zog ihn jemand am Ärmel. Decker blieb stehen und sah in das von tiefen Falten zerfurchte Gesicht des Alten, der alleine am Tisch saß.

    Hellblaue Augen bohrten sich in die seinen.

    „Ich bin kein mutiger Mann, das stimmt wohl“ sagte der Alte nuschelnd. „Aber im Gegensatz zu den mutigen Männern lebe ich noch.“

    Der Alte stieß ein meckerndes Lachen aus und ließ seinen Ärmel los.

    „Ich lebe noch!“

    Decker trat aus dem Zelt.

    Das Pochen in seinen Schläfen ließ langsam nach, der Schmerz wich. Er konnte wieder denken.

    Zurück konnte er nicht. Sie waren fast drei Tage mit dem Schlitten von der Siedlung entfernt.

    Aber nach vorne, das würde gehen.

    Hatte Hallström ihn auch hier zurückgelassen, um nicht teilen zu müssen, seinen Rucksack, der ihm als Kopfkissen gedient hatte, hatte er noch.

    Und damit auch die Schneeschuhe, die daran befestigt waren. Und den Revolver, der sich darin befand, genauso wie die Essensrationen.

    Er spähte durch den beständig herabrieselnden Schnee nach Nordwesten. Dieser graue, zackige Streifen am Horizont, der sich gegen den Himmel abhob - das mußten die Spitzen der Berge des gefrorenen Meeres sein. Fünf, vielleicht sechs Stunden Fußmarsch.

    'Ich bringe diesen Mistkerl um!' dachte Decker, als er sich die Schneeschuhe anschnallte. Dann stapfte er los, darauf hoffend, Hallström bei der Suche nach der Höhle im gefrorenen Meer noch anzutreffen. Das war seine einzige Chance, hier heil wieder herauszukommen

    Es war zu schaffen.

    Ein kleiner, schwarzer Punkt wurde in der schier endlosen Weite der Eiswüste rasch größer, wie Hallström befriedigt feststellte, auf einem der Gipfel des gefrorenen Meeres stehend.

    Er hatte sich also nicht getäuscht in diesem Abenteurer...wie hieß er noch gleich?

    Richtig: Decker.

    Irgendwie waren sie alle gleich.

    Zuerst wurden sie von Gier angetrieben. Dann vom Haß. Und vom Wunsch nach Rache. Und damit verfielen sie letztlich der Dunkelheit.

    Während die Dämmerung langsam herabsank, legte Hallström die letzten Spuren, damit der Herannahende seinen Weg fand.

    Decker blieb schweratmend stehen und sah sich um. Anders als von ihm erwartet war das gefrorene Meer kein Eismassiv. Vielmehr stand er vor einer Ansammlung von einzelnen gezackten Hügeln, manche an den Spitzen wild zerklüftet, andere rund und weich im Umriß.

    Decker blickte in den Himmel. Der Wind nahm wieder zu, der Schneefall wurde kräftiger. Und die Dunkelheit. Vielleicht noch eine halbe Stunde hatte er, um entweder einen windgeschützten Schlafplatz für die Nacht oder Hallström zu finden.

    Er betrat die Hügel des gefrorenen Meeres. Etwas glitzerte vor ihm im Schnee. Decker bückte sich.

    Es war eine Goldmünze. Die Gravur fast unleserlich, das Datum jedoch noch gut erkennbar: 1634.

    Ihm stockte der Atem. Das konnte nicht sein.

    Vor dreihundert Jahren war diese Landschaft unbesiedelt gewesen. Wie kam also diese Münze hierher?

    Ein erneutes Glitzern zu seiner Rechten.

    Eingerahmt von den Spuren eines Schlittens, der zwischen den Hügeln hindurchgefahren war. Und die Spuren der Schlittenkufen waren noch scharfkantig, also frisch!

    Decker grinste.

    Hallström war fällig!

    Er folgte der Schlittenspur in der hereinbrechenden Dunkelheit. Zwischen den Kufenspuren hier und da ein Glitzern. Er beachtete es nicht.

    Er begann zu laufen, den Spuren hinterher, die Erschöpfung des Marsches ignorierend, um drei, vier, fünf Hügel herum. Dann stand er vor dem Eingang der Höhle, von der Hallström in der Kneipe geredet hatte.

    Die Spuren der Schlittenkufen führten direkt in den schrägen Spalt hinein, aus dem ein irisierendes grünes Licht in regelmäßigen Abständen strömte, pulsierend wie der Schlag eines Herzens.

    Decker zog den Revolver aus dem Rucksack und entsicherte die Waffe.

    Die weisse Wolke seines Atems wich ein letztes Mal in die klare, kalte Nachtluft hinaus, illuminiert vom Mondlicht.

    Dann trat er ein.

    „Bist du gierig, Decker!?!“ fragte Hallström, in der Mitte der Höhle stehend. Auf einem riesigen Haufen Goldmünzen, wie Decker mit einem Blick feststellte.

    Links von Hallström konnte er einen seltsam geformten Baumstumpf erkennen, schrumpelig und verformt. Dunkle Äste mit dünnen Verzweigungen ragten daraus hervor wie nach Hilfe suchende Armen mit flehenden Fingern, nichts greifen könnend.

    Der Baumstumpf und Hallström wurden von dem grünen Licht umpulst, als wären beide im Inneren einer riesenhaften Lunge, einatmend, ausatmend.

    „Du hasst mich, habe ich recht, Decker?“ schrie Hallström, auf dem Goldhaufen tanzend. „Ich hab' Dich zurückgelassen. Deshalb bist Du hier: Um Rache zu nehmen! Stimmt das oder stimmt das nicht???“

    Er breitete die Arme einladend aus.

    „Drück nur ab und alles hier kann dir gehören! Laß deinem Hass freien Lauf! Nimm Rache! Schiess!!!“

    Und Decker schoss.

    Der Knall war ohrenbetäubend.

    Aber Hallström fiel nicht. Mit Entsetzen sah Decker, wie sich das grüne Leuchten verdichtete. Dort, in Höhe des Herzens intensivierte es sich, strahlte hell und heller, als es die Kugel kurz vor Hallström stoppte.

    Und er sah zu seinem Entsetzen, wie sich die Äste des Baumstumpfes zu bewegen begannen, sich in seine Richtung hin ausstreckten. Knorrige Finge tasteten nach ihm.

    Hallström stieß ein irres Lachen aus.

    „Wut ist Kraft! Rache ist Stärke! Und der Hass ist reine Energie!!!“ kreischte er.

    Deckers Augen weiteten sich, als das grüne Leuchten vor Hallströms Herzen noch an Helligkeit und Intensität zuzunehmen schien.

    Dann raste es direkt auf seinen Kopf zu.

    Und dann nur noch Schwärze...

    *

    „Aber an diesem Ort findet man keine Männer mit Mut,“ sagte Hallström und bestellte eine neue Runde Schnaps.

    Roderick nickte beipflichtend, während sein Blick über die müden Gestalten glitt, welche die Kneipe bevölkerten.

    Dann blieben seine Augen wieder an der alten Karte hängen, die vor Hallström auf dem Tisch lag und ein befriedigtes Lächeln erschien kurz auf seinem Gesicht.

    '30 Prozent,' dachte er. 'Ein gutes Geschäft.'

    Hallström reichte ihm das Glas herüber.

    „Dann auf unser Wohl! Und auf den Erfolg unserer kleinen Expedition.“

    Sie stürzten den Schnaps herunter.

    Dunkelheit, Kälte, Schweigen.

    Er saß regungslos und wartete geduldig, wie er es immer tat, seit er hier war. Kommen würde, was kommen mußte.

    Oder kommen wollte...

    Heyho Kamar

    Anmerkung, Frage: Wie wird das Rennen gestartet? Mit einem roten Feuer oder einen Wimpel? ist mir nicht ganz klar.

    Das Feuer ist das Signal aus der Burg, das Rennen zu starten - der Herold oben gibt es mit dem Wimpel an die Reiter weiter.

    Er saß auf dem vierjährigen Hengst Berendes links aussen in der Reihe der fünf Reiter, die nebeneinander am Rande eines kleinen Bachlaufes Aufstellung genommen hatten - die natürliche Startlinie des Rennens.

    Kannst du besser formulieren

    Da gebe ich Dir völlig recht. Zwei Zahlen in einem Satz sind schon mal ziemlich daneben, wenn's keine binomische Formel ist.:D

    Verstehe das nicht als Kritik, ist mir nur aufgefallen. Wenn es dir hilft, gut. Wenn es nicht passt, vergiss es.

    Selbstverständlich verstehe ich das als Kritik. Deswegen veröffentliche ich meinen Kram hier ja - damit mir jeder frei heraus sagt, wenn ihm etwas gefallen oder eben nicht gefallen hat. Solange das in konstruktiver Art und Weise geschieht, kann's ja nur helfen, meine Schreibe zu verbessern.

    Daher meinen Dank.:danke:

    Spoiler anzeigen

    Diese Erzählung sollte eigentlich am aktuellen Schreibwettbewerb zum Thema "(Nicht) um jeden Preis" teilnehmen. Aus irgendwelchen Gründen habe ich sie aber nach dem Schreiben nicht gespeichert und konnte sie daher nicht rechtzeitig einsenden. Also mußte ich sie erneut schreiben, habe dadurch aber den Abgabetermin verpasst. Doppelt angeschissen...:(:(:(

    Trotzdem würde ich mich über Eure Kommentare zur Geschichte freuen.:danke:


    Um Alles oder Nichts

    Zum wiederholten Male überprüfte Henno den Sitz von Bauchgurt und Zaumzeug und schalt sich gleichzeitig dafür einen Narren.

    Aber er war nervös.

    Zum ersten Mal seit drei Zyklen gab es wieder eine gute Chance, dem Haus Tarilon das königliche Siegel abzujagen.

    Sein Blick schweifte hinüber zu dem kleinen Biwak auf der gegenüber liegenden Seite der Lichtung. Bis auf einen kleinen, aber bedeutsamen Unterschied sah es genau so aus wie sein eigenes und wie die Biwaks der anderen drei Gestüte ringsum, die in diesem Jahr am Rennen teilnahmen:

    Ein nur von einem Seil abgegrenztes Areal, darauf ein hohes, geräumiges Zelt. Groß genug, um Pferd und Reiter zu beherbergen bei vielleicht widrigem Wetter während der Vorbereitungen auf das alle drei Jahre stattfindende Rennen der Pferdezüchter des Herzogtums, dessen Sieger die Ehre zuteil wurde, dem königlichen Hof in dieser Zeit die benötigten Reittiere zu liefern.

    Ein Privileg, das Macht und Einfluß in Canandir bedeutete, einem der vier Herzogtümern des Königreiches – dem Land der berglosen Steppen und Ebenen, geeignet zu wenig anderem als der Vieh- und Pferdezucht. Aber nicht zuletzt bedeutete dieses Privileg auch Reichtum.

    Sichtbares Zeichen der königlichen Gunst war das Siegel drüben am Mast vor dem Zelt des Hauses Tarilon: Ein polierter silberner Schild mit dem eingravierten königlichen Wappen, glitzernd im Schein der Morgensonne.

    „Könntest du vielleicht mal damit aufhören?“ riß ihn die tiefe Stimme seines Vaters aus seinen Gedanken.

    „Was...?“ Hennos Hände lösten sich von Shamtars Zaumzeug.

    Der nachtschwarze dreijährige Hengst schnaubte kurz, dann senkte er den Kopf und begann gleichgültig wieder zu grasen.

    Talmo Penderes runzelte mißmutig die Stirn.

    „Du bist nicht bei der Sache,“ stellte der Herr des Hauses Penderes fest und strich sich über den grauen Vollbart.

    „Konzentriere dich, Henno,“ sagte er eindringlich. „Ich weiß, was Du denkst. Aber du mußt dich von dem Gedanken lösen, wer heute dein Gegner ist, auch wenn es dir schwerfällt.“

    Henno fuhr sich mit einer schnellen Bewegung durch den blonden Haarschopf und senkte für einen kurzen Moment den Kopf.

    „Das ist nicht wie die anderen Rennen bisher,“ gab er dann zurück und begegnete dem fordernden Blick seines Vaters.

    „Richtig.“ entgegnete der kurz. „Heute reitest du für unser Haus, kein Mietling wie früher. Seit Shamtirs Geburt hast du dich um ihn gekümmert, ihn mit Stroh trockengerieben, kaum daß er den Schoß seiner Mutter verlassen hatte. Ihr seid gemeinsam aufgewachsen, habt alles geteilt, Ihr beide habt mir in den letzten drei Jahren gezeigt welche Möglichkeiten durch echte Freundschaft entstehen können. Daher war es mir eine einfache Entscheidung, dich als Reiter des Hauses Penderes zu benennen.“

    Hennos Blick glitt erneut hinüber zum Biwak des Hauses Tarilon. Aber auch jetzt war keine Spur von Jola zu entdecken. Jola mit den roten Haaren, Jola Tarilon, ein Jahr älter als er, Henno Penderes. Sein bester Freund seit er denken konnte. Und heute sein ärgster Konkurrent. Denn Jola war in diesem Jahr der benannte Reiter des Hauses Tarilon.

    Talmo Penderes erhob sich von dem Baumstumpf, auf dem er bisher gesessen hatte und ging zu seinem Sohn hinüber.

    „Denke an das Rennen, an den Weg von hier bis zum Ziel dort drüben,“ sagte er und wies in die Richtung, in der die Burg des Herzogs lag, verborgen durch die hohen Bäume, die die Lichtung umsäumten.

    „Es sind vier Meilen bis zur Burg. Für euch beide ein leichtes, wenngleich auch die Strecke ihre Tücken hat. Aber ich vertraue auf dich und Shamtir.“

    Talmo streichelte den Hals des Hengstes. Shamtir schnaubte leise.

    Talmo Penderes holte tief Luft.

    „Und jetzt muß ich zurück zur Burg des Herzogs.“

    Er legte seinem Sohn beide Hände auf die Schultern und sah ihm in die Augen.

    „Ich weiß, wer als erster aus dem Hohlweg kommen wird, Henno,“ sagte er. „Das werdet ihr beide sein – Du und Shamtir!“

    Damit wandte er sich ab.

    Henno sah seinem Vater hinterher, der in leichtem Trab die Lichtung Richtung Westen verließ. Dann schweifte sein Blick einmal mehr hinüber zum Biwak des Hauses Tarilon.

    'Wenn es nur so einfach wäre', dachte er...

    *****

    „Du kannst nicht gewinnen und das weißt du auch,Henno!“ scholl Jola Tarilons Stimme zu ihm herüber.

    Henno drehte den Kopf und sah den Rotschopf links aussen in der Reihe der fünf Reiter sitzen, die nebeneinander am Rande eines kleinen Bachlaufes Aufstellung genommen hatten - die natürliche Startlinie des Rennens. Er, Henno, war dankbar ganz rechts plaziert worden zu sein. Denn Jola hatte sich sehr verändert. Noch vor einem halben Jahr war es wie früher gewesen: Sie hatten sich zum Schwimmen getroffen, über ihre Pferde gesprochen und natürlich auch über das bevorstehende Rennen.

    Aber von einem Tag zum nächsten hatte Jola sich zurückgezogen, sich nicht mehr mit ihm treffen wollen. Eine Erklärung dafür hatte Henno nicht finden können. Jola zu fragen hatte sich nicht ergeben. Und nun standen sie hier.

    Vor ihnen eine weite Ebene wogenden Grases, etwa zwei Meilen welligen Bodens. Dahinter erhob sich steiniges Gelände, eine Gerölllandschaft. Der schwierigste Teil, wie Henno wußte. Loses Gestein, auf dem die Pferde ausgleiten konnten, zwar nur einige hundert Schritte lang, aber dennoch tückisch. Danach würde nur noch der Wald folgen und an dessen Ende die letzte Meile ebenes Gelände, in dem man seinem Pferd die Zügel freigeben konnte.

    „Ihr Reiter – Achtung!“ rief der Herold aus der Höhe seines Ausgucks, von der er die fernen Höhenzüge hinter der herzoglichen Burg beobachtete. Jeden Augenblick konnte dort ein rotes Feuer in den Himmel steigen, das Signal für den Beginn.

    Hennos Muskeln spannten sich und so auch die Shamtirs unter ihm. Die Ohren des Hengstes spielten nervös, die Erregung nahm zu. Die Blicke der Reiter richteten sich auf den Herold. Der wiederum spähte hinüber zu den fernen Höhen.

    Dann riß er den Wimpel in seiner Hand hektisch nach oben und wedelte damit herum.

    „Looos!!! - Reitet! Reitet wie der Wind!!!“ schrie der Herold mit überschnappender Stimme.

    Die Wettkämpfer stießen ihren Pferden die Fersen in die Seiten und sprengten los.

    Das Rennen hatte begonnen.

    Hennos Blick klärte sich. Er wußte nicht wie und er wußte nicht warum, aber er und Shamtir lagen weit vorne. Er sah zurück. Wie erwartet war Jola hinter ihm. Die Reiter der anderen Häuser waren jetzt schon abgeschlagen und lagen weit zurück. Mietlinge auf ihnen fremden Pferden. Wo keine Seelenverbindung war, konnte Sieg nicht sein.

    Jola und Berendes. Henno und Shamtir.

    Und Jola holte auf mir jeder Sekunde, preschte heran durch das wogende Gras der Ebene. Henno sah nach vorn: In wenigen Sekunden waren sie in den Geröllfeldern.

    „Jetzt mußt du vorsichtig sein, mein Freund!“ flüsterte er, sich vorbeugend, Shamtir zu. Dessen Ohren spielten, als hätte er die Worte genau verstanden.

    Steinsplitter flogen empor, als die schmetternden Hufe über den Kies flogen.

    Henno warf einen Blick zurück. Jola hatte fast aufgeschlossen. Er konnte den Triumph im Gesicht des anderen sehen.

    Verbissen drückte er Shamtir die Schenkel in die Seiten. Der Hengst streckte sich, flog scheinbar über das tückische Gelände und ließ es hinter sich, stürmte auf den nahen Wald zu.

    Aber aller Anstrengung zum Trotz: Jola und Berendes zogen gleichauf. Flockiger Schweiß war auf dem braunen Fell des Hengstes zu sehen, unter dem die Muskeln einen wilden Tanz aufzuführen schienen. Henno konnte den schweren Atem von Berendes hören, rythmisch und angestrengt, während Roß und Reiter sich langsam an ihm und Shamtir vorbeischoben.

    „Wir sind die Besten!“ brüllte Jola zu ihm herüber. Sein Gesicht war vor Anstrengung verzerrt. „Das Haus Tiralon wird erneut siegreich sein!“

    Henno's Blick richtete sich nach vorne. Der Hohlweg. Der Eingang zur Passage durch den Wald bot nur Raum für einen Reiter. Und auch auf Shamtirs Fell begann jetzt der Schaum der Erschöpfung zu flocken...

    Hinter Jola und Berendes schossen er und Shamtir in den Hohlweg. Eine einzige Chance blieb ihnen noch, ehe sie aus dem Wald auf die Schlußstrecke jagen würden: Eine Lichtung. Neunhundert Fuß lang. Die einzige Möglichkeit, an den beiden noch vorbei zu kommen.

    Henno gab Shamtir die Zügel frei. Der Hengst streckte sich unter ihm, seine langen Beine holten weit aus. Pferd und Reiter preschten durch die enge Passage, dann weitete sich der Weg endlich und Shamtir flog.

    Brachte sich und Henno wieder auf gleiche Höhe mit Jola und Berendes.

    „Und jetzt?“ schrie Henno durch den Donner der Hufe ihrer nebeneinander herjagenden Pferde zu Jola herüber. Dessen Gesicht war von Anstrengung verzerrt.

    „Immer noch so sicher, daß du gewinnst?“ Henno grinste triumphierend.

    Und dann war Jola auf einmal weg. Aus den Augenwinkeln heraus sah Henno, wie Berendes in vollem Lauf einknickte. Wie Jola aus dem Sattel geschleudert wurde in einem grotesken, wirren Flug und dann plötzlich im Gebüsch verschwunden war.

    Shamtirs Hufe trommelten über den Waldboden, brachten sie beide dem Ausgang des Hohlweges entgegen. Nur wenige Augenblicke später hatte er den Wald hinter sich gelassen. Vor ihm lag die Burg des Herzogs, flaggengeschmückt in Erwartung des siegreichen Reiters der fünf Häuser.

    Henno zog hart an den Zügeln. Aus dem Galopp heraus verlangsamte er Shamtir zum Trab, danach zum Schritt. Und dann standen sie still. Henno blickte zum Wald zurück.

    Er konnte den Jubel von der Burg her hören. Nur noch einige Dutzend Pferdelängen und das Haus Penderes würde in der Gunst des Königs stehen. Für drei Jahre.

    Aber sollte Jola noch am Leben sein, was wäre der Wert der Gunst des Königs gemessen am Wert der Freundschaft?

    Und so zog Henno die Zügel Shamtirs, ritt zurück und suchte nach Jola, während die Reiter der drei anderen Häuser an ihm vorüberpreschten. Weit abgeschlagen zuerst. Scheinbar siegreich jetzt.

    Scheinbar. Henno lächelte...