Diese Geschichte erzählt von einem Mädchen namens Wyna. Wyna, die einzige Prinzessin des ganzen Königreiches.
Sie zählte bereits 15 Jahre und war das hübscheste und angesehenste Mädchen im ganzen Königreich. Doch während sie unter den Mädchen für ihre Kleider und ihren herrlichen Schuck bewundert wurde und bei den jungen Männern wegen ihrer Schönheit, verkümmerte sie innerlich.
Ja, Wyna war die Prinzessin: sie konnte alles haben was sie nur wollte – Spangen, Ketten, schöne Gewänder, Gold, Edelsteine! Doch dass, was sie wirklich brauchte, schon ihr ganzes Leben lang, dass hatte sie nicht: Jemanden der so war wie sie! Und damit war nicht eine andere Prinzessin gemeint, sondern jemand, der die gleiche Sehnsucht verspürte wie sie: Die Sehnsucht nach einem Wesen was sie verstand und immer für sie da war! Ihre Eltern waren dies nicht: sie hatten viel zu viel zu tun und ihre Tochter interessierte sie wenig. Und ihre Mägde und Bediensteten waren zwar alle um ihr Wohlergehen bemüht und hörten ihr auch geduldig zu, doch Wyna hatte das Gefühl, dass sie dies nur taten, weil sie mussten. Sie war die Tochter des Königs und mit dem sollte man es sich nicht verscherzen…
Und so lächelte Wyna in ihren schönen Kleidern Tag ein, Tag aus immer freundlich in die Welt, plauderte mit den Mägden und Dienern und war doch einsamer und unglücklicher als ein Bettler.
Eines Tages war Wyna mit ihren Mägden zum Meer gegangen. Sie waren in einer kleiner einsamen Bucht, fernab vom Königsschloss. Die Bucht war umgeben von schroffen, hohen Felsen und wurde bei der Flut komplett vom Meer verschluckt! Nun, bei Ebbe, war sie der schönste Ort, den Wyna kannte; In dem strahlend blauen Himmel war keine einzige Wolke zu sehen und dieSonne erwärmte den Sand und ließ die vielen winzigen Steine funkeln wie Edelsteine. Kein Grün wuchs hier – es gab nur den schroffen Felsen, den schillernde Sandstrand und das Meer! Wyna liebte diese Bucht: wenn sie hier schwimmen ging fühlte sie sich ein Stück weit geborgen und nicht mehr ganz so allein…
Wie jedes Mal ließ sie sich von ihren Mägden auskleiden und schickte sie anschließend fort. Und als sie sicher war, dass sie niemand hörte, dann weinte sie…
Sie weinte um ihr Leid und ihr Elend und dann weinte sie vor Freude, dass sie das Meer und diese kleine Bucht hatte!
Als ihre Tränen versiegt waren stand sie auf und ging langsam und bedächtig mit ihren nackten Füßen durch den Sand, auf das unendlich weite Meer zu. Und als sie es mit den Spitzen ihrer Füße berührte, zuckte plötzlich ein Blitz vom Wolkenlosen Himmel auf das Meer hinunter! Der Boden bebte als er einschlug. Erschrocken schnappte Wyna nach Luft. Da sah sie plötzlich, wie von der Stelle, wo der Blitz in die Wellen geschlagen hatte, ein feiner Lichtstrahl ausging! Er hielt direkt auf die Bucht zu – so hell und klar wie Sternenlicht! So schnell wie sie ihn gesehen hatte, war er auch schon in der Bucht angelangt; Wyna wollte gerade zurück springen, doch da tauchte er wenige Meter vor ihr in die Tiefen des Meeres hinab…
Einige Momente verharrte sie mit angehaltenem Atem, doch nichts passierte. Sie konnte nicht fassen, was sie da gerade gesehen hatte, dass es so etwas tatsächlich gab!
Und dann atmete sie einmal tief durch, nahm all ihren Mut und sprang in die kalten, schäumenden Wellen, dem Lichtstrahl nach…
Wyna tauchte und tauchte, doch das Meer war tief an dieser Stelle, vielleicht zu tief. Und als sie die Hoffnung gerade aufgegeben hatte, sah sie tief unter sich etwas schimmern!
Je weiter sie hinab tauchte desto sicherer war sie, dass das leuchtende Objekt dem Lichtstrahl entstammte: es flackerte hell, wie als hätte jemand eine Fackel angezündet! Doch je länger es dort unten war, desto matter wurde das Licht, so dass Wyna bald schon Schwierigkeiten hatte, es auszumachen.
Wyna tauchte und tauchte, dachte, sie würde es nicht mehr bis zum Grund schaffen… bis ihre Hände völlig unerwartet den kalten Sand des Meeresboden fühlten. Ihr wurde für einen Moment schwarz vor Augen, so tief war sie und ihr ganzer Körper lechzte nach Luft. Und, ohne den matt flackernden Gegenstand weiter betrachten zu können, klemmte sie sich ihn unter den Arm und stieß sich so kräftig, wie sie es noch vermochte, von Meeresboden ab. Doch der Gegenstand fühlte sich schwer wie ein Stein an und zog sie immer wieder auf den Grund. Ihr ging die Luft aus…
Nur mit Mühe und Not erreichte sie die Wasseroberfläche mit ihrem Fundstück. Später hätte sie nicht sagen können, wie sie dies geschafft hatte. Hustend und nach Luft ringend schwamm sie wieder an den Strand zurück. Sie hatte keine Ahnung gehabt, zu was sie eigentlich fähig war!
Die Mägde erwarteten sie schon in heller Aufregung.
Wo hast du gesteckt?
Fragten sie Wyna, doch diese erzählte ihnen nichts von ihrem Abenteuer, sie hätten es doch nicht geglaubt.
Am Abend in ihren Gemächern legte Wyna den Gegenstand auf ihr großes Bett und schickte die Bediensteten aus dem Zimmer. Sie hatte ihr Fundstück die ganze Zeit am Herzen getragen, war aber noch nicht dazu gekommen, es näher zu betrachten. Auch ihren Eltern hatte sie nichts erzählt.
Nach längerer Überlegung entschied sich Wyna, es als Stein anzusehen: er war mindestens genauso schwer und, obwohl sie ihn mehrere Stunden an der Brust getragen hatte, immer kalt geblieben! Doch er war pechschwarz und von ovaler, glatter Vorm. Außerdem erklang, wenn man ihn berührte, ein leicht metallisches klingen! Das Sternenlicht war leider schon auf der Heimreise von der Bucht zum Königsschloss erloschen.
Dann musste Wyna zu Abend essen und es gab, wie immer, nur das Feinste vom Feinen. Doch ihre Gedanken waren nur bei den Ereignissen in der Bucht und bei dem seltsamen, schwarzen Stein.
Was ist, mein Liebling?
Fragte die Königin. Sie kannte ihre Tochter zu gutum die Veränderung nicht zu bemerken. Doch Wyna schüttelte den Kopf und sagte, dass alles so sei wie immer und ihre Eltern ließen sie in Frieden.
Als sie fertig waren mit Essen, rannte Wyna wieder auf ihre Gemächer zu dem schwarzen Stein. Doch was war das? Sie hatte den Stein auf ihr großes Himmelbett gelegt und jetzt lag er einige Schritte weiter auf dem Boden! Es konnte nicht sein, denn sie hatte ihn extra weich in ein Nest aus Decken und Kissen gebettet! Mit Schrecken sah sie die zwei feinen Risse in dem Stein, wo er auf den harten Steinboden aufgeschlagen war! Schnell hob sie ihn wieder auf ihr Bett, wobei sie darauf achtete, dass er kein weiteres Mal herunterrollen konnte…
Plötzlich war ein knacken zu hören, als Wyna sich gerade neben ihn setzen wollte.Sie schrie erschrocken auf und hechtete in die andere Ecke ihres Bettes. Was war das für ein Stein? Plötzlich schien er von innen zu vibrieren und kurz darauf entstand ein dritter, vierter, fünfter Riss auf der glatten schwarzen Oberfläche! Die Risse zeichneten sich wie schneeweiße Adern auf dem Stein ab.
Nach einem kurzen Moment der Ruhe, in dem Wyna mit angehaltenem Atem auf den Stein starrte, knackte es erneut. einer der Risse wurde breiter und ein kleines Beinchen schob sich aus dem Stein heraus! Es war pechschwarz wie der Stein und mit vier scharfen Krallen bestückt! Mit Ausnahme der Krallen, war es komplett mit feinen schwarzen Schuppen überzogen, so klein, dass sie Wyna kaum ausmachen konnte.
Jetzt erst dämmerte es Wyna: der Stein war ein Ei!
Dem winzigen Beinchen, folgte ein weiteres identisches Beinchen und dann ein verhältnismäßig langer, kräftiger Schwanz! Er war mindestens eine Elle lang und mit den gleichen schwarzen Schuppen überzogen wie die beiden Beine.
Mit einem lauten Ächzen gab das Ei nach und ein großes Stück der 2 Zentimeter dicken schwarzen Schale brach ab, und viel klirrend zu Boden. Dann schob sich ein kleiner schwarzer Kopf aus dem Ei. An beiden Seiten des länglichen Maules stachen zwei lange, spitze Reiszähne unter den geschwungenen Lippen hervor und an beiden Schläfen prangten zwei majestätisch geschwungene Hörner!
Zwei weitere Beinchen und ein langer Hals folgten und ein Dutzend mehr Risse entstanden, als es sich aus dem Ei zwängte! Am Ende zog das kleine Wesen mit einem leisen Knurren zwei riesige Flügel aus der Schale! Die Haut an ihnen war dünn und ledrig – perfekt zum Fliegen!
Fassungslos starrte Wyna auf das kleine pechschwarze Wesen, was sich gerade von den letzten Schalen befreite, indem es sie auffraß…
Ein Drache!
Rief Wyna völlig überwältigt aus.
Ein Drache!
Mit einem gurgelnden Geräusch registrierte der Drache Wyna und einen Moment standen sie sich gegenüber und musterten sich. Dann kam er auf unsicheren Beinchen über die vielen Decken und Kissen zu Wyna getapst, immer noch leise gurgelnd. Und sie streckte ihre Hand nach dem kleinen Drachen aus und er berührte mit seiner kühlen Nasenspitze vorsichtig ihre Fingerspitzen… mit großen Augen schauten sie sich an, bis er sie schloss und lautstark gähnte.Ohne von Wyna weitere Notiz zu nehmen, kroch er auf ihren Schoß und rollte sich dort zusammen… Seine Atemzüge wurden fast sofort langsam und gleichmäßig.
Zum ersten Mal in ihrem Leben, wurde Wyna warm ums Herz…