Eventuell könnte Kayra das jedoch ganz kurz ansprechen und Henry z.B. fragen, ob er überhaupt daran gedacht hat, dass man ihn schon längst verfolgen könnte und er die anderen damit zu ihr geführt hat.
Ich hatte mehr die Sorge, dass er mit unbekannten Dateien Kayras gesamtes System verseucht oder so...
Alles gute Ideen! Ich behalte es mal im Hinterkopf und mach mir eine Notiz fürs Überarbeiten irgendwann. Jetzt gehts erstmal weiter
Kapitel 2, Part 2
„Wie läuft es bei dir mit der Auftragslage?“, fragte Kayra,
nachdem beide sich an ihrem kleinen Küchentisch niedergelassen
hatten.
„Aktuell
wieder sehr gut. Den Projektor habe ich gerade erst von einem sehr
reichen Kunden aus der Oberstadt bekommen.“
Seine
Schwester verdrehte die Augen. „Was will er? Ist sein Haustier in
der Unterstadt verschwunden, oder hat seine Köchin ihn bestohlen?“
Diese
Szenarien waren nicht einmal absurd. Ein Haustier hatte Henry schon
einmal suchen und dabei feststellen müssen, dass sich Tiere viel
besser verstecken konnten, als Leute.
„Er
sucht seine Tochter. Anscheinend ist sie ihm abhanden gekommen und
zettelt irgendwo in der Unterstadt eine Revolution an.“ Er lachte
kurz auf. Die Vorstellung, dass ein verwöhntes Mädchen aus der
Oberstadt in den unteren Ebenen tatsächlich etwas erreichen konnte,
war grotesk. Die Leute würden sie verspotten, im schlimmsten Fall
ausrauben und auf die Straße werfen. Niemand konnte und wollte sich
mit dem System anlegen, das seit der Gründung der Kolonie bestand
und vor allem nicht mit denjenigen, die es verteidigten. Von einer
Schicht in die nächste zu gelangen war nur den wenigsten ohne
triftigen Grund erlaubt. Und die Willkür, die an manchen
Grenzkontrollen herrschte, machte es nicht leichter.
Aber
Kayra lachte nicht.
„Dann
ist es also wahr?“
„Was?“,
fragte Henry.
„Vor
ein paar Tagen war jemand hier“, holte sie aus. „Ein Junge, so um
die sechzehn Jahre alt, schätze ich. Er behauptete, er sei ein
Freund von einem meiner Lieferanten und dass dieser mich als
vertrauenswürdig einschätzt. Dann hat er mir einen Zettel in die
Hand gedrückt mit Datum, Uhrzeit und Ort darauf und meinte, wenn ich
mir wünsche, die Sonne sehen zu können, wann immer ich möchte,
solle ich kommen. Wenn nicht, solle ich einfach vergessen, dass er
bei mir war und den Zettel vernichten. Ich habe mir nicht viel dabei
gedacht, immerhin ist der Spruch reichlich seltsam, aber wenn es
stimmt, was du sagst, ergibt das einen Sinn, oder nicht?“
Henry
richtete sich auf und sah sie eindringlich an. „Hast du den Zettel
noch?“
„Hier.“
Sie kramte in den Taschen ihrer Arbeitshose und zog ein zerknittertes
Stück Papier hervor. „Es ist ziemlich dumm und gefährlich,
einfach bei irgendwelchen Leuten vorbeizugehen und fragen, ob sie
gerne Revolutionär sein wollen, oder nicht?“
„Das
hat er ja auch nicht gefragt“, entgegnete Henry und besah sich den
Zettel. In krakeliger Schrift waren Datum, Uhrzeit und Ort lesbar.
Morgen, gegen Mittag, auf einem öffentlichen Platz hier in der Nähe.
„Ganz im Gegenteil, die Formulierung ist ziemlich geschickt.
Jemand, der daraus nicht die Erkenntnis ziehen kann, dass es
scheinbar eine Gruppierung gibt, die etwas am System ändern will,
wird den Jungen höchstens für verschroben halten.“
„Aber
was soll die ganze Aktion?“
„Falls
das alles tatsächlich eine groß angelegte Sache mit dem Ziel ist,
die Struktur zu sprengen, die sich in den tausend Jahren, die diese
Stadt existiert, etabliert hat, wird dieser Aufruf nur eine Art
Zusammenfassung des Meinungsbilds sein. Hat dich in letzter Zeit
jemand auf das Thema angesprochen? Egal wie nebensächlich es gewirkt
hat?“
Nach
kurzem Nachdenken schüttelte sie den Kopf. „Vielleicht habe ich im
Beisein des besagten Lieferanten mal irgendwas fallen lassen, sodass
er interpretiert hat, dass ich bei so einer Aktion dabei wäre“,
sagte sie dann schulterzuckend.
„Und
wärst du dabei?“
„Bin
ich bereit, meine hart erarbeitete Existenz hier aufzugeben, nur um
einer schönen Idee nachzujagen? Sicher nicht. Du weißt doch, wie es
hier läuft. Solange du einen Platz in deiner Schicht hast, ist alles
gut. Alles darüber und darunter bring bloß Probleme und ist sogar
gefährlich.“
Henry
nickte nachdenklich und sah sich noch einmal den Zettel an. „Für
mich ist diese Sache allerdings eine ziemlich heiße Spur.“ Dann
hob er langsam den Blick und sah seiner Schwester lange und fest in
die Augen.
»Ganz
sicher nicht!« Kayra betonte jedes Wort sehr deutlich, stellte ihre
Tasse auf dem Tisch ab und stand auf. Wie hatte er nur erwarten
können, dass sie nicht sofort durchschaute, was er vorhatte. Dann
begann sie, mit dem Zeigefinger in seine Richtung zu fuchteln. Henry
wusste, was er da losgetreten hatte und versuchte nicht einmal, sie
zu stoppen. »Du weißt ganz genau, dass ich kein Teil deiner
mysteriösen Aktionen sein will! Ich helfe dir gerne mit dem
technischen Kram, aber das ist zu viel. Das System hat mich und meine
Werkstatt gerade erst akzeptiert und jetzt sogar angefangen, mich ein
wenig zu fördern, weil ich wertvoll für diese Schicht bin. Wenn ich
auch nur eine winzige Bewegung Richtung Revolte mache, ist es vorbei,
bevor es richtig angefangen hat!«
Henry
hob resignierend beide Hände. »Ist ja gut.« Er seufzte. »Lass uns
nachsehen, ob die Software schon durch ist.«
Noch
einmal fixierte Kayra ihn mit zusammengekniffenen Augen, dann nickte
sie und gab ihm im Vorbeigehen mit dem Handrücken einen durchaus
schmerzhaften Klaps gegen die Schulter.
»Aua«,
murrte Henry leise, nachdem sie außer Hörweite war und folgte ihr
schließlich.
»Sieht
soweit gut aus.« So lautete Kayras Urteil, nachdem sie sich die
Ergebnisse der Softwareanalyse ausgiebig angesehen hatte.
»Programmiert wie ein stinknormaler Holoprojektor.«
Dann
folgte etwa eine Stunde, in der sie das kleine Gerät vollständig in
seine Bestandteile zerlegte, die einzelnen Teile testete und
schließlich alles wieder zusammensetzte. Henry versuchte derweil
nicht zu gelangweilt auszusehen, während er neben ihr stand und das
Geschehen verfolgte. Er hatte nie verstanden, wie sie so viel Freude
am Schrauben und Basteln finden konnte.
Als
die letzte Schraube wieder festgezogen war, drückte sie ihm den
Projektor wieder in die Hand. »Hier. Absolut sauber.«
»Danke.«
Er schaltete das Gerät ein und verschaffte sich mit wenigen
Handgriffen einen Überblick über dessen Inhalt. Neben dem Foto, das
sein Auftraggeber ihm bereits in der Bar gezeigt hatte, befanden sich
wie angekündigt die Bilder der Klatschpresse darauf. Sie zeigten
eine schlanke Gestalt, in einen Mantel gehüllt. Unter einer Kapuze
lugte die Hälfte eines Gesichts hervor.
»Ist
sie das?«, fragte Kayra und sah ihm über die Schulter.
»Vielleicht«,
gab er zurück. »Das sind nur die Bilder, mit der die Presse in der
Oberstadt versucht, sie zu verspotten. Hier, das Bild ist besser.«
Er wechselte zurück zu dem Foto von der Jahrtausendfeier. »Hast du
sie schonmal gesehen?«
»Nicht,
dass ich wüsste. Aber sie ist Politikerin, mit denen habe ich es
nicht so.«
»Laut
ihrem Vater ist sie im Stadtrat auch nicht die Bekannteste,
geschweige denn die Beliebteste. Immerhin vertritt sie einige sehr
radikale Ideen und die sieht das System nunmal nicht gerne.«
»Hm«,
machte Kayra nachdenklich. »Ist dir schon der Gedanke gekommen, dass
sie nicht aus eigenem Antrieb verschwunden ist, sondern dass man sie
hat verschwinden lassen?«
»Guter
Punkt«, bestätigte Henry. »Ihr Vater hat sie offenbar schon für
unzurechnungsfähig erklären lassen. Vielleicht glaubt er, wenn ich
sie zurückbringe, dass er sie überzeugen kann von jetzt an ein
unauffälliges, aber privilegiertes Leben unter seiner Aufsicht zu
führen.«
»Stell
dir das mal vor. Wie grausam.« Verächtlich wandte Kayra sich ab und
begann, den Tisch aufzuräumen, an dem sie die vergangene Stunde
gearbeitet hatte. Henry erwiderte nichts darauf. Es war nicht sein
Job sich darum zu kümmern, dass es den Leuten, die er suchte und
fand danach gut ging. Er tat das ganze, weil er gut darin war und
weil er so genug Geld verdiente, um seine Schwester und seinen Vater
zu unterstützen. Seit Kayras Werkstatt gut lief, hatte er
diesbezüglich glücklicherweise weniger Sorgen.
»Jedenfalls
hätte ich diese Lösung für deutlich wahrscheinlicher gehalten,
hättest du mir nicht vorhin von deiner Begegnung mit dem Jungen
erzählt. So werde ich mir die Sache mal ansehen müssen.«
»Du
willst also morgen dahin gehen?«
Henry
nickte. »Es sei denn, du änderst deine Meinung«, schob er dann
vorsichtig hinterher. Böse kniff sie wieder die Augen zusammen, aber
da sie nicht direkt anfing, zu lamentieren, wagte er noch einen
weiteren, kleinen Vorstoß. »Es ist ein öffentlicher Platz. Morgen
ist dort Markt, soweit ich weiß. Niemand wird dich verdächtigen,
irgendetwas Verbotenes zu tun, wenn du dort deine Einkäufe
erledigst. Du musst dich auch nach niemandem umschauen, das werde ich
übernehmen. Ich folge dir unauffällig und schaue, wer sich für
dich interessiert. Höchstwahrscheinlich wäre es das schlimmste, was
passieren kann, wenn du dort zu viele Credits ausgibst.«
Er
beobachtete, wie sie nachdenkend mit den Zähnen knirschte und ihn
dabei weiter anfunkelte. »Na schön«, knurrte sie schließlich.
Henry setzte ein freudiges Lächeln auf und wollte ihr in bester
Manier sagen, dass sie eine wundervolle Schwester war, aber Kayra
packte wieder ihren fuchtelnden Zeigefinger aus. »Ah!«, machte sie
nur, sodass er den Mund gar nicht erst aufmachte. »Spar dir deine
schönen Worte. Ich werde das mit Sicherheit noch bereuen.«