Die letzten zwei Tage hatte Esther gut geschlafen und sie hegte keinen Zweifel daran, dass das an Edmunds Schlafmittel gelegen hatte.
Sie lehnte sich mit den Armen auf die Reling und sah hinab auf die wogenden Wellen. Seit ungefähr der gleichen Zeit begleitete sie nun auch dieser Kraken. Unglaublich …
Mittlerweile schaffte sie es auch wieder, halbwegs normal mit Trevor umzugehen. Wie er sich dabei fühlte, mochte sie sich gar nicht vorstellen. Vermutlich hielt er sie für ein völlig Verrückte, dabei fühlte sie sich nur … ja … wie eigentlich?
Den Duft von Lavendel hatte sie unweigerlich wahrgenommen und taub war sie auch nicht. Zwar hatte sie nur Bruchstücke mitbekommen, aber das war mehr als genug gewesen.
Und da gab es einen kurzen Augenblick, in dem sich ihr der ganze Magen umgedreht hatte.
Sie war nicht sauer oder verletzt … dazu hatte sie kein Recht. Und sie gönnte Trevor jeden Moment der Ruhe … obwohl Ruhe vermutlich das falsche Wort in Verbindung mit gewissen Aktivitäten war.
An jenem Abend des Sturms wusste sie, dass Trevors Worte und vor allem der Kuss lediglich von einem Zauber herrührte. Sie war auch gewiss nicht so dumm zu glauben, dass es ihm mit irgendetwas davon ernst war.
Aber ein Teil von ihr, ganz tief in ihrem Inneren, hoffte es.
Sie zweifelte nicht daran, dass er sich schützend vor sie werfen würde … aber das war lediglich der Tatsache geschuldet, dass sie eine Frau und dazu eine Gräfin war. Für jeden von ihnen würde er sterben, damit der Andere leben konnte.
Doch sie war gewiss nicht sein Mittelpunkt, nicht diejenige welche.
Und auf eine unbestimmte Art bedrückte sie es.
Er war der erste Mann, nach ihrem Vater, der sie wirklich wahrnahm. Auch wenn sie oft dumme oder naive Entscheidungen traf, begegnete er sie stets mit Respekt, was man von den meisten der Adligen, die mit einem Heiratsgesuch an sie herangetreten waren, nicht behaupten kann. Für die zählte stets nur eins: die Grafschaft.
Sie schloss kurz die Augen und stieß den Atem aus. Für solcherlei Gefühlskrämerei hatten sie keine Zeit und außerdem würde das ohnehin zu nichts führen.
Mit einem Ruck stieß sie sich von der Reling ab und ging unter Deck in die Küche, wo Edmund gerade aufräumte. Mit hochgekrempelten Ärmeln sortierte er seine Töpfe und Pfannen.
„Du hast gewonnen“, meinte sie ohne begrüßende Worte und legte den Schlüssel zu Cecilias Kabine vor Edmund auf die Arbeitsplatte. „Wenn jemand herausfinden kann, was sie plant, dann du. Außerdem sollten wir darauf achten, dass sie in einem halbwegs ansehnlichen Zustand zuhause ankommt.“
Edmund sah sie an, als hätte sie ihm gerade gestanden, seine Haare abrasiert zu haben. „Ein Lob? Von dir?“
Schwer vorstellbar, ja. „Lass mich das nicht bereuen.“
Immer noch zurückhaltend ergriff Edmund den Schlüssel, woraufhin sich Esther ein wenig nach vorne beugte. „Aber ich komme mit“, beschloss sie. „Zur Sicherheit.“
Edmund ließ den Schlüssel wieder auf die Arbeitsplatte fallen und wischte sich die Hände an einem Tuch ab. „Das war ja klar …“
Mit Mühe unterdrückte sie ein Augenrollen und verkniff sich ein Seufzer. „Ich weiß, dir passt es nicht und vermutlich wird sie in meiner Anwesenheit überhaupt nichts von Bedeutung Preis geben. Aber ich traue ihr nicht.“
Edmund schien über etwas nachzudenken. Man konnte es ihm mittlerweile im Gesicht ansehen. „Ich habe eine Idee …“
„Will ich das wissen?“ Esther rieb sich die Nasenwurzel und macht schließlich eine auffordernde Handbewegung. „Was soll schon passieren … Welche Idee?“
Ein verschmitztes Grinsen erschien auf seinen Zügen. „Wir nutzen es aus, dass sie dich nicht leiden kann und sich für etwas Besseres hält.“
Jetzt war es Esther, die Edmund ansah, als wäre er irre. Schließlich zuckte sie aber die Schultern. „Das soll mir recht sein, solange wir dadurch Antworten erhalten.“
Die Reaktion schien Edmund zufrieden zu stimmen und tatsächlich nahm Esther es hin, dass sie für diese Aktion herhalten musste. Auf Cecilias Meinung gab sie ohnehin nichts.
„Was ist mit dem Auge?“, fragte Edmund wie aus dem Nichts.
„Was soll damit sein?“
„Es könnte hilfreich sein.“
„Das kommt nicht in Frage, weißt du eigentlich wie gef-„
„Du willst doch auch wissen, was Cecilia plant oder nicht? Das Auge könnte uns dabei helfen, das herauszufinden. Und sicher bist du auch neugierig, ob es funktioniert.“
Esther setzte dazu an, etwas zu sagen, aber tatsächlich traf er damit genau ins Blaue. Verdammter Mistkerl. Sie presste die Lippen aufeinander. „Na schön. Aber wenn etwas schief geht, heul mir nicht die Ohren voll.“
„Vielleicht probieren wir es vorher lieber aus“, schlug er vor und lehnte sich mit den Oberarmen auf die Arbeitsfläche. Mit dem Finger stupste er, scheinbar gelangweilt, gegen den Schlüssel.
„Ausprobieren? Und bei wem bitte sollen wir das machen?“
„Nicht wir … du“, entgegnete Edmund. „Bei mir.“
„Bist du dir sicher?“
Edmund nickte kurz stumm, woraufhin Esther noch kurz wartete, ob er sich nicht doch dagegen entschied. Aber offenbar obsiegte die Neugier. Sie selbst hatte eher die Hoffnung gehabt, dass er Cecilia einfach ein wenig Honig ums Maul schmierte. Aber mit Sicherheit hatte die Prinzessin längst bemerkt, dass sie eine Gefangene war. Und da war das Auge ihre einzige Möglichkeit, Informationen aus ihr herauszubekommen.
Dennoch … Ihr gefiel der Gedanke nicht, ein solches Relikt an einem Freund auszuprobieren. Sie kannten die Risiken nicht. Was wäre, wenn Edmund dabei verletzt wurde?
Beruhige dich … Vielleicht funktioniert es auch gar nicht.
Trotzdem war ihr mulmig, als sie die Truhe entsiegelte und vorsichtig das Auge herausnahm, welches sie vorsorglich in ein Tuch eingewickelt hatte.
Ihr Herz schlug donnernd und ihre Hände wurden schwitzig. Hoffentlich erinnerte sie sich auch noch an alles. Sie war ausgeruhter als noch tags zuvor, aber man konnte nie wissen, was die Strapazen der letzten Zeit mit den magischen Fähigkeiten machten. Obwohl laut Aufzeichnungen nicht viel Magie nötig war, benötigte man doch etwas als Brücke, damit das Auge seine Wirkung entfalten konnte.
Wieder in der Küche angekommen, legte sie das Relikt auf die Arbeitsfläche und schlug das Tuch beiseite.
Beide betrachteten sie den unscheinbar wirkenden Stein.
„Los, leg deine Hände drauf“, forderte sie Edmund auf. Etwas zögerlich gehorchte er und sie tat es ihm gleich, indem sie ihre Finger auf die seine legte.
Beinahe sofort breitete sich ein merkwürdiges Gefühl in ihr aus. Es wirkte, als würde kühle Flüssigkeit durch ihren Körper fließen. Sie versuchte in Edmunds Blick zu erkennen, ob er den gleichen Eindruck hatte, aber er ließ sich nichts anmerken.
„Bist du dir sicher, dass du das machen willst?“, fragte sie vorsichtig.
„Natürlich!“, antwortete Edmund mit einer solchen Inbrunst, die Esther überraschte. „Was soll die doofe Frage?“
Sie spürte es deutlich. Ohne wirklich festmachen zu können, warum das so war, glaubte sie ihm. Aber trotzdem … Einen Versuch musste sie noch unternehmen.
Sorgfältig musste ihre Frage überlegt sein, damit sie eindeutig wusste, dass er die Wahrheit sagte …Und mochte sie noch so banal sein. „Gefällt es dir, für uns zu kochen?“
Edmund musterte sie. „Dumme Frage, aber ja.“
Und wieder war da dieses Gefühl. Unbestimmt, aber gewiss.
Sie ließ Edmunds Hände sowie den Stein los und sah ihn an. „Ich denke, das reicht … geht es dir … gut?“
„Ja, aber bei Cecilia wird es schwer, sie dazu zu bewegen, Händchen zu halten. Versuchen wir es erstmal ohne Stein.“
Esther nickte. Da war was dran. „Wenn alle Stränge reißen, bleibt uns nur einer meiner Bannzauber.“ Sorgsam wickelte sie das Auge wieder ein und steckte es in die Ledertasche, die sie dafür mitgebracht hatte. „Dann sollten wir der Prinzessin mal einen Besuch abstatten.“
Edmund schnappte sich einen Teller und lud einiges an Essen auf. Dann nahm er den Schlüssel an sich und ging voran, Esther folgte ihm dichtauf.
Er schien es kaum erwarten zu können, ins Zimmer zu treten.
Als Cecilia ihren Besuch bemerkte, lächelte sie freundlich, jedoch gefror ihre Miene, als sie Esther sah.
„Ich hoffe, Ihr habt Hunger. Wir haben etwas Essen dabei. Und Esther hätte dafür gerne ein paar Antworten.“ Edmund stellte den Teller auf dem kleinen Tisch ab.
Esther hielt sich fürs Erste im Hintergrund. Sie blieb in der Tür stehen und schloss sie hinter sich.
Cecilia lächelte weiterhin. „Ihr beide seid zu gütig.“
Beinahe hätte Esther gelacht. Mit Güte hatte das wenig zu tun. Und sie wusste, dass Cecilia etwas ahnte.
Abwartend sah Esther Edmund an.
„Dann hoffe ich, dass wir auch mit Eurer Güte rechnen können und Ihr uns ein paar kleine Fragen beantwortet.“ Edmund setzte ein charmantes Lächeln auf, wobei Esther sich direkt fragte, ob das tatsächlich Wirkung bei Cecilia zeigte.
Die Prinzessin roch am Brot und fing an, zu essen.
Wenn ich dich hätte vergiften wollten, hätte ich es längst getan …
„Welche Art Fragen?“, wollte Cecilia wissen und lächelte zurück.
Fragen, die du uns so sicher nicht beantworten wirst, dachte Esther bei sich.
Sie überließ es auch jetzt Edmund, das Wort zu ergreifen. „Zu allererst würden wir gerne wissen, was Ihr mit dem Wissen, das sich an Bord magische Wesen befinden, anfangen wollt.“
Sie war froh darüber, dass er direkt das fragte, was ihr ebenfalls auf der Seele brannte. Über das Wetter zu reden, würde ihr im Moment eher schwer fallen.
„Anfangen?“, fragte Cecilia zwischen zwei Bissen. Ihrem Tonfall war es anzuhören, dass sie entweder Zeit schinden wollte oder sich außerordentlich dumm stellte.
Esther presste die Zähne aufeinander. Es kostete sie alle Mühe, der Prinzessin nicht gleich an die Gurgel zu springen.
„Ich schätze Euch nicht so dumm ein, dass Ihr den Inhalt meiner Worte nicht verstanden habt.“ Edmund neigte den Kopf in Esthers Richtung. Sie blickte einfach stumm zurück. “Esther kann Euch aber gerne den Inhalt eures letzten Gespräches nochmal wiedergeben. Ihr Gedächtnis scheint wohl besser zu sein, als Eures.“
Hatte sie sich gerade verhört? Sie richtete sich ein wenig auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Ihr Blick heftete sich fest auf Cecilia.
Diese atmete tief durch. „Na schön …“ Beinahe energisch stellte sie den Teller beiseite. „Ich gehöre einer Familie an, die an magischen Artefakten und Wesen sehr interessiert ist. Wir … befassen uns damit schon seit Generationen. Zum Wohle aller. Damit bestimmte Dinge nicht in die falschen Hände geraten. Reicht das?“
„Ihr lügt“, warf Esther ihr vor, ohne Edmund überhaupt die Möglichkeit zu geben, reagieren zu können. Zumindest teilweise sagte Cecilia nicht die Wahrheit.
Konnte das Gefühl noch von der Verbindung zum Auge herrühren? Unmöglich. Der Kontakt war eigentlich schon abgebrochen, als sie den Stein losgelassen hatte.
„Das reicht nicht“, riss Edmund das Wort wieder an sich. „Was wollt Ihr von den magischen Wesen?“
„Sie kennenlernen!“ Der Ton der Prinzessin wurde merklich energischer. „Was sonst? Man kann keine Studien betreiben, wenn man sich nicht mit diesen Wesen unterhält. Ich braute den Trank, weil ich nicht davon ausging, dass ihr freiwillig in unser Schloss kommt, um meine Familie kennenzulernen. Immerhin schicken sie mich, eine Prinzessin los, um Wesen vor dem Schlimmsten zu bewahren. Tut nicht so, als wüsstet ihr nicht, dass es dort draußen schlimme Menschen gibt, die nach Macht streben. Wir sind so etwas wie Wächter …“
Hörte Esther da etwas wie echte Verzweiflung in den Worten der Prinzessin? Für einen Moment fragte sie sich, ob sie Cecilia nicht doch Unrecht getan hatten.
Dann war da aber wieder dieses nagende Gefühl, welches ihr sagte, das etwas nicht stimmte. Wie eine Stimme, die ihr ins Ohr flüsterte, dass sie keinesfalls auf Cecilia hören sollte.
Hilfesuchend blickte sie Edmund an.
„Wenn das so ist.“ Er lächelte. „Und warum wisst Ihr dass es hier ein magisches Wesen gibt?“
Esther spannte ihren Körper an. Ohne es zu merken, legte sie ihre Hand auf den Lederbeutel, in dem sich das Auge befand, obwohl sie wusste, dass das nichts bringen würde. Cecilia hätte ihre Hände ebenfalls auf den blanken Stein legen müssen, damit sie die Wahrheit erfuhren.
Ohne ein Wort streckte Cecilia ihre Hand aus, an deren Ringfinger ein Ring steckte. Er wirkte schlicht, ganz und gar nicht passend für eine Prinzessin ihres Kalibers. „Er verändert seine Farbe, wenn solche Wesen in der Nähe sind … oder andere ..." Sie unterzog Edmund einer eingehenden Musterung.
Esther ging auf Cecilia zu und deutete auf die ausgestreckte Hand. „Darf ich einen näheren Blick darauf werfen?“ Die Frage war ernsthaft ehrlich gemeint.
Sie erkannte alchemistische Arbeiten und wenn Cecilia einen solchen magischen Gegenstand besaß, konnte es sein, dass sie dahingehend die Wahrheit sagte.
„Wenn ihr mir so mehr Glauben schenkt.“ Sie zog den Ring ab und ließ ihn in Esthers geöffnete Handinnenfläche fallen. „In Trevors Nähe wird er violett. In Edmunds Nähe ist er jedoch … rosa.“
Letzteres stimmte zumindest. Er blieb rosa. Selbst als Esther ihn in der Hand hielt, änderte er seine Farbe nicht.
Esther griff mit der freien Hand in ihre Tasche und holte ihr Vergrößerungsglas heraus.
Hoffentlich lachte Edmund sie bei dem Anblick, wie sie sich das Glas ans Auge steckte, nicht direkt aus. Das wäre sehr unangenehm. Doch es blieb ruhig.
Eingehend untersuchte Esther den Ring und konnte schnell die dünnen, fadenartigen Schlitze sehen, die sich einmal herum zogen. Mit dem bloßen Auge waren sie nicht zu erkennen, aber hierbei handelte es sich um den magischen Kern, der dem Ring die besagte Fähigkeit verlieh.
Esther nahm das Glas vom Auge und gab Cecilia den Ring zurück. Sie wusste, dass es ein Fehler sein könnte, der Prinzessin den Gegenstand zurückzugeben, aber Esther wollte sie nicht einfach bestehlen.
„Eine bemerkenswerte Arbeit“, gestand Esther. „Dennoch sagt es nichts darüber aus, ob Ihr aus friedlicher Absicht reist.“
„Würde ein Herzog seine eigene Tochter losschicken, um sie wissentlich in Gefahr zu bringen, wenn es nicht einem ... höheren Ziel dient?“ Cecilia mimte die Unschuldige.
Und bevor Esther etwas darauf erwidern konnte, mischte Edmund sich ein. „Was bedeuten die Farben?
Esther sah deutlich, wie Cecilia ein Grinsen unterdrückte.
„Wenn er weiß ist, ist nichts Magisches in der Nähe. Wenn er sich blau färbt, befindet sich ein Zauber in der Nähe. Ein Schutzzauber oder Ähnliches. Färbt er sich schwarz, muss man von einem Fluch ausgehen … Ist er rosa, ist ein magisches Wesen anwesend, dass natürlichen Ursprungs ist. Wie ein Kobold oder … eine Nymphe. Färbt er sich jedoch violett, dann … ist das Wesen unnatürlich. Wie … ein Golem oder … Formwandler. Zufrieden?“
Esther schluckte. Hieß das etwa, dass Cecilia ihren Bannzauber bemerkt hatte? So wie Esther selbst es möglich war, Magie oder eben magische Wesen zu erspüren, konnte es Cecilia ebenfalls … mithilfe des Rings.
„Der Ring bemerkt nur die Anwesenheit solcher magischen Präsenzen, richtig? Ihr könnt sie nicht aufspüren, oder?“, bohrte Esther nach.
„Aufspüren? Auf lange Distanzen? Nein. Wir müssen auf den Zufall hoffen“, beantwortete Cecilia die Frage.
Darauf hatte Esther gehofft. Immerhin war sie selbst der Prinzessin in einem überlegen.
„Offenbar ist dein Ring kaputt“, meinte Edmund und fast hätte Esther ihn fragend angesehen. Im letzten Moment besann sie sich und hielt sich zurück.
Tatsächlich fragte Esther sich eines: wieso zeigte der Ring die ganze Zeit ein und dieselbe Farbe an, wo doch wenigstens zwei Menschen magischen Ursprungs anwesend waren und einen, der ständig Magie wirkte.
Cecilia runzelte fragend die Stirn, woraufhin Edmund einen Schritt nach vorne machte. „Es gibt nur ein magisches Wesen an Bord. Und das bin ich“, eröffnete Edmund im nächsten Augenblick.
Esther stieß den Atem aus. Was dachte er sich dabei? Hatte er den Verstand verloren?
„Ich bin die einzige männliche Nymphe und vielleicht ist dein magischer Ring von dem Umstand verwirrt, dass mein Blut nicht reinblütig ist, mein Ursprung also auch nicht ganz natürlich ist.“ Edmund setzte wieder eines seiner charmanten Lächeln auf.
Cecilia hob erstaunt die Augenbrauen. „Ich soll deinem Wort mehr vertrauen als der Fähigkeit des Ringes?“
Esther wurde die Situation merklich unangenehmer. Sie spürte, dass es nichts bringen würde, Cecilia weiter von ihrer Ansicht abbringen zu wollen.
„Nun, wie viele Halbnymphen hattet Ihr denn schon vor Euch, um beurteilen zu können, wie Euer Ring darauf reagiert? Nymphen gibt es schließlich nur reinrassig und es gibt mich“, entgegnete Edmund statt sich des Gesprächs zu entziehen.
Esther bemerkte, wie sich etwas veränderte und sie sah, wie Edmunds Augen leicht leuchteten.
Erstaunlich … seine Aura.
Sie musterte Cecilia, doch es war nicht zu erkennen, ob sie davon etwas bemerkte.
Cecilia formte ihre Augen zu schmalen Schlitzen. „Hmm …“ Sie sah ihren Ring an. „Gut möglich, dass Mischwesen nicht eindeutig angezeigt werden.“
Edmund lächelte. „Danke für Eure Antworten“, sagte er, was für Esther das Zeichen war, dass das Gespräch an dieser Stelle eindeutig beendet war.
Sie rang sich ebenfalls zu einem knappen Lächeln durch. Aber nach Lachen war ihr nicht zumute.
Angespannt wartete sie, bis sie beide das Zimmer verlassen, Edmund die Tür verschlossen hatte und sie wieder in der Küche angekommen waren.
Esther packte Edmunds Arm, im ihn aufzuhalten. „Was hast du dir dabei gedacht, ihr zu sagen, dass du ein magisches Wesen bist? Bin ich eigentlich nur von Menschen umgeben, die so tun als hätten sie neun Leben?“, fuhr sie Edmund ohne Vorwarnung an.
Edmund riss sich aus ihrem Griff los. „Durch ihren dummen Ring weiß sie doch sowieso, dass sich magische Wesen an Bord befinden. Es zu leugnen, macht keinen Sinn. Ich vertraue ihr nur so weit wie ich sie werfen kann. Also ist es mir lieber, sie hat nur mich im Visier und ihr anderen könnt euch frei bewegen.“
Esther verschränkte die Arme. „Ich dachte, wir achten gegenseitig aufeinander? Außerdem glaube ich nicht, das Cecilia dir deine Finte abgekauft hat.“
Edmund lächelte. „Mir ist klar, dass sie mir nicht alles geglaubt hat. Ich gehe aber davon aus, dass für sie eine Nymphe interessanter ist als alles andere, was sich auf diesem Schiff befindet, das betrifft Trevor und auch die Artefakte. Zumindest vorerst. Ich spiele also gerne den Lockvogel und vertraue darauf, dass ihr auf mich aufpasst.“
Esther entspannte sich ein wenig. Edmund, der sich opfern wollte … das sie das erlebte, grenzte an ein Wunder. Dennoch gefiel es ihr nicht, dass er das billigend in Kauf nahm. Sie tippte ihm mit dem Finger gegen die Brust. „Pass auf dich auf. Ich meine es ernst …“
„Du machst dir Sorgen? Musst du nicht. Ich pass schon auf mich auf. Ich lass nicht zu, dass man euch verletzt.“
Esther wog den Kopf. „Du hast mehrfach bewiesen, dass du auf dich achtgeben kannst … Und der Rest kann das auch.“ Sie blickte noch einmal zurück, bevor sie durch die Tür trat. „Ich werde nicht zulassen, dass Cecilia euch zu nahe kommt …“
„Schade, ich habe mich schon auf heiße Nähe mit Cecilia gefreut“, rief Edmund ihr noch hinterher.
Gegen ihren Willen brachte Esther das tatsächlich zum Lachen. Jedoch war es eher ein Lachen der Sorte: Wer es glaubt, wird selig.
Sie machte sich auf den Weg in ihre Kabine, um das Auge wieder in der Truhe zu verwahren. Doch weit kam sie nicht, denn plötzlich öffnete sich eine Tür und Trevor lugte hinaus. Er sah verschlafen aus. „Was ist das denn für ein Lärm?“ er rieb sich die Augen.
Esther sah ihn ehrlich bedauernd an. „Tut mir leid, wir wollten dich nicht wecken.“ Sie sah kurz zurück. „Edmund und ich waren bei Cecilia. Er hielt es für eine gute Idee, sich als Lockvogel anzubieten … dieser Narr …“ Sie lächelte kurz und machte eine auffordernde Handbewegung. „Aber jetzt geh wieder schlafen, du siehst aus, als hättest du das nötig.“
Tatsächlich war ihr seine Anwesenheit mehr als lieb und sie hoffte, dass er einen Moment für sie übrig hatte.
Er gähnte und sie glaubte für einen kurzen Moment, dass er sich zurückziehen wollte. „Schon gut. Jetzt bin ich wach …“ Er fischte nach seinem Hemd und warf es sich schnell über. „Gibt es neue Erkenntnisse?“
Mit Mühe riss sich Esther von seinem Anblick los und konzentrierte sich. „Cecilia hat einen Ring, der es ihr ermöglicht, die Anwesenheit von magischen Wesen und Magie an sich zu erkennen. Auf große Distanzen funktioniert es nicht, sie kann also niemanden aufspüren. Und da fand Edmund es super, ihr zu sagen, dass er der einzige an Bord ist, mit Magie im Blut ...“
„Wenn sie sich erstmal nur auf einen konzentriert, bei egal was sie vorhat, kann der Rest sie im Auge behalten.“, erwiderte Trevor und gab Edmund damit Zuspruch.
Esther nickte wiederwillig. „Ja, logisch … Er will uns beschützen.“ Esther seufzte tief. „Schätze, wir können ohnehin erstmal nicht mehr tun, als warten.“
Trevor nickte knapp. „Ansonsten alles in Ordnung?“
Meinte er generell oder zwischen ihnen beiden?
Esther schulterte den Lederbeutel, in dem sich das Auge befand. „Ja … zumindest geht es mir besser als die letzten Tage … wenn du das meinst … „
„Ja, es waren … seltsame Tage.“
So war es in der Tat, wenn Esther so zurückblickte.
Sie zuckte die Schultern. „Wann ist ein Tag bei uns mal normal? Außerdem gefällt mir nur Cecilias Anwesenheit hier nicht … der Rest … bleibt mir in positiver Erinnerung.“ Thomas und die Relikte ließ sie absichtlich weg. Der Mensch war es nicht wert, das ihm unnötige Gedanken geschenkt wurden.
„Es gibt einige Sachen, die mir nicht in positiver Erinnerung bleiben“, meinte Trevor leicht amüsiert.
Nachdenklich verlagerte Esther ihr Gewicht, weil die Tasche mittlerweile an ihrer Schulter zerrte. „Was bekümmert dich?“
„Bekümmern? Nichts! Aber es war nur nicht der glorreichste Moment, als Edmund und ich anfingen, liebestoll Zeug von uns zu geben.“
Das war es also … wie sie bereits gedacht hatte. Sie lächelte. „Glorreich war das gewiss nicht, nein. Aber ihr beide solltet euch darüber keinen Kopf zerbrechen. Das war das Produkt von magischen Einflüssen.“
Sie hoffte, dass er das so hinnahm und nicht weiter drauf einging. Ihr Gemüt würde es sicher nicht verkraften, wenn er ihr buchstäblich sagte, dass er das Gefühl von jener Nacht eben nicht mehr spürte.
„Sagt jene, die meine Anwesenheit seither meidet.“ Dieser Satz kam so zögerlich, als hätte er darüber nachgedacht, ihn überhaupt auszusprechen.
Sie fühlte sich, als hätte ihr jemand einen Schlag in die Magenkuhle verpasst. Betroffen sah sie ihn an. „Es war nicht meine Absicht, dich damit zu verunsichern oder zu verletzen.“
„Verunsichert hat es mich, aber nicht verletzt, keine Sorge“, meinte Trevor. „Es ist verständlich, nachdem ich … dich mal wieder in Verlegenheit gebracht habe. Sei froh, dass ich dir nicht noch einen Antrag gemacht oder bereits Namen für unsere Kinder genannt habe.“
Esther grinste. „Das wäre dann doch etwas viel gewesen.“ Sie legte die Hand auf seinen Oberarm. „Und du hast mich nicht in Verlegenheit gebracht. Ich hatte Abstand zu dir genommen, weil ich dachte, es wäre besser so.“ Das sie eigentlich eher ihre eigenen Gedanken und Gefühle ordnen wollte in dieser Zeit, ließ sie unausgesprochen. Nachdem er einer anderen Frau beigelegen hatte, war es undenkbar, dass er mehr fühlen könnte als Freundschaft für sie.
Trevor sah Esther unbeeindruckt an „Und wie dich das in Verlegenheit gebracht hat … erneut.“ Er lachte. „Aber immerhin kannst du das bei einem Treffen unter adligen Freundinnen zum Besten geben.“
Esther konnte kaum glauben, was er da gerade gesagt hatte. „Ich bin mir sicher, dass es einige interessieren würde. Aber da ich für gewöhnlich nicht mit solchen Geschichten aufwarten kann, wüsste ich gar nicht, was ich erzählen soll.“
„Das ist ganz einfach. Solltest du wieder mal unter deinesgleichen sein und eine Gelegenheit ergibt sich, dann erzählst du einfach von diesen verruchten Piraten, der dich mitten im Sturm in seinen starken Armen hielt. Ein Mann dessen Körper die raue See geformt hatte …“ Er wiegte den Kopf etwas hin und her. „Und das wäre nicht einmal gelogen. Jedenfalls solltest du den Teil mit dem Trank aussparen. Junge Frauen wollen lieber die schmutzigen Details … Das Hemd von Salzwasser durchtränkt … du weißt schon … der Wind peitscht … Lass dir was einfallen.“
Esther blickte ihn an. Tatsächlich waren ihr die Geschehnisse noch so deutlich im Gedächtnis, dass sie sie ohne Probleme wiedergeben könnte. Und jetzt, wo er ihr dies noch einmal aufgezeigt hatte, sah sie diese Bilder vor ihrem inneren Auge deutlicher als das Hier und Jetzt.
Konzentriere dich!
Waren das Geschichten, die die meisten Frauen interessant fanden? Und war sie eine dieser Frauen? Die tuschelten, wenn ein Mann wie Trevor an ihr vorbeigingen. Bisher nicht … aber sie spürte, wie sich daran etwas geändert hatte.
„Ich finde, das ist eine ziemlich treffende Beschreibung“, sagte sie lächelnd. „Das würde den jungen Damen sicher gefallen.“
„Vergiss dann nur nicht zu erwähnen, dass inmitten eines aufleuchtenden Blitzes sein heißer Blick auf dir lag … Und wenn sie dir nicht glauben, dann … komm ich mal auf einen Sprung vorbei. Ich werde dann einfach nur dastehen und alles abnicken.“ Plötzlich, bevor sie etwas sagen konnte, fasste er ihr unters Kind, sodass sie ihm in die Augen schauen musste. „Alles gut?“ Er grinste sie an, weshalb Esther ebenfalls zurücklächelte. Noch breiter als sie es ohnehin schon tat.
„Natürlich“, stellte sie klar. Solange ihre Freundschaft daran nicht zerbrach, konnte sie akzeptieren, dass er keine Gefühle anderer Art für sie empfand. In der Hinsicht hatte Edmund recht, so ungern sie das auch zugab … sicherlich suchte sie keinen Mann, aber wenn, dann wäre es jemand wie Trevor.
Sie löste sanft Trevors Griff und blickte auf den Beutel hinunter. „Entschuldige mich, ich muss das Auge von Zyredon wieder verschließen …“
Beinahe sofort bedauerte sie es, Trevor losgelassen zu haben. Aber sie kam sich auch albern dabei vor, sich von ihm festhalten zu lassen wie ein kleines Kind.
„Mach das und wir sehen uns später an Deck …“, sagte er, während sie langsam davon schlich. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen verzog sie sich in ihre Kabine und verstaute den Stein wieder an seinem Platz.
Zahlreiche Gefühle durchfluteten ihren Körper. Unangenehme aber auch durchaus schöne, ihr bisher unbekannte. Sie versuchte, sich an dem Positiven festzuhalten. Gleichzeitig schallte sie sich im Gedanken eine Närrin. Wie konnte sie sich erlauben, sich in Trevors Worte zu baden? Das ziemte sich nicht … oder?